Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 07. Aug. 2014 - 1 RVs 66/14


Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 4. Dezember 2013 wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
4Zum eigentlichen Tatgeschehen hat das Amtsgericht die folgenden Feststellungen getroffen:
5„… Mit diesem Motorroller begab sich der Angeklagte am 23.08.2013 gegen 18:45 Uhr zu dem verschlossenen auf dem Friedhofsparkplatz an der G in G2 abgestellten PKW VW-Polo der Geschädigten E, wo er eine Seitenscheibe des Fahrzeuges einschlug und anschließend aus dem so geöffneten PKW-Innenraum eine beige Handtasche samt Inhalt, darunter eine Geldbörse sowie zwei Mobiltelefone und diverse Personalpapiere an sich nahm und für sich behielt. Das Geld nutzte er selbst, übrige Gegenstände warf er alsbald weg.
6Am 28.09.2013 schlug der Angeklagte gegen 18:17 Uhr mittels eines Hammerkopfes die Scheibe der Beifahrertür des an der K-Allee in K2 verschlossen abgestellten PKW BMW mit dem amtlichen Kennzeichen ######## des Zeugen T2 ein und nahm aus dem Fahrzeuginnenraum eine vom Angeklagten für wertvoll erachtete goldfarbene Modeschmuckkette im Wert von etwa 10 € sowie 20 CD´s an sich. Der Angeklagte konnte alsbald nach der Tat gestellt werden.“
7Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung hat der Angeklagte sein Rechtsmittel mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Im Folgenden hat das Landgericht die Berufungen verworfen. Die Kammer hat dabei auf die oben wiedergegebenen Feststellungen des Amtsgerichts verwiesen sowie ergänzende Feststellungen zum Wert des erlangten Diebesgutes getroffen.
8Im Einzelnen heißt es hierzu in den Urteilsgründen:
9„Ergänzend hierzu hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte bei der Tat vom 23.08.2013 mindestens 80,00 € Bargeld sowie einen Fotoapparat der Marke D, eine Geldbörse der Marke H, eine Handtasche der Marke H, zwei Mobiltelefone der Marke T, einen Bundespersonalausweis, einen Führerschein, eine Krankenversicherungskarte, einen Reisepass und eine X-Karte der Stadtsparkasse K2 aus dem PKW der Geschädigten E entwendete. Nach Angaben der Geschädigten lag die Schadenssumme für die entwendeten Gegenstände bei 500,00 €, der Sachschaden bei 250,00 €.
10Hinsichtlich der Tat vom 28.09.2013 hat die Kammer ergänzend festgestellt, dass der Geschädigte die goldfarbene Modeschmuckkette zurückerhalten hat und der Wert einer CD bei mindestens 2,50 € lag. Der Sachschaden lag bei mindestens 100,00 €.“
11Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht auf die Einlassung des Angeklagten, die Verlesung der Strafanzeige vom 23. August 2013 sowie – hinsichtlich des Wertes der CD´s und der Höhe des Sachschadens bei der Tat vom 28. September 2013 – auf eine Schätzung gestützt. Wegen der weiteren Ausführungen des Urteils zur rechtlichen Beurteilung und zur Strafzumessung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
12Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese unter anderem mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet.
13Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
14II.
15Die zulässige Revision hat bereits auf die Sachrüge hin (vorläufig) Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
161.)
17Die in der Berufungshauptverhandlung erklärte Beschränkung auf die Rechtsfolgenentscheidung ist unwirksam.
18Das Revisionsgericht hat die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung gemäß § 318 StPO von Amts wegen zu überprüfen.
19Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist beispielsweise dann nicht möglich, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Meyer-Goßner, StPO, 57. Auflage, § 318 RN 16). Aus diesem Grund ist eine Berufungsbeschränkung unter anderem dann nicht möglich, wenn in dem erstinstanzlichen Urteil keine Feststellungen zur (Mindest-) Schadenshöhe getroffen werden (KG Berlin, Urteil vom 18. Februar 2013, (4) 1 Ss 281/12 – StV 2013, 637f. mit weiteren Nachweisen), denn bereits das erstinstanzliche Urteil muss den Schuldumfang deutlich genug abgrenzen (BGH Beschluss vom 21. Oktober 1980, 1 StR 262/80 - BGHSt 29, 359 ff.; Paul in: Karlsruher-Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 318 RN 7a m.w.N.). Ausführungen zur Schadenshöhe sind insoweit bereits deshalb nicht entbehrlich, weil sich das Maß der Schuld, das für den Rechtsfolgenausspruch maßgeblich ist, jedenfalls auch an der Höhe des verursachten Schadens orientiert (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46 RN 34 m.w.N.).
20Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Feststellungen des Amtsgerichts zur Schadenshöhe als nicht ausreichend. Hinsichtlich der Tat vom 23. August 2013 lassen die Feststellungen offen, welchen Geldbetrag der Angeklagte erlangt hat. Auch der Wert der Mobiltelefone sowie der Handtasche und der Geldbörse wird nicht näher bestimmt. Bezüglich der Tat vom 28. September 2013 wird neben dem Wert der Modeschmuckkette lediglich festgestellt, dass 20 CD´s entwendet wurden. Weitere Feststellungen zum Wert der CD´s sind indes nicht erfolgt.
21Soweit die Berufungskammer ergänzende Feststellungen getroffen hat, sind diese vorliegend nicht geeignet, eine tragfähige Grundlage für die Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs zu bilden und eine „Heilung“ der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung zu bewirken.
22Es kann insoweit dahinstehen, inwieweit ergänzende Feststellungen zum Zwecke der „Heilung“ einer unwirksamen Berufungsbeschränkung generell zulässig sind (vgl. zum Problemkreis bspw. OLG Hamm, Beschluss vom 29. Janaur 2013 – III-3 RVs 4/13 – juris sowie Paul in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 318 RN 10), denn jedenfalls steht einer „Heilung“ vorliegend entgegen, dass die durch das Berufungsgericht getroffenen ergänzenden Feststellungen ihrerseits nicht frei von Rechtsfehlern sind.
23Hinsichtlich der Tat vom 23. August 2013 ist es vorliegend im Rahmen der Beweiswürdigung lückenhaft, wenn das Berufungsgericht sich darauf beschränkt, lediglich den in der Strafanzeige niedergelegten Gesamtwert der entwendeten Gegenstände anzugeben. Bei dem angenommenen Gesamtwert der entwendeten Gegenstände von 500,- EUR handelt es sich offensichtlich um einen Schätzwert, welchen die Geschädigte im Rahmen der Erstattung der Strafanzeige angegeben hat. Zwar ist grundsätzlich nichts dagegen zu erinnern, den Wert des Diebesguts im Wege einer Schätzung näher zu bestimmen (vgl. zur Zulässigkeit von Schätzungen BGH, Urteil vom 6. Dezember 1994, 5 Str 305/94, BGHSt 40, 374ff. sowie BGH, Urteil vom 10. Juni 1999, 4 StR 135/99) bzw. in diesem Rahmen auch Schätzungen von Zeugen zugrunde zu legen, dabei ist aber zu beachten, dass die Grundlagen der Schätzung im tatrichterlichen Urteil für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargestellt sein müssen (OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011, 1 Ws 271- 274/11). Daran fehlt es vorliegend, da der angenommene Gesamtwert ohne weitere Feststellungen zur wertbildenden Beschaffenheit der einzelnen Beutestücke (wie z.B. Neupreis, Alter, Gebrauchszustand u.a.) nicht aus sich selbst heraus verständlich ist.
24Mangels Darlegung der Schätzgrundlage begegnet hinsichtlich der Tat vom 28. September 2013 zumindest auch die Schätzung des Wertes der CD´s durchgreifenden Bedenken. Der angenommene Wert von jeweils 2,50 EUR ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, vielmehr wäre es erforderlich gewesen, festzustellen, ob es sich bei den CD´s z.B. um (Original-)Musik-CD´s, bloße Sicherungskopien oder eventuell sogar lediglich um sog. „Rohlinge“ oder gar illegale Kopien gehandelt hat. Der insoweit von der Kammer zugrunde gelegte (angebliche) Erfahrungssatz zum durchschnittlichen Mindestwert von CD´s ist in sich nicht nachvollziehbar belegt.
25Das Urteil war nach alledem bereits auf die allgemeine Sachrüge hin aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen. Ob darüber hinaus auch die erhobene Verfahrensrüge begründet ist, weil es aufgrund des Grundsatzes der Mündlichkeit erforderlich gewesen wäre, das von der Kammer angenommene vermeintliche Erfahrungswissen zum Wert der CD´s prozessordnungsgemäß in das Verfahren einzuführen (vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 57. Auflage, § 261 RN 7), kann insoweit dahinstehen.
262.)
27Infolge der Aufhebung des Urteils im Schuldspruch bedarf es keiner näheren Überprüfung der Frage, ob die bisherigen Strafzumessungserwägungen geeignet sind, die Festsetzung der – insbesondere bezüglich der zweiten Tat in Anbetracht des nach den bisherigen Feststellungen insoweit als eher gering anzusehenden Schadens – vergleichsweise streng erscheinenden Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe zu rechtfertigen.
28Für die neue Hauptverhandlung merkt der Senat insoweit jedoch ergänzend an, dass auch bei Vorliegen zahlreicher einschlägiger Vorstrafen und hoher Rückfallgeschwindigkeit neben dem subjektiven Handlungsunwert bei Bemessung der Strafe dem objektiven Erfolgsunwert der Tat eine bestimmende Bedeutung zukommt mit der Folge, dass gerade in Fällen eines objektiv eher geringen Schadens die Einhaltung des Übermaßverbots besonders zu beachten ist.

moreResultsText

Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Ist dies nicht geschehen oder eine Rechtfertigung überhaupt nicht erfolgt, so gilt der ganze Inhalt des Urteils als angefochten.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.