Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 07. März 2017 - 4 W 16/17

bei uns veröffentlicht am07.03.2017

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts Schweinfurt vom 14.12.2016, Az. 22 OH 32/15 Hei, wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.333,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin des selbständigen Beweisverfahrens befand sich im Jahr 2008 beim Antragsgegner, einem niedergelassenen Frauenarzt, in ärztlicher Behandlung.

Das Landgericht Schweinfurt ordnete mit Beschluss vom 11.04.2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an, unter anderem zu der Behauptung der Antragstellerin, die bei ihr am 30.04.2008, 07.05.2008 sowie am 11.06.2008 vorgenommenen operativen Eingriffe seien vom Antragsteller fehlerhaft, d.h. nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden.

Mit Verfügung vom 02.06.2016 wurde PD Dr. med. A. zum Sachverständigen bestimmt, der sein schriftliches Gutachten am 03.08.2016 erstattete.

Mit Schriftsatz vom 24.10.2016 hat der Antragsgegner den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 14.12.2016 das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde vom 10.01.2017 hat es gemäß Beschluss vom 20.02.2017 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Eine Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Erforderlich ist jedoch das Vorliegen objektiver Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH NJW-RR 2003, 1220, 1221).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dabei kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung sowie im Nichtabhilfebeschluss verwiesen werden. Der Senat schließt sich den dort angeführten Gründen, warum ein Ablehnungsgrund nicht gegeben ist, in vollem Umfang an. Lediglich ergänzend ist zum Beschwerdevorbringen des Antragsgegners folgendes auszuführen:

1. Überschreitung des Gutachtensauftrags

Der Antragsgegner rügt, die Ausführungen des Sachverständigen zur präoperativen Diagnostik und zur postoperativen Nachsorge seien nicht vom Gutachtensauftrag umfasst. Durch seine Ausführungen habe der Sachverständige der Antragstellerin den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits gewiesen.

a) Überschreitet ein Sachverständiger die Grenzen des Gutachtensauftrages, begründet dies für sich genommen noch nicht die Besorgnis seiner Befangenheit. Vielmehr sind, wie der BGH in einem Beschluss vom 11.04.2013 klargestellt hat, die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu betrachten (BGH, VII ZB 32/12, Rn. 13). Er hat dabei in seiner Prüfung darauf abgestellt, ob sich dem Verhalten des Sachverständigen Belastungstendenzen entnehmen lassen, die aus Sicht einer Partei bei vernünftiger Betrachtung den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken vermögen (BGH, a.a.O., Rn. 16). Hierin liegt nach Auffassung des Senats ein notwendiges Entscheidungskriterium. Eine schematische Betrachtungsweise, wie sie auch in den vom Antragsgegner zitierten Entscheidungen des OLG Koblenz (Beschluss vom 24.01.2013, 4 W 645/12, Rn. 36) und vom OLG Thüringen (Beschluss vom 28.12.2012, 6 W 422/12, Rn. 11) zum Ausdruck kommt (vgl. auch Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., S. 105 m.w.N. zur Rspr.), ist demgegenüber nicht statthaft. Auch die Feststellung, ein Sachverständiger habe durch eine Überschreitung des Gutachtensauftrages dem Gericht vorbehaltene Aufgaben wahrgenommen oder dem Gericht den Weg zu einer Entscheidung gewiesen, vermag noch keine Ablehnung zu begründen. Beides impliziert noch keinen Verstoß gegen die dem Gutachter obliegende Neutralitätspflicht.

Nicht ausreichend ist es daher, wenn der Sachverständige aus einer irrtümlich fehlerhaften Auslegung des Beweisbeschlusses oder aus einem besonderen Interesse am Beweisthema parteineutral Feststellungen trifft, die über den eigentlichen Gutachtensauftrag hinausgehen (BGH a.a.O., Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 23.11.2011, 5 W 40/11, Rn. 6). Insoweit ist gerade im Arzthaftungsprozess zu berücksichtigen, dass ärztliche Gutachter nicht mit allen Details des Arzthaftungs- und des Prozessrechts vertraut sind (OLG München, Beschluss vom 05.03.2012, 1 W 2346/11, Rn. 13) und dass die Abgrenzung einzelner Beweisthemen schwierig sein kann. Dies gilt umso mehr, als im Arzthaftungsprozess an die Substantiierungspflicht der Klagepartei nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind und es ausreichend ist, wenn der Tatsachenvortrag in groben Zügen zum Ausdruck bringt, aus welchem Tatsachenkomplex ein Fehler abgeleitet wird und welcher Schaden dadurch eingetreten sein soll (ständ. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 16.08.2016, VI ZR 634/15, Rn. 14). Das Gericht ist somit auf eine sorgfältige und umfassende Überprüfung des Behandlungsvorgangs durch den Sachverständigen angewiesen ist.

Ein Ablehnungsgrund kann jedoch bestehen, wenn der medizinische Sachverständige von sich aus Ausführungen zu einer aus seiner Sicht nicht ausreichenden Aufklärung des Patienten macht, obwohl dieser die Aufklärungsrüge bislang nicht erhoben hatte (OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 40 - 42; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., S105g).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt ein Befangenheitsgrund nicht vor.

aa) Soweit der Antragsgegner die Feststellungen zur präoperativen Diagnostik rügt, lässt er außer Acht, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Durchführung einer Operation behandlungsfehlerhaft war, auch die Einbeziehung der präoperativen Diagnostik erforderlich ist. Sein Argument, der Wortlaut des Beweisbeschlusses setze klare zeitliche Grenzen und sei nicht auslegungsbedürftig, ist nicht stichhaltig. Denn die Durchführung einer Operation ist auch dann fehlerhaft, wenn es an einer Indikation fehlt. Die Prüfung, ob eine Operationsindikation besteht, kann jedoch häufig nur unter Einbeziehung der präoperativen Diagnostik erfolgen. Zudem kann die präoperative Erhebung diagnostischer Befunde für die Durchführung der Operation unmittelbare Auswirkungen haben. Insofern bewegt sich der Sachverständige innerhalb des Gutachtensauftrags, wenn er ausführt, dass eine Überprüfung der Blasenentleerung (Restharnkontrolle) vor der Primäroperation am 30.04.2008 nicht stattgefunden hat, obwohl dies aus seiner Sicht geboten gewesen wäre (S. 14 GA). Es fehlt daher bereits an einer Überschreitung des Gutachtensauftrags.

bb) Auch die Ausführungen des Sachverständigen zur postoperativen Nachsorge geben im konkreten Fall keinen Anlass, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln.

Richtig ist, dass bei einer rein grammatikalischen Betrachtung zweifelhaft ist, ob Fehler in der operativen Nachsorge noch als Fehler bei „der Durchführung“ der Operation gewertet werden können. Der Sachverständige hat jedoch darauf hingewiesen, er gehe davon aus, dass das Gericht auch die postoperative Nachsorge überprüft wissen wolle (S. 14 GA). Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin selbst in ihrem Antragsschriftsatz vom 30.12.2015 (dort S. 5) sowie im Schriftsatz vom 16.03.2016 (dort S. 8) den Vorwurf einer fehlerhaften Nachbehandlung erhoben hatte. Die weite Auslegung des Beweisthemas ist daher zum einen nachvollziehbar. Zum anderen lassen die genannten Umstände nur den Schluss zu, dass der Sachverständige das Beweisthema in gutem Glauben so ausgelegt hat, dass die operative Nachsorge vom Beweisthema umfasst ist. In einem solchen Fall fehlt es, ebenso wie bei einer irrtümlich falschen Erfassung des Beweisthemas, an einer die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen begründenden Überschreitung seiner Befugnisse.

Hinzu kommt, dass der Vorwurf einer fehlenden Nachbehandlung bereits in das Verfahren eingeführt war. Die Angaben des Sachverständigen waren daher nicht geeignet, der Antragstellerin einen von ihr bislang nicht erkannten Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits zu weisen, wie dies bei Ausführungen zur Aufklärung trotz fehlender Aufklärungsrüge der Fall sein kann.

2. Unzulässige Parteinahme für die Antragstellerin 4 w 16/17 - Seite 5 Der Antragsgegner ist der Auffassung, der Sachverständige lasse in seinen Ausführungen die gebotene Neutralität vermissen. Dies gelte insbesondere für die Darlegung, in jener Zeit (2008) hätten, „in der Euphorie der guten anatomischen Ergebnisse, viele Kollegen die Netze unkritisch implantiert“ (S. 11 GA). Er zeichne damit das Bild eines rücksichtslosen, unkritischen Arztes, was eine Bewertung mit unzulässiger Schärfe und eine unzulässige Parteinahme darstelle.

Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Der Sachverständige hat zunächst ausgeführt, dass aus seiner Sicht für eine Netzimplantation rechtfertigende Gründe vorliegen müssten, solche Gründe für ihn aus der Akte aber nicht ersichtlich seien. Wenn er in diesem Zusammenhang den Umgang mit einer speziellen Operationsmethode in dem hier relevanten Zeitraum darstellt, so trifft er damit keine Wertung über den Antragsgegner. Er vermittelt dem Gericht vielmehr relevantes Hintergrundwissen, um einen medizinischen Sachverhalt einordnen zu können.

3. Belastungstendenzen durch verkürzte Wiedergabe der Dokumentation Der Antragsgegner führt hierzu aus, der Sachverständige erwecke wahrheitswidrig den Eindruck, die Dokumentation werde von ihm nur chronologisch verkürzt, inhaltlich aber vollständig wiedergegeben. Tatsächlich würden relevante Diagnose- oder Therapiemaßnahmen in der Aufstellung fehlen. Gleichwohl werde die Dokumentation vom Sachverständigen als spärlich und damit unzureichend gerügt.

Die vom Sachverständigen vorgenommene Darstellung des Behandlungsverlaufs lässt nach Auffassung des Senats keine Anzeichen für eine Parteinahme zugunsten der Antragstellerin erkennen. Der Sachverständige hat eine Unterteilung in ambulante und stationäre Behandlungszeiträume vorgenommen. Er hat dabei jeweils deutlich gemacht, wann er aus Behandlungsaufzeichnungen nur in Auszügen zitiert und wann er den Inhalt von Berichten komplett wiedergibt. Dass es sich hierbei auch inhaltlich nur um Auszüge aus der Patientendokumentation handelt, ist aus Sicht des Senats offensichtlich. Sollten relevante Vorgänge bei der vom Sachverständigen vorgenommenen Bewertung des ärztlichen Handelns nicht berücksichtigt worden sein, so wäre dies durch Fragen an den Sachverständigen im Wege einer Gutachtensergänzung zu klären. Es stünden in diesem Fall inhaltliche Fehler des Gutachtens in Rede, die eine Ablehnung grundsätzlich nicht rechtfertigen.

4. Besorgnis der Befangenheit im Wege einer Gesamtschau Der Antragsgegner weist insoweit darauf hin, dass auch mehrere Tatsachen, die für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit noch nicht rechtfertigen, in ihrer Gesamtschau 4 w 16/17 - Seite 6 Anlass geben können, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (Martis/Winkhart, a.a.O., S. 122). Unabhängig davon, ob man sich dieser Auffassung anschließt, lassen die aufgezeigten Umstände eine derartige Wertung nicht zu.

Eine einseitige Parteinahme zulasten des Antragsgegners ist nicht festzustellen. Der Gutachter zeigt im Rahmen der Begutachtung jeweils für und gegen einen Behandlungsfehler sprechende Umstände auf (vgl. etwa S. 11 GA zur Notwendigkeit einer urodynamischen Untersuchung). Soweit er vom Vorliegen von Behandlungsfehlern ausgeht, begründet er dies jeweils in einer nachvollziehbaren Weise, die - unabhängig von der vom Senat nicht zu beurteilenden fachlichen Richtigkeit - einseitige Belastungstendenzen zum Nachteil des Antragsgegners nicht erkennen lässt. Dass er dabei die postoperative Behandlung einbezieht, ist aus den bereits dargelegten Gründen nachvollziehbar.

Die sofortige Beschwerde ist deshalb zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens entspricht einem Drittel des Wertes der Hauptsache (BGH, Beschluss vom 15.12.2003, II ZB 32/03), hier des selbständigen Beweisverfahrens (OLG München, Beschluss vom 05.03.2012, 1 W 2346/11, Rn. 15; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.10.2013, 3 W 48/13, Rn. 10).

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(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.

(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.

(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.


Tenor

1. Auf die sofortigen Beschwerden der Beklagten zu 1., 2. und 3. wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 05.11.2012 abgeändert.

Die Ablehnungsgesuche der Beklagten zu 1., 2. und 3. gegen den Sachverständigen Prof. Dr. ...[A] werden für begründet erklärt.

2. Die weitergehenden sofortigen Beschwerden der Beklagten zu 1. und 2. werden zurückgewiesen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 288.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagten geltend. Sie unterzog sich am 20.06.2011 in der Klinik der Beklagten zu 1. einem chirurgischen Eingriff im Gesichtsbereich. Die Operation wurde in Vollnarkose durchgeführt. Operateur war der Beklagte zu 2.. Als Anästhesist war der Beklagte zu 3. tätig. Bei der Beklagten zu 4. handelt es sich um eine Medizinstudentin, die am Tag der Operation in der Klinik den Nachtdienst verrichtete.

2

Ihre Ansprüche begründet die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, mit der Verletzung von Organisations- und Überwachungspflichten im Verantwortungsbereich der Beklagten zu 1. und 2., einer deliktischen Haftung des Beklagten zu 3. (ungesichertes Zurücklassen von Narkosemitteln im OP, unklare Handlungsanweisungen an die Beklagte zu 4. und unterbliebene Beschriftung einer Infusionsflasche) sowie einer fahrlässigen Verfahrensweise der Beklagten zu 4., die ihre Tätigkeit ohne ausreichende pflegerische Ausbildung ausgeübt und grob fahrlässig eine schadenverursachende Infusion verabreicht habe. Die Klägerin habe im Anschluss an die Operation auf ihrem Zimmer infolge der Infusion mit Resten einer Propofol-NaCl-Mischung einen Herz-Kreislauf-Stillstand, eine schwere hypoxische Hirnschädigung und ein klinisch-apallisches Syndrom erlitten. Sie befindet sich seitdem im Zustand des sogenannten "Wachkoma".

3

Die zuständige Kammer des Landgerichts Mainz hat mit Verfügung vom 04.04.2012 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 05.06.2012 bestimmt und zugleich auf die Absicht hingewiesen, den Sachverständigen Prof. Dr. ...[A] - zuletzt Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Klinikums ...[X] - hinzuzuladen, "damit dieser Fragen stellen, aber gegebenenfalls auch bereits mündlich ein Gutachten erstellen" (könne). Mit E-Mail vom gleichen Tage hat der Kammervorsitzende den Sachverständigen um die Übernahme der Begutachtung gebeten. Er hat ihn unterrichtet, es gehe "um Fragen der Anästhesie, aber auch um Fragen der Krankenhausorganisation wie etwa derjenigen, ob es zulässig sein könne, dass eine Medizinstudentin im 10. Fachsemester mit einer frisch operierten Patientin alleine gelassen werden darf". Es sei begrüßenswert, wenn zu diesem Termin bereits ein Sachverständiger anwesend sein könnte, um die richtigen medizinischen Fragen zu klären, aber auch zur Erstattung eines mündlichen Gutachtens. Am 26.04.2012 erfolgte eine Terminsverlegung auf den 14.08.2012 und die Versendung der Akten an den Sachverständigen zur weiteren Vorbereitung.

4

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2012 erging ein Beweisbeschluss der Kammer zur Behauptung der Klägerin, die "von der Beklagten zu 1. angebotene und von den Beklagten zu 2. bis 4. ausgeführte medizinische Behandlung vom 20.06.2011 habe in medizinisch-organisatorischer und anästhesiologischer Hinsicht nicht dem medizinischen Standard entsprochen". Mit der Erstattung des mündlichen Sachverständigengutachtens wurde der anwesende Sachverständige Prof. Dr. ...[A] beauftragt. Es schloss sich das mündliche Gutachten unter Verwendung einer PowerPoint-Präsentation im Umfang von insgesamt 210 Seiten an. Die Präsentation wurde den Parteivertretern nach der Verhandlung zugeleitet. Im Termin selbst wurde ihnen zur Stellungnahme auf das Gutachten ein Schriftsatznachlass bis zum 16.10.2012 gewährt.

5

Mit ihren Schriftsätzen vom 11.10.2012 und 16.10.2012, jeweils beim Landgericht am 16.10.2012 eingegangen, haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1. und 2. Anträge auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit gestellt. Im Schriftsatz vom 11.10.2012 wurde zudem beantragt, das vom Sachverständigen erstellte Gutachten für unverwertbar zu erklären mit der Folge, dass der Gutachter seinen Entschädigungsanspruch verliere. Nach antragsgemäßer Verlängerung der Stellungnahmefrist für den Beklagten zu 3. bis 25.10.2012 hat dieser mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten am 25.10.2012 den Sachverständigen ebenfalls wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

6

Zur Begründung haben die Beklagten im Wesentlichen vorgetragen, die Besorgnis der Parteilichkeit folge bereits aus dem Internetauftritt des Sachverständigen. Mittelpunkt seiner Homepage seien nahezu ausschließlich geschädigte Patienten. Er verweise darauf, "aus der Sicht des patientennahen Arztes" zu sprechen. Es werde auf "Patientenschädigungen in Gegenwart kostensparender, erlössteigernder, lebensgefährdender Organisationen der Patientenversorgung infolge von Billigprodukten" hingewiesen. Die Äußerungen erfolgten in unberechtigt pauschalisierender Weise zu Lasten der Behandlerseite.

7

Es werde auf einen Artikel in "F… Online" verwiesen, nach dessen Inhalt der Sachverständige bei zwei Kunstfehlerprozessen hoffe, dass die Richter nicht nur den behandelnden Arzt, sondern die dahinter stehende Geschäftsführung zur Verantwortung ziehen.

8

Auf der Homepage finde sich darüber hinaus eine Verlinkung zur Medienberichterstattung im vorliegenden Verfahren, obwohl das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei.

9

Der Sachverständige habe bei Erstattung seines mündlichen Gutachtens unter Verwendung der umfangreichen PowerPoint-Präsentation in formaler Hinsicht allgemeine Grundsätze der Gutachtenerstellung verletzt. Sein Gutachten weise daneben auch inhaltlich-fachliche Mängel auf. Es verhalte sich hinsichtlich der Problematik einer ausreichenden Einwilligung in die Operation zu Fragen, die nicht Gegenstand des Gutachtenauftrages gewesen seien.

10

Eine grundsätzliche Einseitigkeit lasse sich einem Schreiben des Sachverständigen an die Staatsanwaltschaft Limburg vom 01.12.2008 entnehmen. Dort biete er seine gutachterliche Unterstützung in einem Strafverfahren an.

11

Das Landgericht hat die Anträge, den Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen, mit Beschluss vom 05.11.2012 zurückgewiesen.

12

Die Kammer hat im Wesentlichen ausgeführt, der Sachverständige verwende weder eine tendenziöse noch inadäquate Wortwahl. Er habe keine fachfremden Fragestellungen aufgeworfen, da er Intensivmediziner sei.

13

Er habe sich zwar ohne Auftrag mit der Thematik der ausreichenden Einwilligung der Klägerin befasst. Es ziehe aber nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrags die Besorgnis der Befangenheit nach sich. Nach den besonderen Umständen des Falles sei dies vorliegend anders, da die oft streitige Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung hier keine Rolle spiele, die Klägerin im Schriftsatz vom 27.02.2012 die Frage der Aufklärung thematisiert habe und der Sachverständige aufgrund des weit gefassten Gutachtenauftrags auch auf diese Frage eingegangen sei. Er habe sich im Übrigen maßvoll geäußert.

14

Die Verwendung der umfangreichen PowerPoint-Präsentation sei dem Sachverständigen nicht vorzuwerfen, da sie sein mündliches Sachverständigengutachten nur unterstützt habe. Das Zur-Verfügung-Stellen der entsprechenden Dateien habe es den Parteivertretern im Übrigen ermöglicht, zum mündlichen Vortrag des Sachverständigen dezidiert Stellung zu nehmen.

15

Die Befangenheit folge auch nicht aus dem Internetauftritt. Dass die Patientensicherheit im Vordergrund der ärztlichen Behandlung stehen solle, sei selbstverständlich. Der Hinweis auf verschiedentliche Missstände in anderen Fällen bedeute nicht, dass der Sachverständige nicht unvoreingenommen an einen neuen Fall herangehe. Die Bezeichnung als patientennaher Arzt schade nicht, da er sich nicht als patientennaher Sachverständiger bezeichnet habe.

16

Befangenheitsgründe im Hinblick auf die Gestaltung der Homepage seien zudem nach § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO verfristet, da die Parteien bereits mit Verfügung vom 04.04.2012 darauf hingewiesen worden seien, das Gericht beabsichtige die Beauftragung des namentlich bezeichneten Sachverständigen. Die Verlängerung der Frist im Hinblick auf die Stellungnahmefrist zum Sachverständigengutachten sei nicht gerechtfertigt, da die im Zusammenhang mit der Internetseite des Sachverständigen vorgebrachten Gründe mit dem Inhalt des Gutachtens nichts zu tun hätten.

17

Die Verlinkung zu einem Zeitungsbericht der R…-Zeitung zum vorliegenden Fall nach dem 04.08.2012 begründe keine Befangenheit. Unter der Rubrik "Bibliothek" habe der Sachverständige lediglich Medienberichte über Fälle eingestellt, in denen er Gutachten erstatte. Die Berichte seien im Übrigen erst zu Zeitpunkten erschienen, zu denen er bereits sein mündliches Gutachten vor dem erkennenden Gericht erstattet habe.

18

Sonstige Mängel des Gutachtens inhaltlicher Art könnten zu einer Ergänzung des Gutachtens beziehungsweise Erläuterung führen, nicht jedoch zu einer Befangenheit.

19

Gegen diesen am 06.11.2012 zugestellten Beschluss wenden sich die Beklagten zu 1., 2. und 3. mit ihren Beschwerden vom 14.11.2012 und 20.11.2012, mit denen sie die Ablehnungsgesuche aufrecht erhalten.

20

Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen darüber hinaus, das vom Sachverständigen erstellte Gutachten für unverwertbar zu erklären, die vor seiner Belehrung auf Fragen des Sachverständigen während der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2012 gegebenen Antworten für unverwertbar zu erklären, den Verlust des Vergütungsanspruchs des Sachverständigen festzustellen und einen neuen Sachverständigen mit der Erstellung eines neuen Gutachtens zu beauftragen.

21

Die zweiwöchige Stellungnahmefrist nach § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO sei nicht abgelaufen. Da die Ernennung des Sachverständigen erst in der mündlichen Verhandlung am 14.08.2012 erfolgte, sei es fehlerhaft, auf die Ladungsmitteilung abzustellen. Aufgrund der Ausnahmeregelung des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO sei von einer Frist auszugehen, die mit der gewährten Stellungnahmefrist zum Inhalt des mündlich erstatteten Gutachtens gleichlaufe.

22

Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz hat den Beschwerden mit Beschluss vom 22.11.2012 nicht abgeholfen.

II.

23

Die sofortigen Beschwerden sind nach § 406 Abs. 5, 2. Alt. ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

24

Sie haben insoweit Erfolg, als sie das gegen den Sachverständigen Prof. Dr. ...[A] gerichtete Ablehnungsgesuch betreffen. Weitergehende Anträge der Beklagten zu 1. und zu 2. sind hingegen zurückzuweisen.

25

1. Die Befangenheitsgesuche sind rechtzeitig eingereicht worden. Sie sind nicht nach § 406 Abs. 2 ZPO verfristet.

26

a) Ein Ablehnungsgesuch ist nach § 406 Abs. 2 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung eines Sachverständigen zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Ergeben sich Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, aus dessen Gutachten, so ist die Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO maßgebend. Die Ablehnungsgründe sind in diesem Fall nicht binnen einer kalendermäßigen Frist, sondern grundsätzlich unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) nach Kenntnis des Gutachtens geltend zu machen. Ein Befangenheitsantrag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 406 Abs. 4 ZPO gesetzten oder verlängerten Frist eingereicht wird, ist immer dann als unverzüglich und damit rechtzeitig anzusehen, wenn sich die Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten ergibt. Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müssen sich innerhalb dieser Frist abschließend mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen und mitteilen, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten Ergänzungsbedarf gesehen wird. Kommt hierbei eine Partei aufgrund der inhaltlichen Prüfung des Gutachtens nicht nur zu dem Ergebnis, dass dieses unrichtig oder ergänzungsbedürftig ist, sondern dass bestimmte Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf Voreingenommenheit ihr gegenüber zurückzuführen sind, ist auch diese Besorgnis Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten. Hieraus folgt, dass der Antragsteller letztlich nicht verpflichtet ist, binnen kürzerer Frist eine Vorabprüfung des Gutachtens vorzunehmen, nur um feststellen zu können, ob das Gutachten Mängel enthält, die aus seiner Sicht nicht nur einen Ergänzungsantrag nötig machen, sondern sogar die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen (BGH, NJW 2005, 1869; OLG Dresden, Beschluss vom 18.12.2009, 4 W 1242/09, zitiert nach juris).

27

Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss die Partei wissen, welcher Zeitraum ihr zur Prüfung des Gutachtens in jedweder Hinsicht zur Verfügung steht. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten und - wie hier gegenüber dem Beklagten zu 3. - verlängerten Frist nach § 411 Abs. 4 ZPO ab. Dabei ist zu bedenken, dass der Anspruch einer Prozesspartei auf einen aus ihrer Sicht unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf (BGH, a.a.O.). An die für den Gleichlauf der Frist nach §§ 406 Abs. 2 S. 2 und 411 Abs. 4 ZPO erforderliche "inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten" dürfen daher keine allzu hohen Voraussetzungen gestellt werden. Es ist vielmehr regelmäßig vom Gleichlauf dieser Frist auszugehen, es sei denn, es liegen ganz besondere Umstände vor, die es rechtfertigen, ein schuldhaftes Zögern schon vor dem Ablauf der Frist des § 411 Abs. 4 ZPO anzunehmen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 14.09.2011, 4 W 296/11; Beschluss vom 09.03.2011, 4 W 94/11; Beschluss vom 03.02.2011, 4 W 36/11; Beschluss vom 16.01.2012, 4 W 98/12).

28

b) Derartige besondere Umstände sind vorliegend nicht gegeben, die Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO ist vielmehr im Gleichlauf mit der Stellungnahmefrist zum erstatteten Gutachten abgelaufen. Die innerhalb dieser Frist eingereichten Ablehnungsgesuche sind rechtzeitig erfolgt.

29

Die Ausschlussfrist knüpft an den Termin zur mündlichen Verhandlung und das zu diesem Zeitpunkt erstattete Sachverständigengutachten an. Die Beklagten sind nicht - auch nicht teilweise im Hinblick auf die vorgetragenen Befangenheitsgründe zum Internetauftritt des Sachverständigen - mit ihrem Vortrag ausgeschlossen, nachdem ihnen bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Name des Sachverständigen bekannt gegeben worden ist. Bis zum Verhandlungstermin stand die Möglichkeit der Erstattung des Gutachtens und die Unterstützung der Kammer zur Erörterung medizinischer Fragen im Raum, die Ernennung zum Sachverständigen ist jedoch zunächst unterblieben. Sie erfolgte erst während der Verhandlung.

30

Die Beklagten waren danach nicht gehalten, Befangenheitsgründe vor Ablauf der vom Gericht bewilligten Stellungnahmefrist vorzutragen. Nach § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Dabei hat das entscheidende Gericht die Ablehnungsgründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Es hat somit eine Gesamtschau stattzufinden (vgl. hierzu Zöller-Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rdnr. 9 m.w.N.). Die Beklagten haben hier Umstände zur Begründung ihrer Ablehnungsgesuche vorgetragen, die über die Veröffentlichungen des Sachverständigen auf seiner Homepage hinausgehen und sich auch mit dem Inhalt des mündlich erstatteten, komplexen, auf über 200 Seiten PowerPoint-Präsentation zusammengefassten Gutachtens befassen. Ihnen war es zuzubilligen, sich auch zur Begründung ihrer Ablehnungsgesuche mit dem Inhalt des Gutachtens bis zum Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist auseinanderzusetzen.

31

2. Die Ablehnungsgesuche haben auch in der Sache Erfolg.

32

a) Nach § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen (§ 42 Abs. 1 u. 2 ZPO). Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unabhängigkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muss sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, GRUR-RR 2008, 365 m.w.N.).

33

Dabei sind - wie bereits dargestellt - die Ablehnungsgründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

34

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Ablehnungsanträge begründet, zumal in Zweifelsfällen im Sinne einer Stattgabe der Ablehnungsgesuche zu entscheiden ist (Zöller- Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdnr. 10 m.w.N.). Es muss schon der äußere Anschein von Befangenheit, der "böse Schein" einer Voreingenommenheit vermieden werden (Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdnr. 8; BVerfGE 108, 122 (129)).

35

aa) Zu Recht weist das Landgericht in seinem Beschluss vom 05.11.2012 darauf hin, dass die von den Beklagten behaupteten formellen und inhaltlichen Mängel des Gutachtens als solche nicht geeignet sind, das Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen. Das Verfahren der Ablehnung eines Sachverständigen ist nicht dazu bestimmt zu überprüfen, ob die Beantwortung beweiserheblicher Fragen durch den Sachverständigen richtig oder falsch, vollständig oder unvollständig ist. Das Prozessrecht gibt in §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichend Mittel an die Hand, etwaige sachliche Mängel zu beseitigen, offene Fragen zu klären und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist.

36

bb) Dessen ungeachtet können Äußerungen eines Sachverständigen dann einen Ablehnungsgrund darstellen, wenn die Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgehen und vom Auftrag nicht erfasste Fragen beantworten. Maßgeblich ist insoweit, ob der Sachverständige sich aus der Sicht der ablehnenden Partei quasi an die Stelle des Gerichts setzt und seine Neutralitätspflicht verletzt, indem er dem Gericht oder den Parteien den aus seiner Sicht für richtig gehaltenen Weg der Entscheidungsfindung weist (OLG Rostock, IBR 2011, 179; OLG Celle, IBR 2010, 527; OLG Oldenburg, MDR 2008, 101; Zöller/ Greger, a.a.O., § 406, Rdnr. 8).

37

Zu Recht hat das Landgericht betont, nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrages ziehe die Besorgnis der Befangenheit nach sich, es komme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an (OLG Schleswig, IBR 2010, 1033; ständige Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 22.09.2011, 4 W 529/11; Beschluss vom 29.10.2012, 4 W 536/12).

38

Vorliegend hat der Sachverständige - wie auch das Landgericht feststellt - seinen Gutachterauftrag insoweit überschritten, als er bei Erstattung seines mündlichen Gutachtens Ausführungen zu einer aus seiner Sicht nicht ausreichenden Aufklärung der Klägerin gemacht hat (Seiten 97 bis 99 der PowerPoint-Präsentation).

39

Bei der Bewertung dieses Vorgehens muss zunächst Berücksichtigung finden, dass die Frage der ausreichenden Aufklärung im Vorfeld des Termins seitens der Klägerin (Schriftsatz vom 27.02.2012) ausdrücklich thematisiert worden ist und bis zum Verhandlungstermin der Umfang der möglichen Begutachtung wenig konkret war. Die Konkretisierung erfolgte erst im Termin selbst.

40

Die dort vorgegebenen Grenzen hat der Sachverständige nicht eingehalten. Er hätte bei der Erstattung seines mündlichen Gutachtens beim Gericht anfragen müssen, ob Ausführungen zu Aufklärungspflichten, die nach den Gründen des Beschlusses vom 05.11.2012 für die Kammer im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, erforderlich sind.

41

Die Ausführungen des Sachverständigen sind zudem im Wortlaut nicht moderat, sondern zeichnen sich durch Schärfe in der Bewertung des Vorgehens der Beklagten aus. Der Präsentation (Seite 98) ist zu entnehmen, die schweren Verstöße gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst seien vom Beklagten zu 2. bei der Operation der Klägerin geplant worden, die Einwilligung der ahnungslosen Klägerin sei unterlaufen und entwertet worden.

42

Es ergeben sich bereits hiernach - unabhängig von der Frage der inhaltlichen Richtigkeit entsprechender Ausführungen - aus Sicht der Beklagten nachvollziehbare Anhaltspunkte, die ein Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen begründen können. Hinzu kommen weitere Gesichtspunkte, die letztlich im Rahmen der Gesamtbewertung zur Ablehnung des Sachverständigen führen.

43

cc) Die Gestaltung der Homepage des Sachverständigen ist auch aus Sicht einer vernünftigen Partei geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu rechtfertigen.

44

Der Internet-Auftritt ist maßgeblich geprägt von der veröffentlichten Meinung des Sachverständigen, infolge einer zu missbilligenden, am Gewinnstreben orientierten schlechten Organisation der Patientenversorgung in Krankenhäusern und Arztpraxen komme es zu Patientenschädigungen. Schon die Home-Seite des Auftritts verweist unter der Überschrift "Patientensicherheit vs. Sparen" auf diese Sicht des Sachverständigen. Dort heißt es: "In jüngster Zeit ist es wiederholt in Kliniken und Arztpraxen zu schwerer und schwerster Patientenschädigung und zu Todesfällen in Gegenwart kostensparender, Erlösesteigernder, die prognostizierte Gewinn-Entwicklung verwirklichender, aber voraussehbar lebensgefährdender Organisation der Patientenversorgung infolge von Billigprodukten gekommen".

45

Auf beinahe sämtlichen sonstigen Seiten (Patientenschädigung, Medizinrecht, Profil, Projekte, Bibliothek), finden sich Darstellungen dieser Problematik, die auf der Seite Patientenschädigung als "Grundidee" bezeichnet wird.

46

Unter "Medizinrecht" wird auf die "Verantwortung der Betreiber (Praxisbetreiber, Krankenhausgeschäftsführer) von Gesundheitseinrichtungen" hingewiesen, ergänzt um ein Zitat zur strafrechtlichen Verantwortung nach § 222 StGB (fahrlässige Tötung) und die zugehörige Kommentarliteratur, nach der sich "aus leitenden Funktionen innerhalb der Organisation von Kliniken sowohl im medizinischen wie nichtmedizinischen Bereich eine Pflicht zur Vermeidung organisationsbedingter Sorgfaltsverletzung und damit eine (Neben-)Täterschaft ergeben" kann. Die Seite "Profil" weist den Sachverständigen als Arzt aus, der mit den Gefahren, die von Personalkosten sparenden Strukturen und Produktionsdruck ausgehen können, vertraut ist. Auf der Seite "Projekte" wird unter Juristische Dissertationen auf die (straf-)rechtliche Verantwortung der Betreiber von Gesundheitseinrichtungen hingewiesen. Die Seite "Bibliothek" verweist auf eine Vielzahl von Medienberichten, deren eindeutiger und wahrnehmbarer Schwerpunkt auf einer mangelnden Qualität der Behandlung beziehungsweise Organisation der medizinischen Einrichtungen liegt. Dies gilt sowohl für die eingestellten eigenen Veröffentlichungen als auch für die dargestellten Medienberichte und Urteile.

47

Der Sachverständige hebt ausdrücklich und mehrfach seine Patientennähe hervor. Es geht ihm erkennbar darum, eine kritische Distanz zu den Betreibern der Kliniken zu dokumentieren, denen er organisatorische Mängel, Behandlungsfehler und einen Zusammenhang mit Gewinnstreben vorhält.

48

Der Senat sieht sich gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Darstellungen des Sachverständigen im Rahmen seines Internetauftrittes inhaltlich nicht bewertet oder gar missbilligt werden. Das zum Ausdruck kommende Streben nach Patientenschutz und Patientensicherheit ist anerkennenswert. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu klärende Frage, ob sich der Sachverständige infolge seiner bewussten und veröffentlichten Hinwendung zu Patienteninteressen und der Schaffung einer erkennbaren Distanz zu den Betreibern von Kliniken aus deren Sicht der für ein gerichtliches Verfahren notwendigen Neutralität begibt. Davon ist auszugehen.

49

Insoweit ist es auch unerheblich, dass er diese Erklärungen als Arzt und nicht explizit in seiner Funktion als Sachverständiger abgibt. Eine derartige Unterscheidung findet jedenfalls in der Wahrnehmung des Lesers und der streitenden Parteien nicht statt.

50

dd) Der Internet-Auftritt des Sachverständigen und dessen grundsätzliche Ausrichtung gewinnen für das vorliegende Verfahren zudem durch die Übernahme der Presseberichterstattung in unmittelbarem Anschluss an die mündliche Verhandlung und noch vor Abschluss des Rechtsstreits an gesteigerter Bedeutung.

51

Dabei ist nicht zu verkennen, dass es sich um Berichte der Medien und nicht etwa eigene Darstellungen des Sachverständigen handelt und es grundsätzlich im Interesse eines Sachverständigen liegt, eigene Tätigkeiten und die medialen Auswirkungen zu veröffentlichen.

52

Die Veröffentlichung des Sachverständigen (Seite "Bibliothek-Medienberichte") zeichnet sich hier jedoch dadurch aus, dass das erstinstanzliche Verfahren noch nicht beendet ist und der Sachverständige damit zu rechnen hat, sein Gutachten gegebenenfalls zu ergänzen oder für ergänzende Fragen zur Verfügung zu stehen. Die Veröffentlichung einer abschließenden Bewertung des zu begutachtenden Sachverhaltes hat zunächst zu unterbleiben.

53

Um eine derartige, zumindest mittelbare Bewertung handelt es sich jedoch bei der zeitnahen Verlinkung der Presseberichterstattung in der Homepage des Sachverständigen. Es wird ein unmittelbarer inhaltlicher Zusammenhang mit der dortigen Kritik an Organisationsstrukturen von Arztpraxen und Kliniken geschaffen. Die Veröffentlichung der Berichterstattung, die sich ausdrücklich auf die Ausführungen des Sachverständigen im Verlaufe der Verhandlung bezieht, soll erkennbar als Beleg für die Richtigkeit seiner kritischen Grundhaltung dienen.

54

Mit der Verlinkung reiht sich der vorliegende Fall in die Liste der übrigen Presseveröffentlichungen ein, die teilweise schwerwiegende Vorwürfe des Sachverständigen gegen Klinikbetreiber beinhalten. So findet sich unter dem Link "Chefarzt hält Kunstfehler für Folge von Einsparungen" ein Verweis auf einen Pressebericht vom 13.02.2011. Im dortigen Artikel wird der Sachverständige im Zusammenhang mit zwei Kunstfehlerprozessen dahingehend zitiert, er hoffe, "dass die Richter nicht nur den handelnden Arzt, sondern die dahinterstehende Geschäftsführung zur Verantwortung ziehen". Er wolle "in Zukunft weitere Verfahren zu medizinischen Fehlern anstrengen, bei denen die Schuld im System" liege.

55

Angesichts dieser Veröffentlichungen des Sachverständigen und der Überschreitung des Gutachtenauftrages bei Erstattung des mündlichen Gutachtens sind aus Sicht der Beklagten auch bei Zugrundelegung eines objektiven Maßstabes Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen nicht unberechtigt. Ihr Ablehnungsgesuch hat Erfolg.

56

3. Soweit die Beklagten zu 1. und 2. im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.11.2012 beantragen, das erstellte Gutachten sowie die Antworten des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2012 für unverwertbar zu erklären, den Verlust des Vergütungsanspruchs anzuordnen und einen neuen Sachverständigen mit der Erstellung eines neuen Gutachtens zu beauftragen, sind die Anträge zurückzuweisen.

57

Über die Fragen der Verwertbarkeit des Gutachtens, die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und die Vergütung des Sachverständigen nach § 4 JVEG, die wiederum von der Verwertbarkeit des Gutachtens abhängt (Zöller-Greger, a.a.O., § 413 Rdnr. 1, 8; Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 4 JVEG Rdnr. 18), hat das Landgericht in erster Instanz zu entscheiden. Entsprechende Anträge sind gestellt und noch nicht beschieden worden. Sie sind nicht Gegenstand der Beschwerdeinstanz, die sich mit der Frage der Ablehnung zu befassen hat.

58

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Kosten des hier im Wesentlichen erfolgreichen Beschwerdeverfahrens Kosten des Rechtstreits sind.

59

Den Beschwerdewert hat der Senat nach seiner ständigen Rechtsprechung gemäß § 3 ZPO mit 1/3 des Gegenstandswerts der Hauptsache festgesetzt.

14
3. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Es wird dabei zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Maßnahmen trifft, die sie ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die vom Sachverständigen als Voraussetzung für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen aufgeführten Hygienebestimmungen eingehalten wurden (vgl. auch OLG München, Urteil vom 6. Juni 2013 - 1 U 319/13, GesR 2013, 618 Rn. 37; Stöhr, GesR 2015, 257, 261; Schultze-Zeu/Riehn, VersR 2012, 1208, 1212). Zwar muss grundsätzlich der Anspruchsteller alle Tatsachen behaupten, aus denen sich sein Anspruch herleitet. Dieser Grundsatz bedarf aber einer Einschränkung , wenn die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - VI ZR 179/04, BGHZ 163, 210 Rn. 18; vom 10. Februar 2013 - VI ZR 343/13, NJW-RR 2015, 1279 Rn. 11; vom 1. März 2016 - VI ZR 34/15, VersR 2016, 666 Rn. 47 f. - jameda.de II; vom 28. Juni 2016 - VI ZR 559/14, juris Rn. 18; BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 - II ZR 311/14, WM 2016, 1231 Rn. 19). So verhält es sich hier. Der Kläger hatte konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen. Er hatte insbesondere darauf hingewiesen, dass er als frisch operierter Patient neben einen Patienten gelegt worden war, der unter einer offenen , mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich litt und sein "offenes Knie" allen Anwesenden zeigte. Dieser Vortrag genügt, um eine erweiterte Darlegungslast der Beklagten auszulösen. Denn an die Substantiierungspflichten der Parteien im Arzthaftungsprozess sind nur maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen. Vom Patienten kann regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Vielmehr darf er sich auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. Senatsurteile vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 252; vom 24. Februar 2015 - VI ZR 106/13, VersR 2015, 712 Rn. 19). Zu der Frage, ob die Beklagte den vom Sachverständigen genannten Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Institutes nachgekommen ist, konnte und musste der Kläger nicht näher vortragen. Er stand insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs. Welche Maßnahmen die Beklagte getroffen hat, um eine sachgerechte Organisation und Koordinierung der Behandlungsabläufe und die Einhaltung der Hygienebestimmungen sicherzustellen (interne Qualitätssicherungsmaßnahmen , Hygieneplan, Arbeitsanweisungen), entzieht sich seiner Kenntnis (vgl. Stöhr, GesR 2015, 257, 261; Schultze-Zeu/Riehn, VersR 2012, 1208, 1212). Galke von Pentz Offenloch Müller Klein

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 32/03
vom
15. Dezember 2003
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter
Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Graf und Dr. Strohn

beschlossen:
Die Beschwerde gegen den Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2003 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 81.806,00

Gründe:


I. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um Schadensersatz nach Beendigung ihrer Zusammenarbeit in der von der Klägerin betriebenen ärztlichen Gemeinschaftspraxis. Das Oberlandesgericht hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens beschlossen und den Sachverständigen F. mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Der Beschwerdeführer hat den Sachverständigen wegen Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluß vom 27. Juni 2003 hat das Berufungsgericht die Ablehnung für unbegründet erklärt; die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen. Gegen den Beschluß legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein, die er
nach Hinweis durch das Berufungsgericht als außerordentliches Rechtsmittel wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs bezeichnet. Das Oberlandesgericht hat vor der Weiterleitung an den Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 10. November 2003 entschieden, eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung komme weder nach § 321 a ZPO n.F. analog noch auf Grund einer Umdeutung der Beschwerde in eine Gegenvorstellung in Betracht.
II. Die Beschwerde ist weder als Rechtsbeschwerde noch als außerordentliche Beschwerde statthaft.
1. Die Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde scheitert im gegebenen Fall schon daran, daß eine solche weder gesetzlich vorgesehen noch in der angefochtenen Entscheidung zugelassen wurde (§ 574 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO n.F.).
2. Eine außerordentliche Beschwerde zum Bundesgerichtshof ist nach der Neugestaltung des Beschwerderechts und der Einführung der Rechtsbeschwerde durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, 1902 ff.) nicht mehr gegeben. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts greifbar gesetzwidrig ist, insbesondere ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt (BGH, Beschl. v. 7. März 2002 - IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133; Beschl. v. 23. Juli 2003 - XII ZB 91/03, BB 2003, 2314). Vielmehr hat der Gesetzgeber, indem er eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen der Beschwerdegerichte nicht eröffnet hat, unter Hinweis auf die regelmäßig geringere Bedeutung des Beschwerdeverfahrens für die Parteien und aus Gründen der Entlastung des Bundesgerichtshofs (BT-Drucks. 14/4722 S. 116 re.Sp.) bewußt davon abgesehen, eine dem § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F. vergleichbare Regelung - Zulassung der Re-
vision auch bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten (BT-Drucks. 14/4722 S. 104 re.Sp.) - zu schaffen, obwohl die Zulassungsgründe sich bei Revision und Rechtsbeschwerde nicht unterscheiden (BGHZ 150, 133).
3. Die Verletzung von Verfahrensgrundrechten, zu denen vor allem das Recht auf rechtliches Gehör zählt, dessen Verletzung der Beschwerdeführer hier rügt, ist daher vor dem Gericht, das den Verfahrensfehler begangen haben soll, im Wege der Gegenvorstellung zu rügen; die Einräumung einer Rechtsschutzmöglichkeit bei einem anderen oder gar höheren Gericht ist dahingegen verfassungsrechtlich nicht geboten (BVerfG, ZIP 2003, 1102). Der Beklagte ist daher auf die von ihm bereits erhobene Gegenvorstellung, über die das Berufungsgericht mit Beschluß vom 10. November 2003 entschieden hat, zu verweisen.
4. Der Beschwerdewert ist nach § 3 ZPO auf ein Drittel des Hauptsache- "! !$#% % "& ! ' streitwertes von 245.420,00 Bamberg, BauR 2000, 773). Die Gegenauffassung, die Festsetzung richte sich nach § 12 Abs. 2 GKG, weil es sich bei der Ablehnung des Sachverständigen um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit handele (OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 1222 m.w.N.), vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es sich bei der Entscheidung nach § 406 Abs. 4 und 5 ZPO nicht um eine eigenständige Streitigkeit, sondern eine das Verfahren betreffende Entscheidung im Rahmen des Rechtsstreits handelt, der keine selbständige Bedeutung zukommt. Bemißt sich somit der Beschwerdewert nach § 3 ZPO nach dem Interesse an der begehrten Entscheidung, ist dieses nicht mit dem Hauptsachestreitwert gleichzusetzen (a.A. OLG Naumburg, OLGR 1998, 323; OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 1222), sondern nur mit einem Bruchteil von etwa einem Drittel (OLG Celle, OLGR 1994, 109; OLG Bamberg, BauR 2000, 773; a.A. OLG
Dresden, JurBüro 1998, 318: 1/10), weil dies der eingeschränkten Bedeutung und Rolle des Sachverständigen im Prozeß entspricht: Sein Gutachten bestimmt nicht allein den Ausgang des Verfahrens, sondern dient dem Gericht lediglich als Entscheidungshilfe, indem es ihm die für die Entscheidung notwendigen Fachkenntnisse vermittelt; das Gericht wiederum ist an die Meinung des Sachverständigen nicht gebunden, sondern kann weitere Sachverständige beauftragen. Daran ändert es nichts, daß in vielen Verfahren, in denen es um spezielle und schwierige Fachfragen geht, die Stellung des Sachverständigen so stark sein mag, daß das Gericht kaum umhin kommt, seiner Auffassung zu folgen, weil dies an seiner nach dem Gesetz beschränkten Aufgabe nichts ändert (OLG Bamberg aaO).
Röhricht Goette Kraemer
Graf Strohn

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Ulm vom 12.08.2013 (6 OH 14/12) wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 1.000,00 EUR.

Gründe

 
Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Mit zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, hat das Landgericht Ulm mit Beschluss vom 12.08.2013 und mit Nichtabhilfebeschluss vom 11.09.2013 den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dipl. Ing. L… R… wegen Besorgnis der Befangenheit sowie den Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens eines anderen Sachverständigen zurückgewiesen bzw. abgelehnt. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung und im Schriftsatz vom 26.09.2013 führen zu keinem anderen Ergebnis.
Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH BauR 2005, 1205 juris RN 12).
1.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich aus der Aktennotiz des Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme vom 11.06.2013 auch aus vernünftiger Sicht des Antragstellers keine Besorgnis der Befangenheit. Vielmehr ist der Sachverständige als professionell tätiger Gutachter ohne weiteres in der Lage, eine persönliche Verärgerung aufgrund eventueller Beleidigungen des Antragstellers von der fachlichen Beantwortung der Beweisfragen zu trennen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, warum dies hier ausnahmsweise anders sein sollte.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller von sich aus in unzulässiger Weise direkten Kontakt mit dem Sachverständigen aufgenommen hat. Gemäß § 404a ZPO obliegt die Leitung des Sachverständigen als weisungsgebundenem Gehilfen (Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 404a Rn. 1) dem Gericht. Sollte der Antragsteller oder auch sein Prozessbevollmächtigter Fragen oder Bedenken im Hinblick auf den Sachverständigen haben, hat er sich - über seinen Prozessbevollmächtigten - an das Gericht zu wenden.
2.
Die neu als Befangenheitsgrund genannte Zusammenarbeit des Sachverständigen R… mit dem Vater des Antragsgegners beim Austausch von Ersatzteilen für Traktoren reicht hier vom Standpunkt des Ablehnenden betrachtet nicht aus, um die Befürchtung zu wecken, der Sachverständige könnte nicht mehr im Hinblick auf den Antragsteller unbefangen sein.
Allein ein geschäftlicher Kontakt zwischen dem Sachverständigen und einer Partei kann bei der gebotenen vernünftigen Betrachtung noch nicht die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen begründen (OLG Hamm, MDR 2012, 118). Im vorliegenden Fall spricht weiter gegen eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen R…, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Vater des Antragsgegners, der allerdings die streitgegenständlichen Arbeiten durchgeführt hat, und dem Sachverständigen bereits im August 2003 endete, nachdem der Sachverständige zu diesem Zeitpunkt als Geschäftsführer der R…Landmaschinen GmbH ausschied. Zuvor beschränkte sich der geschäftliche Kontakt auf die gelegentliche gegenseitige Beschaffung von Ersatzteilen für Landmaschinen bestimmter Hersteller. Im Übrigen standen die Fa. R… GmbH und die Fa. des Vaters des Antragsgegners im Wettbewerb. Ferner ist der Sachverständige R… öffentlich bestellt und vereidigt, was die Gewähr dafür bietet, dass er im besonderen Maß seine Pflichten als unparteiischer Sachverständiger kennt und diesen nachkommt (vgl. OLG München, MDR 1989, 818). Schließlich hat der Sachverständige R… im Gutachten vom 11.04.2013 Fehler bei den Reparaturen durch den Vater des Antragsgegners und zwei aktuelle Mängel am streitgegenständlichen Traktor festgestellt. Auch das zeigt, dass sich der Sachverständige R… von dem bis 2003 bestehenden geschäftlichen Kontakt mit dem Vater des Antragsgegners nicht in seinem fachlichen Urteil beeinflussen lässt.
Allerdings wäre es sicher sinnvoll und wünschenswert gewesen, wenn der Sachverständige R… bereits vor Übernahme der Begutachtung auf den früheren geschäftlichen Kontakt mit dem Vater des Antragsgegners von sich aus hingewiesen hätte. Vor dem Hintergrund der dargestellten Umstände lässt dieses Versäumnis keine Befangenheit befürchten.
3.
Die vom Antragsteller behaupteten Mängel des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen sind auch für das Beschwerdegericht nicht ersichtlich. Sein bisheriger Vortrag reicht vor dem Hintergrund der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 11.06.2013 für entsprechende Zweifel seitens des Senats nicht aus. Vielmehr zeigt die Durchsicht der Schriftsätze des Antragstellers, dass er mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht zufrieden ist. Das ist aber eine normale Reaktion auf ein nicht im Sinne dieser Partei ausgegangene Begutachtung.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.
10 
Der Streitwert wurde nach dem derzeitigem Sach- und Streitstand des selbstständigen Beweisverfahrens mit einem Drittel des Wertes der Hauptsache festgesetzt (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 3 Rn. 16, Stichwort „Ablehnung“). Der Hauptsachewert ist hier nach den Feststellungen des Sachverständigen einerseits und den behaupteten, aber nicht vom Sachverständigen bestätigten Mängeln des Antragstellers zu bemessen (Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 3 Rn. 16, Stichwort „Selbständiges Beweisverfahren“). Der Sachverständige kommt im Gutachten zu voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten von 500,00 EUR netto. Die vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 10.05.2013 behaupteten weiteren Mängel werden mit 2.000,00 EUR netto bewertet, was insgesamt 2.975,00 EUR brutto ergibt. Daher ist von einem Streitwert von 3.000,00 EUR für das selbstständige Beweisverfahren auszugehen. Ein Drittel hiervon sind 1.000,00 EUR.