Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 13. Jan. 2016 - I-15 U 66/15
Tenor
I.Auf Antrag der Beklagten wird die Zwangsvollstreckung aus den Ziffern I. 1., I. 4. und I. 5 des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 03.11.2015 (Az. 4a O 93/14) gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 450.000,00 € einstweilen eingestellt.
II.Der weitergehende Einstellungsantrag wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e:
2Der Antrag der Beklagten vom 08.12.2015, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts vom 03.11.2015 (4a O 93/14) einstweilen einzustellen, hat teilweise Erfolg. Die Zwangsvollstreckung ist hinsichtlich des Unterlassungs-, Vernichtungs- und Rückrufanspruchs (Ziffern I. 1, I. 4, I. 5 des landgerichtlichen Urteilstenors) gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Zurückzuweisen ist der Antrag indes insoweit, als dass mit ihm auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bezüglich des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs sowie des Schadenersatzfeststellungsanspruchs begehrt wird.
31)
4Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil – gegen oder ohne Sicherheitsleistung – einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht stets die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits umfassend abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls jeweils m. w. Nachw.).
5Für den Bereich des Patentrechts besteht darüber hinausgehend die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH GRUR 2000, 862 – Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 18619 jeweils m. w. Nachw.).
6Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-15 U 135/14 Beschluss v. 02.02.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 18619; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls; OLG Düsseldorf InstGE 9, 173 – Herzklappenringprothese jeweils m. w. Nachw.).
7Voraussichtlich keinen Bestand hat das angefochtene Urteil bei offensichtlicher bzw. evidenter Fehlerhaftigkeit. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen, die für die erstinstanzliche Entscheidung tragend sind. Erweisen sich diese Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen bereits bei der anzustellenden summarischen Prüfung als nicht tragfähig, ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil regelmäßig einstweilen einzustellen. Dies gilt in der Regel ungeachtet dessen, ob das angefochtene Urteil sich im Ergebnis möglicherweise mit anderen Feststellungen oder aufgrund anderer rechtlicher Erwägungen als zutreffend erweisen kann (OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen). Denn zum einen ist es nicht Zweck des Verfahrens gem. §§ 707, 719 ZPO das Berufungsverfahren komplett vorwegzunehmen und in seinem Rahmen die Erfolgsaussicht der anhängigen Berufung abschließend zu klären. Es dient vielmehr dazu, solchen Entscheidungen ihre vorläufige Vollstreckbarkeit zu nehmen, die sich bereits bei summarischer Prüfung als offenkundig nicht haltbar erweisen. Zum anderen beruht der Grundsatz, dass eine Einstellung nur dann geboten ist, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei summarischer Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, darauf, dass sich das Gericht, dessen Urteil angefochten ist, bereits im Einzelnen mit dem Sachverhalt befasst und über die sich stellenden Fragen entschieden hat. Dann genießt die Entscheidung das Vertrauen, welches seine vorläufige Vollstreckbarkeit und damit den grundsätzlichen Vorrang der Interessen des obsiegenden Klägers rechtfertigt. Diese Erwägung kommt jedoch nicht zum Tragen, wenn das erstinstanzliche Gericht wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falls außer Acht gelassen und über die sich insoweit stellenden Fragen nicht entschieden hat (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls). Alternative Begründungen rechtlicher oder tatsächlicher Art, die dazu führen können, dass der Berufung im Ergebnis der Erfolg zu versagen und das angefochtene Urteil letztlich zu bestätigen ist, haben deshalb in einstweiligen Einstellungsverfahren grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Es sei denn, bereits aufgrund summarischer Prüfung kann festgestellt werden, dass die (unstreitigen) alternativen Tatsachen oder die alternativen rechtlichen Erwägungen offensichtlich die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene Entscheidung tragen.
82)
9Ausgehend hiervon ist – trotz der geringen Restlaufzeit des Klagepatents bis September 2016 – im Streitfall die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang geboten.
10a)
11Die einstweilige Einstellung findet allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darin ihren Grund, dass das Landgericht in dem angefochtenen Urteil (nach Ansicht der Beklagten) die Verletzungsfrage fehlerhaft beurteilt habe. Die gebotene summarische Prüfung führt nicht zu der Erkenntnis, dass die Auslegung des Klagepatents und/oder die Beurteilung der angegriffenen Ausführungsformen als unter das Klagepatent fallend seitens des Landgerichts im genannten Sinne offensichtlich oder evident falsch ist. Das Landgericht hat sich in dem angefochtenen Urteil mit der Auslegung des Klagepatents und der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen ausführlich und nachvollziehbar beschäftigt und hierbei auch die Einwände der Beklagten berücksichtigt. Bei den hierzu getroffenen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ist das Landgericht von den zutreffenden rechtlichen Grundsätzen sowie Maßstäben ausgegangen und die gefundenen Ergebnisse sind sowohl sorgfältig begründet wie auch mindestens vertretbar. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Frage, ob bzw. inwieweit der „Auslieferungszustand“ und die objektive Eignung der angegriffenen Ausführungsformen für die Patentverletzung von Bedeutung sind bzw. ausreichen. Ob die Einwände der Beklagten letztlich zu einem anderen Verständnis von der technischen Lehre des Klagepatents und/oder zu einer abweichenden Beurteilung der Verletzungsfrage durch den Senat führen und ob der Senat der Auffassung des Landgerichts in jedem einzelnen Punkt folgt, ist derzeit nicht zu klären, sondern dem Berufungsverfahren vorbehalten.
12Ebenso wenig lässt der auf den Auskunftsanspruch bezogene Erfüllungseinwand der Beklagten die Feststellung zu, dass das angefochtene Urteil wegen der behaupteten Erfüllung voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich das Landgericht in seiner Entscheidung nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die vor Schluss der mündlichen Verhandlung überreichte Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 (Anlage G 18) zur Erfüllung des geltend gemachten Auskunftsanspruchs führt, sondern diese Abrechnung/Rechnungslegung allein im Rahmen des erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechtzeitigkeit erörtert hat. Das Fehlen einer Auseinandersetzung mit den rechtlichen Folgen der als solches unstreitigen Abrechnung/Rechnungslegung für den Auskunftsanspruch ist jedoch vorliegend ausnahmsweise unschädlich. Denn bereits bei summarischer Prüfung ist festzustellen, dass der von den Beklagten vorgebrachte Erfüllungseiwand offensichtlich nicht eingreift. Dies bereits deshalb, weil die Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 (Anlage G 18) (unstreitig) nur die Verkaufs- und Umsatzzahlen der Beklagten bis einschließlich zum 31.08.2015 enthält. Es fehlen demgegenüber jedenfalls die darüber hinaus aus § 140b PatG, §§ 249, 252 BGB folgenden erforderlichen Angaben gemäß Ziffer I.2.a), b) sowie Ziffer I.3. a) – d) des angefochtenen Urteils. Die Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 kann folglich allenfalls als Teilleistung angesehen werden. Auf eine solche muss sich der Vollstreckungsgläubiger nicht einlassen; sie kann einen Auskunftsanspruch offensichtlich nicht (vollständig) erfüllen.
13Entgegen der Rüge der Beklagten reicht ihre Verurteilung zur Auskunft / Rechnungslegung auch nicht über die gesetzlichen Ansprüche hinaus: Namentlich hat das Landgericht in Bezug auf die nach § 140 b Abs. 3 Nr. 1 PatG geschuldeten Angaben die gebotene Beschränkung auf „gewerbliche Abnehmer und Verkaufsstellen“ vorgenommen. Soweit die Beklagten offenbar meinen, eine entsprechende Einschränkung hätte global in Bezug auf alle Angaben vorgenommen werden müssen, trifft dies nicht zu: Das Landgericht hat vielmehr unter Ziffer I.3. a. E. zu Recht einen Wirtschaftsprüfervorbehalt vorgesehen, soweit es um die von Ziffer I.3. a) bis d) des Tenors umfassten Angaben geht und nichtgewerbliche Abnehmer und Angebotsempfänger betroffen sind.
14Soweit die Beklagten in ihrem Einstellungsantrag darauf hinweisen, dass es sich bei der Klägerin um eine Patentverwertungsgesellschaft handelt und sie, die Beklagten, bereits Lieferverträge mit Dritten abgeschlossen hätten, bei deren Nichterfüllung die Zahlung erheblicher Vertragsstrafen drohten und andererseits auch eine Etablierung am Markt gefährdet sei, verhilft auch dies ihrem Antrag auf einstweilige Einstellung nicht zum Erfolg.
15Der Aspekt, dass die Klägerin eine Patentverwerterin ist, führt für sich genommen nicht zur Einstellung der Zwangsvollstreckung. Es besteht keine Veranlassung, eine Patentverwertungsgesellschaft per se anders zu behandeln als ein Wettbewerbsunternehmen (OLG Düsseldorf I-15 U 135/14 Beschluss v. 02.02.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 19.08.2015).
16Dass es sich bei den vorgetragenen (vermeintlich drohenden) Vertragsstrafen und/oder der (behaupteten) Gefährdung der Marktetablierung um außergewöhnliche, nicht wieder gut zu machende Schäden handelt, die über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgehen und eine einstweilige Einstellung rechtfertigen würden, haben die Beklagten nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Normale Konsequenz eines Unterlassungstitels ist es, die untersagten Benutzungshandlungen nicht mehr vornehmen zu dürfen. Ist einem Patentverletzer untersagt, die angegriffene Ausführungsform anzubieten und in Verkehr zu bringen, folgt daraus typischerweise, dass (auch) bereits eingegangene Lieferverpflichtungen nicht mehr erfüllt und mit der angegriffenen Ausführungsform keine Marktanteile (mehr) gewonnen werden können. Daraus resultierende vertragliche Zahlungsverpflichtungen, finanzielle Nachteile und (Markt-)Verluste sind mithin die regelmäßige Folge der Titulierung des Unterlassungsanspruchs, nicht hingegen außergewöhnliche Schäden aufgrund der Vollstreckung des Urteils. Überdies ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass es sich bei der in der eidesstattlichen Versicherung vom 27.11.2015 (Anlage AS 1) genannten Vertragsstrafe von insgesamt bis zu 300.000,00 € überhaupt um eine Geldsumme bzw. Zahlungsverpflichtung handelt, die bei den Beklagten irreparable Schäden verursachen könnte. Dies erscheint auch bereits angesichts der ausgeurteilten klägerischen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 € für die Vollstreckung des Unterlassungstenors als unwahrscheinlich. Dass die Klägerin zur Leistung dieser Sicherheit nicht in der Lage ist, ist weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Der Vortrag der Beklagten zur Gefährdung der Marktetablierung ist zudem pauschal.
17b)
18Die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ist jedoch bezüglich des Unterlassungs-, Vernichtungs- und Rückrufanspruchs einstweilen einzustellen, weil das Urteil des Landgerichts hinsichtlich der insoweit ausgeurteilten Ansprüche voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Bei summarischer Prüfung des angefochtenen Urteils tritt ein evidenter Rechtsfehler bei der Beurteilung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes zu Tage. Die vom EuGH in der Rechtssache C-170/13 (GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE) im Rahmen der Auslegung des Art. 102 AEUV aufgestellten Kriterien zu der Frage, wann ein marktbeherrschender Inhaber eines standardessentiellen Patents, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, wenn er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung erhebt, sind offensichtlich unzutreffend angewendet worden. Die vom Landgericht in seinem Urteil ausgeführten rechtlichen Erwägungen können die Feststellung, dass die Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch die Klägerin keinen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt, nicht tragen.
19aa)
20Nach der zitierten Rechtsprechung ist nicht von einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV auszugehen, wenn
21- 22
1. der Inhaber des standardessentiellen Patents den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die ihm vorgeworfene Patentverletzung hingewiesen hat,
- 24
2. der Inhaber des standardessentiellen Patents dem angeblichen Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat,
- 26
3. der Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt reagiert,
- 28
4. der Patentverletzer, der das ihm unterbreitete Angebot nicht annimmt, dem Inhaber des standardessentiellen Patents innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das FRAND-Bedingungen entspricht,
- 30
5. der Patentverletzer, wenn er das standardessentielle Patent benutzt, ab dem Zeitpunkt, zu dem der Patentinhaber sein Gegenangebot abgelehnt hat, eine angemessene Sicherheit leistet und eine Abrechnung vorlegt, die auch vergangene Benutzungshandlungen umfassen.
Bei Beachtung dieser Bedingungen erachtet der EuGH einen gerechten Ausgleich der Interessen des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents und derjenigen des Patentbenutzers als gewährleistet. Die zwecks gerechten Interessensausgleichs zu erfüllenden Schritte des geforderten Prozedere bauen nach dem Urteil des EuGH erkennbar aufeinander auf, sie folgen einander nach. Die vom einen zu erfüllenden Bedingungen ziehen die vom anderen zu erfüllenden Bedingungen nach sich, wobei der EuGH in dem von ihm aufgestellten System anfänglich den fordernden Patentinhaber in der Pflicht sieht. Ihm obliegt es, zunächst die unter 1. und 2. genannten Bedingungen zu erfüllen, wie sich insbesondere aus dem Tenor der Entscheidung des EuGH sowie den Randnummern [61] und [63] der Entscheidungsgründe ergibt. Es gehört folglich insbesondere zu den Obliegenheiten des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents, dem lizenzwilligen Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten (Randnummer [63]). Erst und nur dann, wenn der Patentinhaber diesen seinen Verpflichtungen (vollständig) nachgekommen ist, er folglich das seinige getan hat, um den Vorwurf eines Marktmissbrauchs nicht aufkommen zu lassen, werden die Pflichten des Patentverletzers ausgelöst. Ihn trifft sodann die Pflicht, die ihm unter 3. bis 5. auferlegten Bedingungen schrittweise zu erfüllen, so dass, wenn der Patentinhaber sich gleichwohl weigert, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung zu konstatieren wäre.
32Dass nach dem System des EuGH die Pflichten des Patentverletzers an die Voraussetzung knüpft sind, dass der Patentinhaber zuvor seine Pflichten erfüllt hat und somit insbesondere zuerst ein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet haben muss (vgl. hierzu auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Abschnitt E., Rn. 298, 304, 309), zeigt nicht nur der Tenor der Entscheidung, sondern auch die Randnummer [65] der Entscheidungsgründe deutlich. In beiden heißt es, dass der Patentverletzer „auf dieses Angebot (nicht) mit Sorgfalt … reagiert“. Die Wendung „dieses Angebot“ bezieht sich augenscheinlich auf das zuvor erörterte erforderliche Lizenzvertragsangebot des Patentinhabers, das nach den Ausführungen des EuGH offensichtlich zu FRAND-Bedingungen zu erfolgen hat.
33Diese bezugnehmende Formulierung erklärt sich zwanglos aus den vom EuGH aufgestellten Prämissen. Der EuGH sieht für den vorzunehmenden Interessensausgleich ein austariertes Prozedere vor und billigt im Rahmen dessen dem marktbeherrschenden Inhaber eines standardessentiellen Patents nur insoweit ein schützenswertes Interesse zu, als dass dieser – nach Verletzungshinweis und Lizenzwilligkeitsbekundung des Patentverletzers – entsprechend seiner gegenüber der Standardisierungsorganisation abgegebenen Verpflichtungserklärung ein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet. Dies ist getragen von dem Gedanken, dass nur ein Angebot, das faire, vernünftige und nicht diskriminierende Bedingungen enthält, den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch Klageerhebung verneinen kann, sowie dem Umstand, dass von dem Patentinhaber infolge seiner Verpflichtungserklärung gegenüber der Standardisierungsorganisation die Unterbreitung eines solches Angebots erwartet wird und auch abzuverlangen ist, zumal er in einer besseren Lage ist, zu prüfen, ob sein Angebot die Voraussetzungen der Gleichbehandlung wahrt. Anhaltspunkte dafür, dass der Patentinhaber demgegenüber mit der Unterbreitung eines Lizenzangebots ohne FRAND-Bedingungen den ihm auferlegten Pflichten genügt, solange er nur ein „spezifisches“ Angebot abgibt, welches „die formellen Kriterien“ erfüllt, lassen sich der Entscheidung anders als die Klägerin meint an keiner Stelle entnehmen. Mangelt es an einem Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen seitens des Patentinhabers, streitet demzufolge nichts für ihn und es kann nicht festgestellt werden, dass er mit der Geltendmachung eines Unterlassungs-, Rückruf- oder Vernichtungsanspruch seine marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht, sein Handeln diskriminierungsfrei und nicht ausbeuterisch ist. Die Interessensabwägung geht bereits deshalb zu Lasten des Patentinhabers aus; eine Klage wäre abzuweisen. In dieser Situation kommt es folglich nicht (mehr) darauf an, ob bzw. dass der Patentverletzer die weiteren Bedingungen erfüllt, die im Abwägungsprozess vom Bedeutung sein können. Seine Obliegenheit zur Reaktion und gegebenenfalls zur Abgabe eines Gegenangebots zu FRAND-Bedingungen verbunden mit der Abrechnung und Sicherheitsleistung ist überdies nur Ausdruck der Sorgfaltspflichten, die für ihn aufgrund der in dem betreffenden Geschäftsbereich geltenden Gepflogenheiten sowie Treu und Glauben, entspringen. Zu diesen Sorgfaltspflichten gehört es jedoch nicht, auf ein nicht FRAND-konformes Lizenzvertragsangebot zu reagieren. Es ist auch nicht zu erkennen, weshalb dem Patentinhaber eines standardessentiellen Patents ein schützenswertes Interesse daran zugebilligt werden können sollte, dass der Patentverletzer – stets und unabhängig vom eigenen Verhalten des Patentinhabers – ein Lizenzvertragsangebot zu FRAND-Bedingungen einschließlich der folgenden Pflichten abzugeben hätte. Dies wäre kein gerechter Ausgleich der gegeneinander abzuwägenden Interessen.
34Die Ansicht, vom Patentverletzer sei die Erfüllung der unter 3. bis 5 genannten Bedingungen unabhängig davon zu verlangen, dass der Patentinhaber zuvor seine Pflichten erfüllt hat, verkehrt die Entscheidung des EuGH im Übrigen in ihr Gegenteil. Sie läuft nämlich letztlich darauf hinaus, den Patentinhaber von den ihm auferlegten Pflichten freizustellen und dem Patentverletzer einseitig bzw. überobligationsmäßig die Pflicht aufzuerlegen, ein bzw. das erste Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen gegenüber dem Patentinhaber zu unterbreiten. Diese Pflichtenverteilung widerspricht der EuGH-Entscheidung, und zwar auch dann, wenn der Patentverletzer (ohne dass er nach den aufgezeigten Kriterien hierzu verpflichtet ist) ein eigenes Angebot unterbreitet.
35bb)
36Angesichts dessen erweisen sich die tragenden Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des Landgerichts zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand als nicht tragfähig. Sie können keinen Bestand haben. Es ist evident fehlerhaft, dass das Landgericht die Frage, ob „das“ von der Klägerin unterbreitete Angebot FRAND-Grundsätzen entspricht, offen gelassen hat. Die Feststellung, dass das in Rede stehende Angebot der Klägerin FRAND-Bedingungen entspricht, war vielmehr zwingend notwendig. Nur wenn seitens der Klägerin ein solches Lizenzangebot unterbreitet worden ist, entstehen die Pflichten der Beklagten und das angefochtene Urteil könnte insoweit Bestand haben. Fehlt es demgegenüber an der Unterbreitung eines solchen Angebots, wäre die Klage hinsichtlich des Unterlassungs-, Rückrufs- und Vernichtungsanspruchs abzuweisen gewesen.
37Ob die Entscheidung des Landgerichts bezüglich des erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands letztlich gleichwohl zutreffend und die Berufung im Ergebnis zurückzuweisen ist, weil die Beklagten nach Verletzungshinweis (vorprozessual) ihre Lizenzwilligkeit nicht zum Ausdruck gebracht haben, so dass die Klägerin nicht zur Unterbreitung eines Lizenzangebotes verpflichtet war und/oder die von der Klägerin vor Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreiteten Lizenzangebote tatsächlich FRAND-konform sind, (und sich die weiteren Feststellungen des Landgerichts als fehlerfrei erweisen), kann im Rahmen des hier zur Entscheidung stehenden Einstellungsantrages keine Relevanz erlangen. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zur (vorprozessualen) Lizenzwilligkeitsbekundung der Beklagten getroffen und auch keine tatsächlichen Feststellungen zum Inhalt des bzw. der Lizenzangebote der Klägerin. Insoweit fehlen insbesondere Feststellungen zur Lizenzvergütung, der Art und Weise ihrer Berechnung und/oder zur Üblichkeit einzelner Bestimmungen. Es finden sich hierzu auch keine rechtlichen Erwägungen. Die Frage, ob eine weltweit gültige Portofoliolizenz begehrt werden kann, ist gleichfalls nicht abschließend erörtert worden. Folglich handelt es sich insoweit um alternative Begründung(en) tatsächlicher sowie rechtlicher Art, die nur dann für das Einstellungsverfahren Bedeutung erlangen können, wenn sie bereits bei summarischer Prüfung offensichtlich die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene Entscheidung tragen. Eine derartige Offensichtlichkeit ist nicht zu erkennen. Die Beurteilung der von der Klägerin unterbreiteten Lizenzvertragsangebote auf ihre FRAND-Konformität muss deshalb ebenso wie die Frage, ob die Klägerin zur Unterbreitung eines solchen Angebots überhaupt verpflichtet war, dem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben.
38Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, das nach Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreitete Lizenzangebot entspreche FRAND-Bedingungen, weshalb die Beklagten verpflichtet seien, dieses anzunehmen, wollten sie sich nicht als lizenzunwillig erweisen. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine offensichtliche alternative Begründung, die die Entscheidung des Landgerichts tragen könnte.
39Angesichts des Vorstehenden kommt es im Einstellungsverfahren auch auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen Punkte hinsichtlich der Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, insbesondere dazu, ob die von den Beklagten unterbreiteten Angebote FRAND-konform sind, nicht (mehr) an.
40c)
41Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist – wie von den Beklagten beantragt – gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird auf 450.000,00 € festgesetzt. Die Höhe der Sicherheitsleistung ist so zu bestimmen, dass sie den Gläubiger ausreichend gegen sämtliche ihm möglicherweise aus der zunächst verschobenen Zwangsvollstreckung drohenden Nachteile absichert. Da er im schlimmsten Fall vollständig ausfallen kann, sind der titulierte Anspruch, Kosten und mögliche Verzögerungsschäden zu berücksichtigen (BeckOK ZPO/Ulrici ZPO § 707 Rn. 22; MüKoZPO/Götz Rn. 14; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 707 Rn. 21). Dass die Beklagten zu einer Sicherheitsleistung in dieser Höhe nicht in der Lage sind, ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
423.
43Da die Beklagten bezüglich des tenorierten Unterlassungs-, Rückrufs- und Vernichtungsausspruchs mit ihrem Hauptantrag erfolgreich sind, bedarf es insoweit keiner Befassung mit dem Hilfsantrag. Hinsichtlich der darüber hinaus gehend beantragten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung des Auskunfts-, Rechnungslegungs- und Schadenersatzfeststellungsanspruchs verhilft die im Hilfsantrag enthaltene Einschränkung – einstweilige Einstellung nur gegenüber der Beklagten zu 1 – nicht zum Erfolg. Die unter 2. a) genannten Erwägungen gelten auch (nur) gegenüber der Beklagten zu 1.
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Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Mobilstationenen (MS) für ein digitales Mobilkommunikationssystem, umfassend zumindest einen Datenanruf-Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst und der für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist, Mittel zum Ausführen einer Benutzerdatenrate-Verhandlung, um die Benutzerdatenrate einzustellen, um in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) verwendet zu werden, und um den Datenanruf mit Funkkanal-Ressourcen aufzubauen, die gemäß der Benutzerdatenrate, die ausgehandelt ist, zugewiesen sind,
in der Bundesrepublik Deutschland
anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den vorstehend genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 16.11.2005 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren, wobei die Angaben zu den Verkaufsstellen erst für die Zeit seit dem 30.04.2006 verlangt werden;
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei die Angaben zu den Preisen erst für die Zeit seit dem 30.04.2006 verlangt werden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 16.12.2005 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. nur die Beklagte zu 1): die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen, unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben, wobei der Beklagten zu 1) vorbehalten bleibt, die Vernichtung selber vorzunehmen;
5. die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 30.04.2006 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 16.12.2005 bis zum 10.05.2012 und der Klägerin durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. seit dem 11.05.2012 entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Urteilsformel zu I.1., I.4. und I.5. (Verurteilung zur Unterlassung, Vernichtung und Rückruf) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 EUR, hinsichtlich der Urteilsformel zu I.2 und I.3. (Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR und hinsichtlich der Urteilsformel zu III. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
V. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.
1
4a O 93/14 |
verkündet am 3. November 2015 C. , Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
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LANDGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL |
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In dem Rechtsstreit
3hat die 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. D. , den Richter am Landgericht I, und die Richterin S.
4für Recht erkannt:
5I. Die Beklagten werden verurteilt,
61. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
7Mobilstationenen (MS) für ein digitales Mobilkommunikationssystem, umfassend zumindest einen Datenanruf-Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst und der für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist, Mittel zum Ausführen einer Benutzerdatenrate-Verhandlung, um die Benutzerdatenrate einzustellen, um in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) verwendet zu werden, und um den Datenanruf mit Funkkanal-Ressourcen aufzubauen, die gemäß der Benutzerdatenrate, die ausgehandelt ist, zugewiesen sind,
8in der Bundesrepublik Deutschland
9anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den vorstehend genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
102. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 16.11.2005 begangen haben, und zwar unter Angabe
11a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
12b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren, wobei die Angaben zu den Verkaufsstellen erst für die Zeit seit dem 30.04.2006 verlangt werden;
13c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei die Angaben zu den Preisen erst für die Zeit seit dem 30.04.2006 verlangt werden;
14wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
153. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 16.12.2005 begangen haben, und zwar unter Angabe
16a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
17b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
18c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
19d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
20wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
214. nur die Beklagte zu 1): die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen, unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben, wobei der Beklagten zu 1) vorbehalten bleibt, die Vernichtung selber vorzunehmen;
225. die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 30.04.2006 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
23II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 16.12.2005 bis zum 10.05.2012 und der Klägerin durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. seit dem 11.05.2012 entstanden ist und noch entstehen wird.
24III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen.
25IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Urteilsformel zu I.1., I.4. und I.5. (Verurteilung zur Unterlassung, Vernichtung und Rückruf) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 EUR, hinsichtlich der Urteilsformel zu I.2 und I.3. (Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR und hinsichtlich der Urteilsformel zu III. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
26V. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.
27Tatbestand
28Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen angeblicher Verletzung des europäischen Patents EP B (Anlage AR A-15, in deutscher Übersetzung unter dem Registerzeichen DE C, Anlage AR A-16; im Folgenden: Klagepatent) in Anspruch.
29Das Klagepatent wurde am 25.09.1996 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 25.09.1995 in englischer Sprache angemeldet. Die Veröffentlichung des Erteilungsbeschlusses erfolgte am 15.11.2005. Gegen das Klagepatent wurde am 12.06.2008 durch das Unternehmen D Einspruch erhoben. Der Einspruch wurde am 07.10.2008 zurückgenommen. Das Europäische Patentamt (EPA) versandte mit Datum vom 21.11.2008 den als Anlage AR A-18 vorgelegten Bescheid, mit welchem es das Einspruchsverfahren beendete und mitteilte, dass es keinen Grund sehe, das Verfahren weiterzuführen. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Die Beklagte hat am 13.03.2015 Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des Klagepatents vor dem Bundespatentgericht erhoben. Die Nichtigkeitsklage wurde der hiesigen Klägerin am 05.08.2015 zugestellt.
30Im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) ist die Klägerin für die Zeit seit dem 08.08.2012 als Inhaberin eingetragen. Die ursprüngliche Anmelderin war die A.
31Die im Klagepatent unter Schutz gestellte Erfindung betrifft die Optimierung von Datenanrufen unter Verwendung verschiedener Datenraten und Trägerdienste.
32Anspruch 12 des Klagepatents lautet:
33„Mobilstation (MS) für ein digitales Mobilkommunikationssystem, gekennzeichnet durch umfassend
34- zumindest einen Datenanruf-Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst und der für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist,
35- Mittel zum Ausführen einer Benutzerdatenrate-Verhandlung, um die Benutzerdatenrate einzustellen, um in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) verwendet zu werden, und um den Datenanruf mit Funkkanal-Ressourcen aufzubauen, die gemäß der Benutzerdatenrate, die ausgehandelt ist, zugewiesen sind.“
36Die nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figuren zeigen nach der Klagepatentbeschreibung Ausführungsbeispiele der Erfindung. Figur 1 zeigt einen Teil eines Mobilkommunikationsnetzes:
37 38Figur 3 zeigt eine Signalisierungstabelle, die einen mobil abgehenden Modemanruf darstellt:
39 40Die Klägerin ist eine Patentverwertungsgesellschaft im Bereich der Elektronik und des Mobilfunks.
41Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um die deutsche Vertriebsgesellschaft, bei der Beklagten zu 2) um die europäische Vertriebsgesellschaft des E-Konzerns, der vornehmlich Haushaltsgeräte wie Fernseher und Kühlschränke herstellt und vertreibt. Die Beklagte zu 1) bietet auf ihrer in Deutschland abrufbaren Webseite insgesamt drei Mobiltelefone und vier Tablets an, die jeweils GPRS-fähig sind, unter anderem das X. Die Beklagte zu 2) stellte auf der IFA in Berlin im Jahr 2014 GPRS-fähige Mobiltelefone und Tablets aus, unter anderem die Telefone X und die Tablets X (nachfolgend gemeinsam als angegriffene Ausführungsformen bezeichnet). Einige Modelle sind bei F und über die Internetseite G in Deutschland erhältlich.
42Der GPRS-Standard wurde entwickelt, um im GSM-Mobilfunknetz ein effizientes Senden und Empfangen von Daten mit höheren Datenraten zu gewährleisten. Die technische Funktionalität der GPRS-Fähigkeit wird in den in die angegriffenen Ausführungsformen eingebauten Chips umgesetzt. Die 3GPP-Standards, zu denen auch der GPRS-Standard gehört, sind in sogenannten „Releases“ strukturiert. Jedes Release beinhaltet hunderte Standarddokumente. Es handelt sich bei den Releases damit um fortlaufende Versionen der Standards. Die Standards folgen dem Grundsatz der Abwärtskompatibilität, das heißt, soweit z.B. ein Chip die Funktionalität des GPRS-Standards in der Version 8 (Release 8) umsetzt, setzt er auch gleichzeitig die Funktionalität sämtlicher früherer Releases um. Damit wird gewährleistet, dass ältere Endgeräte weiterhin die Funktionen des Standards nutzen können. Die in den angegriffenen Ausführungsformen verbauten Chips unterstützen alle Release 8 des GPRS-Standards. Relevante Passagen zu den Funktionalitäten, die im Klagepatent offenbart werden, finden sich in den Standarddokumenten TS 23.060 in der Version 4.11.0 (nachfolgend als TS 23.060 bezeichnet, auszugsweise als Anlage AR 21 vorgelegt), TS 24.008 in der Version 4.17.0 (nachfolgend als TS 24.008 bezeichnet, auszugsweise als Anlage AR 22 vorgelegt) und TS 22.060 in der Version 4.4.0 (nachfolgend als TS 22.060 bezeichnet, auszugsweise als Anlage AR 23 vorgelegt).
43Die Klägerin gab am 10.04.2013 gegenüber dem European Telecommunication Standard Institute (im Folgenden: ETSI) eine Verpflichtungserklärung ab, wonach sie bereit ist, u.a. das Klagepatent zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen zu lizenzieren (im Folgenden: FRAND bzw. FRAND-Bedingungen). Auf die in Anlage AR3 vorliegende Erklärung der Klägerin wird Bezug genommen. Bei ETSI handelt es sich um eine Standardisierungsorganisation, die unter anderem die Standardisierung von GPRS verantwortet.
44Die Klägerin betreibt ein „H Wireless Patent Programm“, das die Lizenzierung eines Patentportfolios im „Wireless“-Bereich vorsieht, wobei eine Lizenz an 47 Patentfamilien mit mehr als 480 Patenten angeboten wird, worin nach Angaben der Klägerin 33 Patentfamilien mit insgesamt mehr als 350 Patenten essentiell für verschiedene Kommunikationsstandards sein sollen (GSM, GPRS, UMTS und LTE).
45Die Klägerin informierte die Muttergesellschaften der Beklagten (I und J) mit Schreiben vom 20.12.2012, 22.08.2013 und 11.11.2013 über ihr „H Wireless Patent Programm“. Am 17.02.2014 kam es zu Gesprächen zwischen Vertretern der Klägerin und der Muttergesellschaften der Beklagten, die letztlich ohne Ergebnis blieben. Am 29.08.2014 machte die Klägerin ein weiteres Lizenzierungsangebot, was die J am 01.09.2014 ohne Gegenvorschlag ablehnte. Unter dem 05.12.2014 bot die Klägerin ferner eine Zwischenvereinbarung an. Der Konzern, dem die Beklagten angehören, ist Lizenznehmer verschiedener Lizenzpools der Klägerin, welche sich auf andere Technologien beziehen.
46Mit Schreiben vom 12.08.2015 machten beide Beklagten der Klägerin ein Lizenzangebot, das das Klagepatent umfasste und das als Anlage G12 zur Akte gereicht wurde. Dieses wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2015 (Anlage G14) abgelehnt. Im Schriftsatz vom 21.09.2015 unterbreiteten die Beklagten ein weiteres Lizenzangebot (Anlage G15). Dieses lehnte die Klägerin ebenfalls ab. Die Beklagten überreichten in der mündlichen Verhandlung am 29.09.2015 eine (Original-) Bürgschaft über EUR 5.000,00 (für das hiesige Verfahren und das Parallelverfahren 4a O 144/14) und Unterlagen mit Zahlen zu den Umsätzen mit angegriffenen Ausführungsformen.
47Die Klägerin meint, die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Verletzungshandlungen, welche sich auf das gesamte Bundesgebiet und damit auch auf den Bezirk des Landgerichts Düsseldorf bezögen.
48Die Klägerin behauptet, materiell-rechtliche Inhaberin des Klagepatents zu sein. Das Unternehmen A habe ihr das Klagepatent einschließlich aller früheren Ansprüche aus diesem mittels der als Anlage AR 2c vorgelegten Vereinbarung vom 11.05.2012 übertragen. K und L die die Vereinbarung für A unterzeichneten, seien beide gemeinsam zeichnungsberechtigt gewesen, was schon aus dem als Anlage AR 26a, in Übersetzung als Anlage AR 26b vorgelegten HR-Auszug folge, der unstreitig auf den 12.12.2011 datiert.
49Nach Auffassung der Klägerin macht die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Die Einhaltung des GPRS-Standards setze zwingend die Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Klagepatentanspruchs 12 voraus. Insbesondere sehe der GPRS-Standard vor, dass ein Trägerdienst mehrere Benutzerdatenraten umfasse. Dies folge aus der im Standard Release 4 vorgeschriebenen Angabe der maximalen bzw. garantierten Bitrate im „Quality of Service Information Element“ (QoS iE). Eine Benutzerdatenrate-Verhandlung liege nach dem Klagepatent schon dann vor, wenn die Datenrate von der Mobilstation angefragt, vom Netzwerk geprüft und ggf. angepasst werde und dies von der Mobilstation entweder akzeptiert werde oder nicht. Eine „Verhandlungsmacht“ der Mobilstation, also die Fähigkeit, die gewünschte Datenrate durchzusetzen, sei nicht erforderlich.
50Die Klägerin bestreitet, dass sich die Beklagten auf eine angebliche Lizenz der Chipherstellerin D berufen können. Eine Lizenznahme auch für China sei zur Vermeidung von Patentverletzungen daher erforderlich.
51Der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand der Beklagten greife nicht durch. Die Klägerin bestreitet das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund des Klagepatents. Ungeachtet dessen verhalte sich die Klägerin auch nicht missbräuchlich; sie habe dem Konzern der Beklagten mehrfach eine Lizenz zu fairen, vernünftigen und nicht diskriminierenden Bedingungen angeboten. Der von der Klägerin übersandte Lizenzvertrag (Anlage AR B39) sei ein Standardlizenzvertrag und am Markt akzeptiert. Die Klägerin dürfe eine weltweite Konzern-Lizenz über das gesamte angebotene Patentportfolio verlangen. Es sei nicht akzeptabel, eine Lizenz nur am Klagepatent zu erteilen, wenn gleichzeitig klar sei, dass die Beklagten in China Patentrechte der Klägerin weiter verletzen. Eine Einzellizenzierung sei nicht praktikabel. Im Rahmen der Lizenz würden nicht standardessentielle Patente lizenzgebührenfrei mit angeboten. Die von der Klägerin geforderte Lizenzgebühr sei angemessen.
52Das Vorgehen der Klägerin stelle keine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Klägerin bestreitet, dass die frühere Anmelderin des Klagepatents (A) dieses gegenüber der Standardisierungsorganisation missbräuchlich und vorsätzlich verschwiegen habe. Ferner bestreitet sie, dass die Lehre des Klagepatents nicht Teil des Standards geworden wäre, wenn die Anmeldung des Klagepatents bei der Festlegung des Standards bekannt gewesen wäre. Der Vortrag der Beklagten zum Verschweigen des Klagepatents beziehe sich zudem offensichtlich auf das Klagepatent im Parallelverfahren 4a O 144/14.
53Die Klägerin beantragt,
54wie erkannt.
55Die Beklagten beantragen,
56die Klage abzuweisen;
57hilfsweise: den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden;
58weiter hilfsweise: den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichtes in dem anhängig gemachten Nichtigkeitsverfahren über den Rechtsbestand des deutschen Teils des Klagepatents auszusetzen.
59Sie wenden ein, das angerufene Gericht sei für die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage örtlich nicht zuständig, weil diese – unstreitig – ihren Sitz in der Republik Frankreich hat und im Bundesgebiet lediglich auf der IFA in Berlin in der Zeit vom 05. bis zum 10.09.2014 Mobilfunkgeräte ausgestellt hat.
60In der Sache bestreiten die Beklagten, dass die Klägerin zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Klagepatent – jedenfalls hinsichtlich des beantragten Zeitraums – berechtigt sei.
61Die Beklagten meinen, die technische Lehre des Klagepatents sei keine zwingende Voraussetzung für eine Erfüllung des technischen Standards. Insbesondere verlange der Standard nicht zwingend, dass ein Trägerdienst mehrere Benutzerdatenraten umfasse, was schon daraus folge, dass die angegriffenen Ausführungsformen zwar standardkompatibel seien, die Daten aber nur mit einer Benutzerdatenrate versenden würden. Die angegriffenen Ausführungsformen besäßen darüber hinaus keine Mittel zum Aushandeln einer Benutzerdatenrate, da sie lediglich in der Lage seien, eine vorgegebene Datenrate zu akzeptieren oder den Anruf fallenzulassen.
62Die Klägerin könne einen Unterlassungsanspruch aus dem Klagepatent gegen die Beklagten nicht durchsetzen. Dieses sei aus Sicht der Klägerin standardessentiell, so dass sie nur eine angemessene Lizenzgebühr fordern könne. Das von der Klägerin den Muttergesellschaften der Beklagten gemachte Lizenzangebot sei unangemessen. Der Rechtsbestand und die Bedeutung aller zu lizenzierenden Patente seien von der Klägerin nicht dargelegt, vielmehr sei dies nur in Bezug auf das hiesige Klagepatent und das im Parallelverfahren (Az. 4a O 144/14) geltend gemachte Patent erfolgt. Die von der Klägerin geforderte Stücklizenz von EUR 0,15 bis EUR 0,50 sei überhöht, da dies den FRAND-gemäßen Lizenzsatz von 0,012 % deutlich übersteige. Auch die von der Klägerin geforderte Pauschallizenzgebühr für die Vergangenheit sei überhöht.
63Darüber hinaus sei das Verhalten der Klägerin missbräuchlich, da sie versuche, Lizenzgebühren auch für solche Endgeräte der Beklagten zu erzielen, für die entweder bereits Erschöpfung eingetreten sei oder für die bereits Lizenzgebühren für das Klagepatent entrichtet wurden. A, die ursprüngliche Anmelderin des Klagepatents, habe D eine umfassende Lizenz erteilt, die auch das Klagepatent umfasse (vgl. Anlage G5). Diese Lizenz verpflichte auch die Klägerin als Erwerberin des Klagepatents (vgl. Anlage G6/6a). Die Klägerin habe zugestanden, dass die patentgemäße Funktion vom Chipsatz ausgeführt werde. Eine Lizenzierung des Chips führe daher zu einer Erschöpfung der Patentrechte an dem Gesamtgerät. Aufgrund der D-Lizenz sei insbesondere in China Erschöpfung eingetreten. In China sei somit keine Lizenzierung durch die Klägerin erforderlich. Es sei zudem unabhängig von der Frage der Erschöpfung missbräuchlich, wenn die Klägerin für die Nutzung des Klagepatents Lizenzgebühren auch hinsichtlich solcher angegriffener Ausführungsformen fordere, für die D bereits eine angemessene Gegenleistung erbracht habe. Für die Chipsätze anderer Hersteller bestehe eine Beweislastumkehr, so dass es der Klägerin obliege, darzustellen, dass diese nicht bereits lizenziert sind.
64Die Durchsetzung des Klagepatents sei zudem ein Fall unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB), da die Klägerin eine unredlich erworbene Rechtsposition geltend mache. Die Unredlichkeit folge aus der vorsätzlichen Täuschung über das Vorhandensein standardessentieller Rechte unter Verstoß gegen Europäisches Kartellrecht sowie die vertragliche Vereinbarung mit der ETSI durch die frühere Anmelderin des Klagepatents A. Diese müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. A habe das Klagepatent (bzw. dessen Anmeldung) im Rahmen des Standardisierungsprozesses bewusst verheimlicht. Bei einer Offenlegung wäre eine andere, patentfreie Technologie in Betracht gezogen worden und/oder ex ante günstigere Lizenzsätze verhandelt worden.
65Ferner erheben die Beklagten gegen die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs den Dolo-Agit-Einwand (§ 242 BGB), da der Klägerin ein schutzwürdiges Interesse insoweit fehle. Schließlich bestehe ein Ausbeutungsmissbrauch nach § 242 BGB, da die Klägerin keine Einzellizenz erteilen will. Sie biete vielmehr ein Patentportfolio an, von denen offensichtlich nicht alle Patente standardessentiell seien. Auch in geographischer Hinsicht versuche die Klägerin, potenziellen Lizenznehmern in kartellrechtlich unzulässiger Weise Lizenzen an Patenten aufzunötigen. Für andere nationale Teile seien deren Bestand und Standardessentialität oder die Inhaberschaft der Klägerin ungeklärt.
66Die Beklagten wenden Verjährung ein. Weil die Klägerin sich – unstreitig – seit dem Jahre 2012 um die Lizenzierung unter anderem auch des Klagepatents bemüht, hätte sie spätestens ab Ende 2012 Kenntnis von den angegriffenen Ausführungsformen haben müssen. Außerdem habe die Klägerin an der Erstellung des Standards mitgearbeitet und hätte damit schon ab der Erteilung des Klagepatents wissen müssen, dass alle vom Standard Gebrauch machenden Mobilfunkgeräte auch von der klagepatentgemäßen technischen Lehre Gebrauch machten.
67Hilfsweise machen die Beklagten geltend, ihnen müsse Vollstreckungsschutz gewährt werden, weil ihnen eine Vollstreckung zumal eines Unterlassungstenors einen nicht zu ersetzenden Nachteil bereiten würde. Kunden der Beklagten würden nämlich auf Wettbewerber ausweichen und die Beklagten wären nicht in der Lage, bereits eingegangene Lieferverträge zu erfüllen, was einen unumkehrbaren Image-Schaden verursachen würde. Verloren gegangene Marktanteile könnten die Beklagten auch dann nicht mehr zurückgewinnen, wenn ein Unterlassungstenor in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben würde.
68Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
69Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.
70A.
71Die Klage ist in vollem Umfang zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht auch für die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage örtlich zuständig, weil seine örtliche Zuständigkeit gemäß § 39 ZPO prorogiert ist, nachdem die Beklagten in den mündlichen Verhandlungen vom 27.11.2014 (Bl. 68 GA) und vom 29.09.2015 (Bl. 189 GA) jeweils zur Sache verhandelt haben, ohne die fehlende örtliche Zuständigkeit zu rügen.
72B.
73Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß Art. 64 EPÜ, §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB im geltend gemachten Umfang zu. Die Klägerin ist aktivlegitimiert (hierzu unter I.) Die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent wortsinngemäß (hierzu unter II. und III.). Der Klägerin ist es auch nicht verwehrt, ihre Ansprüche gegen die Beklagten durchzusetzen, da weder der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand noch die auf § 242 BGB gestützten Einwände der Beklagten durchgreifen (hierzu unter IV). Eine Aussetzung des Rechtsstreits ist nicht geboten (hierzu unter VI).
74I.
75Die Klägerin ist sowohl prozessführungsbefugt als auch aktivlegitimiert.
76Sie ist als Inhaberin im Patentregister eingetragen, weswegen sie schon auf Grundlage von § 30 Abs. 3 Satz 2 PatG prozessual berechtigt ist, Unterlassung zu verlangen, da die Unterlassung nicht gegenüber dem Patentinhaber, sondern schlechthin geschuldet ist und die genannte Norm den eingetragenen Inhaber zur Geltendmachung der Rechte aus dem Patent prozessual berechtigt. Darüber hinaus ist die Klägerin auf Grundlage der schriftlichen Vereinbarung zwischen ihr und der A(Anlage AR 2c) materiell berechtigt, Schadensersatzforderungen aus dem Klagepatent geltend zu machen, und zwar auch für diejenigen Zeiträume, in denen ihre Rechtsvorgängerin Inhaberin des Klagepatents war.
77Für die Sachlegitimation ist allerdings die materielle Rechtslage maßgebend. Die Eintragung eines Inhabers im Patentregister gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 PatG begründet zwar die Berechtigung des Inhabers, Ansprüche aus dem Patent prozessual geltend zu machen, sie hat aber keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage, wirkt also weder rechtsbegründend noch rechtsvernichtend (BGH, GRUR 2013, 713 Tz. 53 – Fräsverfahren). Wohl aber entwickelt die Eintragung eine doppelte Indizwirkung sowohl für die materielle Richtigkeit der eingetragenen Inhaberschaft als auch für die Richtigkeit des Übertragungszeitpunkts, wenn und soweit die Eintragung eines neuen Inhabers in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur behaupteten Übertragung des fraglichen Patents steht, so dass dann die Gegenseite gehalten ist, konkrete Umstände für die Unwirksamkeit eines behaupteten Rechtsübergangs darzulegen und notfalls zu beweisen, um die Aktivlegitimation des eingetragenen Inhabers wirksam in Abrede stellen zu können (BGH, GRUR a.a.O. Tz. 60 – Fräsverfahren).
78Vorliegend lässt sich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den behaupteten Rechtsübergängen und den Eintragungen im Patentregister feststellen. Zwischen dem von der Klägerin vorgebrachten und durch Vorlage der Vereinbarung vom 11.05.2012 (Anlage AR 2c; das Klagepatent ist in der angehängten Liste aufgeführt) belegten Zeitpunkt der Übertragung und der Eintragung der Übertragung am 08.08.2012 liegen etwa drei Monate. Hierbei handelt es sich um einen üblichen Zeitrahmen für die Umschreibung von Patenten (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Auflage, S. 323 Rn 970). Der hieraus entstehenden indiziellen Wirkung der Eintragung sind die Beklagten mit dem bloßen Bestreiten der wirksamen Übertragung und ihrem weiteren pauschalen Vorbringen nicht hinreichend entgegen getreten. Zwar ist der Exhibit A nicht paraphiert. Die Beklagten haben allerdings substantiiert keine Gründe vorgetragen, warum das Patent auf die Klägerin zwar umgeschrieben, aber materiell-rechtlich gar nicht übertragen worden sein soll. Auch ihr Bestreiten in Bezug auf die Zeichnungsberechtigung der A-Mitarbeiter erfolgt pauschal und ins Blaue hinein. Allein wirtschaftliche Schwierigkeiten von A im Jahr 2012 bilden noch kein hinreichendes Indiz dafür, dass sich an der Zeichnungsberechtigung der Mitarbeiter innerhalb eines Jahres etwas geändert haben soll.
79Schließlich ist die Klägerin berechtigt, diejenigen Schäden auf eigene Rechnung zu liquidieren, die aufgrund von solchen Verletzungshandlungen entstanden sind, welche zum Zeitpunkt der Inhaberschaft der Vorinhaberinnen begangen wurden. Die Vereinbarung vom 11.05.2012 (Anlage AR 2c) enthält eine Klausel, nach der neben dem Patent an sich auch alle Ansprüche aus Verletzungen des Patents in der Vergangenheit übergehen (mit dem Wortlaut: „all rights to pursue damages […] for past, present and future infringement of the Patent Rights“). Dass diese Vereinbarung unwirksam sein könnte, tragen die Beklagten nicht vor.
80II.
81Das Klagepatent betrifft das Herstellen von Datenanrufen unter Verwendung verschiedener Datenraten und Trägerdienste.
82Zusätzlich zur herkömmlichen Sprachübertragung bieten moderne Mobilkommunikationssysteme ihren Benutzern verschiedene Arten von Datenübertragungsfunktionen. Die von den Mobilkommunikations-Systemen bereitgestellten Dienste können allgemein in Teledienste und Trägerdienste unterteilt werden. Ein Trägerdienst ist ein Telekommunikationsdienst, der die Übertragung von Signalen zwischen den Benutzer-Netz-Schnittstellen bildet. Als ein Beispiel für Trägerdienste werden Modemdienste erwähnt. Die Trägerdienste werden normalerweise nach einer kennzeichnenden Eigenschaft in Gruppen eingeordnet, wie asynchrone und synchrone Trägerdienste. In einem asynchronen Trägerdienst halten das sendende und das empfangende Datenendgerät ihre Synchronisierung nur während jedem einzelnen zu übertragenden Zeichen aufrecht. In einem synchronen Trägerdienst sind das sendende und das empfangende Datenendgerät während der gesamten Datenübertragung synchronisiert.
83Im Stand der Technik ist jeder Benutzerdatenrate ein unabhängiger Trägerdienst zugeordnet. Daher wird es eine enorm gesteigerte Anzahl von verschiedenen Trägerdiensten geben. Zum Beispiel weist der Einkanal-Datendienst des europaweiten digitalen Mobilkommunikationssystems GSM (Global System for Mobile Communication) 6 verschiedene asynchrone Trägerdienste für die Raten 300, 1200, 1200/75, 2400, 4800 und 9600 bit/s auf.
84Ein Mobilteilnehmer kann typischerweise zu verschiedenen Arten von Tele- und Trägerdiensten berechtigt sein. Er kann zum Beispiel Zugang zu einem Sprachdienst, einem Telefax-Dienst und verschiedenen Arten von Datendiensten haben, die Trägerdienste verwenden. Ein mobil eingehender oder abgehender Anruf kann daher irgendeinen der vorgenannten Tele- und Trägerdienste oder Kombinationen davon erfordern, was der Grund dafür ist, dass der richtige Dienst an das Mobilkommunikationsnetz gerichtet werden muss. In dem GSM-Mobilkommunikationssystem zum Beispiel enthält eine von einer Mobilstation übertragene Verbindungsaufbau-Signalisierung Informationen über den benötigten Dienst in einem bestimmten BCIE (Bearer Capability Information Element, Trägerfähigkeits-Informationselement). Das Mobilkommunikationsnetz kann damit den geeigneten Dienst für die mobil abgehenden Anrufe wählen. Anrufe, die von einem ISDN (Integrated Services Digital Network) abgehen, enthalten ebenfalls ein ähnliches Informationselement, welches den benötigten Dienst anzeigt. Wenn jedoch der Anruf von dem öffentlichen Telefonnetz (PSTN, public switched telephone network) abgeht oder über dieses geroutet wird, werden Informationen über die Dienstart des Anrufs nicht an das Kommunikationsnetz übertragen. In einem solchen Fall sollte das Mobilkommunikationsnetz auf eine andere Weise darüber informiert werden, welche Art eines Basisdienstes von dem Anruf benötigt wird.
85Eine Lösung nach dem Stand der Technik für das Problem stellt ein Mehrfach-Nummerierungs-Schema dar, in dem ein Mobilteilnehmer so viele Verzeichnisnummern hat, wie er verschiedene Dienste abonniert hat, an denen er eingehende Anrufe empfangen möchte. Nach dem Mehrfach-Nummerierungs-Schema wählt ein Anruf-Teilnehmer die Verzeichnisnummer des Mobilteilnehmers, die dem gewünschten Dienst entspricht. In dem GSM-System sind die Dienste der Teilnehmer in dem Standortverzeichnis (HLR, Home Location Register) eines Teilnehmers festgelegt, in dem auch andere Teilnehmerinformationen dauerhaft gespeichert sind. Das HLR wird auch verwendet, um Informationen über das Abbilden bzw. Zuordnen zwischen den Verzeichnisnummern und den Diensten der Teilnehmer zu speichern. In dem HLR ist ein spezifisches BCIE-Element, welches den Typ eines Anrufs und die für den Anruf erforderlichen Netzressourcen angibt, auch mit der Verzeichnisnummer verknüpft.
86Das Klagepatent kritisiert an dieser Lösung, dass für den Netzbetreiber und die Mobilteilnehmer eine solche enorme Anzahl von Diensten Verwirrung und Ärger verursacht. Damit der Mobilteilnehmer Datenanrufe an Anwendungen mit verschiedenen Raten durchführen kann, muss er mehrere Trägerdienste von dem Netzbetreiber abonnieren. Vom Standpunkt des Netzbetreibers aus wiederum ist es problematisch, dass jeder Benutzer zahlreiche Verzeichnisnummern benötigen sollte, was den Nummernraum des Netzes verschwendet. Des Weiteren verbraucht das Festlegen der Dienste in den Netzdatenbanken Datenbankkapazitäten.
87In dem GSM-Netz wird das Problem akuter, da dort wegen der angewandten Mehrfachschlitztechnik die Zahl von Trägerdiensten über die bereits bestimmten Einzelschlitz-Dienste hinaus erhöht wird. Daher wäre es vorteilhaft sowohl für die Netzbetreiber als auch die Mobilteilnehmer, wenn die Anzahl von verschiedenen Arten von Trägerdiensten verringert werden könnte.
88Das Klagepatent nennt als Stand der Technik die Offenbarungsschrift EP-A M welche die Verwendung von mehreren parallelen Kanälen für eine Datenübertragung über den Funkweg in einem Datenkommunikationssystem offenbart, übt hieran aber keine weitere Kritik.
89Es ist Aufgabe der klagepatentgemäßen Erfindung, ein digitales Mobilkommunikationsnetz bereitzustellen, in dem ein festgelegter Trägerdienst so viele Datenraten wie möglich handhaben kann.
90Zur Lösung dieser Aufgabe ist in Patentanspruch 12 des Klagepatents eine Mobilstation mit den folgenden Merkmalen offenbart:
911. Mobilstation (MS) für ein digitales Mobilkommunikationssystem, umfassend
921.1 zumindest einen Datenanruf-Trägerdienst,
931.1.1 der mehrere Benutzerdatenraten umfasst, und
941.1.2 der für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmer-Datenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist,
951.2 Mittel zum Ausführen einer Benutzerdatenrate-Verhandlung,
961.2.1 um die Benutzerdatenrate zur Verwendung in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikations-Netzwerk (BTS, BSC, MSC) einzustellen, und
971.2.2 um den Datenanruf mit Funkkanal-Ressourcen aufzubauen, die gemäß der ausgehandelten Benutzerdatenrate zugewiesen sind.
98III.
99Davon ausgehend machen die angegriffenen Ausführungsformen unmittelbar und wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.
100Zwischen den Parteien steht – zu Recht – allein die Verwirklichung der Merkmale 1.1.1, 1.2.1 und 1.2.2 im Streit. Die Verwirklichung dieser Merkmale lässt sich indes feststellen.
1011.
102Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Merkmal 1.1.1 verwirklicht, wonach die Mobilstation einen Datenanruf-Trägerdienst umfasst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst.
103a)
104Was unter dem Begriff „Trägerdienst“ zu verstehen ist, lehrt das Klagepatent den Fachmann in Abschnitt [0002]. Hier heißt es:
105„Zusätzlich zur herkömmlichen Sprachübertragung bieten moderne Mobilkommunikationssysteme ihren Benutzern verschiedene Arten von Datenübertragungsfunktionen. Die von den Mobilkommunikationssystemen bereitgestellten Dienste können allgemein in Teledienste und Trägerdienste unterteilt werden. Ein Trägerdienst ist ein Telekommunikationsdienst, der die Übertragung von Signalen zwischen den Benutzer-Netz-Schnittstellen bildet.“
106Es handelt sich mithin um eine Datentransportfunktion und nicht um ein räumlich-körperliches Merkmal. Unter entsprechender funktionaler Auslegung ist unter dem Begriff „umfassen“ in Bezug auf die Mobilstation gemeint, dass diese einen Trägerdienst unterstützt, also Daten mittels einer Datenübertragungsfunktion mit den in Merkmal 1.1.1 aufgeführten Eigenschaften übertragen kann.
107Die Beklagten bestreiten nicht, dass ihre angegriffenen Ausführungsformen die Möglichkeit bieten, Daten zu übertragen. Sie unterstützen also ein durch den GPRS-Standard näher ausgestaltetes Datentransportsystem und müssen damit einen entsprechenden Trägerdienst unterstützen.
108b)
109Dieser von den angegriffenen Ausführungsformen unterstützte Trägerdienst umfasst mehrere Benutzerdatenraten im Sinne von Merkmal 1.1.1.
110Bei Datenraten handelt es sich um eine Mengenangabe, nämlich um die Angabe der Datenmenge, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums über einen Übertragungskanal übertragen wird. Dies folgt aus Abschnitt [0003] des Klagepatents, in welchem Beispiele von Datenraten genannt werden, unter anderem 300 bit/s. Aus der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents folgert der Fachmann, dass es sich bei der Benutzerdatenrate um die Datenrate, also Übertragungsmenge handelt, mit welcher entweder die vom Nutzer der Mobilstation angeforderten Daten an diese übertragen oder die vom Nutzer versandten Daten an andere Stationen übermittelt werden.
111Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich aus dem Begriff „umfassen“, welches die Merkmale „Trägerdienst“ und „mehrere Datenraten“ in Bezug zueinander setzt, nicht schließen, dass letztendlich die zu übertragenden Daten zwingend mittels mehrerer verschiedener Datenraten übertragen werden. In Abschnitt [0010] des Klagepatents heißt es:
112„Die Anzahl von Trägerdiensten, die in einem Mobilkommunikationsnetz erforderlich sind, kann durch das Verfahren der Erfindung deutlich verringert werden, indem ein Trägerdienst festgelegt wird, um mehrere oder alle Benutzerdatenraten abzudecken, und indem zwischen der Mobilstation und dem Mobilkommunikationsnetzwerk in der Phase des Verbindungsaufbaus die Datenrate verhandelt wird, die von dem Datenanruf in dem Trägerdienst angewendet werden soll.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
113Hieraus folgt, dass bei der Signalübertragung, also bei der Übermittlung der Daten, letztendlich nur eine Datenrate verwendet wird. Das Klagepatent bezieht die Mehrzahl der Datenraten lediglich auf die Phase des Verbindungsaufbaus und hat zum Ziel, dass in dieser Phase nicht ein separater Trägerdienst für jede mögliche Benutzerdatenrate bei dem Mobilkommunikationsnetz eine freie Benutzerdatenrate anfragen muss, sondern dass ein einziger Trägerdienst direkt mehrere Datenraten anfragen kann, aus denen für den Verbindungsaufbau im weiteren Verfahren eine Datenrate ausgewählt wird. Der Begriff „umfassen“ wird vom Fachmann vor diesem Hintergrund im Sinne eines „Abdeckens“ verstanden, was darüber hinaus näher an dem nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen Original-Wortlaut des Patentanspruchs („cover“) liegt. Dass das Signal letztlich mit einer Datenrate übertragen wird, ist für die Merkmalsverwirklichung unschädlich.
114Im von den angegriffenen Ausführungsformen unterstützten GPRS-Standard Release 8 ist zwingend vorgesehen, dass ein Trägerdienst mehrere Benutzerdatenraten abdeckt.
115Es ist hierbei unerheblich, dass sich die Klägerin für ihre Verletzungsargumentation der Standarddokumente Release 4 bedient, obwohl bereits Release 12 veröffentlicht worden ist. Die Beklagten rügen zwar eine fehlende Schlüssigkeit, sie behaupten aber nicht, dass die von der Klägerin aus der Release 4 zitierten Funktionalitäten nicht in gleicher Form auch in der Release 12 zu finden sind. Ihr Argument, die Release 12 – Dokumente wiesen mehr Seiten auf, überzeugt nicht. Denn aus dem Umstand der unstreitigen Abwärtskompatibilität folgt, dass die zusätzlichen Seiten lediglich weitere Funktionalitäten beschreiben und nicht bestehende Funktionalitäten grundlegend verändern. Aus einer zwingenden Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre in der Release 4 ergibt sich damit zwingend die Verwirklichung sämtlicher Merkmale in der Release 8 bzw. 12.
116Im GPRS-Standard wird jede Datenübertragung durch ein PDP als ein Paketdatenprotokoll definiert. Innerhalb dieses PDP wird die Datengüte einer Verbindung mittels eine QoS-Profils bestimmt. Hierzu heißt es in Abschnitt 15.2 des Dokuments 23.060 (Anlage AR 21):
117„Ein QoS-Profil ist jedem PDP Kontext zugeordnet. Bei dem QoS-Profil handelt es sich um ein einziges Parameter, welches verschiedene Datentransfer-Attribute beinhaltet. Die Definitionen der QoS Attribute finden sich in TB 23.107 […]“
118Das QoS-Profil definiert eine Reihe von Werten für die Datenübertragung. In Abschnitt 10.5.6.5 des Dokuments 24.008 (Anlage AR 22 bzw. AR 27a) wird ausgeführt, dass ein QoS-Informationselement existiert, welches die QoS-Parameter für den PDP Kontext spezifiziert. Das Informationselement umfasst mehrere Oktette. Die Oktetten 8 und 9 definieren, wie in der nachfolgend eingeblendeten Figur 10.5.138 dargestellt, die maximalen Datenraten für den Uplink und den Downlink, die Oktetten 12 und 13 die entsprechenden garantierten Datenraten.
119 120Aus der Bezeichnung „Uplink“ und „Downlink“ folgt, dass es sich bei den angegebenen Werten um solche handelt, die den Transport von Daten zum Mobiltelefon und vom Mobiltelefon betreffen, also Benutzerdatenraten. Dadurch, dass die Oktette 8 und 9 die maximale Datenrate für den Uplink und den Downlink definieren, bestimmen diese Oktette eine ganze Bandbreite von Datenraten, nämlich von 0 kbps bis zur definierten maximalen Datenrate. Hierdurch wird es ermöglicht, dass mittels nur eines Informationselements QoS iE eine Mehrzahl von Datenraten beim Mobilkommunikationssystem angefragt werden kann. Mithin ist die Verwirklichung von Merkmal 1.1.1 im GPRS-Standard vorgesehen.
121Dies folgt ebenfalls aus dem Abschnitt 10.5.156 (Anlage AR 27a, S. 404) des Standarddokuments, aus welchem hervorgeht, dass die maximale Bitrate in 8 bits binärkodiert ist und je nach Kodierung einen Bereich von Bit-Werten angibt, z.B. zwischen 1 kbps bis 63 kbps.
122Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aus Abschnitt 10.5.65 des als Anlage AR 29b vorgelegten Standarddokuments nicht, dass bei Geräten, die kompatibel zu Release 8 des GPRS-Standards sind, eine Verwendung der Oktetten 8 und 9 nicht zwingend vorgesehen ist. Zwar heißt es dort, dass auch Geräte, bei welchen die Oktette 8 und 9 nicht übermittelt werden, unterstützt werden sollen. Dies geschieht allerdings lediglich, um Geräte, die eine frühere Version des Protokolls unterstützen, weiterhin funktionsfähig zu halten bzw. bei Geschwindigkeiten von weniger als 8.700 kbits/s. Die Beklagten tragen weder vor, dass bei den von ihnen angebotenen Mobilgeräten eine frühere Version des Protokolls implementiert ist, bei welcher die Oktetten 8 und 9 nicht übermittelt werden, noch, dass ihre Geräte lediglich Übertragungsgeschwindigkeiten von weniger als 8.700 kbits/s unterstützen.
123Dass die angegriffenen Ausführungsformen in der Praxis Signalübertragungen mit der genannten geringen Datenrate ausführen können und damit Fälle von Datentransporten denkbar sind, bei welchen das Merkmal 1.1.1 nicht erfüllt ist, führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn eine Patentverletzung liegt schon dann vor, wenn die angegriffene Ausführungsform objektiv in der Lage ist, alle Merkmale des Patentanspruchs zu erfüllen. Es ist nicht notwendig, dass sie sämtliche Merkmale zu jeder Zeit erfüllt (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Auflage, Rn 82).
124Auch bei der sogenannten „abonnierten“ Bitrate (subscribed bitrate) handelt es sich nicht, wie von den Beklagten vorgebracht, um eine einzige Bitrate. Vielmehr geht aus Abschnitt 10.5.156 (Anlage AR 27a, S. 404) hervor, dass es sich im Falle einer abonnierten Bitrate ebenfalls um eine maximale Bitrate und damit um eine Bandbreite von Werten handelt.
125Dass es nach dem vorgenannten Abschnitt möglich ist, die maximale Bitrate auf 0 kbits/s zu setzen, ist unerheblich, da die Beklagten nicht vortragen, dass die von ihnen angebotenen Mobilgeräte ausschließlich von dieser Funktion Gebrauch machen.
126Die Behauptung der Beklagten, dass das Signal lediglich mit einer Datenrate übertragen wird, steht einer Merkmalsverwirklichung nicht entgegen, da – wie oben dargelegt – die Mehrzahl von Datenraten die Phase des Verbindungsaufbaus und nicht die Phase der sich daran anschließenden Signalübertragung betrifft.
127Mithin machen ihre angegriffenen Ausführungsformen von Merkmal 1.1.1 des Klagepatentanspruchs 12 wortsinngemäß Gebrauch.
1282.
129Zu Recht haben die Beklagten die Verwirklichung von Merkmal 1.1.2 durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht in Abrede gestellt. Der Standard schreibt vor, dass die QoS-Profile, welche unter anderem die Parameter zur Datenrate enthalten, in der HLR-Datenbank hinterlegt werden. Bei der HLR-Datenbank handelt es sich um ein in der Klagepatentschrift explizit genanntes Beispiel einer Teilnehmerdatenbank im Mobilkommunikationsnetzwerk.
1303.
131Die angegriffenen Ausführungsformen verfügen über Mittel zum Ausführen einer Benutzerdatenrate-Verhandlung, um die Benutzerdatenrate zur Verwendung in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) einzustellen und verwirklichen damit Merkmal 1.2.1 des Klagepatentanspruchs 12 wortsinngemäß.
132Nach dem Klagepatent muss die Mobilstation so ausgebildet sein, dass es ihr möglich ist, Ratenparameter bei dem Mobilkommunikationsnetzwerk anzufragen. Dies schließt der Fachmann aus Abschnitt [0011] der Klagepatentschrift, in dem es heißt:
133„In der anfänglichen Phase des Verbindungsaufbaus findet eine Verhandlung über die Benutzerdatenrate zwischen der Mobilstation und dem Mobilkommunikationssystem […] statt. Die Mobilstation und […] können den Anruf ebenfalls darauf beschränken, eine Übertragungsrate zu verwenden, die sie unterstützt, indem sie einen ähnlichen Ratenparameter von dem BCIE signalisiert.“
134Was unter dem Begriff der „Einstellung“ der Benutzerdatenrate durch die Mobilstation zu verstehen ist, folgt für den Fachmann aus Anschnitt [0014] des Klagepatents, in welchem es heißt:
135„Im dritten Schritt des Verbindungsaufbau-Vorgangs gemäß der Erfindung werden die Datenrate des Mobilkommunikationsnetzes und die Funkwegkanalressourcen, die in dem ersten Schritt zugeteilt wurden, wenn nötig an die Datenrate angepasst, die von dem Festnetz verwendet wird und im zweiten Schritt vereinbart oder erkannt wurde. Wenn die erkannte oder vereinbarte Benutzerdatenrate höher ist als die in dem ersten Schritt von der Mobilstation und dem Mobilkommunikationsnetz ausgehandelte Rate, wird der Anruf für den Fall eines transparenten Datenanrufs fallen gelassen. Wenn die in dem zweiten Schritt vereinbarte oder erkannte Datenrate niedriger als die Übertragungskapazität der Kanalressourcen ist, die auf dem Funkweg im ersten Schritt zugeteilt wurden, wird zusätzliche Kapazität freigegeben und/oder die Kanalcodierung in eine bessere ausgetauscht, wenn möglich. Wenn die vereinbarte oder erkannte Datenrate in der zweiten Phase so hoch ist wie die im ersten Schritt vereinbarte Rate, dann bleiben die Kanalressourcen des Funkwegs unverändert.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
136Die Mobilstation muss also nicht ausschließlich auf die vom Mobilkommunikationssystem nach ihrer Anfrage übermittelte Datenrate dergestalt reagieren, dass sie sich auf diese Datenrate einlässt. Vielmehr bedeutet ein „Einstellen“ im Sinne der klagepatentgemäßen Erfindung, dass auch Fälle denkbar sind, in welchen die Mobilstation mit dem Fallenlassen des Anrufs reagiert. Auch sind Fälle denkbar, in welchen die Datenrate unverändert bleibt. Es muss lediglich die Möglichkeit bestehen, dass die Mobilstation Daten mit einer über die Verhandlung angepassten Datenrate verschickt.
137Im GPRS-Standard muss, wie die folgenden Dokumentenstellen zeigen, eine Mobilstation sowohl die Fähigkeiten haben, dem Mobilkommunikationssystem die gewünschte Datenrate mitzuteilen als auch auf die Antwort zu reagieren, indem sie entweder die Rate akzeptiert oder den Anruf abbricht. In Kapitel 9.2.2.1 des Standards TS 123.060 (Anlage AR 21) heißt es:
138„1) Die MS sendet eine PDP Kontext Aktivierungsanfrage-Nachricht […] an den SGSN.“
139„9) Das SGSN wählt eine Funkpriorität und eine Paketfluss ID auf der Basis der ausgehandelten QoS und schickt eine PDP Kontext-Aktivierungsbestätigung-Nachricht […] an die MS“.
140In Kapitel 15.2 des Dokuments TS 123.060 (Anlage AR 21) heißt es:
141„Während der QoS-Profil-Verhandlung, die im Abschnitt „Aktivierungsverfahren“ definiert ist, besteht für die MS die Möglichkeit, einen Wert für jedes QoS Attribut anzufordern, einschließlich der in der Datenbank HLR gespeicherten abonnierten Standardwerte. […] wenn die Anwendung in der MS eine QoS für Streaming oder Sprachkommunikation anfordert, soll die MS wenigstens ausdrücklich die Datenverkehrskategorie anfragen und sie sollte ausdrücklich die garantierte Bitrate und die maximale Bitrate anfragen.“
142In Kapitel 9.2.2.1 (Anlage AR 21) heißt es weiter:
143„Entweder die MS akzeptiert das ausgehandelte QoS Profil oder es deaktiviert den PDP Kontext.“
144Aus diesen Abschnitten folgt, dass eine GPRS-fähige Mobilstation jedenfalls beim Streaming eine garantierte Bitrate anfragt. Je nach Antwort der SGSN kann sie den Datenanruf sodann durchführen oder die Verbindung abbrechen. Mithin wird Merkmal 1.2.1 durch die GPRS-fähigen angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß verwirklicht.
145Der Einwand der Beklagten, bei dem sogenannten Call-Admission-Control-Verfahren werde keine Datenrate verhandelt, sondern lediglich eine feste Datenrate bereitgestellt, greift vor diesem Hintergrund nicht durch. Denn die Beklagten behaupten schon nicht, dass ihre angegriffenen Ausführungsformen lediglich diese Art des Verfahrens anwenden.
1464.
147Entgegen der Auffassung der Beklagten wird durch die angegriffenen Ausführungsformen ebenfalls Merkmal 1.2.2 von Klagepatentanspruch 12 verwirklicht, wonach die Mobilstation Mittel zur Verhandlung einer Benutzerdatenrate umfassen muss, um den Datenanruf mit Funkkanal-Ressourcen aufzubauen, die gemäß der ausgehandelten Benutzerdatenrate zugewiesen sind.
148Bei einer GPRS-fähigen Mobilstation werden dieser durch das Netzwerk die Kanalressourcen in Abhängigkeit von der ausgehandelten Datengüte, also auch der Datenrate, zugewiesen (Anlage AR A-24, Abschnitt 15.2):
149„Das Netzwerk verhandelt jedes Attribut auf ein Level, welches zu den verfügbaren GPRS-Ressourcen passt. Das Netzwerk soll immer versuchen, adäquate Ressourcen zur Unterstützung der verhandelten QoS Profile bereitzustellen.“
150Nachdem die Mobilstation die verhandelte Datengüte akzeptiert hat, ist sie in der Lage, die Daten entsprechend der verhandelten Werte zu übertragen. Mithin ist auch das letzte Merkmal durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
151IV.
152Der von den Beklagten gegen die Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung geltend gemachte kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand greift nicht durch (hierzu unter 1.). Ebenso stehen weder die von den Beklagten behauptete D-Lizenz (hierzu unter 2.) noch die auf § 242 BGB (hierzu unter 3. und 4.) gestützten Einwände der Beklagten den hier geltend gemachten Ansprüchen der Klägerin entgegen.
1531.
154Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen. Die Klägerin kann daher auch ihren Unterlassungsanspruch und die Ansprüche auf Rückruf und – gegen die Beklagte zu 1) – auf Vernichtung durchsetzen, ohne gegen Art. 102 AEUV zu verstoßen. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob das Klagepatent eine marktbeherrschende Stellung vermittelt. Denn auch wenn man dies annimmt, lässt sich ein Missbrauch dieser Stellung nicht feststellen.
155a)
156Der EuGH hat im Urteil vom 16.07.2015, Az. C-170/13 (GRUR 2015, 764, im Folgenden kurz: (das) EuGH-Urteil) Vorgaben dazu gemacht, wann die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs aus einem von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessentiellen Patents (nachfolgend auch: „SEP“), dessen Inhaber sich gegenüber dieser Organisation zur Erteilung von FRAND-Lizenzen („Fair Reasonable And Non-Disciminatory“, also fair, angemessen und nicht-diskriminierend) an jeden Dritten verpflichtet hat, keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt. Hiernach muss der Inhaber eines SEPs den angeblichen Verletzer auf die Patentverletzung hinweisen, bevor er seinen Unterlassungsanspruch geltend macht (Rn. 61 EuGH-Urteil). Soweit der Verletzer zur Lizenznahme bereit ist, muss der SEP-Inhaber ihm ein konkretes schriftliches Angebot auf Lizenzierung des SEPs zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen (FRAND-Bedingungen) unterbreiten (Rn. 63 EuGH-Urteil). Hierauf muss der Verletzer nach Treu und Glauben und insbesondere ohne Verzögerungstaktik reagieren (Rn. 65 EuGH-Urteil). Nimmt er das Angebot des SEP-Inhabers nicht an, muss der Verletzer innerhalb kurzer Frist ein Gegenangebot machen, welches ebenfalls FRAND-Vorgaben einhält (Rn. 66 EuGH-Urteil). Lehnt der SEP-Inhaber dieses Gegenangebot ab, muss der Patentverletzer ab diesem Zeitpunkt über die Benutzung des SEPs abrechnen und für die Zahlung der Lizenzgebühren Sicherheit leisten, was auch für Nutzungen in der Vergangenheit gilt (Rn. 67 EuGH-Urteil). Diese kartellrechtlichen Beschränkungen gelten nicht nur für den Unterlassungsanspruch, sondern auch für den Rückrufanspruch, da auch auf Rückruf gerichtete Klagen geeignet sind, zu verhindern, dass von Wettbewerbern hergestellte Produkte, die dem betreffenden Standard entsprechen, auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben (Rn. 73 EuGH-Urteil). Gleiches gilt auch für den Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Gegenstände, da er in seiner Wirkung auf den Marktzugang entsprechender Produkte ähnlich wie ein Unterlassungs- oder Rückrufanspruch wirkt. Dagegen ist die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rechnungslegung oder Schadensersatz grundsätzlich auch ohne weitere Voraussetzung nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 102 AEUV (Rn. 74 f. EuGH-Urteil).
157b)
158Die Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ist der Klägerin hier möglich und stellt keinen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV dar, da die Beklagten sich bezüglich des Gegenangebots nicht an die vom EuGH formulierten Vorgaben gehalten haben.
159aa)
160Die Klägerin hat ihre Hinweispflichten erfüllt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gespräche der Klägerin mit Konzerngesellschaften der Beklagten hier als Hinweis auf das Klagepatent ausreichend waren. Jedenfalls durch die Klageschrift sind die Beklagten über das Klagepatent und die geltend gemachte Patentverletzung hinreichend informiert, was im vorliegenden Einzelfall ausreichend war.
161(1)
162Zwar hat der Hinweis auf das durchzusetzende SEP nach dem EuGH-Urteil vor einer gerichtlichen Geltendmachung zu erfolgen. Es ist zudem fraglich, ob eine Nachholung des versäumten Hinweises im Rahmen des Verletzungsverfahrens möglich ist, da durch die Klageerhebung Lizenzverhandlungen nunmehr nur unter dem Druck eines gerichtlichen Verfahrens möglich sind. Dies muss allerdings hier nicht entschieden werden.
163Im vorliegenden Fall wurde die Klageschrift am 08.09.2014 eingereicht und damit zeitlich vor dem EuGH-Urteil (vom 16.07.2015) und den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet in dieser Sache vom 20.11.2014. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung verlangte die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard) vom Inhaber eines eine marktbeherrschende Stellung vermittelnden Patents nicht, dass dieser den Verletzer auf die Patentverletzung hinweist und ein Lizenzangebot macht. Vielmehr oblag es dem Verletzer, ein Lizenzvertragsangebot zu machen. Missbräuchlich handelte der Patentinhaber durch die Durchsetzung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs aus einem solchen Patent nur dann, wenn der Verletzer ihm ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht hatte, an das er sich gebunden hielt und das der Patentinhaber nicht ablehnen durfte, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner musste der Verletzer, solange er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstandes knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard). Die Orange-Book-Standard-Entscheidung erging zwar zu einem Patent, das für einen de-facto-Standard essentiell war. Diese Maßstäbe sind in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung jedoch auch auf solche standardessentiellen Patente angewendet worden, bei denen der Standard im Rahmen eines Standardisierungsprozesses zwischen den beteiligten Unternehmen vereinbart wurde und die Patentinhaber FRAND-Zusagen erteilt hatten (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 24.04.2012 – 4b O 274/12 – Rn. 227 ff. bei Juris).
164Zwar war die Orange-Book-Standard-Rechtsprechung des BGH nicht unumstritten und insbesondere die EU-Kommission stellte abweichende Anforderungen an ein kartellrechtlich zulässiges Verhalten des Inhabers eines SEPs. Diese Divergenz führte letztlich über die Vorlageentscheidung des LG Düsseldorf (GRUR-RR 2013, 196 – LTE-Standard) zum EuGH-Urteil. Allerdings ändert dies nichts daran, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht davon ausgehen musste, dass sie zuvor den Beklagten einen Hinweis auf das Klagepatent erteilen muss. Vor diesem Hintergrund ist für Übergangsfälle wie den hiesigen ausreichend, wenn der Patentverletzer durch die Klage Kenntnis von der Patentverletzung erhält.
165(2)
166Ob ein Patentinhaber nicht nur auf das Patent, dessen Unterlassungsanspruch er gerichtlich durchsetzen möchte, hinweisen muss, sondern auch auf alle anderen Schutzrechte, deren Lizenzierung er anbietet, muss vorliegend nicht entschieden werden. Der Hinweis auf weitere Patente ist für die Durchsetzung des Klagepatents nicht unmittelbar erforderlich, sondern könnte – ohne dass dies hier entschieden werden muss – vielmehr nur für die Frage der Angemessenheit des von der Klägerin abgegebenen Lizenzvertragsangebots relevant sein. Auf das Angebot der Klägerin kommt es aber vorliegend nicht maßgeblich an (hierzu sogleich).
167bb)
168Die Klägerin hat den Beklagten vor Klageerhebung ein Lizenzangebot gemacht.
169Es stellt keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar, wenn der Inhaber eines standardessentiellen Patents dieses (zunächst) der Muttergesellschaft des angeblichen Patentverletzer anbietet, um entsprechende Verhandlungen zu initiieren. Oftmals wird ein Konzern daran interessiert sein, eine Lizenz nicht nur für einzelne (Tochter-) Gesellschaften, sondern für den gesamten Unternehmensverbund zu nehmen. Auch wird der Abschluss von Lizenzverträgen in einem Konzern häufig von einer zentralen Stelle koordiniert, so dass die Konzernmutter im Regelfall ein tauglicher Ansprechpartner ist. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass zwischen der Muttergesellschaft und ihren einzelnen Konzerngesellschaften eine ausreichende Kommunikation besteht und der Patentinhaber ggf. an die zuständige Gesellschaft weitergeleitet wird. Dagegen wäre es eine unnötige Förmelei, vom Patentinhaber zu verlangen, ggf. jeder einzelnen Konzerngesellschaft ein Angebot zu machen.
170Damit reicht es zur Feststellung, dass eine Lizenz angeboten wurde, aus, dass die Klägerin eine Lizenzierung den Muttergesellschaften der Beklagten angeboten hat und die Beklagten von der beabsichtigten Lizenz erfasst worden wären.
171cc)
172Ob das Angebot der Klägerin, insbesondere das Bestehen auf einer weltweit gültigen Portfoliolizenz, FRAND-Grundsätzen entspricht, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Selbst wenn man unterstellt, das klägerische Angebot sei nicht FRAND-gemäß gewesen, liegt in der Geltendmachung der patentrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung hier kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Auch bei einem nicht FRAND-gemäßen Angebot der Klägerin mussten die Beklagten, als Nutzer der patentgemäßen Lehre, oder zumindest ihre Muttergesellschaften hierauf reagieren und insoweit die Vorgaben des EuGH-Urteils beachten. Dies ist aber nicht in hinreichendem Maße erfolgt.
173(1)
174Nach Rn. 65 des EuGH-Urteils obliegt es dem angeblichen Patentverletzer, auf das Angebot des Patentinhabers
175„mit Sorgfalt, gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, zu reagieren, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.“
176Dem angeblichen Patentverletzer, der sich auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen will, steht es also nicht zu, auf das Lizenzvertragsangebot des Patentinhabers gar nicht zu reagieren und die (unberechtigte) Nutzung der patentierten Lehre einfach fortzusetzen. Vielmehr geht der EuGH davon aus, dass auch der angebliche Patentverletzer sich um eine Lizenzierung bemühen muss. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob er auf ein nicht FRAND-gemäßes Lizenzvertragsangebot zwingend mit einem Gegenangebot reagieren muss oder er auch anders reagieren kann, beispielsweise indem er dem Patentinhaber nachweist, dass dessen Angebot nicht FRAND-Grundsätzen entspricht und konkrete Nachbesserungen des Angebots fordert. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob der angebliche Patentverletzer ein FRAND-gemäßes Angebot annehmen muss, weil der Patentinhaber seine kartellrechtlichen Verpflichtungen durch ein solches Angebot bereits erfüllt hat und damit kein Raum mehr für ein Gegenangebot besteht.
177Denn jedenfalls dann, wenn der angebliche Patentverletzer sich dazu entscheidet, auf ein Angebot des Patentinhabers mit einem Gegenangebot zu reagieren, treffen ihn die in Rn. 66 f. des EuGH-Urteils umschriebenen Pflichten. Selbst wenn das Angebot des Patentinhabers FRAND-Grundsätzen nicht entspricht, muss der angebliche Patentverletzer – ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots – über die Benutzung (auch in der Vergangenheit) abrechnen und für die fälligen Lizenzgebühren Sicherheit leisten (Rn. 67 EuGH-Urteil).
178Mit der vorgezogenen Abrechnung und Sicherheitsleistung hat der EuGH nämlich formale Voraussetzungen dafür benannt, die der Lizenzsuchende erfüllen muss, um die Benutzung eines standardessentiellen Patents vor Abschluss einer Lizenzvereinbarung aufnehmen zu können. Er muss sich bereits vor deren Abschluss in Übereinstimmung mit seinem Lizenzvertragsgegenangebot verhalten und entsprechend diesem Angebot abrechnen und Sicherheit leisten. Bei einem angeblichen Patentverletzer, der nicht einmal bereit ist, trotz bereits im Vorfeld einer Vereinbarung erfolgter Patentbenutzung auf Grundlage eines selbst formulierten Lizenzvertragsgegenangebots mit einer diesbezüglichen Abrechnung und Sicherheitsleistung seinerseits in Vorleistung zu treten, kann bei objektiver Betrachtung nicht davon ausgegangen werden, dass er hinreichend lizenzwillig ist und keine Verzögerungstaktik verfolgt. Dabei handelt es sich um eine formale Mindestvoraussetzung, die unabhängig von der Frage erfüllt sein muss, ob und in welchen Einzelheiten Angebot oder Gegenangebot in der Sache als FRAND-gemäß angesehen werden können.
179(2)
180Diesen Erfordernissen sind die Beklagten nicht nachgekommen. Sie haben nur mit zeitlicher Verzögerung Gegenangebote abgegeben und über diese nicht fristgemäß abgerechnet und Sicherheit geleistet.
181(aa)
182Der EuGH verlangt – außer einer Reaktion gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben – bei einem Gegenangebot der Beklagten (Rn. 67 EuGH-Urteil):
183„[[67]] Darüber hinaus hat der angebliche Verletzer, wenn er das SEP benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde, eine angemessene Sicherheit gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten zu leisten, zB, indem er eine Bankgarantie beibringt oder die erforderlichen Beträge hinterlegt. Die Berechnung dieser Sicherheit muss unter anderem die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das SEP umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können muss.“
184Neben der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung und zur Abrechnung über (vergangene) Benutzungshandlung aufgrund des gemachten Gegenangebots bestimmt der EuGH damit auch, dass dies ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots zu erfolgen hat. Eine relevante Verzögerung bei der Rechnungslegung und Sicherheitsleistung steht der Geltendmachung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand daher entgegen. Der EuGH hat den Zeitpunkt der Abrechnung und Sicherheitsleistung klar vorgegeben. Dementsprechend fordert der EuGH im Urteil vom 16.07.2015 auch ausdrücklich, dass der Verletzer bei der Reaktion auf das Angebot des Patentinhabers „keine Verzögerungstaktik verfolgt“ und dass ein Gegenangebot „innerhalb einer kurzen Frist“ zu unterbreiten ist (Rn. 65/66 EuGH-Urteil). Dem Patentbenutzer obliegt es damit, die Abrechnung und Sicherheitsleistung bei der Erstellung ihres Gegenangebots bereits vorzubereiten. Dies stellt keine unbillige Anforderung an den angeblichen Patentverletzer dar, da stets mit der Ablehnung des Gegenangebots gerechnet werden muss. Zudem muss eine Abrechnung auch dann erfolgen, wenn das Gegenangebot von dem Patentinhaber angenommen wird.
185Auch der Umstand, dass weitere Gegenangebote gemacht werden, kann den angeblichen Patentverletzer nicht davon befreien, ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des ersten Gegenangebots gegenüber dem Patentinhaber abzurechnen und Sicherheit zu leisten. Zwar steht es dem angeblichen Patentverletzer grundsätzlich frei, sein Gegenangebot nach dessen Ablehnung durch den Patentinhaber zu modifizieren, um eine Einigung herbeizuführen. Die Pflicht zur Sicherheitsleistung und Abrechnung besteht aber bereits dann, wenn das erste Gegenangebot abgelehnt wurde. Andernfalls könnte der Patentbenutzer durch immer neue Angebote die Erfüllung seiner Verpflichtungen immer weiter heraus zögern. Dies widerspräche aber dem Leitbild des lizenzwilligen Patentbenutzers, von dem der EuGH in seiner Entscheidung ausgeht.
186Die zeitliche Vorgabe gilt spätestens ab Erlass des EuGH-Urteils am 16.07.2015 auch für Übergangsfälle, bei denen die Ablehnung des (ersten) Gegenangebots vor dem EuGH-Urteil erfolgt ist. Denn nach der vor Erlass dieses Urteils gültigen Rechtsprechung des BGH (GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard) galt eine noch früher einsetzende Pflicht zur Rechnungslegung und Sicherheitsleistung. Hiernach war ein Patentverletzer bei einem eine marktbeherrschende Stellung vermittelnden Patent verpflichtet, gegenüber dem Patentinhaber (auf eigene Initiative) ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags zu machen, an das er sich gebunden hält und das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner musste der Patentbenutzer diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstands knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard; vgl. auch die obigen Ausführungen unter IV. 1. b) aa) (1)).
187Ob eine Abrechnung in Übergangsfällen noch unmittelbar nach Erlass des EuGH-Urteils wirksam nachgeholt werden konnte, muss vorliegend nicht entschieden werden, da auch dies nicht zeitgerecht erfolgt ist (hierzu sogleich).
188(bb)
189Anders als im Parallelverfahren 4a O 144/144 haben die Beklagten für das hiesige Klagepatent zunächst gar kein Gegenangebot gemacht und dies erst mit Schreiben vom 12.08.2015 nachgeholt. Es kann dahingestellt bleiben, ob ihnen die erfolgreiche Erhebung des Kartellrechtseinwand bereits deswegen verwehrt bleiben muss, weil sie nicht hinreichend auf das Angebot der Klägerin reagiert und sich damit nicht um eine zeitnahe Lizenzierung des Klagepatent bemüht haben.
190Der Kartellrechtseinwand scheitert zumindest an der verspäteten Abrechnung und Sicherheitsleistung zu dem Gegenangebot. Nach der Ablehnung des Angebots der Beklagten vom 12.08.2015 durch die Klägerin am 24.08.2015 (vgl. das Schreiben in Anlage G14) ist nicht innerhalb angemessener Zeit eine Abrechnung und Sicherheitsleistung erfolgt. Vielmehr haben die Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 nach einem weiteren Gegenangebot vom 21.09.2015 (Anlage G15) eine Sicherheitsleistung und Rechnungslegung vorgelegt.
191Dies ist verspätet. Die Vorgabe, „ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde“, im EuGH-Urteil ist grundsätzlich eng zu verstehen. Die Abrechnung mehr als einen Monat nach der Ablehnung des Gegenangebots durch die Klägerin ist zumindest im vorliegenden Einzelfall nicht mehr als „ab dem Zeitpunkt“ anzusehen. Dies gilt schon deshalb, weil die Abrechnung und Übergabe der Bürgschaft zur Sicherheitsleistung erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten, in der über die Ansprüche der Klägerin wegen der Verletzung des Klagepatents verhandelt wurde. Bis zum Ende der Verhandlung war der Klägerin weder eine ausreichende Prüfung der Richtigkeit der Rechnungslegung noch der Angemessenheit der Sicherheitsleistung möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum Abrechnung und Sicherheitsleistung nicht schon früher hätten erfolgen können. Die Übergabe von Rechnungslegung und Sicherheit erscheint daher vielmehr als Ausdruck einer Verzögerungstaktik, welche mit der Erhebung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands nicht vereinbar ist.
1922.
193Auch der Verweis der Beklagten auf eine angebliche Lizenz mit D greift nicht durch und steht den Ansprüchen der Klägerin nicht entgegen. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle angegriffenen Ausführungsformen mit Chipsätzen von D ausgestattet sind. Für angegriffene Ausführungsformen mit Chipsätzen anderer Hersteller (wie von MediaTek) besteht ein entsprechender Einwand auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht.
194Die Beklagten haben eine – von der Klägerin bestrittene – Lizenzierung über D bereits nicht hinreichend vorgetragen. Die Beklagten berufen sich insoweit lediglich auf eine Presserklärung vom 24.07.2008 (Anlage G5). Der Vortrag der Beklagten enthält keine hinreichenden Angaben zu den Lizenzbedingungen. Die Presseerklärung zum Erwerb der Schutzrechte von A vom 12.01.2012 (Anlage G6) erwähnt dagegen nur allgemein die Weitergeltung von Lizenzvereinbarungen, die A geschlossen hat, nicht aber eine D-Lizenz. Aber auch aus weiteren Gründen verfängt der Hinweis auf eine angebliche D-Lizenz nicht. Im Einzelnen:
195a)
196Eine Erschöpfung in Deutschland behaupten die Beklagten nicht, zumindest nicht hinreichend substantiiert. Soweit sie auf S. 10 der Duplik vom 24.08.2015 (Bl. 162 GA) allgemein die Frage der Erschöpfung erörtern, dürfte dies auf die Situation in China bezogen sein. In jedem Falle fehlt es an einem substantiierten Behaupten einer Erschöpfung in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland. Ob dagegen in China Erschöpfung eingetreten ist, muss nicht entschieden werden. Denn soweit die Beklagten damit argumentieren, das Lizenzangebot der Klägerin entspräche nicht FRAND-Vorgaben, da trotz Erschöpfung Lizenzgebühren für China gefordert werden, steht das der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn auf das Angebot der Klägerin kommt es letztlich nicht an (vgl. die Ausführungen oben unter IV. 1.).
197b)
198Soweit die Beklagten vortragen, aufgrund der D-Lizenz sei die Nutzung des Klagepatents auch ohne Erschöpfung in Europa abgegolten, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen ist (wie gesehen) die Existenz der D-Lizenz nicht nachgewiesen. Zum anderen ist unklar, warum eine nicht spezifizierte Lizenzleistung von D an A hier der Geltendmachung von Ansprüchen entgegenstehen soll. Der Vortrag der Beklagten ist insoweit spekulativ, die Gegenleistung wird nicht ansatzweise konkretisiert.
199c)
200Schließlich erscheint zweifelhaft, warum eine Beweislastumkehr für die Chipsätze anderer Hersteller gelten soll. Letztlich kommt es darauf nicht an. Bereits für die behauptete D-Lizenz lässt sich nicht feststellen, dass diese den Ansprüchen der Klägerin entgegensteht.
2013.
202Die Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche stellt auch keinen Fall der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB dar. Die Beklagten berufen sich insoweit auf ein (behauptetes) Verhalten der ursprünglichen Patentinhaberin A (bzw. hier der A N.). Diese habe während der Standardisierung die Anmeldung zum Klagepatent vorsätzlich nicht der Standardisierungsorganisation gemeldet und so einen sog. Patenthinterhalt begangen.
203Dies greift nicht durch. Der Vorwurf, die vorherige Patentinhaberin A habe das Klagepatent bei der Standardisierung verschwiegen, wurde von den Beklagten nicht im Ansatz substantiiert. Zur Begründung verweisen die Beklagten nur auf einen Vorschlag im Rahmen der Standardisierung bezüglich eines Timers T314. Dieser Vortrag bezieht sich aber offensichtlich auf das im Parallelverfahren 4a O 144/14 geltend gemachte Klagepatent. Obwohl die Klägerin in der Replik hierauf hingewiesen hat, haben die Beklagten ihren Vortrag nicht ergänzt, sondern nur behauptet, sie hätten bereits ausführlich dargelegt, dass A das Klagepatent verschwiegen hat (Bl. 172 Rn. 98 GA). Vor diesem Hintergrund kann ein Verschweigen nicht festgestellt werden.
204Dessen ungeachtet kann dahingestellt bleiben, ob A tatsächlich das Vorhandensein des Klagepatents verschwiegen hat und ob sich die Klägerin ferner dieses Verhalten zurechnen lassen muss. Selbst wenn man diese beiden Punkte bejaht, würde der Einwand aus § 242 BGB letztlich nicht durchgreifen.
205Nach § 4.1 der ETSI IPR-Policy sollen bei der Standardisierung die beteiligten Unternehmen standardrelevante Schutzrechte offenlegen. Geschieht dies, wird nach § 6.1 der ETSI-IPR-Policy der Patentinhaber aufgefordert, schriftlich seine Bereitschaft zu erklären, an dem jeweiligen Patent Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben. Solange eine solche Erklärung nicht vorliegt, kann die Arbeit am Standard unterbrochen werden (§ 6.3 ETSI-IPR-Policy). Für den Fall, dass keine FRAND-Erklärung abgegeben wird und eine alternative, patentfreie technische Lösung existiert, soll diese Alternative zum Gegenstand des Standards gemacht werden (§ 8.1.1 ETSI-IPR-Policy). Damit ist sichergestellt, dass die im Standard aufgenommene Lehre für jedermann zu FRAND-Lizenzbedingungen genutzt werden kann.
206Allerdings führt ein sog. Patenthinterhalt, also das vorsätzliche Verschweigen eines Schutzrechts während der Standardisierung mit dem Zwecke, nach Festlegung des Standards überhöhte Lizenzgebühren verlangen zu können, grundsätzlich nicht dazu, dass der Patentinhaber den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch aus dem verschwiegenen Patent überhaupt nicht mehr durchsetzen kann. Rechtsfolge ist vielmehr nur eine Lizenzierungspflicht zu FRAND-Bedingungen an diesem Patent (LG Düsseldorf – Urteil vom 24.04.2012 – Az. 4b O 274/10 – Rn. 252 bei Juris – FRAND-Erklärung; differenzierend Korp, Der Patenthinterhalt, Diss., 2014, S. 77, wonach u.U. eine Freilizenz Rechtsfolge eines Patenthinterhalts sein kann; die hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht hinreichend ersichtlich). Durch die FRAND-Lizenzierungspflicht werden Dritte nämlich zutreffend so gestellt, als ob sich der SEP-Inhaber bei der Standardisierung ordnungsgemäß verhalten hätte. Weitergehende Einschränkungen des Patentinhabers würden über den Ausgleich des Fehlverhaltens hinausgehend eine nicht gerechtfertigte Bestrafung bedeuten.
207Eine Verpflichtung der Klägerin zur Lizenzierung zu FRAND-Bedingungen besteht aber ohnehin. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies ohne eine entsprechende FRAND-Erklärung bereits ohne Weiteres aus Art. 102 AEUV folgt (so dass letztlich ein Patenthinterhalt stets folgenlos bleibt). Denn die Verpflichtung, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben, folgt hier zumindest aus der FRAND-Erklärung der Klägerin, die sie gegenüber ETSI abgegeben hat und die auch das Klagepatent umfasst (Anlage AR3).
208Mit der Abgabe der FRAND-Erklärung durch die Klägerin ist ein eventueller Verstoß (Patenthinterhalt) der früheren Inhaberin des Klagepatents geheilt. Hätte A eine entsprechende FRAND-Erklärung für das Klagepatent abgegeben, hätte der Aufnahme der patentierten Lehre in den Standard nichts entgegengestanden. Dass in diesem Fall eine andere technische Lösung standardisiert worden wäre, ist nicht ersichtlich. Damit unterscheidet sich nach Abgabe der FRAND-Erklärung die rechtliche Situation nicht von der Lage, die bestände, wenn sich A im Einklang mit der ETSI-IPR-Policy verhalten hätte und vor Festlegung des Standards auf das Klagepatent hingewiesen und eine FRAND-Erklärung hierfür abgegeben hätte.
2094.
210Der von der Beklagten vorgebrachte Dolo-Agit-Einwand greift nicht durch. Wie beim kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand erörtert, liegt letztlich kein missbräuchliches Verhalten der Klägerin vor.
211Soweit sich die Beklagten auf § 242 BGB ferner unter dem Aspekt berufen, dass die Klägerin eine Lizenz an dem standardessentiellen Klagepatent nur zusammen mit nicht standardessentiellen Patenten und ausschließlich im Rahmen einer unzulässigen geographischen Koppelung anböte, greift dies ebenfalls nicht durch. Wie oben erörtert, führt ein nicht FRAND-gemäßes Lizenzangebot in erster Linie nur dazu, dass die Beklagten hierauf reagieren müssen, wenn sie den Einwand missbräuchlichen Verhaltens aus Art. 102 AEUV erheben wollen. Eine angemessene Reaktion hierauf ist aber nicht erfolgt.
212V.
213Aus der Patentverletzung ergeben sich damit die geltend gemachten Ansprüche:
2141.
215Da die Beklagten das Klagepatent im Inland widerrechtlich benutzt haben, sind sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der im Inland begangenen Benutzungshandlungen verpflichtet.
2162.
217Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents zuzüglich eines Monats schulden die Beklagten daher als Gesamtschuldnerinnen Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin sowie deren Einzelrechtsvorgängerinnen aufgrund der Verletzungshandlungen entstanden ist und noch entstehen wird, Artikel 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
218Die Beklagten trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Als Fachunternehmen hätten sie bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB.
219Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
2203.
221Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz und die ihr zustehende angemessene Entschädigung zu beziffern, sind die Beklagten verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen.
2224.
223Der Anspruch der Klägerin, von der Beklagten zu 1) die Vernichtung der Verletzungsgegenstände zu verlangen, an denen sie im Inland Besitz oder Eigentum hat, ergibt sich aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 1 PatG.
2245.
225Die Pflicht der Beklagten, die von ihnen im Inland in Verkehr gebrachten patentverletzenden Erzeugnisse zurückzurufen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, folgt aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 3 PatG.
2266.
227Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt. Ansprüche aus dem Klagepatent verjähren gemäß Art. 64 EPÜ, § 141 PatG, §§ 199 Abs. 1, 195 BGB innerhalb von drei Jahren ab Ablauf des Jahres, in welchem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat oder hätte erlangen müssen.
228Die Beklagten bringen insoweit zum einen vor, der Klägerin habe aufgrund ihrer Bemühungen um die Lizenzierung ihres sogenannten Wireless-Patentportfolios, zu dem auch das Klagepatent gehört, seit Ende 2012 von GPRS-fähigen Produkten der Beklagten und damit von der angeblichen Verletzung wissen müssen. Das lässt zum einen nicht in nachvollziehbarer Weise erkennen, warum die Klägerin gerade von Produkten der Beklagten hätten Kenntnis erlangen müssen, und begründet zum anderen den Einwand der Verjährung deshalb nicht, weil die Klage im Jahre 2014 erhoben wurde, als, gerechnet ab dem Ende des Jahre 2012, die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war.
229Zum anderen bringen die Beklagten vor, der Klägerin hätte aufgrund ihres Mitwirkens am Standard bereits ab der Erteilung des Klagepatents bekannt sein müssen, dass alle Mobilfunkgeräte, die den Standard erfüllen, zugleich auch von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Dieses Vorbringen zeigt jedoch nicht auf, dass aus der bloßen Kenntnis von der Standardrelevanz des Klagepatents zugleich eine Kenntnis oder wenigstens ein Kennenmüssen der Beklagten als etwaige Schuldner und der angegriffenen Ausführungsform als solchen Produkten gefolgt wäre, die den Standard erfüllen. Der bloße Umstand, dass ein bestimmtes Schutzrecht relevant ist für die Erfüllung eines technischen Standrads, vermittelt noch keine Kenntnis darüber, welche Produkte welches Herstellers oder Anbieters den technischen Standard erfüllen.
230VI.
231Eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO ist nicht geboten. Die Abwägung der wechselseitigen Parteiinteressen steht der Aussetzung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die parallele Nichtigkeitsklage umgekehrten Rubrums entgegen.
2321.
233Nach Auffassung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) bestätigt wurde, stellt die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen und damit dem Angriff auf das Klagepatent entgegen § 58 Abs. 1 PatG eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. Hierbei hat die Kammer des Verletzungsgerichts eine Prognoseentscheidung über den Gang des Nichtigkeitsverfahrens zu treffen, ohne dass sie dessen – auch nur erstinstanzliches – Ergebnis vorwegnehmen könnte. Deshalb und mit Rücksicht auf die Besetzung des Verletzungsgerichts ohne technisch Fachkundige kommt eine Aussetzung nur in Betracht, wenn die Vernichtung des Klagepatents hinreichend wahrscheinlich erscheint. Bei der Prüfung von als neuheitsschädlich eingewandten druckschriftlichen Entgegenhaltungen kommt eine Aussetzung demnach nur in Betracht, wenn das Verletzungsgericht die Vorwegnahme sämtlicher Merkmale so eindeutig bejahen kann, dass keine erheblichen Zweifel entgegenstehen. Wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit oder einer angeblichen unzulässigen Erweiterung ist bereits dann nicht auszusetzen, wenn sich für eine Bejahung der Erfindungshöhe und der Patentfähigkeit im Übrigen zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
2342.
235Gemessen an diesen Maßstäben erscheint ein Erfolg der Rechtsbestandsangriffe gegen das Klagepatent nicht hinreichend wahrscheinlich.
236a)
237Der Einspruchsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. 100 lit. c EPÜ) kann von der Kammer nicht festgestellt werden.
238Eine unzulässige Erweiterung liegt dann vor, wenn der Gegenstand einer Anmeldung so geändert wird, dass er über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der Gegenstand der Anmeldung ist das mögliche Patentbegehren, welches der Fachmann dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Anmeldung nebst Ansprüchen, Beschreibung und Zeichnungen entnimmt (Schulte, PatG, § 38 Rn 19). Mithin schadet es zunächst nicht, wenn der Klagepatentanspruch 12 in der Ursprungsoffenbarung nicht explizit enthalten ist, soweit er sich der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldung entnehmen lässt. Entgegen der Auffassung der Beklagten entnimmt der Fachmann der als Anlage NK 0-A in nicht übersetzter Form vorgelegten Ursprungsoffenbarung die Offenbarung einer Mobilstation, welche einen Trägerdienst mit mehreren Datenraten umfasst. Wie bereits oben dargelegt, ist der Begriff „umfassen“ in Bezug auf die Mobilstation nicht räumlich-körperlich auszulegen, sondern im Sinne von „unterstützen“ zu verstehen. Ausgehend von diesem Verständnis offenbart Anspruch 7 der Ursprungsoffenbarung eine Mobilstation, die einen Trägerdienst, der mehrere Datenraten umfasst, unterstützt. Denn dort heißt es:
239„A digital mobile communication system characterized by comprising at least one data call bearer service [ein Trägerdienst] which covers several user data rates [der mehrere Benutzerdatenraten umfasst] […], a negotiation procedure between the mobile station and the mobile communication network [eine Verhandlung zwischen Mobilstation und Mobilkommunikationsnetzwerk], for negotiating during call set-up a user data rate used in the data call for data transfer between the mobile station and the mobile communication network, […]”.
240Eine Verhandlung zwischen Mobilstation und Netzwerk erscheint nur dann sinnvoll, wenn die Mobilstation Trägerdienste mit mehreren Benutzerdatenraten unterstützt.
241b)
242Die von Beklagtenseite vorgebrachte Entgegenhaltung US K ist bereits kein tauglicher Stand der Technik im Sinne von Art 54 EPÜ. Die Schrift wurde zwar vor dem maßgeblichen Prioritätsdatum des Klagepatents, dem 25.09.1995, angemeldet, aber erst nach diesem Datum, nämlich im Jahr 2003, veröffentlicht.
243Nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ wird der maßgebliche Stand der Technik aus sämtlichen vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit in mündlicher und schriftlicher Form zugänglich gemachten Informationen gebildet. Mangels einer Veröffentlichung vor dem 25.09.1995 zählt die US-Schrift nicht hierzu.
244Die Ausnahmevorschrift des Art 54 Abs. 3 EPÜ greift ebenfalls nicht ein. Hiernach zählen zum Stand der Technik auch europäische Patentanmeldungen in der ursprünglich eingereichten Fassung, deren Anmeldetag vor dem in Art 54 Abs. 2 EPÜ genannten Tag liegt und die erst an oder nach diesem Tag veröffentlicht wurden. Diese Vorschrift ist auf europäische Patentanmeldungen sowie unter gewissen weiteren Voraussetzungen auf internationale Anmeldungen nach dem Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentrechts beschränkt, die auf die Erteilung eines europäischen Patents zielen, anwendbar (Benkard, EPÜ, Art 54 Rn 194, 195). Bei der streitgegenständlichen Offenbarungsschrift handelt es sich um eine US-amerikanische Anmeldung, so dass Art. 54 Abs. 3 EPÜ nicht anwendbar ist.
245c)
246In der Duplik wenden die Beklagten die Offenbarungsschrift WO L aus der Patentfamilie der oben genannten US-Schrift als neuheitsschädlich ein.
247Grundsätzlich handelt es sich bei der WO L um relevanten Stand der Technik im Sinne von Art 54 Abs. 3 EPÜ, da die Anmeldung unter anderem auf die Erteilung des Europäischen Patents EP 0 845 186 abzielte. Die Kammer kann aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das Bundespatentgericht die streitgegenständliche Schrift als neuheitsschädlich ansehen wird.
248Es ist bereits zweifelhaft, ob die Schrift eine Mobilstation im Sinne von Merkmal 1 des Klagepatentanspruchs 12 offenbart. Der Begriff „Mobilstation“ wird im Klagepatent nicht legaldefiniert. Es heißt in Merkmal 1 lediglich „Mobilstation für ein digitales Mobilkommunikationssystem“, woraus folgt, dass die Mobilstation dazu geeignet sein muss, zumindest auch mittels eines Mobilkommunikationssystems zu kommunizieren. Dieses Mobilkommunikationssystem ist nach Abschnitt [0002] in der Lage, sowohl Sprache als auch Daten zu übertragen und zwar, wie in Merkmals 1.2.1 des Klagepatentanspruchs 12 vorgesehen, auch in einem Mobilkommunikationsnetzwerk. Dieses Mobilkommunikationsnetzwerk grenzt Abschnitt [0004] vom sogenannten öffentlichen Telefonnetz (PSTN), im allgemeinen Sprachgebrauch als Festnetz bezeichnet, ab. Dass die in der Offenbarungsschrift genannten Faxgeräte bzw. das weitere Kunden-Räumlichkeits-Equipment wie Telefonsets, Computer etc. in der Lage sind, auch über ein Mobilkommunikationsnetz und nicht bloß über das öffentliche Telefonnetz Daten oder Sprache zu übertragen, wird jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Es heißt in der Offenbarung:
249„Mit dem Auffinden von Computern in mehr Haushalten wachsen die Benutzerzahlen von Benutzern von Computernetzwerken wie dem „Internet“ an Hand von Telefonnetzwerken durch Modems in unermesslicher Weise an.“
250Um was für Telefonnetze es sich handelt und ob auch ein anderes als das öffentliche Telefonnetz gemeint sein kann, bleibt offen. Eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung eines Mobilkommunikationsnetzes kann die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer nicht feststellen.
251Darüber hinaus fehlt es an einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung des Merkmals 1.1.2, wonach zumindest ein Datenanruf-Trägerdienst für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmer-Datenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist. Die Beklagten beziehen sich insoweit auf den zweiten Absatz auf Seite 11 der als Anlage NK1a vorgelegten deutschen Übersetzung der Entgegenhaltung. Hier ist ausgeführt, dass eine Datenbank z.B. Informationen bezüglich der vom Benutzer in Anspruch genommenen Dienstkategorien enthält. Ob es sich hierbei auch um Informationen zu einem Datenanruf-Trägerdienst handelt, bleibt offen. Ob sich dieser Abschnitt tatsächlich auf Trägerdienste im Sinne des Klagepatents oder lediglich auf Teledienste bezieht, ist für die technisch nicht fachkundige Kammer jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig aus der Entgegenhaltung ersichtlich.
252d)
253Die Kammer kann nicht feststellen, dass das Bundespatentgericht den deutschen Teil des Klagepatents wegen mangelnder Ausführbarkeit nach § 138 EPÜ für nichtig erklären wird. Hiernach ist eine Erfindung so vollständig und deutlich zu offenbaren, dass der Fachmann sie ausführen kann.
254Der Einwand der Beklagten, es sei für den Fachmann in der Klagepatentschrift nicht hinreichend deutlich offenbart, wie der Trägerdienst Bestandteil der Mobilstation sein kann, greift nicht durch. Die Argumentation der Beklagten fußt auf einer zu engen Auslegung des Begriffs „umfassen“ in Merkmal 1.1.1. Wie oben dargelegt, folgt aus dem Begriff „umfassen“ nicht, dass ein Trägerdienst in die Mobilstation räumlich-körperlich implementiert sein muss. Es genügt vielmehr, wenn die Mobilstation diesen Dienst unterstützt. Dies wird dem Fachmann in der Klagepatentschrift in ausreichend deutlichem Maße offenbart.
255VII.
256Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
257Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
258Den Beklagten ist kein Vollstreckungsschutz gemäß § 712 ZPO zu gewähren. Es lässt sich nicht feststellen, dass den Beklagten aus einer Vollstreckung des Urteils und namentlich des Unterlassungstenors ein nicht zu ersetzender Nachteil droht, welcher gemäß § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Gewährung von Vollstreckungsschutz rechtfertigen könnte. Unter einen solchen nicht zu ersetzenden Nachteil, der freilich zunächst eine Abwägung der Interessen zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner erforderlich machen würde (Zöller / Herget, Komm. z. ZPO, 30. Aufl., § 712 Rdn. 3), sind solche Umstände nicht zu fassen, die gerade durch die Vollstreckung ausgelöst werden, und die sich nicht in den regelmäßig eintretenden Folgen einer Vollstreckung erschöpfen (Zöller / Herget, a.a.O., § 707 Rdn. 13).
259Vorliegend machen die Beklagten alleine solche drohenden Folgen einer Vollstreckung geltend, die der Geltendmachung eines Patents als Ausschließlichkeitsrecht wesenseigen sind, nämlich die Nichterfüllbarkeit bereits eingegangener vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den Abnehmern der angegriffenen Ausführungsform sowie anschließende Lieferausfälle, die den Ruf der Beklagten beeinträchtigten könnten. Sollte auf solche Folgen einer Vollstreckung Rücksicht genommen werden, könnten Verurteilungen zur Unterlassung aus einem Patent kaum vollstreckt werden, denn typischer Weise ist derjenige, der in gewerblicher Weise die Lehre eines Patents nutzt, Dritten gegenüber vertraglich verpflichtet, seine Nutzungshandlung fortzusetzen, etwa durch die Lieferung patentgemäßer Vorrichtungen. Das dem entgegenstehende Interesse des Patentinhabers, sein Schutzrecht zeitnah durchsetzen zu können, hat dabei besonderes Gewicht, weil das Patent nur eine begrenzte Schutzdauer hat (vgl. zur Bedeutung des Interesses des Gläubigers, für den die Zeit ohne Vollstreckung eines Unterlassungstitels unwiederbringlich verloren ist im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang auch Ahrens / Bähr, Wettbewerbsprozess, 7. Aufl., Kap. 29 Rdn. 82). Nicht zustimmungswürdig erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls die Auffassung der Beklagten, in Patentstreitsachen müsse grundsätzlich Vollstreckungsschutz gewährt werden. Solches lässt sich, anders als die Beklagten meinen, auch nicht der obergerichtlichen Rechtsprechung entnehmen.
260VIII.
261Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 01.10.2015 und vom 06.10.2015, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, fanden bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.
262Dr. D. Vorsitzender Richter am Landgericht |
I. Richter am Landgericht |
S. Richterin |
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09.07.2014 (28 O 487/13) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in Ziffer 3. des angefochtenen Urteils ‑ wie folgt - nach § 319 ZPO berichtigt wird:
Der Beklagten zu 2) wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt nicht 2 Jahre übersteigen darf,
v e r b o t e n,
folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat, unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben in der C vom 30.5.2010 auf Seite 14 im Artikel „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger ist Journalist und betreibt ein Unternehmen, welches sich mit der Erhebung und Vermittlung meteorologischer Daten befasst. Im März 2010 wurde er wegen des Verdachts einer Vergewaltigung verhaftet. Die Verhaftung des in der Öffentlichkeit wegen seines Auftretens als Fernsehmoderator und in der Werbung bekannten Klägers, der gegen ihn vorgebrachte Tatvorwurf sowie sein bis zu diesem Zeitpunkt der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Privatleben, namentlich seine Beziehungen mit mehreren Frauen, waren ebenso Gegenstand intensiver Medienberichterstattung wie das gegen den Kläger wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren sowie der anschließende Strafprozess, in dem der Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 schließlich freigesprochen wurde.
4Im zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung gewährte der Kläger den Medien mehrere Interviews. Im Oktober 2012 erschien ein Buch des Klägers mit dem Titel „Recht und Gerechtigkeit - ein Märchen aus der Provinz“, in welchem der Kläger das Ermittlungs- und Strafverfahren kritisch beleuchtet sowie über nach seiner Auffassung bestehende Missstände in der Justiz und den Medien aufklären möchte.
5Die Beklagte zu 1) ist inhaltlich für das Angebot der Webseite C2.de, der Online-Ausgabe der bundesweiten Tageszeitungen „C2“ und „C“, verantwortlich. Die Beklagte zu 2) verlegt die Zeitung „C“.
6Die Beklagte zu 1) veröffentlichte am 30.5.2010 - während der Kläger sich in Untersuchungshaft befand und noch bevor die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen war - auf C2.de einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“. In diesem zitiert sie auszugsweise einen Blog-Eintrag, den der Kläger am 19.2.2007 um 0:21 Uhr unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet und an die Inhaberin des Blogs gerichtet hatte. Der Artikel wird nach der Überschrift - wie folgt - eingeleitet:
7„Eine Ex-Freundin hatte offenbar schon früh versucht, andere Frauen vor L zu warnen. In einer Mail, die C vorliegt, schreibt sie schon im Jahr 2008 einer neuen Freundin des wechselhaften Wetterexperten: ,Er wird nie Zeit für Dich haben. Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist, nur nicht am Abend daheim.‘ Dann die Bitte: ,Wir Frauen sollten zusammenhalten.“
8Weiter heißt es in dem Artikel u.a.:
9„Später suchte sie im Internet nach anderen L-Frauen, fand die Homepage einer neuen Eroberung.
10[…]
11Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘. Das soll der Moderator häufiger im Scherz gesagt haben. Priapismus bezeichnet eine schmerzhafte Dauererektion.“
12Die Beklagte zu 2) veröffentlichte am 30.5.2010 auf der Seite 14 in der „C“ ebenfalls einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ Der Artikel ist inhaltlich identisch mit dem Artikel der Beklagten zu 1) und enthält ebenfalls auszugsweise den vorbenannten Blog-Eintrag des Klägers.
13Mit Schreiben vom 31.5.2010 forderten die klägerischen Prozessbevollmächtigten die Beklagten auf, eine öffentliche Zugänglichmachung anonymer Blog-Einträge des Klägers unter Aufdeckung seines Namens zu unterlassen sowie eine strafbewehrte Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Landgericht Köln erließ in der Folge vom Kläger beantragte einstweilige Verfügungen gegen die Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Berichterstattungen (Beschl. v. 4.06.2010, Az. 28 O 368/10 und 28 O 369/10). Die einstweiligen Verfügungen wurden vollzogen. Mit Schreiben vom 17.8.2010 sowie vom 24.10.2013 wurden die Beklagten zur Abgabe einer Abschlusserklärung sowie zur Kostentragung aufgefordert.
14Der Kläger begehrt nunmehr Unterlassung in der Hauptsache sowie die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
15Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er sei durch die streitgegenständliche Berichterstattung in seinem Recht auf gewählte Anonymität und in seiner Intimsphäre verletzt. Dem Kontext des Blog-Eintrags sei zu entnehmen, dass die streitgegenständliche Äußerung auf ihn zu beziehen sei. Der von den Beklagten verbreitete Blog-Eintrag betreffe nicht das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, sondern Einzelheiten seiner Intimsphäre, weil sie sein Sexualleben berührten. Hierdurch werde er stigmatisiert und in schwerer Weise als krankhaft sexgetriebener Mensch dargestellt.
16Die Grenzen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung seien überschritten. Ebenso wenig sei die Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt einer in Bezug auf eine prominente Person geäußerte Kritik an der privaten Lebensführung gerechtfertigt. Durch die Berichterstattung werde das ohnehin beeinträchtigte C2 des Klägers in der Öffentlichkeit nachhaltig massiv beeinträchtigt, so dass der zwischenzeitlich erfolgte Freispruch diesen Makel nicht mehr beseitigen könne. Sein Werdegang sowie seine Medienpräsenz könnten zur Rechtfertigung der Berichterstattung nicht herangezogen werden.
17Der Kläger hat beantragt,
181. es der Beklagten zu 1) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
19folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“ geschehen:
20„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
212. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
223. es der Beklagten zu 2) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
23folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
24„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
254. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
26Hilfsweise,
271. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
282. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
29Die Beklagten haben beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Kläger werde durch die streitgegenständliche Berichterstattung nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Medien besondere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sich als Träger sozialer und politischer Botschaften präsentiert habe; unstreitig hatte er in den Jahren 2009 und 2010 an einer öffentlichen Kampagne unter dem Motto „Gewalt gegen Kinder ist eine Schande“ mitgewirkt. Die Beklagten haben gemeint, der Kläger sei daher eine Person der Zeitgeschichte, die besondere Integrität für sich in Anspruch genommen habe.
32Die streitgegenständliche Berichterstattung sei zudem Bestandteil der Verdachtsberichterstattung über den gegen den Kläger erhobenen Strafvorwurf. Sie sei wahrheitsgemäß und damit zulässig, da dem Strafvorwurf zugrunde liegende Sachverhalte mitgeteilt werden dürften. Hierzu zählten auch die Beziehung zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin des Strafprozesses, die weiteren Beziehungen und das Verhalten des Klägers gegenüber den Frauen; die Beziehungen seien auch durch die Kommunikation über das Internet sowie durch Kurznachrichten charakterisiert gewesen.
33Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger persönlich unter gleichzeitiger Zulassung von Fotografien und Videoaufnahmen gegenüber den Medien zu den Vorwürfen geäußert und seine Unschuld beteuert habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Berichterstattung nicht zu entnehmen sei, auf welche Person sich die Äußerung beziehe. Die Äußerung sei nicht geeignet, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Es habe sich eine öffentliche Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen sowie dessen Bedeutung für das Ermittlungsverfahren entwickelt. In diese öffentliche Debatte habe sich die streitgegenständliche Berichterstattung eingereiht.
34Die Beklagten haben mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger davon ausgegangen sei, Dritte würden keine Kenntnis von seiner Äußerung in dem „Blog“ und der Identität der an der Kommunikation beteiligten Personen erlangen. Die Beklagten haben zudem mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger die außergerichtlichen Tätigkeiten seiner Bevollmächtigten tatsächlich vergütet habe.
35Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht Köln der Klage stattgegeben. Der Kläger habe gegen die Beklagten Anspruch auf Unterlassung nach §§ 1004 analog, 823 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG, weil die Berichterstattung weder unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtsberichterstattung noch aus anderen Gründen gerechtfertigt sei.
36Die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung bei den Tatvorwurf nicht unmittelbar betreffenden Umständen seien nicht erfüllt. Zwar sei es im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit stehende Person des Klägers zulässig, über das gegen ihn geführte Straf- und Ermittlungsverfahren identifizierend zu berichten. Jedoch stehe die Berichterstattung über den Blog-Eintrag des Klägers nicht im Zusammenhang mit dem gegen diesen geführten Straf- und Ermittlungsverfahren; eine Bedeutung für das Strafverfahren sei nicht ersichtlich, auch nicht im Hinblick auf nach Meinung der Beklagten zum Gegenstand im Strafverfahren gemachter intimer SMS-Nachrichten, E-Mails und Chat-Verläufe. Eine solche Bedeutung wäre nur dann anzunehmen, wenn die Berichterstattung geeignet wäre, über die Persönlichkeitsstruktur des Klägers Aufschluss zu geben, und daher auch für die Überzeugungsbildung des Gerichts von Bedeutung sein könnte. Inhaltlich leiste die wörtliche Wiedergabe des Blog-Eintrags jedoch keinen Beitrag, der für die Überzeugungsbildung des Gerichts relevant sein könne. Vielmehr berge die wörtliche Wiedergabe der Äußerung die Gefahr der Vorverurteilung des Klägers, in dem sie diesen als einen sexgetriebenen Menschen darstelle. Die Berichterstattung sei geeignet, das Bild des Klägers nachhaltig und massiv zu beeinträchtigen, ohne einen für das Straf- und Ermittlungsverfahren relevanten Beitrag zu leisten.
37Die streitgegenständliche Berichterstattung sei auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zulässig. Vielmehr verletze sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Aufgrund des Inhalts der Äußerung („von vorauseilendem Priapismus gebeutelt“) sei die Intimsphäre des Klägers betroffen, welche unter dem absoluten Schutz vor den Einblicken der Öffentlichkeit stehe. Die Bezeichnung Priapismus umschreibe den pathologischen Zustand einer schmerzhaften Dauererektion. In dem hier verwendeten umgangssprachlichen Sinne werde der starke Sexualtrieb des Klägers durch die Äußerung verdeutlicht. Die Frage der Betroffenheit der Intimsphäre könne jedoch letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Kernbereich der Privatsphäre des Klägers in rechtswidriger Weise betroffen sei. Der Schutz der vorliegend thematisierten Intim- bzw. Privatsphäre sei erst dann abzusprechen, wenn der Betroffene sein Sexualleben selbst öffentlich ausgebreitet habe, was indes zu verneinen sei. Zum einen sei der Geheimhaltungswille des Klägers im Hinblick auf den Blog-Eintrag erkennbar, insbesondere die streitgegenständliche Äußerung unter dem Pseudonym „E“ gepostet worden. Im Übrigen sei der Kläger zwar in der Öffentlichkeit aufgetreten und habe der Presse mehrere Interviews gegeben. Der Kläger habe aber weder seine Intimsphäre thematisiert noch sich im Hinblick auf sein Privatleben und seine Beziehungen in einer Weise geäußert, die die vorliegende Berichterstattung rechtfertigen könne.
38Der Einwand der Beklagten, die Wiedergabe der Äußerung sei aufgrund der öffentlichen Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen entwickelt worden, sei unerheblich. Zum einen könne die öffentliche Erörterung seines Privatlebens nur insofern gerechtfertigt sein, als dieses eine Bedeutung für das Ermittlungs- und Strafverfahren habe. Zum anderen trage die angegriffene Äußerung auch nicht zu dieser öffentlichen Diskussion bei, sondern stelle, insbesondere auch aufgrund der wörtlichen Wiedergabe, einen besonders schweren Eingriff jedenfalls in den Kernbereich der Privatsphäre des Klägers dar, ohne einen besonderen Informationswert zu enthalten. Die sprachliche Fassung eines bestimmten Gedankeninhalts sei Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers. Grundsätzlich stehe daher allein dem Verfasser die Befugnis zu, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.
39Schließlich beziehe sich die streitgegenständliche Äußerung erkennbar auf den Kläger. Zwar werde in der Berichterstattung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger die Redewendung auf sich selbst bezogen habe. Ausreichend sei jedoch, dass der unbefangene Durchschnittsleser die streitgegenständliche Äußerung zumindest auch dahingehend verstehen könne, der Kläger umschreibe mit der Redewendung seine eigene Situation. Dies sei vorliegend unzweifelhaft zu bejahen. Denn in dem Beitrag werde deutlich, dass die Äußerung gegenüber einer seiner Freundinnen gefallen sei.
40Zuletzt könne der Kläger (mit Erfolg) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen.
41Wegen der weiteren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird ergänzend auf das angegriffene Urteil (Bl. 343 ff. d.A.) Bezug genommen.
42Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungsbegehren weiter.
43Sie sind der Auffassung, die streitgegenständlichen Berichterstattungen wiesen einen unmittelbaren Bezug zu dem Ermittlungs- und Strafverfahren auf. Insbesondere der Umstand der (mehrfachen) Untreue des Klägers habe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erhobenen Strafvorwurf gestanden. Das Landgericht Mannheim habe sich im Strafurteil ausführlich mit der elektronischen Kommunikation zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin (des Strafverfahrens) bzw. zwischen dem Kläger und den weiteren (im Strafverfahren vernommenen) Zeuginnen auseinandergesetzt und unter Würdigung des Wortlauts der Mitteilungen des Klägers dessen Verhalten bei der Beziehungsanbahnung untersucht, dieses als „initiativ“ und „offensiv“ bewertet, was wiederum für die Glaubwürdigkeit der Einlassung des Klägers von Relevanz gewesen sei.
44Die Beklagten meinen, das Landgericht habe den Sinngehalt der streitgegenständlichen Äußerung verkannt. Denn wiedergegeben werde die Äußerung als Kommentar des Klägers, ohne dass mitgeteilt werde, auf welche Person und auf welchen Sachverhalt der Kläger den Kommentar bezogen habe; der Bericht beinhalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen habe. Hinzu komme, dass ausdrücklich aufgeführt sei, dass der Kläger die Äußerung im Scherz gesagt, also nicht ernst gemeint habe. Die streitgegenständliche Äußerung sei eindeutig und bestehe bloß in der Wiedergabe eines Zitats.
45Scheide aber ein Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers aus, mangele es an einer äußerungsrechtlichen Betroffenheit des Klägers durch das wahrheitsgemäße Zitat, weil dieses keinerlei Eingriffscharakter habe.
46Benutzer eines Blogs könnten aufgrund deren Rahmenbedingungen nicht davon ausgehen, dass die Vertraulichkeit ihrer Äußerung gewahrt bleibe. Schon gar nicht sei der Adressat einer Äußerung verpflichtet, die Vertraulichkeit der Äußerung eines Dritten zu wahren. Die Beklagten hätten bloß die zuvor öffentlich bekannt gewordene Erklärung der Adressatin der Äußerung des Klägers zitiert.
47Schließlich betreffe die Berichterstattung moralisch verwerfliche Verhaltensweisen einer prominenten Person, nämlich die Untreue im Verhältnis zu mehreren Frauen, zu denen der Kläger parallel intime Beziehungen unterhalten habe, ohne sie über diesen Umstand aufzuklären. Die wahrheitsgemäße Berichterstattung belege eine Episode dieser Verhaltensweisen. Dem Zitat selbst (dessen Wortlaut) komme in diesem Zusammenhang keine eigenständige Eingriffseignung zu; die scherzhafte Verwendung des Begriffs „vorauseilender Priapismus“ sei nicht geeignet, den Zitierten in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen. Jedenfalls sei ein Bericht hierüber angesichts des Informationsinteresses über eine moralisch verwerfliche Verhaltensweise zulässig.
48Die Beklagten beantragen,
49unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 9.07.2014 - 28 O 487/13 - die Klage insgesamt abzuweisen.
50Der Kläger beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Er ist der Auffassung, aus dem Kontext der Berichterstattung ergebe sich, dass er die streitgegenständliche Redewendung auf sich selbst bezogen habe; jedenfalls sei die Darstellung in den Artikeln mehrdeutig. Aufgrund der Verwendung eines Pseudonyms habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass Dritte ihn nicht mit den betreffenden Äußerungen in Verbindung bringen können.
53Der Kläger habe in der Öffentlichkeit nicht vorgegeben, eine bestimmte Art von Beziehungsleben zu führen; aufgetreten sei er lediglich in beruflicher Funktion. Deswegen habe auch kein Berichterstattungsinteresse mit Blick auf eine Leitbild- und Kontrastfunktion bestanden.
54II.
55Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Allerdings war der Tenor des angefochtenen Urteils im Wege der Berichtigung nach § 319 ZPO zu ändern.
561.
57Gemäß § 319 ZPO hatte eine Berichtigung des Tenors zu erfolgen, die der Senat im Berufungsverfahren vornehmen kann (vgl. BGHZ 133, 191). Denn der Kläger hatte mit seinem dem Wortlaut nach ebenfalls auf die Berichterstattung unter C2.de bezogenen Antrag zu 3. begehrt, die Berichterstattung wie in der C geschehen zu verbieten, was seinem Antrag im Wege der Auslegung zu entnehmen und vom Landgericht übersehen worden ist. Jedenfalls hat der Kläger aber im Berufungsverfahren seinen Antrag insoweit in zulässiger Weise geändert, ohne dass die Beklagten dem entgegengetreten sind.
582.
59Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK bejaht. Die Beklagten haben in rechtswidriger Weise in das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens eingegriffen, indem sie über einen von ihm anonym und im Vertrauen auf die Wahrung der Anonymität abgegebenen Kommentar mindestens aus seiner Privatsphäre berichtet haben (a), ohne dass dieser Eingriff gerechtfertigt wäre (b), und zwar auch nicht im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung (c).
60a) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagten in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingegriffen haben.
61aa) Dass und insbesondere mit welchem Wortlaut der Kläger in einem Blog einer Freundin einen Eintrag dieser unter einem Pseudonym kommentiert, betrifft seine Vertraulichkeitssphäre sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534), nämlich unabhängig von Aussagewert der diesbezüglichen Berichterstattung schon unter dem Aspekt der Preisgabe von nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmter Kommunikation.
62Die gilt auch unter der Prämisse, dass der Blog öffentlich einsehbar war. Denn da der Kläger seinen Kommentar auf einem privat betriebenen, nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannten Blog unter einem Pseudonym abgegeben hat, und deswegen grundsätzlich davon ausgehen durfte, von anderen Personen als der Blogbetreiberin nicht ohne weiteres erkannt zu werden, handelte es sich letztlich um eine private Kommunikation zwischen ihm und der Blogbetreiberin. Vom Schutz der Privatsphäre wird auch der Geheimhaltungswille in Bezug auf solche Mitteilungen umfasst, die über die Person des sich Äußernden selbst nichts aussagen, die aber einem Vertrauten in der Erwartung gemacht werden, dass er sie für sich behalten werde (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), was hier jedenfalls für die Weitergabe an eine breite Öffentlichkeit unter Preisgabe der Identität des Klägers gilt. Die Privatheit der Kommunikation erschließt sich im Übrigen aus deren - nicht in der Berichterstattung wiedergegebenen - Inhalt, nämlich soweit der Kläger hiernach seinen Kommentar in Bezug auf ein Foto der Klägerin abgegeben und die beanstandete Redewendung ersichtlich auf sich bezogen hat. Angesichts dessen, dass der Kläger sich auf einem privaten Blog unter Verwendung eines Pseudonyms geäußert hat, kann ihm auch keine Einwilligung in die Veröffentlichung unterstellt werden, die hier vielmehr gegen seinen Willen erfolgt ist. Der Kläger musste auch nicht von vorneherein damit rechnen, dass sein Kommentar in die Öffentlichkeit gelangt; die Gefahr einer Identifizierung durch eine ihm vertraute Person war jedenfalls nicht wesentlich höher als im Falle einer Versendung einer E-Mail an einen einzelnen Adressaten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
63bb) Darüber hinaus ist angesichts der mit der Wortberichterstattung über den Kommentar verbundenen Aussage mindestens die Privatsphäre des Klägers betroffen.
64Nach dem gleichlautenden Inhalt der Berichte kann der Leser nur den Schluss ziehen, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen hat. Wenn der Kläger - wie berichtet wurde - einen Beitrag „seiner neuen Freundin“ mit der beanstandeten Redewendung kommentiert, können sich der Kommentar und die darin enthaltene Redewendung nur auf ihn selbst beziehen (auf wen auch sonst?). Hinzu kommt, dass später noch über das den Kommentar auslösende Foto der neuen Freundin berichtet wird, woraus ein verständiger Leser wiederum nur schließen kann, dass sich der Kommentar auf eben dieses Foto bezieht und damit erkennbar die Reaktion des Klägers auf das Foto betrifft. Jedenfalls ist aber ein solches Verständnis des Berichts nicht fernliegend und daher unter Berücksichtigung der Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 114, 339) im Hinblick auf den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch zugrunde zu legen.
65Sind die Berichte der Beklagten in dieser Weise zu verstehen, geht ihr Aussagewert aber noch in das Persönlichkeitsrecht des Klägers betreffender Weise hierüber hinaus, und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Berichte einen Hinweis darauf enthalten, dass der Kläger die Redewendung häufiger „im Scherz“ benutzt hat. Denn Letzteres schließt allenfalls aus, dass der Kläger tatsächlich eine „vorauseilende Dauererektion“ hatte, nicht aber, dass er sich bereits vom Foto seiner Freundin sexuell erregt fühlte und eben dies gegenüber ihr andeuten wollte. Ein Bericht über eine private Kommunikation des Klägers mit derartigen Andeutungen über eine sexuelle Erregung betrifft mindestens die Privatsphäre des Klägers.
66b) Die Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Klägers sind rechtswidrig.
67aa) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
68bb) Das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seines den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffenden Verhaltens überwiegt das Interesse der Beklagten an einer Berichterstattung, insbesondere im Hinblick auf den von den Beklagten wörtlich wiedergegebenen Kommentar.
69(1) Zwar erfolgte der (erste) Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre nicht durch die Beklagten, weil nicht sie den Kläger identifiziert, sondern die Identifizierung des Klägers durch eine andere Person ausgenutzt haben. Die Beklagten haben den Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers jedoch vertieft, weil sie dessen anonym abgegebenen, seine Privatsphäre betreffenden Kommentar in die Öffentlichkeit getragen haben.
70(2) Dem steht kein hinreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber; erst Recht haben die Informationen keinen hohen "Öffentlichkeitswert" (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
71Zwar ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die prominente Stellung des Klägers erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 1681) und darf über diesen als prominente Person in größerem Umfang berichtet werden, wenn die Information einen hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2008 - VI ZR 243/06 -, NJW 2008, 3138).
72Es ist jedoch nicht ersichtlich, welches Interesse an einer Berichterstattung über die Einzelheiten der privaten Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin bestehen sollte, zumal die Beklagten darüber, dass der Kläger Beziehungen zu mehreren Frauen hatte, über den von den Beklagten in den Vordergrund gerückten Untreuevorwurf sowie letztlich auch über die Kontaktanbahnung über das Internet, ja sogar über die Art und Weise des Auffindens der neuen Freundin durch die - vom Kläger betrogene - frühere Freundin des Klägers auch hätten berichten können, ohne die Einzelheiten der privaten Kommunikation wörtlich wiederzugeben.
73Dabei verkennt der Senat nicht, dass es den Medien selbst obliegt, nach publizistischen Kriterien über Gegenstand und Inhalt ihrer Berichterstattung sowie darüber zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180). Die Gewichtung des Informationsinteresses zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen obliegt im Fall eines Rechtsstreits jedoch den Gerichten (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180).
74Insbesondere der Wortlaut des Kommentars hatte indes keinen maßgebenden Informationswert für die Öffentlichkeit, weder im Zusammenhang mit den ursprünglich gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen noch mit Rücksicht auf die Bekanntheit des Klägers in der Öffentlichkeit und seiner damit verbundenen Leitbild- und Kontrastfunktion. Dem wörtlichen Zitat kommt daher weder ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu noch dient es dem Beleg und der Verstärkung des Aussagegehalts; es hat deswegen weder besondere Überzeugungskraft noch kommt ihm erhebliche Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zu (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
75Vielmehr dient ein Bericht über die (häufige) Verwendung der nicht alltäglichen Redewendung durch den Kläger allein der Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit. Zugleich geht es in der Sache um mehr als eine bloße Indiskretion der Adressatin des vom Kläger verfassten Kommentars, weil eben nicht nur die Privatheit und Vertraulichkeit der Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin betroffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), sondern angesichts dessen, dass der wiedergegebene Kommentar sich auf den Kläger bezieht und die Andeutung einer sexuellen Erregung enthält, über den Kernbereich des Privatlebens des Klägers berichtet wird. Mit dem Landgericht ist der Senat dabei der Auffassung, dass die wörtliche Wiedergabe des Zitats einen eigenständigen Eingriff begründet. Nicht nur wegen der wörtlichen Wiedergabe des vom Kläger verfassten, allein an seine „neue Freundin“ gerichteten Gedankeninhalts selbst, sondern auch wegen dessen Inhalts, nämlich der Andeutung einer sexuellen Erregung des Klägers gegenüber der Blogbetreiberin, haben die Berichte einen anderen Aussagewert und waren auch und insbesondere angesichts des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs geeignet, das Bild des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, nämlich ihm einen - starken und rücksichtslosen - Sexualtrieb zu unterstellen.
76cc) Die Berichterstattung ist auch nicht aufgrund einer - sich auf den Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattung beziehenden - „Selbstöffnung“ des Klägers durch dessen Auftreten in der Öffentlichkeit vor und nach dem Strafverfahren sowie währenddessen gerechtfertigt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden; der Kläger hat sich jedenfalls nicht im Hinblick auf seine privaten Beziehungen und schon gar nicht hinsichtlich privater Kommunikation mit sexuellen Andeutungen geöffnet.
77c) Schließlich stellen die streitgegenständlichen Veröffentlichungen keine zulässigen Verdachtsberichterstattungen dar. Vielmehr steht der persönliche Blog-Eintrag des Klägers in keinem (hinreichenden) Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren, was aber Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 168; Senat, Urt. v. 15.11.2011 ‑ 15 U 60/11 -, AfP 2012, 66).
78Ob der Kläger in einer privaten Kommunikation mit einer Freundin Andeutungen über seine sexuelle Erregung unter Verwendung einer bestimmten Redewendung macht, ist für den im Ermittlungs- und Strafverfahren ursprünglich erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung ohne Belang. Zwar versuchen die Beklagten einen Bezug zum Strafverfahren herzustellen, indem sie auf private Kommunikation zwischen dem Kläger und der dortigen Nebenklägerin sowie weiteren Frauen in Bezug nehmende Erwägungen des Landgerichts Mannheim dazu verweisen, wie der Kläger die Anbahnung und den weiteren Verlauf seiner Beziehung zur Nebenklägerin im Strafverfahren dargestellt hat. Dass überhaupt und - wenn ja - welchen Wert die wörtliche Wiedergabe des Kommentars des Klägers für den Vorwurf der Vergewaltigung oder auch nur die in Bezug genommenen Erwägungen des Landgerichts im Strafurteil haben sollte, ist jedoch weder von den Beklagten dargetan noch anderweit ersichtlich. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht einmal die Hauptverhandlung eröffnet und damit auch nicht abzusehen war, in welchem Umfang die Strafkammer die private Kommunikation des Klägers mit der Nebenklägerin und seinen weiteren Partnerinnen in den Strafprozess oder gar in das Urteil überhaupt einbeziehen werden würde. Schließlich wurde unstreitig die von den Beklagten in Bezug genommene Kommunikation tatsächlich nicht öffentlich verhandelt und das den Kläger freisprechende Urteil (insoweit) nicht veröffentlicht.
793.
80Wegen der vom Landgericht zugesprochenen Kosten der anwaltlichen Abmahnungen kann zuletzt auf zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden.
814.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
835.
84Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs; vielmehr hat der Senat im Einzelfall über Veröffentlichung unter Abwägung zwischen den Belangen der Parteien entschieden.
85Berufungsstreitwert: 100.000,00 €.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09.07.2014 (28 O 487/13) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in Ziffer 3. des angefochtenen Urteils ‑ wie folgt - nach § 319 ZPO berichtigt wird:
Der Beklagten zu 2) wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt nicht 2 Jahre übersteigen darf,
v e r b o t e n,
folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat, unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben in der C vom 30.5.2010 auf Seite 14 im Artikel „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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G r ü n d e
2I.
3Der Kläger ist Journalist und betreibt ein Unternehmen, welches sich mit der Erhebung und Vermittlung meteorologischer Daten befasst. Im März 2010 wurde er wegen des Verdachts einer Vergewaltigung verhaftet. Die Verhaftung des in der Öffentlichkeit wegen seines Auftretens als Fernsehmoderator und in der Werbung bekannten Klägers, der gegen ihn vorgebrachte Tatvorwurf sowie sein bis zu diesem Zeitpunkt der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Privatleben, namentlich seine Beziehungen mit mehreren Frauen, waren ebenso Gegenstand intensiver Medienberichterstattung wie das gegen den Kläger wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren sowie der anschließende Strafprozess, in dem der Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 schließlich freigesprochen wurde.
4Im zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung gewährte der Kläger den Medien mehrere Interviews. Im Oktober 2012 erschien ein Buch des Klägers mit dem Titel „Recht und Gerechtigkeit - ein Märchen aus der Provinz“, in welchem der Kläger das Ermittlungs- und Strafverfahren kritisch beleuchtet sowie über nach seiner Auffassung bestehende Missstände in der Justiz und den Medien aufklären möchte.
5Die Beklagte zu 1) ist inhaltlich für das Angebot der Webseite C2.de, der Online-Ausgabe der bundesweiten Tageszeitungen „C2“ und „C“, verantwortlich. Die Beklagte zu 2) verlegt die Zeitung „C“.
6Die Beklagte zu 1) veröffentlichte am 30.5.2010 - während der Kläger sich in Untersuchungshaft befand und noch bevor die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen war - auf C2.de einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“. In diesem zitiert sie auszugsweise einen Blog-Eintrag, den der Kläger am 19.2.2007 um 0:21 Uhr unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet und an die Inhaberin des Blogs gerichtet hatte. Der Artikel wird nach der Überschrift - wie folgt - eingeleitet:
7„Eine Ex-Freundin hatte offenbar schon früh versucht, andere Frauen vor L zu warnen. In einer Mail, die C vorliegt, schreibt sie schon im Jahr 2008 einer neuen Freundin des wechselhaften Wetterexperten: ,Er wird nie Zeit für Dich haben. Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist, nur nicht am Abend daheim.‘ Dann die Bitte: ,Wir Frauen sollten zusammenhalten.“
8Weiter heißt es in dem Artikel u.a.:
9„Später suchte sie im Internet nach anderen L-Frauen, fand die Homepage einer neuen Eroberung.
10[…]
11Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘. Das soll der Moderator häufiger im Scherz gesagt haben. Priapismus bezeichnet eine schmerzhafte Dauererektion.“
12Die Beklagte zu 2) veröffentlichte am 30.5.2010 auf der Seite 14 in der „C“ ebenfalls einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ Der Artikel ist inhaltlich identisch mit dem Artikel der Beklagten zu 1) und enthält ebenfalls auszugsweise den vorbenannten Blog-Eintrag des Klägers.
13Mit Schreiben vom 31.5.2010 forderten die klägerischen Prozessbevollmächtigten die Beklagten auf, eine öffentliche Zugänglichmachung anonymer Blog-Einträge des Klägers unter Aufdeckung seines Namens zu unterlassen sowie eine strafbewehrte Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Landgericht Köln erließ in der Folge vom Kläger beantragte einstweilige Verfügungen gegen die Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Berichterstattungen (Beschl. v. 4.06.2010, Az. 28 O 368/10 und 28 O 369/10). Die einstweiligen Verfügungen wurden vollzogen. Mit Schreiben vom 17.8.2010 sowie vom 24.10.2013 wurden die Beklagten zur Abgabe einer Abschlusserklärung sowie zur Kostentragung aufgefordert.
14Der Kläger begehrt nunmehr Unterlassung in der Hauptsache sowie die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
15Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er sei durch die streitgegenständliche Berichterstattung in seinem Recht auf gewählte Anonymität und in seiner Intimsphäre verletzt. Dem Kontext des Blog-Eintrags sei zu entnehmen, dass die streitgegenständliche Äußerung auf ihn zu beziehen sei. Der von den Beklagten verbreitete Blog-Eintrag betreffe nicht das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, sondern Einzelheiten seiner Intimsphäre, weil sie sein Sexualleben berührten. Hierdurch werde er stigmatisiert und in schwerer Weise als krankhaft sexgetriebener Mensch dargestellt.
16Die Grenzen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung seien überschritten. Ebenso wenig sei die Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt einer in Bezug auf eine prominente Person geäußerte Kritik an der privaten Lebensführung gerechtfertigt. Durch die Berichterstattung werde das ohnehin beeinträchtigte C2 des Klägers in der Öffentlichkeit nachhaltig massiv beeinträchtigt, so dass der zwischenzeitlich erfolgte Freispruch diesen Makel nicht mehr beseitigen könne. Sein Werdegang sowie seine Medienpräsenz könnten zur Rechtfertigung der Berichterstattung nicht herangezogen werden.
17Der Kläger hat beantragt,
181. es der Beklagten zu 1) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
19folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“ geschehen:
20„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
212. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
223. es der Beklagten zu 2) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
23folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
24„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
254. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
26Hilfsweise,
271. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
282. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
29Die Beklagten haben beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Kläger werde durch die streitgegenständliche Berichterstattung nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Medien besondere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sich als Träger sozialer und politischer Botschaften präsentiert habe; unstreitig hatte er in den Jahren 2009 und 2010 an einer öffentlichen Kampagne unter dem Motto „Gewalt gegen Kinder ist eine Schande“ mitgewirkt. Die Beklagten haben gemeint, der Kläger sei daher eine Person der Zeitgeschichte, die besondere Integrität für sich in Anspruch genommen habe.
32Die streitgegenständliche Berichterstattung sei zudem Bestandteil der Verdachtsberichterstattung über den gegen den Kläger erhobenen Strafvorwurf. Sie sei wahrheitsgemäß und damit zulässig, da dem Strafvorwurf zugrunde liegende Sachverhalte mitgeteilt werden dürften. Hierzu zählten auch die Beziehung zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin des Strafprozesses, die weiteren Beziehungen und das Verhalten des Klägers gegenüber den Frauen; die Beziehungen seien auch durch die Kommunikation über das Internet sowie durch Kurznachrichten charakterisiert gewesen.
33Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger persönlich unter gleichzeitiger Zulassung von Fotografien und Videoaufnahmen gegenüber den Medien zu den Vorwürfen geäußert und seine Unschuld beteuert habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Berichterstattung nicht zu entnehmen sei, auf welche Person sich die Äußerung beziehe. Die Äußerung sei nicht geeignet, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Es habe sich eine öffentliche Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen sowie dessen Bedeutung für das Ermittlungsverfahren entwickelt. In diese öffentliche Debatte habe sich die streitgegenständliche Berichterstattung eingereiht.
34Die Beklagten haben mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger davon ausgegangen sei, Dritte würden keine Kenntnis von seiner Äußerung in dem „Blog“ und der Identität der an der Kommunikation beteiligten Personen erlangen. Die Beklagten haben zudem mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger die außergerichtlichen Tätigkeiten seiner Bevollmächtigten tatsächlich vergütet habe.
35Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht Köln der Klage stattgegeben. Der Kläger habe gegen die Beklagten Anspruch auf Unterlassung nach §§ 1004 analog, 823 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG, weil die Berichterstattung weder unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtsberichterstattung noch aus anderen Gründen gerechtfertigt sei.
36Die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung bei den Tatvorwurf nicht unmittelbar betreffenden Umständen seien nicht erfüllt. Zwar sei es im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit stehende Person des Klägers zulässig, über das gegen ihn geführte Straf- und Ermittlungsverfahren identifizierend zu berichten. Jedoch stehe die Berichterstattung über den Blog-Eintrag des Klägers nicht im Zusammenhang mit dem gegen diesen geführten Straf- und Ermittlungsverfahren; eine Bedeutung für das Strafverfahren sei nicht ersichtlich, auch nicht im Hinblick auf nach Meinung der Beklagten zum Gegenstand im Strafverfahren gemachter intimer SMS-Nachrichten, E-Mails und Chat-Verläufe. Eine solche Bedeutung wäre nur dann anzunehmen, wenn die Berichterstattung geeignet wäre, über die Persönlichkeitsstruktur des Klägers Aufschluss zu geben, und daher auch für die Überzeugungsbildung des Gerichts von Bedeutung sein könnte. Inhaltlich leiste die wörtliche Wiedergabe des Blog-Eintrags jedoch keinen Beitrag, der für die Überzeugungsbildung des Gerichts relevant sein könne. Vielmehr berge die wörtliche Wiedergabe der Äußerung die Gefahr der Vorverurteilung des Klägers, in dem sie diesen als einen sexgetriebenen Menschen darstelle. Die Berichterstattung sei geeignet, das Bild des Klägers nachhaltig und massiv zu beeinträchtigen, ohne einen für das Straf- und Ermittlungsverfahren relevanten Beitrag zu leisten.
37Die streitgegenständliche Berichterstattung sei auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zulässig. Vielmehr verletze sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Aufgrund des Inhalts der Äußerung („von vorauseilendem Priapismus gebeutelt“) sei die Intimsphäre des Klägers betroffen, welche unter dem absoluten Schutz vor den Einblicken der Öffentlichkeit stehe. Die Bezeichnung Priapismus umschreibe den pathologischen Zustand einer schmerzhaften Dauererektion. In dem hier verwendeten umgangssprachlichen Sinne werde der starke Sexualtrieb des Klägers durch die Äußerung verdeutlicht. Die Frage der Betroffenheit der Intimsphäre könne jedoch letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Kernbereich der Privatsphäre des Klägers in rechtswidriger Weise betroffen sei. Der Schutz der vorliegend thematisierten Intim- bzw. Privatsphäre sei erst dann abzusprechen, wenn der Betroffene sein Sexualleben selbst öffentlich ausgebreitet habe, was indes zu verneinen sei. Zum einen sei der Geheimhaltungswille des Klägers im Hinblick auf den Blog-Eintrag erkennbar, insbesondere die streitgegenständliche Äußerung unter dem Pseudonym „E“ gepostet worden. Im Übrigen sei der Kläger zwar in der Öffentlichkeit aufgetreten und habe der Presse mehrere Interviews gegeben. Der Kläger habe aber weder seine Intimsphäre thematisiert noch sich im Hinblick auf sein Privatleben und seine Beziehungen in einer Weise geäußert, die die vorliegende Berichterstattung rechtfertigen könne.
38Der Einwand der Beklagten, die Wiedergabe der Äußerung sei aufgrund der öffentlichen Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen entwickelt worden, sei unerheblich. Zum einen könne die öffentliche Erörterung seines Privatlebens nur insofern gerechtfertigt sein, als dieses eine Bedeutung für das Ermittlungs- und Strafverfahren habe. Zum anderen trage die angegriffene Äußerung auch nicht zu dieser öffentlichen Diskussion bei, sondern stelle, insbesondere auch aufgrund der wörtlichen Wiedergabe, einen besonders schweren Eingriff jedenfalls in den Kernbereich der Privatsphäre des Klägers dar, ohne einen besonderen Informationswert zu enthalten. Die sprachliche Fassung eines bestimmten Gedankeninhalts sei Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers. Grundsätzlich stehe daher allein dem Verfasser die Befugnis zu, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.
39Schließlich beziehe sich die streitgegenständliche Äußerung erkennbar auf den Kläger. Zwar werde in der Berichterstattung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger die Redewendung auf sich selbst bezogen habe. Ausreichend sei jedoch, dass der unbefangene Durchschnittsleser die streitgegenständliche Äußerung zumindest auch dahingehend verstehen könne, der Kläger umschreibe mit der Redewendung seine eigene Situation. Dies sei vorliegend unzweifelhaft zu bejahen. Denn in dem Beitrag werde deutlich, dass die Äußerung gegenüber einer seiner Freundinnen gefallen sei.
40Zuletzt könne der Kläger (mit Erfolg) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen.
41Wegen der weiteren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird ergänzend auf das angegriffene Urteil (Bl. 343 ff. d.A.) Bezug genommen.
42Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungsbegehren weiter.
43Sie sind der Auffassung, die streitgegenständlichen Berichterstattungen wiesen einen unmittelbaren Bezug zu dem Ermittlungs- und Strafverfahren auf. Insbesondere der Umstand der (mehrfachen) Untreue des Klägers habe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erhobenen Strafvorwurf gestanden. Das Landgericht Mannheim habe sich im Strafurteil ausführlich mit der elektronischen Kommunikation zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin (des Strafverfahrens) bzw. zwischen dem Kläger und den weiteren (im Strafverfahren vernommenen) Zeuginnen auseinandergesetzt und unter Würdigung des Wortlauts der Mitteilungen des Klägers dessen Verhalten bei der Beziehungsanbahnung untersucht, dieses als „initiativ“ und „offensiv“ bewertet, was wiederum für die Glaubwürdigkeit der Einlassung des Klägers von Relevanz gewesen sei.
44Die Beklagten meinen, das Landgericht habe den Sinngehalt der streitgegenständlichen Äußerung verkannt. Denn wiedergegeben werde die Äußerung als Kommentar des Klägers, ohne dass mitgeteilt werde, auf welche Person und auf welchen Sachverhalt der Kläger den Kommentar bezogen habe; der Bericht beinhalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen habe. Hinzu komme, dass ausdrücklich aufgeführt sei, dass der Kläger die Äußerung im Scherz gesagt, also nicht ernst gemeint habe. Die streitgegenständliche Äußerung sei eindeutig und bestehe bloß in der Wiedergabe eines Zitats.
45Scheide aber ein Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers aus, mangele es an einer äußerungsrechtlichen Betroffenheit des Klägers durch das wahrheitsgemäße Zitat, weil dieses keinerlei Eingriffscharakter habe.
46Benutzer eines Blogs könnten aufgrund deren Rahmenbedingungen nicht davon ausgehen, dass die Vertraulichkeit ihrer Äußerung gewahrt bleibe. Schon gar nicht sei der Adressat einer Äußerung verpflichtet, die Vertraulichkeit der Äußerung eines Dritten zu wahren. Die Beklagten hätten bloß die zuvor öffentlich bekannt gewordene Erklärung der Adressatin der Äußerung des Klägers zitiert.
47Schließlich betreffe die Berichterstattung moralisch verwerfliche Verhaltensweisen einer prominenten Person, nämlich die Untreue im Verhältnis zu mehreren Frauen, zu denen der Kläger parallel intime Beziehungen unterhalten habe, ohne sie über diesen Umstand aufzuklären. Die wahrheitsgemäße Berichterstattung belege eine Episode dieser Verhaltensweisen. Dem Zitat selbst (dessen Wortlaut) komme in diesem Zusammenhang keine eigenständige Eingriffseignung zu; die scherzhafte Verwendung des Begriffs „vorauseilender Priapismus“ sei nicht geeignet, den Zitierten in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen. Jedenfalls sei ein Bericht hierüber angesichts des Informationsinteresses über eine moralisch verwerfliche Verhaltensweise zulässig.
48Die Beklagten beantragen,
49unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 9.07.2014 - 28 O 487/13 - die Klage insgesamt abzuweisen.
50Der Kläger beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Er ist der Auffassung, aus dem Kontext der Berichterstattung ergebe sich, dass er die streitgegenständliche Redewendung auf sich selbst bezogen habe; jedenfalls sei die Darstellung in den Artikeln mehrdeutig. Aufgrund der Verwendung eines Pseudonyms habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass Dritte ihn nicht mit den betreffenden Äußerungen in Verbindung bringen können.
53Der Kläger habe in der Öffentlichkeit nicht vorgegeben, eine bestimmte Art von Beziehungsleben zu führen; aufgetreten sei er lediglich in beruflicher Funktion. Deswegen habe auch kein Berichterstattungsinteresse mit Blick auf eine Leitbild- und Kontrastfunktion bestanden.
54II.
55Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Allerdings war der Tenor des angefochtenen Urteils im Wege der Berichtigung nach § 319 ZPO zu ändern.
561.
57Gemäß § 319 ZPO hatte eine Berichtigung des Tenors zu erfolgen, die der Senat im Berufungsverfahren vornehmen kann (vgl. BGHZ 133, 191). Denn der Kläger hatte mit seinem dem Wortlaut nach ebenfalls auf die Berichterstattung unter C2.de bezogenen Antrag zu 3. begehrt, die Berichterstattung wie in der C geschehen zu verbieten, was seinem Antrag im Wege der Auslegung zu entnehmen und vom Landgericht übersehen worden ist. Jedenfalls hat der Kläger aber im Berufungsverfahren seinen Antrag insoweit in zulässiger Weise geändert, ohne dass die Beklagten dem entgegengetreten sind.
582.
59Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK bejaht. Die Beklagten haben in rechtswidriger Weise in das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens eingegriffen, indem sie über einen von ihm anonym und im Vertrauen auf die Wahrung der Anonymität abgegebenen Kommentar mindestens aus seiner Privatsphäre berichtet haben (a), ohne dass dieser Eingriff gerechtfertigt wäre (b), und zwar auch nicht im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung (c).
60a) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagten in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingegriffen haben.
61aa) Dass und insbesondere mit welchem Wortlaut der Kläger in einem Blog einer Freundin einen Eintrag dieser unter einem Pseudonym kommentiert, betrifft seine Vertraulichkeitssphäre sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534), nämlich unabhängig von Aussagewert der diesbezüglichen Berichterstattung schon unter dem Aspekt der Preisgabe von nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmter Kommunikation.
62Die gilt auch unter der Prämisse, dass der Blog öffentlich einsehbar war. Denn da der Kläger seinen Kommentar auf einem privat betriebenen, nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannten Blog unter einem Pseudonym abgegeben hat, und deswegen grundsätzlich davon ausgehen durfte, von anderen Personen als der Blogbetreiberin nicht ohne weiteres erkannt zu werden, handelte es sich letztlich um eine private Kommunikation zwischen ihm und der Blogbetreiberin. Vom Schutz der Privatsphäre wird auch der Geheimhaltungswille in Bezug auf solche Mitteilungen umfasst, die über die Person des sich Äußernden selbst nichts aussagen, die aber einem Vertrauten in der Erwartung gemacht werden, dass er sie für sich behalten werde (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), was hier jedenfalls für die Weitergabe an eine breite Öffentlichkeit unter Preisgabe der Identität des Klägers gilt. Die Privatheit der Kommunikation erschließt sich im Übrigen aus deren - nicht in der Berichterstattung wiedergegebenen - Inhalt, nämlich soweit der Kläger hiernach seinen Kommentar in Bezug auf ein Foto der Klägerin abgegeben und die beanstandete Redewendung ersichtlich auf sich bezogen hat. Angesichts dessen, dass der Kläger sich auf einem privaten Blog unter Verwendung eines Pseudonyms geäußert hat, kann ihm auch keine Einwilligung in die Veröffentlichung unterstellt werden, die hier vielmehr gegen seinen Willen erfolgt ist. Der Kläger musste auch nicht von vorneherein damit rechnen, dass sein Kommentar in die Öffentlichkeit gelangt; die Gefahr einer Identifizierung durch eine ihm vertraute Person war jedenfalls nicht wesentlich höher als im Falle einer Versendung einer E-Mail an einen einzelnen Adressaten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
63bb) Darüber hinaus ist angesichts der mit der Wortberichterstattung über den Kommentar verbundenen Aussage mindestens die Privatsphäre des Klägers betroffen.
64Nach dem gleichlautenden Inhalt der Berichte kann der Leser nur den Schluss ziehen, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen hat. Wenn der Kläger - wie berichtet wurde - einen Beitrag „seiner neuen Freundin“ mit der beanstandeten Redewendung kommentiert, können sich der Kommentar und die darin enthaltene Redewendung nur auf ihn selbst beziehen (auf wen auch sonst?). Hinzu kommt, dass später noch über das den Kommentar auslösende Foto der neuen Freundin berichtet wird, woraus ein verständiger Leser wiederum nur schließen kann, dass sich der Kommentar auf eben dieses Foto bezieht und damit erkennbar die Reaktion des Klägers auf das Foto betrifft. Jedenfalls ist aber ein solches Verständnis des Berichts nicht fernliegend und daher unter Berücksichtigung der Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 114, 339) im Hinblick auf den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch zugrunde zu legen.
65Sind die Berichte der Beklagten in dieser Weise zu verstehen, geht ihr Aussagewert aber noch in das Persönlichkeitsrecht des Klägers betreffender Weise hierüber hinaus, und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Berichte einen Hinweis darauf enthalten, dass der Kläger die Redewendung häufiger „im Scherz“ benutzt hat. Denn Letzteres schließt allenfalls aus, dass der Kläger tatsächlich eine „vorauseilende Dauererektion“ hatte, nicht aber, dass er sich bereits vom Foto seiner Freundin sexuell erregt fühlte und eben dies gegenüber ihr andeuten wollte. Ein Bericht über eine private Kommunikation des Klägers mit derartigen Andeutungen über eine sexuelle Erregung betrifft mindestens die Privatsphäre des Klägers.
66b) Die Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Klägers sind rechtswidrig.
67aa) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
68bb) Das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seines den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffenden Verhaltens überwiegt das Interesse der Beklagten an einer Berichterstattung, insbesondere im Hinblick auf den von den Beklagten wörtlich wiedergegebenen Kommentar.
69(1) Zwar erfolgte der (erste) Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre nicht durch die Beklagten, weil nicht sie den Kläger identifiziert, sondern die Identifizierung des Klägers durch eine andere Person ausgenutzt haben. Die Beklagten haben den Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers jedoch vertieft, weil sie dessen anonym abgegebenen, seine Privatsphäre betreffenden Kommentar in die Öffentlichkeit getragen haben.
70(2) Dem steht kein hinreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber; erst Recht haben die Informationen keinen hohen "Öffentlichkeitswert" (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
71Zwar ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die prominente Stellung des Klägers erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 1681) und darf über diesen als prominente Person in größerem Umfang berichtet werden, wenn die Information einen hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2008 - VI ZR 243/06 -, NJW 2008, 3138).
72Es ist jedoch nicht ersichtlich, welches Interesse an einer Berichterstattung über die Einzelheiten der privaten Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin bestehen sollte, zumal die Beklagten darüber, dass der Kläger Beziehungen zu mehreren Frauen hatte, über den von den Beklagten in den Vordergrund gerückten Untreuevorwurf sowie letztlich auch über die Kontaktanbahnung über das Internet, ja sogar über die Art und Weise des Auffindens der neuen Freundin durch die - vom Kläger betrogene - frühere Freundin des Klägers auch hätten berichten können, ohne die Einzelheiten der privaten Kommunikation wörtlich wiederzugeben.
73Dabei verkennt der Senat nicht, dass es den Medien selbst obliegt, nach publizistischen Kriterien über Gegenstand und Inhalt ihrer Berichterstattung sowie darüber zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180). Die Gewichtung des Informationsinteresses zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen obliegt im Fall eines Rechtsstreits jedoch den Gerichten (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180).
74Insbesondere der Wortlaut des Kommentars hatte indes keinen maßgebenden Informationswert für die Öffentlichkeit, weder im Zusammenhang mit den ursprünglich gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen noch mit Rücksicht auf die Bekanntheit des Klägers in der Öffentlichkeit und seiner damit verbundenen Leitbild- und Kontrastfunktion. Dem wörtlichen Zitat kommt daher weder ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu noch dient es dem Beleg und der Verstärkung des Aussagegehalts; es hat deswegen weder besondere Überzeugungskraft noch kommt ihm erhebliche Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zu (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
75Vielmehr dient ein Bericht über die (häufige) Verwendung der nicht alltäglichen Redewendung durch den Kläger allein der Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit. Zugleich geht es in der Sache um mehr als eine bloße Indiskretion der Adressatin des vom Kläger verfassten Kommentars, weil eben nicht nur die Privatheit und Vertraulichkeit der Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin betroffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), sondern angesichts dessen, dass der wiedergegebene Kommentar sich auf den Kläger bezieht und die Andeutung einer sexuellen Erregung enthält, über den Kernbereich des Privatlebens des Klägers berichtet wird. Mit dem Landgericht ist der Senat dabei der Auffassung, dass die wörtliche Wiedergabe des Zitats einen eigenständigen Eingriff begründet. Nicht nur wegen der wörtlichen Wiedergabe des vom Kläger verfassten, allein an seine „neue Freundin“ gerichteten Gedankeninhalts selbst, sondern auch wegen dessen Inhalts, nämlich der Andeutung einer sexuellen Erregung des Klägers gegenüber der Blogbetreiberin, haben die Berichte einen anderen Aussagewert und waren auch und insbesondere angesichts des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs geeignet, das Bild des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, nämlich ihm einen - starken und rücksichtslosen - Sexualtrieb zu unterstellen.
76cc) Die Berichterstattung ist auch nicht aufgrund einer - sich auf den Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattung beziehenden - „Selbstöffnung“ des Klägers durch dessen Auftreten in der Öffentlichkeit vor und nach dem Strafverfahren sowie währenddessen gerechtfertigt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden; der Kläger hat sich jedenfalls nicht im Hinblick auf seine privaten Beziehungen und schon gar nicht hinsichtlich privater Kommunikation mit sexuellen Andeutungen geöffnet.
77c) Schließlich stellen die streitgegenständlichen Veröffentlichungen keine zulässigen Verdachtsberichterstattungen dar. Vielmehr steht der persönliche Blog-Eintrag des Klägers in keinem (hinreichenden) Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren, was aber Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 168; Senat, Urt. v. 15.11.2011 ‑ 15 U 60/11 -, AfP 2012, 66).
78Ob der Kläger in einer privaten Kommunikation mit einer Freundin Andeutungen über seine sexuelle Erregung unter Verwendung einer bestimmten Redewendung macht, ist für den im Ermittlungs- und Strafverfahren ursprünglich erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung ohne Belang. Zwar versuchen die Beklagten einen Bezug zum Strafverfahren herzustellen, indem sie auf private Kommunikation zwischen dem Kläger und der dortigen Nebenklägerin sowie weiteren Frauen in Bezug nehmende Erwägungen des Landgerichts Mannheim dazu verweisen, wie der Kläger die Anbahnung und den weiteren Verlauf seiner Beziehung zur Nebenklägerin im Strafverfahren dargestellt hat. Dass überhaupt und - wenn ja - welchen Wert die wörtliche Wiedergabe des Kommentars des Klägers für den Vorwurf der Vergewaltigung oder auch nur die in Bezug genommenen Erwägungen des Landgerichts im Strafurteil haben sollte, ist jedoch weder von den Beklagten dargetan noch anderweit ersichtlich. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht einmal die Hauptverhandlung eröffnet und damit auch nicht abzusehen war, in welchem Umfang die Strafkammer die private Kommunikation des Klägers mit der Nebenklägerin und seinen weiteren Partnerinnen in den Strafprozess oder gar in das Urteil überhaupt einbeziehen werden würde. Schließlich wurde unstreitig die von den Beklagten in Bezug genommene Kommunikation tatsächlich nicht öffentlich verhandelt und das den Kläger freisprechende Urteil (insoweit) nicht veröffentlicht.
793.
80Wegen der vom Landgericht zugesprochenen Kosten der anwaltlichen Abmahnungen kann zuletzt auf zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden.
814.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
835.
84Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs; vielmehr hat der Senat im Einzelfall über Veröffentlichung unter Abwägung zwischen den Belangen der Parteien entschieden.
85Berufungsstreitwert: 100.000,00 €.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
- 1.
rechtsverletzende Erzeugnisse in ihrem Besitz hatte, - 2.
rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, - 3.
für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder - 4.
nach den Angaben einer in Nummer 1, 2 oder Nummer 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Erzeugnisse oder an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war,
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
- 1.
Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und - 2.
die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
(5) Erteilt der zur Auskunft Verpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch oder unvollständig, so ist er dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(6) Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.
(7) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.
(8) Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.
(9) Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nummer 70 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.
(10) Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.