Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 16. Okt. 2006 - 1 AK 35/06

published on 16.10.2006 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 16. Okt. 2006 - 1 AK 35/06
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Auslieferungsersuchens der rumänischen Justizbehörden vom 28. August 2006 wird für nicht zulässig erklärt.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 26. September 2006 wird aufgehoben.

3. Die dem Verfolgten im Auslieferungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

4. Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.

Gründe

 
I.
Der Verfolgte R. befindet sich seit dem 21.8.2006 in Auslieferungshaft. Die rumänischen Justizbehörden begehren seine Auslieferung zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe von vier Jahren, welche aufgrund des Strafurteils Nr. 969/2001 des Gerichtshofes O./Rumänien vom 30.05.2001 in Verbindung mit der Strafentscheidung Nr. 568/A/2001 des Gerichtshofes B./Rumänien vom 12.09.2001 und der Strafentscheidung Nr. 678/R/2001 des Berufungsgerichtshofes -Strafabteilung- O./Rumänien vom 08.11.2001 wegen „qualifizierten Diebstahls“ nach Art. 208 Abs.1 und Art. 209 Buchs. e, g, i des rumänischen Strafgesetzbuches gegen ihn verhängt worden ist. Nach den dortigen Feststellungen hat der Verfolgte in der Nacht des 3./4.11.2000 gegen 4 Uhr in O/Rumänien das nicht verschlossene Fahrzeug der Marke DACIA , Kennz. BH 04RES, des C. im Werte von 55.450.000 ROL nach Kurzschließen der Elektrokabel entwendet. Beim Verlassen der Stadt konnte er kurz nach der Tat von der Polizei angehalten und das Fahrzeug sichergestellt werden, wobei am Fahrzeug ein inzwischen vom Verfolgten ausgeglichener Schaden in Höhe von 6.000.000 ROL entstand.
Der Verfolgte hat gegen seine Auslieferung Einwendungen erhoben und wegen der Höhe der verhängten Sanktion eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht.
II.
Nach abschließender Beurteilung ist die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien gemäß dem Auslieferungsersuchen vom 28.8.2006 aufgrund des Strafurteils Nr. 969/2001 des Gerichtshofes O./Rumänien vom 30.05.2001 in Verbindung mit der Strafentscheidung Nr. 568/A/2001 des Gerichtshofes B./Rumänien vom 12.09.2001 und der Strafentscheidung Nr. 678/R/2001 des Berufungsgerichtshofes -Strafabteilung- O/Rumänien vom 08.11.2001 nicht zulässig.
Die zu vollstreckende Freiheitsstrafe von vier Jahren erscheint nämlich unter zusammenfassender Würdigung aller Umstände zur Ahndung der vom Verfolgten begangenen Tat unerträglich hart, so dass eine Auslieferung des Verfolgten wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (§ 73 Satz 1 IRG).
Nach dem innerstaatlich aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Schwere der Straftat und die Schuld des Täters in einem gerechten Verhältnis zu der gesetzlich angedrohten oder der gerichtlich verhängten Strafe stehen. Die abstrakte Strafandrohung und die konkret verhängte Strafe müssen im Hinblick auf das unter Strafe gestellte Verhalten bzw. die konkret abgeurteilte Tat nach ihrem konkreten Unrechts- und Schuldgehalt angemessen sein. Der Kernbereich dieser Anforderungen zählt zu den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik und fordert auch im Auslieferungsverkehr Beachtung (BVerfGE 63, 332; 75, 1; NJW 1994, 2884; EuGRZ 1984, 271). Ein Verfolgter darf zur Strafvollstreckung daher nicht ausgeliefert werden, wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt worden ist, als unerträglich hart und als unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint (BVerfGE 75, 1; OLG Stuttgart Die Justiz 2003, 454; NStZ-RR 2002, 180; OLG Zweibrücken StV 1996, 105; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 315; siehe auch Senat, MDR 1997, 188; Vogel, in: Grützner/Pötz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl., § 73 Rdn. 99 f.). Es genügt allerdings nicht, dass die Strafe unter Berücksichtigung der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundsätze als eindeutig zu hart anzusehen ist, sondern die Strafe muss - bei einer Gesamtschau des materiellen Rechts und unter Einbeziehung der vollstreckungsrechtlichen Regelungen und der Vollzugssituation (vgl. BGH NStZ 1993, 547) - unerträglich hart und schlechthin unangemessen sein (BVerfG, a.a.O; a.A. Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 73 Rdn. 60: kein im Auslieferungsrecht abgesenkter Prüfungs-Maßstab; siehe auch Lagodny, Grundrechte als Auslieferungsgegenrechte, NJW 1988, 2146). Bei der Prüfung der Frage der Angemessenheit im Auslieferungsverkehr ist zu berücksichtigen, dass die Staaten unterschiedliche Auffassungen über die Strafwürdigkeit kriminellen Verhaltens haben (vgl. BVerfGE 108, 129); dies gilt insbesondere für den Bereich der Eigentumsdelikte (Beschluss des Senats vom 10. August 2006 - 1 AK 1/06).
Der Senat ist im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände zu der Auffassung gelangt, dass die zur Vollstreckung anstehende Freiheitsstrafe von vier Jahren für die abgeurteilte Straftat insbesondere angesichts des Umstands, dass der Geschädigte das Fahrzeug zurück erhalten und der von Anfang an voll geständige Verfolgte den hieran entstanden Schaden wieder gut gemacht hat als in hohem Maße hart anzusehen ist. Im Inland wäre eine Ahndung nach Sachlage nur als einfacher Diebstahl nach § 242 StGB (Strafrahmen: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) in Betracht gekommen und - Vorstrafen des Verfolgten sind nicht mitgeteilt - allenfalls mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zu rechnen gewesen. Eine wesentlich höhere, insbesondere eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe, würde dagegen außerhalb des Spielraums liegen, der dem Tatrichter im Rahmen der Strafzumessung zuzubilligen ist. Eine nicht mehr zur Bewährung aussetzbare Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren würde nach innerstaatlichen Grundsätzen den Bereich der schuldangemessenen Strafe eindeutig verlassen. Dabei hat der Senat darauf Bedacht genommen, dass die rumänischen Strafurteile maßgeblich auch generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung berücksichtigen und dies auch nach deutschem Recht nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Auch wurde gesehen, dass Eigentumskriminalität nach den Vorstellungen des rumänischen Gesetzgebers, der den einfachen Diebstahl mit einem Strafrahmen von einem bis zwölf Jahren und den so genannten „qualifizierten Diebstahl“ mit einem Strafrahmen von drei bis fünfzehn Jahren versehen hat, ersichtlich als in hohem Maße strafwürdig anzusehen ist und diese gesetzgeberische Einschätzung des ersuchenden Staates im Rahmen des Vertretbaren zu respektieren ist.
Gleichwohl erscheint die verhängte Strafe von vier Jahren, auch wenn sie nach rumänischem Recht die gesetzlich vorgesehene Mindeststrafe nur um ein Jahr übersteigt, vorliegend als sehr hart und unangemessen. Zwar handelte es sich insgesamt um eine geplante Tat; gleichwohl ist letztlich kein bleibender Schaden entstanden. Das entwendete Kraftfahrzeug konnte unmittelbar nach der Tat sichergestellt und an den Geschädigten zurückgegeben werden. Auch wurden dessen weitere Schadensersatzansprüche vom Verfolgten durch Zahlung eines Geldbetrages von 6.000.000 ROL ausgeglichen. Zudem hat der der Verfolgte bereits unmittelbar nach der Tat ein Geständnis abgelegt.
Hinzu tritt, dass die Tat mittlerweile beinahe sechs Jahre zurückliegt und die Strafvollstreckung den Verfolgten, der bereits seit längerer Zeit - soweit ersichtlich - unauffällig in Spanien lebt und arbeitet, besonders hart treffen würde. Im Rahmen der Prüfung der konkreten Vollstreckungs- und Vollzugssituation hat der Senat besonders berücksichtigt, dass die Haftbedingungen in Rumänien - trotz aktueller Bemühungen der rumänischen Behörden - jedenfalls die in Mitteleuropa herrschenden durchschnittlichen Standards unterschreiten und als erheblich belastend angesehen werden müssen, so dass auf den Verfolgten neben der besonders hohen Strafe auch noch erschwerte Haftbedingungen zukommen würden. Die Möglichkeiten einer vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug sind außerdem ungewiss. Schließlich ist zu sehen, dass der Verfolgte sich in dieser Sache bereits aufgrund eines Auslieferungsersuchens der rumänischen Justizbehörden in der Zeit vom 7.10.2002 bis 18.7.2003 in Spanien in Auslieferungshaft befand und die spanischen Justizbehörden eine Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien wegen der Höhe der Sanktion - nach spanischem Recht wäre allenfalls eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren in Betracht gekommen - abgelehnt haben. Dass die Dauer dieser Auslieferungshaft auf die noch zu verbüßende Strafe angerechnet werden würde, haben die rumänischen Justizbehörden nicht mitgeteilt, sondern das Auslieferungsersuchen vom 28.8.2006 geht von einer noch zu vollstreckenden Strafe von vier Jahren aus, wovon nach dem beigefügten Verfahrensreferat des Gerichtshofs in O/Rumänien vom 23.8.2006 lediglich die von 4.11.2000 bis 18.12.2000 in Rumänien verbüßte Untersuchungshaft in Abzug gebracht wird.
Der Senat ist daher bei zusammenfassender Würdigung aller Umstände zu der Auffassung gelangt, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von vier Jahren für die vom Verfolgten begangene Straftat unerträglich hart und schlechthin unangemessen ist und die Auslieferung daher ausscheidet.
III.
10 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 IRG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
11 
Eine Entschädigung aus der Staatskasse für die vollzogene Auslieferungshaft nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen scheidet aus, weil eine entsprechende Anwendung dieses Gesetzes auf die Auslieferungshaft grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGHSt 32, 221 ff.) und ein Fall, in welchem Behörden der Bundesrepublik Deutschland die nach deutschem Recht unberechtigte Verfolgung zu vertreten hätten, nicht vorliegt (Senat, wistra 2004, 199 sowie Beschluss vom 07. April 2004 - 1 AK 23/02).
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

4 Referenzen - Gesetze

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leis

(1) Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes
1 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 10.08.2006 00:00

Tenor 1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Auslieferungsersuchens der rumänischen Justizbehörden vom 01. Februar 2006 wird für nicht zulässig erklärt. 2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß.

(2) Bei der Leistung von Rechtshilfe für ein ausländisches Verfahren finden die Vorschriften zur Immunität, zur Indemnität und die Genehmigungsvorbehalte für Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Räumen eines Parlaments Anwendung, welche für deutsche Straf- und Bußgeldverfahren gelten.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.