Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 19. Jan. 2015 - 2 (5) SsBs 720/14; 2 (5) SsBs 720/14 - AK 177/14

19.01.2015

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts L. vom 30. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts L. zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht L. hat den Betroffenen mit Urteil vom 30.09.2014 - 33 OWi 94 Js 386/14 - wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24a Abs. 2 und 3 StVG) zu einer Geldbuße von 500,- EUR verurteilt, eine Fahrverbot von einem Monat angeordnet (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVG) und eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen (§ 25 Abs. 2a StVG).
Das Amtsgericht hat in dem Urteil u.a. festgestellt, der Betroffene sei am 19.04.2013 gegen 01:05 Uhr auf der Bundesstraße 317 in M. mit seinem Fahrzeug der Marke BMW von S. kommend in Richtung L. gefahren. Dabei sei er infolge vorangegangenen Konsums von Betäubungsmitteln unter deren Wirkung gestanden. Eine am 19.04.2013 um 1:52 Uhr entnommene Blutprobe habe einen THC-Gehalt von 4,5 ng/ml aufgewiesen. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt habe der Betroffenen erkennen können, dass er noch unter der Wirkung der Betäubungsmittel gestanden sei. Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde unter Hinweis auf das Sachverständigengutachten ergänzend ausgeführt, dass der Konsum der Betäubungsmittel „nur wenige Stunden vor Entnahme der Blutprobe“ stattgefunden habe.
Die gem. § 79 Satz 1 Abs. 1 und 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat (vorläufig) Erfolg.
II.
1. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit der die Verwertung der Blutanalyseergebnisse betreffend die THC-Abbauprodukte 11-Hydroxy-THC und THC-Carbonsäure gerügt wird, ist unbegründet.
Die Entnahme einer Blutprobe war grundsätzlich zulässig (§ 81a Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 4 Satz 1 OWiG). Das Ziel der Maßnahme darf allein in der Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen bestehen (SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 81a Rn. 10). Eine solche Verfahrenserheblichkeit ist bei allen Tatsachen gegeben, die wenigstens mittelbar zum Beweis der Straftat (bzw. Ordnungswidrigkeit), der Täterschaft oder der Schuld des Beschuldigten (bzw. Betroffenen) geeignet oder für die Bestimmung der Rechtsfolgen erheblich sind; Tatsachen dieser Art sind auch die Bestandteile des Blutes (LR-Krause, StPO, 26. Aufl., § 81a Rn. 16; KK-Senge, StPO, 7. Aufl., § 81a Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 81a Rn. 6; SK-StPO, aaO, Rn. 11; MüKoStPO/Trück, 1. Aufl., § 81a Rn. 20; HK-StPO/Brauer, 5. Aufl., § 81a Rn. 5; Radtke/Hohmann/Beukelmann, StPO, 1. Aufl., § 81a Rn. 4).
Hiervon ausgehend ist beim Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht nur das „berauschende Mittel“ an sich (hier: Cannabis mit der Substanz Tetrahydrocannabinol; vgl. Anlage zu § 24a StVG) für die Einordnung von Bedeutung, sondern sind es auch die Abbauprodukte (Metaboliten) 11-Hydroxy-THC (bzw. OH-THC) und THC-Carbonsäure (bzw. THC-COOH). Aufgrund wissenschaftlicher Studien ist nämlich davon auszugehen, dass die festgestellten Werte der THC-Abbauprodukte Rückschlüsse nicht nur auf das allgemeine Konsumverhalten und den Umfang des konsumierten Cannabis, sondern insbesondere auch auf die seit Konsumende verstrichene Zeit ermöglichen (Möller/Kauert/Thönnes u.a., Blutalkohol 2006, 361; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., Vorbem. § 29 Rn. 254f; Eisenmenger NZV 2006, 24). Mithin haben diese Werte eine Bedeutung bereits dafür, ob eine vorsätzliche oder nur eine fahrlässige Begehungsweise in Betracht kommt. Dabei kommt es insoweit noch nicht auf die Frage an, ob überhaupt und ggf. unter welchen zeitlichen Verhältnissen eine auch nur fahrlässige Begehungsweise in Zweifel zu ziehen ist (vgl. nachfolgend unter 2. b)).
2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch mit der allgemein erhobenen Sachrüge (vorläufig) Erfolg.
a) Die Beweiswürdigung bezüglich der Bewertung des maßgeblich herangezogenen toxikologischen Sachverständigengutachtens, dem sich das Gericht angeschlossen hat, genügt den Darstellungsanforderungen nicht. Die Urteilsgründe erschöpfen sich letztlich in dem Satz, „der Sachverständige habe festgestellt, dass ein THC-Gehalt von 4,5 ng/ml bei einem relativ geringen Gehalt von THC-Carbonsäure von 8,4 ng/ml nur erklärbar sei, wenn der Konsum nur wenige Stunden vor Entnahme der Blutprobe stattgefunden habe“.
Bedient sich der Tatrichter der Hilfe eines Sachverständigen, muss er dabei die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen zur fachlichen Begründung für die Schlussfolgerungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit durch das Rechtsbeschwerdegericht erforderlich ist (KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 71 Rn. 119; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rn. 43d). Eine - wie hier - ausschließlich auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden. In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen und den daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) vor allem auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen auszuführen (BGHSt 39, 291 [296]). Dies gilt umso mehr, wenn die zur Ermittlung der Befundtatsachen zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden wissenschaftlich in Zweifel gezogen oder als wenig zuverlässig betrachtet werden. Will das Tatgericht - wie hier - seine Überzeugung vom Zeitpunkt des Cannabiskonsums auf ein Sachverständigengutachten stützen, hat es zu berücksichtigen, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert, die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt für einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen. Den Urteilsgründen muss in diesen Fällen zu entnehmen sein, welche konkrete Methode der Sachverständige zur Bestimmung des Konsumzeitpunkts angewandt hat und inwieweit gegen diese Methode erhobene wissenschaftliche Einwände durch den Sachverständigen entkräftet wurden (KG Berlin VRS 126, 109, juris Rn. 12; OLG Karlsruhe VRS 124, 304; KG Berlin, Beschluss vom 21.03.2012 - 3 Ws (B) 116/12, juris). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, da es sich ausschließlich darauf beschränkt, das Ergebnis des Sachverständigengutachtens mitzuteilen. Auf welche Weise der Sachverständige und mit ihm das erkennenden Gericht zu der - immerhin die Einlassung widerlegenden - Schlussfolgerung gelangt ist, der Cannabiskonsum liege lediglich wenige Stunden zurück, erschließt sich nicht.
10 
b) Das Amtsgericht legt seiner Entscheidung, ohne dass dies allerdings ausdrücklich erwähnt wurde, offensichtlich die jedenfalls bis vor kurzem überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung zugrunde, wonach gerade bei einer nur geringen Überschreitung des Grenzwertes von 1,0 ng/ml (vgl. BVerfG NJW 2002, 2378) ein längerer Zeitraum zwischen Konsum und Fahrtantritt eine auch nur fahrlässige Begehungsweise entfallen lassen kann (OLG Karlsruhe NZV 2007, 248; NZV 2011, 413; Blutalkohol 49, 108; StV 2014, 622; OLG Hamm StraFo 2012, 287; KG Berlin VRS 126, 109; OLG Bremen Blutalkohol 51, 26; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 599).
11 
Zwischenzeitlich wird diese bisherige überwiegende Rechtsprechung durch obergerichtliche Entscheidungen mit beachtlichen Erwägungen zunehmend in Frage gestellt (vgl. bereits König NStZ 2009, 425). Danach lässt ein bloßer längerer Zeitablauf zwischen Konsum und Fahrtantritt den Fahrlässigkeitsvorwurf nur noch bei Vorliegen ganz besonderer zusätzlicher Umstände entfallen (OLG Hamm Blutalkohol 48, 288; OLG Frankfurt NStZ-RR 2013, 47; OLG Koblenz Blutalkohol 51, 351 [NStZ-RR 2014, 322 LS]; OLG Bremen NStZ-RR 2014, 257; KG Berlin, Beschluss vom 14.10.2014 - 3 Ws (B) 375/14, juris; ebenso Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 24a StVG Rn. 25b). Einen Kraftfahrer trifft nämlich die Pflicht, sich vor oder nach erfolgtem Cannabiskonsum Gewissheit von seiner Fahrtüchtigkeit und Kenntnis darüber zu verschaffen, wie lange die Wirkung der von ihm eingenommenen Droge dauern kann, um das Erreichen des Grenzwertes bei Fahrtantritt auszuschließen (OLG Bremen NStZ-RR 2014, 257, juris Rn. 31).
12 
Sollte das Amtsgericht zu den zeitlichen Verhältnissen erneut gleiche Feststellungen wie bisher treffen, wird es auf die Auffassung in der neueren Rechtsprechung nicht ankommen. Insoweit dürfte im Rahmen der Beweiswürdigung allerdings angezeigt sein, die dargelegten erheblicheren Auffälligkeiten des Betroffenen bei der polizeilichen Kontrolle zusätzlich einer ergänzenden Würdigung durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen zu unterziehen und sie hierbei in den Kontext mit einem möglichen vorangegangenem Konsum von Betäubungsmitteln zu stellen.
13 
c) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass bei der Verhängung einer Geldbuße über der nunmehr bei 250 EUR festzusetzende Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG (KK-Mitsch, aaO, § 17 Rn. 91) genauere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen als Bemessungskriterium für die Höhe der Geldbuße zu treffen sind (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2007, 182). Vorliegend wurde lediglich ausgeführt, der Betroffene sei „gelernter Maurer“. Feststellungen, wovon der zwischenzeitlich in der Schweiz wohnhafte Betroffene seinen Lebensunterhalt bestreitet, sind der Entscheidung nicht zu entnehmen. Dies gilt im Übrigen ebenso für die möglicherweise zumessungsrelevante Frage, ob er bereits straßenverkehrsrechtlich vorgebüßt wurde.

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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 79 Rechtsbeschwerde


(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn 1. gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,2. eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 46 Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren


(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsge

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 24a 0,5 Promille-Grenze


(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalk

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 25 Fahrverbot


(1) Wird gegen die betroffene Person wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 Absatz 1, die sie unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt, so kann ihr die Verwaltungsbeh

Strafprozeßordnung - StPO | § 81a Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe


(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt na

Referenzen

(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt.

(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

(3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht.

(4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu dreitausend Euro geahndet werden.

(5) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates die Liste der berauschenden Mittel und Substanzen in der Anlage zu dieser Vorschrift zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies nach wissenschaftlicher Erkenntnis im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs erforderlich ist.

(1) Wird gegen die betroffene Person wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 Absatz 1, die sie unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt, so kann ihr die Verwaltungsbehörde oder das Gericht in der Bußgeldentscheidung für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Wird gegen die betroffene Person wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a eine Geldbuße festgesetzt, so ist in der Regel auch ein Fahrverbot anzuordnen.

(2) Das Fahrverbot wird mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam. Für seine Dauer werden von einer deutschen Behörde ausgestellte nationale und internationale Führerscheine amtlich verwahrt. Dies gilt auch, wenn der Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden ist, sofern der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. Wird er nicht freiwillig herausgegeben, so ist er zu beschlagnahmen.

(2a) Ist in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen die betroffene Person nicht verhängt worden und wird auch bis zur Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt, so bestimmt die Verwaltungsbehörde oder das Gericht abweichend von Absatz 2 Satz 1, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

(2b) Werden gegen die betroffene Person mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.

(3) In anderen als in Absatz 2 Satz 3 genannten ausländischen Führerscheinen wird das Fahrverbot vermerkt. Zu diesem Zweck kann der Führerschein beschlagnahmt werden.

(4) Wird der Führerschein in den Fällen des Absatzes 2 Satz 4 oder des Absatzes 3 Satz 2 bei der betroffenen Person nicht vorgefunden, so hat sie auf Antrag der Vollstreckungsbehörde (§ 92 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) bei dem Amtsgericht eine eidesstattliche Versicherung über den Verbleib des Führerscheins abzugeben. § 883 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(5) Ist ein Führerschein amtlich zu verwahren oder das Fahrverbot in einem ausländischen Führerschein zu vermerken, so wird die Verbotsfrist erst von dem Tag an gerechnet, an dem dies geschieht. In die Verbotsfrist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

(6) Die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozessordnung) wird auf das Fahrverbot angerechnet. Es kann jedoch angeordnet werden, dass die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten der betroffenen Person nach Begehung der Ordnungswidrigkeit nicht gerechtfertigt ist. Der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis steht die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozessordnung) gleich.

(7) Wird das Fahrverbot nach Absatz 1 im Strafverfahren angeordnet (§ 82 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten), so kann die Rückgabe eines in Verwahrung genommenen, sichergestellten oder beschlagnahmten Führerscheins aufgeschoben werden, wenn die betroffene Person nicht widerspricht. In diesem Fall ist die Zeit nach dem Urteil unverkürzt auf das Fahrverbot anzurechnen.

(8) Über den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Fahrverbots nach Absatz 2 oder 2a Satz 1 und über den Beginn der Verbotsfrist nach Absatz 5 Satz 1 ist die betroffene Person bei der Zustellung der Bußgeldentscheidung oder im Anschluss an deren Verkündung zu belehren.

(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn

1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,
2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,
3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war,
4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder
5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
Gegen das Urteil ist die Rechtsbeschwerde ferner zulässig, wenn sie zugelassen wird (§ 80).

(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.

(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.

(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.

(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.

(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.

(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.

(2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von Satz 1 keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 315a Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3, § 315c Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2 und 3 oder § 316 des Strafgesetzbuchs begangen worden ist.

(3) Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind.

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt.

(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

(3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht.

(4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu dreitausend Euro geahndet werden.

(5) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates die Liste der berauschenden Mittel und Substanzen in der Anlage zu dieser Vorschrift zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies nach wissenschaftlicher Erkenntnis im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs erforderlich ist.