Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 10. Apr. 2013 - 3 U 1493/12

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2013:0410.3U1493.12.0A
bei uns veröffentlicht am10.04.2013

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Tenor

Der Senat erwägt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 05. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Trier vom 21. November 2012 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

1

Der Senat hat die Sache beraten. Er erwägt die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist nicht geboten. Der Klägerin wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 7. Mai 2013. Es wird zur Vermeidung weiterer Kosten angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG). Die Gründe werden nachfolgend dargestellt:

I.

2

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Schadensersatz wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend.

3

Am Nachmittag des 21.12.2009 suchte die Klägerin den von der Beklagten in der ...[Y]straße in ...[X] betriebenen ...[A]-Markt auf, um dort Einkäufe zu tätigen. Nach Auswahl der von ihr benötigten Waren und deren Bezahlung an der Kasse wollte die Klägerin den Supermarkt verlassen.

4

Der ...[A]-Markt der Beklagten verfügt über zwei Eingänge, die einander hinter dem Kassenbereich gegenüber liegen und durch eine Gasse miteinander verbunden sind. Im Bereich dieser Gasse jenseits der Kassen des ...[A]-Markts befinden sich Auslagen für Kunden bzw. ein Bäckereiverkaufsstand. An den beiden Eingängen sind jeweils große rutschfeste Schmutzmatten ausgelegt, an denen die Kunden Schmutz und Feuchtigkeit von ihren Schuhen klopfen können. Zur Veranschaulichung der Örtlichkeit wird auf die Lichtbilder (GA 82 f) Bezug genommen.

5

Am 21.12.2009 schneite es in ...[X]. Die aufgrund der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage sehr zahlreichen Kunden trugen Schnee und Schneematsch von draußen in die Räumlichkeiten des Supermarkts hinein. Aufgrund des Schneewetters und des regen Publikumsverkehrs war der Boden im Bereich hinter den Kassen feucht.

6

Nachdem die Klägerin von der Kasse aus wenige Schritte in Richtung Ausgang gegangen war, rutschte sie aus und stürzte zu Boden. Bei dem Sturz fing sie sich mit ihren Händen ab und zog sich hierbei eine Verletzung der rechten Hand, nämlich eine Seitenbandruptur am rechten Daumengrundgelenk, zu.

7

Die Verletzung der Klägerin ist nicht vollständig ausgeheilt. Es verbleibt ein Dauerschaden in Form einer Subluxation im Bereich des Daumengrundgelenks, so dass die als Kosmetikerin tätige Klägerin insbesondere in der Feinmotorik ihres Daumens erheblich eingeschränkt ist.

8

Die Klägerin hat vorgetragen,

9

Ursache ihres Sturzes sei die Feuchtigkeit im Bereich hinter der Kasse gewesen, durch die sie ins Rutschen geraten sei. Die Beklagte habe nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße dafür Sorge getragen, dass von den Kunden keine Nässe in den Markt hinein getragen bzw. die vorhandene Nässe beseitigt werde. Darüber hinaus verfüge der Markt der Beklagten nicht über einen Bodenbelag, der bei Feuchtigkeit und Nässe die bestmögliche Rutschfestigkeit besitze. Schließlich habe die Beklagte auch keine Hinweisschilder aufgestellt, um vor der Feuchtigkeit des Fußbodens zu warnen. Gerade im Hinblick auf das Schneewetter und den zahlreichen Publikumsverkehr sei die Beklagte zum Ergreifen besonderer Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht verpflichtet gewesen.

10

Die Klägerin hat beantragt,

11

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 441,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,

12

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Zustellung der Klage zu zahlen, und zwar abzüglich eines vorprozessual gezahlten Betrags von 400,-- €,

13

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aufgrund des Unfalls vom 21.12.2009 in dem ...[A]-Markt in der ...[Y]straße in ...[X] künftig entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen,

14

4. sie von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 430,66 € freizustellen.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Die Beklagte hat ausgeführt,

18

die Klägerin sei nicht aufgrund der Feuchtigkeit des Fußbodens, sondern aufgrund eigener Unachtsamkeit gestürzt. Sie selbst habe ihren Verkehrssicherungspflichten genügt, indem sie in ihrem ...[A]-Markt einen rutschfesten Fußboden der Rutschfestigkeitsklasse R 9 verlegt habe, unstreitig im Eingangsbereich Schmutzmatten ausgelegt und zudem die regelmäßige Reinigung bzw. Feuchtigkeitsbeseitigung organisiert habe. Ihr Marktleiter in ...[X], der Zeuge ...[B], habe den Mitarbeiter ...[C] damit beauftragt, mit der Putzmaschine den Marktbereich ständig zu kontrollieren und zu reinigen sowie mit einem Wischmob den Boden trocken zu wischen. Überdies sei das Kassenpersonal angewiesen worden, den Eingangsbereich im Blick zu behalten und gegebenenfalls den Zeugen  ...[C] bei Entstehen übermäßiger Nässe zu unterrichten. Schließlich sei auch im Kassenbereich ein Schild mit dem Hinweis "Achtung Rutschgefahr" aufgestellt gewesen. Dieses Schild habe unmittelbar in dem Kassenbereich gestanden, in dem die Klägerin ausgerutscht und gestürzt sei. Mit der Beseitigung des Schnees im Bereich vor den Eingängen des Supermarkts habe sie ein Reinigungsunternehmen, die Firma ...[D], beauftragt. Diese habe auch am Morgen des 21.12.2009 den Schnee geräumt.

19

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme - Vernehmung der Zeugen ...[E], ...[F], ...[C] und ...[B] sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens - die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

20

Die Klägerin trägt nunmehr vor,

21

das Landgericht habe zu Unrecht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten verneint. Da der Sturz sich in einem Bereich des Marktes ereignet habe, der unstreitig feucht gewesen sei, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die vorhandene Nässe für den Sturz ursächlich geworden sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei aufgrund der Beweisaufnahme nicht unstreitig, dass Schmutzfanglatten ausgelegt worden seien. Die Beweisaufnahme habe auch nicht ergeben, dass der Zeuge ...[C] den Markt am Unfalltag regelmäßig mit der Putzmaschine befahren habe. Soweit das Landgericht dies auf die glaubhaften Bekundungen der Zeugen ...[F] und ...[B] gestützt habe, sei zu bemerken, dass die das Urteil sprechende Richterin der Beweisaufnahme nicht beigewohnt habe. Dies gelte entsprechend für die Feststellungen des Landgerichts, dass die Fa. ...[D] an dem Unfalltag vor dem Supermarkt Schnee geräumt habe. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege auch deshalb vor, weil keine Warnschilder aufgestellt worden seien. Hinsichtlich der Notwendigkeit der regelmäßigen Reinigung des Fußbodens im Supermarkt sei der Beklagten ein Organisationsverschulden anzulasten.

22

Die Klägerin beantragt nunmehr,

23

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

24

1) die Beklagte zu verurteilen, an sie 441,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,

25

2) die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Zustellung der Klage zu zahlen, und zwar abzüglich eines vorprozessual gezahlten Betrags von 400,-- €,

26

3) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aufgrund des Unfalls vom 21.12.2009 in dem ...[A]-Markt in der ...[Y]straße in ...[X] künftig entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen,

27

4) sie von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 430,66 € freizustellen.

28

Die Beklagte beantragt,

29

die Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.

30

Die Beklagte trägt vor,

31

das Landgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe ihren Sturz selbst verursacht. Ihr, der Beklagten, sei keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass ihre Mitarbeiter ihrer Verpflichtung, die Nässe und Feuchtigkeit im Supermarkt zu beseitigen im ausreichenden Maße nachgekommen seien. Der Markt sei an diesem Tag von 2.200 Kunden aufgesucht worden (unstrittig). Die Klägerin sei die einzige gewesen, die gestürzt sei.

II.

32

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

33

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Beklagten ist keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Es besteht für die Klägerin weder ein Anspruch aus der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht noch ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB oder § 831 BGB.

34

Die Verkehrssicherungspflicht verpflichtet grundsätzlich denjenigen, der eine Gefahrenlage schafft, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH, Urteil vom 12.11.1996 - VI ZR 270/95 - VersR 1997, 249, 250; Urteil vom 15.07.2003 - VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319 = MDR 2003, 1352; OLG Celle, Urteil vom 25.01.2007 - 8 U 161/06 - juris Tz. 5 = VersR 2008, 1533 LS; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.12.2009 - 2 U 565/09 - VersR 2011, 363). Der Verkehrssicherungspflichtige ist aber nicht gehalten, für alle denkbaren, entfernt liegenden Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge zu treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (BGH, Urteil vom 15.07.2003 -VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319 = MDR 2003, 1352; Urteil vom 16.05.2006 - VI ZR 189/05 - VersR 2006, 1083 = NJW 2006, 2326; Urteil vom 16.02.2006 - III ZR 68/05 - VersR 2006, 665; OLG Koblenz, aaO), d. h. nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßem oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (BGH; Urteil vom 21.02.1978 - VI ZR 202/76 - VersR 1978, 561 = NJW 1978, 1629; OLG Koblenz, aaO). Der Dritte ist aber nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann (OLG Hamm, Urteil vom 17.12.2001 - 13 U 171/01 - VersR 2003, 605; BGH, Urteil vom 30.12.2007 - VI ZR 99/06 - VersR 2007, 518 = NJW-RR 2006, 1100; OLG Koblenz, aaO).

35

Für Geschäftsräume, insbesondere für Kaufhäuser und Supermärkte, die dem Publikumsverkehr offenstehen, gelten strenge Sicherheitsstandards (BGH, Urteil vom 11.03.1986 - VI ZR 22/85 - VersR 1986. 765 = NJW 1986, 2757; VersR 1988, 631 = VersR 1988, 1588; Urteil vom 05.07.1994 - VI ZR 238/93 - NJW 1994, 2617; OLG Köln, Beschluss vom 28.06.2000 - 22 W 22/00 - VersR 2001, 595 = juris Tz. 6; MünchKommBGB/Wagner, 5. Auflage, § 823 Rn. 464, 482; Grote, Verkehrssicherungspflichten beim Zugang zu öffentlichen Gebäuden, NJW 200, 3113 ff.). Für Fußböden in Kaufhäusern und Supermärkten gilt, dass der Belag so auszuwählen und zu unterhalten ist, dass die Stand- und Trittsicherheit der Kunden selbst dann noch gewährleistet ist, wenn sie sich auf die in den Regalen ausgestellten Waren konzentrieren (Wagner, aaO § 823 Rn. 484; Staudinger/Hager, BGB, 2009, § 823 Rn. 249; BGH, Urteil vom 21.06.1994 - VI ZR 215/93 - VersR 1994, 1202 = NJW 1994, 2756).

36

Selbst unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Sicherheitsstandards hat das Landgericht zu Recht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten verneint. Der Umstand, dass der Bereich hinter der Kasse feucht war, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, eine Verkehrssicherungspflichtverletzung zu begründen. Angesichts der Witterungsverhältnisse am Unfalltag war es schlechterdings der Beklagten nicht möglich, den Fußboden im Marktbereich trocken zu halten. Bei etwa 2.200 Besuchern des Marktes an diesem Tag und des vorhandenen Schneewetters ließ sich nicht vermeiden, dass die Kunden mit ihrer Bekleidung und ihren Schuhen die Nässe mit in den ...[A]-Markt bringen. Die Klägerin konnte - wie das Landgericht zutreffend bemerkt - nicht erwarten, dass der Bereich hinter den Kassen trocken war. Sie musste bei gehöriger Aufmerksamkeit damit rechnen, dass Feuchtigkeit auf dem Fußbodenbelag in Anbetracht des starken Kundendrangs nicht mit zumutbaren Mitteln zu vermeiden war.

37

Die Beklagte ist ihrer Pflicht zur Vermeidung bzw. Beseitigung der Feuchtigkeit in ausreichendem Maße nachgekommen. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts hat die Beklagte im Bereich der beiden Eingangstüren Schmutzfangmatten ausgelegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Zeuge ...[C] vom Marktleiter angewiesen war, mit Hilfe einer Putzmaschine den Fußboden des Supermarktes einschließlich des Eingangs- und Kassenbereichs regelmäßig zu reinigen und zu trocknen. Der Zeuge ...[C] ist am Unfalltag entsprechend verfahren und hat regelmäßig die Putzmaschine bedient. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haben die Mitarbeiter der Beklagten, ...[C] und ...[F], sowie der Marktleiter ...[B] übereinstimmend bekundet, dass die Reinigungs- und Trocknungsarbeiten in zweistündigen Intervallen erfolgten. Ebenso ist - den Bekundungen der Zeugen ...[C] und ...[B] folgend - der Verkehrsraum vor den Eingängen zum Supermarkt von der von der Beklagten beauftragten Firma ...[D] geräumt und mit Streusalz bestreut worden.

38

Soweit die Berufung (BB 4, GA 207) beanstandet, es sei nicht unstreitig, dass Schmutzfangmatten ausgelegt worden seien, verfängt dieser Angriff nicht. Stellt das Landgericht in seinem erstinstanzlichen Urteil fest, dass unstreitig Schmutzmatten ausgelegt waren (LU 5) und wird diese Feststellung nicht durch einen Tatbestandsberichtigungsantrag beanstandet, entfalten diese Feststellungen gemäß § 314 ZPO Tatbestandswirkung, auch wenn sich diese Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils befinden (OLG Koblenz, Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 26.09.2012 - 2 U 1127/11; Hinweisbeschluss vom 12.06.2012 - 2 U 561/11 - BauR 2012, 1838, IBR 2012 online Leitsatz).

39

Die Berufung argumentiert, es spreche der erste Anschein dafür, dass die vorhandene Nässe für den Sturz der Klägerin ursächlich gewesen sei (BB 4, GA 207). Der Hinweis auf den Anscheinsbeweis vermag vorliegend eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht zu begründen. Die Klägerin musste aufgrund der Witterungsverhältnisse damit rechnen, dass der Fußbodenbelag in dem Supermarkt bei der Vielzahl an Kunden, die den Markt besuchten, feucht war. Der Sturz der Klägerin ist im Wesentlichen durch eigenes Verschulden verursacht worden, weil sie dem Fußbodenbelag nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet hat. Die Zeugin ...[E] (GA 89) hat in der Beweisaufnahme bekundet, dass die Klägerin mit ihr an der Kasse gestanden, ihr ein frohes Weihnachtsfest gewünscht und sich dann umgedreht habe und gestürzt sei. Die Klägerin habe keinen Einkaufswagen mitgeführt und habe die wenigen Teile, die sie mitgeführt habe, auf dem Arm getragen (GA 90). Diese Situation spricht dafür, dass die Klägerin nicht genügend aufmerksam war.

40

Das Landgericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge ...[C] von dem Marktleiter angewiesen worden war, mit Hilfe einer Putzmaschine den Fußboden des Supermarktes einschließlich des Eingangs - und Kassenbereichs zu reinigen und zu trocknen. Der Zeuge ...[C] habe diese Anweisungen am Umfalltag auch umgesetzt. Die Mitarbeiter der Beklagten ...[C], ...[F] sowie der Marktleiter ...[B] hätten übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass der Zeuge in regelmäßigen Intervallen Reinigungs- und Trocknungsarbeiten in dem Supermarkt ausgeführt habe. Der Zeuge ...[C] hat dies dahingehend präzisiert, dass er in zweistündigen Intervallen die Putzmaschine bedient habe. Das Landgericht hat sich mit den Angaben der Klägerin und der Aussage Zeugin ...[E] (nicht wie vom Landgericht ausgeführt die Zeugin ...[F], die keine Kundin, sondern Kassiererin war, LU 5, Sitzungsprotokoll LG vom 11.01.2012, S. 4. GA 91) auseinandergesetzt, die eine Putzmaschine nicht beobachtet haben will. Das Landgericht führt nachvollziehbar aus, dass diese Angaben nicht in Widerspruch zu den Bekundungen der Zeugen ...[C] und ...[B] stehen, da der Zeuge ...[C] die Putzmaschine nicht unablässig bedient habe (LU 5).

41

Die Angriffe der Berufung (BB 6 ff., GA 209 ff.) gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts sind nicht erfolgversprechend. Dass die Zeugin ...[E] sich während ihres halbstündigen Aufenthalts (BB 5, GA 208) nicht erinnern konnte, dass jemand den Boden im Bereich hinter den Kassen gewischt habe, steht den Bekundungen der Zeugen ...[C] und ...[B] nicht entgegen, da der Zeuge ...[C] in zweistündigen Intervallen die Putzmaschine bediente.

42

Soweit die Berufung rügt, dass zwischen der Beweisaufnahme am 11.02.2012 GA 88 ff.) und der Verkündung des Urteils vom 21.11.2012 ein Richterwechsel stattgefunden habe, trifft dies zwar zu, führt aber nicht zu dem Ergebnis, dass die Beweisaufnahme des Landgerichts hätte wiederholt werden müssen. Richtig ist zwar, dass sich die Spruchrichterin zu der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Zeugen geäußert hat, ohne diese gemäß § 398 Abs. 1 ZPO nochmals zu vernehmen.  Die Spruchrichterin hat sich allerdings nicht zu der Glaubwürdigkeit der Zeugen geäußert. Es bedurfte deshalb auch nicht eines Glaubwürdigkeitsvermerks der die Beweisaufnahme durchführenden Richterin, zu dem die Parteien hätten Stellung beziehen können (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98 - NJW 2000, 1420 ff. = VersR 200, 610 ff. = ZIP 2000, 635 ff. = WM 2000, 686 ff. = R+S 2000, 261 ff.; Urteil vom 04.02.1997 - XI ZR 160/96 - NJW 1997, 1586 f. = MDR 1997, 592; Urteil vom 11.07.1990 - VIII ZR 366/89 - NJW 1990, 3088 ff. = WM 19990, 2095 ff. = MDR 1991, 239; Thomas/Putzo, ZPO; 32. Auflage 2011, § 285 Rn. 2). Die Berufung trägt selbst vor, dass die Parteien der urkundlichen Verwertung der protokollierten Zeugenaussagen zugestimmt haben. Die Ausführungen des Landgerichts zur Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen hat das Landgericht offenbar dem objektiven Aussagegehalt der Aussagen entnommen und sie im Gesamtkontext gesehen.

43

Das Landgericht ist in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass der Fußbodenbelag in dem Supermarkt aufgrund der von Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen ...[G] der Rutschhemmklasse R 9 zuzuordnen war und eine ausreichende Rutschhemmung aufwies. Selbst unter Beachtung der strengen Sicherheitsstandards für den Fußbodenbelag in Kaufhäusern und Supermärkten ist der Beklagten hinsichtlich der Ausstattung ihres Supermarktes kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Seitens der Berufung werden diesbezüglich keine Angriffe geführt.

44

Entgegen den Ausführungen der Berufung, die sich auf die Entscheidungen  des OLG Köln vom 25.06.1998 (12 U 271/97 - MDR 1999, 678 = VersR 1999, 861 f.) und OLG Karlsruhe (Urteil vom 14.07.2004 - 7 U 18/03) beziehen, ist der Beklagten kein Organisationsverschulden anzulasten, weil der für die Beklagte verantwortliche Marktleiter nicht dafür Sorge getragen habe, dass die Böden regelmäßig kontrolliert und gereinigt werden. Nach den übereinstimmenden Bekundungen des Marktleiters ...[B], des Zeugen ...[C] und der Zeugin  ...[F] ist der Boden in dem Supermarkt regelmäßig gereinigt und getrocknet worden. Dem steht nicht entgegen, dass die Zeugen teilweise bekundeten, dass im Ein- und Ausgangsbereich (so der Zeuge ...[B], Protokoll vom 11.01.2012, Seite 8, GA 95, die Zeugin ...[F], Protokoll vom 11.01.2012, Seite 4, GA 91) nach Bedarf der Boden gereinigt und getrocknet worden sei. Dieses Vorgehen spricht vielmehr dafür, dass die Beklagte sich den veränderten Verhältnissen anpasste.

45

Mit dem Landgericht kann offen gelassen werden, ob am Unfalltag tatsächlich Warnschilder in Bezug auf eine etwaige  Glättegefahr im Supermarkt aufgestellt waren, weil die von der Beklagten veranlassten Verkehrssicherungsmaßnahmen - Reinigen, Putzen und Trockenwischen des Fußbodenbelags - im Rahmen des Zumutbaren an sich ausreichend waren, etwaigen Gefahren im Hinblick auf eine Rutschgefahr zu begegnen und das Unfallereignis auf eigenes Verschulden der Klägerin zurückzuführen ist.

46

Die Berufung der Klägerin hat aus den dargelegten Gründen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

47

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 17.041,44 € festzusetzen.

48

Anmerkung der Medienstelle:

49

Anschließend wurde die Berufung zurückgenommen.

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen


(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl

Zivilprozessordnung - ZPO | § 314 Beweiskraft des Tatbestandes


Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 398 Wiederholte und nachträgliche Vernehmung


(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen. (2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Proze

Strafgesetzbuch - StGB | § 229 Fahrlässige Körperverletzung


Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.

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BGHR: ja
Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Sägewerks.
BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - OLG Frankfurt/Main
LG Fulda
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Wellner, Pauge, Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Kassel vom 26. März 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte ist Inhaber eines Sägewerkes und holzverarbeitenden Betriebes. Der Kläger, ein selbständiger Fliesenlegermeister, brachte im Januar 1998 Baumstämme in den Betrieb des Beklagten, um daraus Schalbretter und Kanthölzer herstellen zu lassen. Am 26. Januar 1998 wollte der Kläger das geschnittene Holz abholen. Dazu begab er sich auf das nicht eingezäunte Betriebsgelände des Beklagten und betrat dort einen nach zwei Seiten offenen, frei zugänglichen Schuppen, in dem ein Sägegatter (Vertikalgatter) in Betrieb war. Als der Kläger den Schneidearbeiten zusah, wurde er von einem aus dem Sägegatter herausgeschleuderten Kantholz am Kopf getroffen und schwer verletzt. Der Kläger begehrt Schadensersatz, Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Zahlungsansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Feststellungsklage stattgegeben; wegen des Betragsverfahrens hat es den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält für nicht bewiesen, daß der Beklagte das Vertikalgatter in mangelhaftem Zustand betrieben habe und läßt offen, ob die Säge fehlerhaft bedient worden sei. Es meint, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch die Schädigung des Klägers herbeigeführt. Allerdings handele es sich beim Sägen an einem Vertikalgatter nach Angaben des Sachverständigen nicht um einen besonders gefährlichen Vorgang. Holz reagiere aber bei der Bearbeitung unterschiedlich. Aufgrund von Verwachsungen und sonstigen Besonderheiten im Innern des Stammes könne es beim Sägen reißen oder absplittern. Es sei auch nicht ausgeschlossen, daß sich durch die senkrechte Bewegung des Sägeblattes vor allem kurze Kanthölzer verkeilten und dadurch aus der Maschine herausgeschleudert würden. Dies sei für den Gatterführer auch bei aufmerksamer Beobachtung des Schneidevorgangs nicht vorhersehbar. Wegen dieser Gefahren hätte der Beklagte nach Auffassung des Berufungsgerichts betriebsfremden Personen den Zutritt zu dem Schuppen durch Anbringung von Warn- und Verbotsschildern verbieten müssen. Dafür, daß der Kläger ein entsprechendes Verbot beachtet hätte, spreche eine tatsächliche Vermutung. Ein Mitverschulden treffe ihn nicht. Als Betriebsfremder habe er nicht mit abfliegenden Spänen oder weggeschleuderten Kanthölzern rechnen müssen.

II.

Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht überspannt die dem Beklagten als Betreiber der Säge obliegenden Verkehrssicherungspflichten. 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß derjenige , der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 1989 - VI ZR 182/89 - VersR 1990, 498, 499 und vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - VersR 2002, 247, 248; jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - III ZR 99/90 - VersR 1993, 586, 587 m.w.N.; BGHZ 121, 368, 375 und BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - VersR 1997, 109, 111). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfaßt danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher, daß sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können (Senatsurteil vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - aaO m.w.N.). 2. Das Berufungsgericht hält eine solche Gefahr hier deswegen für gegeben , weil nach Angaben des Sachverständigen bei dem Betrieb der Säge die Möglichkeit besteht, daß Teile des zu verarbeitenden Holzes absplittern oder Kanthölzer sich verkeilen und aus dem Gatter herausgeschleudert werden. Dieser vom Sachverständigen als möglich angesehene Geschehensablauf mag eine Erklärung für den Hergang des Unfalls vom 26. Januar 1998 sein. Eine solche nachträgliche Betrachtungsweise eines nach Kenntnis des Sachverstän-
digen bislang einmaligen Vorgangs erlaubt für sich allein jedoch nicht die Schlußfolgerung, daß der Beklagte betriebsfremden Personen den Zutritt zu der Anlage hätte verbieten müssen. Das Berufungsgericht verkennt, daß nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre unrealistisch (Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 - VersR 1975, 812). So ist eine Verkehrssicherung , die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar (Senatsurteil vom 21. April 1964 - VI ZR 39/63 - VersR 1964, 746). Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können (Senatsurteile vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 – aaO m.w.N.; vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98 u. 99/77 - VersR 1978, 1163, 1165 und vom 5. Mai 1987 - VI ZR 181/86 - VersR 1987, 1014, 1015). Deshalb muß nicht für alle nur denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen geboten, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98 u. 99/77 - aaO; BGHZ 14, 83, 85; BGH, Urteil vom 13. November 1970 - 1 StR 412/70 - NJW 1971, 1093, 1094 m.w.N.). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB), deren Verletzung zur deliktischen Haftung führt (§ 823 Abs. 1 BGB), ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet (Senatsurteil vom 16. Februar 1972 - VI ZR 111/70 - VersR 1972, 559, 560 m.w.N.). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, dann, wenn die Gefahren bei der Ausübung eines Berufes oder eines Gewerbes auftreten, diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die diesem den Umständen
nach zuzumuten sind (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1963 - VI ZR 145/62 - VersR 1963, 532 und vom 19. Mai 1967 - VI ZR 162/65 - VersR 1967, 801, jeweils m.w.N.). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mußten und eine Gefährdung von anderen – wenn auch nicht völlig ausgeschlossen – nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden , so muß der Geschädigte den Schaden selbst tragen, auch wenn dies im Einzelfall hart sein mag. Er hat ein "Unglück" erlitten und kann dem Schädiger kein "Unrecht" vorhalten (Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 - aaO). 3. Nach diesen Grundsätzen vermögen die bisher getroffenen Feststellungen eine Haftung des Beklagten gem. § 823 BGB nicht zu begründen.
a) Das Berufungsgericht stellt - sachverständig beraten - fest, daß die Anbringung eines Zutrittsverbotsschildes nach den maßgeblichen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) für Maschinen und Anlagen zur Be- und Verarbeitung von Holz und ähnlichen Stoffen nicht erforderlich war. Damit ist allerdings die Frage noch nicht geklärt, ob der Beklagte dennoch gehalten gewesen wäre, insbesondere betriebsfremden Personen den Zutritt zu dem Maschinenraum zu verwehren. Insoweit geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, daß an die Sorgfaltspflicht des Unternehmers zum Schutz betriebsfremder Personen im Einzelfall durchaus höhere Anforderungen zu stellen sein können als gegenüber seinen Betriebsangehörigen, zu deren Schutz die UVV in erster Linie bestimmt sind (vgl. Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 – aaO S. 812 f. m.w.N.). Gesetzliche oder andere Anordnungen, einschlägige Unfallverhütungsvorschriften und DIN-Normen enthalten im allgemeinen nämlich keine abschließenden Verhaltensanforderungen (vgl. Senatsurteile vom 30. April
1985 - VI ZR 162/83 - VersR 1985, 781; vom 12. November 1996 - VI ZR 270/95 - VersR 1997, 249, 250; vom 26. Mai 1998 - VI ZR 183/97 - VersR 1998, 1029, 1030; vom 4. Mai 1999 - VI ZR 379/98 - VersR 1999, 1033, 1034 und vom 13. März 2001 - VI ZR 142/00 – VersR 2001, 1040 jeweils m.w.N.). Solche Bestimmungen können jedoch regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden (Senatsurteile vom 9. Juli 1985 - VI ZR 118/84 - VersR 1985, 1147 f. und vom 13. März 2001 - VI ZR 142/00 - aaO, jeweils m.w.N.). Namentlich die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft stellen den von der zuständigen Stelle kraft öffentlicher Gewalt festgelegten Niederschlag der in einem Gewerbe gemachten Berufserfahrungen dar und sind von dem Unternehmer zu beachten (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 1953 - VI ZR 58/52 - VersR 1953, 196 und vom 9. Juli 1985 - VI ZR 118/84 - VersR 1985, 1147 f., jeweils m.w.N.). Gebietet die Verkehrssicherungspflicht den Schutz vor anderen Gefahren als denen, die zu verhüten die Unfallverhütungsvorschrift dient, so kann sich der Verkehrssicherungspflichtige nicht darauf berufen, in Ansehung dieser Gefahren seiner Verkehrssicherungspflicht dadurch genügt zu haben, daß er die Unfallverhütungsvorschrift eingehalten hat. Vielmehr hat er die insoweit zur Schadensabwehr erforderlichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen. Dient hingegen die Unfallverhütungsvorschrift gerade der Vermeidung der Gefahren, die sich später in einem Unfall verwirklicht haben, so kann dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er keine weitergehenden Schutzmaßnahmen ergriffen hat, als in der einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift gefordert (vgl. Senatsurteile vom 30. April 1985 - VI ZR 162/83 - aaO und vom 12. November 1996 - VI ZR 270/95 - aaO, jeweils m.w.N.).
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sahen die seinerzeit maßgebenden UVV keine spezifischen Schutzmaßnahmen gegen ein Herausschleudern von Kanthölzern vor, sondern verlangten nur, beim Sägen von kur-
zen Stämmen an einem Vertikalgatter solche Vorrichtungen bereitzuhalten und zu benutzen, die das Hochschlagen der Stämme verhindern. Daß der Beklagte am Unfalltag gegen diese Vorschrift verstoßen hätte, ist nicht festgestellt. Deshalb ist im Revisionsrechtszug zu seinen Gunsten zu unterstellen, daß die Säge vorschriftsmäßig und fehlerfrei bedient wurde. Weitergehende Sicherungsvorkehrungen waren nach den UVV nicht zu treffen. Hat der Beklagte aber die Vorschriften beachtet, welche der Abwendung der (bekannten) Gefahr des Hochschlagens der Stämme dienten, hat er denjenigen Sicherheitsgrad geschaffen , den ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betreffenden Berufsgruppe für ausreichend halten durfte, um andere Personen vor Schaden zu schützen. Da die von dem Hochschlagen der Stämme ausgehende Gefährdung für alle sich in der Nähe der Säge aufhaltenden Personen und damit für Betriebsangehörige wie für Betriebsfremde in gleichem Maße galt, bestanden gegenüber letzteren auch keine zusätzlichen Sorgfaltspflichten. Für ein Zutrittsverbot gegenüber betriebsfremden Personen wegen der Möglichkeit des Herausschleuderns von Kanthölzern hätte nur dann Veranlassung bestanden, wenn es sich dabei um eine nach sachverständigem Urteil naheliegende Gefahr gehandelt hätte. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall. Hat sich der Unfall vorliegend trotz Einhaltung der aus damaliger Sicht gebotenen Sicherheitsvorkehrungen ereignet, hat er die Erkenntnis gebracht, daß diese Maßnahmen nicht ausreichend waren. In diesem Fall mag sich eine bis dahin zwar denkbare, aber für das sachverständige Urteil seinerzeit allenfalls als bloß theoretisch anzusehende Möglichkeit des Herausschleuderns von Holzteilen in der Praxis realisiert haben. Das reicht jedoch zur Begründung einer Haftung aus einem solchen Unfall nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht aus (vgl. Senatsurteile vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 - aaO m.w.N.; vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98 u. 99/77 - aaO und vom 5. Mai 1987 - VI ZR
181/86 - aaO). Nach alledem mußte der Beklagte den Zutritt zu der Anlage jedenfalls seinen Kunden nicht verwehren. Eine andere Frage mag es sein, ob er den Sägeschuppen allen Außenstehenden und somit z.B. auch Kindern zugänglich machen durfte. Einer Vertiefung dieser Frage bedarf es hier aber deshalb nicht, weil es sich insoweit um ein besonderes Risiko handeln würde, das sich im Streitfall nicht verwirklicht hat und das deshalb hier außer Betracht bleiben kann (vgl. Senatsurteil vom 25. April 1978 - VI ZR 194/76 - VersR 1978, 739, 740; Lepa, Der Schaden im Haftpflichtprozeß, 1992, S. 17).

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um zu klären, ob die Schädigung des Klägers durch eine fehlerhafte Bedienung des Vertikalgatters verursacht worden ist.
Müller Wellner Pauge Stöhr Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 189/05 Verkündet am:
16. Mai 2006
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Vermieter einer Wohnung verstößt nicht gegen seine Verkehrssicherungspflicht,
wenn er die mit einem Glasausschnitt versehenen Zimmertüren der Wohnung, die
insoweit den baurechtlichen Vorschriften entspricht, bei einer Vermietung an eine
Familie mit Kleinkindern nicht mit Sicherheitsglas nachrüsten lässt.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - VI ZR 189/05 - LG Siegen
AG Siegen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner, die
Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 2. August 2005 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die am 28. April 2001 geborene Klägerin nimmt den Beklagten als Vermieter der Wohnung ihrer Eltern auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Die Eltern der Klägerin sind seit 1. November 2001 Mieter einer 6-Zimmer-Wohnung in einem Anwesen des Beklagten , das im Jahre 1966 errichtet worden ist. Seit 1986 handelt es sich bei den Wohnungen um Sozialwohnungen im Sinne der §§ 4 und 5 des Wohnungsbindungsgesetzes , deren Bezug eine Personenzahl von 5 erfordert, damit von der Gemeinde ein entsprechender Berechtigungsschein ausgestellt wird. Die Familie der Klägerin lebt dort mit zwei Erwachsenen und drei Kleinkindern.
2
Am 22. März 2003 lief die Klägerin beim Spielen mit ihrer Schwester gegen eine in der Wohnung befindliche Kinderzimmertür. Die Tür bestand aus einem Holzrahmen mit einem Glasausschnitt, der im unteren Bereich in einer Höhe von 40 cm begann. Bei dem Glas handelte es sich nicht um Sicherheitsglas. Bei dem Unfall fiel die Klägerin mit Kopf und Schultern in die Scheibe. Dadurch gelangte ein winziges Teil aus der zerbrochenen und zersplitterten Scheibe in das linke Auge der Klägerin, wodurch die Klägerin die Sehkraft des linken Auges nahezu vollständig verlor.
3
Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Zwar treffe den Vermieter grundsätzlich eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Mieter einer Wohnung. Dabei habe der Verkehrssicherungspflichtige aber nur solche Gefahrenquellen zu beseitigen bzw. vor ihnen zu warnen, die von den Verkehrsteilnehmern trotz gebotener Eigensorgfalt nicht ohne weiteres erkennbar seien oder auf die sie sich nicht ohne weiteres einstellen könnten. Art und Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmten sich nicht nur nach der Intensität der Gefahr, sondern auch nach den Sicherheitserwartungen des Verkehrs. Danach dürfe der Mieter einer Wohnung sich nicht darauf verlassen, dass Glasausschnitte in Zimmertüren mit Sicherheitsglas ausgestattet seien. Dahingehende baurechtliche Vorschriften hätten weder bei Errichtung der Wohnungen im Jahr 1966 noch bei Einzug der Familie der Klägerin noch zum Zeitpunkt des Unfalles existiert. Besondere Umstände, die eine über die baurechtlichen Vorschriften hinausgehende Verpflichtung des Verkehrssicherungspflichtigen erforderten, seien nicht erkennbar. Der Beklagte habe zwar gewusst, dass die Wohnung von einer Familie mit drei Kleinkindern bewohnt werde, habe aber nicht ernstlich damit rechnen müssen, dass ein Mieter "durch eine solche Scheibe" gehe. Es werde nicht behauptet, dass solche Vorfälle bereits zuvor vorgekommen seien. Zur Abwehr von Gefahren für die Kinder sei in erster Linie der Aufsichtspflichtige zuständig. Wenn die Eltern der Klägerin auf die Ausstattung mit Sicherheitsglas Wert gelegt hätten, hätten sie nachfragen oder die Tür entsprechend überprüfen müssen. Auch für einen Laien wäre eine Ausstattung mit Sicherheitsglas an der Stempelung erkennbar gewesen. Mieter könnten nicht davon ausgehen, dass Zimmertüren einer im Jahre 1966 errichteten Wohnung mit Sicherheitsglas ausgestattet seien. Da der Gesetzgeber bis heute nicht die Ausstattung von Glastürausschnitten mit Sicherheitsglas verlange, handele es sich auch nicht um ein dringendes Sicherheitsbedürfnis, welches den Sicherungspflichtigen ausnahmsweise zu nachträglichen Maßnahmen verpflichtete.

II.

5
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht einen Verstoß des Beklagten gegen die ihm als Vermieter obliegenden Verkehrssicherungspflichten verneint.
6
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. etwa Senatsurteile vom 19. Dezember 1989 - VI ZR 182/89 - VersR 1990, 498, 499; vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - VersR 2002, 247, 248; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319 und vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - VersR 2006, 233, 234, jeweils m.w.N.; vgl. auch BGHZ 121, 367, 375 und BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - VersR 1997, 109, 111). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.
7
2. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl. Senatsurteil vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO m.w.N.). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. Senatsurteile vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98/77 - und - VI ZR 99/77 - VersR 1978, 1163, 1165; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO und vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F., jetzt § 276 Abs. 2 BGB n.F.) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. Senatsurteile vom 16. Februar 1972 - VI ZR 111/70 - VersR 1972, 559, 560; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO und vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen , die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise - hier der Wohnungsvermieter - für ausreichend halten darf, um andere Personen - hier: Mieter und deren Kinder - vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind; Voraussetzung für eine Verkehrssicherungspflicht ist, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1963 - VI ZR 145/62 - VersR 1963, 532; vom 19. Mai 1967 - VI ZR 162/65 - VersR 1967, 801; vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - aaO; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO und vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO).
8
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen , aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden , so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den Schaden selbst tragen. Er hat ein "Unglück" erlitten und kann dem Schädiger kein "Unrecht" vorhalten (vgl. Senatsurteile vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 - VersR 1975, 812; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO und vom 8. November 2005 - VI ZR 332/04 - aaO).
9
3. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht eine Haftung des Beklagten verneint.
10
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass baurechtliche Vorschriften, nach denen Zimmertüren mit Glasausschnitten in Wohnun- gen mit Sicherheitsglas ausgestattet werden müssen, weder zum Zeitpunkt der Errichtung der Wohnungen im Jahre 1966 existierten, noch zum Zeitpunkt des Einzugs der Familie der Klägerin im Jahre 2001, noch zum Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 2003. Nach § 40 Abs. 2 Bauordnung NW ist lediglich geregelt, dass Glastüren und andere Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, so zu kennzeichnen sind, dass sie leicht erkannt werden können. Für größere Glasflächen können zwar Schutzmaßnahmen zur Sicherung des Verkehrs verlangt werden, wobei für Glasflächen , die bis zum Fußboden reichen, jedoch keine besonderen Eigenschaften des Glases vorgeschrieben sind, sondern lediglich eine entsprechende Markierung.
11
Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen handelte es sich bei der Tür, an der sich die Klägerin verletzt hat, nicht um eine bis zum Fußboden herabreichende Glastür, sondern um eine Zimmertür mit einem Glasausschnitt, der erst in einer Höhe von 40 cm begann. Die Revision macht selbst nicht geltend, dass die Zimmertür insoweit nicht den einschlägigen baurechtlichen Vorschriften entsprochen habe.
12
Insofern ist der vorliegende Fall anders gelagert als derjenige, der dem Senatsurteil vom 31. Mai 1994 - VI ZR 233/93 - (VersR 1994, 996, 997) zugrunde lag. Dort war der Geschädigte im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses beim Hinuntergehen auf der letzten Stufe einer aus Marmorstufen bestehenden Treppe gestürzt und mit dem Arm in eine aus gewöhnlichem Fensterglas bestehende Verglasung einer Treppenhausaußenwand gefallen. Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass in diesem Fall baurechtliche Vorschriften bestanden, die besondere Sicherheitsvorkehrungen geboten hätten. Nach § 36 Abs. 7 Bauordnung NW sind Fenster, die unmittelbar an Treppen liegen und deren Brüstungen unter der notwendigen Geländerhöhe liegen, zu sichern. Grund hierfür ist, dass bei einem Treppenhaus zum einen die Gefahr eines Hinabstürzens in die Tiefe und zum anderen eine größere Wahrscheinlichkeit besteht, dass dort jemand zu Fall kommt, wobei im damals entschiedenen Fall hiermit ernstlich zu rechnen war, weil auf der unteren Stufe der Treppe ein nur 1,25 m breites Podest bis zur Außenwand vorgelagert war und sich kurze Zeit zuvor ein Vorfall ereignet hatte, bei dem das Fensterglas der Außenwand zu Bruch gegangen war.
13
Im vorliegenden Fall lagen nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keine besonderen Umstände vor, welche eine über die baurechtlichen Vorschriften hinausgehende Verkehrssicherungspflicht des Vermieters hinsichtlich der Zimmertüren begründen konnten. Insbesondere waren keine ähnlichen Vorfälle seit Vermietung der Wohnungen im Jahr 1966 bekannt. Allein aus der Kenntnis der Beklagten, dass die Wohnung von einer Familie mit drei Kleinkindern bewohnt wird, kann sich entgegen der Auffassung der Revision nichts anderes ergeben. Entsprach nach den baurechtlichen Vorschriften die Mietwohnung im Hinblick auf ihre Ausstattung mit verglasten Wohnungsinnentüren der Normalbeschaffenheit, so oblag es den obhutspflichtigen Eltern der Klägerin zu entscheiden, ob sie unter den gegebenen Umständen eine solche Wohnung anmieten und für weitergehende (klein-)kindgerechte Schutzvorkehrungen sorgen wollten, wie sie auch in anderen Bereichen (z.B. Steckdosensicherungen , Schutzgitter, Kantenschutz etc.) üblich sind. Die Revision macht selbst nicht geltend, dass die Eltern der Klägerin bei der Anmietung einer im Jahre 1966 errichteten Wohnung damit rechnen konnten, dass die Innentürverglasungen aus Sicherheitsglas bestanden, zumal nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die Ausstattung mit Sicherheitsglas auch für einen Laien erkennbar ist, weil sich an dem Glaseinsatz bei Sicherheitsglas ein entsprechender Stempel befindet. Mieteten die Eltern der Klägerin mit drei Kleinkindern eine Wohnung, die den geltenden baurechtlichen Sicherheitsvor- schriften im Hinblick auf die Wohnungsinnentüren entsprach, so konnte dies nicht dazu führen, dass sich die Verkehrssicherungspflichten des Vermieters dahingehend erhöhten, nunmehr besondere (klein-)kindgerechte Sicherheitsvorkehrungen einbauen zu müssen. Es mag zwar wünschenswert sein, in künftigen baurechtlichen Vorschriften zum Schutz von Kindern und älteren Menschen , bei denen eine erhöhte Gefahr besteht, dass sie in Wohnungen zu Fall kommen, den Einbau von Sicherheitsglas vorzusehen. Solange dies jedoch noch nicht der Fall ist, treffen den Vermieter diesbezüglich im Regelfall keine erhöhten Verkehrssicherungspflichten.

III.

14
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Müller Wellner Diederichsen Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 10.08.2004 - 13 C 372/04 -
LG Siegen, Entscheidung vom 02.08.2005 - 1 S 151/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 68/05
Verkündet am:
16. Februar 2006
Böhringer-Mangold
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Dc; Nieders. WasserG § 84
Zu den Sorgfaltspflichten des Betreibers einer Stauanlage bei Hochwasser.
BGH, Urteil vom 16. Februar 2006 - III ZR 68/05 - OLG Celle
LG Verden
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Streck, Dr. Kapsa, Galke und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Klägerin betreibt in R. in der M. Straße einen Einzelhandel für Büroartikel und eine Druckerei. Ca. 50 m nördlich unterquert der sogenannte M. , ein Arm der Wiedau, die M. Straße. Unmittelbar an dem Brückenbauwerk befindet sich ein zu einer Wassermühle des Beklagten gehörendes bewegliches Stauwehr. Das Sommerstauziel hierfür ist seit einer Entscheidung des Kreisausschusses des Kreises R. vom 29. September 1921 auf 19,35 m über NN festgesetzt.
2
In den Tagen vor dem 17. Juli 2002 kam es Norddeutschland zu ergiebigen Regenfällen. Weitere Niederschläge vom 18. und 19. Juli 2002 bewirkten unter im Einzelnen streitigen Umständen eine Überschwemmung großer Teile der M. Straße, durch die auch das Hausgrundstück der Klägerin überflutet wurde. Für ihren auf 361.237,60 € bezifferten Schaden macht die Klägerin den Beklagten verantwortlich. Sie hat vorgetragen, er habe das Stauwehr nicht, wie erforderlich, bereits am 17. Juli 2002, als das Sommerstauziel überschritten worden sei, oder zumindest in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2002 vollständig geöffnet, sondern erst am 19. Juli 2002 gegen 12.30 Uhr. Hierdurch bedingt habe sich das Wasser oberhalb des Wehrs und in der M. Straße bis zu einem Wasserstand von 20,48 m über NN aufgestaut. Hätte der Beklagte demgegenüber sein Stauwehr rechtzeitig geöffnet, wäre die festgesetzte Stauhöhe nicht überschritten und die Überschwemmung vermieden worden.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe


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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


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Nach Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat. Eine Haftung lasse sich nur begründen, wenn der Beklagte als Staurechtsinhaber seiner Verpflichtung, die Wehrklappen rechtzeitig im Falle einer Überschwemmungsgefahr zu öffnen, nicht nachgekommen sei. Es lasse sich jedoch unabhängig von einer etwaigen objektiven Pflichtwidrigkeit jedenfalls nicht feststellen, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine Hochwassergefahr für das Stadtgebiet habe erkennen können und ob er dann noch eine Überschwemmung durch vollständiges Niederlegen des Wehrs hätte vermeiden können. Eine Beobachtungspflicht hinsichtlich der Hochwassergefahr habe jedenfalls nicht ihm, sondern dem Landkreis obgelegen. Der Beklagte sei nur verpflichtet gewesen, Gefahren abzuwenden, die er selbst an Ort und Stelle habe erkennen können. Alles andere sei in den administrativen Bereich gefallen, so dass eine prophylaktische Öffnung des Wehrs von ihm nicht habe erwartet werden können.
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Das Sommerstauziel spiele bezüglich der Hochwassergefahr keine Rolle. Die Staumarke habe nicht die Funktion eines Hochwasserschutzes, sondern solle einen Ausgleich zwischen den Interessen des Beklagten als des Betreibers der Wassermühle (der einen möglichst großen Wasservorrat, also eine möglichst hohe Staumarke, besitzen wolle) und denen der Oberlieger (deren Wiesen nicht zu feucht werden sollten) sowie der Unterlieger (die auf einen ausreichenden Wasserzufluss angewiesen seien) herbeiführen. Aus einer Überschreitung der Stauhöhe könne die Klägerin deshalb als nicht zu dem durch das Stauziel geschützten Personenkreis gehörende Geschädigte nichts herleiten. Es komme daher auch nicht darauf an, wann der Beklagte oder sonst jemand die Haltung des Stauziels letztmals kontrolliert habe.
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Der Beklagte sei außerdem nicht etwa verpflichtet gewesen, sich Kenntnis über die Pegelstände zu verschaffen, um eine Hochwassergefahr zu klären. Denn die Gefahrenabwehr und damit auch der Hochwasserschutz habe dem Landkreis oblegen. Im Übrigen hätte die bloße Kenntnis der Pegelstände auch nicht ausgereicht. Der Beklagte hätte sich vielmehr zusätzlich über die Situation in den Überschwemmungsgebieten der Rodau und der Wiedau informieren und die Frage der Wassersättigung beurteilen müssen. Die Klärung dieser Fragen sei aber in den administrativen Bereich des Landkreises gefallen, der gerade keine Veranlassung gesehen habe, dem Beklagten nach § 84 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) aufzugeben, die beweglichen Teile der Stauanlage zu öffnen, um das aufgestaute Wasser unter die Höhe der Staumarke zu senken.

II.


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Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Im Ansatz zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten - nur - unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) geprüft, auch soweit es um die Einhaltung der festgesetzten Stauhöhe geht.
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a) Die dem jetzigen Niedersächsischen Wassergesetz vorausgegangenen gesetzlichen Regelungen in § 101 des Preußischen Wassergesetzes (PrWG) hatten zwar noch ausdrückliche Vorschriften über das Stauziel enthalten. Danach durfte das Wasser bei Stauanlagen nicht über die durch die Staumarke festgesetzte Höhe aufgestaut werden (Absatz 1). Sobald das Wasser über diese Höhe wuchs, hatte der Unternehmer durch Öffnen der beweglichen Teile der Stauanlage und durch Wegräumen aller Hindernisse (Treibzeug, Eis, Geschiebe und dergleichen) den Abfluss des Wassers ohne Anspruch auf Entschädigung sogleich und unausgesetzt so lange zu befördern, bis das Wasser wieder auf die Höhe der Staumarke gesunken war (Absatz 2 Satz 1). Diese Vorschriften wurden allgemein als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstanden (Bergdolt, Preußisches Wasserrecht, 1957, Anm. zu § 101; Holtz/Kreutz/Schlegelberger, Das Preußische Wassergesetz, 3./4. Aufl. unveränderter Nachdruck 1955, § 101 Anm. 5; Wulff, Wassergesetz, 2. Aufl. 1928, § 101 Anm. 1; entsprechend zu der ähnlichen Bestimmung des Art. 31 BayWG: BayObLGZ 1980, 65, 70; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, BayWG, Stand Juni 1995, Art. 31 Rn. 35; zu § 41 Abs. 1 HessWG a.F.: Becker, HessWG, 3. Aufl. 1997, § 41 Rn. 1; s. auch Senatsurteil vom 11. November 2004 - III ZR 200/03 - NVwZ-RR 2005, 149, 151). Sie sind mit diesem Inhalt aber nicht in das niedersächsische Wasserrecht übernommen worden; lediglich das in § 101 Abs. 2 Satz 2 PrWG normierte, hier nicht unmittelbar einschlägige Eingriffsrecht der Wasserpolizeibehörde bei Hochwasser entspricht dem heutigen § 84 NWG.
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b) Eine gesetzliche Verpflichtung zum Hochwasserschutz bei Einwirkungen auf ein Gewässer enthält seit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 11. November 1996 (BGBl. I S. 1690) allerdings § 1a Abs. 2 WHG. Danach ist jedermann verpflichtet, bei Maßnahmen , mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um (unter anderem) eine Vergrößerung und Beschleunigung des Wasserabflusses zu vermeiden. Wegen ihrer gemeinwohlbezogenen Zielrichtung und ihres pauschalen Charakters ist diese Regelung jedoch nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen (Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 165; Czychowski/Reinhardt, WHG, 8. Aufl. 2003, § 1a Rn. 24; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Stand September 2002, § 1a Rn. 22).
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c) Ob § 313 StGB als Schutzgesetz gilt, wie die Revision meint, kann offen bleiben. Aus dem dort normierten, ebenfalls allgemein gefassten Verbot, Überschwemmungen herbeizuführen, ergäben sich jedenfalls keine über die zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht hinausgehenden Handlungspflichten.
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2. Wer in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (Senatsurteil BGHZ 121, 367, 375; BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - NJW-RR 2003, 1459; Urteil vom 3. Februar 2004 - VI ZR 95/03 - NJW 2004, 1449, 1450; Urteil vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 33/05 - Rn. 11; Senatsurteil vom 2. Februar 2006 - III ZR 159/05 - zur Veröffentlichung vorgesehen; jeweils m.w.N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen , die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher, dass sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH, Urteile vom 15. Juli 2003 aaO S. 1459 f.; vom 3. Februar 2004 aaO und vom 20. Dezember 2005 aaO).

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3. a) Diese Grundsätze gelten - auch mit Rücksicht auf das erwähnte, für jedermann geltende Gebot des Hochwasserschutzes bei Einwirkungen auf Gewässer nach § 1a Abs. 2 WHG (dazu näher Breuer, aaO, Rn. 164 f.; Czychowski /Reinhardt, aaO, § 1a Rn. 16 ff.) - ebenso für den den Wasserabfluss behindernden und dadurch insbesondere bei Hochwasser Dritte gefährdenden Betrieb einer Stauanlage. Dabei besteht ein Gebot, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, zumindest dann, wenn die Grenzen des bestehenden Staurechts überschritten sind und der Betreiber sich deshalb auf keine geschützten Eigeninteressen mehr stützen kann. Das ist spätestens mit dem Zeitpunkt der Fall, in dem der Wasserstand die zulässige Stauhöhe übersteigt. Der Stauberechtigte hat daher auch ohne behördliche Weisung von sich aus einzugreifen und das Wehr in dem notwendigen Umfang zu öffnen oder sonstige Abflusshindernisse zu beseitigen, sobald das Hochwasser die obere Staumarke erreicht und weiter zu steigen droht. Dass das Niedersächsische Wassergesetz auf eine entsprechende ausdrückliche Regelung wie in § 101 Abs. 2 Satz 1 PrWG verzichtet, ist ohne Bedeutung. Eine dahingehende Handlungspflicht des Betreibers ist auch beim Fehlen einer besonderen gesetzlichen Vorschrift Inhalt des Staurechts selbst. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt sich der Schutzbereich dieser Verpflichtung auch nicht auf die Oberund Unterlieger des Gewässers, sondern schließt wie allgemein die Verkehrssicherungspflichten grundsätzlich jeden durch den gefährlichen Zustand beeinträchtigten Dritten ein. Dazu gehört hier die Klägerin mit ihrem im Hochwasserbereich gelegenen Gewerbebetrieb.
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Darüber b) hinaus kann es entgegen dem Berufungsgericht für den Betreiber eines Stauwehrs aber auch geboten sein, bereits vorsorglich bei drohendem Hochwasser Schutzvorkehrungen zu treffen und die beweglichen Teile seiner Stauanlage zu öffnen. Die Ausübung des Staurechts ist aus Gründen des Gemeinwohls von vornherein mit der Pflicht zu schadensverhütenden oder -vorbeugenden Maßnahmen belastet (Reffken in Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Stand Juni 1999, § 84 Rn. 3). § 84 NWG enthält insoweit zwar nur eine Ermächtigung für wasserbehördliche Anordnungen gegenüber dem Unternehmer. Das ist im Kern jedoch gleichzeitig ein privatrechtliches Gebot der Verkehrssicherung zum Schutze Dritter. Eine eigene Handlungspflicht des Inhabers setzt allerdings voraus, dass er nach seinen eigenen, regelmäßig beschränkten Erkenntnismöglichkeiten mit dem alsbaldigen Eintritt von Hochwasser rechnen muss. Hierzu braucht er, wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist, nicht selbst die Pegelstände im Einzugsbereich des Gewässers abzufragen und darauf gestützt eine eigene Hochwasserprognose zu treffen. Er darf sich jedoch andererseits allgemein oder ihm selbst zugänglichen Informationsquellen nicht verschließen und wird deshalb vor allem Hochwassermeldungen in den Medien sowie Geschwindigkeit und Maß des Wasseranstiegs an dem Stauwehr beobachten müssen. Drängt sich unter solchen Umständen die Gefahr eines Hochwassers und einer Überschwemmung im Bereich der Wehranlage auf, ist unabhängig von einem behördlichen Einschreiten ein Öffnen der Schütze oder Klappen in dem erforderlichen Umfang veranlasst, noch bevor der Wasserspiegel die zulässige Stauhöhe erreicht.
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4. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht den Streitfall nicht geprüft. Sein Urteil kann darum nicht bestehen bleiben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen nachzuholen.
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Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 06.07.2004 - 5 O 564/02 -
OLG Celle, Entscheidung vom 16.03.2005 - 9 U 140/04 -

Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen.

(2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozessgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen.

(3) Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.