Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 18. März 2015 - 17 UF 44/15

bei uns veröffentlicht am18.03.2015

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 26.01.2015, Az. 24 F 2508/14, wie folgt

abgeändert:

Die Anträge des Antragstellers auf Rückführung des beteiligten Kindes L., geb. am …2012, nach Italien, hilfsweise auf Herausgabe des Kindes, werden

zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen beide Elternteile jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt die Rückführung des beteiligten Kindes nach Italien.
Das Kind L., geb. am ...2012, ist aus der nichtehelichen Beziehung seiner Eltern hervorgegangen. Die Antragsgegnerin, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und seit 2005 in Italien lebt, und der Antragsgegner, der italienischer Staatsangehöriger ist, lernten sich im Oktober 2009 kennen. Von Juli 2011 bis September 2013 lebten sie in einer Wohnung in P., in den Abruzzen (Italien), zusammen. Im September 2013 mieteten die Beteiligten eine weitere Wohnung in der Ortschaft A. an, die sie während der Woche bewohnten. Die Wohnung in P. nutzten die Beteiligten bis zu ihrer Trennung im April/ Mai 2014 weiterhin am Wochenende. Im Mai 2014 verzog die Antragsgegnerin mit dem gemeinsamen Sohn in eine kleine Ortschaft namens M., ebenfalls in den Abruzzen. Von da an hielt sich der gemeinsame Sohn drei Tage pro Woche bei dem Antragsteller und vier Tage pro Woche bei der Antragsgegnerin auf. Die letzte Augustwoche verbrachte das Kind bei dem Antragsteller. Am 01.09.2014 flog die Antragsgegnerin mit dem Kind für einen Urlaubsaufenthalt nach Sylt, von dem sie am 07.09.2014 nach Italien zurückkehrte. Am 14.09.2014 zog die Antragsgegnerin mit dem gemeinsamen Sohn zu ihren Eltern nach Deutschland um, ohne den Antragsteller hierüber zu informieren. Der Antragsteller ist mit dem Verbleib des Kindes in Deutschland nicht einverstanden.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Kind L., geb. am ...2012, derzeitige Anschrift …, innerhalb einer angemessenen Frist nach Italien zurückzuführen;
2. sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes L. an den Antragsteller zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Italien anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat - unter Zurücknahme ihres weiteren Antrags auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind auf sich - beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 22.12.2014 hat das Familiengericht dem beteiligten Kind einen Verfahrensbeistand, Frau K., bestellt und diesen, sowie die Eltern des Kindes in einem Erörterungstermin persönlich angehört.
Mit Beschluss vom 26.01.2015 hat das Familiengericht die Antragsgegnerin verpflichtet, das beteiligte Kind innerhalb von zwei Wochen nach Rechtskraft des Beschlusses nach Italien zurückzuführen. Für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wurde sie oder jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, darüber hinaus verpflichtet, das Kind an den Antragsteller oder eine von ihm zu benennende Person zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Italien herauszugeben. Für die zwangsweise Durchsetzung dieser Verpflichtung hat das Familiengericht weitere Anordnungen erlassen. Zur Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rückführung des Kindes nach Italien gemäß Art. 12 Abs. 1 Alt. 1 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) seien erfüllt. Die Antragsgegnerin habe das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht. Versagungsgründe gemäß Artikel 13 HKÜ lägen nicht vor. Die Rückführung sei schließlich mit Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vereinbar.
10 
Gegen diesen Beschluss, der ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 02.02.2015 zugestellt wurde, hat die Antragsgegnerin mit Beschwerdeschriftsatz vom 16.02.2015, der am selben Tag per Fax bei dem Amtsgericht Stuttgart einging, Beschwerde eingelegt.
11 
Zuvor, am 09.02.2015, hatte das Tribunale di Teramo, Italien, nach Anhörung der Beteiligten einen Beschluss mit folgendem Inhalt erlassen (die Wiedergabe folgt einer von der Antragsgegnerin vorgelegten Übersetzung):
12 
Das Gericht von Teramo als Kollegialgericht:
13 
I) verfügt vorläufig und vordringlich das gemeinsame Sorgerecht des minderjährigen L. für beide Elternteile und verfügt, dass dieser den gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter hat und dass der Vater umfassend berechtigt ist, den Minderjährigen zu sehen und bei sich zu behalten, sofern dies mindestens 24 Stunden zuvor mitgeteilt wurde.
14 
II) [Regelung zum Umgangsrecht des Vaters während der Osterfeiertage 2015]
15 
III) ersucht die internationale Rechtshilfe beim Gericht von Stuttgart für einen Bericht über Frau W., geboren […] am …, deren Beziehung mit dem minderjährigen Sohn L. und die Lebensbedingungen und Wohnsituation der beiden;
16 
IV) beauftragt das Jugendamt der Gemeinde P. mit der eiligen Abfassung eines Berichts über die Person I., dessen Beziehung mit dem minderjährigen L., die Lebensbedingungen und die Möglichkeit, sich um den minderjährigen Sohn in angemessener Weise zu kümmern;
17 
V) verweist auf das persönliche Erscheinen der Parteien zur Anhörung am … 2015, … Uhr.
18 
Zur Begründung führt das Tribunale di Teramo aus, vorrangiges Ziel des dortigen Verfahrens sei der Interessenschutz des minderjährigen L.. Das Verhalten der Mutter, die ohne die Zustimmung des Vaters des Minderjährigen nach Deutschland zu ihrer eigenen Familie gezogen ist und den Sohn mitgenommen hat, sei höchst tadelnswert. Im Interesse des Minderjährigen sei jedoch hervorzuheben, dass dieser ab Mai 2014 hauptsächlich von der Mutter betreut worden sei, immer mit der Mutter gelebt habe und anerkanntermaßen als Minderjähriger von gerade zwei Jahren hauptsächlich der mütterlichen Fürsorge bedürfe. Es gebe andererseits keinen Beweis dafür, dass der Vater gegenwärtig in der Lage sei, sich angemessen und fortdauernd um den Minderjährigen zu kümmern. Das gemeinsame Sorgerecht für den Minderjährigen müsse daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorläufig und vordringlich für beide Elternteile angeordnet werden und es müsse verfügt werden, dass der Minderjährige den gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter in Deutschland habe, wobei dem Vater umfassende Befugnis erteilt werde, den Minderjährigen zu sehen und bei sich zu behalten, sofern dies mindestens 24 Stunden zuvor mitgeteilt werde. Für eine Entscheidung über die Unterbringung des Minderjährigen sei es dringend notwendig, durch das Jugendamt einen Bericht sowohl über die Person der Mutter und deren Beziehung mit dem Minderjährigen anzuordnen, als auch einen Bericht über die Person des Vaters und dessen Lebensbedingungen sowie über die Möglichkeit des letzteren, sich angemessen um den minderjährigen Sohn kümmern zu können.
19 
Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, mit seiner Entscheidung vom 09.02.2015 habe ihr das Gericht in Teramo das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind zugesprochen. Es sei fraglich, ob für eine Rückführungsanordnung noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Das Verfahren sei zumindest bis zu einer endgültigen Entscheidung des Tribunale di Teramo auszusetzen. Der Antragsgegnerin könne es im Übrigen nicht zugemutet werden, den Sohn in Italien zu betreuen.
20 
Die Antragsgegnerin beantragt,
21 
den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 26.01.2015 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzuweisen, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis eine endgültige Entscheidung durch das Tribunale di Teramo zum Aktenzeichen 1219/2014 r.g.v.g. über das Aufenthaltsbestimmungsrecht erfolgt ist.
22 
Der Antragsteller beantragt,
23 
die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
24 
Der Antragsteller ist der Ansicht, das Gericht in Teramo habe der Mutter nicht das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen. Es habe nur bestimmt, dass das Kind vorläufig seine Hauptwohnung bei der Mutter haben solle. Darüber hinaus habe es die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge für beide Elternteile angeordnet. Dies sei nur möglich, wenn sich das Kind in räumlicher Nähe zum Vater befinde. Einer Aussetzung des Verfahrens tritt der Antragsteller entgegen.
II.
25 
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 26.01.2015 ist zulässig und begründet.
26 
Die Beschwerde ist gemäß § 40 Abs. 2 IntFamRVG, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt und begründet worden (§ 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG).
27 
In der Sache hat die Beschwerde Erfolg. Nach dem Erlass der Verfügung des Tribunale di Teramo vom 09.02.2015 (Az. 1219/2014) würde das Kind durch eine Rückgabeanordnung in eine unzumutbare Lage gebracht (Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ).
28 
1. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts lagen die Voraussetzungen für eine Rückgabeanordnung gemäß Art. 12 Abs. 1, Art. 3 HKÜ, Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27.11.2003 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO) vor. Indem sie mit dem gemeinsamen Sohn, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hatte, nach Deutschland umgezogen ist, hat die Antragsgegnerin das Mitsorgerecht des Antragstellers verletzt.
29 
a) Wie das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat, hatte L. vor seinem Umzug nach Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt, d.h. seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt und den Schwerpunkt seiner sozialen Beziehungen in Italien (zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts vgl. Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 2013, Teil N Rn. 105). Das folgt aus dem Umstand, dass er seit seiner Geburt mit seinen Eltern dort gelebt hat.
30 
b) Im Zeitpunkt des Verbringens von L. nach Deutschland durch die Antragsgegnerin stand den beteiligten Eltern die gemeinsame elterliche Sorge für ihren Sohn zu. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese durch die große Kindschaftsreform aufgrund des Gesetzes Nr. 219 vom 10.12.2012 und das Decreto legislativo Nr. 154 vom 28.12.2013 entstanden ist oder bereits zuvor bestand.
31 
Die zum 01.01.2013 bzw. zum 07.02.2014 in Kraft getretene große Kindschaftsreform hat die Ungleichheit zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern in Italien beseitigt (s. hierzu Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Italien, bearbeitet von Henrich, Stand: 10.11.2014, S. 42). Nach Art. 315 ff. Codice civile (Cciv) steht nunmehr beiden Elternteilen die elterliche Verantwortung zu, ohne dass zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterschieden wird, auch wenn die Eltern niemals zusammengelebt haben (Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 44). Ob dies auch für vor Inkrafttreten der Reform geborene Kinder wie L. gilt, kann im Ergebnis dahinstehen.
32 
Bereits nach früherer Rechtslage stand die Ausübung der elterliche Sorge nichtehelicher Kinder beiden Elternteilen zu, wenn sie das Kind anerkannt hatten und zusammenlebten (Art. 317bis Abs. 2 S. 1 Cciv). Im Falle einer späterer Trennung der Eltern galt nach wohl herrschender Meinung dasselbe wie im Fall einer gerichtlichen Trennung von Eheleuten, d.h. die gemeinsame elterlichen Sorge bestand grundsätzlich fort (Bergmann/Ferid, a.a.O., Stand: 01.12.2010, S. 45). Da die beteiligten Eltern bei L. Geburt zusammenlebten, haben sie die gemeinsame elterliche Sorge erworben und durch ihre spätere Trennung nicht wieder verloren.
33 
c) Der Antragsteller hat das Sorgerecht für seinen Sohn auch tatsächlich ausgeübt (Art. 3 Abs. 1 lit. b HKÜ), da er ihn vor der Verbringung nach Deutschland zuletzt an drei Tagen pro Woche und darüber hinaus in der letzten Augustwoche 2014 betreut hat.
34 
d) Mit dem Verbringen von L. nach Deutschland hat die Antragsgegnerin das Sorgerecht des Antragstellers verletzt (Art. 3 Abs. 1 lit. a HKÜ). Die Verletzung des Mitsorgerechts genügt hierfür (OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.04.2012, 17 UF 35/12, FamRZ 2013, 51 Tz. 21; Hausmann, a.a.O., Rn. 78 m.w.N.).
35 
Die Widerrechtlichkeit des Verbringens ist durch die Verfügung des Tribunale di Teramo vom 09.02.2015 auch nicht entfallen, denn für die Widerrechtlichkeit im Sinne des Art. 3 HKÜ ist auf den Zeitpunkt des Verbringens des Kindes abzustellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2014, 2 UF 266/14, Tz. 46, zit. nach Juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.02.2009, 1 UF 162/08, ZKJ 2009, 373).
36 
e) Der Antragsteller hat seinen Rückführungsantrag schließlich innerhalb der Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ seit dem widerrechtlichen Verbringen des Kindes durch die Antragsgegnerin nach Deutschland am 14.09.2014 gestellt, nämlich am 18.12.2014 (Eingang des Antragsschriftsatzes bei dem Amtsgericht Stuttgart).
37 
2. Der Antragsteller als (mit-)sorgeberechtigte Person hat der Verbringung des Kindes nach Deutschland zu keinen Zeitpunkt zugestimmt oder diese nachträglich genehmigt (Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ). Wie das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Antragsteller durchgängig deutlich gemacht, dass er mit dem (dauerhaften) Aufenthalt von L. in Deutschland nicht einverstanden ist.
38 
3. Einer Rückgabeanordnung steht jedoch die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des Familiengerichts vom 26.01.2015 ergangene Verfügung des Tribunale di Teramo vom 09.02.2015 entgegen. Eine gleichwohl angeordnete Rückführung von L. nach Italien brächte das Kind in eine unzumutbare Lage (Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ).
39 
a) Nach der Rechtsprechung des Senats steht eine vorläufig vollstreckbare Entscheidung eines Gerichts des Herkunftsstaates des Kindes, mit der dieses den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes am Wohnsitz des entführenden Elternteils festgelegt hat, einer Rückgabeanordnung entgegen, da sie das Kind gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ in eine unzumutbare Lage bringen würde (OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.02.2003, 17 UF 277/02, FamRZ 2003, 959 Tz. 19). Aufgrund einer solchen Entscheidung hätte der entführende Elternteil jederzeit die Möglichkeit, das Kind nach einer Rückführung in den Herkunftsstaat wieder zu sich nach Deutschland zu nehmen. Ein solches Hin- und Her-Verbringen des Kindes ist auch durch den präventiven Zweck des HKÜ nicht zu rechtfertigen; das Kind würde ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse als bloßes Streitobjekt behandelt (OLG Stuttgart, a.a.O.; zustimmend OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz. 57; Palandt-Thorn, BGB, 70. Aufl. 2011, Anh zu EGBGB 24 (IPR), Art. 17 HKÜ Rn. 43; Hausmann, a.a.O., Rn. 221).
40 
Art. 17 HKÜ, nach dessen Wortlaut auch Entscheidungen über das Sorgerecht im Herkunftsstaat, die im Zufluchtsstaat anerkennbar sind, die Ablehnung der Rückgabe des Kindes nicht rechtfertigen können, steht der Berücksichtigung der Gründe solcher Entscheidungen nicht entgegen. Lediglich Entscheidungen, die nicht wirksam sind, die auf der Grundlage von Zuständigkeitsmissbrauch ergangen sind oder bei deren Erlass nicht die Verteidigungsrechte aller Beteiligten beachtet wurden, sind von den Behörden des ersuchten Staates in Frage zu stellen (OLG Stuttgart, a.a.O., Tz. 17).
41 
b) Eine Entscheidung eines Gerichts des italienischen Herkunftsstaates des Kindes, mit der dieses seinen gewöhnlichen Aufenthalt vorläufig bei seiner Mutter im Zufluchtsstaat angeordnet hat, liegt mit der Verfügung des Tribunale di Teramo vom 09.02.2015 vor. Ob man den dort verwandten Begriff „abitazione principale“ im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts oder der Hauptwohnung - so der Antragsteller - versteht, ist unerheblich. Mit seiner Entscheidung hat das Tribunale di Teramo jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass es eine Rückführung des Kindes nach Italien derzeit nicht für geboten erachtet.
42 
c) Der Annahme, dass das Kind im Falle einer Rückführung in den Herkunftsstaat in eine unzumutbare Lage im Sinne des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ geraten würde, steht nicht entgegen, dass die Vollstreckbarkeit der Entscheidung des Gerichts des Herkunftsstaates nicht positiv festgestellt werden kann.
43 
Dafür spricht zunächst der Sinn und Zweck des HKÜ, der darin besteht, entführte Kinder umgehend in ihren Herkunftsstaat zurückzuführen (Art. 1 lit. a HKÜ), um den dortigen Gerichten eine Entscheidung über das Sorgerecht zu ermöglichen. Ordnet ein Gericht oder eine zuständige Behörde in dem Herkunftsstaat zumindest vorläufig den Hauptaufenthalt des Kindes bei dem entführenden Elternteil im Zufluchtsstaat an, bedarf es einer Rückführung zum Zwecke der Sorgerechtsregelung nicht (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz. 57). Durch sie würde sich das Gericht im ersuchten Staat vielmehr in Widerspruch zu dem Gericht im Herkunftsstaat setzen.
44 
Aus Art. 17 HKÜ ergibt sich darüber hinaus, dass nicht die ausländische Entscheidung als solche, sondern ihre Gründe von den Gerichten des ersuchten Staates berücksichtigt werden können (OLG Stuttgart, a.a.O., Tz. 14). Jedenfalls solange keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Entscheidung oder einen Zuständigkeitsmissbrauch vorliegen, können die Erwägungen des Gerichts herangezogen werden.
45 
Schließlich ist davon auszugehen, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Billigung des ausländischen Gerichts aufhält, kurzfristig eine vollstreckbare Entscheidung dieses Gerichts über die Herausgabe des Kindes erwirken könnte, sofern der bereits vorliegenden Entscheidung - hier der Verfügung vom 09.02.2015 - diese Eigenschaft fehlen sollte. Ein Hin- und Her-Verbringen, bei dem es als bloßes Streitobjekt seiner Eltern behandelt würde, drohte dem Kind in einem solchen Fall daher in gleicher Weise.
46 
d) Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Verfügung des Tribunale di Teramo vom 09.02.2015, die ihrer Berücksichtigung nach Art. 17 HKÜ entgegen stünden, sind im Übrigen nicht ersichtlich. Solche hat auch der Antragsteller nicht vorgebracht.
47 
Die italienischen Gerichte sind für Entscheidungen über die elterlichen Verantwortung für das beteiligte Kind international zuständig, wie sich aus Art. 10 Brüssel IIa-VO ergibt. Danach bleiben die italienischen Gerichte jedenfalls solange zuständig, bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat und entweder jede sorgeberechtigte Person dem Verbringen zugestimmt hat oder das Kind sich in dem anderen Mitgliedstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat. Diese Voraussetzungen sind bislang nicht erfüllt.
48 
Indem es die Beteiligten angehört hat, hat das Tribunale di Teramo ihre Verteidigungsrechte beachtet. Die Anhörung des Kindes kam aufgrund seines Alters von zwei Jahren nicht in Betracht. Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht seiner Verfügung vom 09.02.2015 einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat, sind ebenfalls nicht erkennbar. Dem Gericht war insbesondere bewusst, dass die Antragsgegnerin das Kind ohne die Zustimmung des Vaters nach Deutschland verbracht hat.
49 
e) Art. 11 Abs. 4 Brüssel IIa-VO steht der Ablehnung einer Rückgabeanordnung nicht entgegen. Das unzumutbare Hin- und Her-Verbringen des Kindes lässt sich durch Vorkehrungen im früheren Aufenthaltsstaat des Kindes (vgl. hierzu Hausmann, a.a.O., Teil B Rn. 121) nicht verhindern.
50 
4. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens (Art. 12 Abs. 3 HKÜ) liegen nicht vor.
III.
51 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 14 Nr. 2, 11, 43 IntFamRVG, § 26 Abs. 2, 3 HKÜ, § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Die hälftige Kostentragung der beteiligten Eltern erscheint gerechtfertigt, da die Antragsgegnerin erst aufgrund einer veränderten Sachlage in zweiter Instanz obsiegt hat.
52 
Die Festsetzung des Verfahrenswerts hat ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 FamGKG. Die Rechtsbeschwerde ist durch § 40 Abs. 2 S. 4 IntFamRVG ausgeschlossen.

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 81 Grundsatz der Kostenpflicht


(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 58 Statthaftigkeit der Beschwerde


(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. (2) Der Beurteilung des Beschwerd

Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen - FamGKG | § 45 Bestimmte Kindschaftssachen


(1) In einer Kindschaftssache, die 1. die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge,2. das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft,3. das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse

Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz - IntFamRVG | § 40 Wirksamkeit der Entscheidung; Rechtsmittel


(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam. (2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Un

Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz - IntFamRVG | § 14 Familiengerichtliches Verfahren


Soweit nicht anders bestimmt, entscheidet das Familiengericht 1. über eine in den §§ 10 und 12 bezeichnete Ehesache nach den hierfür geltenden Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen

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Tenor 1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 23.10.2014 (Az. 1 F 294/14) abgeändert und der Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes E. Z., geboren am ... 2007, nach Ungarn zurückge

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Tenor 1. Die Beschwerde des Antragstellers / Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 25. Januar 2012 - 24 F 2504/11 - wird z u r ü c k g e w i e s e n. 2. Der Antragsteller / Beschwerdefü

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 27. Feb. 2003 - 17 UF 277/02

bei uns veröffentlicht am 27.02.2003

Tenor Die sofortige Beschwerde des Antragstellers/Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart - Familiengericht vom 8.11.2002 wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Geschäftswert: 5.000 Euro Gründe   I. 1 Das Am

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(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.

(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.

(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers / Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 25. Januar 2012 - 24 F 2504/11 - wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Der Antragsteller / Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Rückführung der gemeinsamen Tochter J. G. L., geboren am 20. Dezember 2007.
Der Antragsteller ist belgischer Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin deutsche Staatsangehörige. Die in G. in Belgien geborene J. besitzt sowohl die belgische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die beteiligten Elternteile haben sich als Studenten im Juni 2006 in Spanien kennengelernt. Nach Rückkehr in ihre jeweiligen Heimatländer führten die Beteiligten eine Fernbeziehung, wobei die Antragsgegnerin im Jahr 2007 schwanger wurde. Am 11. Juli 2007 ist die Antragsgegnerin im 4. Schwangerschaftsmonat zum Antragsteller nach G. gezogen. Die Beteiligten lebten in der Folgezeit in G. bis zum 31. Januar 2010 zusammen, wobei sie ihre Beziehung im Laufe des Jahres 2009 bereits beendet hatten. Die Antragsgegnerin ist mit J. am 01. Februar 2010 unter im Einzelnen zwischen den Beteiligten streitigen Umständen nach Deutschland zurückgekehrt. In der Folgezeit hielt sich J. bis zum 31. August 2010 abwechselnd beim Vater in G. und bei der Mutter in K. in Deutschland auf.
Bereits am 05. Juni 2010 hatte der Antragsteller beim zuständigen Jugendgericht in G. einen Sorgerechtsantrag eingereicht, wobei die Antragsgegnerin nach deren Vorbringen erstmals am 02. Dezember 2010 hiervon Kenntnis erlangt hatte. Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 wurde das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen. Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, wobei eine abschließende Entscheidung nicht vor Ende Juni 2012 ergehen wird.
Am 04. August 2010 teilte die Antragsgegnerin dem antragstellenden Vater mit, dass J. ab September 2010 in K. in den Kindergarten gehen werde. Mit E-Mail vom gleichen Tage erwiderte der Antragsteller, dass ein Einvernehmen hinsichtlich des Kindergartenbesuches in Deutschland niemals erzielt worden sei. Mit der gegenwärtigen Situation sei er jedenfalls nicht einverstanden. Mit einem weiteren E-Mail, datierend vom 09. September 2010 teilte der Antragsteller mit, dass beide Eltern sorgeberechtigt seien. Die Mutter habe seinen Respekt verloren, weil sie die gemeinsame Tochter „gekidnapped“ habe. Der Vater schlug eine für alle Beteiligten akzeptable zukünftige Vereinbarung vor; eine solche kam allerdings nicht zustande.
In der Folgezeit befand sich J. im Zeitraum vom 29. Oktober bis 14. November 2010 beim Vater in Belgien. Den geplanten Weihnachtsumgang sagte die Mutter am 22. Dezember 2010 ab, da zuvor die rechtliche Situation durch das belgische Gericht geklärt sein müsse. Im Februar 2011 befand sich J. für zwei Wochen beim Vater, ebenso vom 15. April bis 06. Mai 2011 sowie vom 17. Juli bis 15. August 2011. Am 01. September 2011 reichte der Antragsteller bei der zuständigen zentralen Behörde in Belgien einen Rückführungsantrag ein, von dem die Antragsgegnerin Anfang November 2011 Kenntnis erlangt hatte.
Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011, eingegangen beim Familiengericht Stuttgart am gleichen Tage, stellte der Antragsteller einen Herausgabeantrag zum Zwecke der Rückführung von J. nach Belgien.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht nach Anhörung der Beteiligten den Rückführungsantrag zurückgewiesen. Ab September 2010 habe ein widerrechtliches Zurückhalten vorgelegen. Durch den Aufenthalt von J. in den Herbstferien und den folgenden Ferienaufenthalten beim Vater sei das Zurückhalten allerdings beendet worden sei. Deshalb fehle es an der Kausalität zwischen dem widerrechtlichen Zurückhalten im September 2010 und dem jetzigen Aufenthalt von J. in Deutschland. In der einvernehmlichen Durchführung des Umgangs liege überdies eine konkludente Genehmigung des Vaters.
Gegen diesen dem Antragsteller am 30. Januar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13. Februar 2012 beim Amtsgericht eingereichte Beschwerde des Antragstellers. Zur Begründung beruft sich der Antragsteller im Wesentlichen auf die weiterbestehende Kausalität zwischen dem widerrechtlichen Zurückhalten und dem jetzigen Aufenthalt von J. in Deutschland sowie auf die fehlende (konkludente) Genehmigung. Die Jahresfrist sei nicht versäumt worden, jedenfalls aber habe sich J. nicht in K. eingelebt.
10 
Die Antragsgegnerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
11 
Mit Beschluss vom 05. März 2012 hat der Senat für J. einen Verfahrensbeistand bestellt.
12 
Der Senat hat J. und deren Eltern in der Sitzung vom 17. April 2012 ausführlich angehört. Der Verfahrensbeistand hat in der Sitzung vom 17. April 2012 seine schriftliche Stellungnahme nochmals mündlich erläutert.
II.
13 
Die gemäß § 40 Absatz 2 Satz 1 IntFamRVG i.V.m. § 58 FamFG statthafte und gemäß § 40 Absatz 2 Satz 2 IntFamRVG i.V.m. § 63 Absatz 1 FamFG fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.
14 
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Familiengericht Stuttgart hat auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKiEntfÜ) zu Recht nicht die Herausgabe des Kindes zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Belgien angeordnet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Voraussetzungen für eine Rückführung gemäß Art. 12 HKiEntfÜ nicht erfüllt.
1.
15 
Nach Art. 12 Abs. 1 HKiEntfÜ i.V.m. den in Art. 11 der EG-Ratsverordnung vom 27.11.2003, Nr. 2201/2003 (EuEheVO) enthaltenen Ausführungsbestimmungen wird die Rückführung angeordnet, wenn ein Kind unter 16 Jahren widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrages beim zuständigen Gericht noch kein Jahr vergangen ist. Bei Versäumung der Jahresfrist erfolgt gleichwohl eine Rückführung des Kindes, sofern sich dieses noch nicht in die neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKiEntfÜ).
16 
Der am 19. Dezember 2011 eingegangene Rückführungsantrag hat die Jahresfrist nicht gewahrt und J. ist inzwischen in Deutschland sozial integriert.
a.
17 
J. unterfällt dem Anwendungsbereich des Haager Kindesentführungsabkommens, da sie vor einer widerrechtlichen Verletzung des Sorgerechtes, also der ersten nach außen erkennbar werdenden Verletzung des Sorgerechtes (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1235; Staudinger / Pirrung, BGB, Neubearbeitung 2009, Vorbemerkung D zu Art. 19 EGBGB, Rn. D 34), ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 4 Satz 1 HKiEntfÜ in Belgien hatte.
aa.
18 
Das internationale Kindschaftsrecht definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Da sämtliche internationale Abkommen auf diesem Gebiet letztendlich dem Schutz des Kindeswohles dienen, ist von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen (Winkler von Mohrenfels, FPR 2001, 189, 190 m.w.N.). Nach der umfangreichen Definition des EuGH (Urteil vom 02. April 2009 - Rs. C-523/07, FamRZ 2009, 843, 845 sowie Urteil vom 22. Oktober 2010 - Rs. C-497/10, FamRZ 2011, 617, 619) ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Der gewöhnliche Aufenthalt stellt auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung einer Person ab. Auf den Willen, sich an einem Ort auf Dauer niederzulassen, kommt es nicht an. Aus Sicht des Kindes stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als „gewöhnlich“ dar, je länger es sich an diesem Ort aufhält (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, 884). Hat der Aufenthalt jedenfalls sechs Monate gedauert, wird vielfach von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen (Senatsbeschluss vom 12. April 2012 - 17 UF 22/12; OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577).
bb.
19 
Ausgehend von diesen Grundsätzen hatte J. im Zeitpunkt des widerrechtlichen Zurückhaltens (dazu sogleich unter b.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch in Belgien. Bis zum 01. Februar 2010 hatte J. jedenfalls unstreitig ihren Lebensmittelpunkt in Belgien, da sie dort mit ihren beiden Eltern lebte. Wie das Familiengericht Stuttgart zutreffend ausgeführt hatte, änderte sich auch nichts am gewöhnlichen Aufenthalt von J. bis Ende August 2010, da sich J. sowohl bei der Antragsgegnerin als auch beim Antragsteller aufgehalten hat. Ein Daseinsschwerpunkt in Deutschland lässt sich bis Ende Juli / Ende August 2010 nicht feststellen.
b.
20 
J. wurde zudem durch die Antragsgegnerin widerrechtlich zurückgehalten.
aa.
21 
Eine Verletzung des Sorgerechtes nach Art. 3 Satz 1 HkiEntfÜ liegt in jedem Zurückhalten durch den Entführer zu seinen Gunsten, das die Ausübung des Sorgerechtes oder auch nur des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechtes durch den Mitsorgeberechtigten beeinträchtigt, das heißt es ihm tatsächlich unmöglich macht, alle oder einzelne Befugnisse oder Verpflichtungen des Sorgerechtsinhabers wahrzunehmen (OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1235; Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 33). Maßgebend ist auf das Recht desjenigen Staates abzustellen, in dem sich das Kind vor der Sorgerechtsverletzung (zuletzt) gewöhnlich aufgehalten hat. Damit ist auf die Artt. 373 und 374 des belgischen bürgerlichen Gesetzbuches abzustellen, wonach auch bei nicht verheirateten Eltern automatisch die gemeinsame Sorge besteht. Auf deutsche Verhältnisse, mithin § 1626a Abs. 1 BGB, kommt es deshalb nicht an.
22 
Das Zurückhalten ist ein einmaliges Handeln, kein Dauerzustand (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 847 [ansonsten würde sich der rechtswidrige Zustand täglich erneuern] sowie Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 23). Ein Zurückhalten ist gegeben, wenn sich die Elternteile bei bestehender gemeinsamer Sorge nicht über einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes einigen konnten und der andere Elternteil nunmehr ohne Einverständnis des anderen das Kind in der Absicht bei sich behält, mit dem Kind am jetzigen Ort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.
bb.
23 
Aufgrund der E-Mail der Antragsgegnerin vom 04. August 2010, in der sie den Antragsgegner von dem zukünftigen ständigen Verbleib von J. in K. und der endgültigen Kindergartenanmeldung unterrichtete, jedenfalls aber mit dem tatsächlichen Besuchs des Kindergartens in K. ab dem 01. September 2010 liegt ein widerrechtliches Zurückhalten vor. Der Vater hat in seinen E-Mails vom 04. August und 09. September 2010 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer derartigen Vorgehensweise nicht einverstanden war.
24 
Die Kausalität ist nicht dadurch entfallen, dass sich J. in der Folgezeit beim Antragsteller aufgehalten hat. Unabhängig davon, dass dieser Aufenthalt lediglich in Wahrnehmung des dem Antragsteller zustehenden Umgangsrechtes erfolgte, erfordert das widerrechtliche Zurückhalten nach den Vorgaben des Haager Kindesentführungsabkommens keine fortbestehende Kausalität. Ansonsten wäre die Norm des Art. 13 Abs. 1 lit. a HKiEntfÜ, wonach ein rechtswidrig geschaffener Zustand nachträglich durch den Antragsteller genehmigt werden kann, letztlich überflüssig.
c.
25 
Allerdings ist der Antrag auf Rückführung des Kindes binnen eines Jahres seit dem widerrechtlichen Zurückhalten zu stellen, wobei der Eingang beim Gericht, nicht der Eingang des Antrages bei der zentralen Behörde entscheidend ist. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 HKiEntfÜ. Die zentrale Behörde kann die sofortige Rückgabe gerade nicht anordnen (vgl. eingehend OLG Bamberg FamRZ 1995, 305). Auch im Hinblick auf den Charakter eines beschleunigten Verfahrens und der erforderlichen zeitnahen Entscheidung des Gerichts bzw. einer mit einer solchen Entscheidungskompetenz ausgestatteten Behörde besteht mit einer am Sinn und Zweck des Verfahrens ausgerichteten Auslegung dieser Vorschrift das Bedürfnis, maßgebend auf den Eingang beim zuständigen Entscheidungsträger abzustellen.
26 
Der am 19. Dezember 2011 eingegangene Eintrag konnte die Jahresfrist somit nicht wahren. Entscheidend ist auf das erstmalige widerrechtliche Zurückhalten der Antragsgegnerin Anfang August / September 2010 abzustellen. Ansonsten begänne die Jahresfrist niemals zu laufen. Der Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, wonach die Antragsgegnerin den Weihnachtsumgang nicht mehr zugelassen habe, ist kein erstmaliges, sondern ein fortgesetztes Zurückhalten, auf das es ebenso wenig wie auf den Umstand der Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens in Belgien im Juni 2010 sowie die dort am 13. Juli 2011 durch das Jugendgerichts Gent getroffene Entscheidung ankommt.
d.
27 
Eine Rückführung auf Grund des Art. 12 Abs. 2 HKiEntfÜ hatte gleichfalls zu unterbleiben.
aa.
28 
Ist der Rückgabeantrag nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen, so ist die Rückgabe des Kindes ebenfalls anzuordnen, sofern nicht erwiesen ist, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat.
29 
Ein Einleben ist anzunehmen, wenn das Kind sich in seinem unmittelbar familiären und sozialen Umfeld in stabilen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen befindet (Staudinger / Pirrung, BGB, a.a.O., Rn. D 66; OLG Karlsruhe FPR 2001, 236). Das Kind muss mit dem neuen Wohnort und den Bezugspersonen verbunden und verwachsen sein und in seinem neuen Freundes- und Verwandtschaftskreis verwurzelt sein (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 1994, 183) und ein Bruch mit der bestehenden Umgebung vollkommen unzumutbar sein (Siehr in Münch.Komm. zum BGB, 5. Aufl., Art. 12 HKiEntfÜ; Rn. 67). Im Rahmen der Gesamtabwägung kommt es dabei auf den Zeitpunkt der Entscheidung und nicht des Antragseinganges an, weil es letztlich um die veränderte Lage des Kindes, nicht um den Schutz des Antragstellers vor Verfahrensverzögerungen geht (Staudinger / Pirrung, BGB, a.a.O., Rn. D 66). Allerdings trägt die Mutter die objektive Beweislast (vgl. Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 66 sowie Perez-Vera, Erläuternder Bericht zum HKiEntfÜ, BT-Drucks. 11/5314, Nr. 109, S. 55).
bb.
30 
Nach der Überzeugung des Senats hat sich J. nunmehr in ihrer neuen Umgebung in K. vollständig eingelebt. Sowohl aus den durch die seitens des Senats erfolgte Anhörung von J. als auch aus dem ausführlichen Bericht des Verfahrensbeistandes gewonnenen Erkenntnissen lässt sich eine weitgehende Integration J.s in ihr bestehendes soziales und familiäres Umfeld feststellen.
31 
J. hat sich altersentsprechend entwickelt. Sie verfügt über ausreichende verwandtschaftliche Kontakte zu ihren Großeltern und zu ihrer knapp ein Jahr älteren Cousine S., mit der sie gemeinsam den Kindergarten in K. besucht. Ebenso bestehen freundschaftliche Kontakte zu Kindern in ihrem Alter. Unter Beibehaltung der bisherigen Umgangskontakte zum Vater wünscht sich J., ihren Lebensmittelpunkt bei ihrer Mutter zu haben. Auch wenn die Äußerungen kleinerer Kinder nicht frei von Einflussnahmen der jeweiligen Bezugspersonen sind, so hat J. doch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ihren Daseinsschwerpunkt nunmehr in K. hat. Die Stellungnahme des Verfahrensbeistandes deckt sich mit der Einschätzung des Senats, wonach sich J. nach knapp 20 Monaten an ihrem jetzigen Wohnort eingelebt hat und in ihrem Verwandten- und Freundeskreis fest verwurzelt ist. Ein Herausreißen aus ihrer neuen Umgebung wäre deshalb kontraproduktiv.
32 
Auf Grund der sozialen Integration in Deutschland kommt eine Rückführung daher nicht in Betracht.
2.
33 
Ob der Antragsteller ein widerrechtliches Zurückhalten nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKiEntfÜ nachträglich genehmigt hat, ggf. auch konkludent (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 22. Juni 2011 - 17 UF 150/11; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235), kann daher dahingestellt bleiben.
III.
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes stützt sich auf § 45 Absatz 3 FamGKG.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 23.10.2014 (Az. 1 F 294/14) abgeändert und der Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes E. Z., geboren am ... 2007, nach Ungarn zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen beide Elternteile je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert wird für beide Instanzen festgesetzt auf 5.000,00 EUR.

Gründe

 
I.
Die Eltern streiten über die Rückführung des Kindes E. nach Ungarn.
Aus der nichtehelichen Beziehung der 36jährigen Mutter mit dem in Ungarn lebenden 55jährigen Vater ist der am ...2007 in B. geborene Sohn E. hervorgegangen. Die Eltern sind nach ungarischem Recht gemeinsam Inhaber der elterlichen Sorge für E.. Der Umstand, ob die Eltern dauerhaft in Ungarn zusammenlebten, ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Vater hatte jedenfalls ein- bis zweimal wöchentlich zu unterschiedlichen Zeiten Kontakt zu E..
Die in Deutschland aufgewachsene Mutter hat in Ungarn eine Heilpraktikerausbildung abgeschlossen, zu deren Anerkennung in Deutschland sie noch eine Prüfung absolvieren muss. Derzeit bezieht sie Arbeitslosengeld II. Sie ist Mutter von zwei weiteren aus ihrer geschiedenen Ehe stammenden Kindern; die am ...2002 geborenen Tochter E. und der am ...2001 geborene Sohn B. leben beide mit ihr in Deutschland. Die Mutter hat mittlerweile einen neuen Lebensgefährten.
Der Vater ist armenischer Abstammung und jetzt ungarischer Staatsangehöriger; er praktiziert als Arzt in B.. Er ist Eigentümer mehrerer Wohnungen dort und kümmert sich um seine ebenfalls in B. lebende Mutter.
Am 17.09.2013 begab sich die Mutter von Ungarn aus mit E. nach Deutschland, um fortan hier zu leben. Sie wohnte mit den Kindern zunächst bei ihrem Vater in G.-M. und lebt seit Februar 2014 in G.-O..
E. verbrachte die Oster- und die Pfingstferien 2014 in Ungarn bei seinem Vater. Eine von der Mutter vorbereitete schriftliche Zustimmung zum weiteren Verbleib des Kindes in Deutschland, die ihm in den Pfingstferien übermittelt wurde, unterzeichnete der Vater nicht. Mit einem Besuch von E. beim Vater in den Sommerferien 2014 war die Mutter nicht einverstanden.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht am 17.10.2014 fand ein kurzer Umgangskontakt zwischen E. und seinem Vater in Begleitung der Mutter und der Vertreterin des Jugendamts statt. Zudem hielt sich E. in den Herbstferien vom 22. bis zum 28.10.2014 bei seinem Vater in B. auf. Dabei traten Schwierigkeiten bei der Rückgabe des Kindes an die Mutter auf; der Vater übergab E. zum vereinbarten Zeitpunkt am Montag, den 27.10.2014, nicht, sondern berief sich auf die im vorliegenden Verfahren am 23.10.2014 vom Amtsgericht erlassene Rückführungsanordnung. Am Dienstag, den 28.10.2014, nahm die Mutter E. in Abwesenheit des Vaters aus dessen Wohnung in B. mit zurück in die Bundesrepublik.
E., der ungarisch und mittlerweile auch deutsch spricht, war im Sommer 2013 in eine B. Grundschule und nach der Übersiedlung nach Deutschland in die M.-Grundschule in G. eingeschult worden, wo er derzeit die zweite Klasse besucht. Seit der Rückkehr von seinem Aufenthalt beim Vater im Oktober 2014 nässt er nachts ein; die Mutter stellte ihn deshalb bislang zweimal bei einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vor. In der Schule leidet er nach Schilderung der Klassenlehrerin unter Konzentrationsschwierigkeiten, weint täglich und äußert Angst davor, dass sein Vater ihn hole.
In Ungarn ist ein auf Antrag beider Elternteile bei Gericht eingeleitetes Sorgerechtsverfahren anhängig. Auf Antrag der Mutter und nach Anhörung beider Elternteile am 21.11.2014 hat das Bezirksvormundschaftsamt des Bezirksamtes B. mit Beschluss vom 27.11.2014 (Geschäftszeichen: PE-02C/GYAM/1518-25/2014) für E. als ausländischen Aufenthaltsort den Wohnsitz der Mutter in G. bestimmt. Gegen diesen Beschluss hat der Vater mit Schriftsatz vom 03.12.2014 Berufung eingelegt, über die das Sozial- und Vormundschaftsamt entscheiden wird.
10 
Mit am 12.09.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Vater die Rückführung E. nach Ungarn beantragt.
11 
Der Vater hat unter anderem behauptet, die Mutter habe das Kind ohne sein Wissen nach Deutschland gebracht und ihm lediglich mitgeteilt, sie werde ihre Eltern besuchen und bald zurückkehren. Später habe sie ihn aufgefordert, ebenfalls nach Deutschland zu kommen. Schließlich habe sie ihm gesagt, sie beabsichtige, nicht mehr nach U. zurückzukehren. Er, der Vater, habe sich in U. um das wirtschaftliche Wohl der Mutter und aller Kinder gekümmert. Er habe versucht, so viel Zeit wie möglich mit E. zu verbringen, habe dies aber berufsbedingt nur am Wochenende tun können. Seine Äußerung gegenüber der Mutter, sie könne gehen, wohin sie wolle, habe sich nicht auf das Kind bezogen; dieses habe für den Fall des Umzuges der Mutter nach Deutschland bei ihm bleiben sollen. Er werde sicherstellen, dass E. im Falle seiner Rückkehr nach U. wieder seinem geregelten Ablauf nachgehen könne; in Deutschland habe er mit Problemen zu kämpfen. Mit dem Antrag auf Rückführung habe er gewartet, weil er gehofft habe, sich mit der Mutter gütlich einigen zu können.
12 
Der Vater hat beantragt,
13 
die Mutter zu verpflichten, das Kind E. Z., geboren am ...2007 in B., derzeitige Anschrift J.-V.-Straße ..., ... G., innerhalb einer angemessenen Frist nach Ungarn zurückzuführen, und sofern die Mutter dieser Verpflichtung nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes an den Vater zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Ungarn anzuordnen.
14 
Die Mutter hat beantragt,
15 
den Antrag zurückzuweisen.
16 
Die Mutter hat behauptet, sie sei mit Einwilligung des Vaters nach Deutschland gekommen. E. lebe seit seiner Geburt bei ihr und werde von ihr allein versorgt. Die Eltern hätten nie dauerhaft in häuslicher Gemeinschaft miteinander gelebt; vielmehr habe die Mutter in den sieben Jahren ihrer Bekanntschaft mehrfach erfolglos versucht, mit dem Vater zusammen zu ziehen. Dieser habe dies nicht gewünscht und sich äußerst unregelmäßig um das Kind gekümmert sowie den Kontakt zur Mutter immer wieder längerfristig abgebrochen. Grund dafür seien die Kontakte ihrer älteren Kinder zu deren Vater und dessen zeitweilige Anwesenheit gewesen. Der Vater habe nie Ambitionen gehabt, das Kind E. auf Dauer bei sich aufzunehmen, und die Mutter vor Verfahrenseinleitung nie zur Herausgabe von E. aufgefordert. Über ihren Umzug nach Deutschland, der durch das Scheitern des Zusammenziehens mit dem Vater veranlasst gewesen sei, sei der Vater im Vorfeld informiert worden; dabei seien auch die Umgangsregelungen besprochen worden. Der Vater sei mit dem Umzug einverstanden gewesen. Noch eine Woche vor dem Umzug habe er den Kontakt zu ihr völlig abgebrochen und gesagt, sie könne gehen, wohin sie wolle, ein Kind ohne Mutter solle bei ihm nicht aufwachsen. Trotz täglicher Kontaktaufnahmeversuche der Mutter zum Zwecke des Umgangs zwischen Kind und Vater sei dieser kurz vor dem Umzug nicht erreichbar gewesen. Über ständige Kontakte von Vater und Kind über Skype und Telefon hinaus habe die Mutter im Oktober 2013 in Ungarn erfolglos zum Zwecke eines Treffens der beiden versucht, Kontakt aufzunehmen. Dass die Mutter nunmehr in einer neuen Beziehung lebe, habe den Vater dazu gebracht, den Rückführungsantrag zu stellen.
17 
Die mit Beschluss vom 15.09.2014 vom Amtsgericht für das Kind als Verfahrensbeistand bestellte Frau Rechtsanwältin E. hat mit Schreiben vom 26.09.2014 jeweils über ein Gespräch mit der Mutter und mit E., die Vertreterin des Jugendamtes hat unter dem 13.10.2014 und dem 16.10.2014 über mehrere Kontakte mit der Mutter und E. sowie ein Telefonat mit dem Vater berichtet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen Bezug genommen.
18 
Mit Beschluss vom 23.10.2014 hat das Amtsgericht - nach Anhörung von Eltern, Kind, Verfahrensbeistand und Vertreterin des Jugendamtes - die Mutter und jede andere Person, bei der sich E. aufhält, verpflichtet, das Kind innerhalb von zwei Wochen ab Rechtskraft des Beschlusses nach Ungarn zurückzuführen, und im Falle der Nichtbefolgung das Kind und dessen Ausweispapiere an den Vater oder eine von ihm bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung nach Ungarn herauszugeben. Gleichzeitig hat das Amtsgericht für den Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtungen Ordnungsgeld und Ordnungshaft angedroht und auf die einzelnen Möglichkeiten der Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher hingewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss vom 23.10.2014 verwiesen.
19 
Gegen diesen ihren Verfahrensbevollmächtigten am 24.10.2014 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer am 31.10.2014 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.
20 
Zur Begründung trägt die Mutter vor, E. sei nicht unter Verletzung des Sorgerechtes des Vaters nach Deutschland verbracht worden, denn dieser habe dazu seine Zustimmung erteilt. Denn er habe E. nach dessen Urlaubsaufenthalten in den Oster- und Pfingstferien stets zu ihr zurückgebracht. Dem Vater sei bewusst gewesen, dass E. zu dieser Zeit bereits in Deutschland eingeschult gewesen sei und er seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt hier begründet habe. Da der Vater mit der Situation vertraut gewesen sei und dieser auch zugestimmt habe, habe er Maßnahmen zur Rückführung des Kindes auch nicht früher eingeleitet. So habe er noch am 02.04.2014 per SMS in ungarischer Sprache an sie geschrieben: „Ich möchte dir das Kind nicht wegnehmen. Meiner Meinung nach ist sein Platz neben dir.“ Den Rückführungsantrag habe er erst gestellt, nachdem er erfahren habe, dass die Mutter eine neue Beziehung eingegangen sei; damals habe er ihr angekündigt, E. dauerhaft zu sich holen und den Umgang zu ihr ausschließen zu wollen. Um die zuvor getroffenen mündlichen Absprachen schriftlich festzuhalten, habe sie ihm dann die schriftliche Einverständniserklärung vorgelegt, die er nicht unterschrieben habe. Damit er die Drohungen nicht verwirklichen könne, sei dem Vater bis zur Klärung der Sommerferienumgang verweigert worden.
21 
Die Beteiligten hätten auch nie gemeinsam mit dem Kind in einem Haushalt gelebt. Der Vater lebe bis heute mit seiner Mutter in einer Wohnung. Trotz des in Ungarn bestehenden Kontaktes zu E. habe der Vater die elterliche Sorge zu keiner Zeit ausgeübt. Bei wichtigen Fragen der Erziehung oder bei Veranstaltungen im Kindergarten habe er nicht mitgewirkt. In Ungarn habe die Mutter als alleinerziehend gegolten; so sei ihr auch das Kindergeld gezahlt worden.
22 
Aufgrund des Verhaltens des Vaters nach der Verhandlung vor dem Amtsgericht seien bei einem Aufenthalt des Kindes bei diesem durchaus Gefahren für E. in Form von körperlichen oder seelischen Schäden im Sinne des Art. 13 HKÜ zu erwarten. Nachdem der Vater vom 22. bis zum 27.10.2014 Umgang mit E. gehabt habe, habe die Rückgabe am 27.10.2014 gegen 9.00 Uhr erfolgen sollen. Zuvor habe die Mutter kurz mit E. telefoniert, dieser habe zur Mutter gewollt und geweint, woraufhin der Vater das Telefonat sofort unterbrochen habe. Zum vereinbarten Zeitpunkt habe der Vater die Rückgabe E. verweigert, sodass die ungarischen Behörden hätten eingeschaltet werden müssen. Gegenüber der Polizei habe E. geäußert, er wolle lieber mit der Mutter mitgehen. Später habe er dafür seitens des Vaters Prügel bezogen. Am 28.10.2014 sei die Mutter nochmals zur Wohnung des Vaters gegangen und habe den verstörten E., der sich in der Obhut seiner Großmutter befunden habe, in Abwesenheit des Vaters mitnehmen können. E. habe auf dem Heimweg erzählt, lediglich eine warme Mahlzeit in der ganzen Woche erhalten zu haben; im Übrigen sei er von Schokolade ernährt worden. Er habe im Zimmer des Vaters übernachten müssen und sei, nachdem er den Namen des neuen Lebensgefährten der Mutter erwähnt gehabt habe, zur Strafe im Zimmer eingeschlossen worden. Der Vater habe E. erklärt, die Mutter liebe nicht ihn, sondern lediglich ihren neuen Lebensgefährten; sie solle nun endlich „verrecken“. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland sei bei E. eine starke Verängstigung vor dem Vater zu spüren.
23 
Außerdem beruft sich die Mutter auf die am 27.11.2014 getroffene Entscheidung des Bezirksvormundschaftsamtes, mit der als ausländischer Aufenthalt von E. der Wohnsitz der Mutter in Deutschland bestimmt wurde.
24 
Die Mutter beantragt,
25 
den Antrag auf Rückführung des Kindes unter Abänderung des Beschlusses vom 23.10.2014 zurückzuweisen.
26 
Der Vater beantragt,
27 
die Beschwerde zurückzuweisen.
28 
Der Vater verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt er zur Begründung ergänzend vor, beide Elternteile übten das Sorgerecht gemeinsam aus. Dem dauerhaften Verbleib E. in Deutschland habe er nicht zugestimmt. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Mutter E. anlässlich seines Besuches beim Vater in den Pfingstferien eine vorformulierte Erklärung vom 04.04.2014 zur Unterschrift mitgegeben habe; hätte er im Vorfeld bereits seine Zustimmung erteilt, wäre dies nicht notwendig gewesen. Der Vater bestreitet, der Mutter eine SMS mit dem von ihr mitgeteilten Inhalt geschrieben zu haben; eine Zustimmung zum dauerhaften Verbleib E. in Deutschland ergebe sich daraus ohnehin nicht. Damals habe er - verstärkt durch Äußerungen E., dass die Mutter ihn, den Vater, noch liebe - gehofft, er werde sich mit der Mutter zum Wohle des Kindes gütlich einigen und diese werde mit E. nach Ungarn zurückkehren. Erst nach der Weigerung der Mutter, E. im Sommer 2014 zum Vater zurückzuschicken, habe er die Hoffnung aufgegeben.
29 
Die Beteiligten hätten gemeinsam mit E. in einem Haushalt gelebt. Die Mutter habe selbst eingeräumt, dass der Vater sie und E., die unstreitig in einer Wohnung des Vaters gelebt hätten, regelmäßig besucht habe. Er habe damit für das Wohlergehen der Mutter und E. gesorgt und diese auch wirtschaftlich unterstützt. Er habe in dieser Wohnung regelmäßig gemeinsam mit der Mutter und E. übernachtet und gelebt. Später habe er gemeinsam mit beiden außerhalb von B. in einem Landhaus gelebt. Dass er sich um seine 83jährige Mutter, die ebenfalls in einer seiner Wohnungen wohne, gekümmert habe, ändere daran nichts; hin und wieder habe er zu diesem Zweck auch in dieser Wohnung übernachtet. Berufsbedingt habe er den Vorstellungen der Mutter hinsichtlich der gemeinsam verbrachten Zeit nicht vollständig genügen können; daraus lasse sich jedoch kein mangelndes Interesse für E. ableiten. Die von der Mutter auf ungarisch vorgelegte angebliche Meldebescheinigung habe keine Aussagekraft über den tatsächlichen Lebensmittelpunkt; stünden - wie hier - mehrere Immobilien zur Verfügung, sei es nicht unüblich, einzelne Familienmitglieder unter verschiedenen Anschriften zu melden.
30 
Der Vater habe sich umfassend um E. gekümmert; aufgrund seiner medizinischen Vorbildung habe er sich um Behandlungen sowie um seine physische und sportliche Entwicklung gekümmert. So habe er etwa sofort Aikidounterricht für E. organisiert, als er erfahren habe, dass E. in der Schule gehänselt werde und infolge seiner Schüchternheit dagegen nichts unternommen habe. Auch die Aussage der Mutter, es sei zwischen den Eltern zu Streitigkeiten über unterschiedliche Erziehungsvorstellungen gekommen, belege, dass sich beide um die Erziehung E. gekümmert hätten. Soweit die Beteiligten vereinbart gehabt hätten, dass die Mutter E. in den Kindergarten bringe und dort abhole, sei dies eine übliche Regelung zwischen Eltern. Selbst wenn die Mutter in Ungarn ein höheres Kindergeld als Alleinerziehende erhalten hätte, sei eine solche Anmeldung durch die Mutter nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Dies aber habe keine Auswirkungen auf die tatsächlich erfolgte gemeinsame Sorge durch beide Elternteile.
31 
Der Vater ist der Auffassung, dass keine Hinderungsgründe im Sinne des Art. 13 HKÜ vorlägen. Er habe E. zu keinem Zeitpunkt körperlich misshandelt oder in seiner Gesundheit geschädigt. Während des Umgangs ab dem 22.10.2014 in B. habe er, der Vater, viel Zeit mit E. verbracht. Nach den belastenden Erlebnissen der vergangenen Zeit habe E. begonnen, während seines Besuches wieder Lebensfreude zu zeigen. Er habe gut gegessen; seine Großmutter habe ihm regelmäßig sein Lieblingsgericht gekocht. E. sei glücklich gewesen, wieder bei seinem Vater und in seiner gewohnten Umgebung zu sein. Am 27.10.2014 habe es zwischen den Beteiligten Unstimmigkeiten hinsichtlich der Herausgabe des Kindes gegeben, denn die Mutter habe zwischenzeitlich von der vom Amtsgericht beschlossenen Herausgabe erfahren. Der Vater habe angesichts dessen, dass die Mutter zudem in der Verhandlung eine Rückkehr nach Ungarn ausgeschlossen gehabt habe, befürchtet, dass die Mutter mit E. wieder unberechtigt nach Deutschland zurückkehren und ihm das Kind vorenthalten werde. Aufgrund dessen habe die Mutter die zuständigen Behörden in Ungarn informiert, die jedoch nach Prüfung der Rechtslage keinen Anlass zum Handeln gesehen hätten. Daraufhin habe die Mutter unter Vorspiegelung falscher Tatsachen am 28.10.2014 gegen 11.00 Uhr versucht, mit Hilfe der Polizei die Herausgabe von E. zu erreichen. Die Polizei habe dann aber feststellen müssen, dass E. mit seinem Vater glücklich sei und kein Grund für eine Herausgabe bestehe. Sie hätten der Mutter mitgeteilt, dass E. bei seinem Vater bleiben werde, und seien gegangen. Die Mutter habe dann die Abwesenheit des Vaters ausgenutzt, um gemeinsam mit einem unbekannten Mann gegen den Willen der 83jährigen Großmutter E. die Wohnung zu betreten, und E. letztendlich mitgenommen, ohne dies mit dem Vater abzusprechen. Die Großmutter sei damit nicht einverstanden gewesen. Soweit E. jetzt verängstigt sei und einnässe, sei dies allein auf das unverantwortliche Handeln der Mutter zurückzuführen. Damit gefährde sie in erheblichem Maße das Wohlergehen E.. Es sei nicht auszuschließen, dass die Mutter auch weiterhin eine gesunde Entwicklung E. gefährden werde. Überdies sei zu befürchten, dass sie erheblich auf E. einwirken werde, um die Verbindung zu seinem Vater nachhaltig zu beschädigen.
32 
Der Beschluss des Bezirksvormundschaftsamtes vom 27.11.2014 stehe der Rückführungsverpflichtung der Mutter nicht entgegen. Diese Entscheidung beruhe im Wesentlichen auf den von der Mutter widerrechtlich herbeigeführten gegenwärtigen Verhältnissen. Zudem habe er gegen die Entscheidung des Bezirksvormundschaftsamtes Berufung eingelegt.
33 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen verwiesen.
34 
Die Vertreterin des Jugendamts hat unter dem 22.10.2014 über den begleiteten Umgangskontakt im Anschluss an die Anhörung vor dem Amtsgericht und unter dem 26.11.2014 über Telefongespräche mit den Beteiligten und E. Klassenlehrerin berichtet. Nach ihrer Einschätzung sei E. durch die Erlebnisse der letzten Wochen, die Unsicherheit seines weiteren Verbleibs und die Erfahrung, sich nicht auf Aussagen Erwachsener verlassen zu können, hochgradig psychisch belastet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die genannten Schreiben verwiesen.
35 
Der Senat hat am 08.12.2014 das Kind E. persönlich angehört; wegen des Ergebnisses wird auf den Vermerk über die Anhörung des Kindes Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2014 hat der Senat die Eltern, den Verfahrensbeistand Frau Rechtsanwältin E. und die Vertreterin des Jugendamts persönlich angehört. Sowohl Verfahrensbeistand als auch Vertreterin des Jugendamts haben sich entschieden gegen die Rückführung des Kindes ausgesprochen, da E. einen Aufenthaltswechsel in seinem derzeitigen Zustand nicht verkraften würde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
II.
36 
Die nach §§ 40 Abs. 2 IntFamRVG, 58 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung des Rückführungsantrages des Vaters. Denn der Rückführung von E. steht der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1 lit. b des im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn seit dem 01.12.1990 anzuwendenden Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (im Folgenden: HKÜ) entgegen.
37 
1. Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ ordnet das zuständige Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes an, wenn ein Kind im Sinne des Art. 3 HKÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist.
38 
a) Die Mutter hat E. am 17.09.2013, wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, widerrechtlich nach Deutschland verbracht.
39 
Gemäß Art. 3 Abs. 1 HKÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Sorgerecht dabei insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.
40 
1) E. lebte seit seiner Geburt bis September 2013 in B. und hatte damit zum Zeitpunkt seines Verbringens nach Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Ungarn.
41 
2) Das Sorgerecht des Vaters wurde durch E. Übersiedlung nach Deutschland verletzt.
42 
Dabei liegt auch in der Entziehung des Kindes durch einen mitsorgeberechtigten Elternteil gegenüber dem anderen Elternteil eine Verletzung des Sorgerechts im Sinne von Art. 3 Satz 1 HKÜ (OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 51 Rn. 21). Gemäß § 72 Abs. 1 des (vor dem Inkrafttreten des neuen ungarischen Zivilgesetzbuches am 15.03.2014, in das auch das Familienrecht inkorporiert wurde) im September 2013 noch geltenden ungarischen Gesetzes Nr. IV/1986 über die Änderung des Gesetzes Nr. IV/1952 über die Ehe, die Familie und die Vormundschaft üben die Eltern die elterliche Aufsicht - in Ermangelung einer gegenteiligen Vereinbarung - auch dann gemeinsam aus, wenn sie nicht mehr zusammenleben.
43 
Die Sorgerechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass der Vater dem Verbringen E. nach Deutschland zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hätte. Eine vorherige Zustimmung oder eine nachträgliche Genehmigung des Sorgeberechtigten führen dazu, dass das Verbringen von vornherein nicht rechtswidrig war oder die ursprüngliche Widerrechtlichkeit beseitigt wird (Pirrung, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rn. D 70; Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung, Rn. 116, 118). Eine Zustimmung in diesem Sinne kann auch konkludent erklärt werden; für ihr Vorliegen kommt es auf den objektiven „Empfängerhorizont“ an (Senat, FamRZ 2006, 1699 Rn. 26 f.). Der Nachweis der Zustimmung oder Genehmigung obliegt dabei gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. a 2. Alt. HKÜ demjenigen, der sich der Rückgabe des Kindes widersetzt. Dass der Vater dem Verbringen von E. nach Deutschland zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat, hat die Mutter vorliegend nicht nachgewiesen. Vielmehr hat sie selbst in ihrer Anhörung vor dem Senat angegeben, sie habe dem Vater bereits vor ihrer Ausreise eine schriftliche Erklärung der Zustimmung zur Unterschrift vorgelegt, die dieser indessen verweigert habe. Soweit sie weiter geschildert hat, der Vater habe sich sinngemäß geäußert, es sei ihm egal, sie solle gehen, wohin sie wolle, konnte dies - eine entsprechende Bemerkung des Vaters unterstellt - vor dem Hintergrund der ausdrücklich versagten Unterschrift aus Sicht der Mutter nicht als mündliche Zustimmung zu ihrer Ausreise mit dem Kind gedeutet werden; vielmehr spricht Einiges dafür, dass es sich bei dieser Äußerung um einen bloßen Ausdruck der Verärgerung gehandelt hat. Für die vom Vater bestrittene Behauptung, er habe der Mutter eine Woche vor dem Umzug gesagt, sie könne gehen, wohin sie wolle, ein Kind ohne Mutter solle bei ihm nicht aufwachsen, hat die Mutter keinen Beweis angetreten. Anhaltspunkte für eine konkludente Zustimmung bestehen schon deshalb nicht, da der Vater - unwiderlegt - behauptet hat, die Mutter habe ihm zunächst lediglich mitgeteilt, sie wolle ihre Eltern in Deutschland besuchen und dann zurückkehren; selbst wenn der Vater die Ausreise mit dem Kind durch sein Verhalten gebilligt hätte, durfte die Mutter dies deshalb nicht als Zustimmung zu einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland auffassen.
44 
Der Vater hat den Aufenthalt E. in Deutschland auch nicht später genehmigt. An das Vorliegen einer solchen nachträglichen Genehmigung sind strenge Anforderungen zu stellen (Senat, FamRZ 2002, 1142 Rn. 21). Eine nachträgliche Genehmigung, die auch konkludent erfolgen kann, muss klar, eindeutig und unbedingt sein (OLG Stuttgart, FamRZ 2012, 238 Rn. 30). Soweit die Mutter dazu behauptet hat, der Vater habe ihr am 02.04.2014 per SMS geschrieben, er wolle ihr das Kind nicht wegnehmen, sein Platz sei neben ihr, lässt sich - ungeachtet des Bestreitens einer solchen Nachricht durch den Vater - dem nicht ohne Weiteres entnehmen, dass der Vater damit den Aufenthalt von E. mit der Mutter in Deutschland gebilligt hätte; denn der Text lässt sich auch als Zusicherung verstehen, den Aufenthalt E. bei der Mutter für den Fall der Rückkehr nach Ungarn nicht in Frage zu stellen. Auch die von der Mutter angeführte Rückgabe des Kindes durch den Vater nach den Umgangskontakten kann nicht als Genehmigung verstanden werden (OLG Hamm, NJW-RR 2013, 580 Rn. 42). Denn die zeitweilige Hinnahme des Aufenthaltes des Kindes beim entführenden Elternteil durch den verbleibenden Elternteil ist an sich nicht ausreichend (Senat, FamRZ 2006, 1699 Rn. 28). Infolgedessen hätten weitere Umstände hinzutreten müssen, die die Mutter in nachvollziehbarer Weise annehmen lassen konnten, dass der Vater nunmehr dauerhaft mit dem Verbleib E. in Deutschland einverstanden gewesen wäre; solche wurden aber von der Mutter nicht vorgetragen. Hinzu kommt, dass der Vater zum Zeitpunkt der Rückkehr E. vom zweiten Umgangskontakt in den Pfingstferien 2014 bereits die Unterschrift unter die ihm von der Mutter erneut vorgelegte Erklärung mit der Zustimmung zu einem unbefristeten Aufenthalt E. in Deutschland verweigert und damit im Gegenteil gerade deutlich gemacht hatte, mit dem Verbleib E. in Deutschland nicht einverstanden zu sein.
45 
3) Zu Recht ist das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass der Vater die elterliche Sorge in Ungarn tatsächlich ausgeübt hat. Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a 1. Alt. HKÜ trifft den das Kind verbringenden Elternteil die Beweislast dafür, dass der die Rückführung begehrende Elternteil die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausgeübt hat. Diesen Nachweis hat die Mutter nicht erbracht. Dabei sind an die Voraussetzung der tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts nach Art. 3 Abs. 1 HKÜ nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Ausreichend ist es schon, wenn der Sorgeberechtigte regelmäßigen persönlichen und telefonischen Kontakt zu seinem Kind gehalten hat (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2002, 1136) oder sein Umgangsrecht mit dem Kind wahrgenommen hat (OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 1575 Rn. 36). Denn durch das Erfordernis der tatsächlichen Ausübung sollen nur Sorgerechtsverhältnisse ausgeschlossen werden, bei denen die gesetzlichen oder vereinbarten Rechte und Pflichten überhaupt nicht, auch nicht hin und wieder oder in Ansätzen auch im Umfang eines Umgangsrechtes wahrgenommen werden. Denn das HKÜ bezweckt nicht, allein formale Rechtspositionen der Eltern zu schützen, sondern soll dazu dienen, das Recht des Kindes auf Beachtung seines Lebensgleichgewichts zu wahren, insbesondere dadurch, dass seine emotionalen, sozialen und anderen Bindungen, unter denen sich sein Leben bisher abgespielt hat, nicht tatsächlich beeinträchtigt werden (OLG Bremen, FamRZ 2013, 1238 Rn. 9). Nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen beider Elternteile übte der Vater zumindest ein- bis zweimal wöchentlich Umgang mit E. aus. Damit hat er seine Elternrechte wahrgenommen und die elterliche Sorge tatsächlich ausgeübt.
46 
4) Die damit vorliegende Widerrechtlichkeit des Verbringens von E. nach Deutschland entfällt nicht deshalb, weil das Bezirksvormundschaftsamt des Bezirksamtes B. am 27.11.2014 den ausländischen Aufenthaltsort von E. bei der Mutter bestimmt hat. Denn für die Frage der Widerrechtlichkeit im Sinne des Art. 3 HKÜ kommt es auf den Zeitpunkt der Verbringung des Kindes an (KG Berlin, FamRZ 2011, 1516 Rn. 24; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.02.2009 - 1 UF 162/08 -, juris Rn. 43; OLG Stuttgart, FamRZ 2001, 645 Rn. 15).
47 
b) Der Vater hat den am 12.09.2014 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag auf Rückführung auch binnen Jahresfrist ab der Übersiedlung von E. nach Deutschland am 17.09.2013 gestellt.
48 
2. Die Verpflichtung zur Anordnung der Rückführung von E. entfällt allerdings, weil die Rückführung E. in eine unzumutbare Lage im Sinne des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ, modifiziert durch Art. 11 Brüssel-IIa-Verordnung, bringen würde.
49 
a) Nach Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ ist das Gericht des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, nachweist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.
50 
Die Beteiligten sollen durch die Regelung des HKÜ davon abgehalten werden, ihr Kind widerrechtlich ins Ausland zu verbringen. Hierdurch soll die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes sichergestellt werden. Die strikte Regel, dass allein das ursprünglich international zuständige Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls über die elterliche Sorge zu entscheiden hat, soll verhindern, dass durch die Entführung geschaffene vollendete Tatsachen von vornherein ein Übergewicht gewinnen (BVerfG, FamRZ 1999, 85 Rn. 65). Leitgedanke des HKÜ ist das Kindeswohl; dies ergibt sich aus der Präambel des Übereinkommens. Es ist daher ein fairer Ausgleich zwischen den in Rede stehenden Interessen herbeizuführen und zu berücksichtigen, dass das Kindeswohl oberste Priorität hat (EGMR, Urteil vom 06.07.2010, Nr. 41615/07, Rn. 134 [Neulinger und Shuruk ./. Schweiz]; Urteil vom 12.07.2011, Nr. 14737/09 [Šneersone und Kampanella ./. Italien], FamRZ 2011, 1482; Urteil vom 26.11.2013, Nr. 27853/09, Rn. 95 [X ./. Lettland]). Das HKÜ geht dabei von der Vermutung aus, dass eine sofortige Rückführung des Kindes an den bisherigen Aufenthaltsort dem Kindeswohl grundsätzlich am besten entspricht, weil dadurch die Kontinuität der Lebensbedingungen erhalten bleibt (BVerfG, FamRZ 1999, 85 Rn. 65). Unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ kann diese Annahme allerdings widerlegt werden. Aus dem genannten Ziel des Übereinkommens ergibt sich jedoch, dass die zwangsläufig mit jeder Rückführung verbundenen Belastungen für ein Kind dabei keine Berücksichtigung finden können. Beachtlich sind vielmehr nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls, die über die mit einer Rückführung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen; demnach ist eine enge Auslegung von Art. 13 HKÜ geboten (BVerfG, FamRZ 1996, 405 Rn. 11; OLG Hamburg, NJW 2014, 3378; Senat, FamRZ 2011, 1516 Rn. 54).
51 
b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes würde die Rückgabe nach Ungarn den siebenjährigen E. in eine unzumutbare Lage bringen.
52 
1) Denn zum einen birgt die Rückgabe die Gefahr eines schwerwiegenden seelischen Schadens für das Kind. E. ist äußerst belastet durch die Auseinandersetzung seiner Eltern; er hat ganz erhebliche Angst vor seinem Vater und befürchtet, dass dieser ihn der Mutter wegnehmen werde. Dies wurde in der Anhörung von E. vor dem Senat auf beeindruckende Weise dadurch deutlich, dass E. Stimmung, als das Gespräch auf seinen Vater kam, sich erheblich verschlechterte; er wirkte nun völlig verängstigt, eingeschüchtert und traurig, zeitweise war er den Tränen nahe. Diese seelische Belastung zeigt sich auch daran, dass E. in der Schule nach dem Bericht seiner Klassenlehrerin vom 03.11.2014 unter großen Konzentrationsschwierigkeiten leidet, ein geringes Durchhaltevermögen hat und auch im Unterricht zu weinen beginnt. Er nässt nachts ein und leidet unter Angstzuständen, weshalb er - wie sich aus dem Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Viktoria Heinrich vom 06.11.2014 ergibt - in ärztlicher Behandlung ist.
53 
Dieser labile psychische Zustand E. ist nicht allein eine unvermeidbare Folge der Entführung durch die Mutter, sondern in hohem Maße vom Vater zu verantworten. E. berichtete in der Anhörung, der Vater habe ihm am Telefon gesagt, seine Mutter müsse sterben und er werde ihn von hier wegholen. Bei dem letzten Aufenthalt in B. habe er ihm erklärt, wenn die Mutter ihn mitnehme, werde er die Polizei rufen. Der Senat hat aufgrund des persönlichen Eindrucks von E. keinerlei Zweifel daran, dass diese Schilderungen zutreffen. Überdies hat der Vater E., dem der Besuch seines Vaters in B. vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung der Eltern ohnehin schon schwer gefallen war, nach dem Herbstferienumgang nicht zum verabredeten Zeitpunkt an die Mutter übergeben, sondern eigenmächtig zurückbehalten. Damit hat er das Vertrauen des Kindes in die Zusicherungen der Erwachsenen, die ihn ermutigten, während der Herbstferien beim Vater zu bleiben, erschüttert. Der Vater hat das Kind mit seinen Äußerungen völlig verunsichert und massive Ängste, die Mutter, seine Hauptbezugsperson, zu verlieren, in ihm geschürt. So berichtet die Klassenlehrerin in ihrem Schreiben vom 03.11.2014, E. sei, nachdem er sich zunächst immer besser in den Schulalltag eingelebt gehabt habe, seit einigen Wochen lustlos und unkonzentriert und antworte auf Nachfragen immer nur, er wolle nach Hause zu seiner Mutter; getröstet werden könne er nur mit der Ankündigung, dass seine Mutter ihn abholen werde oder er früher nach Hause gehen könne. Gegenüber der Vertreterin des Jugendamts gab die Klassenlehrerin am 25.11.2014 ergänzend an, E. äußere Angst davor, dass sein Vater ihn hole. Sie habe den Eindruck, E. habe Angst, dass seine Mutter nicht mehr komme, wenn sie ihn morgens in die Schule bringe. Auch die Vertreterin des Jugendamts schilderte in der Anhörung im Senatstermin, der Zustand E. habe sich seit der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht noch stark verschlechtert.
54 
Die Verängstigung und Labilität E. stellt im Falle der Rückführung nach Ungarn eine erhebliche Gefahr für sein Wohl dar. Die Vertreterin des Jugendamts, die sich ebenso wie der Verfahrensbeistand entschieden gegen eine Rückführung E. ausgesprochen hat, hat erklärt, dem stark belasteten Kind sei ein erneuter Aufenthalt in Ungarn nicht zumutbar. Der Verfahrensbeistand Frau Rechtsanwältin E. hat angegeben, ihrer Einschätzung nach würde E. einen Wechsel nach B. nicht verkraften, selbst wenn dieser gemeinsam mit der Mutter stattfände; für die Bewältigung eines anderen Umfeldes und einer anderen Alltagssprache habe der stark angstgeprägte E. keine Ressourcen. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat aufgrund seines persönlichen Eindrucks von E. an.
55 
Auch Art. 11 Abs. 4 Brüssel-IIa-VO steht einer Ablehnung der Rückführung E. auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht entgegen. Nach dieser - vorrangigen - Vorschrift kann die Rückgabe eines Kindes gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht verweigert werden, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um der festgestellten Gefahr für das Kind zu begegnen. Dass derartige Vorkehrungen in Ungarn getroffen worden wären oder getroffen werden könnten, ist vorliegend nicht einmal ansatzweise ersichtlich.
56 
2) Es kommt hinzu, dass mittlerweile das Bezirksvormundschaftsamt des Bezirksamtes B. am 27.11.2014 den ausländischen Aufenthaltsort von E. bei der Mutter festgelegt hat. Die Behörde hat diese Entscheidung damit begründet, dass E. seit seiner Geburt von der Mutter betreut und erzogen werde, die finanziellen Bedingungen für die Betreuung des Kindes gewährleistet seien und sich das Kind in der neuen Umgebung eingelebt habe. Gemäß § 4175 Abs. 2 und 3 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuches in der ab dem 15.03.2014 geltenden Fassung entscheidet in wesentlichen das Schicksal des Kindes berührenden Fragen, über die sich Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge innehaben, nicht einigen können, die Vormundschaftsbehörde. § 24 Abs. 1 der ungarischen Regierungsverordnung Nr. 149/1997 (IX 10) über die Vormundschaftsbehörden und über das Kindschutz- und Vormundschaftsverfahren bestimmt, dass beide Elternteile im Streitfall unter anderem berechtigt sind, die Entscheidung des Vormundschaftsamtes zu beantragen über die Bestimmung eines ausländischen Aufenthaltsortes für die Niederlassung für das Kind, wenn das Kind mit einem Elternteil zum Zwecke der Niederlassung ins Ausland geht.
57 
Der Zweck des HKÜ, entführte oder zurückgehaltene Kinder möglichst schnell wieder in den Herkunftsstaat zurückzuführen und auf diese Weise auch eine Sorgerechtsentscheidung des zuständigen Gerichts oder der zuständigen Behörde am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes sicherzustellen, erfordert im vorliegenden Fall eine Rückführung gerade nicht. Denn die zuständige Behörde in Ungarn hat bereits eine - wenn auch seitens des Vaters angefochtene - Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes getroffen, so dass zu erwarten ist, dass die Mutter E. nach einer Rückführung nach Ungarn jederzeit wieder mit nach Deutschland nehmen kann. Durch eine Rückgabeanordnung würde E. auch deshalb in eine gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ unzumutbare Lage gebracht werden (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 2003, 959 Rn. 19; OGH Wien, IPRax 2000, 141 Rn. 4; Pirrung, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rn. D 72).
58 
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kommt eine Rückführung E. nach U. nicht in Betracht.
59 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 14 Nr. 2, 11, 20 Abs. 2, 43 IntFamRVG, 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, Art. 26 Abs. 2 und 3 HKÜ. Es entspricht der Billigkeit, den Elternteilen die Gerichtskosten je zur Hälfte aufzuerlegen und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Denn beide Elternteile - die Mutter durch das widerrechtliche Verbringen E. nach Deutschland und der Vater durch seine Äußerungen gegenüber dem Kind sowie sein Verhalten anlässlich des Umgangs in B. im Oktober 2014 - haben Anteil am Entstehen der derzeitigen Umstände.
60 
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 14 Nr. 2 IntFamRVG, 45 Abs. 3 FamGKG.
61 
Die Rechtsbeschwerde findet gemäß § 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG nicht statt.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers/Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart - Familiengericht vom 8.11.2002 wird kostenpflichtig

zurückgewiesen.

Geschäftswert: 5.000 Euro

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Rückgabe des Kindes A., geb. 29.8.1998, nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) durch Beschluss vom 8.11.2002 zurückgewiesen.
Seine Entscheidung hat das Gericht auf zwei Gesichtspunkte gestützt. Zum einen sei von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland auszugehen; auf einen solchen Fall finde das HKÜ keine Anwendung. Zum andern stehe einer Rückführung entgegen, dass das zuständige französische Familiengericht durch Beschluss vom 25.9.2002 bestimmt hat, dass das Kind seinen Wohnsitz bei der in Deutschland wohnhaften Antragsgegnerin hat.
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Auffassung des Amtsgerichts, das Kind A. habe zwei gewöhnliche Aufenthalte. Ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt sei im IPR ausgeschlossen, weil es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme. Die Rechtsprechung des Ausgangsgerichts führe dazu, dass für den Fall mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalte - sollte man dies zulassen - ein Schutz von Kindern nach dem HKÜ nicht stattfinde. Im Übrigen habe sich der gewöhnliche Aufenthalt von A. vor dem Zurückhalten im April 2002 in Frankreich befunden.
Die Entscheidung des französischen Gerichts stehe gem. Art. 17 HKÜ einer Rückgabe des Kindes nicht entgegen. Insbesondere die Gründe dieser Entscheidung würden eine Ablehnung der Rückführung nach Art. 13 HKÜ nicht rechtfertigen. Ziel des HKÜ sei es, zur Sicherung des Kindeswohls eine sofortige Rückgängigmachung der Entführung zu ermöglichen. Dies sei nur möglich bei einer Unabhängigkeit des HKÜ-Verfahrens von etwaigen Sorgerechtsverfahren (bis zu deren rechtskräftigen Abschluss). Mit einer Anordnung der Rückgabe des Kindes nach Frankreich - und Rückkehr der Mutter nach Frankreich - lägen neue Tatsachenelemente vor, die eine Abänderung der bisherigen Entscheidung (des französischen Gerichts) ermöglichen würden. Der Antrag auf Rückgabe des Kindes habe sich auch nicht durch den Umgang des Antragstellers mit A. erledigt, weil das Kind nicht bleibend zurückgeführt worden sei.
Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung, insbesondere unter Verweis auf die weitere Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002. In seinem Beschluss gestattet das Landgericht Grasse den Ehegatten, getrennt zu leben, dem Antragsteller in N., Frankreich, der Antragsgegnerin in G., Deutschland. Des weiteren wird angeordnet, dass das Sorgerecht für das gemeinsame Kind A. gemeinsam durch die Eltern ausgeübt wird. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wird am Wohnsitz der Mutter (Antragsgegnerin) festgelegt. Weiter werden in dem Beschluss der Umgang des Vaters mit dem Kind sowie unterhaltsrechtliche Fragen geregelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Der Senat hat die Eltern am 11.2.2003 in Anwesenheit des Kindes A. angehört.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gem. § 8 Abs. 2 des Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes (SorgeRÜbkAG) statthaft und auch sonst zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Senat zwar der Auffassung, dass das HKÜ im vorliegenden Fall anwendbar ist, weil das Kind A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Ob das Zurückhalten widerrechtlich war oder der Antragsteller einem Aufenthalt des Kindes in Deutschland zustimmte, kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls steht einer Rückgabeanordnung nach dem HKÜ die Entscheidung des Landgerichts Grasse vom 3.12.2002 über den Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin mit Blick auf Art. 13 I b HKÜ entgegen.
1.
10 
Das HKÜ ist im vorliegenden Fall anwendbar, weil Frankreich und Deutschland Vertragsstaaten des HKÜ sind und A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Amtsgerichts, dass wegen der wechselnden Aufenthalte der Eltern in Frankreich und Deutschland seit der Geburt des Kindes mit Blick auf den jeweiligen Gesamtumfang der Aufenthalte davon auszugehen ist, dass A. in beiden Ländern einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Senat schließt sich vielmehr der Auffassung an, dass bei alternierenden Aufenthalten der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jeweils wechselt (vgl. Baetge, Zum gewöhnlichen Aufenthalt bei Kindesentführungen, IPRax 2001, 573, 576; MünchKomm-Siehr, Art. 19 EGBGB Anhang II Rn 28 b). Diese Betrachtung trägt dem Schutzzweck des HKÜ Rechnung.
11 
Nach h.A. ist der "gewöhnliche Aufenthalt" rein tatsächlich und nicht normativ zu bestimmen (vgl. BverfG FamRZ 99, 85, 88). Es kommt daher darauf an, wo der Daseinsmittelpunkt eines Kindes ist, d.h. der Ort des tatsächlichen Mittelpunktes seiner Lebensführung, des Schwerpunktes seiner sozialen Bindungen, insbesondere in familiärer und schulischer bzw. beruflicher Hinsicht (s. Palandt, BGB, 62. Aufl., Anhang zu Art. 24 EGBGB, Rn 10 m.w.N.). Eine solche soziale Integration setzt voraus, dass der Aufenthalt von einer gewissen Dauer ist, wobei in der Regel ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde gelegt wird. Je nach Umständen kann dieser Zeitraum auch länger oder kürzer sein. Da die Eltern von A. ab September 2001 einverständlich an einen ihnen vertrauten Ort in Frankreich zurückkehrten, der Antragsteller dort wieder als Lehrer arbeitete und sie somit keine größere Eingewöhnungsphase benötigten, kam dies auch der sozialen Integration von A. zugute. Unter diesen Umständen hatte A. seinen gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls in Frankreich, bevor er im April 2002 in Deutschland zurückgehalten wurde. Dass die Parteien mittelfristig beabsichtigten, wieder nach Deutschland zurückzukehren - sobald der Antragsteller dort eine Anstellung gefunden hat - ändert an diesem tatsächlichen Daseinsschwerpunkt nichts, weil ein sog. animus manendi für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht erforderlich ist.
2.
12 
Durch das Zurückhalten von A. wurde das (Mit-)Sorgerecht des Antragstellers, das sowohl nach französischem als auch nach deutschem Recht beiden Eltern zusteht, beeinträchtigt. Die Widerrechtlichkeit des Zurückhaltens i.S.v. Art. 3 HKÜ könnte allerdings entfallen, sollte der Antragsteller mit dem Verbleiben des Kindes bei seiner Mutter in Deutschland einverstanden gewesen sein. Der Senat neigt - in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht - insoweit aber zu der Auffassung, dass sich aus dem - bestrittenen - Vorbringen der Antragsgegnerin nicht ableiten lässt, dass der Antragsteller einem dauerhaften Aufenthalt des Sohnes in Deutschland zugestimmt hat. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil aus anderen Gründen eine Rückgabeanordnung nicht in Betracht kommt.
3.
13 
Einer Anordnung der sofortigen Rückführung des Kindes A. nach Frankreich gem. Art. 12 HKÜ steht entgegen, dass eine Rückgabe das Kind dieses in eine unzumutbare Lage bringen würde (Art. 13 Abs. 1 lit. b). Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts wird verwiesen.
14 
Der Antragsteller weist zwar mit Recht darauf hin, dass die Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 über den vorläufigen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter in Deutschland gem. Art. 17 HKÜ für sich genommen keinen Grund darstellt, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist. Allerdings können die Gerichte des ersuchten Staates gem. Art. 17 Hs. 2 HKÜ die Gründe einer solchen Entscheidung berücksichtigen.
15 
Soweit Art. 17 HKÜ bestimmt, dass Sorgerechtsentscheidungen im ersuchten Staat einer Rückgabeanordnung nicht entgegenstehen, ist dies nach dem Zweck des Übereinkommens - auch mit Blick auf Art. 16 HKÜ - ohne weiteres nachvollziehbar.
16 
Soweit Art. 17 HKÜ nach seinem Wortlaut allerdings auch Sorgerechtsentscheidungen im Herkunftsstaat umfasst (vgl. Palandt, BGB, 62. Aufl., Anhang zu EGBGB 24, Rn 83), ist für das Verständnis dieser Bestimmung der Erläuternde Bericht von Elisa Perez-Vera zum HKÜ (s. Deutscher Bundestag, Drucksache 11/5314) zu beachten.
17 
Danach entspreche die in diesem Artikel niedergelegte Lösung der Zielsetzung des Abkommens, die möglichen Entführer zu entmutigen, weil sie ihre Handlung weder auf eine vor dem Verbringen erlassene, aber nie vollstreckte "tote" Entscheidung noch auf eine nachher erwirkte Entscheidung stützen können, die in den meisten Fällen wegen Betrugs in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt sei. Die Behörden des ersuchten Staates seien verpflichtet, eine Entscheidung in Frage zu stellen, die nicht wirksam oder auf der Grundlage von Zuständigkeitsmissbrauch ergangen sei oder die schließlich nicht die Verteidigungsrechte aller betroffenen Parteien beachtet habe.
18 
All diese Gesichtspunkte für eine evtl. Nichtberücksichtigung der Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 liegen hier nicht vor. Vielmehr hat das französische Gericht in einem vom Antragsteller selbst eingeleiteten, ordnungsgemäßen Verfahren nach Art. 242 ff. Code Civil nach einem gescheiterten Sühneversuch am 30.10.2002 durch Beschluss vom 3.12.2002 vorläufige Maßnahmen nach Art. 254 - 256 Code Civil angeordnet und diese Entscheidung in der Sache begründet. Unter anderem hat das Gericht - in Kenntnis des Vorwurfs der Kindesentführung - den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes A. bei der Mutter (Antragsgegnerin) in Deutschland festgelegt, weil sie über mehr Verfügbarkeit für das Kind und über zufriedenstellendere Unterbringungsmöglichkeiten verfüge als der Antragsteller. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin den Sohn A. in Deutschland zurückgehalten hatte, hat dieses Verfahren nicht beeinträchtigt. Denn beide Elternteile waren in der Verhandlung am 30.10.2002 anwesend und konnten vom Gericht persönlich angehört werden. Auch A. hielt sich zu diesem Zeitpunkt - beim Antragsteller - in Frankreich auf und hätte vom Gericht angehört werden können. Es gibt somit keinen Anlass, diese Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 im vorliegenden Verfahren nicht zu beachten.
19 
Der Zweck des HKÜ, entführte oder zurückgehaltene Kinder möglichst schnell wieder in den Herkunftsstaat zurückzuführen und auf diese Weise auch eine Sorgerechtsentscheidung des zuständigen Gerichts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes sicherzustellen, erfordert im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung des Antragstellers - eine Rückführung gerade nicht. Denn das zuständige Gericht in Frankreich hat bereits eine - wenn auch vorläufige - Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes getroffen und die Antragsgegnerin hätte aufgrund dieser vorläufig vollstreckbaren, also wirksamen Entscheidung jederzeit die Möglichkeit, den Sohn A. nach einer Rückführung nach Frankreich wieder zu sich nach Deutschland zu nehmen. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand nichts, dass noch keine rechtskräftige Entscheidung über das Sorgerecht vorliegt. Ein solches sinnloses Hin- und Her-Verbringen des Kindes ist auch nicht durch den präventiven Zweck des HKÜ zu rechtfertigen. Vielmehr würde das Kind als bloßes Streitobjekt ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse behandelt und somit durch eine Rückgabeanordnung in eine gem. Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ unzumutbare Lage gebracht werden (so auch OGH, Beschluß vom 15.4.1998, IPRax 2000, 141; Baetge, Haager Kindesentführungsübereinkommen, IPRax 2000, 146; Staudinger/Pirrung, BGB, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB, Rn 684).
20 
Auch der Antragsteller stellt nicht in Abrede, dass die Antragsgegnerin nach einer Rückführung des Sohnes nach Frankreich aufgrund der Entscheidung des französischen Gerichts berechtigt wäre, A. umgehend wieder mit zu sich nach Deutschland zu nehmen. Dies hat auch die entsprechende Handhabung der Parteien nach den in Frankreich erfolgten Umgangskontakten gezeigt. Soweit der Antragsgegner meint, eine unzumutbare Lage würde nicht durch die Anordnung der Rückgabe geschaffen, sondern erst durch eine "verantwortungslose" Entscheidung der Antragsgegnerin, seine sofortige Rückgabe nach Deutschland durchzusetzen, kann dem nicht gefolgt werden. Der Antragsteller verkennt insoweit, dass bereits eine Entscheidung eines französischen Gerichts über den Aufenthalt des Kindes vorliegt, die die Antragsgegnerin berechtigt und verpflichtet, den Sohn - weil er bei ihr seinen Aufenthalt hat - zu betreuen und zu erziehen und ihr die jederzeitige Rückkehr nach Deutschland mit dem Sohn ermöglicht. Eine Rückgabeanordnung würde daher - entgegen der Meinung des Antragstellers - nicht dazu führen, dass die Antragsgegnerin aufgrund des HKÜ faktisch gezwungen würde, für die nächsten Monate nach Frankreich zurückzukehren. Im Übrigen würde die Hin- und Rückführung das Kind nicht in eine belastende Situation bringen, wie die bereits erfolgten Umgangskontakte in Frankreich gezeigt haben. Der Vorgang wäre lediglich als solcher sinnlos und damit nicht zumutbar.
21 
Soweit der Antragsteller schließlich noch erwägt, eine Rückgabeanordnung nach dem HKÜ könne auf eine - für den Vater positive - Sorgerechtsentscheidung in Frankreich Einfluss haben, liegt dies außerhalb des Zwecks des HKÜ. Die Entscheidung über den gewöhnlichen Aufenthalt von A. im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung ist allein Sache des französischen Gerichts und es ist nicht Aufgabe des Senats, eine - wie der Antragsteller meint - "fehlerhafte" Entscheidung in Frankreich zu korrigieren. Der Senat geht daher auch nicht auf die Angriffe des Antragstellers gegen die - von ihm selbst herbeigeführte - Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.2002 ein.
III.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.
23 
Nach § 8 Abs. 2 S. 3 SorgeRÜbkAG findet eine weitere Beschwerde nicht statt. Die Erwägung des Senats im Termin über eine evtl. Zulassung der weiteren Beschwerde ist somit gegenstandslos.

Soweit nicht anders bestimmt, entscheidet das Familiengericht

1.
über eine in den §§ 10 und 12 bezeichnete Ehesache nach den hierfür geltenden Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
2.
über die übrigen in den §§ 10, 11, 12 und 47 bezeichneten Angelegenheiten nach den für Kindschaftssachen geltenden Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) In einer Kindschaftssache, die

1.
die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge,
2.
das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft,
3.
das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes,
4.
die Kindesherausgabe oder
5.
die Genehmigung einer Einwilligung in einen operativen Eingriff bei einem Kind mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung (§ 1631e Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
betrifft, beträgt der Verfahrenswert 4 000 Euro.

(2) Eine Kindschaftssache nach Absatz 1 ist auch dann als ein Gegenstand zu bewerten, wenn sie mehrere Kinder betrifft.

(3) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.

(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.