Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 16. Feb. 2018 - 20 OLGAusl 37/17

bei uns veröffentlicht am16.02.2018

Tenor

1. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die gegen den Verfolgten vollzogene vorläufige Auslieferungshaft als Auslieferungshaft fortdauern zu lassen, wird zurückgewiesen.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 22.12.2017 wird aufgehoben.

3. Der Verfolgte ist in dieser Sache unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

4. Eine Entscheidung über die Einwendungen des Verfolgten gegen den Haftbefehl und dessen weiteren Vollzug ist damit nicht mehr veranlasst.

Gründe

I.

1

Der Verfolgte, der sich seit dem 08.03.2013 als Asylbewerber und seit dem 19.07.2013 mit Aufenthaltsgestattung in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, befindet sich auf Ersuchen der russischen Behörden seit dem 09.01.2018 aufgrund Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 22.12.2017 in vorläufiger Auslieferungshaft. Diese diente der Sicherung der Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zur Strafverfolgung wegen der ihm mit Haftbefehl des Kreisgerichts Sunzhensky der autonomen Republik Inguschetien der Russischen Föderation vom 27.02.2017 - Nr. 3/1-7/2017 - zur Last gelegten (Beihilfe zur) Beteiligung an einer illegalen bewaffneten Formation.

2

Das förmliche Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 08.02.2018 und die Auslieferungsunterlagen nebst Übersetzungen sind am 14.02.2018 im Original beim Bundesamt für Justiz eingegangen. Sie wurden dort eingescannt und vorab per E-Mail über die Generalstaatsanwaltschaft Rostock an den Senat weitergeleitet. Die Übersendung der Originale auf dem Postweg ist bereits veranlasst worden. An der Authentizität der per E-Mail vorab übermittelten Unterlagen besteht kein Zweifel, weshalb es unschädlich ist, dass die Originale dem Senat nicht mehr innerhalb der Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk vorgelegt werden konnten (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internat. Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., IRG § 16 Rn. 34a).

3

Dem Verfolgten wird in dem Auslieferungsersuchen von den russischen Behörden vorgeworfen, die illegale bewaffnete Formation „Jamaat Sunzhenskij“ unterstützt zu haben, die auf dem Gebiet des Sunzhenskij Rayons der Republik Inguschetien im Jahr 2008 gegründet wurde und die sich die gewaltsame Machtergreifung in der nordkaukasischen Region sowie die Gründung eines sich auf die Ideen des radikalen Islams stützenden Staates mit religiöser Führung („Kalifat“) zum Ziel gesetzt hat. Zur Erreichung dieser Ziele sei der „bewaffnete Dschihad“ gegen die „Ungläubigen“ erklärt worden, d.h. die Vernichtung und Einschüchterung der Träger der Staatsgewalt sowie sonstiger Bürger, die sich zu dem radikalen Islam nicht bekannt haben. Der vorbezeichneten bewaffneten Gruppierung hätten circa 25 Personen angehört, die im Besitz von Handfeuerwaffen und automatischen Schusswaffen nebst Munition gewesen seien. Die Mitglieder des „Jamaat Sunzhenskij“ hätten sich im Waldgebiet östlich der Dorfsiedlungen Nesterowskoje, Alchasty, Galaschki und Muzhitschi des Sunzhenskij Rayons der Republik Inguschetien verteilt. Zur Einhaltung der Konspiration seien die Aufenthaltsorte der Gruppierung in regelmäßigen Abständen geändert worden. Zwecks Sicherung der Tätigkeit der illegalen bewaffneten Formation seien Dorfbewohner hinzugezogen worden, die die Ideologie des radikalen Islam geteilt hätten. Von Dezember 2008 bis einschließlich November 2015 sei der „Jamaat Sunzhenskij“ von B. M. M. geführt worden, der am 31.10.2015 im Zuge des bewaffneten Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte getötet wurde. Spätestens ab November 2011 bis einschließlich September 2012 habe der Verfolgte, der die Ideologie des radikalen Islamismus und des religiösen Extremismus sowie die Ziele der genannten Formierung geteilt habe, den Mitgliedern des „Jamaat Sunzhenskij“ A. Ch. A. und T. Ch. Ch. sowie den anderen in der föderalen Fahndungsliste stehenden und der Ausführung terroristischer Verbrechen verdächtigen Mitgliedern Beihilfe geleistet, indem er in Kleinverkaufsstellen der Siedlung Ordzhonikidsewskoje des Sunzhenskij Rayon Lebensmittel besorgt und der Formierung übergeben sowie den Mitgliedern der bewaffneten Formierung sein Kraftfahrzeug der Marke, WAS 2107, mit dem amtlichen Kennzeichen C 831 CP Region 95 zur Verfügung gestellt hat. Er habe bis zur Tötung des T. Ch. Ch. und des A. Ch. A. im September 2012 durch russische Sicherheitskräfte, die genannten Personen mit dem vorbezeichneten Fahrzeug befördert und ihnen somit Bewegungsfreiheit im Gebiet des Sunzhenskij Rayons der Republik Inguschetien verschafft.

4

Nach vorliegenden Erkenntnissen aus öffentlich zugänglichen Quellen, insbesondere aus dem Internet und aus dem Behördenzeugnis des Bundesnachrichtendienstes vom 21.12.2016 soll der am 18.09.2012 getötete Kämpfer A. ab Juni 2011 dem islamistischen Untergrund angehört haben und an der Herstellung und dem Einsatz von improvisierten Sprengvorrichtungen beteiligt gewesen sein. Der am selben Tag getötete K. soll Verstecke für Waffen und Munition organisiert und Informationen über Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden gesammelt haben. Ihm wurde zudem die Beteiligung an Tötungen von Angehörigen der Streitkräfte und Mitarbeitern von Rechtsschutzbehörden zur Last gelegt. Der bei der Aktion der Sicherheitskräfte am 18.09.0212 ebenfalls getötete Kämpfer A. A. soll an der Ermordung des Bezirkspolizeibeamten B. von der Abteilung für innere Angelegenheiten des Sunzhenskij Rayons im Jahr 2011 beteiligt gewesen sein.

5

Der Verfolgte hat sich bei seiner Anhörung gemäß § 21 IRG vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Güstrow am 10.01.2018 nicht mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt, nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Auslieferung sowie den Auslieferungshaftbefehl und dessen Vollzug erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 23.01.2018 Bezug genommen.

6

Der Beistand des Verfolgten hat dazu unter dem 05.02.2018 Stellung genommen. Er stellt das Vorliegen von Haftgründen (Flucht- oder Verdunkelungsgefahr) in Abrede. Im Übrigen genieße der Verfolgte als im ersuchenden Staat politisch Verfolgter Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG.

7

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 06.01.2015 - 5618498-160 - wurde der Antrag des Verfolgten auf Asylanerkennung abgelehnt und ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Hiergegen hat der Verfolgte am 26.01.2018 Klage vor dem Verwaltungsgericht Schwerin erhoben, für die ihm auf seinen Antrag hin Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist (Geschäftszeichen: 15 A 268/15 As). Die Akten dieses Verwaltungsrechtsstreits haben dem Senat in Ablichtung vorgelegen. Aus ihnen ergibt sich, dass am 26.02.2016 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, in deren Verlauf der Verfolgte detailliert geschildert hat, er sei im Zusammenhang mit Rebellenaktivitäten seines Neffen B. M., der bei einer Gruppierung im Kaukasus gekämpft habe, zeitweilig deren Anführer gewesen und inzwischen tot sei, von tschetschenischen Sicherheitskräften befragt, misshandelt und zur Zusammenarbeit mit dem russischen Sicherheitsdienst FSB aufgefordert worden. Man habe ihn wegen seiner familiären Beziehung zu B. M. als Spitzel in die Gruppe einschleusen wollen. Das habe er abgelehnt und sei aus Furcht vor Repressalien geflüchtet. Seither werde er auf einer Liste des föderalen Dienstes für Finanzmonitoring (sic!) der Russischen Föderation, die aktuelle Angaben zu Terroristen und Extremisten enthalte, mit Datum vom 19.11.2015 unter der laufenden Nummer 3970 mit seinen Personalien geführt. Im Kern korrespondierende Angaben hat der Verfolgte bereits im Asylverwaltungsverfahren und bei seiner richterlichen Anhörung gemäß §§ 22, 41 IRG am 10.01.2018 in vorliegender Sache vor dem Amtsgericht Güstrow gemacht.

8

Auf der auch englischsprachig aufrufbaren Internetseite des „Federal Financial Monitoring Service“ (Rosfinmonitoring) der Russischen Föderation (www.fedsfm.ru/en) mit Stand vom 09.02.2018 wird der Verfolgte unter der laufenden Nummer 7058 mit seinen Personalien in kyrillischer Schrift geführt. Die Liste beruht nach den Angaben auf der Website auf dem föderalen Gesetz Nr. 115 vom 07.08.2001 über die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und darauf aufbauenden präsidialen Einzeldekreten. Sie dient u.a. der Überwachung der Aktivitäten und der Verfolgung von Personen, die gegen die russischen Bestimmungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verstoßen.

9

Bei der in dem Auslieferungsersuchen erwähnten illegalen Gruppierung „Jamaat Sunzhenskij“ oder „Sunzhenskij Jamaat“ handelt es sich nach den derzeit dazu vorliegenden Erkenntnissen deutscher Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden um eine Unterorganisation des im Oktober 2007 von Doku Umarov gegründeten „Kaukasischen Emirats“. Die „Sunzhenskij Jamaat“ sei seit dem Jahr 2012 im Bezirk Sunzhenskij der Republik Ingutschetien bekannt. Bei dem „Kaukasischen Emirat“ handelt es sich um eine hierarchisch organisierte terroristische Vereinigung mit festen Regeln für die Willensbildung und Entscheidungsfindung, die sich von radikal-islamistischen Anschauungen geleitet zum Ziel gesetzt hat, die Länder des Kaukasus gewaltsam und auch unter Inkaufnahme ziviler Opfer von russischer Besatzung zu befreien, sie aus der russischen Föderation loszulösen und dort einen Gottesstaat unter Geltung der Scharia zu errichten. Die Organisation ist mit zahlreichen Anschlägen auf Angehörige von Sicherheitsbehörden und regionale Politiker zunächst im Kaukasus in Erscheinung getreten. Später wurden durch Mitglieder der Organisation Anschläge auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation begangen, darunter am 27.11.2009 auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Hochgeschwindigkeitszug Newski-Express bei dem 28 Menschen zu Tode kamen, am 29.03.2010 durch einen Doppelanschlag auf die Moskauer Metro mit mindestens 39 Toten und über 100 Verletzten und durch einen Selbstmordanschlag auf dem Flughafen Domodedovo am 24.01.2011 mit 37 Toten, darunter zwei deutschen Staatsangehörigen, und mehr als 100 Verletzten.

II.

10

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 14.02.2018, die vorläufige Auslieferungshaft als Auslieferungshaft fortdauern zu lassen, kann nicht entsprochen werden, weil nach derzeitiger Aktenlage davon auszugehen ist, dass sich die Auslieferung des Verfolgten als unzulässig erweisen wird (§ 15 Abs. 2 IRG). Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 22.12.2017 war deshalb aufzuheben (§ 24 Abs. 1 IRG), zumal mit dem Eingang weiterer Unterlagen des ersuchenden Staates, die die bestehenden Bedenken des Senats ausräumen könnten, vor Ablauf der Frist des Art. 16 Abs. 4 Satz 1, 2. Alt. EuAlÜbk am 18.02.2018 nicht mehr zu rechnen ist. Einer gesonderten Entscheidung über die Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl und dessen weiteren Vollzug bedarf es danach nicht mehr.

11

1. Der dem Verfolgten gemachte Vorwurf, die illegale bewaffnete Formation „Jamaat Sunzhenskij“ dadurch unterstützt zu haben, dass er spätestens ab November 2011 bis einschließlich September 2012 deren Mitgliedern A. Ch. A. und T. Ch. Ch. sowie den anderen in der föderalen Fahndungsliste stehenden und der Ausführung terroristischer Verbrechen verdächtigen Mitgliedern Beihilfe geleistet habe, indem er in Kleinverkaufsstellen der Siedlung Ordzhonikidsewskoje des Sunzhenskij Rayon Lebensmittel für sie besorgt und der Formierung übergeben sowie den Mitgliedern der bewaffneten Formierung sein Kraftfahrzeug der Marke, WAS 2107, mit dem amtlichen Kennzeichen C 831 CP Region 95 zur Verfügung gestellt oder sie mit dem vorbezeichneten Fahrzeug sogar selbst befördert und ihnen somit Bewegungsfreiheit im Gebiet des Sunzhenskij Rayons der Republik Inguschetien verschafft habe, wobei er die Ideologie des radikalen Islamismus und des religiösen Extremismus sowie die Ziele der genannten Formierung geteilt habe, stellt sich als politische Straftat dar, welche nach Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 IRG nicht auslieferungsfähig ist.

12

Zwar stützen die russischen Justizbehörden den Tatvorwurf nicht auf Art. 205.5 des Strafgesetzbuches der russischen Föderation (im Folgenden: russ. StGB; Teilnahme an den Aktivitäten einer terroristischen Organisation), sondern formal auf Art. 208 Abs. 2 i.V.m. Art. 33 russ. StGB, wonach auch bestraft wird, wer als Täter, Anstifter oder Gehilfe mit Zielen, die den Interessen der Russischen Föderation nicht entsprechen, an einer bewaffneten Formation teilnimmt, die vom föderalen Gesetz nicht vorgesehen ist. Dabei gilt als Gehilfe, wer an der Ausführung eines Verbrechens durch Ratschläge, Anweisungen, Erteilung von Informationen, (der Zurverfügungstellung) von Mitteln oder von Werkzeugen bei der Begehung des Verbrechens mitwirkt, sowie solche Personen, die im Voraus versprochen haben, dem Verbrecher Mittel oder Werkzeuge zur Begehung des Verbrechens zur Verfügung zu stellen oder Tatspuren oder durch das Verbrechen erworbene Gegenstände zu verstecken oder Personen, die im Voraus zugesagt haben, solche Gegenstände anzukaufen oder abzusetzen (Art. 33 Abs. 5 russ. StGB).

13

Bereits der Umstand, dass nur solche in- oder ausländischen Taten unter die Norm fallen, die von einer verbotenen, weil in den einschlägigen Gesetzen nicht vorgesehenen Organisation begangen werden und die den Zielen der russischen Föderation nicht entsprechen, lässt aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich auch bei Art. 208 russ. StGB um ein Staatsschutzdelikt handelt. Maßgeblicher Schutzzweck auch dieser Norm ist die Aufrechterhaltung der politischen Ordnung in der russischen Föderation, indem der Fortbestand ihrer inneren und äußeren Sicherheit gewahrt werden soll. Damit handelt es sich bei einschlägigen Delikten um politische Straftaten im Sinne der einschlägigen auslieferungsrechtlichen Bestimmungen (vgl. zum Begriff der politischen Verfolgung grundlegend BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86 und 2 BvR 961/86, Rdz. 39 ff., [48 ff.] in juris; zur auslieferungsrechtlichen Einordnung: Vogel in Grützner/Pötz/Kress, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 6 IRG Rn. 37; zur politischen Straftat vgl. auch Ahlbrecht/Böhm/Esser/ Eckelmanns, Internationales Strafrecht, 2. Auflage 2018 Rn. 821 ff.).

14

Dass die Behörden des ersuchenden Staates die dem Verfolgten vorgeworfene Tat zwar einerseits als „terroristisch“ beschreiben, sie aber gleichwohl nicht unter Art. 205.5 Abs. 2 russ. StGB subsumieren und sie wohl deshalb in dem Auslieferungsersuchen auch explizit nicht als politisches Delikt einordnen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Vorrangig für diese rechtliche Bewertung ist im Auslieferungsverfahren die Sicht des ersuchten Staates (Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk).

15

Hinzu kommt, dass mit dem Europäischen Übereinkommen vom 27.01.1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (EuTerrÜbk) und dem dazu ergangenen Zusatzprotokoll vom 15.05.2003 (ZP-EuTerrÜbk) eigens festgelegt wurde, dass für die Zwecke der Auslieferung zwischen den Vertragsstaaten, zu denen sowohl die Russische Föderation wie auch die Bundesrepublik Deutschland gehören, keine der darin enumerativ aufgeführten Straftaten als politische Straftat oder als eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat angesehen wird (Art. 1 EuTerrÜbk in der Fassung von Art. 1 ZP-EuTerrÜbk). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es sich bei allen dort nicht aufgeführten Staatsschutzdelikten jedenfalls dem Grundsatz nach um politische Straftaten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk handelt.

16

Etwas Anderes könnte nur dann gelten, wenn die dem Verfolgten vorgeworfene Tat vom ersuchenden Staat zwar unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer (politischen) Staatsschutzbestimmung verfolgt wird, dabei jedoch der hinreichende Verdacht besteht, dass dieses Delikt mit einer dem Verfolgten zurechenbaren Verletzung gewichtiger individueller Rechtsgüter einherging. Nur wenn der allgemein-kriminelle Charakter der vorgeworfenen Tat deren politische Zielrichtung deutlich in den Hintergrund treten lässt, erscheint es vertretbar, ein sich aus Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk ergebendes Auslieferungshindernis zu verneinen (so im Ergebnis auch OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 15.01.2018 - Ausl 301 AR 185/17 -, vom 29.06.2017 - Ausl 301 AR 101/17 -, vom 18.01.2008 - 1 AK 3/08 - und vom 06.12.2006 - 1 AK 57/06-, juris; vgl. auch BVerfG a.a.O. Rdz. 51 ff.). Genau diese auf den Schwerpunkt der Rechtsgüterverletzung abstellende Sichtweise, wonach nur besonders gravierende und jedenfalls auch individuelle Schutzgüter tangierende Straftaten ausnahmsweise deren grundsätzliche Einordnung als politische Tat in den Hintergrund treten lassen, spiegelt sich im EuTerrÜbk in der Fassung des Zusatzprotokolls wider. Sie liegt offensichtlich auch der Regelung in Art. 2 des Gesetzes vom 28.03.1978 zu dem EuTerrÜbk (EuTerrÜbkG) zugrunde (BGBl. 1978 II, 321, 907).

17

Die dem Verfolgten in dem Auslieferungsersuchen zur Last gelegte Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation gemäß Art. 208 Abs. 2 russ. StGB stellt sich - ihre Erweislichkeit auch in subjektiver Hinsicht einmal unterstellt - nach deutschem Recht als „bloße“ Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung dar (§ 129a Abs. 5 i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB). Dass er in diesem Zusammenhang an konkreten Einzeltaten beteiligt gewesen wäre, durch die zugleich individuelle Rechtsgüter von Einzelpersonen konkret verletzt oder auch nur gefährdet wurden, ist den Auslieferungsunterlagen jedoch nicht zu entnehmen. Der Senat geht als sicher davon aus, dass eine irgendwie geartete Beteiligung des Verfolgten an der Vorbereitung oder Durchführung konkreter terroristischer Einzeltaten der illegalen bewaffneten Formation „Jamaat Sunzhenskij“ seitens der russischen Strafverfolgungsbehörden nicht unerwähnt geblieben wäre. Es handelt sich damit bei dem dem Verfolgten vorgeworfenen Staatsschutzdelikt um eine politische Straftat im vorgenannten Sinne, die nicht unter den Katalog des EuTerrÜbk in der Fassung des ZP-EuTerrÜbk fällt.

18

Damit käme vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse das Auslieferungshindernis des Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 IRG zum Tragen.

19

2. Abgesehen davon lassen die von den russischen Behörden bislang mitgeteilten Erkenntnisse, wonach der Verfolgte Mitglieder der „Jamaat Sunzhenskij“ lediglich dadurch unterstützt haben soll, dass er ihnen wiederholt Lebensmittel besorgt und ihnen sein Auto für Fahrten zur Verfügung gestellt beziehungsweise sie damit selbst chauffiert hat, noch nicht einmal eine Subsumtion unter die objektiven Tatbestandsmerkmale einer Teilnahme nach Art. 33 Abs. 3 russ. StGB zu. Dass der Verfolgte den Angehörigen dieser Organisation Ratschläge oder Anweisungen zur Begehung konkreter Taten erteilt, ihnen dafür benötigte Informationen geliefert oder ihnen Mittel oder Werkzeuge nicht lediglich allgemein, sondern zur Begehung konkreter Taten zur Verfügung gestellt hätte, ist den Auslieferungsunterlagen ebensowenig zu entnehmen, wie eine entsprechende Zusage (Versprechen) des Verfolgten, dies künftig gezielt für geplante Einzeltaten zu tun oder Tatspuren oder Tatbeute zu verstecken oder beim Absatz von Tatbeute behilflich zu sein.

20

3. Der Generalstaatsanwaltschaft bleibt es unbenommen, bei den russischen Behörden weitere Sachaufklärung zu betreiben (Art. 13 EuAlÜbk), die dem Senat dann möglicherweise Anlass zu abweichender Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung und zu erneuter Entscheidung über die Haftfrage geben könnte. Dafür dürfte es angesichts der detaillierten Einlassungen des Verfolgten unabdingbar sein, auch solche Unterlagen anzufordern, die tatsachenfundiert den hinreichenden Tatverdacht einer nach den dargelegten Maßstäben nicht ausschließlich politisch einzuordnenden Straftat belegen (§ 10 Abs. 2 IRG).

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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 15. Jan. 2018 - Ausl 301 AR 185/17

bei uns veröffentlicht am 15.01.2018

Tenor Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird zurückgewiesen. Gründe   1 Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls konnte nicht entspro

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(1) Wird der Verfolgte auf Grund eines Auslieferungshaftbefehls ergriffen, so ist er unverzüglich, spätestens am Tag nach der Ergreifung, dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorzuführen.

(2) Der Richter beim Amtsgericht vernimmt den Verfolgten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tag, über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere über seine Staatsangehörigkeit. Er weist ihn darauf hin, daß er sich in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsbeistands (§ 40) bedienen kann und daß es ihm freisteht, sich zu der ihm zur Last gelegten Tat zu äußern oder dazu nicht auszusagen. Sodann befragt er ihn, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er Einwendungen gegen die Auslieferung, gegen den Auslieferungshaftbefehl oder gegen dessen Vollzug erheben will. Im Fall des § 16 Abs. 1 Nr. 2 erstreckt sich die Vernehmung auch auf den Gegenstand der Beschuldigung; in den übrigen Fällen sind die Angaben, die der Verfolgte von sich aus hierzu macht, in das Protokoll aufzunehmen.

(3) Ergibt sich bei der Vernehmung, daß

1.
der Ergriffene nicht die in dem Auslieferungshaftbefehl bezeichnete Person ist,
2.
der Auslieferungshaftbefehl aufgehoben ist oder
3.
der Vollzug des Auslieferungshaftbefehls ausgesetzt ist,
so ordnet der Richter beim Amtsgericht die Freilassung an.

(4) Ist der Auslieferungshaftbefehl aufgehoben oder der Vollzug ausgesetzt, so ordnet der Richter beim Amtsgericht an, daß der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist, wenn

1.
die Voraussetzungen eines neuen Auslieferungshaftbefehls wegen der Tat vorliegen oder
2.
Gründe dafür vorliegen, den Vollzug des Auslieferungshaftbefehls anzuordnen.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht führt unverzüglich die Entscheidung des Oberlandesgerichts herbei.

(5) Erhebt der Verfolgte gegen den Auslieferungshaftbefehl oder gegen dessen Vollzug sonstige Einwendungen, die nicht offensichtlich unbegründet sind, oder hat der Richter beim Amtsgericht Bedenken gegen die Aufrechterhaltung der Haft, so teilt er dies der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht unverzüglich und auf dem schnellsten Weg mit. Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht führt unverzüglich die Entscheidung des Oberlandesgerichts herbei.

(6) Erhebt der Verfolgte gegen die Auslieferung keine Einwendungen, so belehrt ihn der Richter beim Amtsgericht über die Möglichkeit der vereinfachten Auslieferung und deren Rechtsfolgen (§ 41) und nimmt sodann dessen Erklärung zu Protokoll.

(7) Die Entscheidung des Richters beim Amtsgericht ist unanfechtbar. Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht kann die Freilassung des Verfolgten anordnen.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Wird der Verfolgte vorläufig festgenommen, so ist er unverzüglich, spätestens am Tag nach der Festnahme, dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorzuführen.

(2) Der Richter beim Amtsgericht vernimmt den Verfolgten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tag, über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere über seine Staatsangehörigkeit. Er weist ihn darauf hin, daß er sich in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsbeistands (§ 40) bedienen kann und daß es ihm freisteht, sich zu der ihm zur Last gelegten Tat zu äußern oder dazu nicht auszusagen. Sodann befragt er ihn, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er Einwendungen gegen die Auslieferung oder gegen seine vorläufige Festnahme erheben will. § 21 Abs. 2 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Ergibt sich bei der Vernehmung, daß der Ergriffene nicht die Person ist, auf die sich das Ersuchen oder die Tatsachen im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 4 beziehen, so ordnet der Richter beim Amtsgericht seine Freilassung an. Andernfalls ordnet der Richter beim Amtsgericht an, daß der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist. § 21 Abs. 4 Satz 2, Abs. 6 und 7 gilt entsprechend.

(1) Die Auslieferung eines Verfolgten, gegen den ein Auslieferungshaftbefehl besteht, kann auf Ersuchen einer zuständigen Stelle eines ausländischen Staates um Auslieferung oder um vorläufige Festnahme zum Zweck der Auslieferung ohne Durchführung des förmlichen Auslieferungsverfahrens bewilligt werden, wenn sich der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll mit dieser vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat.

(2) Im Fall des Absatzes 1 kann auf die Beachtung der Voraussetzungen des § 11 verzichtet werden, wenn sich der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll damit einverstanden erklärt hat.

(3) Das Einverständnis kann nicht widerrufen werden.

(4) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht belehrt der Richter beim Amtsgericht den Verfolgten über die Möglichkeit der vereinfachten Auslieferung und deren Rechtsfolgen (Absätze 1 bis 3) und nimmt sodann dessen Erklärung zu Protokoll. Zuständig ist der Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Verfolgte befindet.

(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn

1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder
2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

(1) Der Auslieferungshaftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der vorläufigen Auslieferungshaft oder der Auslieferungshaft nicht mehr vorliegen oder die Auslieferung für unzulässig erklärt wird.

(2) Der Auslieferungshaftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht dies beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag ordnet sie die Freilassung des Verfolgten an.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig wegen einer politischen Tat oder wegen einer mit einer solchen zusammenhängenden Tat. Sie ist zulässig, wenn der Verfolgte wegen vollendeten oder versuchten Völkermordes, Mordes oder Totschlags oder wegen der Beteiligung hieran verfolgt wird oder verurteilt worden ist.

(2) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, daß der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder daß seine Lage aus einem dieser Gründe erschwert werden würde.

Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird zurückgewiesen.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls konnte nicht entsprochen werden, da nach derzeitiger Aktenlage davon auszugehen ist, dass sich die Auslieferung des Verfolgten voraussichtlich als nicht zulässig erweisen wird (§ 15 Abs. 2 IRG).
I.
Gegenstand des Verfahrens gegen den sich nicht in Haft befindlichen Verfolgten ist ein Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 21.11.2017, mit welchem diese um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Der dem Auslieferungsersuchen beigefügte Haftbefehl des Untersuchungsrichters der Untersuchungsabteilung der Verwaltung des Bundessicherheitsdienstes der Russischen Föderation vom 20.06.2017 hat in der dem Senat von den russischen Justizbehörden mitgeteilten deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:
Wird ausgeführt
Die von den russischen Justizbehörden mitgeteilte Vorschrift des Art. 205.5 des russischen Strafgesetzbuches hat in der dem Senat von den russischen Justizbehörden mitgeteilten deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:
II.
Es bestehen vorliegend ernstliche Gründe für die Annahme, dass der Verfolgte wegen einer politischen Tat (Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk, § 6 Abs. 1 IRG) ausgeliefert werden soll (vgl. unten 1) und der von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation im Auslieferungsersuchen vom 21.11.2017 mitgeteilte Sachverhalt nicht unter die Sonderregelungen des Europäische Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.01.1977 (EuTerrÜbk) fällt (vgl. unten 2), so dass der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls - jedenfalls derzeit - nicht möglich ist (§ 15 Abs. 2 IRG).
1. Soweit die russischen Justizbehörden dem Verfolgten vorwerfen, er habe sich der terroristischen und in der russischen Föderation verbotenen Organisation „Imarat Kaukasus“ angeschlossen und sich von Mai bis August 2014 insoweit in Syrien aufgehalten, handelt es sich um eine politische Straftat, welche nach Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 IRG nicht auslieferungsfähig ist (Senat StraFo 2008, 121; ders. StraFo 2007, 72; ders. StraFo 2006, 510; ders. Beschluss vom 29.06.2017, Ausl 301 AR 101/17, juris). Dies ergibt sich schon daraus, dass die russischen Justizbehörden das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten nach Art. 205.5 des russischen Strafgesetzbuches selbst als „Teilnahme bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ bezeichnen und unter diesem Gesichtspunkt auch verfolgen. Insoweit schützt die Norm maßgeblich die politische Ordnung, insbesondere den Fortbestand des ersuchenden Staates sowie dessen innere und äußere Sicherheit (vgl. hierzu Vogel in Grützner/Pötz/Kress, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 6 IRG Rn. 37; zur politischen Straftat vgl. auch Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmanns, Internationales Strafrecht, 2. Auflage 2018 Rn. 821 ff.).
Allein der Umstand, dass der ersuchende Staat die dem Verfolgten vorgeworfene Straftat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von derartigen Staatsschutz-bestimmungen verfolgt, nimmt der Strafverfolgung allerdings dann nicht den Charakter kriminellen Unrechts, wenn der hinreichende Verdacht einer zurechenbaren Verletzung individueller Rechtsgüter besteht (Senat a.a.O.). Solche Handlungen sind der Sachverhaltsschilderung indes nicht zu entnehmen. Zwar ergibt sich aus dieser, dass der Verfolgte nicht nur Mitglied dieser verbotenen Organisation gewesen war, sondern sich auch von Mai bis August 2014 in Syrien aufgehalten und dort mehrfach an „Feindseligkeiten“ teilgenommen habe und mit einer „Kalaschnikow“ bewaffnet gewesen sei. Eine konkrete und dem Verfolgten zurechenbare Verletzung individueller Rechtsgüter ergibt sich hieraus jedoch nicht nachvollziehbar.
2. Auch die Voraussetzungen des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.01.1977 (EuTerrÜbk) liegen -jedenfalls derzeit- nicht vor. Danach gilt für die Zwecke der Auslieferung zwischen den Vertragsstaaten, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland und die Russische Föderation gehören (vgl. Schomburg in: Schomburg-Lagodny/Gless/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., II A 4), eine Straftat dann nicht als politische Straftat, als eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende Straftat oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat, wenn bei deren Begehung eine Bombe, eine Handgranate, eine Rakete, eine automatische Schusswaffe oder ein Sprengstoffbrief oder -paket verwendet wird und dadurch Personen gefährdet werden (Art. 1 e EuTerrÜbK). Auch diese Anforderungen lassen sich dem Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 21.11.2017 nicht mit der für eine Haftanordnung notwendigen Konkretheit entnehmen (Böhm in: Grützner/Pötz/Kress, a.a.O. § 15 IRG Rn. 16). Die Darstellung, der Verfolgte habe mehrfach an „Feindseligkeiten“ teilgenommen und sei mit einer „Kalaschnikow“ bewaffnet gewesen, reicht nicht aus, um hieraus auf eine tatsächliche Gefährdungslage von Personen schließen zu können. Insoweit würde es zumindest einer nachvollziehbaren Beschreibung bedürfen, an welchen konkreten terroristischen Handlungen der Verfolgte teilgenommen haben soll, gegen welche Ziele sich diese richteten und welche Personen in welcher Weise gefährdet wurden (zum Terrorismusübereinkommen vgl. Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmanns, a.a.O., Rn. 826 ff.). Nur eine solche konkrete Umschreibung der dem Verfolgten vorgeworfenen Gefährdung anderer Menschen ermöglicht es nicht nur dem Verfolgten, sich hiergegen zu verteidigen, sondern auch dem Senat, darüber zu befinden, ob ausnahmsweise die Durchführung einer Tatverdachtsprüfung veranlasst sein könnte (vgl. zu § 6 Abs. 2 IRG: BVerfGE 63, 197). Auch die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit setzt die Mitteilung eines hinreichend konkret umschriebenen Sachverhalts voraus (vgl. hierzu auch Frank/Schneider-Glockzin NStZ 2017, 1 ff.).
III.
Der Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls war deshalb zurückzuweisen, wobei der Generalstaatsanwaltschaft die Vornahme einer weiteren Sachaufklärung (§ 13 Abs.1 Satz 2 IRG) bei den russischen Justizbehörden unbenommen bleibt. Auch eine vorläufige Haftanordnung war bei den genannten Gegebenheiten nicht möglich und veranlasst, zumal der Verfolgte von dem Auslieferungsersuchen auch keine Kenntnis hat und deshalb nach Sachlage keine Fluchtgefahr besteht.

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig wegen einer politischen Tat oder wegen einer mit einer solchen zusammenhängenden Tat. Sie ist zulässig, wenn der Verfolgte wegen vollendeten oder versuchten Völkermordes, Mordes oder Totschlags oder wegen der Beteiligung hieran verfolgt wird oder verurteilt worden ist.

(2) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, daß der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder daß seine Lage aus einem dieser Gründe erschwert werden würde.

(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn wegen der Tat ein Haftbefehl, eine Urkunde mit entsprechender Rechtswirkung oder ein vollstreckbares, eine Freiheitsentziehung anordnendes Erkenntnis einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates und eine Darstellung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen vorgelegt worden sind. Wird um Auslieferung zur Verfolgung mehrerer Taten ersucht, so genügt hinsichtlich der weiteren Taten anstelle eines Haftbefehls oder einer Urkunde mit entsprechender Rechtswirkung die Urkunde einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates, aus der sich die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ergibt.

(2) Geben besondere Umstände des Falles Anlaß zu der Prüfung, ob der Verfolgte der ihm zur Last gelegten Tat hinreichend verdächtig erscheint, so ist die Auslieferung ferner nur zulässig, wenn eine Darstellung der Tatsachen vorgelegt worden ist, aus denen sich der hinreichende Tatverdacht ergibt.

(3) Die Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe oder einer sonstigen Sanktion, die in einem dritten Staat verhängt wurde, ist nur zulässig, wenn

1.
das vollstreckbare, eine Freiheitsentziehung anordnende Erkenntnis und eine Urkunde des dritten Staates, aus der sich sein Einverständnis mit der Vollstreckung durch den Staat ergibt, der die Vollstreckung übernommen hat,
2.
eine Urkunde einer zuständigen Stelle des Staates, der die Vollstreckung übernommen hat, nach der die Strafe oder sonstige Sanktion dort vollstreckbar ist,
3.
eine Darstellung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen sowie
4.
im Fall des Absatzes 2 eine Darstellung im Sinne dieser Vorschrift
vorgelegt worden sind.