Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Beschluss, 20. Aug. 2008 - 8 U 350/08 - 97

published on 20.08.2008 00:00
Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Beschluss, 20. Aug. 2008 - 8 U 350/08 - 97
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Tenor

1. Der Antrag der Klägerin, ihr gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 6.6.2008 – 42 C 434/06 – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 6.6.2008 – 42 C 434/06 – wird als unzulässig verworfen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wohnt zumindest seit dem Zeitpunkt der Klageerhebung in F- in Frankreich. Das Urteil des Amtsgerichts, durch das ihre Klage abgewiesen und sie auf die Widerklage der Beklagten verurteilt worden ist, ist ihren Prozessbevollmächtigten am 12.6.2008 zugestellt worden. Deren Berufungsschrift ist am 7.7.2008 (Nachtbriefkasten) im Original bei dem Landgericht eingegangen. Am 8.7.2008 ist die Berufungsschrift zur Vorschaltstelle des Landgerichts und am 15.7.2008 zu der für zuständig gehaltenen 2. Zivilkammer gelangt. Die Kammervorsitzende hat die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.7.2008 darauf hingewiesen, dass gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG die Berufung bei dem Oberlandesgericht einzulegen sei und auf deren Bitte die Berufungsschrift am selben Tag an das Oberlandesgericht weitergeleitet. Auf den Hinweis, dass die am 17.7.2008 eingegangene Berufung verspätet sei und deshalb die Absicht bestehe, diese als unzulässig zu verwerfen, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.7.2008 beantragt, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.

II.

Die am 17.7.2008 bei dem Oberlandesgericht eingegangene Berufung ist unzulässig und deshalb gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.

1. Die Klägerin hat die Berufungsfrist versäumt. Für die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts war nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG das Oberlandesgericht zuständig, da die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes, nämlich in Frankreich hatte. Dem gemäß war die Berufung nach § 519 Abs. 1 ZPO durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Oberlandesgericht einzulegen. Dort ist die Berufungsschrift der Klägerin jedoch nicht innerhalb der nach § 517 ZPO am 14.7.2008 (= Montag) ablaufenden Berufungsfrist eingegangen, sondern erst am 17.7.2008. Die innerhalb der Berufungsfrist am 7.7.2008 bei dem unzuständigen Landgericht eingegangene Berufungsschrift der Klägerin hat die Frist nicht wahren können.

2. Der Klägerin ist die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu versagen. Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Vielmehr trifft ihre Prozessbevollmächtigten insofern ein Verschulden an der Versäumung der Frist, das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, als sie die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts in Verkennung der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG innerhalb der Berufungsfrist nicht beim zuständigen Oberlandesgericht, sondern beim unzuständigen Landgericht eingelegt haben.

Das der Klägerin zuzurechnende Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ist nicht deswegen folgenlos, weil das (unzuständige) Landgericht die bei ihm eingegangene Berufungsschrift nicht innerhalb der Berufungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet hat. Der Anspruch der Klägerin auf ein faires Verfahren, der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt (BVerfG v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 [113]), wurde hierdurch nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Bundesgerichtshof angeschlossen hat, darf sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Bei Abwägung dieser Belange ist jedenfalls ein Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, auf Grund der aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden nachwirkenden Fürsorgepflicht gehalten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus und ist der Partei deswegen Wiedereinsetzung zu gewähren (BGH vom 5.10.2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 f, Rn. 8, zitiert nach juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG und des BGH).

Ob diese Grundsätze auch für ein unzuständiges Gericht gelten, das - wie hier das Landgericht - vorher nicht mit der Sache befasst worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 2001, 1343) ausdrücklich offen gelassen; die Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, würde dies dem Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die fristgerechte Weiterleitung der beim Landgericht eingegangenen Berufungsschrift an das Oberlandesgericht konnte nicht ohne weiteres erwartet werden. Das gilt unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles trotz des Umstandes, dass zwischen dem Eingang der Berufung beim Landgericht und dem Ablauf der Berufungsfrist ein Zeitraum von sieben Tagen lag.

Es ist weder von der Klägerin glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 ZPO) noch sonst ersichtlich, dass dem Beamten der Vorschaltstelle des Landgerichts die Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG bekannt war. Sie musste ihm auch nicht bekannt sein. Die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung, zu der die Zuständigkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG gehört, ist nach § 522 Abs. 1 ZPO die Aufgabe des Gerichts in Gestalt der Richter, nicht die der Geschäftsstellenbeamten. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts war für den Beamten der Vorschaltstelle des Landgerichts auch keineswegs "leicht und einwandfrei" (BVerfG NJW 2002, 3692 f.) zu erkennen, da die Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ohne nähere Kenntnis des Regelungszwecks ungewöhnlich ist (BGH a.a.O., Rn. 10). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Beamte der Vorschaltstelle bereits der Berufungsschrift sicher entnehmen konnte, dass die Klägerin schon im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit ihren allgemeinen Gerichtsstand außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Eine Weiterleitung der Berufungsschrift an das zuständige Oberlandesgericht konnte grundsätzlich erst nach Eingang der Akten, an Hand derer das Landgericht seine Zuständigkeit überprüfen konnte (vgl. zuletzt BGH vom 18.3.2008 - VIII ZB 4/06, NJW 2008, 1890 f, Rn. 12, zitiert nach juris), allenfalls ausnahmsweise bei Vorlage an die Kammervorsitzende erwartet werden. Diese ist frühestens am 15.7.2008 - nach Eingang bei der Geschäftsstelle der 2. Zivilkammer - erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist indessen bereits abgelaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO festgesetzt.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.