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| Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Erstattung von Insolvenzgeld aus § 826 BGB. Sie hat nicht schlüssig dargelegt, dass sie einen durch die Beklagten verursachten Schaden erlitten hat. |
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| 1. Nach ständiger Rechtsprechung haftet der Geschäftsführer einer GmbH, dem eine Insolvenzverschleppung vorzuwerfen ist, der Arbeitsverwaltung zwar nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 GmbHG a.F. (vgl. OLG Stuttgart ZinsO 2010, 245), wohl aber aus § 826 BGB (vgl. BGHZ 108, 134; BGH NJW-RR 1991, 1312 und insbesondere BGHZ 175, 58; BGH NJW-RR 2010, 351). Grundsätzliche Einwände gegen die Anwendbarkeit des § 826 BGB in Fällen wie dem vorliegenden hat das Landgericht zu Recht zurückgewiesen (LGU 14 unter c.) und werden von den Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht mehr erhoben. |
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| 2. Die Berufung stellt auch die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass die Beklagten sittenwidrig iSv § 826 BGB gehandelt hätten (LGU 12 ff. unter b.), nicht in Frage. Sie nimmt die Feststellung, dass die GmbH zum 31.12.1999 überschuldet war ebenso hin wie die Feststellungen, dass die Beklagten das wussten (nach dem Strafurteil spätestens ab 31.1.2000, vgl. Anlage K 1, Seite 9), dass sie spätestens nach drei Wochen Insolvenzantrag stellen mussten (also am 21.2.2000), dass sie durch die tatsächliche Stellung des Antrags erst am 17.6.2004 die Schädigung der Gläubiger der GmbH billigend in Kauf nahmen, und dass auch die subjektive Seite des § 826 BGB gegeben sei. |
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| 3. Mit Erfolg beanstandet die Berufung aber, dass das Landgericht einen Schaden der Klägerin bejaht hat. |
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| Zur Feststellung eines Schadens iSv § 826 BGB wendet die Rechtsprechung seit jeher die Differenzhypothese an. Danach ist der Schaden durch einen Vergleich des tatsächlichen Vermögens des Geschädigten mit dem hypothetischen Vermögensstand zu ermitteln, der ohne das schädigende Ereignis vorgelegen hätte (Vermögensvergleich, vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vor § 249 Rn 10). |
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| Der Vortrag der Klägerin ist unschlüssig, weil sie keinen Vermögensvergleich anstellt, sondern nur zu ihrem tatsächlichen Vermögen bzw. ihrem tatsächlich geleisteten Insolvenzgeld vorträgt und dieses als Schaden ansieht. Einen solchen Schaden haben die Beklagten aber hinreichend bestritten und vorgetragen, dass die Klägerin bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung sogar mehr Insolvenzgeld hätte zahlen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs stellt das keinen von den Beklagten darzulegenden und nachzuweisenden Einwand einer Reserveursache oder des rechtmäßigen Alternativverhaltens dar. Vielmehr handelt es sich um ein ausreichendes Bestreiten des Schadens. Für letzteren ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet (BGHZ 175, 58 Tz. 24; BGH NJW-RR 2010, 351 Tz. 9). Sie hätte mithin darlegen müssen, wie sich ihr Vermögen bei rechtzeitiger Antragstellung entwickelt und wie viel Insolvenzgeld sie dann bezahlt hätte. Das ist nicht geschehen. Im Einzelnen: |
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| a) Ein wegen verspäteter Antragstellung verursachter Schaden der Klägerin im Sinne der §§ 249, 826 BGB lässt sich nicht allein daraus herleiten, dass die Klägerin den genannten acht Arbeitnehmern der RR GmbH Insolvenzgeld gezahlt hat. |
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| Die Zahlungspflicht hing nicht davon ab, dass die Beklagten zu spät Insolvenzantrag gestellt haben, sondern nur vom Vorliegen der in § 183 SGB III a.F. genannten Voraussetzungen. Auch der rechtzeitige Insolvenzantrag führt regelmäßig nicht zur sofortigen Einstellung der Geschäftstätigkeit und zur Auflösung der Arbeitsverhältnisse, sondern zum Versuch, das Unternehmen bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag fortzuführen, sofern nicht eine Stilllegung des Betriebs zur Vermeidung einer weiteren Vermögensminderung erforderlich ist, § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO (BGH NJW-RR 2010, 351 Tz. 11). Regelmäßig ist es auch so, dass nach Insolvenzantragstellung die Leistung von Insolvenzgeld von einem vorläufigen Insolvenzverwalter als Sanierungsinstrument genutzt wird und daher das Verfahren überwiegend erst nach Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums eröffnet wird. Insolvenzgeld muss die Klägerin deshalb regelmäßig auch bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages zahlen (BGHZ 175, 58 Tz. 26; OLG Saarbrücken NZG 2007, 105, 107 unter aaaa); OLGR Koblenz 2009, 117, 118 f.; OLG Koblenz, Urteil vom 6.11.2008 - 6 U 193/08 - BeckRS 2009, 88477; Wagner in MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 826 Rn. 147; Cranshaw in jurisPR-lnsR 19/2010 Anm. 2 unter C.3; Gebauer in LMK 2008, 256489; Trendelenburg in BB 2008, 517, 520). |
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| b) Ein Schaden entsteht der Klägerin durch einen verspäteten Insolvenzantrag mithin nur dann, wenn ein rechtzeitiger Antrag dazu geführt hätte, dass Insolvenzgeld nicht oder in geringerem Umfang hätte gezahlt werden müssen. |
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| Das hat die Klägerin nicht aufgezeigt, auch nicht im Berufungsverfahren, in dem sie zwar das Fehlen eines entsprechenden Hinweises des Landgerichts moniert hat (§ 139 ZPO), aber im Übrigen nur behauptet, im Falle eines entsprechenden Hinweises hätte sie bestritten, dass sie bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages durch die Beklagten trotzdem Insolvenzgeldzahlungen in mindestens gleicher Höhe hätte leisten müssen (Bl. 166). Auch dieses schlichte Bestreiten ist aber kein schlüssiger Vortrag. Die Klägerin hat weder behauptet, dass der Geschäftsbetrieb der GmbH nach einer Insolvenzantragstellung spätestens zum 21.2.2000 vom vorläufigen Insolvenzverwalter alsbald eingestellt und deshalb keine Insolvenzgeldforderungen entstanden wären, noch trägt sie vor, dass die RR GmbH bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages Arbeitsentgeltzahlungen aus eigenen Mitteln geleistet hätte (was jedenfalls einer näheren Begründung bedürfte, denn die RR GmbH war überschuldet; vgl. OLGR Koblenz 2009, 117, 118 f.; OLG München, Urteil vom 27.2.2008 - 20 U 3548/07 - BeckRS 2008, 04988), oder dass der vorläufige Insolvenzverwalter auf Insolvenzgeld als Sanierungsmittel verzichtet hätte (was ebenfalls einer näheren Begründung bedürfte, weil das wie dargestellt nicht der Regelfall ist). Ebenfalls nicht aufgezeigt hat die Klägerin, dass sie bei einer Insolvenzantragstellung im Januar 2000 Insolvenzgeld in geringerer Höhe hätte zahlen müssen, etwa weil es für weniger als acht Arbeitnehmer bzw. in geringerer Höhe angefallen wäre (was ebenfalls nicht nahe liegt, nachdem das Landgericht festgestellt hat, dass die GmbH im Januar 2000 Bruttolohnsummen von 88.625,69 EUR bezahlt hat, im Januar 2004 dagegen nur noch rund 39.000 EUR und im Juni 2004 nur noch rund 5.000 EUR - vgl. LGU 5 -, und die Klägerin auch dazu außer zweitinstanzlichem Bestreiten - vgl. Bl. 166 - keinen konkreten Vortrag hält). |
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| c) Die Klägerin beharrt zu Unrecht auf ihrer Auffassung, dass insoweit die Darlegungslast - jedenfalls unter den Umständen des Streitfalles - bei den Beklagten liege. |
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| Zwar verweist sie darauf, dass der Streitfall die Besonderheit aufweise, dass es um Insolvenzgeld für Arbeitnehmer gehe, die die Beklagten erst nach Eintritt der Insolvenzreife eingestellt hätten, und dass deshalb die in BGHZ 175, 58 und NJW-RR 2010, 351 veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht einschlägig seien. Jedoch übersieht sie dabei, dass es in der letztgenannten Entscheidung genau wie im Streitfall (teils) um Insolvenzgeld für Arbeitnehmer ging, die erst nach Eintritt der Insolvenzreife eingestellt wurden. Das ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanz (OLG Koblenz, Urteil vom 6.11.2008 - 6 U 193/08 - BeckRS 2009, 88477). Diese hat - vom Bundesgerichtshof unbeanstandet - ausgeführt: |
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| „Denn der Umstand, dass die Betriebsbelegschaft zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzreife und dem Zeitpunkt der Antragstellung teilweise wechselte, hat auf den Umfang der von der Klägerin nach § 183 SGB III zu erbringenden Leistungen keinen Einfluss. Es besteht kein Grund diesen Sachverhalt anders zu behandeln als den Fall, dass bei rechtzeitiger Beantragung des Insolvenzverfahrens dieselben Arbeitnehmer Insolvenzgeld erhalten hätten wie nach verspäteter Einleitung des Insolvenzverfahrens.“ |
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| Deshalb kann dahinstehen, ob - wie die Klägerin meint - die Einstellung neuer Arbeitnehmer nach Insolvenzreife einen besonderen Handlungsunwert ausmacht (BI. 161), weil das die Klägerin im Zivilprozess nicht davon entbindet, im Rahmen des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruchs schlüssig ihren Schaden darzulegen und bei Bestreiten desselben wie dargestellt den Vermögensvergleich anzustellen. |
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| Das kann zwar im Einzelfall nicht unschwierig sein (vgl. Wagner in MünchKomm BGB, 5. Aufl. 2009, § 826 Rn. 97: „Beweis kaum zu führen“; Commandeur, NZG 2010, 259; Naumann FD-lnsR 2010, 296242; Cranshaw in jurisPR-lnsR 19/2010 Anm. 2 unter C.3). Das ist aber Folge der grundsätzlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs, diese Fragen der von der Klägerin zu leistenden Darlegung des Schadens zuzuordnen und sie nicht als Einwand einer Reserveursache oder des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu verstehen, was auch in der Literatur auf Zustimmung gestoßen ist (Wagner in MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 826 Rn. 97; Spindler in BeckOK BGB, Ed. 23, § 826 Rn. 47; Reichold in jurisPK BGB, 5. Aufl., § 826 Rn. 26). |
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| Mit der durch § 287 ZPO erleichterten Darlegung ihres Schadens durch einen Vermögensvergleich wird der Bundesagentur nicht mehr abverlangt als anderen Geschädigten (vgl. etwa für die Haftung der Anwälte und Steuerberater G. Fischer in Zugehör u.a., Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl., Rn. 1172, 1225). Besondere Darlegungs- und Beweiserleichterungen kommen grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese dazu führen könnten, dass die Bundesagentur Ersatz für Aufwendungen erhält, die sie auch ohne die vorsätzliche sittenwidrige Handlung erbracht hätte (BGHZ 175, 58, Tz. 25; BGH NJW-RR 2010, 351, Tz. 12; Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearbeitung 2009, § 826 Rn. 297). Anlass für Beweiserleichterungen besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die vorzutragenden Tatsachen außerhalb der Wahrnehmungssphäre der Klägerin lägen, denn die maßgeblichen Tatsachen sind im Regelfall aus den im Insolvenzverfahren erstellten Berichten unschwer zu ersehen, die der Klägerin als Insolvenzgläubigerin zugänglich sind (BGHZ 175, 58 Tz. 26). Ob und wann im Einzelfall die Beklagtenseite sekundäre Darlegungspflichten treffen können, bedarf keiner Entscheidung. |
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| Aus den von der Klägerin vorgelegten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes. Sie setzen sich mit der genannten Problematik entweder nicht auseinander, betreffen andere Sachverhalte (vgl. Anlage R 5, Beschluss des OLG Hamm, der eine Schadensersatzklage wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen betrifft), oder wurden vom Bundesgerichtshof nicht bestätigt (vgl. Anlage K 5, Urteil des OLG Koblenz vom 26.10.2006 - 6 U 175/06, das von BGHZ 175, 58 aufgehoben wurde). Somit ist unzutreffend, dass die „Gerichte der Bundesrepublik“ „einhellig“ die Rechtsauffassung der Klägerin teilten (vgl. auch LG Stuttgart, Urteile vom 6.3.2012 - 15 U 237/11 und 244/11, in denen weitere Klagen der Bundeagentur wegen gleichgelagerter Sachverhalte abgewiesen wurden; Berufung eingelegt unter 19 U 68/11 und 69/11). |
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| 4. Zu Unrecht meint das Landgericht, eine Anwendung des § 826 BGB, die wie vorstehend nicht zur Haftung der Beklagten führe, widerspreche dem Sanktionscharakter der Vorschrift und führe dazu, dass Geschäftsführer ihrer Pflichten zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages nicht mehr ernst nähmen. Die Sanktionierung sittenwidrigen Verhaltens ist zum einen nicht vorrangige Aufgabe des Zivilrechts - jedenfalls nicht in Fällen wie dem vorliegenden (so ausdrücklich BGHZ 175, 58, Tz. 25) - und zum anderen im Streitfall im vorangegangenen Strafverfahren bereits erfolgt. |
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| 5. Schließlich verhelfen der Berufung auch die zuletzt angestellten „dogmatischen Überlegungen“ zu § 187 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. nicht zum Erfolg. |
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| a) Wenn die Klägerin neben einem eigenen Anspruch aus § 826 BGB im Berufungsverfahren zusätzlich auch nach § 187 SGB III a.F. übergegangene Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt hätte geltend machen wollen, wäre dies ein neuer Klagegrund gewesen, der allenfalls im Wege einer Anschlussberufung hätte eingeführt werden können (BGH NJW 2008, 1953 Tz. 12), die die Klägerin aber nicht eingelegt hat. Zudem hätten sich nach § 187 SGB III a.F. übergegangene Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegen die RR GmbH gerichtet und nicht gegen die hier verklagten Geschäftsführer (vgl. Wagner in MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 826 Rn. 97). |
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| b) Da nach § 187 SGB III a.F. nur Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt gegen die GmbH auf die Klägerin übergehen, betrifft die Vorschrift nicht etwaige Ansprüche der Arbeitnehmer auf Schadensersatz gegen die Geschäftsführer, die sich nach Auffassung der Klägerin etwa aus § 826 BGB ergeben sollen, weil die Arbeitnehmer durch Einstellung trotz bzw. nach Insolvenzreife von den Beklagten sittenwidrig geschädigt worden seien. Ob solche Ansprüche bestehen und nach § 116 SGB X auf die Klägerin übergehen können, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil die Klägerin wie dargestellt keine übergegangenen Ansprüche geltend macht. Dahinstehen kann auch, ob solche Ansprüche in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit fallen würden, die das Bestehen solcher Ansprüche ohnehin zurückhaltend beurteilt (vgl. BAG NJW 2006, 1902). |
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| 6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Rechtsstreit wirft keine grundsätzlichen Fragen auf, denn diese sind insbesondere durch die in BGHZ 175, 58 und NJW-RR 2010, 351 veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt. |
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