Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 19. Mai 2004 - 1 Ws 78/04

published on 19/05/2004 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 19. Mai 2004 - 1 Ws 78/04
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Justizministeriums gegen den Beschluss des Landgerichts K. - Strafvollstreckungskammer - vom 19. Februar 2004 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Strafgefangenen trägt die Staatskasse.

3. Der Gegenstandswert wird auf 200,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Gefangene verbüßt seit dem 7. August 1992 - seit dem 4. August 1998 in der JVA B. - eine lebenslange Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts K. vom 6. Februar 1992. Am 13. Februar 2003 wurde der individuelle Vollzugsplan des Gefangenen fortgeschrieben und dabei festgelegt, dass ihm wegen des ausgesprochen positiven Vollzugsverlaufs ab sofort pro Jahr zwei Ausführungen gewährt werden sollen. In der Folgezeit wurde der Gefangene am 30. Juni und am 14. Oktober 2003 ausgeführt.
Mit Hausverfügung vom 26. November 2003 bestimmte der Leiter der JVA B., dass aufgrund der angespannten Personalsituation der Anstalt mit Wirkung ab dem 1. Januar 2004 im Vollzugsplan vorgesehene Regelausführungen unter Änderung der Vollzugspläne nur noch einmal jährlich gewährt würden. Der Gefangene beantragte daraufhin unter dem 30. November 2003 Auskunft darüber, ob und inwieweit die Verfügung vom 26. November 2003 Wirkung auch auf seinen Vollzugsplan entfalte. Unter dem 3. Dezember 2003 erhielt er die Antwort, dass die von dem Anstaltsleiter erlassene Hausverfügung auch für ihn gelte.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2003 stellte der Gefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte u.a., die Anstalt unter Aufhebung des Bescheids vom 3. Dezember 2003 zu verpflichten, ihm auch zukünftig zwei jährliche Ausführungen zu gewähren (Bl. 1 d.A.). Mit Beschluss vom 19. Februar 2004 stellte das Landgericht K. - Strafvollstreckungskammer - fest, dass der Vollzugsplan des Gefangenen durch die Hausverfügung vom 26. November 2003 nicht geändert worden und die Anstalt bis zu einer Änderung der Fortschreibung des Vollzugsplans diesen bei einer Entscheidung über die Gewährung von Ausführungen zu beachten habe. Die Kammer begründete ihre Entscheidung mit der fehlenden Beteiligung der Vollzugsplankonferenz bei der Änderung des Vollzugsplans des Gefangenen.
Das Justizministerium hat gegen diesen am 2. März 2004 zugestellten Beschluss mit Schriftsatz vom 16. März 2004, eingegangen beim Landgericht K. am 19. März 2004, Rechtsbeschwerde eingelegt. Zu Unrecht habe die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. den Antrag des Gefangenen für zulässig erachtet. Auch habe die Strafvollstreckungskammer § 159 StVollzG nicht richtig angewendet. Die Kammer habe der Vollzugsplankonferenz eine zu starke Stellung beigemessen. Im vorliegenden Fall sei deren Mitwirkung schon deshalb unnötig gewesen, weil der Anstaltsleiter der Konferenz aus personalwirtschaftlichen Gründen den Spielraum für eine individuelle Entscheidung im Fall des Gefangenen genommen habe.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung ist zur Fortentwicklung des Rechts vor allem in der Frage geboten, ob dem Leiter einer Vollzugsanstalt das Recht zusteht, Vollzugspläne von Gefangenen allein aus personalwirtschaftlichen Gründen ohne Beteiligung der Vollzugsplankonferenz und ohne Einzelfallprüfung zu ändern.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung zu Recht als zulässig behandelt. Denn mit dem Bescheid der Vollzugsanstalt vom 3. Dezember 2003 wurde der Vollzugsplan des Verurteilten vom 13. Februar 2003 unter Hinweis auf die Hausverfügung vom 26. November 2003 dahingehend geändert, dass diesem anstelle von zwei jährlichen Ausführungen zukünftig nur noch eine Ausführung pro Jahr gewährt werden soll. Hierin liegt eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzugs, die gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG den Rechtsweg eröffnet (OLG Nürnberg, ZfStrVo 1982, 308; KG, ZfStrVo 1983, 181; 1984, 370).
Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Vortrag der Rechtsbeschwerde, die Strafvollstreckungskammer habe die Bedeutung der Vollzugsplankonferenz verkannt und ihr eine zu starke Stellung beigemessen. Die Durchsetzung des in § 2 StVollzG formulierten Vollzugsziels erfordert ein konzentriertes Zusammenwirken aller an der Resozialisierung Beteiligten. Der von § 7 StVollzG für jeden Gefangenen vorgeschriebene individuelle Vollzugsplan ist deshalb gemäß § 159 StVollzG in einer von dem Anstaltsleiter durchzuführenden Konferenz aufzustellen und zu überprüfen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 1993 - 2 BvR 594/92 -, NStZ 1993, 301; OLG Hamm, ZfStrVo 1979, 63). Diese Konferenz bildet den Rahmen der von § 154 Abs. 1 StVollzG angeordneten Zusammenarbeit der an der Behandlung des Gefangenen maßgeblich beteiligten Personen (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl. 2000, § 159 Rdnr. 1) und dient damit dem Zweck, die zu treffende Ermessensentscheidung auf eine möglichst umfassende Kenntnis aller relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu gründen. Bereits in der unterlassenen Beteiligung der Konferenz liegt deshalb ein Rechtsfehler in der Ausübung des Anstaltsermessens, wenn die Beteiligung - was im vorliegenden Fall der Änderung eines Vollzugsplans regelmäßig der Fall ist - der vollständigen Ermittlung des Sachverhalts unter anderem auch hinsichtlich der Persönlichkeit des Gefangenen als Grundlage für die im Einzelfall zu treffende Ermessensentscheidung dient (KG, ZfStVO 1990, 119 <121>).
Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, das Ermessen sei durch die dauerhafte Personalknappheit der Vollzugsanstalt bereits in einer Weise reduziert worden, die eine andere Entscheidung ausgeschlossen hätte. Dabei ist schon fraglich, ob die von dem Anstaltsleiter in seiner Verfügung vom 26. November 2003 angesprochene Personalsituation der JVA B. überhaupt geeignet wäre, dem Gefangenen die für einen Behandlungsvollzugs im Sinne des Vollzugsziels gebotenen Maßnahmen entgegen dem Wortlaut des § 7 StVollzG und der Intention des Strafvollzugsgesetzes (teilweise) zu versagen. Dies kann hier allerdings offen bleiben, da eine solche Versagung ermessensfehlerfrei jedenfalls erst am Ende einer Abwägung aller beteiligten Belange stehen könnte. Der Anstaltsleiter selbst hat in seiner Verfügung vom 26. November 2003 die besondere Bedeutung von Ausführungen für die Behandlung und Wiedereingliederung der Gefangenen und zur Vermeidung schädlicher Folgen der Haft hervorgehoben. Es wäre deshalb für eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung erforderlich gewesen, die Aufgaben, durch deren Erfüllung das Anstaltspersonal an den gebotenen Behandlungsmaßnahmen gehindert wird, konkret zu benennen und in ihrer Bedeutung den Belangen des Behandlungsvollzugs im individuellen Einzelfall des Gefangenen gegenüberzustellen und zu gewichten. Allein der Hinweis auf die angespannte Personalsituation infolge fehlender Stellen und ständig steigender Anforderungen durch gesetzliche, aufsichtsbehördliche und gerichtliche Vorgaben reicht hingegen nicht aus, das berechtigte und gesetzlich geschützte Interesse des Gefangenen und der Allgemeinheit an Behandlung, Wiedereingliederung und Schutz vor nachteiligen Folgen der Haft im Sinne einer "Ermessensreduzierung auf Null" zurückzudrängen.
10 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 122 Abs. 4 StVollzG, 473 Abs. 1 StPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

9 Referenzen - Gesetze

moreResultsText

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. (2) Die Re

(1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit dem Antrag kann auch
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 26/05/2004 00:00

Tenor 1. Auf die Rechtsbeschwerde des Justizministeriums Baden-Württemberg wird der Beschluss des Landgerichts – Strafvollstreckungskammer – Y. vom 14. November 2003 aufgehoben. 2. Der Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung geg
published on 26/05/2004 00:00

Tenor 1. Auf die Rechtsbeschwerde des Justizministeriums Baden-Württemberg wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Y. vom 14. November 2003 aufgehoben. 2. Der Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung geg
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

Zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplanes und zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen im Vollzug führt der Anstaltsleiter Konferenzen mit an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durch.

(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.

(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

(1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlaß einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden.

(2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(3) Dient die vom Antragsteller begehrte oder angefochtene Maßnahme der Umsetzung des § 66c Absatz 1 des Strafgesetzbuches im Vollzug der Sicherungsverwahrung oder der ihr vorausgehenden Freiheitsstrafe, so ist dem Antragsteller für ein gerichtliches Verfahren von Amts wegen ein Rechtsanwalt beizuordnen, es sei denn, dass wegen der Einfachheit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsanwalts nicht geboten erscheint oder es ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine Rechte selbst ausreichend wahrnehmen kann. Über die Bestellung und einen Widerruf entscheidet der Vorsitzende des nach § 110 zuständigen Gerichts.

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt.

(2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen:

1.
die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
2.
die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt,
3.
die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen,
4.
den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung,
5.
die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung,
6.
besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen,
7.
Lockerungen des Vollzuges und
8.
notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung.

(3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen.

(4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden.

Zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplanes und zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen im Vollzug führt der Anstaltsleiter Konferenzen mit an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durch.

(1) Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen und wirken daran mit, die Aufgaben des Vollzuges zu erfüllen.

(2) Mit den Behörden und Stellen der Entlassenenfürsorge, der Bewährungshilfe, den Aufsichtsstellen für die Führungsaufsicht, den Agenturen für Arbeit, den Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, den Hilfeeinrichtungen anderer Behörden und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege ist eng zusammenzuarbeiten. Die Vollzugsbehörden sollen mit Personen und Vereinen, deren Einfluß die Eingliederung des Gefangenen fördern kann, zusammenarbeiten.

(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt.

(2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen:

1.
die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
2.
die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt,
3.
die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen,
4.
den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung,
5.
die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung,
6.
besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen,
7.
Lockerungen des Vollzuges und
8.
notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung.

(3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen.

(4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden.