Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 03. Nov. 2016 - 1 Vollz (Ws) 385/16

Gericht
Tenor
Dem Betroffenen wird ohne Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in der Justizvollzugsanstalt Y am 02.05.2016 erfolgte unbekleidete Durchsuchung des Betroffenen rechtswidrig war.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen.
1
Gründe
2I.
3Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 06.05.2016 wendet sich der derzeit in der Sicherungsverwahrung befindliche Betroffene dagegen, dass er sich bei seiner Verlegung aus dem geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt X in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Y dort am 02.05.2016 einer Durchsuchung im unbekleideten Zustand unterziehen musste, die ihm gegenüber nach seiner unwidersprochen gebliebenen Darstellung von den hiermit befassten Vollzugsbediensteten damit begründet worden ist, dass sie dies „immer so“ machten.
4Die Strafvollstreckungskammer hat den auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der völligen Entkleidung gerichteten Antrag als unbegründet zurückgewiesen, da diese aufgrund einer nach § 64 Abs. 2 SVVollzG NRW zulässigen allgemeinen Anordnung der Antragsgegnerin erfolgt sei, in Aufnahmeverfahren eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung durchzuführen. Auch lägen - so die Strafvollstreckungskammer weiter - keine Gründe vor, die ein Absehen von dieser Anordnung rechtfertigen könnten.
5Gegen diesen ihm am 20.07.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23.08.2016 protokollierte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der zuvor mit einem am 03.08.2016 bei dem Landgericht Arnsberg eingegangenen Schreiben vom 27.07.2016 um die Vorführung bei dem insofern zuständigen Rechtspfleger gebeten hat.
6Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
7II.
8Dem Betroffenen war gemäß § 120 StVollzG i. V. m. §§ 44, 45 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 11.07.2016 zu gewähren, da er diese Frist ohne sein Verschulden versäumt hat.
9III.
10Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da - soweit ersichtlich - noch keine obergerichtlichen Entscheidungen zu der Frage der Rechtswidrigkeit einer allein, also ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auf eine allgemeine Anordnung gestützten, mit einer Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung eines Sicherungsverwahrten bei dessen Aufnahme in einer Justizvollzugsanstalt vorliegen.
11IV.
12Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme (§ 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG).
131. Zwar kann die Anstaltsleitung gemäß § 64 Abs. 2 S. 1 SVVollzG NRW allgemein anordnen, dass insbesondere bei der Aufnahme von Untergebrachten eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung durchzuführen ist, und hat sich die Strafvollstreckungskammer vom Vorliegen einer solchen in mündlicher Form erteilten allgemeinen Anordnung überzeugt (wobei der Senat anmerkt, dass die überdies in Bezug genommene schriftliche Verfügung 14 a E - 443 - 01/12 (25) vom 16.01.2012, Bl. 21-25 d.A., hierzu keine Regelung enthält, nämlich unter Ziff. II.4. Abs. 1 - Abs. 4 die im Pfortennebenraum durchzuführende Durchsuchung ohne diesbezügliche Maßgabe beschreibt und die von der Antragsgegnerin angeführte Regelung der auf der Kammer vorzunehmenden Umkleidung in Ziff. II.4. Abs. 5 ausdrücklich lediglich die Handhabung nach der Aufnahme vorgibt und mitnichten eine Durchsuchung im entkleideten Zustand vorsieht).
14Fehlerhaft ist vorliegend jedoch von dem der Antragsgegnerin zustehenden Ermessen im Einzelfall kein Gebrauch gemacht worden.
15Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar; wegen des besonderen Gewichts von Eingriffen, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, hat dieser insofern Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.2013 -2 BvR 2815/11-, Rn. 15 ff. m. w. N., juris). Zwar können mit Entkleidungen verbundene Durchsuchungen durch die Erfordernisse der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt gerechtfertigt sein und ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn - wie vorliegend durch § 64 Abs. 2 S. 1 SVVollzG NRW - dem Leiter der Einrichtung gesetzlich erlaubt wird, für vom Gesetzgeber als für die Sicherheit oder Ordnung dieser Einrichtung typischerweise besonders gefahrträchtig eingeschätzte Konstellationen allgemein anzuordnen, dass Durchsuchungen mit Entkleidung durchgeführt werden können, insbesondere um das Einschmuggeln verbotener Gegenstände zu verhindern (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 19). Dies steht allerdings zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter dem Vorbehalt, dass im Einzelfall, insbesondere wenn die Gefahr des Einschmuggelns besonders fernliegend erscheint, von einer Durchsuchung mit Entkleidung abgesehen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn dieser Vorbehalt der Abweichung im Einzelfall nicht wie in § 64 Abs. 2 S. 1 StVollzG NRW, nach dem „die Entkleidung im Einzelfall unterbleibt, wenn hierdurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet wird“, ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, sondern wie in § 64 Abs. 2 S. 1 SVVollzG NRW seinen Ausdruck allein in der gesetzlichen Formulierung gefunden hat, dass die Anstaltsleitung eine allgemeine Anordnung treffenkann (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 19 f.; Verrel in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. M Rn. 48). Diese grundsätzliche Notwendigkeit einer auf den Einzelfall bezogenen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anwendung einer allgemeinen Anordnung zur Durchführung körperlicher Durchsuchungen im entkleideten Zustand hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile auch im Zusammenhang mit § 64 SVVollzG NRW hervorgehoben (Beschluss vom 14.04.2016 - 2 BvR 695/16 -, Rn. 6, juris).
16Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben muss die Vollzugsbehörde daher nachvollziehbar ihr Ermessen ausüben, wenn für die handelnden Vollzugsbediensteten erkennbar ist oder jedenfalls mit praktikablem Aufwand erkennbar gemacht werden könnte, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalles die Gefahr eines Einschmuggelns fernliegen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.2013, a.a.O., Rn. 21). Da sich die Antragsgegnerin vorliegend hingegen - im Übrigen selbst im gerichtlichen Verfahren - ohne erkennbare Würdigung der Umstände des Einzelfalls allein auf eine allgemeine Anordnung der Anstaltsleitung bezogen hat, obwohl der Betroffene sich ausdrücklich darauf beruft, lediglich aus der geschlossenen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt in die geschlossene Abteilung einer anderen Justizvollzugsanstalt transportiert worden zu sein, stellt sich die angefochtene Maßnahme bereits deshalb als rechtswidrig dar. Es ist vorliegend auch nicht ersichtlich, dass das Ermessen der Antragsgegnerin ohnehin auf null reduziert gewesen wäre (ähnl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.2013, a.a.O., Rn. 22 ff.), auch wenn allein der Umstand, dass die zu durchsuchende Person lediglich von einer geschlossenen Vollzugseinrichtung in die nächste transportiert wird, nach Auffassung des Senats je nach den konkreten Umständen und der Ausgestaltung dieses Transports sowie nach den für die Einschätzung des diesbezüglichen Missbrauchsrisikos relevanten Erkenntnissen über diese Person nicht notwendig dazu führt, dass der typischerweise bei der Aufnahme eines neuen Insassen bestehenden Gefahr insbesondere des Einschmuggelns verbotener Gegenstände bereits durch mildere Maßnahmen hinreichend begegnet werden kann.
172.
18Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, dass hier keine Gründe vorlägen, die ein Absehen von der allgemeinen Anordnung zur Entkleidung bei Durchsuchungen rechtfertigen könnten. Denn unabhängig von der Frage, ob diese angesichts des konkreten Vorbringens des Betroffenen recht allgemein gehaltene Begründung für sich betrachtet überhaupt hinreichend ist, hat die Strafvollstreckungskammer insoweit ihr eigenes Ermessen an die Stelle der Antragsgegnerin gesetzt, anstatt sich auf eine Überprüfung nach § 115 Abs. 5 StVollzG zu beschränken.
19V.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 StVollzG.

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(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Im Übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.
(2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß.
(2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind.
(3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet.
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
(5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig.
Arbeitet ein Gefangener nicht im Freien, so wird ihm täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht, wenn die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit zuläßt.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.