Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 11. Okt. 2016 - 1 W 68/16
Tenor
A. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 28.06.2016 in der Fassung vom 22.09.2016 (Geschäfts-Nr. 303 OH 2/16) unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels in den durch Kursivschrift hervorgehoben Punkten abgeändert und der Übersichtlichkeit halber insgesamt wie folgt neu gefasst:
I.
Es soll ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt werden und durch Einholung eines urologischen Sachverständigengutachtens insbesondere Beweis darüber erhoben werden,
ob die Behandlung der Antragstellerin im Rahmen der stationären Aufenthalte im ... Westklinikum vom 17.02. bis 06.03.2013 und vom 14. bis 19.10.2013 nicht sachgerecht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt ist.
II.
Ohne das Beweisthema in irgendeiner Form einschränken zu wollen, wird die Sachverständige gebeten, insbesondere die nachfolgenden Fragen zu beantworten:
1. Ist es bei der Antragstellerin nach den streitbefangenen medizinischen Behandlungen (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) zu folgenden Beschwerden und Gesundheitsfolgen gekommen:
• massiver Penishautüberschuss,
• subtotal noch vorhandene Glans
• ausgedehnte Narben im Vulva-Bereich,
• eingezogene Narbe an der linken großen Labie mit eingewachsenen Haaren,
• trichterförmiger Meatus urethrae,
• diffuser Harnstrahl,
• vollständige Glans mit einer Vielzahl von Narben, spitzkegelig, fast über der Harnröhre und Introitus vaginae verortet,
• großer Skrotallappen nach ventral-cranial geschwenkt mit ausgedehnter Vernarbung des Introitus bds.; Spitzenbereich ringförmig ulcerierte Narbe,
• Größe der Neovagina: 2,5 cm tief und 1 cm breit,
• postoperative massive Berührungs- und Belastungsschmerzen
• Auftreten von Herzrhythmusstörungen?
2. Ist bei der streitbefangenen medizinischen Behandlung (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) der medizinische Standard nicht eingehalten worden, insbesondere:
• entspricht die gewählte Operationsmethode vom 18.02.2013 nicht dem Standard,
• sind einzelne Operationsschritte (z.B. die Schnitttechnik) standardwidrig durchgeführt worden,
• ist aus dem Ergebnis der Operationen zu schließen, dass der hierbei zu beachtende medizinische Standard nicht eingehalten worden ist,
• wurde bei der Nachbehandlung nicht der medizinische Standard eingehalten, insbesondere indem nicht rechtzeitig auf den „krankhaften Zustand der Neovagina“ der Antragstellerin reagiert wurde?
3. Wurden die medizinisch gebotenen Befunde nicht erhoben, insbesondere:
• wurden die medizinisch gebotenen Befunde vor der Operation am 18.02.2013 nicht erhoben,
• wurden nach der Operation vom 18.02.2013 die gebotenen Befunde in Bezug auf die Neovagina nicht erhoben,
• wurden erhobene Befunde anlässlich des ersten stationären Aufenthalts fundamental falsch diagnostiziert,
• wurden die medizinisch gebotenen Befunde vor der Operation am 15.10.2013 nicht erhoben,
• wurden nach der Operation vom 15.10.2013 die gebotenen Befunde in Bezug auf die Neovagina nicht erhoben,
• wurden erhobene Befunde anlässlich des zweiten stationären Aufenthalts fundamental falsch diagnostiziert?
4. Hätte sich (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) bei der gebotenen, aber standardwidrigen unterbliebenen Erhebung der medizinisch erforderlichen Befunde mit Wahrscheinlichkeit ein Befund ergeben, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als schlicht nicht nachvollziehbar darstellen würde und diese Standardabweichung generell geeignet gewesen wäre, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen?
5. Für den Fall, dass die Sachverständige Versäumnisse des Antragsgegners zu 2) bzw. der Ärzte oder sonstiger Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1) oder ihnen anzulastende Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst feststellt:
Wie schwerwiegend sind die festgestellten Fehler? Handelt es sich hierbei jeweils oder in der Gesamtschau um grobe Behandlungsfehler, d.h. um solche, die aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar erscheinen, weil sie einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1) bzw. dem Antragsgegner zu 2) schlechthin nicht hätten unterlaufen dürfen?
6. - entfällt, Zurückweisung der sofortigen Beschwerde -
7. - entfällt, nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens -
8. - entfällt, nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens -
9. Ist die gewählte Behandlungsmethode anlässlich der Operationen vom 18.02.2013 und 15.10.2013 eine medizinische Außenseitermethode bzw. eine Neulandmethode gewesen?
10. Welche allgemeinen Risiken bestehen für den Patienten bei der konkret vorliegenden medizinischen Behandlung (bzgl. der Operationen am 18.02.2013 und am 15.10.2013 und/oder der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlungen im Hause der Antragsgegner)?
11. Wie hoch war das Misserfolgsrisiko bei der konkret vorliegenden medizinischen Behandlung, wie hoch die Erfolgsaussichten (bzgl. der Operationen am 18.02.2013 und am 15.10.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlungen im Hause der Antragsgegner)?
12. Gab es zu dem gewählten Vorgehen echte medizinische (Operations-) Alternativen (z.B. „penile Inversion") mit anderen Chancen und Risiken?
13. Beschreibt die schriftliche Aufklärung (bzgl. der Operationen am 18.02.2013 und am 15.10.2013 im Hause der Antragsgegner), wie sie sich dokumentiert bei den medizinischen Behandlungsunterlagen befindet, die konkrete streitgegenständliche Behandlung hinsichtlich (1) ihrer Chancen und Risiken sowie (2) bezüglich echter Behandlungsalternativen aus medizinischer Sicht zutreffend und erschöpfend?
14. Ist die konkrete medizinische Behandlung (bzgl. der Operationen am 18.02.2013 und am 15.10.2013 und/oder der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlungen im Hause der Antragsgegner) aus objektiver Sicht eines verständigen Patienten im Ergebnis (ganz oder teilweise) als „unbrauchbar“ in dem Sinne einzustufen, dass die Leistungen der Antragsgegner für die Antragstellerin wirtschaftlich wertlos sind, weil die medizinische Behandlung wiederholt werden muss, ohne dass ein Nachbehandler auf die Leistungen der Antragsgegner aufbauen kann?
15. Stellen die unter Ziffer 1. bezeichneten Gesundheitsbeeinträchtigungen und Beschwerden die kausale Folge einer Abweichung vom medizinischen Standard anlässlich der streitbefangenen Behandlungen dar?
16. Ist mit einer sicheren Besserung des Zustandes zu rechnen oder ist es auch möglich bzw. denkbar, dass keine Besserung, womöglich auch eine kausale Verschlechterung des Zustandes eintreten kann?
Im Einzelnen:
a. Liegt bei der Antragstellerin eine irreversible Schädigung vor?
b. Kann die Schädigung durch eine oder mehrere Nachbehandlungsmaßnahmen beseitigt oder gemildert werden?
c. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich durch solche Nachbehandlungen die Schäden beseitigen lassen?
d. Wie hoch beläuft sich hierfür der erforderliche Geldaufwand für die Antragstellerin?
17. Mit welchem Grad an Sicherheit lassen sich die vorstehenden Fragen beantworten: Sicher - sehr wahrscheinlich - wahrscheinlich - möglich - unwahrscheinlich - äußerst unwahrscheinlich - sicher nicht?
III.
Sollten dem Sachverständigen medizinische Zusammenhänge auffallen, die vom obigen Fragenkatalog nicht berührt werden, die aber für die gutachterliche Bewertung von Bedeutung sind, möge er eine medizinische Bewertung dieser Zusammenhänge vornehmen und dies im Gutachten hervorheben. Dabei sollen jedoch keine weiteren als die im Prozess geltend gemachten Gesundheitsverletzungen bzw. Beschwerden überprüft und erörtert werden.
IV.
Die Kammer erwägt, Prof. Dr. ... GmbH, ..., ... Essen, zur Sachverständigen zu bestellen.
V.
Die Sachverständige wird auf die Behandlungsunterlagen hingewiesen, die der Gerichtsakte beiliegen. Sollten diese unvollständig sein, möge sie das Gericht hierüber informieren und die fehlenden Unterlagen möglichst genau bezeichnen, damit deren Anforderung von hier aus veranlasst werden kann.
VI.
Sollte die Sachverständige die Hinzuziehung von Gutachtern anderer Fachrichtungen, namentlich aus dem Bereich der Radiologie, als Zusatzgutachter für erforderlich oder geboten halten, soll sie dies dem Gericht mitteilen und möglichst einen ihr als kompetent bekannten Zusatzgutachter namhaft machen. Ohne eine förmliche Bestellung durch das Gericht darf jedoch kein Zusatzgutachter eingeschaltet werden.
B. Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist nicht zu erheben.
C. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf € 169.567,80 festgesetzt.
Gründe
A.
- 1
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 19.07.2016 (Bl. 113 d.A.) gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 28.06.2016 (Bl. 103 ff. d.A.), zugestellt am 11. 07.2016 (Bl. 110 d.A.), ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft sowie gemäß § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt. Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass ihr Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens im selbständigen Beweisverfahren zu den unter Ziff. 2, Spiegelstrich 3 (dazu unter 1.), 6 (dazu unter 5.), 10, 11 und 13 (dazu unter 2.), 14 (dazu unter 3.) und 16 (dazu unter 4.) ihres Schriftsatzes vom 18. April 2016 formulierten Beweisfragen zurückgewiesen worden ist (S. 1 der Beschwerdebegründung vom 30.08.2016, Bl. 135 d.A.), wobei ihrem Rechtsmittel mit Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 22.09.2016 (Bl. 155 ff. d.A.) in Bezug auf die Frage zu Ziff. 16 d. ihres Schriftsatzes vom 18.04.2016 teilweise abgeholfen worden ist. Die sofortige Beschwerde betreffend die noch streitgegenständlichen Fragen ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Einzelnen:
- 2
1. Die Frage zu Ziff. 2, Spiegelstrich 3, aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 18.04.2016 (dort S. 21, Bl. 78 d.A.) ist in der aus dem Tenor zu Ziff. II 2., Punkt 3, ersichtlichen Fassung im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Die Antragstellerin hat in ihrer Beschwerdebegründung vom 30.08.2016 (dort S. 3, Bl. 137 d.A.) zum Ausdruck gebracht, dass es ihr um die Klärung der Frage geht, ob aus dem Ergebnis der Operationen auf einen Behandlungsfehler zu schließen ist. Insofern soll die Ursache eines Personenschadens festgestellt werden, was Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein kann.
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2. Die Fragen zu Ziff. 10, 11 und 13 aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 18.04.2016 (dort S. 23, Bl. 80 d.A.) sind ebenfalls gemäß § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im selbständigen Beweisverfahren statthaft.
- 4
Der Senat hält es nicht für richtig, dass Fragen an einen Sachverständigen, welche Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht betreffen, generell nicht Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein könnten, wie dies in Rechtsprechung (vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.2015, 1 W 11/15, juris) und Literatur (vgl. etwa Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 485 Rdn. 9) vertreten wird. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher der Senat folgt, ist das selbständige Beweisverfahren eröffnet, wenn es darum geht, dem Sachverständigenbeweis zugängliche Fragen zu klären, aus deren Beantwortung sich ergeben kann, ob Ursache eines Personenschadens eine fehlerhafte Heilbehandlung ist (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003, VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302 ff.). Bei der hier in Rede stehenden Frage, ob ob Ursache eines Personenschadens eine eigenmächtige Heilbehandlung ist, kann nichts Anderes gelten.
- 5
Der Umstand, dass nicht alle für die Feststellung eines Verstoßes gegen die ärztliche Aufklärungspflicht maßgeblichen Fragen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im selbständigen Beweisverfahren beantwortet werden können, weil insbesondere die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein ärztliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten geführt worden ist, nur durch andere Beweismittel wie insbesondere durch Zeugenbeweis geklärt werden kann, steht der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens im vorliegenden Fall nicht grundsätzlich entgegen. Ein rechtliches Interesse an einer vorprozessualen Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für einen Gesundheitsschaden durch einen Sachverständigen kann im selbständigen Beweisverfahren auch dann gegeben sein, wenn zwar die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, jedoch für eine abschließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (BGH, Beschluss vom 24. September 2013, VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 ff., hier zitiert nach juris, Rdn. 18).
- 6
Die Fragen, welche die Antragstellerin zu Ziff. 10, 11 und 13 ihres Schriftsatzes vom 18.04.2016 formuliert hat, sind dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Welche Erfolgsaussichten, Misserfolgsrisiken und allgemeine sowie besondere typische Risiken bei einem ärztlichen Eingriff bestehen, unterliegt der Beurteilung durch einen medizinischen Sachverständigen des betreffenden Fachgebiets. Von dieser Beurteilung hängt ab, was Inhalt eines ordnungsgemäßen Aufklärungsgesprächs hätte sein müssen. Es handelt sich damit um Fragen, die für die Entscheidung zur Durchführung eines auf eine Aufklärungsrüge gestützten Arzthaftungsprozesses maßgeblich sein können, so dass an ihrer Beantwortung ein rechtliches Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO besteht.
- 7
Es gilt insofern nichts Anderes als für die vom Landgericht zugelassene Frage nach - ggfs. aufklärungsbedürftigen - echten medizinischen (Operations-) Alternativen mit anderen Chancen und Risiken (Ziff. A II 8. des Beschlusses vom 22.09.2016, Bl. 158 d.A.).
- 8
3. Die Frage zu Ziff. 14 aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 18.04.2016 (dort S. 24, Bl. 81 d.A.) ist in der aus dem Tenor zu Ziff. II 14. ersichtlichen Fassung im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO zulässig. Die Antragstellerin hat in ihrer Beschwerdebegründung vom 30.08.2016 (dort S. 11, Bl. 145 d.A.) zum Ausdruck gebracht, dass es ihr um die Klärung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rückerstattung der für die streitbefangene ärztliche Behandlung geleisteten Vergütung gegen die Antragsgegner geht. Hiervon hängt der Aufwand ab, den sie für die Beseitigung des von ihr geltend gemachten Personenschadens erbringen muss. Die Frage kann somit Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sein.
- 9
Ein Anspruch auf die Vergütung einer ärztlichen Leistung kann entfallen, wenn ein Behandlungsfehler vorliegt und das Behandlungsergebnis für den Patienten nutzlos oder -wie die Antragstellerin es formuliert - unbrauchbar ist (BGH, Urteil vom 29. März 2011, VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 f., hier zitiert nach juris, Rdn. 18). Die Feststellung einer Unbrauchbarkeit ist zwar mit einer rechtlichen Wertung verbunden, die dem Gericht obliegt. Diese Wertung hängt aber jedenfalls auch von Umständen ab, die der Beurteilung durch einen Sachverständigen zugänglich sind. Um solche Umstände geht es bei der erläuternd eingefügten Frage, ob die Leistungen der Antragsgegner für die Antragstellern wirtschaftlich wertlos sind, weil die medizinische Behandlung wiederholt werden muss, ohne dass ein Nachbehandler auf die Leistungen der Antragsgegner aufbauen kann.
- 10
4. Die Fragen zu Ziff. 16 aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 18.04.2016 (dort S. 24, Bl. 81 d.A.) sind, auch soweit das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen hat, ein gemäß § 485 Abs. 2 Ziff. 1 und 3 ZPO zulässiger Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens. Es geht dabei um den Umfang eines Personenschadens und den Aufwand für dessen Beseitigung. Letzterer Begriff umfasst auch die Möglichkeit der Schadensbeseitigung (Ahrens in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 485 Rdn. 53), deren Kehrseite die Irreversibilität der Schädigung ist. Die Beantwortung der Frage nach den Kosten für eine operative Korrektur des entstandenen Operationsergebnisses, die das Landgericht in seinem Beschluss vom 22.09.2016 zu Ziff. A II 8a. zugelassen hat, hängt davon ab, ob und welche Nachbehandlungsmaßnahmen in Betracht kommen, so dass es nicht konsequent erscheint, erstere Frage zuzulassen, letztere aber nicht.
- 11
Ein rechtliches Interesse an der Beantwortung der Fragen nach dem Vorliegen einer irreversiblen Schädigung und einer möglichen Schadensbeseitigung durch Nachbehandlungsmaßnahmen bzw. deren Erfolgsaussichten kann der Antragstellerin nicht deshalb abgesprochen werden, weil sie sich diese Fragen schon selbst beantwortet hätte. Die Antragstellerin geht zwar nach ärztlicher Beratung davon aus, dass zur Behebung der verursachten Schäden weitere Operationen nötig sind, bei denen Vollhaut aus dem Bauch und den Oberschenkeln transplantiert wird, um eine neue Vagina zu formen (S. 11,25 des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 04.01. 2016, Bl. 12, 26 d.A.). Schon wegen des umfassenden Bestreitens der Antragsgegner (S. 2 des Schriftsatzes der Antragsgegner vom 14.03.2016, Bl. 53 d.A.) steht jedoch nicht fest, dass es keines Beweises für die Richtigkeit ihrer Annahmen mehr bedürfte.
- 12
5. Nicht in den Beweisbeschluss aufzunehmen ist hingegen die Frage zu Ziff. 6 aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 18. 04.2016 (dort S. 22, Bl. 79 d.A.). Diese Frage zielt auf keinen Erkenntnisgewinn ab, der über denjenigen aus der Beantwortung der Beweisfrage zu Ziff. II 2. des angefochtenen Beschlusses hinausgeht. Wie die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung vom 30.08.2016 (dort S. 4, Bl. 138 d.A.) ausgeführt hat, geht es ihr darum, den medizinischen Standard für die streitbefangene Behandlung zu klären. Dies muss ohnehin geschehen, um die Frage nach der Nichteinhaltung des medizinischen Standards zu beantworten.
B.
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Im Hinblick auf den überwiegenden Erfolg der sofortigen Beschwerde bestimmt der Senat, dass eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren nicht zu erheben ist, Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG. Im Übrigen ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2015, 13 W 18/15, juris, Rdn. 6).
C.
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Die Festsetzung des Beschwerdewerts gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO orientiert sich an den Wertangaben der Antragstellerin in der Antragsschrift vom 04.01.2016 (dort S. 1, Bl. 2 d.A.).
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(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn
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dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.
(2) Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(3) Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Notfristen erhoben werden.
(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.
(3) Die Beschwerde kann auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn
(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
(2) Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass
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der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, - 2.
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, - 3.
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels
(3) Soweit eine Begutachtung bereits gerichtlich angeordnet worden ist, findet eine neue Begutachtung nur statt, wenn die Voraussetzungen des § 412 erfüllt sind.
Tenor
1. | Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25.2.2015 wird zurückgewiesen. |
2. | Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. |
3. | Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. |
Wert des Beschwerdeverfahrens: 200.000 EUR.
Gründe
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BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Antragstellerin verlangt materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen einer Funktionseinschränkung an ihrer rechten Hand nach einer Behandlung durch den Antragsgegner. Sie behauptet, es seien bei einem operativen Eingriff vom Antragsgegner behandlungsfehlerhaft Nerven durchtrennt worden. Der Haftpflichtversicherer des Antragsgegners erklärte sich auf die entsprechende Anfrage der Antragstellerin grundsätzlich mit der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens einverstanden, erbat aber im selben Schreiben Kopien von ärztlichen Befundberichten der nachbehandelnden Ärzteoder Krankenhäuser und kündigte an, nach Vorliegen sämtlicher Unterlagen unter Auswertung einer Stellungnahme des Versicherungsnehmers umgehend wieder auf die Angelegenheit zurückzukommen. Die Antragstellerin hat am 11. April 2002 beim Landgericht A. die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob die Nervenverletzung durch einen Behandlungsfehler des Antragsgegners verursacht worden sei, beantragt. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt, weil eine Zustimmung des Antragsgegners fehle und die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise in Arzthaftungsstreitigkeiten ein selbständiges Beweisverfahren in Frage komme, nicht vorlägen. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landgerichts hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens weiter.
II.
1. Das Oberlandesgericht hat übereinstimmend mit dem Landgericht das Vorliegen einer Zustimmung des Antragsgegners zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 1 ZPO verneint. Es hat die Anordnung eines Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO abgelehnt, weil ein rechtliches Interesse an der beabsichtigten Feststellung nicht hinreichend dargelegt sei. Die vorprozessuale Beweissicherung komme in Arzthaftungssachen unabhängig von der Zustimmung des Antragsgegners nur bei drohendem Beweismittelverlust in Betracht. Im vorliegenden Fall habe aber die Antragstellerin selbst vorgetragen, daß bereits irreparable Dauerschäden eingetreten seien. Im übrigen komme die streitschlichtende Funktion, wie sie dem Gesetzgeber beider Fassung des § 485 Abs. 2 ZPO vorgeschwebt habe, in Arzthaftungsstreitigkeiten jedenfalls dann nicht zum Tragen, wenn nicht nur ein Behandlungsfehler streitig sei, sondern auch, ob und inwieweit dieser für die eingetretenen Gesundheitsschäden kausal geworden sei. Ein Beweissicherungsverfahren führe, wenn es - wie im vorliegenden Fall - erst mehrere Jahre nach einer als fehlerhaft angesehenen ärztlichen Behandlung und nach weitgehender Manifestation der gesundheitlichen Schäden durchgeführt werde, in der Regel nur zu weiteren Verzögerungen bei der abschließenden Klärung der Haftungsfragen. 2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist im übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1, 2 und 3 ZPO) und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde , daß das Beschwerdegericht in dem Schreiben des Haftpflichtversicherers des Antragsgegners vom 2. Oktober 2001 keine bindende Zustimmung zum konkreten Beweisverfahren gesehen hat. Anders als bei der Auslegung einer privatrechtlichen Willenserklärung ist, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, der Senat bei der Überprüfung einer verfahrensrechtlichen Erklärung, um die es sich bei der Zustimmung im Sinne des § 485 Abs. 1 ZPO handelt, zwar nicht eingeschränkt (vgl. Senatsurteile vom 18. Juni 1996 - VI ZR 325/95 - NJW-RR 1996, 1210 f. und vom 30. Januar 1979 - VI ZR 45/78 - VersR 1979, 373 f.; BGH, Urteil vom 27. März 1996 - XII ZR 83/95 - NJW-RR 1996, 833 ff.; Zöller/Gummer ZPO, 23. Aufl., § 546 Rdn. 11). Das Beschwerdegericht hat aber im vorliegenden Fall aus dem Inhalt des Schreibens des Haftpflichtversicherers des Antragsgegners vom 2. Oktober 2001 den naheliegenden Schluß gezogen, daß die Zustimmung zu einer Beweissicherung nicht von vornherein versagt werden sollte, aber auch noch nicht bindend erteilt worden ist. Der Haftpflichtversicherer wollte zunächst in die eigene Sachprüfung ein-
treten. Das Beschwerdegericht mußte deshalb dem Antrag nicht schon nach § 485 Abs. 1 ZPO stattgeben.
b) Die Rechtsbeschwerde beanstandet jedoch mit Erfolg, daß das Beschwerdegericht den Antrag zurückgewiesen hat, weil nach seiner Auffassung in Arzthaftungssachen grundsätzlich ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO an einer vorprozessualen Beweissicherung nicht bestehe. Die Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. aa) Die ablehnende Meinung, die auch vom Beschwerdegericht vertreten wird, hält das selbständige Beweisverfahren in Arzthaftungssachen für nicht geeignet, einen Rechtsstreit zu vermeiden, wenn nicht nur das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, sondern auch die Kausalität der fehlerhaften Behandlung für die eingetretenen Gesundheitsschäden und das Ausmaß der Schäden streitig seien. Es fehle dem Gericht die Möglichkeit, den Sachverhalt den besonderen Erfordernissen des Arzthaftungsprozesses entsprechend unter weitgehender Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes aufzuklären. Einer sachgerechten Beweiserhebung müsse eine Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung durch das Gericht vorhergehen. Da der Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren die Beweisfragen vorgebe und der Gegner nur das Recht zur Stellung des Gegenantrages habe (vgl. BGH, Beschluß vom 4. November 1999 - VII ZB 19/99 - NJW 2000, 960, 961), könne von Seiten des Gerichts nicht auf eine Präzisierung der Beweisfragen hingewirkt werden (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 1420 f. = MDR 1998, 224 f.; OLG Nürnberg, MDR 1997, 501; Rehborn, MDR 1998, 16 ff.; Schinnenburg in MedR 2000, 185, 187 f. für die zahnärztliche Haftung
).
bb) Dagegen führen die Befürworter eines selbständigen Beweisverfahrens auch bei Arzthaftungsansprüchen an, daß der Wortlaut des § 485 Abs. 2ZPO eine grundsätzliche Ausklammerung der Arzthaftungssachen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift nicht zulasse. Das rechtliche Interesse als Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 485 Abs. 2 ZPO sei generell weit auszulegen (so MünchKomm/Schreiber, ZPO, 2. Aufl., § 485 Rdn. 13; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 485 Rdn. 7; Musielak/Huber, ZPO, 3. Aufl., § 485 Rdn. 13; Zöller/Herget, aaO, § 485 Rdn. 7a m.w.N.). Auch wenn sich das Ergebnis eines selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen häufig als unzureichend oder gar unerheblich erweise, sei das Risiko, daß das Gutachten auf einer ungesicherten tatsächlichen Grundlage erstattet werde, vom Antragsteller zu tragen und über die Kostenfolge des § 96 ZPO zu regeln. Dem Patienten stehe zwar auch das außergerichtliche Schlichtungsverfahren vor den Gutachter- und Schlichtungsstellen der Ärztekammern zur Verfügung. Daraus dürfe aber nicht gefolgert werden, daß dieses den Vorrang habe und das selbständige Beweisverfahren verdränge (vgl. OLG Koblenz, MDR 2002, 352 f.; OLG Saarbrücken, VersR 2000, 891 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2000, 3438 f.; OLG Karlsruhe, VersR 1999, 887 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1998, 1241 f.; OLG Stuttgart, NJW 1999, 874 f.; OLG Schleswig, OLGR 2001, 279 f; Mohr in MedR 1996, 454 f.; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rdn. 232; Stegers, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, Bd. 3, 2001, 11 ff.; befürwortend für Indikationsbewertungen bei zahnprothetischen Leistungen Rinke/Balser in MedR 1999, 398 ff.). cc) Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Der Wortlaut des § 485 Abs. 2 ZPO läßt eine Ausnahme für Ansprüche aus dem Arzthaftungsrecht nicht zu. Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des Gesetzeswortlauts sind nicht gegeben. Weder die Entstehungsgeschichte des § 485 Abs. 2 ZPO noch sein Sinn und Zweck oder der Gesamtzusammenhang mit der Regelung in § 485 Abs. 1 ZPO sprechen gegen eine generelle Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens bei Arzthaftungsansprüchen.
In der Begründung des Entwurfs für das Rechtspflegevereinfachungsgesetz (BT-Drucks. 11/3621 vom 1. Dezember 1988, S. 23) heißt es: "Insbesondere, wenn der Streit der Parteien nur von der Entscheidung tatsächlicher Fragen abhängt, wird die vor- oder außergerichtliche Beweisaufnahme als zweckmäßig angesehen. U.a. für Bauprozesse (Punktesachen), Kraftfahrzeug- und Arzthaftungsprozesse wird angenommen , daß die gesonderte Begutachtung durch einen Sachverständigen häufig zu einer die Parteien zufriedenstellenden Klärung und damit eher zum Vergleich als in einen Prozeß führen würde. (...). Der Entwurf (...) schlägt vor, das bisherige Beweissicherungsverfahren zu erweitern und auf den Sicherungszweck für das schriftliche Sachverständigengutachten ganz, im Übrigen bei Zustimmung des Gegners zu verzichten. Das Verfahren der §§ 485 ff. ZPO wird als selbständiges Beweisverfahren bezeichnet." Schon diese Erwägung des Gesetzgebers legt eine Zulässigkeit des Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO nahe. Im übrigen sind dessen Ziele bei Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Sachaufklärung und zur vorprozessualen Einigung zwischen den Parteien grundsätzlich auch in Arzthaftungssachen zu erreichen. Sinn und Zweck der vorprozessualen Beweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es nämlich, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (vgl. Zöller/Herget, aaO, vor § 485 Rdnr. 2; Reichold in Thomas/Putzo, aaO, Vorbem. vor § 485 Rdnr. 2; Musielak/Huber, aaO, § 485 Rdnr. 2). Der Senat verkennt nicht, daß sich das selbständige Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, um die es regelmäßig in Arzthaftungsverfahren geht, darauf beschränkt, den Zustand
dieser Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und die Wege zur Beseitigung des Schadens festzustellen (§ 485 Abs. 2 ZPO). Deshalb ist es zwar richtig, daß sich mit den möglichen tatsächlichen Feststellungen ein Arzthaftpflichtprozeß häufig nicht entscheiden lassen wird, weil damit noch nicht die rechtlichen Fragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden geklärt sind. In der Rechtspraxis wird sich jedoch bei Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe nicht selten erkennen lassen, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist. Deshalb kann die vorprozessuale Klärung eines Gesundheitsschadens und seiner Gründe durchaus prozeßökonomisch sein. Hiergegen spricht auch nicht zwingend, daß dem Gutachten unter Umständen ein geringer Beweiswert zukommen kann, weil der Antragsteller ohne Hilfe durch das Gericht die Beweisfragen vorgibt oder wesentliche Unterlagen fehlen, zumal der Antragsteller in der Regel anwaltlich vertreten sein wird. Im übrigen hat das Gericht auch in einem solchen Verfahren eigene Möglichkeiten den Sachverhalt weiter aufzuklären und zu versuchen, die Parteien zu einer vergleichsweisen Einigung zu führen oder den Patienten zu veranlassen, von der Weiterverfolgung der Ansprüche abzusehen. Es kann hierzu den Sachverständigen zur Anhörung laden, zur Ergänzung des Gutachtens auffordern, ein weiteres Gutachten einholen oder die Parteien zur Erörterung laden (§§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3, § 412 Abs. 1 ZPO; § 492 Abs. 3 ZPO). Insofern stellt sich die Rechtslage nicht anders dar als beim Verfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO. Auch dort ist das Gericht an die Formulierung der Beweisfragen durch den Antragsteller gebunden (vgl. Musielak/Huber, aaO, Rdn. 7; Zöller/Herget, aaO, § 485 Rdn. 4). 3. Kann hiernach ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO auch bei Arzthaf-
tungsansprüchen nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalles verneint werden, wird das Beschwerdegericht zu prüfen haben, ob im vorliegenden Fall die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Begutachtung nach § 485 Abs. 2 ZPO gegeben sind.
Müller Diederichsen Pauge Stöhr Zoll
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Der Antragsteller begehrt im selbständigen Beweisverfahren die Begutachtung einer am 25. November 2009 im Klinikum der Antragsgegnerin gelegten PEG-Sonde und deren anschließender Belassung bis zum 15. Dezember 2009. Der Antragsteller hielt sich vom 20. November bis 15. Dezember 2009 in der Einrichtung der Antragsgegnerin zur stationären Behandlung nach einer Herzoperation und Rehabilitation auf. Nachdem er anfänglich mittels einer durch die Nase geführten Sonde ernährt und künstlich beatmet worden war, wurde ihm am 25. November 2009 eine PEG-Sonde gelegt. Nach stetiger Verschlechterung seines Zustandes wurde er am 16. Dezember 2009 in einer Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie notoperiert. Aus dem Operationsbericht ergibt sich, dass es infolge der PEG-Sonde zu einer Magenperforation gekommen war. Nach Durchführung des Schlichtungsverfahrens vor der zuständigen Landesärztekammer beantragte der Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Klärung folgender Fragen einzuholen,
- 2
- 1. ob die am 25.11.2009 von der Antragsgegnerin durch ihre Mitarbeiter vorgenommene Verlegung einer PEG-Sonde in den Körper des Antragstellers medizinisch indiziert war oder nicht, insbesondere ob Kontraindikationen beim Antragsteller vorlagen,
- 3
- 2. ob die zu 1. erwähnte Verlegung der PEG-Sonde objektiv fehlerhaft erfolgte ,
- 4
- bejahendenfalls:
- 5
- worin der oder die Fehler bestanden,
- 6
- 3. ob eine zu Ziffer 2 festgestellte etwaige Fehlerhaftigkeit der Sondenverlegung durch einen Behandlungsfehler der Antragsgegnerin verursacht worden ist,
- 7
- hilfsweise für den Fall fehlender Aufklärbarkeit:
- 8
- ob die Verlegung einer PEG-Sonde zur Ernährung dergestalt, dass - wie dies beim Antragsteller geschehen ist - große Mengen Sondennahrung frei in den Bauchraum gelangen, ohne das Walten eines oder mehrerer Behandlungsfehler überhaupt möglich oder denkbar ist,
- 9
- 4. ob das Verstreichen eines Zeitraums vom 25.11.2009 bis zum 25.12.2009, in dem die PEG-Sonde im Bauchraum des Antragstellers lag anstatt im Magen, ohne dass dies von der Antragsgegnerin festgestellt worden wäre, die Folge von Behandlungsfehlern ist, ob also eine unzureichende Verlaufsbeobachtung erfolgt ist,
- 10
- bejahendenfalls,
- 11
- wann der Sachverhalt hätte festgestellt werden müssen,
- 12
- 5. ob zu Ziffer 2 oder 4 festgestellte etwaige Behandlungsfehler in einer Art und Weise gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben und mit Fehlern verbunden waren, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.
- 13
- Die Antragsgegnerin ist der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens entgegengetreten und hat angekündigt, unabhängig von dessen Ausgang einen Behandlungsfehlervorwurf in keinem Fall anerkennen zu wollen.
- 14
- Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Der sofortigen Beschwerde des Antragstellers hat es nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht hat sie zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
II.
- 15
- Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
- 16
- 1. Das Oberlandesgericht hat übereinstimmend mit dem Landgericht die Durchführung einer Beweisaufnahme nach § 485 Abs. 2 ZPO abgelehnt, weil ein rechtliches Interesse an der beantragten Begutachtung nicht hinreichend dargelegt sei. Die vom Antragsteller formulierten Beweisfragen zielten weder auf die Feststellung seines Gesundheitszustandes (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch auf die Ursache eines Personenschadens (§ 485 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO), sondern auf die Feststellung der Verantwortlichkeit für die während des Aufenthalts im Klinikum der Antragsgegnerin beim Antragsteller eingetretene Magenperforation und damit auf die Feststellung eines Behandlungsfehlers ab. Ob die Ursache durch einen Fehler der behandelnden Ärzte gesetzt wurde oder diese anders hätten handeln müssen, sei als Wertung zum Verschulden von der Ursächlichkeit zu trennen. Wertungen seien ebenso wenig zu klären wie Fragen zum richtigen Verhalten der Ärzte der Antragsgegnerin, denn der medizinische Sorgfaltsmaßstab sei nicht Gegenstand der Beweiserhebung nach § 485 Abs. 2 ZPO. Erst recht gelte dies für die zu Nr. 5 des Antragsschriftsatzes gestellte Frage, ob ein Behandlungsfehler als "grob" zu bezeichnen sei. Hierbei handle es sich nämlich im Kern um eine juristische Bewertung, die zwar an vom medizinischen Sachverständigen ermittelte Tatsachen anknüpfe, jedoch nicht dem Sachverständigen überlassen werden dürfe. Die formulierten Beweisfragen und die Begründung der Antragsschrift zielten auf eine umfassende Klärung , ob und auf welche Weise der Antragsteller fehlerhaft behandelt worden sei. Das seien Fragen, die mit Feststellungen zum Zustand einer Person und der Ursache eines Personenschadens allenfalls am Rande etwas zu tun hätten und weit über das hinaus zielten, was mit einem selbständigen Beweisverfahren geklärt werden könne.
- 17
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1, 2 und 3 ZPO) und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
- 18
- Die Rechtsbeschwerde beanstandet mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht den Antrag zurückgewiesen hat, weil in Arzthaftungssachen grundsätzlich ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO an einer vorprozessualen Beweissicherung hinsichtlich der Feststellung eines Behandlungsfehlers nicht bestehe. Ein rechtliches Interesse ist bereits dann nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch wenn möglicherweise eine abschließende Klärung durch das einzuholende Sachverständigengutachten nicht möglich ist und weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2003 - VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302 ff.). Diese Voraussetzung liegt hier vor.
- 19
- a) Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend ein rechtliches Interesse des Antragstellers nicht schon deshalb verneint, weil die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung auf die Antragsschrift bereits angekündigt hat, sie werde unabhängig vom Ergebnis der Begutachtung in einem Beweisverfahren ihre Einstandspflicht in keinem Fall anerkennen. Ungeachtet dessen bleibt das rechtliche Interesse bestehen, wenn die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Übrigen vorliegen. Dass die Behandlungsseite ihren Rechtsstandpunkt nicht ändert, ist ein Risiko, das der Antragsteller, ebenso wie die Kostenfolge des § 96 ZPO, trägt.
- 20
- b) Dass die Feststellung der für dieMagenperforation und deren Folgen maßgeblichen Gründe ergeben kann, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist, hindert - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - jedoch nicht die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens. Sinn und Zweck der vorprozessualen Beweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Januar 2003 - VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302, 307 mwN). Die vorprozessuale Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für den Gesundheitsschaden des Antragstellers kann durchaus prozessökonomisch sein. Offensichtlich strebt der Antragsteller die Klärung an, um dann zu entscheiden, ob er Ansprüche weiterverfolgt oder davon absieht. Mithin hat er die Streitvermeidung im Auge.
- 21
- Dem läuft nicht entgegen, dass sich mit den möglichen tatsächlichen Feststellungen der Arzthaftpflichtprozess unter Umständen nicht entscheiden lassen wird, weil damit noch nicht die rechtlichen Fragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden geklärt sind. Obwohl für die Haftung des Arztes eine Abweichung von dem gebotenen medizinischen Standard nicht genügt, wird in der Rechtspraxis bei Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe nicht selten erkennbar, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist. Deshalb kann die vorprozessuale Klärung des Gesundheitsschadens und seiner Gründe durchaus prozessökonomisch sein. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Frage, ob der Fehler von den behandelnden Ärzten schuldhaft begangen worden ist, aufgrund einer tatrichterlichen Bewertung zu beantworten ist. Die Beurteilung des ärztlichen Verschuldens ist wegen des im Zivilrecht maßgebenden objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs mit der Feststellung eines Behandlungsfehlers streng verbunden. Stellt sich eine Behandlungsentscheidung als Verstoß gegen den medizinischen Standard dar, fällt dem behandelnden Arzt regelmäßig auch ein objektiver Sorgfaltsverstoß zur Last.
- 22
- Auch die in Nr. 5 des Antragsschriftsatzes formulierte Frage, ob aufgrund der vorausgehenden Fragen festgestellte etwaige Behandlungsfehler in einer Art und Weise gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben und mit Fehlern verbunden waren, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und ihrer Art nach einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dür- fen, ist im selbständigen Beweisverfahren nicht ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei der vom Tatrichter vorzunehmenden Bewertung einer medizinischen Behandlung als grob fehlerhaft um eine juristische Beurteilung. Jedoch bedarf diese einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage in den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen (vgl. Senat, Urteil vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01, VersR 2002, 1026, 1027). Sie muss in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können. Es ist dem Tatrichter nicht gestattet, ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen einen groben Behandlungsfehler auf Grund eigener Wertung zu bejahen (vgl. Senat, Urteil vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01, aaO, 1027 f., mwN). Werden die für den Gesundheitsschaden des Antragstellers maßgeblichen Gründe festgestellt, wird aufgrund der Beurteilung des Behandlungsgeschehens durch den medizinischen Sachverständigen nicht auszuschließen sein, dass auch erkannt wird, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist. Wäre in der Einrichtung der Antragsgegnerin ein Fehler begangen worden, der nach der Bewertung des ärztlichen Sachverständigen aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erschiene, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfte, käme, obwohl Fragen der Beweislastverteilung nicht im selbständigen Beweisverfahren zu klären sind, die Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Gesundheitsschaden des Antragstellers und dem im Raum stehenden Fehler bei der Verlegung der PEG-Sonde in Betracht. Diese wirkt sich regelmäßig maßgeblich auf den Ausgang eines Prozesses aus und vermag dadurch die Entscheidung zur Klageerhebung zu beeinflussen.
- 23
- 3. Die Entscheidungen beider Vorinstanzen können danach keinen Bestand haben. Der Senat macht von der ihm durch § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO ein- geräumten Befugnis, in der Sache zu entscheiden, insoweit Gebrauch, als er die Anordnung trifft, dass die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen ist. Die weiteren erforderlichen Maßnahmen werden gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Landgericht als dem Gericht des ersten Rechtszugs übertragen. Galke Zoll Diederichsen Pauge Stöhr
LG Dresden, Entscheidung vom 01.11.2012 - 6 OH 178/12 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 18.03.2013 - 4 W 243/13 -
(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
(2) Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass
- 1.
der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, - 2.
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, - 3.
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels
(3) Soweit eine Begutachtung bereits gerichtlich angeordnet worden ist, findet eine neue Begutachtung nur statt, wenn die Voraussetzungen des § 412 erfüllt sind.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Zahnarzt Rückzahlung von Ho1 norar für eine zahnprothetische Behandlung. Die damals 75 Jahre alte, privat versicherte Klägerin ließ sich zwischen- 2
- Dezember 2003 und Juni 2004 bei dem Beklagten für den Oberkiefer und drei Zähne im Unterkiefer vollkeramische Brücken und Kronen gegen ein Pauschalhonorar in Höhe von 12.000 € erstellen. Hierbei war auch eine Korrektur der Bisshöhe vorgesehen. Am 4. Juni 2004 wurden die definitiven Kronen und Brücken provisorisch eingesetzt. Am 21. Juni 2004 fand noch ein Gespräch zwischen den Parteien statt, in dem die Klägerin Unzufriedenheit äußerte, die sie in einem Schreiben vom 29. Juni 2004 wiederholte und mitteilte, dass sie sich für eine anderweitige Neuherstellung entschieden habe. Gleichzeitig zahlte sie den noch offenen Restbetrag auf das vereinbarte Honorar. Die Brücken und Kronen ließ sie durch einen anderen Zahnarzt neu erstellen, wofür sie einen Eigenanteil in Höhe von 8.420,64 € aufwendete.
- 3
- Die Vorinstanzen haben die auf Rückerstattung der gezahlten 12.000 €, hilfsweise auf Ersatz des Eigenanteils für die Neuherstellung des Zahnersatzes gerichtete Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt, Urteil vom 22. April 2010 - 22 U 153/08, veröffentlicht in juris) hat offen gelassen, ob Behandlungsfehler vorlagen. Denn die Klägerin könne auch in diesem Fall unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt das vereinbarte Honorar zurückverlangen oder Ersatz des an den nachbehandelnden Zahnarzt gezahlten Eigenanteils beanspruchen. Bereicherungsansprüche stünden der Klägerin nicht zu, weil sie das Honorar zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem zahnärztlichen Dienstvertrag gezahlt habe, der als Rechtsgrund für die Leistung auch dann fortbestehe, wenn die Behandlung fehlerhaft gewesen sei. Da der Arzt nicht für den Erfolg seiner Bemühungen einstehen wolle, fehle auch eine Zweckabrede, wie sie der Bereicherungsanspruch wegen Nichteintritts eines bezweckten Erfolges voraussetze. Eine fehlerhafte Behandlung lasse den Honoraranspruch auch nicht im Wege der unzulässigen Rechtsausübung entfallen. Ob besonders grobe, vorsätzliche und strafbare Pflichtverletzungen zu einer Verwirkung des Honoraranspruchs führen könnten, sei im Einzelfall zu beurteilen. Solche Umstände lägen jedoch nicht vor. Eine Rückgewähr habe auch nicht nach Rücktrittsrecht gemäß § 628 Abs. 1 Satz 3, § 346 BGB zu erfolgen. Zum einen seien diese Bestimmungen auf die teilweise Nichterfüllung der Dienstverpflichtung zugeschnitten, nicht aber auf ihre Schlechterfüllung. Zum anderen sei eine Streichung oder Kürzung des zahn- ärztlichen Honorars nicht als sachgerechte Reaktion auf den Nichteintritt des Erfolges einer zahnprothetischen Maßnahme anzusehen. Jedenfalls aber habe die Klägerin nicht während laufender Behandlung gekündigt, sondern die Behandlung als abgeschlossen angesehen. Und selbst wenn man von einer Kündigung ausgehe, sei sie nicht durch ein vertragswidriges Verhalten des Beklagten veranlasst, weil es hierfür eines schwerwiegenden schuldhaften Vertragsverstoßes im Sinne des § 626 BGB bedurft habe, der nicht vorliege. Die Klägerin könne das Honorar auch nicht im Wege des Schadensersatzes zurückverlangen. Das gezahlte Honorar stelle keinen im Rahmen der §§ 280 ff. BGB zu erstattenden Schaden dar, da es auch ohne den Behandlungsfehler habe gezahlt werden müssen. Es könne auch nicht als frustrierte Aufwendung angesehen werden, weil es kein freiwilliges Vermögensopfer sei, sondern der Erfüllung einer Vertragsschuld gedient habe. Ebenso wenig könne die Klägerin den Eigenanteil für die Nachbehandlung als Schadensersatz statt der Leistung ersetzt verlangen, weil sie die hierfür erforderliche Nachfrist nicht gesetzt habe, obwohl die Mängel behebbar und ihr die Fortsetzung der Behandlung zumutbar gewesen sei. Aus diesem Grund könne sie einen Erstattungsanspruch auch nicht darauf stützen, dass der Beklagte seinerseits Mängelbeseitigungskosten erspart habe (§§ 346, 326 Abs. 4, Abs. 2 Satz 2 BGB).
II.
- 5
- Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 6
- 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ein Anspruch der Klägerin auf Rück- zahlung von Honorar aus § 628 Abs. 1 Satz 3 BGB aus Rechtsgründen nicht verneint werden.
- 7
- a) Im Ausgangspunkt geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Vertrag über die Sanierung des Gebisses der Klägerin insgesamt als Dienstvertrag über Dienste höherer Art anzusehen ist. Der Zahnarzt verspricht nämlich regelmäßig nur eine den allgemeinen Grundsätzen der zahnärztlichen Wissenschaft entsprechende Behandlung, nicht aber ihr - immer auch von der körperlichen und seelischen Verfassung des Patienten abhängiges - Gelingen (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1974 - VII ZR 182/73, BGHZ 63, 305; Rechtsprechungsübersichten : Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 404 ff.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., A Rn. 4). Zwar ist im Rahmen dieses Vertrages auch eine technische Anfertigung des Zahnersatzes geschuldet, für die der Beklagte wegen ihres werkvertraglichen Charakters nach werkvertraglichen Gewährleistungsvorschriften einzustehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1974 - VII ZR 182/73, aaO). Da die Klägerin jedoch die Bisshöhe, eine fehlende Okklusion und die Größe der neu gestalteten Zähne und damit Defizite in der spezifisch zahnärztlichen Planung und Gestaltung der neuen Versorgung rügt, ist jener Bereich nicht betroffen.
- 8
- b) Diesen Dienstvertrag über Dienste höherer Art konnte die Klägerin gemäß § 627 BGB jederzeit auch ohne Gründe kündigen und hat dies mit Schreiben vom 29. Juni 2004 getan. Bei einem Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 BGB ist, ist nach § 627 Abs. 1 BGB die Kündigung auch ohne die in § 626 BGB bezeichnete Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten hat, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Dies ist bei einem Arzt regelmäßig der Fall.
- 9
- Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, der Vertrag sei bereits beendet und daher nicht mehr kündbar gewesen. Diese Beurteilung steht - wie die Revision mit Recht geltend macht - in Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Im angefochtenen Urteil ist durch Verweis auf die Ausführungen des Landgerichts und die Sachverhaltsdarstellung im Sachverständigengutachten festgestellt, dass die definitiven Kronen und Brücken nur provisorisch eingesetzt waren. Unter diesen Umständen konnte die Mitteilung der Klägerin im Schreiben vom 29. Juni 2004, sie wolle das restliche Honorar überweisen und die Neufertigung anderweitig durchführen lassen, nur als Kündigung des Dienstverhältnis mit dem Beklagten angesehen werden. Da diesbezüglich weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann das Revisionsgericht die entsprechende Willenserklärung insoweit selbst auslegen (Senatsurteil vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 159/09, WM 2010, 2163 Rn. 21; MünchKommZPO /Wenzel, 3. Aufl., § 546 Rn. 10).
- 10
- c) Gemäß § 628 Abs. 1 Satz 3 BGB hat der Dienstverpflichtete eine im Voraus für einen späteren, nach der Kündigung liegenden Zeitpunkt entrichtete Vergütung zurückzuerstatten. Die Bestimmung geht von ihrem Wortlaut her davon aus, dass die Vorausvergütung für nicht mehr erbrachte Dienstleistungen im Zeitpunkt der Kündigung bereits entrichtet ist und nicht erst danach entrichtet wird. Im Streitfall ist nicht festgestellt, dass die angekündigte Zahlung des Resthonorars vor Zugang des Kündigungsschreibens erfolgt ist. Der Punkt kann jedoch offen bleiben. Denn die Bestimmung des § 628 Abs. 1 Satz 3 BGB soll eine Rückabwicklung von Leistungen des Dienstberechtigten, denen keine Dienstleistungen des Dienstverpflichteten gegenüber stehen, gewährleisten, die der dienstvertraglichen Sonderbeziehung zwischen den Parteien angemessen ist. Sie ist deshalb jedenfalls dann entsprechend anzuwenden, wenn es - wie im Streitfall - bei der fraglichen Vergütung um ein kaum sachgerecht aufteilbares Pauschalhonorar für eine zahnärztliche Behandlung geht und anteilige Leistun- gen wie die endgültige Eingliederung des Zahnersatzes infolge der Kündigung nicht mehr erbracht werden.
- 11
- d) § 628 Abs. 1 Satz 3 BGB enthält nicht nur eine angemessene Bestimmung für überzahlte Gegenleistungen für nicht mehr erbrachte, sondern auch für erbrachte Dienste, die jedoch gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht entlohnt werden müssen. Trägt der Dienstverpflichtete für die vorzeitige Beendigung des Vertrages die Verantwortung, ist es nicht gerechtfertigt, ihn in den Genuss etwa der Entreicherungseinrede kommen zu lassen. Die Vorschrift ist daher auch auf diese, den Vorleistungen vergleichbaren Leistungen entsprechend anzuwenden (vgl. RGRK/Corts, BGB, 12. Aufl., § 628 Rn. 16; Henssler/ Deckenbrock, NJW 2005, 1, 5; vertraglicher Anspruch: Kramer, MDR 1998, 324, 331; vgl. auch § 326 Abs. 4, § 441 Abs. 4, § 638 Abs. 4 BGB; a.A. im Sinne eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs: Erman/Belling, BGB § 628 Rn. 13; OLG Oldenburg NJW-RR 1996, 1267).
- 12
- e) Nach § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB steht dem Dienstverpflichteten, wenn er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Dienstberechtigten veranlasst hat, kein Vergütungsanspruch zu, soweit seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den Dienstberechtigten kein Interesse mehr haben. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft den Dienstberechtigten , weil er sich gegenüber der grundsätzlichen Vergütungspflicht des § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB auf eine Ausnahme beruft (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 37/96, NJW 1997, 188, 189).
- 13
- (1) Ein vertragswidriges Verhalten im Sinne dieser Vorschrift setzt, obwohl nach dem Wortlaut ein objektiv vertragswidriges Verhalten genügen würde , schuldhaftes Verhalten im Sinne der §§ 276, 278 BGB voraus (Protokolle II S. 306; BGH, Urteile vom 8. Oktober 1981 - III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438; vom 30. März 1995 - IX ZR 182/94, NJW 1995, 1954, 1955 mwN; Bamberger /Roth/Fuchs, BGB, 2. Aufl., § 628 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Henssler, 5. Aufl., § 628 Rn. 16; Prütting/Wegen/Weinreich/Lingemann, BGB, 3. Aufl., § 628 Rn. 3; Staudinger/Preis (2002) § 628 Rn. 25; RGRK/Corts, BGB, 12. Aufl., § 628 Rn. 11; Larenz, Schuldrecht II, 12. Aufl., § 52 III e; Schellenberg , VersR 2007, 1343, 1346).
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- (a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist es nicht erforderlich, dass das vertragswidrige Verhalten als schwerwiegend (so aber: Palandt /Weidenkaff, BGB, 69. Aufl., § 628 Rn. 4) oder als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB anzusehen ist (so aber: OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 137; Weth in: jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2008, § 628 Rn. 15; Canaris, Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, S. 177, 182; Henssler /Deckenbrock, NJW 2005, 1, 2; MünchKomm-BGB/Henssler, aaO Rn. 17; Schellenberg, VersR 2007, 1343, 1346; a.A. Erman/Belling, BGB, 12. Aufl. § 628 Rn. 9; Staudinger/Preis, aaO). Eine solche Beschränkung auf vertragswidriges Verhalten, das dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar macht, ist für Kündigungen eines ärztlichen Behandlungsvertrages, der im Regelfall durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt wird, nicht gerechtfertigt. Entsprechende Einschränkungen ergeben sich weder aus dem Wortlaut des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB noch aus seiner Entstehungsgeschichte (vgl. Protokolle II S. 301 ff.).
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- (b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass jeder geringfügige Vertragsverstoß des Dienstverpflichteten den Entgeltanspruch entfallen lässt. Das Recht zur fristlosen Kündigung eines Dienstvertrages ersetzt ein Rücktrittsrecht (BGH, Urteil vom 19. Februar 2002 - X ZR 166/99, NJW 2002, 1870; Canaris, FS Karsten Schmidt (70. Geburtstag S. 177, 181; Palandt/Weidenkaff, aaO, Vorb. v. § 620 Rn. 8), das im Falle einer Schlechtleistung bei einer unerheblichen Pflichtverletzung ausgeschlossen ist (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB). Für die Vergütung gekündigter Dienste höherer Art (§§ 627, 628 BGB) ist eine entsprechende Einschränkung vorzunehmen. Sie ergibt sich aus dem § 242 BGB zu entnehmenden Übermaßverbot, wonach bestimmte schwerwiegende Rechtsfolgen bei geringfügigen Vertragsverletzungen nicht eintreten (BGH, Urteile vom 8. Juli 1983 - V ZR 53/82, BGHZ 88, 91, 95; vom 3. Oktober 1984 - VIII ZR 118/83, NJW 1985, 1894, 1895; vom 15. Februar 1985 - V ZR 131/83, WM 85, 876, 877; Jauernig/Mansel, BGB, 13. Aufl., § 242 Rn. 40; MünchKomm-BGB/Roth, 5. Aufl., § 242 Rn. 376 ff., 380 ff.).
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- (c) Nach diesen Grundsätzen rügt die Revision mit Recht, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Beklagte durch ein schuldhaftes und nicht nur geringfügiges vertragswidriges Verhalten die Kündigung der Klägerin veranlasst hat. Abzustellen ist dabei auf das Verhalten, auf das die Kündigung gestützt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 - IX ZR 182/94, NJW 1995, 1288, 1289 Rn. 12; Erman/Belling, aaO, § 628, Rn. 9; Prütting/Wegen/Weinreich/Lingemann, aaO, § 628, Rn. 3; Staudinger/ Preis, aaO § 628 Rn. 25). Im Streitfall hat die Klägerin ihre Kündigung auf vermeintliche Behandlungsfehler des Beklagten gestützt.
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- Das Berufungsgericht hat insoweit offen gelassen, ob ein schuldhafter Behandlungsfehler vorlag. Deshalb ist revisionsrechtlich das entsprechende Vorbringen der Klägerin zu unterstellen. Danach soll der Beklagte Zähne der Klägerin über das nach dem zahnärztlichen Standard angemessene Maß hinaus beschliffen haben. Ferner hat die Klägerin die Form der Frontzähne beanstandet. Die Frontzahnstümpfe seien palatinal nicht ausreichend beschliffen worden mit der Folge, dass deren Schaufelform nicht genügend in der Präpara- tion nachgezogen gewesen sei. Auch insoweit kommt ein Behandlungsfehler in Betracht.
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- (2) Das Interesse der Klägerin an der Leistung des Beklagten ist allerdings nur weggefallen, soweit die Klägerin die Arbeiten des Beklagten nicht mehr wirtschaftlich verwerten konnte, sie also für sie nutzlos geworden waren (BGH, Urteil vom 7. Juni 1984 - III ZR 37/83, NJW 1985, 41; BGH, Urteil vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 37/96, NJW 1997, 188, 189). Es genügt demnach zum einen nicht, dass die Leistung objektiv wertlos ist, wenn der Dienstberechtigte sie gleichwohl nutzt (OLG Naumburg, NJW-RR 2008, 1056, 1057), zum anderen aber auch nicht, dass der Dienstberechtigte sie nicht nutzt, obwohl er sie wirtschaftlich verwerten könnte. Das Berufungsgericht wird daher Feststellungen zu treffen haben, ob und ggf. inwieweit die Leistungen des Beklagten ohne Interesse für die Klägerin waren bzw. ein Nachbehandler auf Leistungen des Klägers hätte aufbauen oder durch eine Nachbesserung des gefertigten Zahnersatzes Arbeit gegenüber einer Neuherstellung hätte ersparen können.
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- 2. Soweit das Berufungsgericht danach ggf. den von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf Ersatz von Nachbehandlungskosten zu prüfen hat, wird es Gelegenheit haben, das entsprechende Vorbringen der Revision zu berücksichtigen.
Stöhr von Pentz
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 01.04.2008 - 8 O 164/05 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 22.04.2010 - 22 U 153/08 -
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.