Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 14. Aug. 2014 - 1 Vollz (Ws) 365/14


Gericht
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit sie darauf gerichtet ist, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Betroffenen Unterwäschegarnituren und Socken in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen.
In diesem Umfang wird der angefochtene Beschluss aufgehoben. Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, dem Betroffenen – auf sein Verlangen – Unterwäschegarnituren und Socken in einem Maße bereitzustellen, welches einen täglichen Wechsel erlaubt.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
1
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitsstrafe in der JVA X. Seitens der JVA werden ihm wöchentlich zwei Paar Socken sowie vier Garnituren Unterwäsche zur Verfügung gestellt. Mit einer vom 15. September 2013 datierenden Eingabe forderte der Antragsteller die Vollzugsbehörde auf, die wöchentliche Ausstattung mit den genannten Kleidungsstücken zu verbessern. Der Antragsgegner lehnte dies mit Bescheid vom 14. Januar 2014 ab. Die Ausstattung sei – so der Antragsgegner – ausreichend. Eine Gefährdung der Gesundheit und der Hygiene sei nicht zu besorgen, zumal auf der Basis eines ärztlichen Votums die Wechselintervalle im Bedarfsfall verkürzt würden.
4Der nachfolgende Antrag auf gerichtliche Entscheidung war darauf gerichtet, den Antragsgegner dazu zu verpflichten, die genannten Wäschestücke in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen, um ihm einen täglichen Wechsel zu ermöglichen. Ferner stellte der Betroffene den Antrag, die Rechtswidrigkeit des justizbehördlichen Handelns festzustellen.
5Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Ein Anspruch auf eine anstaltsseitige Mehrversorgung bestehe nicht. Die Vollzugsbehörde habe dem Strafgefangenen nach § 20 Abs. 1 StVollzG i.V.m. Nr. 10 der Kammerordnung für die Justizvollzugsanstalten des Landes NRW in ausreichendem Umfang Anstaltskleidung zur Verfügung zu stellen. Vier Garnituren Unterwäsche sowie zwei Paar Socken pro Woche seien insofern ausreichend. Gesundheitliche Risiken bestünden, wie sich aus einem von der Strafvollstreckungskammer eingeholten Gutachten ergebe, nicht.
6Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
7II.
81.
9Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde war bezüglich des Verpflichtungsantrags zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Zu der Frage, welcher Umfang an Anstaltskleidung als „ausreichend“ anzusehen ist, hat der Senat letztmalig im Jahr 1993 (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Februar 1993 – 1 Vollz(Ws) 234/92, NStZ 1993, 360) Stellung bezogen und ausgeführt, dass die wöchentliche Versorgung mit vier Garnituren Unterwäsche zumal auch unter Berücksichtigung fiskalischer Aspekte als ausreichend anzusehen ist. Weitere obergerichtliche Rechtsprechung ist hierzu – soweit aus den Veröffentlichungen ersichtlich – bisher nicht ergangen.
10Der lange Zeitablauf seit dieser Entscheidung und die damit einhergehende Änderung der allgemeinen Lebensverhältnisse und Lebensanschauungen gebieten eine erneute Befassung mit der Frage.
11Soweit der Antragsteller darüber hinaus beantragt hat, die Rechtswidrigkeit des Handelns der Vollzugsbehörde festzustellen, war die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen.
122.
13Die Rechtsbeschwerde hat im Umfang ihrer Zulassung auch in der Sache Erfolg. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, dem Antragsteller auf dessen Verlangen Unterwäschegarnituren und Socken in einem Maße bereitzustellen, welches einen täglichen Wechsel erlaubt. Der Senat hält an seiner früheren, gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest.
14Nach § 20 Abs. 1 S. 1 StVollzG trägt der Gefangene Anstaltskleidung, womit die Verpflichtung der Vollzugsbehörde einhergeht, entsprechende Kleidung in dem erforderlichen Maß bereitzustellen. Ob die Versorgung mit Kleidung ausreichend ist, um etwaigen Gefahren für die Gesundheit des Gefangenen zu begegnen, beantwortet die Frage nach dem erforderlichen Maß nur unzureichend, vielmehr ist der Anspruch des Gefangenen auf Bereitstellung von Anstaltskleidung auch unter Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen sowie der Vollzugsgrundsätze des § 3 StVollzG näher zu bestimmen:
15Bereits die Verpflichtung zum Tragen der Anstaltskleidung als solcher berührt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, denn schon diese mag seitens des Gefangenen unter Umständen als Selbstwertkränkung empfunden werden (BVerfG, Beschluss vom 3. November 1999, 2 BvR 2039/99 – NJW 2000, 1399). Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Versorgung mit Kleidung – namentlich in einem unter Hygienegesichtspunkten besonders sensiblen Bereich – deutlich von den gesellschaftlichen Normvorstellungen abweicht. Der tägliche Wechsel von Unterwäsche und Socken darf heutzutage als gesellschaftliche Norm bzw. zumindest wünschenswert gelten.
16Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen wiegt nach alledem bereits aus diesem Grund schwer. Ferner erweist es sich auch im Hinblick auf das Vollzugsziel einer Resozialisierung des Gefangenen als bedenklich, diesem lediglich vier Unterwäschegarnituren und zwei Paar Socken zur Verfügung zu stellen. Eine Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den in § 3 StVollzG normierten Vollzugsgrundsätzen besteht nicht (siehe hierzu bereits Kellermann in: Feest [Hrsg.], Strafvollzugsgesetz, 6. Auflage, § 20 RN 1), denn die mit einer unzureichenden Ausstattung an Anstaltskleidung einhergehende Beeinträchtigung der Privatsphäre kann einer Verwahrlosung des Gefangenen Vorschub leisten und läuft damit dem in § 3 Abs. 3 StVollzG normierten Ziel zuwider, dem Gefangenen zu helfen, sich in das Leben in Freiheit, in welchem z.B. der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben sowie auch sonstige soziale Kontakte durch eine unzureichende Körperhygiene deutlich erschwert werden können, einzugliedern. Derartigen schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges kann allein durch eine weitestmögliche Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse begegnet werden.
17Übergeordnete Sacherwägungen, aufgrund derer der Status quo hinzunehmen wäre, bestehen nicht, insbesondere spricht nichts dafür, dass durch die Möglichkeit eines täglichen Wechsels Belange der Sicherheit und Ordnung der Vollzugsbehörde tangiert wären. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass hierdurch ein zusätzlicher Kostenaufwand in nicht vertretbarem Umfang entstünde.
18III.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.


Annotations
(1) Der Gefangene trägt Anstaltskleidung. Für die Freizeit erhält er eine besondere Oberbekleidung.
(2) Der Anstaltsleiter gestattet dem Gefangenen, bei einer Ausführung eigene Kleidung zu tragen, wenn zu erwarten ist, daß er nicht entweichen wird. Er kann dies auch sonst gestatten, sofern der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt.
(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.