Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 19. Juni 2015 - 32 SA 25/15
Tenor
Zum zuständigen Gericht bestimmt wird das Landgericht Hagen.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz aus zahnärztlicher Behandlung in Anspruch. Er wirft dem Beklagten zu 1) vor, eine nicht geeignete Oberkieferprothese veranlasst, nicht rechtzeitig auf die Anfertigung einer neuen Prothese hingewirkt sowie den vorliegenden Bruxismus des Klägers nicht berücksichtigt zu haben. Der Beklagte zu 2) habe drei Implantate fehlerhaft eingesetzt. Beide Beklagten hätten überdies nicht beachtet, dass die durch den Beklagten zu 2) eingesetzten Implantate nicht ausreichten, um die Oberkieferprothese hinreichend zu fixieren.
4Der Kläger hat seinen Wohnsitz in H. Der Beklagte zu 1) hat seinen Praxissitz in T, der Beklagte zu 2) in S.
5Der Kläger, der Klage gegen die Beklagten vor dem Landgericht Hagen erhoben hat, beantragt die gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts.
6II.
71. Das OLG Hamm ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO zu der Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, da das nächsthöhere Gericht der in Betracht kommenden Gerichtsstände der BGH ist und das im Bezirk des OLG Hamm liegende LG Hagen zunächst mit der Sache befasst war.
82. Die Voraussetzungen einer gerichtlichen Bestimmung des Gerichtsstands gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
9a) Auch wenn § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem Wortlaut nach vom Regelfall einer Zuständigkeitsbestimmung vor Anhängigkeit des Rechtsstreits ausgeht, kann eine Gerichtsstandbestimmung auch nach Klageerhebung vorgenommen werden (allg. Ansicht, vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Auflage 2014, § 36 ZPO, Rn. 16; BeckOK ZPO/Toussaint, § 36 ZPO Rn. 19, jeweils m.w.N.). Der Prozesstand, aufgrund dessen bei fortgeschrittenen Verfahren eine Gerichtsstandbestimmung abzulehnen sein kann (dazu BeckOK ZPO/Toussaint, § 36 ZPO Rn. 21), steht der Zuständigkeitsbestimmung nicht entgegen. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts ist noch zweckdienlich, da bislang lediglich durch die Beklagten auf die Klage erwidert worden ist.
10b) Die Beklagten sollen jedenfalls als einfache Streitgenossen gem. den §§ 59, 60 ZPO, nämlich als für eine - jedenfalls in Teilen in Abstimmung untereinander - durchgeführte ärztliche Behandlung als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden.
11c) Die Beklagten haben keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand. Es besteht auch kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand.
12aa) Der Sitz der Praxis, der gem. § 21 ZPO einen Gerichtsstand begründet, liegt für den Beklagten zu 1) in T im Bezirk des LG Hagen, für den Beklagten zu 2) in S im Landgerichtsbezirk Wuppertal.
13bb) Es ist auch kein gemeinsamer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem. § 32 ZPO begründet.
14Für die Begründung des Gerichtsstands nach § 32 ZPO maßgeblich ist jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 32 ZPO Rn. 16 m.w.N). Das ist nach ständiger Rechtsprechung bei Begehungsdelikten sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat, als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort) (z.B. BGH, VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059, Rn. 7; BGH, VI ZR 122/09, NJW-RR 2010, 1554, Rn. 10). Erfolgsort ist dabei derjenige Ort, an dem die Verletzung des primär geschützten Rechtsguts eintritt. Dabei umfasst der Erfolgsort nicht jeden Ort, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar werden, der bereits einen - tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen - Schaden verursacht hat (vgl. BGH, VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342-347 [juris Rn. 16] zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ). Bloße Auswirkungen einer bereits an einem anderem Ort vollendeten Körperverletzung am Wohnort des Verletzten genügen damit auch im Bereich des Arzthaftungsrechts für die Begründung eines Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nicht (OLG Köln, 5 U 238/07, NJW-RR 2009, 569; anders wohl OLG Saarbrücken, 5 W 256/07, BeckRS 2008, 01343).
15Nach dem Vortrag des Antragstellers ist nicht sicher feststellbar, dass Erfolgsort für die Behandlungen auch des Beklagten zu 2) der Wohnsitz des Antragstellers ist. Denn die maßgeblichen, nach dem Vortrag des Klägers nicht indizierten und fehlerhaft ausgeführten, Operationen sowohl zum Einsatz der Implantate als auch zu deren späterer Freilegung und zur Unterfütterung der Prothese führten jeweils unmittelbar zu einer Gesundheitsbeschädigung des Klägers im Sinne einer Primärverletzung. Die Lockerung der Implantate, der unzureichende Sitz der durch den Beklagten zu 1) angefertigten Prothese oder die behaupteten Folgeerkrankungen Bandscheibenvorfall und Tinnitus sowie vermeidbare Schmerzen, waren lediglich weitere – sekundäre – Schadensfolgen der vollendeten fehlerhaften Behandlung in der Praxis des Beklagten zu 2).
164. Zu bestimmen war das Landgericht Hagen.
17Die Bestimmung des zuständigen Gerichts folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf der Grundlage von Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Sachdienlichkeit. Zu bestimmen war danach das Landgericht Hagen, das zuständiges Gericht für den Beklagten zu 1) ist, bei dem der Schwerpunkt der Behandlung lag, und in dessen Bezirk auch der Wohnsitz des Klägers liegt.
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(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; - 3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; - 4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; - 5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.
Mehrere Personen können als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn sie hinsichtlich des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder wenn sie aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind.
Mehrere Personen können auch dann als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.
(1) Hat jemand zum Betrieb einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, so können gegen ihn alle Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, wo die Niederlassung sich befindet.
(2) Der Gerichtsstand der Niederlassung ist auch für Klagen gegen Personen begründet, die ein mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigentümer, Nutznießer oder Pächter bewirtschaften, soweit diese Klagen die auf die Bewirtschaftung des Gutes sich beziehenden Rechtsverhältnisse betreffen.
Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Arzthaftungsklage.
- 2
- Der in Deutschland wohnhafte Kläger begab sich am 27. Juli 2004 in ein Kantonsspital in der Schweiz. Der beklagte Arzt diagnostizierte eine chronische Hepatitiserkrankung und empfahl eine Therapie mit zwei Medikamenten. Diese sollte sich der Kläger für sechs Monate bei wöchentlichen Kontrollen seines Hausarztes selbst verabreichen, davon eines durch Injektion mit einer Spritze, was im Rahmen einer Einweisung am 30. Juli 2004 auch einmalig im Kantonsspital geschah. Ende November 2004 brach der Kläger die Therapie ab.
- 3
- Er behauptet, die Einnahme der Medikamente habe zu schweren Nebenwirkungen geführt, über die er vom Beklagten nicht aufgeklärt worden sei, und verlangt deshalb - gestützt auf § 823 BGB - Schmerzensgeld und Schadensersatz.
- 4
- Das Landgericht hat in einem Zwischenurteil seine internationale Zuständigkeit bejaht. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) zugelassenen Revision macht er weiterhin die Unzuständigkeit deutscher Gerichte geltend.
Entscheidungsgründe:
I.
- 5
- Das Berufungsgericht (OLGR Karlsruhe 2007, 453) meint, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich aus Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens. Der Erfolgsort liege in Deutschland, weil dort in das geschützte Rechtsgut, nämlich Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, eingegriffen worden sei, denn die Medikamenteneinnahme sei planmäßig über einen längeren Zeitraum am Wohnsitz des Klägers erfolgt. Die Klage knüpfe nicht an einen Vertrag an, da die schädigende Einnahme der Medikamente ohne Aufklärung eine Körperverletzung darstelle. Art. 5 Nr. 3 sei auch dann anwendbar, wenn deliktische Ansprüche mit vertraglichen konkurrierten, und werde nicht von Art. 5 Nr. 1 verdrängt.
II.
- 6
- Die Revision hat keinen Erfolg. Die deutschen Gerichte sind international zuständig gemäß Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988 (BGBl 1994 II 2658 ff., 3772; künftig: LugÜ), weil mit dem Rechtsstreit Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht werden.
- 7
- Das LugÜ ist in der Bundesrepublik Deutschland als dem Wohnsitzstaat des Klägers am 1. März 1995 und in der Schweiz als dem Wohnsitzstaat des Beklagten am 1. Januar 1992 in Kraft getreten (BGBl 1995 II 221). Es findet im Streitfall gemäß Art. 54 b Abs. 2 a, 1. Fall LugÜ Anwendung.
- 8
- Nach Art. 2 Abs. 1 LugÜ können Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, grundsätzlich nur vor den Gerichten dieses Staates verklagt werden. Die Gerichte eines anderen Vertragsstaates sind gemäß Art. 3 LugÜ international zuständig, soweit das Übereinkommen Ausnahmen regelt. Eine solche stellt Art. 5 Nr. 3 LugÜ dar, der bestimmt, dass eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden kann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.
- 9
- 1. Diese Vorschrift ist in der für den Streitfall maßgebenden Fassung des LugÜ von den deutschen Gerichten auszulegen. Eine Auslegungszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs besteht nicht (EuGH, Gutachten vom 7. Februar 2006 - C-1/03 - Slg. 2006 I, 1145, Rn. 19). Dies stellt die Revision auch nicht in Abrede.
- 10
- 2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass Gegenstand des Verfahrens eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 5 Nr. 3 LugÜ ist.
- 11
- a) Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass der Kläger seinen Anspruch auf § 823 BGB stützt. Vielmehr sind die im LugÜ verwendeten Begriffe, die nach innerstaatlichem Recht der Vertragsstaaten eine unterschiedliche Bedeutung haben können, grundsätzlich autonom auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 1997 - Rs. C-269/95 - Slg. 1997 I, 3767, Rn. 12 - Benincasa). Das gilt nach der Rechtsprechung des EuGH zum nahezu wortgleichen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ auch für den Begriff "unerlaubte Handlung", der sich nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht verstehen lässt. Indessen bezieht sich hiernach der Begriff der unerlaubten Handlung auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen "Vertrag" im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anknüpfen, wobei der Begriff "Vertrag" ebenfalls autonom zu verstehen ist und eine freiwillig gegenüber einer anderen Person eingegangene Verpflichtung meint (EuGH, Urteile vom 17. September 2002 - Rs. C-334/00 - Slg. 2002 I, 7357, Rn. 19 ff. - Tacconi; vom 20. Januar 2005 - Rs. C-27/02 - Slg. 2005 I, 481, Rn. 29 - Engler). Zuständigkeitsbegründende Tatsachen muss grundsätzlich der Kläger beibringen und jedenfalls schlüssig behaupten (EuGH, Urteil vom 3. Juli 1997 - Rs. C-269/95 - aaO, Rn. 29 f.).
- 12
- b) Das ist im Streitfall geschehen. Der Kläger macht eine Schadenshaftung geltend, denn er verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Körperschadens, den er durch die ärztliche Behandlung des Beklagten erlitten habe, weil die von diesem verordneten Medikamente zu starken Nebenwirkungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Seine Klage knüpft schon deshalb nicht an einen Vertrag an, weil er nicht vorträgt, ob er einen Vertrag abgeschlossen hat und gegebenenfalls mit wem. Seine Klage knüpft vielmehr an eine unerlaubte Handlung an, weil er dem Beklagten eine Körperverletzung vorwirft (vgl. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214). Dabei moniert er eine unzureichende ärztliche Aufklärung, also den Verstoß gegen eine Pflicht, die eine ärztliche Berufspflicht darstellt und entgegen der Auffassung der Revision nicht "immer auf vertraglicher Grundlage" besteht (vgl. Senatsurteile BGHZ 162, 320, 323 f.; 172, 1 ff. = VersR 2007, 995, 998; vom 10. Juli 1954 - VI ZR 45/54 - NJW 1956, 1106, 1107 und vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - VersR 2007, 999 f.).
- 13
- c) Die Revision erkennt selbst, dass sich die Klage nicht auf Vertrag stützt, meint aber, allein die bestehende Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz begründe den Vorrang des Vertragsgerichtsstandes, auch wenn die Klage ausschließlich auf Delikt gestützt werde. Diese Auffassung findet indes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Stütze (vgl. EuGH, Urteile vom 27. September 1988, Rs. 189/87 - Slg. 1988, 5565, Rn. 19 f. Kalfelis; vom 27. Oktober 1998, Rs. C-51/97 - Slg. 1998 I, 6511 ff. - Reunion; vom 17. September 2002, Rs. C-334/00 - aaO - Tacconi und vom 20. Januar 2005, Rs. C-27/02 - Slg. 2005 I, 481 - Engler). Soweit die Revision aus den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rechtssache Kalfelis (Rs. 189/87 - Slg. 1988, 5565, 5573; zustimmend Lohse, aaO, S. 25 ff.; ähnlich OLG München WM 1989, 602, 606) Gegenteiliges folgern will, kann dem nicht gefolgt werden. Der Europäische Gerichtshof hat nicht in diesem Sinn entschieden, sondern den Deliktsgerichtsstand auch dann für gegeben erachtet, wenn konkurrierende vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden. Das muss erst recht gelten, wenn die Klage - wie im Streitfall - ausschließlich auf deliktische Ansprüche ge- stützt ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 - IX ZR 366/03 - NJWRR 2005, 581, 584 m.w.N.).
- 14
- Die Revision sieht auch selbst, dass der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Kalfelis von der Möglichkeit einer Zuständigkeitsspaltung für Ansprüche vertraglicher und außervertraglicher Art ausgegangen ist. Soweit sie gleichwohl meint, dass hierdurch im Falle der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz nur eine Annexkompetenz für vertragliche Ansprüche im Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 LugÜ verneint, aber nicht ausdrücklich zur Frage Stellung genommen werde, ob Art. 5 Nr. 3 von Art. 5 Nr. 1 LugÜ verdrängt werde, kann dem nicht gefolgt werden.
- 15
- 3. "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" im Sinne von Art. 5 Nr. 3 LugÜ ist vorliegend der Wohnort des Klägers.
- 16
- a) Insoweit besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni 2004 - Rs. C-168/02 - Slg. 2004 I, 6009, Rn. 16 - Kronhofer), doch kommt im Streitfall nur der Erfolgsort in Betracht. Erfolgsort ist derjenige Ort, an dem die Verletzung des primär geschützten Rechtsguts eintritt. Allerdings erfasst er nicht jeden Ort, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar werden, der bereits einen - tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen - Schaden verursacht hat.
- 17
- b) Bei einer Medikamententherapie, die in der Schweiz verordnet und über die dort angeblich fehlerhaft aufgeklärt wurde, liegt der Erfolgsort in Deutschland, wenn das Medikament - wie zwischen Arzt und Patient besprochen - dort eingenommen wurde und die Nebenwirkungen dort auftraten (vgl. Uhl, Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler und Lugano -Übereinkommens, S. 217 ff.; Sänger, Der Internist 1998, M 221, M 222; Schlosser, RIW 1988, 987, 989; ähnlich für Diagnosefehler Bäune, Zeitschrift für Orthopädie 2005, 12 ff.).
- 18
- Der Auffassung der Revision, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht sei Erfolgsort nicht der Ort, an dem die Gesundheitsschäden eingetreten sind, sondern der Ort, an dem der Patient sich befand, als die Aufklärungspflicht verletzt wurde, überzeugt nicht. Die Revision will sich darauf stützen, dass die "Primärverletzung" in einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht bzw. die Entscheidungsfreiheit des Patienten zu sehen sei. Dabei verkennt sie jedoch, dass Art. 5 Nr. 3 LugÜ als Erfolgsort denjenigen Ort ansieht, an dem der Schaden (erstmals) eingetreten ist. Insoweit räumt auch die Revision ein, dass ein die Haftung auslösender Schaden bei einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht erst dann eintritt, wenn die Behandlung zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit führt. Diese Betrachtungsweise entspricht sowohl Wortlaut und Sinn des Art. 5 Nr. 3 LugÜ als auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. nur die Senatsurteile BGHZ 162, 320, 323 f.; 172, 1 ff., aaO; vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - aaO, jeweils m.w.N.).
- 19
- Der gelegentlich vertretenen Auffassung, wonach eine ärztliche Heilbehandlung ohne rechtfertigende Einwilligung in erster Linie eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstelle und deshalb auch ohne einen vom Arzt verursachten Gesundheitsschaden zu einer Haftung führe (vgl. OLG Jena, VersR 1998, 586, 588 m.w.N.; zur Problematik vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, 4. Aufl., § 823 Rn. 662, 748, m.w.N.), vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Diese Auffassung, die eine Haftung bereits aus der bloßen Verletzung der Aufklärungspflicht herleitet, auch wenn kein Gesundheitsschaden eintritt, würde zu einer uferlosen Haftung der Ärzte führen, die auch bei der gebotenen Berücksichtigung der Interessen der Patienten nicht vertretbar wäre.
- 20
- Vielmehr ist eine ärztliche Heilbehandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten - die eine ausreichende Aufklärung voraussetzt - zwar rechtswidrig (vgl. Senatsurteil vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - aaO, m.w.N.), doch führt sie zur Haftung des Arztes nur, wenn sie einen Gesundheitsschaden des Patienten zur Folge hat. Maßgeblich für den Erfolgsort ist deshalb, an welchem Ort der Gesundheitsschaden eintritt.
III.
- 21
- Die Revision muss danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
LG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 10.07.2006 - 1 O 36/06 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 09.02.2007 - 13 U 132/06 -