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| Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Verlusts von Transportgut aus einem Frachtvertrag in Anspruch. Das vertragsgemäß am 03.02.2014 - spätestens am 04.02.2014 - abzuliefernde Transportgut wurde der Firma S... F... in W... (G...) am 21.03.2014 und damit mehr als 30 Tage nach dem vereinbarten Liefertermin zugestellt. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Landgericht hat ausgeführt, es liege gemäß Art. 20 Abs. 1 CMR ein Verlust des Transportguts vor, für welchen die Beklagte nach Art. 17 Abs. 1 CMR eintrittspflichtig sei. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz, der dort gestellten Anträge sowie der Entscheidung des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). |
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| Die Berufung bringt vor, bei der Verlustvermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR handele es sich um ein Wahlrecht des Anspruchsberechtigten, von welchem die Klägerin nicht in wirksamer Weise Gebrauch gemacht habe. Durch ihre Mitteilung vom 19.02.2014, mit der Neufertigung der verlorenen Ware begonnen zu haben (Anlage K 5), habe die Klägerin ihr Wahlrecht nicht wirksam ausüben können, weil zu diesem Zeitpunkt - in tatsächlicher Hinsicht unstreitig - die 30-Tages-Frist noch nicht abgelaufen gewesen sei und damit die Voraussetzungen des Wahlrechts noch nicht vorgelegen hätten. Umstände, weshalb die Klägerin ausnahmsweise bereits vor Ablauf von 30 Tagen das Transportgut als verlustig hätte ansehen dürfen, hätten nicht vorgelegen, weil die Beklagte den Verlust der Sendung nicht als definitiv kommuniziert habe. In der Folgezeit habe die Klägerin ihr Wahlrecht nicht mehr zu Gunsten der Verlustvermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR ausüben können, nachdem die Empfängerin die Ware entgegen genommen habe, wodurch die Empfängerin das Wahlrecht im Sinne eines Ablieferungsverlangen nach Art. 20 Abs. 3 CMR ausgeübt habe. Dabei sei gemäß Art. 13 CMR auch die Empfängerin verfügungsberechtigt. Jedenfalls stelle es ein unzulässiges venire contra factum proprium dar, wenn die Empfängerin einerseits das Transportgut entgegennehme und in Absprache mit der Klägerin zerstöre, andererseits aber die Kosten für eine erneute Herstellung desselben Guts als Schadensersatz fordere, zumal die Klägerin nun nicht mehr im Stande sei, gegen die Leistung von Schadensersatz das Transportgut herauszugeben. Der allein bestehende Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen verzögerter Lieferung sei nicht streitgegenständlich, weshalb die Klage vollumfänglich abzuweisen sei. |
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| Die Beklagte und die Streithelferin beantragen, |
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| das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. |
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| die Berufung zurückzuweisen. |
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| Die Klägerin ist der Auffassung, aus ihrem Vorbringen in dem Schreiben vom 19.02.2014, wonach sie mit der Neufertigung der verschollenen Ware begonnen habe (Anlage K 5), sei für die Beklagte eindeutig zu ersehen gewesen, dass die Klägerin an dem Erhalt der Ware kein Interesse mehr gehabt habe. Hierdurch habe die Klägerin ihr Wahlrecht nach Art. 20 CMR wirksam ausgeübt. Die Tatsache, dass am 19.02.2014 die 30-Tages-Frist noch nicht verstrichen gewesen sei, hindere eine wirksame Ausübung des Wahlrechts nicht, nachdem - in tatsächlicher Hinsicht unstreitig - innerhalb der Frist von 30 Tagen die Ware nicht wieder aufgefunden worden sei. Die Beklagte habe nach Ablauf der 30-Tages-Frist den Transportvertrag daher nicht mehr durch Ablieferung der Ware erfüllen können. |
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| Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. |
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| Die zulässige Berufung ist begründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche wegen des Verlusts der streitgegenständlichen Sendung, sondern nur Ansprüche wegen des Überschreitens des vereinbarten Liefertermins zu, welche aber nicht streitgegenständlich sind. Die Klage ist daher abzuweisen. |
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| 1. Gemäß Art. 20 Abs. 1 CMR kann der Verfügungsberechtigte das Transportgut, ohne weitere Beweise erbringen zu müssen, als verloren betrachten, wenn es nicht innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der vereinbarten Lieferfrist abgeliefert worden ist. Diese Regelung gewährt dem Verfügungsberechtigten ein Wahlrecht, ob er sich auf die Verlustvermutung berufen und die an den Verlust geknüpften Schadensersatzansprüche geltend machen will oder ob er das Wiederauffinden abwartet und dann Herausgabe und Schadensersatz wegen Lieferfristüberschreitung verlangt (BGH, Urteil vom 15.10.1998 - I ZR 111/98, NJW 1999, 1110, 1111). Die Verlustvermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR findet zu Gunsten des Anspruchsberechtigten zwar erst Anwendung, wenn er deutlich zu erkennen gegeben hat, das Gut als abhandengekommen zu betrachten (BGH, Urteil vom 15.10.1998, aaO). Dies bedeutet aber nicht, dass der Anspruchsberechtigte die Annahme des wiederaufgefundenen Guts nur verweigern könnte, wenn er sich bereits zuvor auf die Verlustvermutung berufen hat. Denn die Verlustvermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR ist unwiderleglich. Der Anspruchsberechtigte soll nach dem festgelegten Zeitpunkt disponieren können, ohne Gefahr zu laufen, das Gut später doch annehmen zu müssen (BGH, Urteil vom 25.10.2001 - I ZR 187/99, WM 2002, 932, 934; vom 09.09.2010 - I ZR 152/09, VersR 2012, 337 Rn. 14). Der Ersatzberechtigte kann sich auf die Verlustfiktion daher auch dann berufen, wenn das Gut nach Ablauf der in Art. 20 Abs. 1 CMR bezeichneten Fristen wieder aufgefunden wird (BGH, Urteil vom 09.09.2010, aaO Rn. 15 Demuth in Thume, CMR, 3. Aufl., Art. 20 Rn. 6 Boesche in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl., Art. 20 CMR Rn. 2). Folglich kann der Empfänger die ihm nach Fristablauf angediente Annahme mit der Begründung zurückweisen, dass er das Gut gemäß Art. 20 Abs. 1 CMR als verloren betrachte (Demuth in Thume, aaO Art. 20 Rn. 4; MünchKomm-HGB/Jesser-Huß, 3. Aufl., Art. 20 CMR Rn. 6). |
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| 2. Die Firma S... F... als Empfängerin hätte folglich die Entgegennahme des Transportguts am 21.03.2014 verweigern können. Tatsächlich ist dies aber nicht geschehen, sondern das Transportgut entgegen genommen worden. Die Berufung macht zu Recht geltend, dass sich die Klägerin aus diesem Grunde nicht mehr auf die Verlustfiktion nach Art. 20 Abs. 1 CMR berufen kann. |
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| a) Das Wahlrecht des Art. 20 Abs. 1 CMR steht nicht allein dem Vertragspartner des Beförderungsvertrags zu, sondern dem „Verfügungsberechtigten“ (im englischen Text:the person entitled to make a claim), was gleichbedeutend mit dem Ersatzberechtigten ist (Demuth in Thume, aaO Art. 20 Rn. 7; MünchKomm-HGB/Jesser-Huß, aaO Art. 20 CMR Rn. 5). Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 CMR kann der Empfänger die Rechte wegen eines festgestellten Verlusts in eigenem Namen gegen den Frachtführer geltend machen kann, wobei die Feststellung des Verlusts auf der Grundlage des Fristablaufs gemäß Art. 20 CMR erfolgen kann (MünchKomm-HGB/Jesser-Huß, aaO Art. 13 CMR Rn. 9). Damit ist neben dem Absender auch der Empfänger Verfügungsberechtigter im Sinne des Art. 20 CMR (MünchKomm-HGB/Jesser-Huß, aaO Art. 20 CMR Rn. 5), so dass die Empfängerin in E... befugt war, das Wahlrecht des Art. 20 CMR auszuüben. |
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| Dass die S... F... ausdrücklich erklärt hätte, sich nicht auf die Vermutung des Verlusts nach Art. 20 Abs. 1 CMR berufen zu wollen, ist zwar weder von der Beklagten noch von der Streithelferin behauptet worden. Da die Ablieferung den Willen des Empfängers voraussetzt, das Gut in seine Verfügungsgewalt zu übernehmen, kann aber die vorbehaltlose Entgegennahme einer verspäteten Lieferung als konkludente Ausübung des Wahlrechts gedeutet werden (Demuth in Thume, aaO Art. 20 Rn. 4). |
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| Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zu Art. 20 Abs. 4 CMR dürfen keine zu strengen Anforderungen an die konkludente Ausübung des Wahlrechts durch Entgegennahme des Transportguts gestellt werden. Denn nach Art. 20 Abs. 4 CMR erlangt der Frachtführer die Verfügungsbefugnis über das Gut, wenn der Verfügungsberechtigte sich auf die Verlustvermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR beruft und der Verfügungsberechtigte entweder von vornherein nicht die Benachrichtigung verlangt hat, sofern das Gut wieder aufgefunden werden sollte (Art. 20 Abs. 2 CMR), oder aber eine solche Benachrichtigung zwar verlangt, aber nach Erhalt einer solchen Benachrichtigung keine Anweisung zur Ablieferung gegen Rückzahlung einer erhaltenen Entschädigung (Art. 20 Abs. 3 CMR) gegeben hat. Ist das Gut wiederaufgefunden worden und nimmt der Verfügungsberechtigte dieses entgegen, so wird die Verfügungsbefugnis des Frachtführers über das Gut nach Art. 20 Abs. 4 CMR gegenstandslos. Der Verfügungsberechtigte kann aber nicht zugleich Entschädigung wegen Verlusts fordern und das wiederaufgefundene Gut behalten. |
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| Wenn der Empfänger das verloren geglaubte Gut annimmt, obwohl er sich auf die Verlustvermutung berufen könnte, so wird dies nach dem Empfängerhorizont des Frachtführers daher regelmäßig als Erklärung zu verstehen sein, sich nicht auf die Verlustvermutung berufen zu wollen. Der Umstand, dass ein dahingehendes Erklärungsbewusstsein der Verantwortlichen der Firma S... F... im Streitfall nicht festgestellt werden kann, steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Denn ergänzend zur CMR kommt hier gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Rom-I-VO deutsches Recht zur Anwendung, weil beide Vertragsparteien in Deutschland ansässig sind. Nach deutschem Recht ist ein Verhalten, das sich für den Empfänger als Ausdruck eines bestimmten Rechtsfolgewillens darstellt, dem Erklärenden auch dann als Willenserklärung zuzurechnen, wenn er kein Erklärungsbewusstsein hatte, sofern der Handelnde bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen konnte, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, und der Empfänger das Verhalten auch tatsächlich so verstanden und auf den Erklärungsinhalt vertraut hat (BGH, Urteil vom 29.11.1994 - XI ZR 175/93, NJW 1995, 953). Die Nachunternehmer der Beklagten haben hier darauf vertraut, dass mit der körperlichen Entgegennahme des Transportguts dieses von der Empfängerin auch verwendet werden soll, was die Geltendmachung der Verlustfiktion ausschließt. Denn ohne dieses Verständnis hätte kein Anlass bestanden, der Empfängerin das Transportgut überhaupt zu überlassen, weil durch die Auslieferung das Recht der Frachtführerin an dem Gut gemäß Art. 20 Abs. 4 CMR gefährdet wurde. |
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| b) Der Annahme, wonach die Empfängerin mit der Entgegennahme des Guts konkludent ihr Wahlrecht ausgeübt habe, steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin bereits zuvor per Email mitgeteilt hatte, mit der Neufertigung der verlorenen Ware begonnen zu haben (Anlage K 5). Aus den Mitteilungen, welche die Klägerin vor Auffinden des Guts an die Beklagte sandte, ergibt sich nicht, dass die Klägerin ihr Wahlrecht im Sinne der Verlustvermutung ausüben wolle. |
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| Zum einen stand der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Mitteilungen, wegen des Termindrucks mit einer Nachfertigung nicht länger warten zu können (Anlagen K 3, K 5), noch gar kein Wahlrecht zu, weil die 30-Tage-Frist des Art. 20 Abs. 1 CMR noch gar nicht verstrichen war. Aus der Mitteilung der Beklagten durch E-Mail vom 19.02.2014, „die Wahrscheinlichkeit einer Auffindung der Ware ist leider nicht mehr sehr hoch“ (Anlage K 4), konnte die Klägerin nicht schließen, der Verlust sei definitiv. |
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| Zum anderen ergibt sich aus den Mitteilungen der Klägerin auch nicht, sie habe im Falle eines Wiederauffindens kein Interesse mehr am Erhalt der Ware. |
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| Dies folgt bereits daraus, dass die von der Klägerin begonnene Neuherstellung notwendig einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen musste, deren Länge der Beklagten nicht bekannt sein konnte; so lange die Neuherstellung lediglich begonnen, aber noch nicht fertiggestellt war, erschien es im Interesse der Klägerin, die ursprüngliche Sendung im Falle des Wiederauffindens zuzustellen, weil dies zur Beschleunigung des terminkritischen Yachtprojekts beigetragen hätte. Zu welchem Zeitpunkt die Verwendung der ursprünglichen Paneele im Hinblick auf den Termindruck der Klägerin keinen Vorteil mehr bot, weil die Neufertigung bereits abgeschlossen und ausgeliefert war, konnte die Beklagte nicht wissen. Auch aus der E-Mail der Klägerin vom 05.03.2014, wonach die Beklagte die Ware verloren habe und die Klägerin dadurch zu einer kostenaufwendigen Ersatzlieferung veranlasst habe, ergab sich dies für die Beklagte nicht eindeutig (Anlage K 6). |
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| Selbst wenn die Beklagte aber gewusst hätte, dass die ursprüngliche Sendung für ihre vorgesehene Verwendung in dem Yachtprojekt der Klägerin keinen Einsatz mehr finden konnte, weil die Neufertigung bereits abgeschlossen war, so folgte hieraus nicht notwendig, dass die Klägerin an einer Zustellung im Falle des Wiederauffindens kein Interesse mehr hatte. Aus den Mitteilungen der Klägerin konnte die Beklagte lediglich die Information entnehmen, dass es sich bei der Sendung um hochwertige Wandpaneelen für ein Yachtprojekt handelte (Anlage K 3, K 5). Dass diese Paneele außer für ein einziges Yachtprojekt ohne jeglichen Verwendungszweck waren, ergab sich daraus nicht. Aus Sicht der Beklagten konnte es für die Klägerin möglicherweise vorzugswürdig sein, die Paneele zu erhalten, als eine Entschädigung für den Verlust in Höhe der Grundhaftung nach Art. 23 Abs. 3 CMR zu bekommen. Ob der Klägerin im Falle einer Verlusthaftung wegen qualifizierten Verschuldens ein Anspruch auf vollen Schadensersatz zustehen würde, war im Februar/März 2014 völlig unklar und auch überhaupt nicht Gegenstand der Kommunikation der Parteien. Indem die Klägerin der Beklagten mitteilte, zur Abwendung größerer Schäden mit der Neufertigung begonnen zu haben, zugleich aber eine gründliche Recherche nach dem Verbleib der Ware verlangte (Anlage K 5), legte dies zudem die Annahme nahe, die Klägerin wolle sich eine Entscheidung über die Entgegennahme der Sendung im Falle des Wiederauffindens zumindest offen halten. |
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| Aus dem Rechtssatz, dass der Frachtführer das ausgeübte Wahlrecht des Absenders nicht dadurch unterlaufen darf, dass er die Ware gleichwohl andient (BGH, Urteil vom 25.10.2001 - I ZR 187/99, WM 2002, 932, 934), kann die Klägerin nichts für sich ableiten, weil es im Streitfall gerade an einer Ausübung des Wahlrechts vor der Auslieferung am 21.03.2014 fehlt. |
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| 3. Eine Ausübung des Wahlrechts nach der Auslieferung - etwa durch die Klageschrift, wie die Klägerin geltend macht - kommt jedenfalls unter den Umständen des Streitfalls nicht in Betracht. |
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| Zwar wird es im Ausgangspunkt für möglich gehalten, dass sich der Empfänger auch noch nach Annahme des Guts auf die Verlustfiktion beruft, hierin kann aber ein rechtsmissbräuchliches venire contra factum proprium vorliegen (MünchKomm-HGB/Jesser-Huß, aaO Art. 20 CMR Rn. 6). Ein solcher Fall des Rechtsmissbrauchs liegt hier deshalb vor, weil die Empfängerin das Transportgut in Absprache mit der Klägerin vernichtet hat. Es stellt ein unzulässiges selbstwidersprüchliches Verhalten dar, einerseits das Transportgut zu vernichten und sich andererseits auf die Verlustfiktion zu berufen, was gemäß Art. 20 Abs. 4 CMR zur Verfügungsbefugnis des Frachtführers über das - gerade vernichtete - Transportgut führte. |
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| Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die maßgeblichen Rechtsfragen geklärt sind und lediglich die Rechtsanwendung im Einzelfall in Frage steht. |
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