Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 12. Okt. 2005 - 5 U 82/05 - 9

bei uns veröffentlicht am12.10.2005

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das am 18.01.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken, Az.: 14 O 445/03, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 2) zu jeweils 24 % und dem Kläger zu 3) zu 52 % zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 117.292,19 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger nehmen die Beklagte als Bezugsberechtigte aus insgesamt drei Lebensversicherungsverträgen in Anspruch, die der Versicherungsnehmer in den Jahren 1996 und 1999 abgeschlossen hat. Bei der Klägerin zu 1) handelt es sich um die Ehefrau des Versicherungsnehmers, bei dem Kläger zu 2) um dessen Sohn und bei dem Kläger zu 3) um dessen Vater.

Dem ersten Versicherungsvertrag lag ein Antrag des Versicherungsnehmers vom 01.06.1996 (Bl. 21 f. d.A.) auf Abschluss einer Risikolebensversicherung mit einer Todesfallsumme in Höhe von 100.000,- DM zugrunde; nach einer einmaligen Erhöhung auf der Grundlage des Dynamikplans belief die Versicherungssumme sich auf 55.288,- EUR (Bl. 25 d.A.). Bezugsberechtigte dieses unter der Vertragsnummer OOOO zustande gekommenen Versicherungsvertrages sind ausweislich des Nachtrags zum Versicherungsschein vom 18.11.2000 die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) zu gleichen Teilen.

Mit einem weiteren Antrag vom 03.09.1996 (Bl. 27 f. d.A.) beantragte der Versicherungsnehmer bei der Beklagten darüber hinaus den Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung, die mit Versicherungsschein vom 31.10.1996 (Bl. 30 d.A.) unter der Nr. OOO 1 zustande kam und mit Nachtrag zum Versicherungsschein vom 15.08.2000 dynamisiert wurde. Als Bezugsberechtigter dieses Vertrages mit einer Todesfallsumme von 31.852,80 EUR (Bl. 42 d.A.) war der Kläger zu 3) bestimmt.

Auf der Grundlage eines Antrags des Versicherungsnehmers vom 26.02.1999 (Bl. 44 d.A.) wurde schließlich eine weitere kapitalbildende Lebensversicherung mit einer Todesfallsumme von 104.522,- DM - bei Eintritt des Versicherungsfalls 53.789,54 EUR (Bl. 42 d.A.) - abgeschlossen, über den die Beklagte am 23.04.1999 den Versicherungsschein mit der Nr. OOO2 erteilte. Der Kläger zu 3) ist auch Bezugsberechtigter dieses Vertrages.

Die den Anträgen des Versicherungsnehmers zugrunde liegenden Antragsformulare enthielten in der Rubrik "Gesundheitserklärung der zu versichernden Person" - unter anderem - folgende Fragen:

Ziffer 1: "Leiden oder litten Sie an Krankheiten , Störungen oder Beschwerden (z.B. Herz oder Kreislauf, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Wirbelsäule, Nerven, Psyche, Blut, Zucker, Fettstoffwechsel, Geschwülste oder sonstige Krankheiten)? Wann, woran, wie lange, Folgen?".

Ziffer 3: "Sind Sie untersucht, beraten, behandelt oder operiert worden? Wann und weshalb, beanspruchte Ärzte?"

Ziffer 8: "Welcher Arzt ist über Ihre Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichtet (z.B. Hausarzt )?

In seinem ersten Antrag vom 01.06.1996 (Bl. 22 d.A.) beantwortete der Versicherungsnehmer die Frage zu Ziffer 1 mit "nein", machte aber in dem zur Ziffer 1 gehörenden Erläuterungsfeld des Formulars die Angabe "1983 Darminfektion 2-3 Wochen, siehe Nr. 3". Die zu Ziffer 3 gestellte Frage nach ärztlichen Behandlungen bzw. Beratungen bejahte er und führte hierzu näher aus "Routineuntersuchungen Dr. H. F. ...". Auf die nach dem über seine Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichteten Arzt gerichtete Frage unter Ziffer 8 gab er ebenfalls Herrn Dr. F. an. Mit Schreiben vom 19.06.1996 (Bl. 52 d.A.) bat die Beklagte den Versicherungsnehmer um ergänzende Angaben zu Ursachen, Behandlung und Folgen der von diesem angegebenen Darminfektion. Der Versicherungsnehmer ergänzte das ihm rückübersandte Antragsformular am 26.06.1996 zu Ziffer 1 durch die Einfügung des Begriffes "Colitis" und im Übrigen auf die konkreten Nachfragen wie folgt: zu a) Ursache: "unbekannt", zu b) wie behandelt?: "Krankenhaus W. mit Medikamenten" und zu c) Folgen: "ausgeheilt siehe Dr. F." (Bl. 24 d.A.).

Am 05.07.1996 fragte ein Mitarbeiter der Beklagten nochmals telefonisch bei dem Versicherungsnehmer nach. Während dieses Telefonats, dessen Einzelheiten streitig sind, bestätigte der Versicherungsnehmer nochmals, dass die Darminfektion ausgeheilt sei.

In dem Antragsformular zu dem Antrag vom 03.09.1996 (Bl. 27 f. d.A.) bejahte der Versicherungsnehmer die Frage zu Ziffer 1 und gab hierzu erläuternd an "1983 Darminfektion (Colitis) 2-3 Wochen Ursache: unbek. Krankenhaus W. ausgeheilt siehe Antrag Risiko -LV Police C. OOOO". Die Frage zu Ziffer 3 bejahte er ebenfalls und gab auch hier und unter Ziffer 8 als den über seine Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichteten Arzt "Dr. H. F. (mit Anschrift)" an. Von Seiten der Beklagten wurden hierzu keine Nachfragen gestellt.

Die Angaben zur Gesundheitserklärung in dem Antrag vom 26.02.1999 (Bl. 45 d.A.) stimmten mit denjenigen in dem Antrag vom 03.09.1996 überein. Mit Schreiben vom 26.03.1999 (Bl. 189 d.A.) bat die Beklagte den Versicherungsnehmer auch insoweit um ergänzende Angaben, diesmal betreffend die Frage zu Ziffer 3 nach den Einzelheiten der ärztlichen Behandlungen bzw. Beratungen. Die konkreten Rückfragen der Beklagten - wann?, weshalb?, Befund? - beantwortete der Versicherungsnehmer wie folgt: "Februar 1999", "Routineuntersuchung" und "Zustand nach Colitis u. Bänderzerrung rechter Fuß" (Bl. 191 d.A.).

Tatsächlich litt der Versicherungsnehmer an einer colitis ulcerosa, einer chronischen Entzündung des Dickdarms, wegen der er sich bereits seit seinem Krankenhausaufenthalt im Jahr 1983 regelmäßig in ärztlicher Behandlung bei seinem Hausarzt, Herrn Dr. F., befand. In den Jahren 1984 und 1986 fanden Darmspiegelungen statt, deren Ergebnisse die Diagnose der colitis ulcerosa bestätigten. Die Anzahl der Arztbesuche stieg seit Anfang der 90er Jahre auf nahezu 60 Besuche im Jahr 1994. In den Jahren 1995 und 1996 belief die Anzahl der Arztbesuche sich jeweils auf 38; in den Folgejahren von 1997 bis 1999 lag sie jährlich zwischen 30 aufwärts bis über 50. Ausweislich der Patientenkartei des Dr. F. (Bl. 97-172 d.A.) litt der Versicherungsnehmer regelmäßig an einem „colon irritabile“. In dem Zeitraum von 1990 bis 1999 wurden dem Versicherungsnehmer zur Therapie neben anderen Medikamenten monatlich das Medikament "Azulfidine" sowie das unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Mittel "opii simplex" verordnet, die typischerweise bei einer colitis ulcerosa eingesetzt werden.

Nachdem der Versicherungsnehmer am 06.03.2003 ausweislich des ärztlichen Zeugnisses vom 12.05.2003 (Bl. 86 ff. d.A.) an einem Dickdarmkarzinom verstorben war, haben die Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 24.03.2003 den Eintritt des Versicherungsfalls angezeigt und die vertraglich vereinbarten Leistungen aus den Versicherungsverträgen geltend gemacht. Mit den Schreiben vom 18.06.2003 (Bl. 55 ff. und 59 ff. d.A.) lehnte die Beklagte die Versicherungsleistung nach Leistungsprüfung ab und erklärte gegenüber den Klägern die Anfechtung der Versicherungsverträge, da der Versicherungsnehmer durch das Verschweigen seiner Erkrankung und der Behandlungen die ihm obliegende Anzeigepflicht verletzt und die Beklagte durch seine falschen Angaben wissentlich und willentlich getäuscht habe.

Die Kläger haben vorgetragen, dass der Versicherungsnehmer die beiden Versicherungsverträge aus dem Jahr 1996 wegen des privaten Hausbauprojektes abgeschlossen habe, um seine Familie vor dem besonderen Risiko zu schützen, das sich aus den hiermit verbundenen finanziellen Verpflichtungen ergeben habe. Der Abschluss des Versicherungsvertrages aus dem Jahr 1999 sei zu Finanzierungszwecken im Hinblick auf die Anschaffung eines LKW für die Speditionsfirma des Versicherungsnehmers erfolgt. Die unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben des Versicherungsnehmers haben die Kläger damit erklärt, dass dieser als dissimulierender Patient seine Erkrankung und deren Symptome verdrängt und sich gesund gefühlt habe. Die colitis sei über Jahre weg stabil gewesen und habe kaum behandelt werden müssen; der Versicherungsnehmer habe hieraus kein lebensbedrohliches Risiko für sich abgeleitet, sondern sich vielmehr als mitten im Leben stehend empfunden. So habe er nach seiner Heirat im Jahr 1998 eine Familie gegründet. Seiner beruflichen Tätigkeit sei er über die Jahre hinweg voll nachgegangen und habe noch im Jahr 1999 den elterlichen Speditionsbetrieb übernommen. Dennoch habe er durch die Verwendung des Begriffs „colitis“ in den - ergänzten - Antragsformularen seine Erkrankung gegenüber der Beklagten offen gelegt; von dem Versicherungsnehmer als medizinischem Laien könne die zutreffende und vollständige Verwendung des medizinischen Fachbegriffs „colitis ulcerosa“ nicht erwartet werden. Bereits hierdurch sei die Beklagte über die potentiellen Gesundheitsrisiken hinreichend informiert gewesen. Wie die von dem Versicherungsnehmer gefertigte Gesprächsnotiz (Bl. 53 d.A.) zeige, habe dieser gegenüber dem Mitarbeiter der Beklagten anlässlich des Telefonats vom 05.07.1996 im Übrigen nicht nur nochmals erklärt, dass die Erkrankung aus dem Jahr 1983 ausgeheilt sei. Er habe vielmehr ausdrücklich noch hinzugefügt, er sei kein Mediziner; die Beklagte könne sich ja bei seinem Arzt, Herrn Dr. F., erkundigen. Des Weiteren habe er die Nachfrage nach Beschwerden zwar verneint, gleichzeitig aber angegeben, noch „Medikamente, Mineraltablette etc.“ zu bekommen. Bei dieser Sachlage habe es der Beklagten oblegen, nicht erst bei Eintritt des Versicherungsfalls, sondern schon vor Abschluss der Versicherungsverträge weitere Erkundigungen bei dem benannten Arzt einzuholen. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Beklagten um eine Direktversicherung handele, die nicht mit einem Außendienst arbeite, so dass die Vertragsbeziehung im Wesentlichen im Schriftverkehr zustande komme und gestaltet werde, treffe die Beklagte gegenüber den Versicherungsnehmern sogar eine erhöhte Risikoüberprüfungspflicht. Weil die Beklagte dieser Obliegenheit vor Vertragsschluss nicht nachgekommen sei, sei ihr Anfechtungsrecht jedenfalls nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Dem ist die Beklagte entgegen getreten und hat die Ansicht vertreten, ihrer Überprüfungsobliegenheit durch die schriftlichen und telefonischen Nachfragen in hinreichendem Maße nachgekommen zu sein. Da es nach den ergänzenden schriftlichen und mündlichen Angaben des Versicherungsnehmers an Anhaltspunkten dafür gefehlt habe, dass dessen Angaben unrichtig bzw. unvollständig sein könnten, habe sie keine Veranlassung gehabt, diese durch weitere Nachfragen bei dem angegebenen Arzt zu überprüfen. Insbesondere habe der Versicherungsnehmer ausweislich der Gesprächsnotiz ihres Mitarbeiters (Bl. 182 d.A.) anlässlich des Telefonats vom 05.07.1996 auf Nachfrage lediglich erklärt, dass die Erkrankung folgenlos ausgeheilt und die Routineuntersuchungen ohne Befund verlaufen seien. Unter diesen Umständen sei nicht nachvollziehbar, dass der Versicherungsnehmer zugleich von einer fortdauernden medikamentösen Behandlung gesprochen haben solle, da dies zu den übrigen unstreitigen Äußerungen in evidentem Widerspruch stehe. Die Gesprächsnotiz des Versicherungsnehmers sei offensichtlich in Erwartung einer juristischen Auseinandersetzung gefertigt worden. Bei Kenntnis der Erkrankung hätte sie die Anträge des Versicherungsnehmers keinesfalls uneingeschränkt angenommen; wie sich der einschlägigen Fachliteratur entnehmen lasse (u.a. Roche-Lexikon Medizin), steige je nach Dauer und Ausdehnung der colitis ulcerosa das Risiko der Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms. Im Übrigen sei es den Klägern wegen des arglistigen Verhaltens des Versicherungsnehmers verwehrt, sich auf eine Verletzung der Risikoprüfungsobliegenheit des Versicherers zu berufen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte infolge der wirksamen Anfechtung der Versicherungsverträge wegen arglistiger Täuschung (§§ 22 VVG und § 123 Abs. 1 BGB) leistungsfrei sei. Der Versicherungsnehmer habe die Gesundheitsfragen in den Antragsformularen der Beklagten objektiv unvollständig und unzutreffend beantwortet, damit gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht bei Vertragsschluss verstoßen und die Beklagte arglistig über seinen Gesundheitszustand getäuscht. Demgegenüber sei die Beklagte ihren Nachfrageobliegenheiten in hinreichendem Maße nachgekommen, so dass es nicht darauf ankomme, ob den Klägern im Hinblick auf das arglistige Verhalten des Versicherungsnehmers schon die Berufung auf den aus Treu und Glauben abgeleiteten Einwand der Verletzung der Nachfrageobliegenheit verwehrt sein müsse.

Hiergegen wenden die Kläger sich mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Zahlungsansprüche - abzüglich der an den Kläger zu 3) zwischenzeitlich erstatteten Prämienreserven gemäß § 176 VVG und der zuviel gezahlten Beiträge für den Monat April 2003 (Bl. 57 d.A.) - weiterverfolgen. Sie rügen, dass das Landgericht die Arglist des Versicherungsnehmers zu Unrecht bejaht habe. Insoweit sei der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt worden. Insbesondere habe das Landgericht die von den Klägern - zu der Einstufung des Versicherungsnehmers als dissimulierenden Patienten - beantragte Vernehmung des behandelnden Arztes als sachverständigen Zeugen in verfahrensfehlerhafter Weise unterlassen. Dieser sei auch als Zeuge dafür benannt worden, dass die Erkrankung des Versicherungsnehmers über Jahre hinweg stabil gewesen sei und kaum habe behandelt werden müssen, ferner dafür, dass der Versicherungsnehmer in seiner Erkrankung kein lebensbedrohliches Risiko gesehen habe. Diese Beweisangebote blieben nach wie vor aufrechterhalten. Auch fehle es an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der angeblichen Täuschung und der Annahmeerklärung der Beklagten. Schließlich halten sie an ihrer Auffassung fest, dass aufgrund der Angaben des Versicherungsnehmers eine weitergehende Risikoüberprüfung von Seiten der Beklagten geboten gewesen sei, so dass dieser nunmehr infolge der Unterlassung der Überprüfung eine Berufung auf das Anfechtungsrecht nach Treu und Glauben verwehrt sein müsse.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18.01.2005, Az.: 14 O 445/03, dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) jeweils 27.644,- EUR und an den Kläger zu 3) noch weitere 62.004,19 EUR zu bezahlen, zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz liegender Zinsen hieraus seit dem 18.06.2003.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Den Klägern stehen keine Leistungen aus den bei der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen zu, weil die Beklagte die Verträge wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB.

1.

Von einer arglistigen Täuschung ist auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer wissentlich falsche Angaben macht oder gefahrerhebliche Umstände verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2004 - IV ZR 161/03 - VersR 2004, 1297, 1298 a.E.; Urt. v. 20.11.1990 - IV ZR 113/89 - NJW-RR 1991, 411 f.; Senat, Urt. v. 08.10.2004 - 5 U 736/03 - NJW-RR 2005, 334 f.; Urt. v. 30.06.2004 - 5 u 656/03 - OLGR 2004, 592 ff.; Urt. v. 05.12.2001 - 5 U 568/01-39 - VersR 2003, 890, 891).

Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken. Dem Versicherer obliegt daher der Nachweis, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe seiner unrichtigen Angaben zumindest mit bedingtem Vorsatz auf den Willen des Versicherers einwirken wollte. Auf ein solches Bewusstsein des Versicherungsnehmers als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Sie können sich aus Art, Umfang und Bedeutung der unrichtigen Angaben, aus der Persönlichkeit des Täuschenden, aus dessen Bildungsstand, aus den besonderen Umständen bei der Antragstellung und aus der Art der gestellten Fragen sowie aus der Art der in Frage stehenden Versicherung ergeben (vgl. Senat, Urt. v. 05.12.2001 - 5 U 568/01-39 - VersR 2003, 890, 891; Urt. v. 19.05.1993 - 5 U 56/92 - VersR 1996, 488 ff.). So spricht für ein arglistiges Verhalten eines Versicherungsnehmers, wenn er schwere, chronische oder schadengeneigte oder immer wieder auftretende zahlreiche oder dauerhafte Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt oder solche, die zu erheblichen Einschränkungen seines Alltags geführt haben oder die ihm offensichtlich erheblich für das versicherte Risiko erschienen sein mussten (Senat, Urt. v. 30.06.2004 - 5 U 656/03-60 - OLGR Saarbrücken 2004, 592 ff.; Urt. v. 19.05.1993 - 5 U 56/92 - VersR 1996, 488 ff.; OLG Koblenz, NVersZ 2001, 503 f.). Dasselbe gilt für die Angabe einer belanglosen Erkrankung bei Verschweigen einer belangvollen oder für die Angabe einer länger zurückliegenden und das Verschweigen einer aktuellen Krankheit (vgl. Senat, Urt. v. 19.05.1993 - 5 U 56/92 - VersR 1996, 488 ff.).

a.

Der Versicherungsnehmer hat bei den Antragstellungen objektiv unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht.

So hat er die Beklagte getäuscht, indem er auf die in den Antragsformularen gestellten Fragen nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden lediglich angegeben hat, im Jahr 1983 für die Dauer von zwei bis drei Wochen an einer - auf schriftliche Nachfrage der Beklagten als "colitis" konkretisierten - Darminfektion gelitten zu haben, die zwar im Krankenhaus mit Medikamenten habe behandelt werden müssen, jedoch folgenlos ausgeheilt sei; letztere Angabe hat er auf telefonische Rückfrage eines Mitarbeiters der Beklagten am 05.07.1996 nochmals bekräftigt. Des Weiteren hat er diese durch die Angabe getäuscht, sich lediglich "Routineuntersuchungen" unterzogen zu haben. Bei der Antragstellung vom 26.02.1999 hat er die Beklagte darüber hinaus auch insoweit getäuscht, als er auf deren Nachfrage nach den Einzelheiten ärztlicher Behandlungen bzw. Beratungen lediglich eine als "Routineuntersuchung" bezeichnete ärztliche Behandlung im Februar 1999 angegeben hat, als deren Befund sich "Zustand nach Colitis u. Bänderzerrung rechter Fuß" ergeben habe.

Damit hat der Versicherungsnehmer verschwiegen, dass er tatsächlich an einer bereits in den Jahren nach dem Krankenhausaufenthalt im Jahr 1983 diagnostizierten colitis ulcerosa, einer in Schüben verlaufenden und mit erheblichen Beschwerden verbundenen Entzündung der Dickdarmschleimhaut, gelitten hat, die in der Folge keineswegs ausgeheilt war, sondern vielmehr jedenfalls seit Anfang der 90er Jahre ständiger ärztlicher Behandlung und Therapierung mit - teilweise unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden - Medikamenten bedurfte. Darüber hinaus hat er verschwiegen, dass er regelmäßig an einem "colon irritabile", dem sogenannten Reizdarm, gelitten hat.

b.

Dies ist arglistig geschehen.

Bei der colitis ulcerosa handelt es sich um eine schwere chronische Erkrankung, wegen der der Versicherungsnehmer sich bereits in den letzten sechs bzw. neun Jahren vor den Antragstellungen ständig - meist mehrmals monatlich, phasenweise wöchentlich oder gar mehrmals wöchentlich - in ärztliche Behandlung begeben musste, und die eine durchgängige medikamentöse Behandlung erforderlich machte. Selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer dazu geneigt haben sollte, seine chronische Erkrankung zu verdrängen, so musste ihm bei dieser Sachlage dennoch bewusst gewesen sein, an einer schwerwiegenden Erkrankung zu leiden. Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn die Erkrankung des Versicherungsnehmers tatsächlich in Schüben verlaufen sein und phasenweise kaum einer Behandlung bedurft haben sollte. Allein für das Jahr 1996 weisen die Krankenunterlagen des behandelnden Hausarztes des Versicherungsnehmers 38 Einträge auf; bis zur ersten Antragstellung am 01.06.1996 fanden vierzehn Arztbesuche statt; ein Arztbesuch fiel sogar auf den 05.07.1996, den Tag des Telefonats des Versicherungsnehmers mit dem Mitarbeiter der Beklagten. Im Jahr 1999 finden sich bis zur Antragstellung am 26.02.1999 zwölf Eintragungen in den Patientenunterlagen, von denen eine auf den 26.02.1999 selbst fiel. Unter diesen Umständen konnte es selbst einem dissimulierenden Patienten nicht gelingen, die schwere Erkrankung als belanglos zu verharmlosen oder gar vollständig zu verdrängen; vielmehr musste sich selbst ein solcher Patient bewusst sein, dass derart gravierende Umstände für die Risikobeurteilung des Versicherers eine maßgebliche Rolle spielen.

Die Annahme eines Täuschungswillens des Versicherungsnehmers entfällt hier auch nicht deshalb, weil dieser - im Zusammenhang mit der für das Jahr 1983 angegebenen Erkrankung - gegenüber der Beklagten den Begriff "colitis" verwandt hat. Es ist zwar richtig, dass die zutreffende und vollständige Verwendung des medizinischen Fachbegriffs "colitis ulcerosa" von einem medizinischen Laien nicht unbedingt erwartet werden kann. Jedoch wäre es dem Versicherungsnehmer ohne weiteres möglich gewesen, Art und Umfang seiner Erkrankung und der hiermit zweifellos verbundenen erheblichen Beschwerden in seinen eigenen Worten zu beschreiben. Dass er hierzu verpflichtet gewesen wäre, muss ihm auch deswegen bewusst gewesen sein, weil das Antragsformular der Beklagten zu Ziffer 1 nicht nur nach Erkrankungen oder Störungen, sondern ausdrücklich auch nach Beschwerden fragte. Die Umschreibung der Gesundheitsbeeinträchtigungen mit "Krankheiten, Störungen oder Beschwerden" verdeutlicht ferner, dass nicht nur Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht erfragt werden, sondern auch solche, die sich nicht bereits als Schaden oder Krankheit darstellen, sondern nur als Störungen oder Beschwerden zu bezeichnen sind. Danach ist der Versicherungsnehmer gehalten, sämtliche Beschwerden und Symptome anzugeben, ohne diese zu bagatellisieren. Dabei darf er sich weder auf die Angabe von Gesundheitsbeeinträchtigungen von erheblichem Gewicht beschränken, noch sonst eine wertende Auswahl treffen. Diese weit gefasste Offenbarungspflicht findet ihre Grenze erst bei offenkundig belanglosen oder bei alsbald vergehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen. Sie beruht auf dem Umstand, dass ohne eine ärztliche Diagnose oder vor einer solchen die Symptome oder Beschwerden selbst den gefahrrelevanten Umstand darstellen; bereits ihr Vorhandensein kann die Entscheidung des Versicherers beeinflussen (vgl. BGH, Urt. v. 02.03.1994 - IV ZR 99/93 - VersR 1994, 711 ff.; Senat, Urt. v. 08.09.2004 - 5 U 25/04 - OLGR Saarbrücken, 341 ff.; OLG Koblenz, VersR 1996, 1222 ff.; Berliner Kommentar zum VVG/Voit, § 16, Rdn. 47 ff. m.w.N.). Auch wenn der Versicherungsnehmer seinen Beschwerden keinen Krankheitswert beigemessen haben sollte, so wäre er auch unter diesem Gesichtspunkt zur Angabe der vorhandenen Beschwerden verpflichtet gewesen. Dies musste ihm aufgrund der Formulierung des Antragsformulars auch bewusst gewesen sein. Entgegen der Ansicht der Kläger hat das Landgericht daher zu Recht von der beantragten Vernehmung des Hausarztes abgesehen.

Hinzu kommt, dass der Versicherungsnehmer nicht nur eine zutreffende Umschreibung seiner Erkrankung und seiner Beschwerden unterlassen, sondern statt dessen durch seine weiteren unrichtigen und unvollständigen Angaben den Eindruck erweckt hat, dass es sich um eine folgenlos ausgeheilte Erkrankung gehandelt habe. Auch ist die Angabe von „Routineuntersuchungen“ in dem ersten Antrag vom 01.06.1996 nicht nur objektiv falsch, da tatsächlich eine fortlaufende ärztliche Behandlung bzw. Kontrolle einer schwerwiegenden Erkrankung stattgefunden hat. Die Angabe lässt auch in keiner Weise erkennen, dass die ärztlichen Untersuchungstermine in weit überwiegender Anzahl mit der chronischen Erkrankung des Versicherungsnehmers zusammen hingen. Vielmehr weckt die Verwendung des Begriffs "Routineuntersuchungen" - gerade in Verbindung mit der fehlenden Angabe einer aktuellen Erkrankung oder aktueller Beschwerden - den Eindruck, dass es sich um Vorsorgeuntersuchungen gehandelt habe, denen sich auch gesunde Menschen regelmäßig unterziehen. Ebenso objektiv unrichtig und bewusst irreführend sind die ergänzenden Angaben des Versicherungsnehmers zu den Nachfragen der Beklagten betreffend die Einzelheiten der ärztlichen Behandlungen bzw. Beratungen im dritten Antrag vom 26.02.1999. Insoweit hat der Versicherungsnehmer lediglich eine ärztliche Behandlung im Februar 1999 angegeben, bei der es sich um eine „Routineuntersuchung“ mit dem Befund "Zustand nach colitis u. Bänderzerrung rechter Fuß" gehandelt habe; tatsächlich hatten bis zum Tag der Antragstellung im Jahr 1999 bereits zwölf Behandlungen stattgefunden.

Wer derart gravierende gefahrerhebliche Umstände nicht vollständig offenbart und statt dessen lediglich eine bereits viele Jahre zurückliegende - und angeblich ausgeheilte - Erkrankung vortäuscht, ist sich bewusst, dass er damit Einfluss auf die Annahmeentscheidung des Versicherers nimmt und will dies auch.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Versicherungsnehmer Herrn Dr. F. in den Antragsformularen sowohl zu Ziffer 3 bei der Frage nach ärztlichen Untersuchungen bzw. Behandlungen als auch zu Ziffer 8 als den am besten über seine Gesundheitsverhältnisse unterrichteten Arzt angegeben hat. Denn die Angabe eines Hausarztes vermag die Arglist jedenfalls dann nicht auszuräumen, wenn - wie hier - zugleich vorhandene Krankheiten, Störungen oder Beschwerden verschwiegen werden (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2001 - IV ZR 254/00 - NVersZ 2001, 306, 307; Senat, Urt. v. 30.06.2004 - 5 U 656/03-60 - OLGR Saarbrücken 2004, 592 ff.; Urt. v. 05.12.2001 - 5 U 568/01-39 - VersR 2003, 890 ff.). Da ein Hausarzt auch wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen in Anspruch genommen wird, die belanglos oder schnell vergänglich und daher für die Risikoprüfung des Versicherers nicht von Interesse sind, kann die Angabe des Hausarztes bei gleichzeitiger Verneinung der Gesundheitsfragen die Irreführung des Versicherers vielmehr umgekehrt sogar verstärken. Denn auf diese Weise wird der Schein erzeugt und verstärkt, der Versicherer könne sich auf die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers verlassen, weil dieser ihm sogar eine neutrale Informationsquelle benennt. Eine andere Bewertung ergibt sich selbst dann nicht, wenn man das - bestrittene - Vorbringen der Kläger zugrunde legt, der Versicherungsnehmer habe anlässlich des Telefonats mit dem Mitarbeiter der Beklagten am 05.07.1996 ausdrücklich erklärt, die Beklagte könne sich bei seinem Arzt, Herrn Dr. F., erkundigen; er selbst sei kein Mediziner. Im Zusammenhang mit der unstreitig zugleich abgegebenen, objektiv unrichtigen Bestätigung, die Erkrankung aus dem Jahr 1983 sei folgenlos ausgeheilt, er habe keine Beschwerden mehr, ist auch dieser Verweis auf den Hausarzt eher geeignet, bei der Beklagten den Anschein einer besonderen Verlässlichkeit der Gesundheitsangabe des Versicherungsnehmers hervorzurufen und diese von einer Nachfrage bei dem Arzt gerade abzuhalten.

Gegen eine arglistige Täuschung spricht hinsichtlich des dritten Versicherungsvertrages schließlich auch nicht der Umstand, dass der Versicherungsnehmer diesen lediglich zu Finanzierungszwecken abgeschlossen haben soll. Ein Vertragsabschluss zu Kredit- bzw. Finanzierungszwecken rechtfertigt nämlich nicht den Schluss, dass es dem Versicherungsnehmer nicht ernsthaft auf den Abschluss des Vertrags angekommen sei, mit der Folge, dass die Arglist entfalle (vgl. BGH, Urt. v. 07.10.1992 - IV ZR 224/91 - VersR 1993, 170 f.).

2.

Die Anfechtung der Versicherungsverträge ist auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen Verletzung einer Nachfrageobliegenheit der Beklagten ausgeschlossen.

Allerdings geht die Rechtsprechung zu Recht davon aus, dass den Versicherer eine Nachfrageobliegenheit trifft, wenn ein Versicherungsinteressent auf die Antragsfragen im Anbahnungsbereich des Versicherungsvertrages unrichtige, unklare, lückenhafte oder widersprüchliche Angaben macht, die erkennen lassen, dass er möglicherweise noch nicht alle für die Prüfung der Risikoübernahme bedeutsamen Umstände - verschuldet oder unverschuldet - offenbart hat, so dass ohne ergänzende Rückfragen eine sachgerechte Risikoprüfung nicht erfolgen kann. In diesem Fall wird es dem Versicherer - nach dem zunächst für das Rücktrittsrecht entwickelten Institut der Nachfrageobliegenheit - nach Treu und Glauben versagt, sich bei Eintritt des Versicherungsfalls im Hinblick auf die unklaren oder unvollständigen Angaben des Versicherungsinteressenten auf sein Rücktrittsrecht zu berufen; er darf seinen Rücktritt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) also nicht auf solche Umstände stützen, die er bei einer gebotenen Nachfrage erfahren hätte (vgl. BGH, Urt. v. 25.03.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603 f.; Urt. v. 02.11.1994, IV ZR 201/93 - VersR 1995, 80 ff.; OLG Frankfurt, NVersZ 2001, 115 ff.; Senat, st. Rspr., zuletzt Urt. v. 01.12.2004 - 5 U 244/02- VersR 2005, 533 ff.). Dahinter steht die Überlegung, dass der Versicherer die ihm durch die gesetzlichen Anzeigeobliegenheiten des Versicherungsnehmers eingeräumte Möglichkeit, das Risiko vor Vertragsschluss zu überprüfen, nicht beliebig hinter den Vertragsschluss zurückstellen, insbesondere nicht auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles verlagern darf; er darf den Versicherungsinteressenten nicht trotz erkennbarer Unsicherheiten vertraglich binden und sich zugleich für den Eintritt des Leistungsfalls (innerlich) den Rücktritt vom Versicherungsvertrag vorbehalten (vgl. BGH, Urt. v. 25.03.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603 f.; OLG Düsseldorf, zfs 2003, 77 f.; OLG Hamm, VersR 2002, 342 ff.; OLG Frankfurt, NVersZ 2001, 115 ff.).

Die Beklagte ist allerdings ihrer Nachfrageobliegenheit zunächst bereits dadurch nachgekommen, dass sie die Angaben in dem ersten Antrag des Versicherungsnehmers zum Anlass genommen hat, diesen um ergänzende Angaben zur Ursachen, Behandlung und Folgen der angegebenen Darminfektion zu bitten. Nachdem der Versicherungsnehmer diese als „colitis“ bezeichnet hatte, die ausgeheilt sei, hat die Beklagte über einen Mitarbeiter nochmals telefonisch nachgefragt. Da der Versicherungsnehmer auch anlässlich dieses Telefonats unstreitig bekräftigt hatte, dass die Erkrankung ausgeheilt sei, bestand für die Beklagte jedenfalls insoweit keine Veranlassung mehr, die eindeutigen Angaben des Versicherungsnehmers noch durch eine Nachfrage bei dem von diesem angegebenen Arzt zu überprüfen. Allein der Verweis auf den Hausarzt löst bei gleichzeitiger Verneinung von Erkrankungen und Beschwerden eine Obliegenheit zur Nachfrage in keinem Falle aus (vgl. Senat, Urt. v. 05.12.2001 - 5 U 568/01-39 - VersR 2003, 890 ff.). Nichts anderes kann gelten, wenn der Versicherungsnehmer seine Erkrankung - wie hier - als ausgeheilt bezeichnet. Ebenso ist auch die Nachfrage der Beklagten zu dem dritten Antrag des Versicherungsnehmers zu werten. Nachdem der Versicherungsnehmer zu der Frage nach ärztlichen Behandlungen bzw. Beratungen lediglich eine Routineuntersuchung im Februar 1999 und als Befund „Zustand nach colitis u. Bänderzerrung rechter Fuß“ angegeben hatte, musste die Beklagte annehmen, dass es insoweit bei dieser einen Untersuchung und einer ausgeheilten Erkrankung - „Zustand nach colitis und Bänderzerrung“ - sein Bewenden hatte. Objektive Anhaltspunkte für weitere Nachfragen ergaben sich hieraus nicht.

Mehr kann von der Beklagten entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht im Hinblick darauf verlangt werden, dass es sich bei ihr um einen Direkt-Versicherer handelt. Die Beklagte hat durch ihre fernmündliche Nachfrage gerade unter Beweis gestellt, dass sie etwaige Nachteile des Fehlens eines unmittelbaren persönlichen Kontakts zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer dadurch ausgleicht, dass sie im Bedarfsfalle - wenn auch telefonisch - den persönlichen Kontakt herstellt; dieselbe Möglichkeit steht umgekehrt auch dem Versicherungsnehmer jederzeit offen.

Eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit kommt demnach überhaupt nur dann in Betracht, wenn man den - streitigen - Inhalt der Gesprächsnotiz des Versicherungsnehmers zu dem Telefonat mit dem Mitarbeiter der Beklagten am 05.07.1996 als richtig unterstellt, auch wenn hieran erhebliche Zweifel schon deshalb bestehen, weil eine solche gründliche Vorgehensweise zu den übrigen knappen und unvollständigen Angaben des Versicherungsnehmers in Widerspruch steht, und deshalb die Annahme viel näher liegen dürfte, dass der Versicherungsnehmer durch die unzutreffende Wiedergabe des Gesprächsinhalts seine Angehörigen gegen spätere Einwände der Beklagten absichern wollte. Ob die Beklagte bei Zugrundelegung der Gesprächsnotiz des Versicherungsnehmers angesichts der widersprüchlichen Angaben - die Angabe einer folgenlos ausgeheilten Erkrankung einerseits und die Angabe einer fortdauernden Medikation andererseits - die Obliegenheit zu weiteren Erkundigungen getroffen hätte, kann aber offen bleiben.

Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, so wäre der Beklagten die Berufung auf ihr Anfechtungsrecht nunmehr nach Eintritt des Versicherungsfalls nicht nach Treu und Glauben versagt (so aber BGH, Urt. v. 25.03.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603 f.; KG, VersR 1998, 1362; Prölss/Martin, Kommentar zum VVG, 27. Aufl., § 22, Rdn. 8; §§16, 17, Rdn. 25).

Der Senat schließt sich ausdrücklich der in der Rechtsprechung zunehmend vertretenen Auffassung an, wonach der das Rücktritts- oder Anfechtungsrecht zu Fall bringende Einwand der Verletzung einer Nachfrageobliegenheit dann nicht durchgreift, wenn der Versicherungsinteressent seine unrichtigen, unvollständigen oder widersprüchlichen Angaben nicht nur schuldhaft, sondern arglistig abgegeben hat (vgl. OLG Düsseldorf, zfs 2003, 77 f.; OLG Hamm, VersR 2002, 342 ff.; OLG Frankfurt, NVersZ 2001, 115 ff.; jeweils noch offen gelassen mangels Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage in BGH, Beschl. v. 10.09.2003 - IV ZR 198/02 - zfs 2004, 73 f.; Urt. v. 10.10.2001 - IV ZR 6/01 - VersR 2001, 1541 f.; auch vom Senat bislang offen gelassen, vgl. Urt. v. 05.12.2001 - 5 U 568/01-39 - VersR 2003, 890 f.; ebenso OLG Koblenz, VersR 2004, 849 ff.; Berliner Kommentar zum VVG/Voit, § 22 VVG, Rdn. 43).

Dies folgt aus einer wertenden Betrachtung der Nachfrageobliegenheitsverletzung des Versicherers einerseits und des arglistigen Verhaltens des Versicherungsinteressenten andererseits.

Die Versagung eines Rücktrittsrechts des Versicherers wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit beruht nach den oben dargelegten Grundsätzen auf dem Rechtsgedanken unzulässiger Rechtsausübung in Fällen, in denen zu dem Entstehen eines Rechts eigenes Fehlverhalten dem sich fehl verhaltenden Verhandlungspartner gegenüber beigetragen hat. Antwortet aber ein Versicherungsinteressent nicht nur schuldhaft - allerdings für den Versicherer erkennbar - unvollständig und falsch, sondern verschweigt oder entstellt er arglistig Umstände, die er als gefahrerheblich erkennt und von denen er annehmen muss, dass sie für die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers von Bedeutung sind, so verstößt er in besonders schwer wiegendem Maße gegen das auch vorvertraglich ihm entgegen gebrachte Vertrauen. Er leistet dadurch einen spezifischen Beitrag zur Verschleierung von Umständen, auf deren Kenntnis gerade im Versicherungsverhältnis sein Verhandlungspartner angewiesen ist. Er handelt daher in grobem Maße illoyal. In einem solchen Fall darf er sich nicht darauf berufen, dass sein Gegenüber, der Versicherer, es gleichfalls - allerdings in erheblich geringerem Maße und regelmäßig nur den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigend - treuwidrig unterlassen hat, die Übernahme des Risikos zu prüfen. Derjenige, der sich in besonders schwer vorwerfbarer Weise treuwidrig verhält, darf den bewussten Missbrauch des Vertrauens seines Verhandlungspartners nicht damit rechtfertigen oder ungeschehen machen, dass diesem Nachlässigkeiten, Unaufmerksamkeiten und Versehen unterlaufen sind.

Eine etwaige Verletzung der Nachfrageobliegenheit der Beklagten schließt daher ihr Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung nicht aus.

3.

Die arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers ist für die Annahmeentscheidungen der Beklagten auch kausal geworden.

Für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt es, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.05.1995 - V ZR 34/94 - VersR 1995, 1496 f.).

Die Beklagte hat unter Hinweis auf einschlägige Fachliteratur - unwidersprochen - vorgetragen, dass sie die Anträge des Versicherungsnehmers bei Kenntnis der Erkrankung keinesfalls uneingeschränkt angenommen hätte, da diese mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehe.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 100 Abs. 1 und 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 3 ZPO in Höhe der mit der Berufung weiterverfolgten Versicherungsleistungen festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen, weil die Entscheidung des Senats auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 25.03.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603 f.) beruht. Der Bundesgerichtshof geht - auch wenn die Entscheidung lediglich den Ausschluss des Rücktrittsrechts bei Verletzung einer Nachfrageobliegenheit betrifft - davon aus, ein Versicherer verhalte sich auch dann treuwidrig, wenn er sich auf ein Lösungsrecht vom Vertrag beruft, selbst wenn noch offen ist, ob auch eine arglistige Täuschung vorliegt.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 100 Kosten bei Streitgenossen


(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. (2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Ma

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung


(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. (2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 176 Anzuwendende Vorschriften


Die §§ 150 bis 170 sind auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten dieser Versicherung nicht entgegenstehen.

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 22 Arglistige Täuschung


Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt unberührt.

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Bundesgerichtshof Urteil, 14. Juli 2004 - IV ZR 161/03

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 161/03 Verkündet am: 14. Juli 2004 Heinekamp Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja _____________________ VVG § 18

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Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 30. Juni 2004 - 5 U 656/03

bei uns veröffentlicht am 30.06.2004

Tenor 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9.10.2003 - 12 O 11/03 - wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger w

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Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt unberührt.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Die §§ 150 bis 170 sind auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten dieser Versicherung nicht entgegenstehen.

Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt unberührt.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 161/03 Verkündet am:
14. Juli 2004
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Die Beweislast für ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers im
Sinne von § 18 VVG trägt der Versicherer.
BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 - IV ZR 161/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Fulda
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Juli 2004

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger fordert von der Beklagten Rentenleistun gen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung sowie die Freistellung von der Beitragspflicht. Den Abschluß des Versicherungsvertrages hatte er im Mai 1994 bei der Beklagten beantragt. Im Antragsformular sind sämtliche Fragen nach bestehenden Erkrankungen, Störungen oder Beschwerden verneint, obwohl beim Kläger schon im August 1990 und Oktober 1991 ein myotendogener Schulterschmerz rechts sowie ein Dorso-Lymbalsyndrom bei Blockierung der Wirbelsäule diagnostiziert worden waren, er im

August 1993 eine Thoraxprellung erlitten hatte und seit November 1993 wegen eines Morbus Scheuermann und chronischer Wirbelsäulenbeschwerden behandelt worden war. Er hatte außerdem im Januar 1994 unter einer Gastroenteritis und seit März 1994 unter einer Epikondylitis humeri radialis des rechten Ellenbogens (sog. Tennisellenbogen) gelitten , die bis Juni 1994 behandelt wurde.
Durch einen Sturz bei Eisglätte im November 1999 z og sich der Kläger, der bis dahin als Schreiner gearbeitet hatte, Beschwerden im Bereich des 10. Brustwirbelkörpers zu. Er hatte seither schmerzhafte Bewegungseinschränkungen , was schließlich zur Berufsunfähigkeit führte.
Die Beklagte hat den Rücktritt vom Versicherungsve rtrag erklärt und diesen wegen arglistiger Täuschung angefochten. Der Kläger habe seine Vorerkrankungen, auf denen die Berufsunfähigkeit hier beruhe, bei der Antragstellung verschwiegen. Das Antragsformular sei seinerzeit von dem Zeugen B. in Gegenwart des Klägers vollständig ausgefüllt worden, wobei der Zeuge die in dem Formular enthaltenen Fragen jeweils an den Kläger gerichtet und das Formular sodann entsprechend dessen Antworten ausgefüllt habe.
Der Kläger behauptet, der Versicherungsvertrag sei im Zusammenhang mit einer Baufinanzierung durch den Zeugen H. , der insoweit als Agent der Beklagten gehandelt habe, vermittelt worden. Dieser habe ihn allein nach Gewicht, Größe und behandelndem Arzt gefragt. Weitere Fragen seien ihm weder mündlich noch schriftlich gestellt worden. Er habe den Antrag auf Geheiß des Zeugen H. der an vorge-

sehenen Stelle unterzeichnet. Erst später habe der ZeugeB. das Antragsformular ohne sein Beisein ausgefüllt.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein in den V orinstanzen erfolglos gebliebenes Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht meint, die Leistungspflich t der Beklagten sei infolge ihres Rücktritts vom Versicherungsvertrag nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG entfallen. Daß es sich bei den Vorerkrankungen des Klägers um gefahrerhebliche Umstände gehandelt habe, sei nicht mehr im Streit. Entgegen der Auffassung des Klägers sei jedenfalls davon auszugehen, daß ihn bei der Antragstellung hinsichtlich dieser erheblichen Vorerkrankungen eine spontane Anzeigepflicht getroffen habe, weil der Versicherungsnehmer nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG auch ohne ausdrückliche Fragen des Versicherers gehalten sei, alle ihm bekannten, gefahrerheblichen Umstände anzuzeigen. Zwar könne sich ein Versicherer dann nicht auf die unterlassene Anzeige berufen, wenn dem Versicherungsnehmer die im Antragsformular gestellten Fragen durch das Verhalten eines Versicherungsagenten nur zum Teil zur Kenntnis gebracht worden seien. Aus der gesetzlichen Wertung des § 18 VVG ergebe sich jedoch, daß diese Einschränkung nur dann gelte, wenn der Antragsteller nicht arglistig gehandelt habe.

Hier treffe den Kläger der Vorwurf arglistigen Ver haltens. Dabei könne offen bleiben, ob schon die beim Kläger diagnostizierten Vorerkrankungen des Bewegungsapparats und ihre Behandlung den Schluß auf ein arglistiges Verschweigen bei Antragstellung rechtfertigten, weil sich der damalige konkrete Gesundheitszustand des Klägers aus Sicht eines an der erstrebten Versicherung interessierten Durchschnittsbürgers als relevant im Sinne einer Offenbarungspflicht habe darstellen müssen. Darlegungs- und beweisbelastet für die fehlende Arglist sei nämlich der Versicherungsnehmer. Ein arglistiges Verhalten des Klägers schiede allenfalls dann aus, wenn sich der Ablauf der Antragstellung so zugetragen hätte, wie vom Kläger behauptet. Insoweit gehe es zu seinen Lasten, daß ihm der Beweis dafür nach Vernehmung seiner von ihm benannten Ehefrau und des Zeugen H. nicht gelungen sei. Auf die Vernehmung des gegenbeweislich von der Beklagten benannten Zeugen B. komme es daher nicht mehr an.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat den objektiven Geschehens ablauf bei der Ausfüllung des Versicherungsantragsformulars nicht geklärt und insbesondere auch nicht danach gefragt, wer die Beweislast hierfür trägt. Es hat sich damit möglicherweise den Blick dafür verstellt, daß die von ihm vorgenommene Beweislastverteilung bei der nachfolgenden Frage der Arglist des Versicherungsnehmers im Sinne von § 18 VVG zu dem widersinnigen Ergebnis führt, daß dieselbe Beweisfrage (nach dem Geschehen bei Antragstellung) im Rahmen der zu treffenden Entscheidung

einmal vom Versicherer, sodann aber vom Versicherungsnehmer bewiesen werden müßte mit der Folge, daß die Nichterweislichkeit im Ergebnis immer zu Lasten des Versicherungsnehmers ginge. Dieses Ergebnis steht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats.
1. Legt der Versicherer dem Versicherungsnehmer ei nen Verstoß gegen dessen vorvertragliche Anzeigeobliegenheit aus § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG zur Last, so betrifft die Frage, ob dem Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Versicherungsvertrages bestimmte Fragen des Versicherers nach gefahrerheblichen Umständen (hier Gesundheitsfragen) tatsächlich gestellt worden sind, den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung (BGH, Urteil vom 16. Oktober 1996 - IV ZR 218/95 - VersR 1996, 1529 unter 2 b; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. §§ 16, 17 Rdn. 27 und 38; Knappmann, r+s 1996, 81, 82 m.w.N.). Ihn zu beweisen ist Sache des Versicherers. Hat - wie hier unstreitig - ein Versicherungsagent es übernommen, das Formular eines Versicherungsantrags für den Antragsteller auszufüllen, so erbringt allein der ausgefüllte Antrag nicht den Beweis für die falsche Beantwortung der im Antragsformular stehenden Fragen, wenn der Versicherungsnehmer substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend informiert zu haben oder von ihm mit den einzelnen Fragen gar nicht konfrontiert worden zu sein (BGHZ 107, 322, 324 f.; BGH, Urteil vom 16. Oktober 1996 aaO). Vielmehr muß in einem solchen Fall der Versicherer beweisen, daß alle im schriftlichen Formular beantworteten Fragen dem Antragsteller tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind (BGHZ aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 1989 - IVa ZR 269/88 - VersR 1990, 77 unter 2; Urteil vom 11. Juli 1990 - IV ZR 156/89 - VersR 1990, 1002 unter 2 d).

Das Berufungsgericht ist dieser Frage nicht nachge gangen. Es hat weder den von der Beklagten insoweit angebotenen ZeugenB. gehört noch im übrigen dargelegt, ob die Beklagte anhand der vernommenen Zeugen den ihr obliegenden Beweis für die Behauptung erbracht hat, der Zeuge B. habe alle im Fragebogen niedergelegten Fragen an den Kläger gerichtet und den Fragebogen entsprechend dessen Antworten ausgefüllt.
2. Stattdessen ist das Berufungsgericht anscheinen d davon ausgegangen , es komme auf den wirklichen Geschehensablauf bei Ausfüllung des Antragsformulars letztlich nicht an, weil der Kläger - auch ohne dazu ausdrücklich befragt worden zu sein - jedenfalls infolge seiner spontanen Anzeigepflicht verpflichtet gewesen sei, dem Versicherer bei Antragstellung seine erheblichen Vorerkrankungen anzuzeigen. Es hat also im weiteren offenbar unterstellt, die Beklagte habe die substantiierte Behauptung des Klägers nicht widerlegt, er sei lediglich nach Gewicht, Größe und behandelndem Arzt gefragt worden.

a) Davon ausgehend ist im Ansatz nicht zu beanstan den, daß das Berufungsgericht annimmt, den künftigen Versicherungsnehmer treffe bei der Antragstellung auch in einem solchen Fall nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG die Obliegenheit, alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände dem Versicherer anzuzeigen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1996 aaO unter 2 c). Richtig ist auch, daß der Versicherer sich - abgesehen vom Fall der Arglist des Antragstellers - auf die unterlassene Anzeige gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG dann nicht berufen kann, wenn er im Antragsformular zwar ausdrücklich und schriftlich Fragen nach gefahrerhebli-

chen Umständen gestellt hat, diese Fragen dem Antragsteller aufgrund eines Verhalten des Versicherungsagenten aber nur zum Teil zur Kenntnis gebracht werden (BGH aaO). Das folgt aus der gesetzlichen Wertung des § 18 VVG. Sie gebietet es nach der Senatsrechtsprechung auch hier, die Rücktrittsmöglichkeit des Versicherers auf solche Fälle zu beschränken , in denen der Antragsteller einen gefahrerheblichen Umstand arglistig verschweigt (BGH aaO).

b) Dem Berufungsgericht kann aber nicht darin gefo lgt werden, daß der Versicherungsnehmer im Rahmen des - aus den vorgenannten Gründen entsprechend anwendbaren - § 18 VVG die Beweislast dafür trägt, daß er nicht arglistig gehandelt habe. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil als fehlerhaft.
aa) Zwar stützt sich das Berufungsgericht auf eine teilweise in der Literatur vertretene Rechtsauffassung. Ihr zufolge soll sich aus den §§ 16 Abs. 3 und 17 Abs. 2 VVG die Grundregel ergeben, daß der Versicherungsnehmer in allen Fällen des Rücktritts des Versicherers wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht den Vorwurf des Verschuldens widerlegen müsse. § 18 VVG verschärfe insoweit lediglich den Verschuldensmaßstab, ohne aber etwas daran zu ändern, daß der Versicherungsnehmer auch den qualifizierten Schuldvorwurf ausräumen müsse. Auch das in § 22 VVG angelegte Nebeneinander von Rücktritts- und Anfechtungsmöglichkeit spreche dafür, daß der Versicherungsnehmer die Beweislast für fehlende Arglist im Rahmen des § 18 VVG trage. Denn wenn der Versicherer die Voraussetzungen für eine Arglistanfechtung nach den §§ 22 VVG, 123 BGB beweisen könne, sei er auf die rechtlich schwächere Rücktrittsmöglichkeit, bei der er im Falle folgenloser Anzei-

gepflichtverletzung sogar leistungspflichtig bleibe (§ 21 VVG), nicht mehr angewiesen. Sinn mache die Regelung des § 18 VVG für den Versicherer mithin nur, wenn das Rücktrittsrecht - sozusagen als niederschwellige Möglichkeit für den Versicherer, sich vom Vertrage zu lösen - bereits bei ungeklärter Arglistfrage zum Zuge käme (Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 18 Rdn. 3; ders. in Baumgärtel/Prölss, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 5 Versicherungsrecht § 18 VVG Rdn. 3; Bruck/ Möller, VVG 8. Aufl. § 18 Anm. 8; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 18 Rdn. 5).
bb) Beide Argumente überzeugen nicht.
§ 18 VVG geht tatbestandlich davon aus, daß der Ve rsicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit durch Beantwortung ihm vom Versicherer gestellter Fragen nach Gefahrumständen zu erfüllen hat, dabei aber die Anzeige eines Umstandes unterbleibt, nach dem vom Versicherer nicht ausdrücklich gefragt worden ist. An die bloße Verwirklichung dieses Tatbestandes knüpft die Vorschrift kein Rücktrittsrecht des Versicherers ; ein solches Recht kommt ihm vielmehr erst unter der weiteren Voraussetzung zu, daß der Versicherungsnehmer den Umstand arglistig verschwiegen hat. § 18 VVG bestimmt danach keinen Ausschluß des Rücktrittsrechts wie die §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 2 VVG, sondern regelt das Rücktrittsrecht des Versicherers für eine besondere Situation und verlangt als Voraussetzung dafür ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers. Diese Voraussetzung zu beweisen, ist Sache des Versicherers , der sich auf das Rücktrittsrecht beruf (BK/Voit, § 18 VVG Rdn. 14).

§ 18 VVG trägt im übrigen einer vom Regelfall der Verletzung der Anzeigeobliegenheit wesentlich abweichenden Interessenlage Rechnung. Nach der Systematik der §§ 16 Abs. 3 und 17 Abs. 2 VVG indiziert dort die objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit ein Verschulden des Versicherungsnehmers. Das erscheint auch sachgerecht, denn an falsche oder unterbliebene Angaben über gefahrerhebliche Umstände kann regelmäßig die Annahme geknüpft werden, der Versicherungsnehmer habe zumindest fahrlässig gehandelt. Anders stellt sich die Situation unter den Voraussetzungen des § 18 VVG dar. Sein Tatbestand beschreibt eine Situation, in der der Versicherungsnehmer irritiert sein kann, weil schriftlich vorformulierte Fragen des Versicherers den Blick dafür verstellen können, daß von ihm unter Umständen auch Angaben gefordert sind, die über die Beantwortung der schriftlichen Fragenstellungen hinausreichen. Dem steht der Fall gleich, daß schriftlich vorformulierte Fragen infolge eines Verhaltens des Versicherungsagenten dem Versicherungsnehmer nicht zur Kenntnis gelangen. In beiden Fällen erscheint es schon nicht mehr gerechtfertigt, an einen objektiv gegebenen Obliegenheitsverstoß ohne weiteres die Vermutung einfachen Verschuldens zu knüpfen. Erst recht kann daran nicht die Vermutung eines qualifizierten Verschuldens (Arglist) geknüpft werden, zumal eine solche Arglistvermutung der Rechtsordnung auch im übrigen fremd ist (Knappmann, aaO S. 82; Voit, aaO).
3. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Das Berufungsgericht hat zwar angedeutet, es ließen sich aus der Vielzahl und Schwere der Vorerkrankungen des Klägers Hinweise darauf entnehmen, daß er diese Erkrankungen, deren Gefahrerheblichkeit auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer er-

kennbar sei, arglistig verschwiegen habe. Insoweit fehlt es bislang aber an ausreichenden Feststellungen. Es ist schon ungeklärt, ob der Agent dem Kläger die vorformulierten Antragsfragen gestellt hat; der insoweit von der Beklagten angebotene Beweis wird zu erheben sein (vgl. oben unter 1). Sollte es erneut darauf ankommen, ob der Kläger Umstände arglistig verschwiegen hat, wird zu berücksichtigen sein, daß allein mit dem Beweis vorsätzlich falscher oder vorsätzlich nicht angezeigter Umstände der Täuschungsvorsatz noch nicht feststeht. Er setzt neben der Kenntnis der Gefahrerheblichkeit des betreffenden Umstandes die billigende Erkenntnis voraus, die Beklagte könne durch sein Vorgehen über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluß des Versicherungsvertrages beeinflußt werden (vgl. schon BGH, Urteil vom 13. Mai 1957 - II ZR 56/56 - VersR 1957, 331; Senatsurteil vom 11. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR 1987, 91 unter II; vgl. auch OLG Saarbrücken VersR 1996, 48).

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Ent scheidung.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 26.11.2003 (Az.: 12 O 154/03) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Gebührenberechnung im Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 17.179,34 Euro.

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ein bei der Beklagten bestehender Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung beendet wurde.

Die Klägerin trat im Februar 2000 an den Finanzdienstleister S. E. mit dem Wunsch heran, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Eine Mitarbeiterin dieses Finanzdienstleisters, die Zeugin W., erschien daraufhin bei der Klägerin und füllte mit dieser gemeinsam einen „Kurzantrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung“ (Bl. 8) aus. In diesem Kurzantrag war eine „Erklärung der zu versichernden Person“ enthalten, die unter anderem folgende Frage enthielt:

„ Haben in den letzten fünf Jahren Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte stattgefunden oder leiden bzw. litten Sie an Gesundheitsstörungen, körperlichen oder geistigen Schäden, chronischen Leiden oder Unfallfolgen?“

Die Klägerin beantwortete diese Frage mit „Ja“ und konkretisierte sie dahingehend, dass sie angab:

„HNO: Dr. B., , Ohrentzündung.

Chirurg: Dr. H., - Fisteloperation.

ohne Folgen. Beschwerdefrei.

11/99 Röntgenuntersuchung Dr. T., , ohne Befund, kein Leiden.“

Die Klägerin gab - jedenfalls in diesem Formular - nicht an, dass sie im Jahr 1998 für mehrere Wochen wegen physischen bzw. psychischen Erschöpfungszuständen arbeitsunfähig „geschrieben“ war.

Am 10.06.2000 wurde der Versicherungsschein für die beantragte Berufsunfähigkeits- Versicherung unter der Versicherungsnummer policiert (Bl. 12). Dem Versicherungsschein lagen die Tariferläuterungen und die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits- Versicherung (Bl. 15 ff) zugrunde.

Die Klägerin bemerkte nach eigenen Angaben bei sich am 01.08.2000 einen Knoten in der Brust, der am 10.08.2000 als Mammakarzinom diagnostiziert und in der Folge behandelt wurde. Am 08.11.2000 beantragte sie daraufhin Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 14.11.2000 (Bl. 31) ab und erklärte in gleichem Schreiben die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Sie hat - unwidersprochen - vorgetragen, bei Kenntnis der Vorerkrankung den Versicherungsvertrag nicht angenommen oder aber 2 Jahre zurückgestellt zu haben.

Die Klägerin hat behauptet, bereits vor Abschluss dieses Vertrages habe eine Berufsunfähigkeitsversicherung bestanden, und zwar bei der I.. Auf Veranlassung der Zeugin W. habe sie diese gekündigt. Sie hat vorgetragen, die Erschöpfungszustände gegenüber Frau W. angegeben zu haben, welche daraufhin wörtlich ausgeführt habe:

 „Ach, das brauchen wir nicht, wenn die noch was wissen möchten, werden sie sich schon melden. Die werden sich sowieso mit der bestehenden Vorversicherung bei der I. zusammensetzen und die dortigen Erkenntnisse verwerten.“

Die Klägerin hat einen Täuschungsvorsatz in Abrede gestellt und dazu ausgeführt, der ihr vorgelegte „Kurzantrag“ habe bei ihr nicht den Eindruck eines verbindlichen Versicherungsantrages, sondern den eines Werbeprospektes erweckt. Die dürftigen Gesundheitsfragen hätten den Anschein erweckt, dass sie nicht zur endgültigen Entschließungsbildung dienen sollten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, da keine Arglist vorliege. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt vor, die Angaben der Klägerin zu den harmlosen Vorerkrankungen ließen im Zusammenhang mit dem Verschweigen einer mehr als 6-wöchigen Krankschreibung, eines darauf zurückgehenden Berufs- und Tätigkeitswechsels und der Behandlungsbedürftigkeit der verschwiegenen Erkrankung den Rückschluss auf Arglist zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 26.11.2003, Aktenzeichen: 12 O 154/03, abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer vom 10.06.2000 ist nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 14.11.2001 beendet worden. Die darin von der Beklagten erklärte Aufrechnung führt nicht gemäß §§ 22 VVG, 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages, da die Beklagte nicht nachweisen konnte, durch eine arglistige Täuschung der Klägerin zu dem Abschluss des Vertrages bestimmt worden zu sein.

Ein Versicherungsnehmer bestimmt einen Versicherer durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Versicherungsvertrages, wenn er Fragen des Versicherers bei Aufnahme des Versicherungsantrags vorsätzlich unrichtig oder unvollständig beantwortet und dadurch auf die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Versicherungsantrags bewusst Einfluss nehmen will (Senat, Urteil vom 19.05.1993, 5 U 56/92-, VersR 1996, 488; Urteil vom 13.12.2000- 5 U 624/00- NVersZ 2001, 350; Urt. vom 12.09.2001, 5 U 98/01-9). Hat ein Versicherungsnehmer bewusst unrichtige oder unvollständige Antworten auf Fragen des Versicherers nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen bei Aufnahme des Versicherungsantrags gegeben, so gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung, nach dem dies immer und nur in der Absicht erfolgt sein kann, auf den Willen des Versicherers einzuwirken; vielmehr muss der Versicherer nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe seiner falschen Angaben auf die Entschließung des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, dass der Versicherer seinen Versicherungsantrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen anzunehmen bereit sein würde, wenn ihm der richtige Sachverhalt bekannt wäre. Indizien dafür können Art, Umfang und Bedeutung der unrichtigen und unvollständigen Angaben sein - insbesondere wenn schwere, chronische oder schadengeneigte Erkrankungen verschwiegen werden-, aber auch die Persönlichkeit des Versicherungsnehmers, sein Bildungsstand, die Art der Versicherung und die näheren Umstände der Ausfüllung des Versicherungsantrags (Senat, Urteil vom 19.05.1993 a.a.O., Römer/Langheid VVG, § 22 Rn. 9 m.w.N.).

Zwar hat die Klägerin die an sie gestellte Frage objektiv falsch beantwortet. Die Beklagte wollte wissen, ob in den letzten fünf Jahren Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte stattgefunden haben oder ob die Klägerin an Gesundheitsstörungen, körperlichen oder geistigen Schäden, chronischen Leiden oder Unfallfolgen leidet oder litt. Die Antwort der Klägerin war unvollständig, da die Neurosen/Erschöpfungszustände, unter denen sie im Jahr 1998, also innerhalb des erfragten Zeitraumes litt, unzweifelhaft eine Gesundheitsstörung darstellen, welche zumindest Gegenstand ärztlicher Beratung - wenn nicht Behandlung - waren. Demgegenüber kann die Klägerin auch nicht damit gehört werden, bei dem verwendeten Formular habe es sich aus ihrer Sicht nur um einen Werbeprospekt gehandelt, zumal die Gesundheitsfragen dermaßen dürftig seien, dass sie - die Klägerin - nicht den Eindruck gewonnen habe, dass diese die Grundlage der endgültigen Entscheidung des Versicherers bilden. Augenscheinlich ist die Broschüre bereits als „Antrag“ bezeichnet. Ungeachtet des Umstandes, dass sie auch dazu dient, potentielle Kunden von der Notwendigkeit der angebotenen Versicherung zu überzeugen und sie insoweit werbenden Charakter hat , lässt namentlich der vom Versicherungsnehmer auszufüllende „Kurzantrag“ keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei diesem Formular um die Beantragung einer Versicherung handelt.

Allerdings vermag der Senat auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten benannten Indizien nicht auszuschließen, dass die Klägerin die diesbezüglichen Angaben nur getätigt hat, weil sie ihre Neurose bzw. ihren Erschöpfungszustand lediglich als eine einmalige Unpässlichkeit ansah, die nicht anzugeben ist. Zwar ist gemeinhin eine Gesundheitsstörung, welche zu einer - sogar amtsärztlich bestätigten - mehr als 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeit und dem Bezug von Krankengeld führt, in aller Regel nicht mit dem Hinweis auf eine „Unpässlichkeit“ abzutun. Allerdings hat das Landgericht im konkreten Fall - für die Berufungsinstanz bindende - Feststellungen getroffen, die dafür sprechen, dass hier tatsächlich ein atypischer Fall vorliegt. Das Landgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe nachvollziehbar dargetan, dass die damals erfolgte Krankschreibung aus ihrer Sicht eine einmalige Sache gewesen sei, die im Zusammenhang mit einer erheblichen beruflichen Belastungssituation gestanden habe. Sie habe dies in ihrer Anhörung so dargestellt, dass die Situation für sie so unerträglich gewesen sei, dass sie durch die Krankschreibung zunächst einmal daraus habe herauskommen wollen. Nach Kündigung der Arbeitsstelle sei sie beschwerdefrei gewesen. Das Landgericht hat hieraus nachvollziehbar gefolgert, dass es sich aus der Sicht der Klägerin um eine einmalige und situationsgebundene Angelegenheit gehandelt habe, welche eine hinreichend plausible Erklärung dafür darstelle, dass das Verschweigen dieses Umstandes nicht dem Zweck gedient habe, den Abschluss des Vertrages nicht zu gefährden. Für diese Wertung, die der Senat auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, den er aufgrund der eigenen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2004 von dieser gewonnen hat, teilt, sprechen auch weitere Umstände. So hat die Klägerin - unstreitig - nach der Krankschreibung keinen weiteren ärztlichen Rat in dieser Sache in Anspruch genommen und - unstreitig - bis auf die Einnahme eines verschreibungsfreien pflanzlichen Mittels keine medikamentöse oder sonstige (beispielsweise psychotherapeutische) Behandlung erfahren. Auch der Arzt, der die Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, hat die hier zur Grundlage der Anfechtung genommen Umstände erst bei konkreter Nachfrage angegeben, ohne dass vorgetragen oder ersichtlich wäre, dass die Klägerin hierauf Einfluss genommen hätte. Auch dies spricht indiziell für die Klägerin, da offensichtlich auch der behandelnde Arzt nicht ohne weiteres von einer Krankheit von relevantem Gewicht ausgegangen ist. Bei dieser Sachlage kann die Beklagte auch nichts daraus herleiten, dass die Klägerin die Erschöpfungszustände (pp.) auch in dem Antrag auf Leistung aus der BU- Versicherung nicht erwähnt hat. Soweit die Klägerin konkrete Nachfragen zur Fistel bzw. zu der Ohrentzündung gehalten hat, bestand für die Klägerin ohnehin kein Anlass gerade aus diesem Grund die Erschöpfungszustände zu erwähnen und über den Inhalt der Fragen hinauszugehen.

Zwar hat die Klägerin nach Ende der Krankschreibung den Arbeitsplatz gewechselt, was normalerweise ein Umstand ist, der für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung von einiger Bedeutung ist, so dass dem Verschweigen in einem solchen Fall eine gesteigerte Indizwirkung zukommen kann. Die Beklagte, die sich darauf beruft, verkennt jedoch, dass nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts die hier gegebene Konstellation im Vergleich zu dem „Normalfall“ geradezu reziprok war: Hier war die Erkrankung nicht die Ursache des Berufswechsels, sondern die berufliche Situation Anlass der „Krankschreibung“ als dem Versuch der als unerträglich empfundenen Belastungssituation zu entkommen. Die „Einschaltung“ des Amtsarztes durch den früheren Arbeitgeber der Klägerin stützt dabei ihren Vortrag. Nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerin in dem Verhandlungstermin vor dem Senat erfolgte diese relativ kurzfristig, nachdem die Klägerin sich nach einem Streit mit ihrem Vorgesetzten krank meldete. Dies zeigt, dass aus der Sicht des früheren Arbeitgebers der Klägerin das Vorliegen einer Erkrankung angezweifelt wurde, was bei schwereren Krankheiten in der Regel nicht der Fall ist.

Schließlich spricht auch nicht für die Beklagte, dass die Klägerin in ihrem Antrag einige andere Krankheiten angegeben hat, nämlich die Ohrentzündung und die Fisteloperation. Zwar kann die Angabe ersichtlich wenig relevanter (Allerwelts-)beschwerden beim gleichzeitigen Verschweigen gravierender Erkrankungen durchaus ein Indiz für Arglist des Versicherungsnehmers sein (BGH NJW-RR 1991, 411; Senat VersR 1996, 488). Hiervon kann in vorliegendem Fall allerdings nicht ausgegangen werden. Gerade die rezidivierend (und ausweislich der Auskunft der D. vom 02.03.2001 - Bl. 74 f - nicht - wie die Beklagte es darstellt - einmalig) auftretende Fistel, die operativ entfernt werden musste, stellt keine Allerweltskrankheit dar. Soweit die Klägerin „Allerweltskrankheiten“ hatte [vgl. die oben genannte Auskunft: grippaler Infekt im Februar 1999 (Bl. 77); Sinusitis im Nov. 1999, Bl. 74], hat sie diese nicht „vorgeschoben“.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9.10.2003 - 12 O 11/03 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 34.907,08 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger, ein Brunnenbaupolier, nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Anspruch.

Der Kläger beantragte unter dem 15.7.2000 bei der Beklagten den Abschluss einer Risiko-Lebensversicherung sowie einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Für den Fall der Berufsunfähigkeit wurde eine monatliche Rentenzahlung von 1.000 DM vereinbart (Versicherungsschein vom 27.9.2000, Bl. 68 f. d.A.). Das Antragsformular (Bl. 91 d.A.) enthielt Fragen zur Gesundheit des Klägers. Die Frage Nr. 1 -"Litten Sie in den letzten zehn Jahren, oder leiden Sie zur Zeit an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (z.B. Herz oder Kreislauf, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Wirbelsäule, Nerven, Psyche, Blut, Zucker, Fettstoffwechsel, Geschwülste oder sonstige Erkrankungen)? Wann, woran, wie lange, Folgen?" - beantwortete der Kläger mit "Schleimbeutelentzündung/Knie". Auf die Frage Nr. 2 - "Sind Sie in den letzten zehn Jahren untersucht, beraten, behandelt oder operiert worden? Wann und weshalb, beanspruchte Ärzte?" - gab der Kläger eine Knieoperation an. Als den über seine Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichteten Arzt nannte der Kläger Herrn Dr. T., B.. Die übrigen Fragen verneinte er.

Tatsächlich war der Kläger zwischen dem 8.5.1995 und dem 12.4.1999 wegen Schulterschmerzen links, Ischialgie, Periarthritis humeroscapularis, Hexenschuss, Lumboischialgie, Schultersteife links, Lumbago und akutem Muskelhartspann - wie das angefochtene Urteil festgestellt hat und in dem Berufungsverfahren unstreitig geworden ist (Bl. 140 d.A.) - arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte übersandte dem Kläger zunächst eine Antragskopie zur Klärung der Frage, wann die Schleimbeutelentzündung aufgetreten ist und ob ihre Folgen ausgeheilt seien. Der Kläger erwiderte darauf "1999 Monat 8v". Daraufhin bat die Beklagte Herrn Dr. T. um einen ärztlichen Bericht, den sie unter dem 24.7.2000 erhielt. Auf die Frage, wegen welcher Gesundheitsstörungen oder Krankheiten Herr Dr. T. den Kläger bisher untersucht oder behandelt habe, antwortete Herr Dr. T. mit "Knieproblemen auf der rechten Seite". Auf die Frage nach Arbeitsunfähigkeitszeiten in den letzten drei Jahren gab er an: "Problematik mit der Bursitis am rechten Knie und Infekte". Daraufhin policierte die Beklagte unter dem 27.9. 2000 den Vertrag.

Im Frühjahr 2002 begab sich der Kläger in ärztliche Behandlung wegen eines Lendenwirbelsäulensyndroms, degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und einer Hüftgelenksarthrose rechts. Danach erhob er am 12.4.2002 bei der Beklagten Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Dabei gab er an, dass er seit drei Jahren in Zusammenhang mit der Erkrankung der Wirbelsäule und der Hüfte arbeitsunfähig sei. Die Auskünfte der zuständigen Krankenkasse, die die Auflistung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der letzten Jahre enthielten, gingen bei der Beklagten am 26.6.2002 ein; Angaben der LVA, die die korrespondierenden Krankheitsbilder und deren Verlauf beschrieben, erhielt die Beklagte am 25.6.2002.

Mit Schreiben vom 9.7.2002, dem Kläger am 13.7.2002 zugegangen, erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger, dass sie von dem Versicherungsvertrag zurücktrete, seinen Abschluss gleichzeitig wegen arglistiger Täuschung anfechte.

Der Kläger hat behauptet, seit April 2002 könne er in seinem Beruf als Brunnenbaupolier überhaupt nicht mehr tätig werden; die weitere Berufsausübung berge die Gefahr einer Querschnittslähmung.

Das Landgericht hat die Klage mit der angefochtenen Entscheidung abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Der Kläger meint, die angefochtene Entscheidung habe ihm zu Unrecht arglistiges Verhalten unterstellt; andere Gründe als Arglist könnten das Verschweigen der Vorerkrankung tragen, weil er der Auffassung gewesen sei nur angeben zu müssen, worunter er zum Zeitpunkt der Antragstellung noch gelitten habe. Gegen ein arglistiges Verhalten spreche auch der Umstand, dass er die Anschrift seines Hausarztes im Antragsformular angegeben habe. Im übrigen dürfe sich die Beklagte auf Arglist auch nicht berufen, weil sie es in der Hand gehabt habe, durch deutlich lesbare, drucktechnisch hervorgehobene Hinweise einen Versicherungsnehmer auf nachteilige Rechtsfolgen einer sorglosen Beantwortung von Gesundheitsfragen hinzuweisen. Eine Praxis, eine ärztliche Untersuchung eines Versicherungsnehmers erst dann zu fordern, wenn der Versicherungsnehmer Rechte aus dem Versicherungsvertrag herleite, verstoße gegen Treu und Glauben. Ein Versicherer müsse eine solche ärztliche Untersuchung vor Abschluss des Vertrages veranlassen. Gegen Treu und Glauben verstoße es auch, wenn sich die Beklagte nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages durch den von dem Kläger angegebenen Arzt umfassend über Vorerkrankungen unterrichtet.

Der Kläger beantragt,

"unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 9.10.2003 - 12 O 11/03 - nach Maßgabe der erstinstanzlichen Anträge zu entscheiden".

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen es nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen anders zu entscheiden (§§ 513, 529 ZPO). Der von den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag ist auf Grund der von der Beklagten ausgesprochenen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 142 Abs. 1 BGB, § 22 VVG, § 123 Abs. 1 BGB nichtig.

1. Die Beklagte hat den Vertrag mit ihrem Schreiben vom 9.7.2002, dem Kläger am 13.7.2002 zugestellt, rechtzeitig (§ 124 Abs. 1, 2 BGB) angefochten (§ 143 Abs. 1 BGB).

2. Der Kläger hat die Beklagte bei Antragstellung getäuscht, indem er auf die von der Beklagten gestellten Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, an denen er in den letzten zehn Jahren gelitten habe, lediglich eine Schleimbeutelentzündung im Knie angegeben, tatsächlich vorhandene zahlreiche Beschwerden des Skeletts, vor allem im Schulter- und Lumbalbereich, verschwiegen hat.

3. Das ist arglistig geschehen.

Von einem arglistigen Verhalten ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet, dass er Unzutreffendes behauptet, dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und dass der Getäuschte auf Grund dieses Umstandes eine Erklärung abgibt, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben haben würde (vgl. Hk-BGB/Dörner, 3. Aufl., § 123 Rdn. 5 m.w.N.). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Für ein arglistiges Verhalten eines Versicherungsnehmers gegenüber seinem Versicherer bei Antragstellung kann sprechen, wenn er schwere, chronische, schadengeneigte Erkrankungen oder immer wieder auftretende zahlreiche Erkrankungen oder dauerhafte Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, die zu erheblichen Einschränkungen des Alltags führen oder solche verschwiegen hat, die offenkundig für das versicherte Risiko erheblich sind. Auch die Angabe einer belanglosen Erkrankung bei Verschweigen einer belangvollen kann ein Indiz für Arglist sein (vgl. u.a. BGH NJW-RR 1991, 412; Senat, VersR 1996, 488). Ist objektiv von einer Täuschung auszugehen, so ist es allerdings Sache des Versicherungsnehmers, plausibel darzulegen, warum und wie es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist (Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 22 Rdn. 6 m.w.N.).

Diese rechtlichen Grundsätze hat die angefochtene Entscheidung rechtsfehlerfrei (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO) angewendet. In dem Zeitraum, auf den sich die Frage nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers in dem Antragsformular der Beklagten bezog, litt der Kläger wiederholt an Beschwerden im Bereich des Schultergelenks und der Lendenwirbelsäule. Diese Erkrankungen waren so erheblich, dass er in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung 499 Tage arbeitsunfähig war. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten erstreckten sich überwiegend nicht über einzelne Tage sondern, vor allem 1995/1996, aber auch 1998/1999 über mehrere Monate. Dem Kläger war also vor Antragstellung bewusst, dass er ganz erhebliche Teile eines überschaubaren Zeitraums vor der Antragstellung an Leiden erkrankt war, die ihm ein weiteres berufliches Tätigwerden versagten. Diese Gebrechen lagen bei Antragstellung keineswegs so lange zurück - soweit ersichtlich war der Kläger noch eineinhalb Jahre vor Antragstellung viele Monate arbeitsunfähig geschrieben -, dass er diese Leiden vergessen haben könnte. Auch zeigt die Angabe einer in den gleichen Zeitraum fallenden und eher weniger belangvollen Schleimbeutelentzündung im Knie, dass dem Kläger bewusst war, vergangene gesundheitliche Beschwerden angeben zu müssen. Daher leuchtet nicht ein, wenn er vorträgt, er sei davon ausgegangen, nur solche Krankheiten, Störungen oder Beschwerden angeben zu müssen, die noch nicht ausgeheilt seien oder die er als Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit habe verstehen müssen. Davon abgesehen schließt die unmittelbare Auswirkung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf seine berufliche Tätigkeit unmittelbar vor Beantragung einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung es aus, andere Gründe für das Verschweigen von Vorerkrankungen anzunehmen als Arglist.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Kläger in dem Antragsformular als den am besten über seine gesundheitlichen Verhältnisse unterrichteten Arzt Herrn. Dr. T., B., angegeben hat. Die trotz einer Verneinung der Frage nach Krankheiten, Beschwerden oder Störungen erfolgende Angabe eines Hausarztes schließt die Annahme von Arglist nicht aus (BGH, Urt. v. 7.3.2001 - IV ZR 254/00 -, VersR 2001, 620; Senat, zfs 2003, 186, 187). Sie kann vielmehr die Irreführung eines Versicherers geradezu verstärken. Ein Hausarzt wird auch wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen in Anspruch genommen, die belanglos oder schnell vergänglich und daher für die Risikoprüfung des Versicherers nicht von Interesse sind. Werden Gesundheitsfragen verneint und wird gleichwohl ein Hausarzt genannt, so kann dadurch der Schein erzeugt und verstärkt werden, der Versicherer könne sich auf die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers verlassen, weil der Versicherungsnehmer ihm sogar eine neutrale Informationsquelle benennt. Das gilt gerade für den Kläger. Aus der von dem Versicherer eingeholten Auskunft des Hausarztes ergeben sich nämlich die Vorerkrankungen gerade nicht. Der Kläger muss also, folgt man den Angaben von Herrn Dr. T., vorvertraglich noch bei anderen Ärzten in - länger dauernden - Behandlungen gewesen sein. Die Benennung des Arztes Dr. T., B., im Versicherungsantrag hat also die Beklagte zusätzlich in die Irre geführt.

4. Die Beklagte ist auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich auf ihr Anfechtungsrecht zu berufen. Insoweit kann dahinstehen, ob sich ein Versicherungsnehmer, der seinen Versicherer arglistig getäuscht hat, dem Versicherer gegenüber überhaupt darauf berufen darf, er handele treuwidrig, wenn er den Versicherungsvertrag anficht (zum Streitstand vgl. Berliner Kommentar-Voit, § 22 Rdn. 18; zu Recht zweifelnd Römer, r+s 1998, 45, 48; offen gelassen vom Senat, Urt. v. 20.12.2000 - 5 U 627/00 -; Zfs 2003, 186). Ein treuwidriges Verhalten kann nämlich der Beklagten nicht vorgeworfen werden.

a. Ein treuwidriges Verhalten folgt schon von vornherein nicht daraus, dass die Beklagte einer sie treffenden Nachfrageobliegenheit - ob sie bei Arglist besteht, kann offen bleiben - vor Vertragsschluss nicht nachgekommen wäre. Die Beklagte hat den Hinweis auf eine Schleimbeutelentzündung im Knie nämlich zum Anlass genommen, den Kläger um nähere Angaben zu bitten und den Arzt Dr. T., den der Kläger angegeben hat, mit der Abgabe eines ärztlichen Berichts zu beauftragen. Aus den Auskünften des Herrn Dr. T. ergaben sich keinerlei Umstände, die die Beklagte zu einer Intensivierung der Risikoprüfung veranlasst hätten. Sein ärztlicher Bericht bestätigte die Knieprobleme als einzige ins Gewicht fallende Behandlungsanlässe und teilte mit, dass ihm keine weiteren Gebrechen oder Krankheiten des Klägers bekannt seien.

b. Dem Kläger kann auch nicht gefolgt werden, wenn er meint, die Beklagte sei in jedem Fall gehalten gewesen, ihn vor Vertragsschluss ärztlich untersuchen zu lassen und dürfe sich, weil sie dies unterlassen habe, nicht auf das Verschweigen der bei einer solchen ärztlichen Untersuchung feststellbaren Vorerkrankungen berufen. Das Gesetz - § 16 Abs. 1 VVG - geht grundsätzlich davon aus, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherer von sich aus gefahrerhebliche Umstände zu offenbaren hat. Es geht weder davon aus, dass es in den alleinigen Verantwortungsbereich des Versicherers fällt, sich solche Informationen zu beschaffen, noch verlangt es von ihm, die Redlichkeit seines künftigen Vertragspartners vorab zu prüfen.

c. Die Beklagte handelt auch nicht deshalb treuwidrig, weil sie den Kläger - soweit ersichtlich - nicht über die Rechtsfolgen falscher Antworten auf die Fragen nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen hingewiesen hat. Zwar wird im Rahmen der Diskussion um eine Reform des VVG vorgeschlagen, Rechtsfolgen aus einer Verletzung der Anzeigeobliegenheit davon abhängig zu machen, dass auf sie bei Antragstellung in Textform hingewiesen worden ist ( § 21 Abs. 6 VVG-E in der Fassung des Abschlussberichts der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004). Zum einen ist dies noch nicht Gesetz; zum anderen wird davon ausdrücklich eine Ausnahme für die Fälle arglistigen Verhaltens des Versicherungsnehmers gemacht. Davon abgesehen muss es jedermann klar sein, dass eine arglistige Täuschung seines Vertragspartners diesem das Recht verschafft, sich vom Vertrag wieder zu lösen.

d. Die arglistige Täuschung des Klägers ist für die Annahmeentscheidung der Beklagten kausal geworden. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte den Antrag des Klägers bei wahrheitsgemäßer Information entweder überhaupt nicht oder nur unter den Voraussetzungen eines Risikoausschlusses oder eines Beitragszuschlags angenommen hätte. Das hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht in einer den Anforderungen des § 529 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO entsprechenden Weise angegriffen; davon ist folglich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auszugehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 198/02
vom
10. September 2003
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert und Wendt
sowie die Richterin Dr. Kessal-Wulf
am 10. September 2003

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 4. Juni 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 511.291,88

Gründe:


Die von der Beschwerde für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage, ob eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers diesem auch die Arglistanfechtung verwehrt, ist nicht entscheidungserheblich. Wie das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, hat die Beklagte die Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 und 2 BGB versäumt. Sie hatte Ende 1995 umfassende Kenntnis von den früheren Beschwerden, Krankheiten und ärztlichen Behandlungen von Herrn G. , die bei Schließung der Verträge über die Kapitallebensversicherung mit einge-

schlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung vom Dezember 1992 und der hier im Streit befindlichen Risikolebensversicherung vom Dezember 1991 nicht angegeben worden sind. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29. November 1995 nur ihre Annahmeerklärung zum Vertrag vom Dezember 1992 wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die Anfechtung umfaßte nicht nur die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, aus der damals Leistungen verlangt wurden, sondern auch die Kapitallebensversicherung , bei der der Versicherungsfall noch nicht eingetreten war. Angesichts der von der Beklagten als besonders schwerwiegend angesehenen arglistigen Täuschung hätte es sich Ende 1995 aufgedrängt zu prüfen, ob sich im Bestand der im Mai 1994 verschmolzenen beiden Gesellschaften weitere Verträge auf das Leben von Herrn G. befinden und ob diese ebenfalls von den Anfechtungsgründen betroffen sind. Da somit Anlaß bestand, die in den eigenen Datenbanken und Akten gesammelten Daten abzurufen, ist die bei der Beklagten allgemein vorhanden gewesene Kenntnis von der Risikolebensversicherung aktuelles und von ihr zu berücksichtigendes Wissen geworden (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1993 - IV ZR 153/92 - VersR 1993, 1089 unter II 2; vom 18. Dezember 1991 - IV ZR 299/90 - VersR 1992, 217 unter 2 und vom 13. Dezember 1989 - IVa ZR 177/88 - VersR 1990, 258 unter 3; vgl. ferner BGHZ 132, 30, 36 ff. und BGHZ 135, 202, 205 f.). Ein Lebensversicherer kann sich der dokumentierten Kenntnis von bestehenden Verträgen nicht dadurch entziehen, daß er - wie die Beklagte - mehrere

Verträge, in denen dieselbe Person versichert ist und auf deren Gesundheitsverhältnisse es für Rücktritt und Arglistanfechtung ankommt, in verschiedenen Abteilungen so verwaltet, als handele es sich bei diesen um jeweils selbständige Unternehmen, die nichts miteinander zu tun haben.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Dr. Kessal-Wulf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 6/01 Verkündet am:
10. Oktober 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
Bei der Beantwortung von vorformulierten Antragsfragen geht es nicht zu Lasten
des künftigen Versicherungsnehmers, wenn der Agent durch einschränkende
Bemerkungen zu den Fragen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben
und in das Formular aufzunehmen ist.
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2001 - IV ZR 6/01 - OLG Dresden
LG Zwickau
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den
Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2001

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. Dezember 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem beklagten Versicherungsunternehmen eine Berufsunfähigkeitsrente.
Der Kläger, von Beruf Elektroinstallateur, stellte am 1. Juni 1996 bei der Beklagten den Antrag auf Abschluß einer Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Das Antragsformular wurde vom Agenten der Beklagten ausgefüllt. Zwischen den Parteien ist strei-

tig, ob der Agent dem Kläger sämtliche Gesundheitsfragen vorlas und was der Kläger darauf im einzelnen antwortete. Unstreitig erwähnte der Kläger jedenfalls Rückenbeschwerden und kreuzte der Agent gleichwohl bei der Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden u.a. der Wirbelsäule die Antwort "nein" an. Der Kläger war seit April 1994 wegen Rückenschmerzen zunächst bei Dr. G. und ab Januar 1995 bei der Orthopädin V. in Behandlung. Auf Veranlassung der letzteren wurde er vom 30. August bis 2. September 1995 im V.klinikum P. untersucht und vom 6. März bis 3. April 1996 in der Rehabilitationsklinik B. behandelt, wo als Befund eine fortgeschrittene Spondylosis deformans (degenerative Erkrankung der Wirbelkörper und Bandscheibenschaden) der Lendenwirbelsäule mit fortgeschrittener Osteochondrose (Knochen- und Knorpeldegeneration ) geschildert wurde. Aus der Rehabilitation wurde der Kläger als voll arbeitsfähig entlassen. Aufgrund zunehmender Beschwerden an der Lendenwirbelsäule wurde er jedoch ab 6. November 1998 arbeitsunfähig krankgeschrieben und in der Folgezeit zweimal operiert.
Die Beklagte lehnte die Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 375 DM ab, weil der Kläger sie nicht ausreichend über sein Rückenleiden informiert habe. Sie trat vom Vertrag zurück und focht ihn außerdem wegen arglistiger Täuschung an.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Begründung , es sei dabei von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abgewichen, hat das Oberlandesgericht die Revision zugelassen. Der

Kläger begehrt nunmehr die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei zur Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung berechtigt gewesen, und hierzu ausgeführt:
Der Kläger habe die Gesundheitsfragen im Antragsformular zumindest bezüglich seines Rückenleidens unrichtig beantwortet. Angesichts seiner Krankengeschichte, aus der ein ernsthaftes, hartnäckiges Rückenleiden hervorgehe, habe die Erklärung des Klägers gegenüber dem Versicherungsvertreter, er leide an gelegentlichen Kreuzschmerzen, die manchmal mit einer Ischiasspritze behandelt würden, eine grobe Verharmlosung des wahren Krankheitsbildes dargestellt. Dies sei dem Kläger auch bewußt gewesen. Falls seine Behauptung zutreffe, der Versicherungsvertreter habe erwidert, daß nur ernsthafte Erkrankungen angegeben werden müßten, nicht aber Kreuzschmerzen, die wohl jeder einmal habe, so habe der Kläger daraus ersehen müssen, daß er dem Versicherungsvertreter ein falsches Bild von seinen Beschwerden vermittelt hatte. Der Kläger habe auch arglistig gehandelt, nämlich damit gerechnet, daß sich die Mitteilung des wahren Sachverhalts negativ auf den gewünschten Abschluß des Versicherungsvertrages auswirken könne. Hierfür spreche sowohl, daß seine Rückenerkrankung seine Berufs-

fähigkeit gefährdet habe, was ihm nicht verborgen geblieben sei, als auch, daû er keine plausible Erklärung für die verfälschende Darstellung seiner Beschwerden gegeben habe.
Die Anfechtungserklärung der Beklagten verstoûe auch nicht gegen Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt, daû die Beklagte eine gebotene Risikoprüfung unterlassen habe. Zwar treffe den Versicherer im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine Obliegenheit zur Risikoprüfung , bei deren Verletzung er später nicht mit der Begründung vom Vertrag zurücktreten könne, der Versicherungsnehmer habe seine Anzeigeobliegenheit verletzt. Nicht gefolgt werden könne hingegen aber der weitergehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dem Versicherer sei, wenn er die gebotene Nachfrage unterlassen habe, auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung verwehrt (BGHZ 117, 385, 387 f.). Der arglistig Täuschende verdiene keinen Schutz seines Vertrauens auf den Bestand des erschlichenen Vertrages. Eine Ausnahme komme nur dann in Betracht, wenn sich dem Versicherer beim Vertragsschluû aufdrängen müsse, daû der Versicherungsnehmer eine arglistige Täuschung versuche. So liege es hier aber nicht.
II. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. a) Der Kläger hat die Antragsfrage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden nicht objektiv unrichtig beantwortet. Das Berufungsgericht hat insoweit den Prozeûstoff nicht vollständig gewürdigt.

Unerheblich ist, daû der Agent im Antragsformular die Frage nach Vorerkrankungen verneinte. Es kommt allein auf die mündlichen Erklärungen des Klägers an. Bei Entgegennahme eines Antrags auf Abschluû eines Versicherungsvertrages steht dem Antragsteller der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent des Versicherers, bildlich gesprochen, als dessen Auge und Ohr gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden, auch wenn der Agent es nicht in das Formular aufgenommen hat (BGHZ 116, 387, 389).
Soweit es um den Inhalt der mündlichen Erklärungen des Klägers geht, ist im Revisionsverfahren die Richtigkeit seines diesbezüglichen Vortrags zu unterstellen. Die Beweislast dafür, daû er etwas anderes gesagt hat, als er behauptet, trifft die Beklagte. Nach der Auge-und-OhrRechtsprechung läût sich, wenn der Agent das Formular ausgefüllt hat, allein mit dem Formular nicht beweisen, daû der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Dann muû vielmehr der Versicherer beweisen, daû der Versicherungsnehmer den Agenten mündlich nicht zutreffend unterrichtet hat. Dieser Beweis ist regelmäûig nur durch die Aussage des Versicherungsagenten zu führen (BGHZ 107, 322, 325). Hier hat das Landgericht den Versicherungsagenten und gegenbeweislich die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Das Berufungsgericht hat aber ausdrücklich offengelassen, ob es der Aussage des Agenten Glauben schenkt, wonach der Kläger lediglich von einmalig aufgetretenen Kreuzschmerzen sprach, die der Arzt als belanglos einge-

stuft habe. Deshalb ist im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers seine anderslautende Darstellung als wahr zu unterstellen. Die Darstellung des Klägers ergibt sich aus der Zeugenaussage seiner Ehefrau. Das Berufungsgericht hat lediglich auf den schriftsätzlichen Vortrag des Klägers Bezug genommen, er habe dem Agenten angegeben , daû er Rückenschmerzen habe und sich deshalb ab und zu vom Arzt eine Ischias-Spritze geben lassen müsse. Dabei hat es übersehen , daû der Kläger sich im Berufungsverfahren ausdrücklich die Zeugenaussage seiner Ehefrau zu eigen gemacht hat. Aber auch ohne die ausdrückliche Berufung des Klägers auf diese Aussage müûte davon ausgegangen werden, daû er sie, als ihm günstig, zum Gegenstand seines eigenen Vortrags machen wollte. Die Ehefrau hat folgendes bekundet : Ihr Mann habe gesagt, daû er Rückenschmerzen habe und, wenn diese aufträten, er zum Arzt - der Orthopädin V. - gehe und dort immer eine Spritze bekomme, die dann je nach Arbeitsbelastung oder sonstigen Umständen auch unterschiedlich lange anhalte.
Schon danach steht fest, daû der Kläger dem Agenten nicht nur angegeben hat, unter Rückenschmerzen zu leiden; aus seiner Antwort ergibt sich vielmehr zugleich, daû diese Schmerzen wiederholt auftraten und jeweils - bei unterschiedlichem Erfolg - ärztlich mit Spritzen behandelt werden muûten.

b) Zu weiteren Angaben auf die ihm gestellte Gesundheitsfrage war der Kläger nicht aufgerufen.

Das Berufungsgericht nimmt insoweit bereits nicht hinreichend in den Blick, daû nach den Angaben der Ehefrau des Klägers - von denen im Revisionsverfahren auszugehen ist - der Agent der Beklagten auf die Schilderung des Klägers geantwortet hat, es handele sich insoweit um eine Bagatelle, um eine Volkskrankheit, die eigentlich jeder habe und die man nicht in den Antrag aufnehmen müsse. Schon danach muûte sich der Kläger zu ergänzenden Angaben nicht veranlaût sehen, zumal ihm - wie der Antrag ausweist und sich nach dieser Antwort des Agenten als folgerichtig darstellt - die ergänzende Frage nach Art, Verlauf und Folge der Erkrankung (einschlieûlich Operationen, Kuren ...) offensichtlich nicht mehr gestellt worden ist.

c) Dem Kläger oblag es nicht, den kurzen Krankenhausaufenthalt und die Behandlung in der Reha-Klinik B. ungefragt anzuzeigen. Das gilt zum einen schon deshalb, weil die Reaktion des Agenten auf die Angaben des Klägers diesem den Blick darauf verstellen muûte, daû noch ergänzende Erklärungen geboten sein könnten. Zum anderen ergaben sich aus diesen stationären Krankenhausaufenthalten jedenfalls aus der Sicht des Klägers über die bereits gemachten Angaben hinaus keine weiteren gefahrerheblichen Umstände.
Der erste, nur viertägige Klinikaufenthalt diente der diagnostischen Abklärung des Leidens und brachte kein greifbares Ergebnis. Die Verdachtsdiagnose der behandelnden Ärztin V. auf Verengung des Wirbelkanals und Wirbelgleiten wurde nicht bestätigt, eine Operationsindikation wurde verneint und die Fortsetzung der konservativen Therapie durch Spritzen wurde befürwortet. Die zweite "stationäre Behandlung"

war eine Rehabilitationskur, hinsichtlich derer der Kläger richtig vorgetragen hat, daû sie einer Therapie des Rückenleidens durch Stärkung der Rückenmuskulatur diente.

d) Damit fehlt es nicht nur an einer objektiven Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den Kläger. Zugleich erweist sich vielmehr auch die Annahme des Berufungsgerichts als nicht tragfähig, der Kläger habe sein Leiden gegenüber dem Agenten der Beklagten verharmlost. Das Leiden verharmlost hat - nach den Angaben der Ehefrau des Klägers - der Agent. Ihn hinsichtlich der Frage zu kontrollieren, was in das Antragsformular aufzunehmen ist, war nicht Sache des Antragstellers. Mit der Vorgabe von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen im Antragsformular hat der Versicherer selbst die Anzeigeobliegenheit so ausgestaltet , daû der künftige Versicherungsnehmer die Gefahrumstände anhand der ihm gestellten Fragen zu beantworten hat. Unterläuft das der Agent dadurch, daû er dem Antragsteller durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist, kann dieses Agentenverhalten nicht zu Lasten des künftigen Versicherungsnehmers gehen. Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken von Kläger und Agent hat das Berufungsgericht nicht festgestellt; sie sind auch nicht ersichtlich.

e) Ist danach davon auszugehen, daû der Kläger der Anzeigeobliegenheit genügt und ihn der Vorwurf, sein Leiden verharmlost zu haben , nicht trifft, fehlt es an einer Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts , der Kläger habe die Beklagte durch Täuschung zum Abschluû des Vertrages bewegen wollen. Eine arglistige Täuschung des

Klägers scheidet schon deshalb aus, ohne daû es insoweit auf weiteres ankommt.
2. Demgemäû hatte der Senat schon aus diesem Grunde die Grundsatzfrage, deretwegen das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, ob nämlich eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers diesem auch die Arglistanfechtung verwehrt, nicht zu entscheiden (vgl. zur Wissenszurechnung bei arglistigem Verschweigen von Gesundheitsumständen das Senatsurteil vom 7. März 2001 - IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620 unter 2 b bb).
Terno Seiffert Ambrosius
Wendt Dr. Kessal-Wulf

Das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bleibt unberührt.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.