Oberlandesgericht Köln Urteil, 24. Feb. 2016 - 5 U 77/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 22.04.2015 – 25 O 312/99 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.
1
G r ü n d e
2I.
3Der am 18.00.1949 geborene Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, begab sich im November 2005 wegen Beschwerden im linken Knie in die medizinische Behandlung des Beklagten, der als niedergelassener Orthopäde in einer Praxisgemeinschaft in der Klink „J“ tätig ist. Der Beklagte führte am 08.12.2005 in seiner Praxis eine Arthroskopie des linken Kniegelenks mit u.a. partieller Synovektomie, Hoffaektomie und Innen- und Außenmeniskusteilresektion durch. Der Kläger wurde nach kurzem stationärem Aufenthalt am 11.12.2005 entlassen. Zur Thromboseprophylaxe wurden ihm Heparin (Fraxiparin), Kompressionsstrümpfe und Physiotherapie verordnet. Am 30.12.2005 wurde der Kläger mit Fieber, Schmerzen und geschwollenem linken Bein in das St. Whospital eingeliefert. Dort wurde die Diagnose einer submassiven Lungenembolie nach Bein- und Beckenvenenthrombose gestellt. Der Kläger wurde am 11.01.2006 aus dem Krankenhaus entlassen. Er muss seither regelmäßig das Medikament Marcumar zur Blutverdünnung einnehmen.
4Der Kläger hat dem Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. Er hat behauptet, der arthroskopische Eingriff sei nicht indiziert gewesen und im Übrigen auch nicht lege artis durchgeführt worden. Die nach dem Eingriff verordnete Heparindosis sei zu niedrig gewesen. Das Entstehen der Thrombose habe durch den Beklagten im Rahmen der Nachsorgeuntersuchungen erkannt werden müssen. Der Beklagte habe die Gerinnungsparameter überprüfen müssen. Der Kläger hat die Aufklärungsrüge erhoben. Er hat behauptet, die Kniebeschwerden hätten sich seit der Operation verschlimmert. Er könne nur noch unter Schmerzen humpeln.
5Der Kläger hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Festlegung der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.11.2008, hilfsweise seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche zukünftigen materiellen Schadensersatzansprüche auszugleichen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Der Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Der Beklagte hat Behandlungsfehler bestritten. Er hat behauptet, der Kläger sei vor der Operation umfassend aufgeklärt worden. Hilfsweise hat er den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben.
12Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 580 ff d.A.) Bezug genommen.
13Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch Prof. Dr. L (schriftliches Gutachten, eingegangen bei Gericht am 18.07.2012, Bl. 285 ff d.A.) und durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. L und Dr. E in der mündlichen Verhandlung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 04.03.2015, Bl. 532 ff d.A.). Anschließend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens Behandlungsfehler nicht bewiesen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L sei die Kniegelenksarthroskopie indiziert gewesen und lege artis durchgeführt worden. Bei der postoperativen Nachsorge sei ebenfalls entsprechend den Regeln ärztlicher Kunst vorgegangen worden. Eine Haftung sei auch nicht aufgrund der Aufklärungsrüge des Klägers begründet. Aus der Anhörung des Klägers selbst habe sich zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass er vor dem Eingriff hinreichend aufgeklärt worden sei. Einer Vernehmung des aufklärenden Arztes Dr. C habe es aus diesem Grund nicht mehr bedurft. Darüber hinaus greife auch der Einwand der hypothetischen Einwilligung durch. Einen Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht vermitteln können.
14Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
15Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Er behauptet unter Bezugnahme auf eine Äußerung von Prof. Dr. J2 aus N in einer Fernsehsendung des X „R.“, der arthroskopische Eingriff sei von Vornherein sinnlos gewesen, weil eine „Kniespülung“ keine wirkliche Besserung oder gar Heilung bei Arthrose bringen könne. In der medizinischen Forschung werde die Meinung vertreten, dass bei einem Gelenkverschleiß keine Arthroskopie durchgeführt werden dürfe. Die Thromboseprophylaxe sei nicht entsprechend der Fachinformation des Herstellers Fraxiparin erfolgt, denn die Dosis sei gemessen an seinem Gewicht und seiner Größe zu niedrig gewesen. Darüber hinaus habe die Thrombozytenzahl nach Beginn der Heparingabe überprüft werden müssen. Bei einer ausreichenden Dosierung wäre eine Thrombose und die damit verbundene doppelte Lungenembolie vermieden worden. Der Kläger behauptet unter Bezugnahme auf das Ergebnis einer am 03.01.2006 durchgeführten Computertomografie des Abdomens und des Beckens, dass die Thrombose bereits vor dem 29.12.2005 entstanden sein müsse. Der Sachverständige habe sich die an seinem Unterbauch befindlichen Varizen anschauen müssen, um den Krankheitsverlauf medizinisch beurteilen zu können. Wegen der im Bauchbereich postoperativ entstandenen Krampfadern hätten die ersten Anzeichen einer Thrombose schon vor dem 29.12.2005 festgestellt werden können. Schließlich habe sich weder das Landgericht noch die Sachverständigen Prof. Dr. L und Dr. E mit den in seinem Schriftsatz vom 17.12.2012 enthaltenen Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten auseinandergesetzt. Der Kläger rügt, Prof. Dr. L habe Teile seiner Untersuchungsarbeiten nicht auf seinen Assistenzarzt Dr. E delegieren dürfen, er habe seine Leistungen persönlich erbringen müssen. Der Kläger zweifelt die Expertise des Sachverständigen Prof. Dr. L an. Dieser sei kein „Knieexperte“.
16Der Kläger behauptet eine unzureichende Operationsaufklärung und rügt in diesem Zusammenhang die Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Kammer. Diese habe zur Frage der Aufklärung den Zeugen Dr. C vernehmen müssen, der das Aufklärungsgespräch geführt habe. Die Aufklärung durch den Zeugen Dr. C sei inhaltlich völlig unzureichend gewesen, insbesondere sei die Nennung des Risikos einer Thrombose nicht ausreichend gewesen. Man habe ihm erklären müssen, was eine solche Erkrankung überhaupt ausmache und wie man deren Entstehung bemerken könne. Der Eingriff sei verharmlosend dargestellt worden. Das Landgericht habe im Übrigen verkannt, dass die handschriftlichen Zusätze im Aufklärungsbogen nicht lesbar gewesen seien. Darüber hinaus sei die am Vortag der Operation durchgeführte Aufklärung zu spät erfolgt. Die Argumentation des Landgerichts, er hätte auch bei unterstellt unterbliebener umfassender Aufklärung der Arthroskopie zugestimmt, sei eine unhaltbare Unterstellung. Er habe sich in der mündlichen Anhörung eindeutig anders geäußert.
17Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung und treten dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19II.
20Die Berufung ist unbegründet, weil der Kläger Behandlungsfehler nicht bewiesen hat (1.) und auch die Aufklärungsrüge nicht begründet ist (2.).
211.
22Zu Recht hat das Landgericht Behandlungsfehler verneint, denn dach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme sind Behandlungsfehler des Beklagten nicht festzustellen.
23a) Ohne Erfolg rügt der Kläger, der arthroskopische Eingriff sei nicht indiziert, sondern vielmehr sinnlos gewesen, weil eine "Kniespülung" grundsätzlich keine Besserung oder gar Heilung der Arthrose erbringen könne.
24Der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. L ist nach sorgfältiger Auswertung der Behandlungsunterlagen zu dem nachvollziehbar begründeten und schlüssigen Ergebnis gelangt, dass der Eingriff medizinisch indiziert war. Bei dem Kläger sei nach Erhebung von MRT- und Röntgenbefunde eine degenerative Innenmeniskus-Läsion bei medial beginnender Arthrose und Retropatellararthrose diagnostiziert worden. Da sich das genaue Ausmaß der Knorpelveränderungen im Kniegelenk oftmals erst durch intraoperative Untersuchung der Gelenkkompartimente mit Darstellung der Knorpelverhältnisse sichern und erst nach einer arthroskopischen Untersuchung beantwortet werden könne, welche Therapieoptionen indiziert oder ausgeschlossen seien, sei der Eingriff aus diagnostischen Gründen indiziert gewesen. Darüber hinaus bestehe bei einer Arthroskopie die Möglichkeit, durch eine im Rahmen des Eingriffs durchgeführte Glättung von Knorpel und Meniskus sowie durch eine Spülung des Gelenks eine - wenn auch nur zeitlich begrenzte - Besserung der Beschwerdesymptomatik zu erreichen. Der Erfolg einer konservativen Therapie sei aufgrund der fortgeschrittenen Arthrose unwahrscheinlich gewesen und für einen totalendoprothetischer Ersatz des Kniegelenks sei der Kläger mit damals 56 Jahren noch verhältnismäßig jung gewesen, wobei es wegen der begrenzten Standzeit der Prothesen allgemeine Meinung sei, vor dem Einsatz einer Prothese zunächst die konservativen und minimalinvasiven Therapieoptionen auszuschöpfen.
25Soweit der Kläger unter Berufung auf eine Äußerung von Prof. Dr. J2 aus N in einer Fernsehsendung behauptet, eine Spülung des Knies sei sinnlos gewesen, weil sie keine Linderung der durch die Arthrose verursachten Beschwerden oder gar eine Heilung derselben bewirken könne, übersieht der Kläger, dass der Eingriff nach den überzeugenden Ausführung von Prof. Dr. L zum einen der diagnostischen Abklärung und zum anderen therapeutischen Zielen diente, nämlich der Behandlung der präoperativ diagnostizierten Meniskusläsion durch Glättung des Meniskus und des Knorpels. Durch diese konnte nach den Ausführungen des Sachverständigen eine zumindest zeitweilige Linderung der Beschwerden erwartet werden. Die Spülung des Knies stellte daher nur ein Randaspekt des Eingriffs dar.
26Dass der Beklagte entgegen der Ausführung des Sachverständigen Prof. Dr. L den Eingriff entgegen dem seinerzeitigen medizinischen Standard durchgeführt hat, hat der Kläger nicht schlüssig begründet. Prof. Dr. J2 mag in einer Fernsehsendung seine persönliche Meinung zur Sinnhaftigkeit von Arthroskopien in Fällen von Arthrose geäußert haben. Auf den hier streitigen Fall und seine Besonderheiten ist Prof. Dr. J2 indes nicht eingegangen. Aus diesem Grund können die Äußerungen auch keine Zweifel an dem Gutachten von Prof. Dr. L begründen.
27b) Der Kläger dringt auch nicht mit seinem Einwand durch, das zur Thromboseprophylaxe verordnete Medikament Fraxiparin sei nicht entsprechend dem Inhalt der Herstellerinformation verordnet worden.
28Es trifft schon nicht zu, dass nach der Fachinformation des Herstellers eine gewichtsabhängige Dosierung hätte erfolgen müssen. Der Hersteller empfiehlt eine gewichtsabhängige Dosierung des Medikaments lediglich für Patienten mit hohem thromboembolischen Risiko und bei größeren orthopädischen Operationen (z.B. in der orthopädischen Chirurgie bei Hüftgelenksersatz). Dies ergibt sich aus den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. L, die im Einklang mit den im Internet abrufbaren Fachinformationen des Herstellers (Stand September 2014) stehen. Für Patienten, die wie der Kläger ein niedriges oder allenfalls mittleres Thromboserisiko haben, empfiehlt der Hersteller eine gewichtsabhängige Dosierung nicht.
29Unabhängig davon ist der Beklagte bei der Dosierung aber auch nicht an den Inhalt der Herstellerinformation gebunden gewesen. Der Arzt muss den Patienten entsprechend dem medizinischen Standard behandeln. Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt Urteil vom 15.04.2014, Az. VI ZR 382/12, Tz. 11). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann ein entsprechender medizinischer Standard, der in jedem Fall eine gewichtsabhängige Dosierung des Medikaments Fraxioparin vorschreiben würde, nicht festgestellt werden. Der Sachverständige hat unter Bezugnahme auf eine Leitlinie der Fachgesellschaft zur stationären und ambulanten Thromboembolie-Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin ausgeführt, dass Indikation und Durchführung einer medikamentösen Thromboembolie-Prophylaxe im Einzelfall von der Schwere der Operation, der Traumatisierung, bzw. dem Grad der Immobilisation und von dispositionellen Risikofaktoren abhänge. Es sei eine individuelle ärztliche Entscheidung zu treffen, bei der Nutzen und Risiko für den Patienten gegeneinander abzuwägen seien. Die im vorliegenden Fall durchgeführte medikamentöse Thromboembolie-Prophylaxe sei nicht unzureichend gewesen.
30Entsprechendes gilt hinsichtlich der Frage, ob das Medikament Fraxiparin bereits vor der Operation hätte verabreicht werden können. Nach der Fachinformation des Herstellers soll das Medikament Fraxiparin bereits zwei Stunden vor der Operation injiziert werden. Diese Empfehlung entspricht, so der Sachverständige Prof. Dr. L in seinem schriftlichen Gutachten und noch einmal ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung beim Landgericht, jedoch nicht dem medizinischen Standard. Es sei im Jahr 2005 nicht allgemein üblich gewesen, Fraxiparin vor der Operation zu verabreichen und dies sei in dem vom Sachverständigen geleiteten Krankenhaus auch heute nicht so.
31Im Übrigen könnte der Kläger selbst bei unterstellt behandlungsfehlerhafter Unterdosierung des Medikaments Fraxiparin eine Schadenskausalität nicht beweisen, denn er kann nicht belegen, dass sich die Thrombose aufgrund der Unterdosierung des Medikaments entwickelt hat.
32c) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, der Beklagte habe nach Beginn der Thromboseprophylaxe die Thrombozytenzahl kontrollieren müssen. Prof. Dr. L hat diepostoperative Nachsorge durch den Beklagten nicht beanstandet. Er hat insbesondere keine Kontrolle der Thrombozytenzahl als erforderlich angesehen. Auch in Kenntnis der diesbezüglichen Einwendungen des Klägers ist der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bei seiner Meinung geblieben, dass dem Beklagten Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen seien. Der Kläger legt auch mit der Berufung keine Gründe dar, weswegen eine solche Kontrolle veranlasst gewesen wäre. Dass eine solche regelhaft bei Gabe von Heparin erfolgen muss, behauptet der Kläger selbst nicht. Er zeigt auch sonst keine Umstände auf, weshalb in seinem Fall eine Kontrolle hätte stattfinden müssen. Dem Senat ist zwar aus einem Verfahren (5 U 99/02, Urteil des Senates vom 23.03.2005) bekannt, dass eine Kontrolle der Thrombozytenzahl im Fall einer Heparinisierung bei Verdacht einer tiefen Beinvenenthrombose erfolgen sollte. Den Verdacht einer tiefen Beinvenenthrombose hatte der Beklagte aber in der Zeit der postoperativen Nachbehandlung nicht gehabt und er musste ihn auch nicht haben. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass schon bei den Nachsorgeterminen am 14.12.20005 und 21.12.2005 Anzeichen vorhanden waren, die auf eine beginnende Thrombose hindeuteten. Die Behandlungsdokumentation belegt die Behauptung des Klägers, es habe eine deutliche Umfangsdifferenz beider Beine vorgelegen und er habe Schmerzen in der Beinmuskulatur gehabt, nicht. Auch der CT-Befund vom 03.01.2006 beweist nicht, dass die Beckenvenenthrombose schon bei den Nachsorgeterminen vorgelegen hat und für den Beklagten erkennbar war. Der den CT-Befund beurteilende Arzt hat zwar angemerkt, dass eine „partielle Kollateralisierung des Beckenvenensystems … für ein schon etwas längeres Bestehen der Beckenvenenthrombose“ spreche. Seit wann die Thrombose bestanden hat und ob sie erkennbar war, ergibt sich aus den Ausführungen jedoch nicht.
33Selbst wenn man einen Befunderhebungsmangel unterstellte, könnte der Kläger den Nachweis der Schadenskausalität nicht führen. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr liegen ersichtlich nicht vor. Weder liegt ein grober Fehler vor, noch steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass eine Kontrolle ein reaktionspflichtiges Ergebnis gezeigt hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. L hat ausgeführt, es könne kein konkretes Datum benannt werden, wann sich der Thrombus gebildet und manifestiert habe. Die Ausführungen des Sachverständigen entsprechen den Kenntnissen des Senates aus einer Vielzahl von anderen Verfahren.
34In diesem Zusammenhang rügt der Kläger ohne Erfolg, der Sachverständige habe seinen Unterbauch untersuchen müssen. Der Sachverständige hat eine solche Untersuchung nicht für notwendig erachtet. Der Kläger zeigt keine Gründe auf, weswegen der Sachverständige im Falle einer Untersuchung zu einer abweichenden medizinischen Einschätzung hätte gelangen müssen. Selbst wenn der Sachverständige bei der Untersuchung des Klägers am 10.10.2011, also fast fünf Jahre nach der Operation, Krampfadern im Unterbauch festgestellt hätte, ist nicht ersichtlich, dass er hieraus auf den genauen Zeitpunkt des Entstehens der Thrombose hätte schließen können.
35d) Das Gutachten von Prof. Dr. L überzeugt. Der Sachverständige ist dem Senat als auf dem orthopädischen Fachgebiet als äußerst sachkundiger Sachverständige bekannt. Als ärztlicher Direktor einer orthopädischen Klinik ist er für grundsätzlich alle Fragestellungen auf dem Gebiet der Orthopädie kompetent. Eines "ausgewiesenen Knieexperten", wie es der Kläger fordert, bedurfte es in diesem medizinisch eher einfach gelagerten Fall nicht.
36Der Sachverständige hat auch nicht gegen die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung verstoßen. Dr. E hat seinen Angaben zur Folge lediglich die Patientenanamnese erhoben. Er hat den Kläger einen Anamnesebogen ausfüllen lassen und mit ihm ein persönliches Gespräch geführt. Diese Vorgehensweise ist in keiner Weise zu beanstanden. Der Sachverständige darf sich bei der Gutachtenerstattung der Hilfe von Mitarbeiterin bedienen, soweit damit die Eigenverantwortlichkeit des Sachverständigen für das Gutachten nicht in Frage gestellt wird (Zöller-Greger, 31. Auflage 2016, § 407a ZPO, Rz. 2a). Dies war hier ersichtlich nicht der Fall. Der Sachverständige hat den Kläger persönlich untersucht und hat anschließend das Gutachten gemeinsam mit Dr. E, der ausweislich seiner Unterschrift unter dem schriftlichen Gutachten und seiner Angaben im Verhandlungstermin die Facharztqualifikation besitzt und keinesfalls nur „Assistenzarzt“ ist, entworfen und durch seine Unterschrift selbst verantwortet.
37e) Der Einholung eines phlebologischen Gutachtens bedurfte es nicht. Da es schon an einem Behandlungsfehler fehlt, kommt es auf die Frage der Kausalität, für die gegebenenfalls Fragen auf dem Gebiet der Phlebologie zu beantworten gewesen wären, nicht an.
382.
39Die Klage ist auch nicht aufgrund der Aufklärungsrüge begründet, denn das Landgericht ist nach Anhörung des Klägers in nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger über das sich hier verwirklichte Risiko einer Thromboembolie ausreichend aufgeklärt worden ist.
40a) Die Feststellung einer ausreichenden Operationsaufklärung durfte das Landgericht treffen, ohne den aufklärenden Arztes Dr. C vernommen zu haben. Denn es ergibt sich schon aus den eigenen Angaben des Klägers, dass ihm als Risiken des Eingriffs „Thrombose“ und „Embolie“ genannt worden sind.
41b) Die Auffassung des Klägers, die Nennung der Risiken "Thrombose" und "Embolie" sei nicht ausreichend, vielmehr müsse dem Patienten die Auswirkung dieser Krankheitsbilder verdeutlicht werden, trifft nicht zu. Dem Patienten müssen nicht alle denkbaren medizinischen Risiken exakt oder in allen möglichen Erscheinungsformen dargestellt werden (BGH VersR 2010, 1220, Tz. 11; BGH VersR 2011, 223, 224, Tz. 7 – zitiert nach juris). Die Nennung der Risiken „Thrombose“ und „Embolie“ sind auch bei einem medizinisch nicht vorgebildeten Patienten in der Regel ausreichend, um ihm einen allgemeinen Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastung zu vermitteln. Dies gilt zumindest dann, wenn es sich um einen normal intelligenten Patienten handelt, bei dem ein gewisses medizinisches Allgemeinwissen oder im Fall der Unkenntnis der genannten medizinischen Begriffe der Mut zum Nachfragen unterstellt werden kann. Schließlich kommt hinzu, dass die Folgen einer Thrombo-Embolie in dem vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogen näher beschrieben waren. Der Kläger hätte sich daher, wenn er Verständnisschwierigkeiten gehabt hätte, den Aufklärungsbogen durchlesen oder beim ärztlichen Personal schlicht nachfragen können.
42c) Die Aufklärung erweist sich auch nicht deswegen als unzureichend, weil der aufklärende Arzt Dr. C die Eingriffsrisiken verharmlost hätte. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass ein Operationsrisiko nicht so dargestellt werden darf, als ob mit einer Komplikation nicht ernsthaft zu rechnen ist, wenn es sich statistisch gesehen nicht um einen extremen Ausnahmefall handelt. Den Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 15.07.2013 (dort Seite 18, Bl. 413 d.A.) lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die Risiken in der Weise beschrieben worden wären, dass mit ihrer Verwirklichung nicht ernsthaft zu rechnen gewesen wäre. Selbst den streitigen Klägervortrag unterstellt, Dr. C hätte auf den Kommentar des Klägers, dass er bei diesen dargestellten Komplikationen besser nicht unterschreiben sollte, geäußert, dass „sowieso nicht passieren“ würde, hat er damit - auch für den Kläger erkennbar - nicht zum Ausdruck bringen wollen, dass für den Eingriff kein oder nahezu kein Risiko bestehe. Dr. C hat dem Kläger unstreitig mehrere Risiken benannt. Indem er gesagt hat, es werde „sowieso nichts passieren“ hat er ganz offensichtlich sagen wollen, dass sich der Kläger keine übertriebenen Sorgen machen solle und voraussichtlich alles gut gehen werde. Er hat damit nicht die Risiken bagatellisiert, sondern den Versuch unternommen, dem Kläger etwaige Sorgen vor dem Eingriff zu nehmen. Dies ist in keiner Weise zu beanstanden.
43d) Die Aufklärung war auch rechtzeitig. Eine Operationsaufklärung im Verlaufe des Vortages der Operation genügt, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, der dem Patienten unter den gegebenen Umständen noch ausreichend Gelegenheit bietet, sich frei zu entscheiden (BGH VersR 2003, 1441, 1443; VersR 1998, 766, 767). Der Kläger ist am 07.12.2005 um 14.45 Uhr aufgeklärt und die Operation am 08.12.2005 um 10.00 Uhr begonnen worden. Er hatte nach der Aufklärung am Nachmittag des Vortages genug Zeit zu überlegen, ob er den Eingriff trotz der genannten Risiken vornehmen lassen wollte.
44e) Soweit der Kläger rügt, die handschriftlichen Zusätze im Aufklärungsbogen seien nicht lesbar gewesen, begründet dies unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Schadensersatzanspruch. Maßgeblich ist bei der Frage nach dem Inhalt der dargestellten Risiken das mündliche Aufklärungsgespräch. Die Risiken, insbesondere das sich hier verwirklichte Risiko einer Thrombose, sind dem Kläger nach eigenem Vortrag genannt worden. Darüber hinaus konnte er sich durch Lesen des im Wesentlichen maschinenschriftlich gefassten Aufklärungsbogens weiter über die Risiken im Einzelnen informieren oder Fragen stellen.
45f) Da ein Aufklärungsfehler nicht vorliegt, kommt es auf die Frage, ob Einwand der hypothetischen Einwilligung greift, weil der Kläger einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel machen konnte, nicht mehr an.
463.
47Die Stellungnahme des Klägers im Schriftsatz vom 15.02.2016, die der Senat geprüft und in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, ändert an den vorstehenden Ausführungen nichts.
484.
49Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
50Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
51Berufungsstreitwert: 20.000,- €
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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
- 2
- Die Mutter der Klägerin wurde am 22. Juni 1995 in der 27. Schwangerschaftswoche wegen vorzeitiger Wehen und einer Cervixinsuffizienz in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus aufgenommen. Ihr wurden Bettruhe und wehenhemmende Medikamente (Partusisten) verordnet. Nachdem am 27. Juni 1995 der Muttermund bereits 3 cm geöffnet und die Fruchtblase prolabiert war, unternahmen die Ärzte der Beklagten zu 1 am 28. Juni 1995 den Versuch , den Muttermund operativ zu verschließen. Hierbei kam es zu einer erheb- lichen Blutung bei der Mutter und zum vorzeitigen Blasensprung, weshalb beschlossen wurde, eine Notsectio durchzuführen. Da es sich um eine Zwillingsschwangerschaft handelte, wurden zwei Neonatologen aus dem von der Beklagten zu 2 betriebenen Klinikum angefordert, die um 12.50 Uhr eintrafen. Die Klägerin wurde um 12.59 Uhr als zweites Zwillingsmädchen mit einem Gewicht von 920 Gramm und einer Größe von 38 cm geboren. Als sie vom Operationstisch zum Reanimationsplatz getragen wurde, tropfte aus dem sie umhüllenden Tuch Blut. Bei der weiteren Behandlung und Untersuchung wurde ein Einriss der Nabelschnur zwischen dem Körper der Klägerin und der Nabelklemme festgestellt. Es wurden eine zweite Nabelklemme zwischen dem Nabel und dem Einriss gesetzt und 17 ml Erythrozyten-Konzentrat verabreicht. Um 13.45 Uhr wurde die Klägerin in das von der Beklagten zu 2 getragene Klinikum transportiert , wo sie insgesamt weitere 25 ml Erythrozyten-Konzentrat erhielt. Die Klägerin leidet u.a. an einer spastischen Tetraparese und an einer fokalen Epilepsie.
- 3
- Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht mit Grund- und Teilurteil vom 18. Dezember 2008 dem Feststellungsantrag gegen beide Beklagten entsprochen und den Leistungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dieses Urteil ist hinsichtlich der Beklagten zu 2 rechtskräftig. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 hat der erkennende Senat das Grundund Teilurteil mit Beschluss vom 30. November 2010 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt worden ist, und hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Mit Teilurteil vom 12. Juli 2012 hat das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Beklagte zu 1 zurückgewiesen. Die Beklagte zu 2 ist daraufhin dem Rechtsstreit auf Seiten der Kläge- rin als Nebenintervenientin beigetreten. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt sie die Verurteilung der Beklagten zu 1.
Entscheidungsgründe:
A.
- 4
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 keine Schadensersatzansprüche zu. Es sei insbesondere nicht behandlungsfehlerhaft gewesen, die Mutter der Klägerin in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus der Grundversorgung aufzunehmen und zu behandeln. Es sei nicht festzustellen, dass es im Behandlungszeitpunkt bereits einen medizinischen Standard gegeben habe, der die Verlegung von Risikoschwangeren in ein Perinatalzentrum gefordert habe. Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. sei es im Juni 1995 noch nicht medizinischer Konsens gewesen, dass eine Frau, bei der eine Hochrisikoschwangerschaft festgestellt worden sei, vor der Geburt möglichst in ein Perinatalzentrum verlegt werden müsse. Es habe seinerzeit noch keine widerspruchsfreien Aussagen und Empfehlungen gegeben. Aus der Präambel der kurz nach der Behandlung der Mutter der Klägerin im November 1995 veröffentlichten Leitlinien der einschlägigen geburtsmedizinischen Fachgesellschaft , der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (nachfolgend: DGGG), gehe klar hervor, dass die Konsensbildung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Vielmehr sei der Diskussionsprozess in der medizinischen Fachwelt jedenfalls im Jahr 1995 noch so in Gang gewesen, dass von der DGGG eine Leitlinie veröffentlicht worden sei, die es dem betroffenen Krankenhaus in eigener Sachprüfung erlaubt habe, zu beurteilen, ob eine Empfehlung zur Aufnahme in ein Perinatalzentrum ausgesprochen werden müsse oder nicht. Die Beklagte zu 1 habe auch über die nötigen personellen und apparativen Möglichkeiten verfügt, um die Mutter der Klägerin sachgerecht zu behandeln. Das Krankenhaus der Beklagten zu 1 sei personell hinreichend besetzt gewesen, da bei der Geburt ein geburtshilflicher Facharzt, zwei Neonatologen und ein Anästhesist zugegen gewesen seien. Darüber hinaus seien alle dem damaligen ärztlichen und organisatorischen Standard entsprechenden Maßnahmen ergriffen worden, die auch in einer Einrichtung der Maximalversorgung ergriffen worden wären, um den speziellen Risiken des vorliegenden Geburtsfalles Rechnung zu tragen.
- 5
- Soweit der Sachverständige Prof. Dr. F. im Gegensatz zu dem Sachverständigen Prof. Dr. T. eine Verlegung von Hochrisiko-Schwangeren in Perinatalzentren bereits für das Jahr 1995 gefordert habe, fehle es an einer hinreichend nachvollziehbaren Grundlage. Der Beschluss des Vorstandes DGGG vom Juni 1991 enthalte bloße Empfehlungen, die sich noch nicht zum Standard herausgebildet hätten. Die erstmals am 1. September 1996 erstellte Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Antepartaler Transport von Risiko-Schwangeren" könne den medizinischen Standard für die mehr als ein Jahr zurückliegende Behandlung nicht indizieren. Soweit die Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" vom 8. Dezember 1993 eine obligate Aufklärung der Risiko-Schwangeren über die Notwendigkeit einer pränatalen Verlegung formuliere, stehe die Leitlinie jedenfalls im Widerspruch zu der 1995 veröffentlichten Leitlinie der DGGG. Schließlich belege der Umstand, dass die Sachverständigen Prof. Dr. F., Prof. Dr. V. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. P. (Privatgutachter) einerseits und die Sachverständigen Prof. Dr. T., Prof. Dr. W. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. J. andererseits unterschiedliche Auffassungen vertreten hätten, dass sich im Jahre 1995 noch kein entsprechender Standard etabliert habe.
- 6
- Jedenfalls gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein etwaiger Behandlungsfehler als schlechterdings unverständlich und damit grob qualifiziert werden könne. Da nicht feststellbar sei, worauf die Schädigung der Klägerin letztlich zurückzuführen sei - ihre Schädigung könne auch allein auf ihre Frühgeburtlichkeit als solche zurückzuführen sein -, scheide eine Haftung der Beklagten zu 1 unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens aus.
- 7
- Gleiches gelte für den Vorwurf eines fehlerhaften Umgangs mit der Nabelklemme. Zwar habe bei der Klägerin an der Nabelschnur eine durch eine Nabelklemme verursachte Verletzung vorgelegen. Die Nabelklemme sei auch durch einen Mitarbeiter der Beklagten zu 1 gesetzt worden. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass die Verletzung durch einen groben Behandlungsfehler verursacht worden sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Nabelklemme zunächst ordnungsgemäß gesetzt worden und erst anschließend - z.B. durch das Einschlagen des Kindes in Tücher, seine Übergabe oder das insgesamt damit verbundene Hantieren mit ihm - aus ihrer Grundstellung gebracht worden oder unter Zug geraten sei. Ein solcher Ablauf sei nicht als grob fehlerhaft zu bewerten. Angesichts der besonderen Verletzlichkeit der Nabelschnur eines geringgewichtigen Frühgeborenen und der Eilbedürftigkeit der Versorgung handle es sich um ein Szenario im Grenzbereich zwischen Verwirklichung behandlungsspezifischer Risiken und einem Behandlungsfehler.
B.
I.
- 8
- Die von der Beklagten zu 2 als Streithelferin der Klägerin eingelegte Revision ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2 dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin in den Vorinstanzen nicht beigetreten war und die Klägerin selbst keine Revision eingelegt hat. Denn nach § 66 Abs. 2 ZPO kann die Nebenintervention in jeder Lage des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung, auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels , erfolgen. Die Beklagte zu 2 hat mit - innerhalb der für die Klägerin laufenden Revisionsfrist eingegangenen - Schriftsätzen vom 27. und 30. August 2012 den Beitritt auf Seiten der Klägerin erklärt und Revision eingelegt. Die Revision ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte zu 2 durch die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage nicht selbst beschwert ist. Das Rechtsmittel eines Streithelfers ist nämlich stets ein Rechtsmittel für die Hauptpartei ; für die Beurteilung, ob die zu erreichende Rechtsmittelsumme und die erforderliche Beschwer gegeben sind, kommt es allein auf sie an (vgl. Senatsurteil vom 9. März 1993 - VI ZR 249/92, VersR 1993, 625, 626; BGH, Urteile vom 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88, VersR 1989, 932; vom 16. Januar 1997 - I ZR 208/94, VersR 1997, 1020 Rn. 19 f.).
II.
- 9
- Die Revision ist aber nicht begründet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts , wonach der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 keine Schadensersatzansprüche aus §§ 611, 278, 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 Satz 1, § 847 BGB a.F. wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zustehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 10
- 1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts , den Ärzten der Beklagten zu 1 sei nicht deshalb ein Behandlungsfehler vorzuwerfen, weil sie die Mutter der Klägerin in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus der Grundversorgung aufgenommen und behandelt haben, statt ihr die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen.
- 11
- a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Übernahme der Behandlung der Mutter der Klägerin nur dann als Behandlungsfehler qualifiziert werden kann, wenn sie dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, VersR 2003, 1256; vom 21. Dezember 2010 - VI ZR 284/09, BGHZ 188, 29 Rn. 9, 12). Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1987 - VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 24 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995, 659, 660 mwN; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 718; vom 16. Mai 2000 - VI ZR 321/98, BGHZ 144, 296, 305 f.; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Auflage, Kap. X Rn. 6; Wenzel/Müller, Der Arzthaftungsprozess, Rn. 1426 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 157 ff., 174; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, B Rn. 2 ff.; Dressler, FS Geiß, S. 379 f., jeweils mwN).
- 12
- b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, nach dem im Zeitpunkt der Behandlung im Juni 1995 bestehenden medizinischen Standard sei es geboten gewesen, der Mutter der Klägerin die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen bzw. sie in ein solches Zentrum zu verlegen.
- 13
- aa) Die Ermittlung des Standards ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, der sich dabei auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet stützen muss. Das Ergebnis dieser tatrichterlichen Würdigung kann revisionsrechtlich nur auf Rechts- und Verfahrensfehler überprüft werden, also insbesondere darauf, ob ein Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze vorliegt, das Gericht den Begriff des medizinischen Standards verkannt oder den ihm unterbreiteten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05, BGHZ 172, 1 Rn. 17 ff.; Beschlüsse vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 229/06, VersR 2008, 221 Rn. 13; vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361). Derartige Rechtsfehler liegen nicht vor.
- 14
- bb) Das Berufungsgericht ist nach Einholung von Gutachten der geburtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. F. und Prof. Dr. T. und - teils mehrfacher - Anhörung dieser Sachverständigen sowie der pädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. J., Prof. Dr. V. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. P. (Privatgutachter) auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gekommen, es könne nicht festgestellt werden, dass es im Behandlungszeitpunkt bereits einen medizinischen Standard gegeben habe, der die Verlegung von Risikoschwangeren in ein Perinatalzentrum gefordert habe. Es konnte sich bei dieser Beurteilung in vollem Umfang auf die Angaben des geburtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. T. stützen. Dieser hat im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 ausgeführt, es habe in der Zeit von 1989 bis 1995 einen Diskussionsprozess über die Zentralisierung von Risikogeburten gegeben, der noch nicht zu einem festen Ergebnis geführt habe. Es habe zwar - vor allem von Seiten der Neonatologen - vernünftige Argumente für die Zentralisierung von Risikogeburten gegeben , nicht hingegen eine Evidenz durch Zahlen. Die Fachwelt im hier maß- geblichen Fachbereich der Gynäkologen und geburtshilflichen Ärzte sei im Zeitraum bis 1995 einschließlich noch nicht einheitlich überzeugt gewesen. Dies werde u.a. durch die seitens der DGGG als der maßgeblichen Vertreterin für die Leitlinienbildung im November 1995 veröffentlichten "Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen" belegt. Darin sei eine Empfehlung, Risiko-Schwangerschaften auf keinen Fall in Kliniken der Grundversorgung aufzunehmen, gerade nicht ausgesprochen worden. Ziffer 3.4.2 empfehle die Regionalisierung von Hochrisikofällen vielmehr nur für solche, deren Bewältigung offenbar und voraussehbar die personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhauses übersteige. Auch der Einleitung der "Mindestanforderungen" - Stand Dezember 2011 - sei zu entnehmen, dass erst viel später das zum Standard geworden sei, was 1995 gefordert worden sei. Denn danach hätten die "Mindestanforderungen" von 1995 dazu beigetragen, das Niveau der klinischen geburtshilflichen Versorgung zu verbessern, und definierten den heute gebotenen Standard der Versorgung. Die Forderungen im Beschluss des Vorstandes der DGGG von Juni 1991 seien als Vorstufe zu den Leitlinien zu sehen, die sich noch nicht als Standard durchgesetzt hätten, sondern zur Verbesserung des Standards für die Zukunft erhoben worden seien. Die Umsetzung dieser Forderungen sei zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland gar nicht möglich gewesen, weil die dafür erforderlichen Strukturen noch nicht vorhanden gewesen seien. Was die Fachgesellschaften anderer Fachbereiche gefordert hätten, könne nicht standardbildend für die hier zu entscheidende Frage sein.
- 15
- cc) Die gegen die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
- 16
- (1) Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe den Charakter von Leitlinien verkannt und deshalb Handlungsanweisungen in Quellen aus der Zeit nach der Behandlung rechtsfehlerhaft keine Bedeutung beigemessen.
- 17
- (a) Entgegen der Auffassung der Revision fassen Leitlinien nicht nur das zusammen, was bereits zuvor medizinischer Standard war. Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten (vgl. zum Ganzen: Senat, Urteil vom 15. Februar 2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 9; Beschlüsse vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361; vom 7. Februar 2011 - VI ZR 269/09, VersR 2011, 1202; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier /Lipp, aaO Rn. 9 f.; ders., LMK 2012, 327738; Hart in Rieger/Dahm/ Katzenmeier/Steinhilper, HK-AKM, KZA 530, Rn. 5, 16 ff. [Stand: Februar 2011]; Wenzel/Müller, aaO Rn. 1483 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 157 ff., 174; Geiß/Greiner, aaO, B Rn. 2 ff.; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. 89; Glanzmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 287 ZPO Rn. 25; Dressler, FS Geiß, S. 379, 380 f.; Stöhr, FS Hirsch, S. 431 ff.; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., B 41 ff., 72, jeweils mwN).
- 18
- Entsprechendes gilt für Handlungsanweisungen in klinischen Leitfäden oder Lehrbüchern. Entgegen der Auffassung der Revision geben auch sie nicht stets einen bereits zuvor bestehenden medizinischen Standard wieder.
- 19
- (b) Vor diesem Hintergrund ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden , dass das Berufungsgericht weder die am 1. September 1996 erstellte Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Antepartaler Transport von Risiko-Schwangeren" noch die vom Sachverständigen Prof. Dr. F. vorgelegten Lehrbuchauszüge aus dem Jahr 1997 als geeignet angesehen hat, um dessen Angaben zum Bestehen eines entsprechenden Standards bereits im Juni 1995 maßgeblich zu stützen.
- 20
- (2) Ohne Erfolg rügt die Revision als willkürlich, dass das Berufungsgericht den Angaben des Sachverständigen Professor Dr. F. nicht im Hinblick auf die Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" vom 8. Dezember 1993 den Vorzug gegenüber den Angaben des Prof. Dr. T gegeben hat. Zwar bestimmt Ziffer 3 dieser Leitlinie, dass Schwangere mit hohen Risiken über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer präpartalen Verlegung aufzuklären sind; dabei sind als Beispiel für eine Hochrisikoschwangerschaft insbesondere Wehen vor der 33. Woche aufgeführt. Die Frage, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann, bestimmt sich indes aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachgebiets und nicht derjenigen anderer Fachbereiche (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1987 - VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 24 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995, 659, 660 mwN; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 718; vom 16. Mai 2000 - VI ZR 321/98, BGHZ 144, 296, 305 f.). Die Ärzte der Beklagten zu 1 waren nicht als Neonatologen, sondern im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. Die in diesem Fachgebiet zuständige Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, hatte aber im November 1995 und damit kurz nach der Geburt der Klägerin mit der Leitlinie "Mindestanforderungen an prozessuale , strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen" Handlungsanweisungen herausgegeben, die inhaltlich hinter den Forderungen der Leitlinie "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" zurückblieben und die dem betroffenen Krankenhaus die Beurteilung überließen, ob eine Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum erfolgen musste. Gemäß Ziffer 3.4.2 war die geburtshilfliche Abteilung zur Regionalisierung nur solcher Hochrisikofälle verpflichtet, deren Bewältigung offenbar und voraussehbar die personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhauses überstieg. Unter anderem aus dieser Leitlinie 1995 sowie aus der Einleitung ihrer Neufassung, Stand 2011, hat der Sachverständige Professor Dr. T. abgeleitet , dass im Zeitpunkt der Behandlung im Juni 1995 im maßgeblichen Fachbereich der Gynäkologie und Geburtshilfe noch nicht der erforderliche Konsens bestanden habe, dass Hochrisiko-Schwangeren vor der Geburt die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen war bzw. sie in ein solches Zentrum zu verlegen waren. Dabei hat der Sachverständige ausdrücklich auch den Beschluss des Vorstands der DGGG von Juni 1991 in seine Erwägungen miteinbezogen , in dem empfohlen wird, innerhalb der drei Ebenen der Krankenhausversorgung - Grundversorgung, Schwerpunktkrankenhaus und Krankenhaus in der Maximalversorgung - stärker als bisher eine graduelle und dem Bedarf angepasste Verschiebung von Risikofällen in die nächst höhere Versorgungsstufe vorzunehmen und entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien auch in Verdachtsfällen ein Perinatalzentrum zu konsultieren. Er hat den Beschluss als fordernde Vorstufe zu den Leitlinien mit Empfehlungscharakter qualifiziert; die darin ausgesprochenen Empfehlungen hätten sich noch nicht als Standard durchgesetzt, sondern der Verbesserung des Standards für die Zukunft gedient. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht von der Existenz eines entsprechenden medizinischen Standards im Jahr 1995 nicht überzeugt hat. Soweit die Revision geltend macht, es habe von Seiten der Fachgesellschaften und Mediziner bei Vorliegen einer Risiko- schwangerschaft schon 1995 offensichtlich kein Zweifel an dem Erfordernis der Aufnahme in einem Krankenhaus der Maximalversorgung bzw. in einem Perinatalzentrum bestanden, versucht sie lediglich in unzulässiger Weise, die tatrichterliche Würdigung durch ihre eigene zu ersetzen.
- 21
- (3) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Mutter der Klägerin habe nicht deshalb in ein Perinatalzentrum verlegt werden müssen, weil die Beklagte zu 1 nicht über die personellen und apparativen Möglichkeiten zur Betreuung von Risikogeburten verfügt habe. Ihre Rüge, die personellen Voraussetzungen seien nicht gegeben gewesen , weil die Neonatologen nicht "bereitgestanden", sondern erst hätten herbeigerufen werden müssen, ist nicht begründet. Entscheidend ist, dass die Möglichkeit bestand, das Geburtshelferteam rechtzeitig durch das Hinzuziehen von Neonatologen zu verstärken. Dies war der Fall. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts waren bei der Geburt der Klägerin zwei Neonatologen zugegen.
- 22
- Soweit die Revision geltend macht, in einer Einrichtung der Maximalversorgung sei von einer anderen Arbeits- und Vorgehensweise als in einem Krankenhaus der Grundversorgung auszugehen, übersieht sie, dass der Sachverständige Prof. Dr. T. in seinem schriftlichen Gutachten die bei der Mutter der Klägerin ergriffenen Behandlungsmaßnahmen im Einzelnen untersucht, mit der hypothetischen Behandlung in einer Einrichtung der Maximalversorgung verglichen hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass alle dem damaligen ärztlichen und organisatorischen Standard entsprechenden Maßnahmen ergriffen worden sind, die auch in einer Einrichtung der Maximalversorgung durchgeführt worden wären, um den speziellen Risiken des vorliegenden Geburtsfalles Rechnung zu tragen. Insoweit erhebt die Revision keine Beanstandungen.
- 23
- Auch der Umstand, dass im Krankenhaus der Beklagten zu 1 ein Blutdruckmessgerät für die nichtinvasive Blutdruckmessung bei Säuglingen nicht zur Verfügung stand, stellt die tatrichterliche Würdigung nicht in Frage. Sie wird von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 getragen, wonach im Streitfall in Bezug auf die technische Ausstattung und die räumliche Situation keine wesentlich andere Situation bestanden habe, als wenn die Mutter der Klägerin in der von der Beklagten zu 2 betriebenen Geburtsklinik der Maximalversorgung aufgenommen worden wäre. Dass eine präpartale Verlegung der Mutter der Klägerin in ein Perinatalzentrum nur wegen des Nichtvorhandenseins eines Blutdruckmessgeräts für die nichtinvasive Blutdruckmessung medizinisch nicht geboten war, wird auch durch die - von der Revision herangezogenen und der (rechtskräftigen) Verurteilung der Beklagten zu 2 zugrunde liegenden - Angaben des pädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. B. bestätigt. Dieser gab nämlich nicht nur an, dass ein entsprechendes Blutdruckmessgerät nicht zur Verfügung stand. Vielmehr führte er auch aus, dass die Höhe des Blutverlustes der Klägerin durch andere Maßnahmen im Krankenhaus der Beklagten zu 1 hätte festgestellt werden können. Insbesondere habe die Hämoglobinkonzentration durch einen zentralen Zugang bestimmt oder der Blutdruck durch Dekonnektion des Nabelvenenkatheters geschätzt werden können. Darüber hinaus habe der Volumenmangel auch durch eine Femoralispulsmessung und die Beobachtung der Kapillarfüllungszeit festgestellt werden können. Gestützt auf diese Beurteilung hat das Berufungsgericht das Unterlassen dieser Maßnahmen durch die hinzugezogenen Neonatologen als - teilweise grob - behandlungsfehlerhaft angesehen und die Haftung der Beklagten zu 2 bejaht.
- 24
- (4) Die Tatsache, dass in den dem Senatsurteil vom 14. Dezember 1993 (VI ZR 67/93, VersR 1994, 480) und dem Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Mai 1994 (7 U 211/91) zugrunde liegenden Fällen die Nicht- verlegung einer Risiko-Schwangeren in ein Perinatalzentrum von den Sachverständigen als behandlungsfehlerhaft angesehen worden ist, musste das Berufungsgericht nicht zu einer anderen Beurteilung veranlassen. Denn diesen Fällen lagen jeweils anders gelagerte Sachverhalte zugrunde. Insbesondere waren - anders als im Streitfall - bei der Geburt jeweils keine Neonatologen zugegen.
- 25
- (5) Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
- 26
- 2. Die Revision rügt auch ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe die Verletzung der Nabelschnur der Klägerin, - soweit sie darauf zurückgeführt werden könne, dass die ordnungsgemäß gesetzte Nabelklemme durch die Ärzte der Beklagten zu 1 nachträglich aus ihrer Grundstellung gebracht worden sei, - zu Unrecht als nicht grob fehlerhaft bewertet. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob oder nicht grob einzustufen ist, eine juristische Wertung ist, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 139/10, VersR 2012, 362 Rn. 9 mwN). Es hat den Ausführungen des Sachverständigen lediglich nicht die erforderliche tatsächliche Grundlage entnommen, um das Behandlungsgeschehen als grob fehlerhaft zu qualifizieren. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nachdem das Berufungsgericht den Sachverständigen Prof. Dr. T. zur Schwere des Behandlungsfehlers in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 ausführlich angehört und dieser das nach dem Setzen der Nabelklemme liegende Behandlungsgeschehen im Grenzbereich zwischen Verwirklichung behandlungsspezifischer Risiken und einem Behandlungsfehler angesiedelt hatte, bestand entgegen der Auffassung der Revision auch kein Anlass, den Sachverständigen nochmals zu befragen.
III.
- 27
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO. Galke Wellner Diederichsen Pauge von Pentz
LG Braunschweig, Entscheidung vom 11.12.2003 - 4 O 371/02 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 12.07.2012 - 1 U 1/04 -
(1) Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger sowie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen.
(2) Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Der Sachverständige hat dem Gericht solche Gründe unverzüglich mitzuteilen. Unterlässt er dies, kann gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.
(3) Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.
(4) Hat der Sachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrages, so hat er unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen. Erwachsen voraussichtlich Kosten, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes stehen oder einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen, so hat der Sachverständige rechtzeitig hierauf hinzuweisen.
(5) Der Sachverständige hat auf Verlangen des Gerichts die Akten und sonstige für die Begutachtung beigezogene Unterlagen sowie Untersuchungsergebnisse unverzüglich herauszugeben oder mitzuteilen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so ordnet das Gericht die Herausgabe an.
(6) Das Gericht soll den Sachverständigen auf seine Pflichten hinweisen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.