Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 26. Jan. 2005 - 4 Ss 530/04

bei uns veröffentlicht am26.01.2005

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ö. vom 29. Juli 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht S. zurückverwiesen.

Gründe

 
I. Das Amtsgericht Ö. hat durch das angefochtene Urteil den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Ö. vom 6. Mai 2003 gemäß §§ 412 Abs.1, 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger dem Hauptverhandlungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben sind.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Mit ihr beanstandet der Rechtsmittelführer zu Recht, dass an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist (§ 338 Nr. 3 StPO).
II. Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
Das Amtsgericht Ö. hat am 6. Mai 2003 gegen den Angeklagten, der bis dahin keine Angaben zur Sache gemacht hatte, durch Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 EUR festgesetzt. Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 27. Juni 2003 hat das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf 16. September 2003 und zugleich das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Der Angeklagte räumte über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 12. August 2003 das äußere Geschehen ein, wie es dem Strafbefehl zugrunde gelegt war. Gleichzeitig wurde von Seiten des Angeklagten wegen des erheblichen Mitverschuldens der später Getöteten die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO angeregt. Mit Schreiben des Amtsgerichts Ö. vom 25. August 2003 wurde dem Angeklagten eine - abschlägige - Stellungnahme der Staatsanwaltschaft übermittelt und er aufgefordert, die Einspruchseinlegung noch einmal zu überdenken. Zum Verhandlungstermin am 16. September 2003 ist der Angeklagte nicht erschienen, sondern ließ sich durch einen Verteidiger nach § 411 Abs. 2 StPO vertreten.
Nach Beginn der Hauptverhandlung erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, er lege gesteigerten Wert auf die Anwesenheit des Angeklagten, worauf das Verfahren ausgesetzt wurde. Mit Verfügung vom 19. September 2003 wurde neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt und das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Der Verteidiger des Angeklagten teilte mit Schreiben vom 18. September 2003 mit, der Angeklagte werde in einem künftigen Termin von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten sei deshalb nicht nachvollziehbar.
Hierauf ließ ihm der abgelehnte Richter mit Schreiben vom 9. Oktober 2003 mitteilen:
„Das Gericht hält das Erscheinen des Angeklagten weiter für erforderlich, zum einen weil es sich einen persönlichen Eindruck von ihm machen muss, zum anderen deshalb, weil Fragen zur Person bestehen, nachdem er selbst seine Lohnbescheinigung unterschrieben hat. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der Strafzumessung im Strafbefehl ein Geständnis des Angeklagten zugrunde liegt und er für den Fall, dass er keine Angaben machen will, aufgrund des dann fehlenden strafmildernden Geständnisses mit einer höheren Tagessatzanzahl zu rechnen hat. Darüber hinaus wird um Mitteilung der Anschrift des Hotels in Österreich gebeten, damit dort Erkundigungen zu den Preisen eingeholt werden können.“
Aufgrund dieser Mitteilung hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2003 den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zum einen beanstandet er die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten, zum anderen sei ihm für den Fall, dass er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch mache, eine härtere Strafe angedroht worden.
III. Das Ablehnungsgesuch ist zu Unrecht zurückgewiesen worden.
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Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin vermag jedoch die Ablehnung des erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Nach § 236 StPO ist das Gericht auch in Fällen der an sich zulässigen Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten befugt, dessen persönliches Erscheinen anzuordnen, sofern es die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach pflichtgemäßem Ermessen für die Erforschung der Wahrheit für sachdienlich hält und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht entgegensteht (BGHSt 9, 356; OLG Stuttgart Justiz 1994, 25; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. § 236 Rn 3; Fischer in KK, StPO, 5. Aufl. § 411 Rn 14).
11 
In Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs war die Anordnung des persönlichen Erscheinens auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte zur Hauptverhandlung aus der Tschechischen Republik anreisen musste, nicht unverhältnismäßig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 18. September 2003 mitgeteilt hat, er werde in einem künftigen Termin von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, da nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte unter dem Eindruck des sich in der Hauptverhandlung herausbildenden Beweisergebnisses sein Schweigen bricht (OLG Stuttgart a.a.O.).
12 
Die Besorgnis der Befangenheit begründet indes die schriftliche Mitteilung des Amtsrichters, der Strafzumessung im Strafbefehl sei ein Geständnis zugrunde gelegt worden und der Angeklagte müsse für den Fall, dass er keine Angaben machen wolle, aufgrund des dann fehlenden strafmildernden Geständnisses mit einer höheren Tagessatzanzahl rechnen.
13 
Zwar rechtfertigt weder die Mitteilung einer unrichtigen Rechtsansicht noch der abstrakte Hinweis auf die Rechtslage die Besorgnis der Befangenheit (BGH NJW 1984, 1907; BGH StV 2002, 115). Bei verständiger Würdigung handelte es sich bei der gerichtlichen Mitteilung aber nicht um einen abstrakten Hinweis auf die Rechtslage. Vielmehr hatte der Angeklagte Grund zu der Annahme, dass der Amtsrichter ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen hatte, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit würde störend beeinflussen können (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 24 Rn 8 m.w.N.).
14 
Der Richter darf den Angeklagten zwar darauf hinweisen, dass ein Geständnis schuldmindernd wirken und deshalb bei der Zumessung der Strafe zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann (vgl. BGHSt 42, 191; BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 12). Umgekehrt ist es ihm aber versagt, für den Fall, dass kein Geständnis abgegeben wird, eine Erhöhung der „an sich“ schuldangemessenen Strafe in Aussicht zu stellen. Ein zulässiges Prozessverhalten darf dem Angeklagten nämlich nicht strafschärfend angelastet werden (vgl. etwa  BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 21).
15 
Der Angeklagte, der - entgegen der Auffassung des Gerichts - erst nach Erlass des Strafbefehls über seinen Verteidiger den Tatvorwurf in objektiver Sicht einräumte und hiervon auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht abgerückt ist, musste aufgrund dieses Hinweises davon ausgehen, dass gegen ihn, sollte er in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Gebrauch machen, eine höhere Strafe als im Strafbefehl verhängt werden würde. Das Amtsgericht hat sich insoweit nicht darauf beschränkt, auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinzuweisen, sondern eine Verschärfung der Strafe für den Fall, dass kein Geständnis abgegeben wird, in Aussicht gestellt und eine Anhebung der Strafe gegenüber dem Strafbefehl angekündigt. Aus Sicht des Angeklagten bestand demnach im für ihn günstigsten Fall nur die Möglichkeit, dass in einem Urteil die selben Rechtsfolgen wie in dem angefochtenen Strafbefehl festgesetzt würden. Der dadurch auf den Angeklagten ausgeübte Druck, auf sein Schweigerecht zu verzichten, stellt einen massiven Verstoß gegen einen fundamentalen Grundsatz des geltenden Strafverfahrensrecht (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) dar, der im Angeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Amtsrichters entstehen lassen konnte (vgl. BGH wistra 1985, 27).
16 
IV. Angesichts dessen, dass bereits mehrere Richter des Amtsgerichts Ö. mit diesem Verfahren befasst waren, hält es der Senat für sachgerecht, die Sache an das Amtsgericht S. zurückzuverweisen.

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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 26. Jan. 2005 - 4 Ss 530/04 zitiert 12 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 153a Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen


(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen u

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

Strafprozeßordnung - StPO | § 136 Vernehmung


(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern

Strafprozeßordnung - StPO | § 24 Ablehnung eines Richters; Besorgnis der Befangenheit


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt,

Strafprozeßordnung - StPO | § 329 Ausbleiben des Angeklagten; Vertretung in der Berufungshauptverhandlung


(1) Ist bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verha

Strafprozeßordnung - StPO | § 411 Verwerfung wegen Unzulässigkeit; Termin zur Hauptverhandlung


(1) Ist der Einspruch verspätet eingelegt oder sonst unzulässig, so wird er ohne Hauptverhandlung durch Beschluß verworfen; gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. Andernfalls wird Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Hat der Angeklag

Strafprozeßordnung - StPO | § 412 Ausbleiben des Angeklagten; Einspruchsverwerfung


§ 329 Absatz 1, 3, 6 und 7 ist entsprechend anzuwenden. Hat der gesetzliche Vertreter Einspruch eingelegt, so ist auch § 330 entsprechend anzuwenden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 236 Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten


Das Gericht ist stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und durch einen Vorführungsbefehl oder Haftbefehl zu erzwingen.

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§ 329 Absatz 1, 3, 6 und 7 ist entsprechend anzuwenden. Hat der gesetzliche Vertreter Einspruch eingelegt, so ist auch § 330 entsprechend anzuwenden.

(1) Ist bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. Ebenso ist zu verfahren, wenn die Fortführung der Hauptverhandlung in dem Termin dadurch verhindert wird, dass

1.
sich der Verteidiger ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und eine Abwesenheit des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist oder der Verteidiger den ohne genügende Entschuldigung nicht anwesenden Angeklagten nicht weiter vertritt,
2.
sich der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist oder
3.
sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist.
Über eine Verwerfung wegen Verhandlungsunfähigkeit nach diesem Absatz entscheidet das Gericht nach Anhörung eines Arztes als Sachverständigen. Die Sätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, wenn das Berufungsgericht erneut verhandelt, nachdem die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist.

(2) Soweit die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist, findet die Hauptverhandlung auch ohne ihn statt, wenn er durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird oder seine Abwesenheit im Fall der Verhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft nicht genügend entschuldigt ist. § 231b bleibt unberührt.

(3) Kann die Hauptverhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin nicht ohne den Angeklagten abgeschlossen werden oder ist eine Verwerfung der Berufung nach Absatz 1 Satz 4 nicht zulässig, ist die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen, soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

(4) Ist die Anwesenheit des Angeklagten in der auf seine Berufung hin durchgeführten Hauptverhandlung trotz der Vertretung durch einen Verteidiger erforderlich, hat das Gericht den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zu laden und sein persönliches Erscheinen anzuordnen. Erscheint der Angeklagte zu diesem Fortsetzungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht und bleibt seine Anwesenheit weiterhin erforderlich, hat das Gericht die Berufung zu verwerfen. Über die Möglichkeit der Verwerfung ist der Angeklagte mit der Ladung zu belehren.

(5) Wurde auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin nach Absatz 2 verfahren, ohne dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, hat der Vorsitzende, solange mit der Verkündung des Urteils noch nicht begonnen worden ist, einen erscheinenden Angeklagten oder Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist. Eine Berufung der Staatsanwaltschaft kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 auch ohne Zustimmung des Angeklagten zurückgenommen werden, es sei denn, dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 4 vorliegen.

(6) Ist die Verurteilung wegen einzelner von mehreren Taten weggefallen, so ist bei der Verwerfung der Berufung der Inhalt des aufrechterhaltenen Urteils klarzustellen; die erkannten Strafen können vom Berufungsgericht auf eine neue Gesamtstrafe zurückgeführt werden.

(7) Der Angeklagte kann binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,

1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,
2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,
3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,
4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,
5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder
7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
Zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen setzt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Frist, die in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 3, 5 und 7 höchstens sechs Monate, in den Fällen des Satzes 2 Nummer 4 und 6 höchstens ein Jahr beträgt. Die Staatsanwaltschaft kann Auflagen und Weisungen nachträglich aufheben und die Frist einmal für die Dauer von drei Monaten verlängern; mit Zustimmung des Beschuldigten kann sie auch Auflagen und Weisungen nachträglich auferlegen und ändern. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen nicht, so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet. § 153 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 6 entsprechend. § 246a Absatz 2 gilt entsprechend.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.

(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.

(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

(1) Ist der Einspruch verspätet eingelegt oder sonst unzulässig, so wird er ohne Hauptverhandlung durch Beschluß verworfen; gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. Andernfalls wird Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Hat der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt, kann das Gericht mit Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden; von der Festsetzung im Strafbefehl darf nicht zum Nachteil des Angeklagten abgewichen werden; gegen den Beschluss ist sofortige Beschwerde zulässig.

(2) Der Angeklagte kann sich in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen. § 420 ist anzuwenden.

(3) Die Klage und der Einspruch können bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug zurückgenommen werden. § 303 gilt entsprechend. Ist der Strafbefehl im Verfahren nach § 408a erlassen worden, so kann die Klage nicht zurückgenommen werden.

(4) Bei der Urteilsfällung ist das Gericht an den im Strafbefehl enthaltenen Ausspruch nicht gebunden, soweit Einspruch eingelegt ist.

Das Gericht ist stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und durch einen Vorführungsbefehl oder Haftbefehl zu erzwingen.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.