Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss, 30. Nov. 2015 - 2 VAs 11/15

published on 30/11/2015 00:00
Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss, 30. Nov. 2015 - 2 VAs 11/15
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Gründe

Oberlandesgericht Nürnberg

2 VAs 11/15

Beschluss

vom 30.11.2015

6 VAs 43/15 Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg

212 Js 19460/14 Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth

2. Strafsenat

LEITSATZ

In der Justizverwaltungssache

W. S. geboren am ..., wohnhaft: ...

Bevollmächtigte: Rechtsanwältin O.

wegen Körperverletzung

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 2. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 30.11.2015 folgenden Beschluss

1. Der Bescheid der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 24.08.2015 und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vom 07.09.2015 werden aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird verpflichtet, über den Antrag des Verurteilten vom 11.08.2015, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Hersbruck vom 10.08.2015 (Az. 2 Ds 212 Js 19460/14) nach §§ 35, 36 BtMG zurückzustellen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

I. Das Amtsgericht Hersbruck hat den Antragsteller mit Urteil vom 10.08.2015 (Az. 2 Ds 212 Js 19460/14), rechtskräftig seit 10.08.2015, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen (Tatzeit 05.07.2014 gegen 23.15 bis 06.07.2014 gegen kurz nach 00:10 Uhr) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. In den gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen führte es aus:

„Die Tat wurde jedenfalls mitursächlich aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit (Polytoxikomanie) begangen. Insoweit wird auch auf das Gutachten des Sachverständigen Bezug genommen.

Auch die Voraussetzungen des § 21 StGB liegen vor.

Eine Unterbringung hat das Gericht nicht angeordnet, da diese angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von „nur“ 1 Jahr 6 Monaten nicht verhältnismäßig erscheint.“

Der Verurteilte hat mit Anwaltsschreiben vom 11.08.2015 unter Vorlage einer Therapieplatzbescheinigung der Einrichtung S. E. vom 13.07.2015 und einer Kostenzusage der D. R. N. vom 30.04.2015 die Zurückstellung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 10.08.2015 (Az. 2 Ds 212 Js 19460/14) gemäß § 35 BtMG beantragt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat diesen Antrag mit Verfügung vom 24.08.2015 (Az. 212 VRs 19460/14) abgelehnt, da keiner der Straftatbestände einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz darstelle und auch keine Beschaffungskriminalität vorliege.

Der Antragsteller entgegnete hierauf mit Anwaltsschreiben vom 26.08.2015 mit der Anregung, dies nochmals zu überdenken. Sollte die betroffene Entscheidung bereits eine Verfügung der Vollstreckungsbehörde als Justizverwaltungsakt darstellen, gelte dieser Schriftsatz als Einlegung der Vorschaltbeschwerde nach § 21 StVollstrO.

Mit an das Amtsgericht Hersbruck gerichtetem Schreiben vom 26.08.2015 bat der Antragsteller um Aufnahme des in § 260 Abs. 5 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Hinweises des § 17 Abs. 2 BZRG im Wege der Urteilsergänzung in das Urteil vom 10.08.2015. Das Amtsgericht Hersbruck bat daraufhin die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth um Rückleitung der Akten. Die Staatsanwaltschaft legte die Akten jedoch am 02.09.2015 wegen des hiesigen Antrags der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vor, so dass derzeit über den Antrag noch keine Entscheidung ergehen konnte.

Die Staatsanwaltschaft hat der Beschwerde mit der Begründung nicht abgeholfen, dass die bestehende Drogenabhängigkeit Bedingung und nicht lediglich Begleiterscheinung für eine Zurückstellung sein müsse. Es müsse deshalb ein Suchtdruck vorliegen, was erkennbar nicht der Fall sei, da der Verurteilte bei Begehung der Taten nicht unter Drogeneinfluss gestanden habe, der Suchtdruck daher bereits befriedigt gewesen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Bescheid vom 07.09.2015 die Beschwerde des Verurteilten vom 26.08.2015 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 24.08.2015 zurückgewiesen.

Zur Begründung führte sie unter anderem aus, ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und beiden Körperverletzungsdelikten, die den überwiegenden Teil der abgeurteilten Taten ausmachten, bestehe nicht. Die Urteilsgründe ließen nicht erkennen, auf welchen Teil der abgeurteilten Taten sich die Ausführungen bezogen, dass die Tat jedenfalls mitursächlich aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit (Polytoxikomanie) begangen wurde. Da weder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz noch solche der sogenannten Beschaffungskriminalität zur Verurteilung gekommen seien, sei eine erhebliche Mitursächlichkeit der Betäubungsmittelabhängigkeit für das Schwergewicht der Straftaten zu fordern. Diese ergebe sich aus den schriftlichen Urteilsgründen gerade nicht. Vielmehr habe der Sachverständige in seinem schriftlichen Urteil (gemeint: Gutachten) ausgeführt: „Bezüglich Stimulanzien kann tatzeitbezogen aber nicht mehr von einem aktiven abhängigen Konsummuster ausgegangen werden. Es liegt eher fern, dass Cannabiskonsum das aggressive Verhalten des Angeklagten gefördert hat.“

Mithin stehe die Ursächlichkeit gerade nicht fest.

Gegen diesen der Verteidigerin am 15.09.2015 zugestellten Bescheid stellt der Verurteilte mit Anwaltsschreiben vom 05.10.2015, eingegangen per Telefax am 07.10.2015, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG, mit dem er begehrt, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, seinem Antrag vom 11.08.2015 zu entsprechen. Er nimmt darauf Bezug, dass der Sachverständige L. in der Hauptverhandlung ausgeführt habe, dass beim Antragsteller sowohl eine Alkoholabhängigkeit als auch eine Betäubungsmittelabhängigkeit zu attestieren sei, die auf jeden Fall mitursächlich für die Haupttaten gewesen seien. Angesprochen auf die früheren Taten (09.07.2011) habe der Sachverständige zwar mitgeteilt, er gehe davon aus, dass auch hier eine manifeste Stimulanzienabhängigkeit vorgelegen habe, dass für die damaligen Taten aber wohl die Alkoholisierung ausschlaggebend gewesen sei.

Insgesamt sei aufgrund der bestehenden Polytoxikomanie die Mitursächlichkeit damit nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern positiv festgestellt worden. Die Rechtsprechung nehme bei Polytoxikomanie (Drogen- und Alkoholabhängigkeit) eine Zurückstellung sogar dann vor, wenn der Verurteilte zum Zeitpunkt der Tat überwiegend oder gar ausschließlich unter dem Einfluss von nicht unter § 1 Abs. 1 BtMG fallenden Substanzen gestanden habe. Die Therapiebedürftigkeit hänge nämlich nicht von der Zufälligkeit ab, welcher der aufgrund der Polytoxikomanie abwechselnd konsumierten Suchtstoffe zur Tatzeit geradezu dominiere.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schreiben vom 10.10.2015, den Antrag des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und den Geschäftswert auf 5.000 € festzusetzen.

Der Antragsteller legte mit Anwaltsschreiben vom 29.10.2015 das Schreiben der Therapieeinrichtung S. E. vom 28.10.2015 vor, wonach er am 02.10.2015 dort in stationäre Therapie aufgenommen worden sei, und verwies mit Schreiben vom 02.11.2015 nochmals auf die Rechtsprechung zur Polytoxikomanie.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 EGGVG statthaft, wurde gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG i. V. m. § 43 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegt und ist auch nach § 24 Abs. 1 und 2 EGGVG zulässig, da das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollStrO) durchgeführt worden ist.

In der Sache führt der Antrag zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil ein Ermessensfehlgebrauch im Rahmen der Entscheidung gemäß § 35 BtMG vorliegt und der Antragsteller deshalb in seinen Rechten verletzt ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).

1. Gemäß § 35 Abs. 1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszugs die Vollstreckung einer Strafe für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden und der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist.

Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich die Feststellung einer Betäubungsmittelabhängigkeit, deren Kausalität für die Tat, der Therapiebereitschaft und der Therapiebedürftigkeit des Antragstellers ein Beurteilungsspielraum zu (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 57 Rdn. 4 nach juris; Weber, BtMG 4. Aufl. § 35 Rdn. 140, 143 ff.; Patzak, in Körner/Patzak/Volkmer BtMG 7. Aufl. § 35 Rdn. 320). Dieser Beurteilungsspielraum ist hinsichtlich der Kausalität nur dann stark eingeschränkt oder im Sinne einer Bindung völlig aufgehoben, wenn sich die Kausalität „aus den Urteilsgründen“ (§ 35 Abs. 1 BtMG) ergibt (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 57 Rdn. 4 nach juris). Letzteren kann ein hohes Gewicht zukommen, wenn die Feststellungen im Urteil sich auf ein Sachverständigengutachten stützen und das Urteil zur Begründung seiner Überzeugung eine eingehende Darlegung des Vorlebens eines Angeklagten, insbesondere seiner Drogenkarriere enthält. In diesen Fällen wird eine Widerlegung der Urteilsgründe und der Überzeugung des Tatrichters nicht leicht und nur mit eindeutigen und beweiskräftigen gegenteiligen Feststellungen in Frage kommen (OLG Stuttgart NStZ 1999, 626 Rdn. 13 nach juris).

Soweit die Vollstreckungsbehörde - wie im vorliegenden Fall - ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist die gerichtliche Nachprüfung auf Rechtsfehler bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen sowie darauf beschränkt, ob die Vollstreckungsbehörde ihrer Entscheidung einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 28 Abs. 3 EGGVG; vgl. zum Ganzen OLG Karlsruhe NStZ 2008, 576 Rdn. 5 nach juris).

Gegenstand der Überprüfung ist dabei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in der Gestalt, die sie durch den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft erhalten hat (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 29.8.2007, Az. 2 VAs 5/07; vgl. auch OLG Karlsruhe ZfStrVo 2000, 251).

2. Derartige Ermessensfehler liegen vor. Die Staatsanwaltschaft sowie die Generalstaatsanwaltschaft haben ihren ablehnenden Entscheidungen nur einen unvollständigen Sachverhalt zugrundegelegt. Sie haben nicht hinreichend berücksichtigt hat, dass der Verurteilte sowohl an einer Betäubungsmittelabhängigkeit als auch an einer Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Polytoxikomanie leidet und sich insoweit nicht mit der für diese Fallkonstellation einschlägigen Rechtsprechung und Literatur zur Rückstellungsfähigkeit nach § 35 BtMG auseinandergesetzt.

a) Der Gesetzgeber wollte mit der Möglichkeit der Zurückstellung der Vollstreckung der Freiheitstrafe nach §§ 35 ff. BtMG diesen Vorzug nur solchen Verurteilten bieten, die Straftaten begangen haben, die in engem Zusammenhang mit ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit bzw. mit der Betäubungsmittelbeschaffung standen oder Straftaten, die unter Entzugserscheinungen oder unter der Angst von Entzugserscheinungen begangen wurden (Patzak, in: Körner/Patzak/Vollmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 95 m. w. N. zur Rspr.). Die herrschende Meinung verlangt deshalb einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der Abhängigkeit und der Tat im Sinne der Äquivalenz (BeckOK-BtMG/Ganter § 35 Rdn. 11 m. w. N. zur Rspr.). Ein solcher liegt vor, wenn die Ursache (hier: Betäubungsmittelabhängigkeit) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Straftat als Folge entfiele (Patzak, in: Körner/Patzak/Vollmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 96; Weber BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 33 jeweils m. w. N. zur Rspr.). Eine erhebliche Mitursächlichkeit reicht aus (Patzak, in: Körner/Patzak/Vollmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 96 m. w. N. zur Rspr.).

b) Die Generalstaatsanwaltschaft hat die erhebliche Mitursächlichkeit der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Taten ermessensfehlerhaft verneint.

aa) Im angegriffenen Bescheid geht die Generalstaatsanwaltschaft zunächst zutreffend davon aus, dass es bei einer Verurteilung wegen mehrerer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe für die Anwendung des § 35 BtMG grundsätzlich darauf ankommt, ob die Taten - jedenfalls überwiegend - aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sind und prüft dies anhand der Körperverletzungsdelikte, die den überwiegenden Teil der abgeurteilten Taten ausmachten. Für eine Zurückstellung der Vollstreckung einer Gesamtstrafe reicht es aus, wenn die Kausalität für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der Taten vorliegt (OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 343 Rdn. 8 nach juris; Weber BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 33; Patzak, in: Körner/Patzak/Vollmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 113).

Die Generalstaatsanwaltschaft geht auch ermessensfehlerfrei davon aus, dass keine Beschaffungskriminalität und keine Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz vorliegen.

bb) Die Generalstaatsanwaltschaft hat allerdings, als sie den erforderlichen unmittelbare Kausalzusammenhang zwischen der Abhängigkeit und der Tat (hier den Körperverletzungsdelikten) im Sinne der Äquivalenz verneint hat, sich mit dem Inhalt des Urteils des Amtsgerichts Hersbruck vom 10.08.2015 nicht hinreichend auseinandergesetzt und im Wesentlichen nur eine Passage des Gutachtens des Sachverständigen L. vom 13.07.2015 herangezogen. Somit hat sie nicht alle Erkenntnisquellen ausgeschöpft und ist bei der Ausübung ihres Ermessens von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat allerdings zutreffend aus dem Sachverständigengutachten zitiert, dass bezüglich Stimulanzien tatzeitbezogen nicht mehr von einem aktiven abhängigen Konsummuster ausgegangen werden könne und es eher fernliege, dass Cannabiskonsum das aggressive Verhalten des Angeklagten gefördert habe. Die von der Generalstaatsanwaltschaft hieraus gezogene Schlussfolgerung einer fehlenden Ursächlichkeit der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Straftaten greift jedoch zu kurz. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zwar zur Kenntnis genommen, dass das Amtsgericht Hersbruck ausgeführt hat, die Tat sei jedenfalls mitursächlich aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit (Polytoxikomanie) begangen worden. Sie hat aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Sachverständigengutachten eine tragfähige Grundlage für die Feststellung der Polytoxikomanie darstellt und sich folglich nicht damit auseinandergesetzt, welche Folgerungen aus diesen Urteilsfeststellungen für eine Rückstellungsfähigkeit zu ziehen sind.

(1) Soweit die Generalstaatsanwaltschaft beanstandet, aus dem Urteil ergebe sich nicht, welche Tat gemeint sei, die auf der Polytoxikomanie beruhe, ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass das Amtsgericht Hersbruck das Gesamtgeschehen vom 05.07.2014 gegen 23.15 Uhr bis 06.07.2015 gegen rund 00:15 Uhr ins Auge genommen hat.

(2) Aus dem Gutachten des Sachverständigen L. vom 13.07.2015 ergibt sich, dass beim Verurteilten (auch zum Tatzeitpunkt) eine kombinierte Alkohol- und Cannabisabhängigkeit vorliegt.

Zum Suchtverlauf enthält das Gutachten folgende Aussagen: Nach seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen L. habe der Antragsteller mit zwölf oder dreizehn Jahren die erste Zigarette geraucht und es nie geschafft, längere Zeit mit dem Zigarettenrauchen aufzuhören. Erstmalig Alkohol getrunken habe er etwa mit vierzehn Jahren, ab fünfzehn Jahren regelmäßiger.

Erstmals Cannabis konsumiert habe er kurz vor dem sechszehnten Geburtstag, innerhalb kurzer Zeit dann regelmäßig und seither durchgängig. Crystal habe er erstmalig im Jahr 1998 konsumiert; ab dem dreißigsten Lebensjahr habe er dann weniger „chemische“ Drogen konsumiert. Er habe auch einige Male Amphetamin genommen, habe Erfahrungen mit Ecstasy-Inhaltsstoffen (MDMA etc.), habe Kokain probiert, wobei es Phasen gegeben habe, in denen er Kokain regelmäßiger genommen habe. Opiate habe er erstmals mit fünfundzwanzig Jahren konsumiert,. Zunächst habe er Opium geraucht, später dann auch Heroin konsumiert, niemals jedoch intravenös. Er habe Erfahrungen mit Fentanyl in Pflasterform, mit LSD, mit Benzodiazepinen und mit stark wirksamen Schmerzmitteln wie Tilidin oder Tramadol.

Aktuell (01.01.2014 bis zum Begutachtungszeitraum Juli 2015) habe sich der Alkoholkonsum nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes noch verstärkt. Er komme auf acht bis zehn Bier pro Tag. Er konsumiere regelmäßig Cannabis, überwiegend Marihuana, etwa 1 bis 1,5 Gramm pro Tag, gelegentlich - einmal pro Monat eine Line und etwa 0,05 Gramm - Methamphetamin, und gelegentlich - aber noch weniger als Methamphetamin - auch Heroin (vgl. Gutachten Seite 15), jedoch keine Benzodiazepine und auch keine stark wirksamen Schmerzmittel mehr.

Zur Tatzeit stellte der Sachverständige eine erhebliche Alkoholisierung fest (BAK bei Blutentnahme um 02:12 Uhr: 2,57 Promille im Mittelwert), wobei eine Rückrechnung auf die Tatzeitpunkte nicht möglich war. Eine toxikologische Untersuchung wurde nicht durchgeführt. Nach eigene Angaben sei der Antragsteller so betrunken gewesen, dass er nicht mehr unter Kontrolle gewesen sei (Gutachten Seite 17).

Der Sachverständige L. zog in seinem schriftlichen Gutachten vom 13.07.2015 die Schlussfolgerung, dass nach seiner Einschätzung tatzeitbezogen von einer mittelschweren bis schweren Alkoholisierung ausgegangen werden müsse. Kritisch sei anzumerken, dass der Antragsteller Alkoholkonsum in erheblichen Mengen gewöhnt war. Die tatzeitbezogen vorgelegene massive Alkoholeinwirkung sei grundsätzlich als krankhafte seelische Störung im Sinne eines vorübergehenden Zustands zu bewerten. Der Sachverständige kam zum Ergebnis, dass aufgrund der massiven alkoholischen Enthemmung angenommen werden müsse, dass tatzeitbezogen das Hemmvermögen und damit die Steuerungsfähigkeit bereits in gravierendem Umfang beeinträchtigt gewesen seien. Aufgrund seiner Suchterkrankung sei es dem Antragsteller nur noch begrenzt möglich gewesen, seinen Alkoholkonsum zu steuern.

Zu den Voraussetzungen der § 35 BtMG und § 64 StGB führte der Sachverständige aus, dass beim Antragsteller zusätzlich von einer Cannabisabhängigkeit sowie einem missbräuchlichen Konsum von Stimulanzien ausgegangen werden müsse. Möglicherweise habe zu einem früheren Zeitpunkt eine manifeste Stimulanzienabhängigkeit vorgelegen. Er führte weiter aus, dass die verfahrensgegenständlichen Straftaten vom 05.07./06.07.2014 in engem symptomatischen Zusammenhang mit der massiven Alkoholproblematik stünden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass behaupteter Stimulanzienkonsum (Amphetamin) am 05.07./06.07.2015 zu einer vermehrten Alkoholaufnahme geführt habe. Bezüglich Stimulanzien könne tatzeitbezogen aber nicht mehr von einem aktiven abhängigen Konsummuster ausgegangen werden. Es liege eher fern, dass Cannabiskonsum das aggressive Verhalten des Angeklagten gefördert habe. Bei der bereits rechtskräftig abgeurteilten Tat vom 09.07.2011 habe mit hoher Wahrscheinlichkeit noch eine aktive Abhängigkeit von Stimulanzien vorgelegen. Wesentlich für die Tat sei aber wohl ebenfalls die Alkoholisierung gewesen. Ob bei dieser Konstellation eine Feststellung dahingehend möglich sei, dass die Taten aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden, sei eine Rechtsfrage. Es müsse aber von einer kombinierten Alkohol- und Cannabisabhängigkeit sowie einem aktuellen missbräuchlichen Konsum von Stimulanzien ausgegangen werden.

Aus Sicht des Sachverständigen liege eine tiefverwurzelte innere Disposition, berauschende Stimulanzien (derzeit Alkohol/Cannabis) im Übermaß zu konsumieren, vor. Die verfahrensgegenständliche Straftat sei im Alkoholrausch erfolgt. Das verfahrensgegenständliche Delikt stehe damit in engem Zusammenhang mit einem Hang im Sinne des § 64 StGB.

Zusammengefasst führte der Sachverständige aus, beim Verurteilten müsse von einer seit Jahren bestehenden Suchtproblematik ausgegangen werden. Dieser habe seit längerer Zeit ein erhebliches Alkoholproblem und rauche zusätzlich regelmäßig Cannabisprodukte. Er erfüllt nach Einschätzung des Sachverständigen L. die erforderlichen drei ICD-10-Kriterien 1, 2 und 4 bezogen auf die Suchtstoffe Alkohol und Cannabis.

Der Sachverständige L.. gab in der Hauptverhandlung an, bei der (früheren) Tat vom 09.07.2011 sei auch eine Alkohol- und Cannabisabhängigkeit gegeben. Wenn die Situation dieselbe gewesen sei, dann sei hier von der gleichen Problematik auszugehen.

cc) Nach dem Gutachten ist somit von einer Polytoxikomanie auszugehen.

Betrachtet man nur die Ausführungen des Sachverständigen, wonach nicht ausgeschlossen werden könne, dass behaupteter Stimulanzienkonsum (Amphetamin) am 05.07./06.07.2015 zu einer vermehrten Alkoholaufnahme geführt habe, dass bezüglich Stimulanzien tatzeitbezogen nicht mehr von einem aktiven abhängigen Konsummuster ausgegangen werden könne und dass es eher fernliege, dass Cannabiskonsum das aggressive Verhalten des Angeklagten gefördert habe, so stünde in der Tat eine erhebliche (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG 7. Aufl. § 35 Rdn. 96) Mitursächlichkeit der Betäubungsmittelabhängigkeit für die vorliegenden Straftaten nicht fest. Es würde zwar ausreichen, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit der Motor für die Straftat war, dass diese ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht oder in ganz anderer Weise ausgeführt worden wäre (Körner/Patzak/Volkmer, a. a. O.. § 35 Rdn. 96); allein der Umstand, dass zum Tatzeitpunkt eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestand, würde aber für deren Ursächlichkeit nicht genügen.

Hier liegt es aber anders: Ist ein Verurteilter sowohl betäubungsmittel- als auch alkoholabhängig und missbrauchte er zur Tatzeit abwechselnd Alkohol und Betäubungsmittel unmäßig in wechselnder Folge oder auch gleichzeitig, so ist von einer Betäubungsmittelabhängigkeit in Form einer Polytoxikomanie auch dann auszugehen, wenn am Tattag der Schwerpunkt des Missbrauchs beim Alkohol lag (vgl. Körner/Patzak/Volkmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 74; Weber a. a. O. BtMG § 35 Rdn. 29; MünchKomm-StGB/Kornprobst 2. Aufl. § 35 BtMG Rdn. 42). Zwar stellt nicht jeder Vielfachkonsum eine Polytoxikomanie dar. Vielmehr müssen die Voraussetzungen einer Betäubungsmittelabhängigkeit zweifelsfrei vorliegen (Körner/Patzak/Volkmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 74 unter Hinweis auf OLG Karlsruhe Beschluss vom 21.06.2001 - 2 VAs 8/01, und OLG Frankfurt Beschl. vom 12.07.2001 - 3 Ws 669/01). Dies ist nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens und den hiermit übereinstimmenden Urteilsfeststellungen vorliegend aber der Fall. Nach der in der Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Ansicht sind die Fälle der Polytoxikomanie gerade keine Fälle der reinen Alkoholabhängigkeit (BGH StV 1992, 569 Rdn. 5 nach juris; OLG Dresden StV 2006, 585 Rdn. 15 nach juris; OLG Stuttgart NStZ 1999, 626 Rdn. 12 und 16 nach juris). Demgemäß rechtfertigt etwa der Umstand, dass ein Drogenabhängiger die konkrete Tat vorwiegend unter Alkoholeinfluss begangen hat, nicht die Feststellung, der Verurteilte habe die Tat alkohol- und nicht betäubungsmittelabhängig begangen, wenn im Rahmen einer Polytoxikomanie der Konsum von Betäubungsmitteln und Alkohol einander abwechselten (vgl. Körner/Patzak/Volkmer BtMG a. a. O.. § 35 Rdn. 75; Weber a. a. O. BtMG § 35 Rdn. 29; MünchKomm-StGB/Kornprobst a. a. O. § 35 BtMG Rdn. 42). In diesen Fällen kommt somit grundsätzlich eine Rückstellung nach § 35 BtMG in Betracht (so auch OLG Dresden StV 2006, 585 und OLG Stuttgart NStZ 1999, 626).

Der dargestellte Rechtsfehler bei der Ermessensausübung führt zur Aufhebung der Bescheide und zum Ausspruch, über den Antrag des Verurteilten unter Beachtung der aufgezeigten Rechtsauffassung erneut zu entscheiden (§ 28 Abs. 2 S. 2 EGGVG).

III. 1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG, § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr.19, § 22 Abs. 1 GNotKG.

2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 79 Abs.1 Satz 1, § 36 Abs. 3 GNotKG.

3. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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published on 30/11/2015 00:00

Gründe Oberlandesgericht Nürnberg 2 VAs 11/15 Beschluss vom 30.11.2015 6 VAs 43/15 Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg 212 Js 19460/14 Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth 2. Strafsenat LEITSATZ In der
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Annotations

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Entscheidung über die Anrechnungsfähigkeit trifft das Gericht zugleich mit der Zustimmung nach § 35 Abs. 1. Sind durch die Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt oder ist eine Behandlung in der Einrichtung zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, so setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes der Strafe zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(2) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte einer anderen als der in Absatz 1 bezeichneten Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder des Strafrestes zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(3) Hat sich der Verurteilte nach der Tat einer Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so kann das Gericht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 nicht vorliegen, anordnen, daß die Zeit der Behandlung ganz oder zum Teil auf die Strafe angerechnet wird, wenn dies unter Berücksichtigung der Anforderungen, welche die Behandlung an den Verurteilten gestellt hat, angezeigt ist.

(4) Die §§ 56a bis 56g und 57 Abs. 5 Satz 2 des Strafgesetzbuches gelten entsprechend.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 3 trifft das Gericht des ersten Rechtszuges ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Vollstreckungsbehörde, der Verurteilte und die behandelnden Personen oder Einrichtungen sind zu hören. Gegen die Entscheidungen ist sofortige Beschwerde möglich. Für die Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 3 und nach Absatz 2 gilt § 454 Abs. 4 der Strafprozeßordnung entsprechend; die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes erteilt das Gericht.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

(1) Wird die Vollstreckung einer Strafe, eines Strafrestes oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 35 - auch in Verbindung mit § 38 - des Betäubungsmittelgesetzes zurückgestellt, so ist dies in das Register einzutragen. Dabei ist zu vermerken, bis zu welchem Tag die Vollstreckung zurückgestellt worden ist. Wird nachträglich ein anderer Tag festgesetzt oder die Zurückstellung der Vollstreckung widerrufen, so ist auch dies mitzuteilen.

(2) Wird auf Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt und hat das Gericht festgestellt, daß der Verurteilte die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so ist diese Feststellung in das Register einzutragen; dies gilt auch bei einer Gesamtstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn der Verurteilte alle oder den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat.

(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies

1.
nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit,
2.
wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder
3.
zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit
erforderlich ist. In der Rechtsverordnung nach Satz 1 können einzelne Stoffe oder Zubereitungen ganz oder teilweise von der Anwendung dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung ausgenommen werden, soweit die Sicherheit und die Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gewährleistet bleiben.

(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.

(1) Eine Frist, die nach Wochen oder Monaten bestimmt ist, endet mit Ablauf des Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat; fehlt dieser Tag in dem letzten Monat, so endet die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Soweit bundesrechtlich nichts anderes bestimmt ist, werden Kosten (Gebühren und Auslagen) durch die Gerichte in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und durch die Notare für ihre Amtstätigkeit nur nach diesem Gesetz erhoben.

(2) Angelegenheiten im Sinne des Absatzes 1 sind auch

1.
Verfahren nach den §§ 98, 99, 132, 142, 145, 258, 260, 293c und 315 des Aktiengesetzes,
2.
Verfahren nach § 51b des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
3.
Verfahren nach § 26 des SE-Ausführungsgesetzes,
4.
Verfahren nach § 10 des Umwandlungsgesetzes,
5.
Verfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz,
6.
Verfahren nach den §§ 39a und 39b des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes über den Ausschluss von Aktionären,
7.
Verfahren nach § 8 Absatz 3 Satz 4 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie,
8.
Angelegenheiten des Registers für Pfandrechte an Luftfahrzeugen,
9.
Verfahren nach der Verfahrensordnung für Höfesachen,
10.
Pachtkreditsachen nach dem Pachtkreditgesetz,
11.
Verfahren nach dem Verschollenheitsgesetz,
12.
Verfahren nach dem Transsexuellengesetz,
13.
Verfahren nach § 84 Absatz 2 und § 189 des Versicherungsvertragsgesetzes,
14.
Verfahren nach dem Personenstandsgesetz,
15.
Verfahren nach § 7 Absatz 3 des Erbbaurechtsgesetzes,
16.
Verteilungsverfahren, soweit sich die Kosten nicht nach dem Gerichtskostengesetz bestimmen,
17.
Verfahren über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Willenserklärung und die Bewilligung der Kraftloserklärung von Vollmachten (§ 132 Absatz 2 und § 176 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs),
18.
Verfahren über Anordnungen über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten,
19.
Verfahren nach den §§ 23 bis 29 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz,
20.
Verfahren nach § 138 Absatz 2 des Urheberrechtsgesetzes und
21.
gerichtliche Verfahren nach § 335a des Handelsgesetzbuchs.

(3) Dieses Gesetz gilt nicht in Verfahren, in denen Kosten nach dem Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen zu erheben sind. In Verfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen werden Kosten nach dem Gerichtskostengesetz erhoben.

(4) Kosten nach diesem Gesetz werden auch erhoben für Verfahren über eine Beschwerde, die mit einem der in den Absätzen 1 und 2 genannten Verfahren im Zusammenhang steht.

(5) Soweit nichts anderes bestimmt ist, bleiben die landesrechtlichen Kostenvorschriften unberührt für

1.
in Landesgesetzen geregelte Verfahren und Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie
2.
solche Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen nach Landesgesetz andere als gerichtliche Behörden oder Notare zuständig sind.

(6) Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde gehen den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor.

(1) In gerichtlichen Verfahren, die nur durch Antrag eingeleitet werden, schuldet die Kosten, wer das Verfahren des Rechtszugs beantragt hat, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Die Gebühr für den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs schuldet jeder, der an dem Abschluss beteiligt ist.

(1) Soweit eine Entscheidung nach § 78 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Gericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Verfahrensgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. Satz 1 gilt nicht, wenn

1.
Gegenstand des Verfahrens eine bestimmte Geldsumme in Euro ist,
2.
zumindest für den Regelfall ein fester Wert bestimmt ist oder
3.
sich der Wert nach den Vorschriften dieses Gesetzes unmittelbar aus einer öffentlichen Urkunde oder aus einer Mitteilung des Notars (§ 39) ergibt.
In den Fällen des Satzes 2 setzt das Gericht den Wert nur fest, wenn ein Zahlungspflichtiger oder die Staatskasse dies beantragt, oder wenn es eine Festsetzung für angemessen hält.

(2) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen des Hauptgegenstands oder wegen der Entscheidung über den Geschäftswert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung wegen des Hauptgegenstands Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.

(2) Soweit sich in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 1 Million Euro.

(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5 000 Euro auszugehen.

(4) Wenn sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Notare geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden. Wenn sich die Notargebühren nach den für Gerichte geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Gerichte geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden.