Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 21. Sept. 2017 - LVerfG 4/17
Gericht
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Gründe
A.
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Gegenstand des Organstreitverfahrens ist ein Wortentzug, den der Antragsgegner in der 50. Tagung (140. Sitzung) des Schleswig-Holsteinischen Landtages am 22. Februar 2017 gegenüber dem Antragsteller – einem Abgeordneten und Vorsitzenden der Piratenfraktion des 18. Schleswig-Holsteinischen Landestages – ausgesprochen hat. Der Wortentzug erfolgte während der Behandlung des Tagesordnungspunktes 25 (Wahl von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts) und ist wie folgt protokolliert:
Präsident Klaus Schlie:
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Breyer hat angekündigt, gemäß § 64 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung
(Unruhe)
- ich würde sagen: hören Sie mir einfach zu - sein Abstimmungsverhalten kurz begründen zu wollen. Da die Wahl der Mitglieder des Landesverfassungsgerichts gemäß § 6 Absatz 2 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes geheim ist, kann man sich schon die Frage stellen, ob eine solche Erklärung überhaupt zulässig ist. Immerhin dient das Wahlgeheimnis der Sicherung der Freiheit der Wahl - beides prägende Wahlgrundsätze in einer Demokratie. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich der Sache nach um eine Erklärung zu einem behaupteten Abstimmungsverhalten handeln wird. Da wir die entsprechenden verfahrensmäßigen Vorkehrungen getroffen haben, wie wir alle gemeinsam ja gesehen haben, kann niemand wissen, wo der Abgeordnete Dr. Breyer oder andere Mitglieder des Landtags in der Abgeschiedenheit der Wahlkabine ihr Kreuz tatsächlich gesetzt haben. Ich kann auch nicht erkennen, dass andere Mitglieder des Hauses durch die freiwillige Erklärung des Abgeordneten Dr. Breyer genötigt würden, sich ihrerseits zu ihrem Wahlverhalten zu erklären. Daher werde ich das Wort nach § 64 Absatz 2 der Geschäftsordnung erteilen.
Zuvor möchte ich allerdings noch auf einige Punkte eindringlich aufmerksam machen:
Erstens. Ich erteile Ihnen, Herr Dr. Breyer, das Wort zur Begründung Ihres eigenen Abstimmungsverhaltens, nicht aber für Ihre Fraktion. Wie die anderen Mitglieder Ihrer Fraktion abgestimmt haben, können Sie, da es sich um eine geheime Wahl gehandelt hat, nicht wissen. Sie können insoweit also auch nicht für die anderen Mitglieder Ihrer Fraktion sprechen.
Zweitens. § 6 Absatz 2 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes sieht vor, dass die Wahl der Mitglieder des Landesverfassungsgerichts ohne Aussprache stattfindet. Sinn dieser Regelung ist es, die Wahl von einer parteipolitisch gefärbten Personaldebatte freizuhalten, um nicht die Autorität des Amtes durch den Wahlvorgang zu beschädigen. Ich werde darauf achten, dass diese Vorschrift durch Ihre Erklärung nicht umgangen wird. Sie können gemäß § 64 Absatz 2 der Geschäftsordnung Ihr behauptetes Abstimmungsverhalten kurz begründen. Das heißt, Sie können kurz und knapp die maßgebenden Gründe für Ihre Entscheidung darlegen. Damit ist Ihnen jedoch nicht das Wort zu einem allgemeinen Debatten- oder Diskussionsbeitrag erteilt. Sie haben sich daher jedweder Polemik gegen andere Fraktionen oder andere Personen zu enthalten. Auch eine Entgegnung auf Beiträge anderer Mitglieder des Hauses in anderen Zusammenhängen ist unzulässig. Ich erwarte, dass Sie die Vorschriften des Landesverfassungsgerichtsgesetzes respektieren und sich entsprechend den Regelungen unserer Geschäftsordnung verhalten. Mit dieser Maßgabe erteile ich Ihnen, Herr Dr. Breyer, nunmehr das Wort.
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde versuchen, den detaillierten Vorgaben gerecht zu werden, und möchte zur Begründung des Abstimmungsverhaltens Folgendes ausführen: Dieser Wahlvorschlag zum Landesverfassungsgericht ist nicht zustimmungsfähig, weil ihm keine offene Ausschreibung der Stellen und keine ergebnisoffene gemeinsame Suche nach den bestqualifizierten Juristen vorausgegangen ist. Das Landesverfassungsgericht ist Hüter unserer Verfassung und Kontrollorgan auch des Landtages. Wir brauchen die besten Verfassungsrichter für diese wichtige Aufgabe.
(Zuruf Beate Raudies [SPD])
Das Landesverfassungsgericht entscheidet auch über die Gültigkeit und Wiederholung von Landtagswahlen. Die Top-Qualifikation und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder sind deswegen wichtig, um jeden Anschein zu verhindern, politisch brisante Entscheidungen könnten politisch und nicht verfassungsrechtlich motiviert sein. Genau dieser Eindruck kann entstehen,
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn Sie reden!)
wenn sich die Chefs von –
Präsident Klaus Schlie:
Ich bitte Sie, zur Sache zu sprechen, Herr Abgeordneter, und zu beachten, was ich eingangs gesagt habe. Ich habe das ernst gemeint.
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:
Herr Präsident, dann überspringe ich diesen Teil und sage: Genau dieser Eindruck kann entstehen, wenn die Richterstellen am Landesverfassungsgericht von Parteien untereinander aufgeteilt werden und statt einer offenen Bestenauslese –
Präsident Klaus Schlie:
Herr Abgeordneter Dr. Breyer, ich bitte Sie noch einmal sehr eindringlich zu beachten, was ich eingangs gesagt habe, und weise Sie darauf hin, dass ich Ihnen sonst das Wort entziehe.
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:
Dann überspringe ich diesen Teil und fahre wie folgt fort: Nach unserem Grundgesetz hat jeder deutsche Staatsbürger nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Richter- und Anwaltsverbände fordern dementsprechend eine öffentliche Ausschreibung auch der Stellen am Landesverfassungsgericht. Das ist nötig, um den besten Interessenten überhaupt eine Chance zu geben, sich zu melden und sich ins Gespräch zu bringen. Ohne öffentliche Ausschreibung haben selbst top-qualifizierte Verfassungsrechtslehrer, zum Beispiel aus benachbarten Bundesländern,
(Zurufe)
die zum Teil jahrelange Arbeitserfahrung an Verfassungsgerichten erworben haben, keine Chance.
(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist keine Erklärung zur Abstimmung!)
Präsident Klaus Schlie:
Herr Abgeordneter, ich entziehe Ihnen hiermit das Wort.
(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)
- 2
Hiergegen hat der Antragsteller am 16. März 2017 ein Organstreitverfahren mit der Behauptung eingeleitet, der angegriffene Wortentzug stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in seine in Art. 17 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (LV) garantierte Redefreiheit dar. Er hat beantragt, festzustellen, dass der Antragsgegner ihn – den Antragsteller – durch den Ordnungsruf in seinen verfassungsrechtlichen Rechten als Abgeordneter aus Art. 17 Abs. 1 LV verletzt habe. Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat den Antrag bereits als unzulässig, jedenfalls aber unbegründet erachtet.
- 3
Mit Ende der 18. Wahlperiode ist der Antragsteller aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag ausgeschieden. Mit Schriftsatz vom 14. August 2017 erklärt der Antragsteller, an seinem Antrag nicht länger festzuhalten.
B.
I.
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Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des gemäß § 13 Abs. 2 Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG) in Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht geltenden § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch einstimmigen Beschluss (§ 21 Satz 1 LVerfGG) einzustellen, nachdem der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat.
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Bei dem Organstreitverfahren nach Art. 51 Abs. 2 Nr. 1 LV, § 3 Nr. 1, §§ 35 ff. LVerfGG handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren
(vgl. zur vergleichbaren Rechtslage auf Bundesebene: BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 2 BvE 5/12 -, BVerfGE 139, 239 ff., Juris Rn. 13 m.w.N.).
Durch die Antragsrücknahme ist das für das Verfahren erforderliche Rechtschutzbedürfnis
(Urteil vom 17. Mai 2017 - LVerfG 1/17 -, SchlHA 2017, 213 ff., NVwZ-RR 2017, 593 ff., NordÖR 2017, 378 ff.; Juris Rn. 32 m.w.N.)
weggefallen. Ein öffentliches Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens besteht nicht, so dass dahinstehen kann, ob ein Organstreitverfahren in diesem Fall fortgesetzt werden könnte
(i.d.S. etwa BVerfG, Beschluss vom 26. November 1968 - 2 BvE 5/67 -, BVerfGE 24, 299 ff., Juris Rn. 1; VerfGH Sachsen, Urteil vom 17. Februar 1995 - Vf.4-I-93 -, SächsVBl 1995, 227; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2000 - VerfGH 16/98 -, NVwZ 2002, 75 ff., Juris Rn. 48; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27. Mai 2003 - LVerfG 10/02 -, NordÖR 2003, 359 ff., Juris Rn. 38; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, S. 115 f.; 118 Fn. 141).
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Das vorliegende Organstreitverfahren gibt insbesondere keinen Anlass, ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen, die für das künftige Verfassungsleben bedeutsam sind
(vgl. hierzu etwa StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 1977 - 1 VB 2/76 -, ESVGH 27, 1, 4 ff.; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27. Mai 2003 - LVerfG 10/02 -, NordÖR 2003, 359 ff., Juris Rn. 309; StGH Hessen, Urteil vom 13. Juli 2016 - P.St. 2431 -, ESVGH 67, 62 f., Juris Rn. 116),
einer Klärung zuzuführen. Maßgeblich für die Entscheidung in der Hauptsache ist, ob der Antragsteller bei seiner Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages (in ihrer Fassung vom 8. Februar 1991
, zuletzt geändert am 22. Juli 2016 , im Folgenden: GO LT) den Rahmen des nach der Geschäftsordnung Zulässigen überschritten und in eine in diesem Format unzulässige Debatte nach §§ 52 ff. GO LT eingestiegen ist. Denn nur auf eine solche angebliche Überschreitung des zulässigen Inhalts einer Erklärung nach § 64 Abs. 2 GO LT hat sich der Antragsgegner mit der Erläuterung seiner Auslegung des § 64 Abs. 2 GO LT zu Beginn des Redebeitrages des Antragstellers (s.o. A., Rn. 1) bezogen, gegen die er im Folgenden nur noch ohne weitere Begründungen Verstöße festgestellt hat.
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Die damit aufgeworfene Rechtsfrage des zulässigen Inhalts einer Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 64 Abs. 2 GO LT in Abgrenzung zu einer Debatte nach §§ 52 ff. GO LT bedarf keiner weiteren Klärung. Das Landesverfassungsgericht hat in dem vorangegangenen Verfahren zwischen den Beteiligten - LVerfG 1/17 - mit Urteil vom 17. Mai 2017
(SchlHA 2017, 213 ff., NVwZ-RR 2017, 593 ff., NordÖR 2017, 378 ff., Juris Rn. 55)
bereits entschieden, welche Voraussetzungen und Grenzen für Erklärungen zum Abstimmungsverhalten gelten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das vorgenannte Urteil Bezug genommen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass – anders als in dem Verfahren LVerfG 1/17 – vorliegend zusätzlich die Vorschrift des § 6 Abs. 3 Satz 1 LVerfGG im Streit steht. Diesbezüglich kann dahinstehen, ob aus dieser Vorschrift im Kontext von Wahlen zum Landesverfassungsgericht nicht nur ein Ausschluss von Redebeiträgen nach §§ 52 ff. GO LT folgt, sondern zugleich ein Ausschluss von Erklärungen zum Abstimmungsverhalten nach § 64 Abs. 2 GO LT. Denn Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung ist die angegriffene Maßnahme gerade in der konkreten Form und mit der jeweiligen konkreten Begründung
(vgl. hierzu Urteil vom 17. Mai 2017 - LVerfG 1/17 -, SchlHA 2017, 213 ff., NVwZ-RR 2017, 593 ff., NordÖR 2017, 378 ff., Juris Rn. 51).
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Aus den einleitenden Worten des Antragsgegners (s.o. A., Rn. 1) folgt, dass Anlass der Sachrufe und des anschließenden Wortentzuges nur der Inhalt des Redebeitrages des Antragsgegners war, nicht hingegen der Umstand, dass er überhaupt einen Redebeitrag nach § 64 Abs. 2 GO LT abgegeben hat. Es war der Antragsgegner selbst, der dem Antragsteller unter ausdrücklicher Erwähnung des § 6 LVerfGG das Wort zu einer Erklärung nach § 64 Abs. 2 GO LT eingeräumt hat. Zudem hat sich der Antragsgegner bei der angegriffenen Maßnahme nicht auf etwaige besondere inhaltliche Einschränkungen gestützt, die sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 LVerfGG ergeben könnten. Vielmehr hat er nur den allgemeinen, oben (s.o. A., Rn. 1) bereits wiedergegebenen Rechtsgedanken dargelegt, dass das Rederecht nach § 64 Abs. 2 GO LT auch in dem vorliegenden Kontext einer Wahl zum Landesverfassungsgericht nicht dazu missbraucht werden dürfte, de facto in eine allgemeine Debatte nach §§ 52 ff. GO LT einzusteigen.
II.
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Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine – auf Antrag mögliche –Auslagenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG), da von keiner Seite ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).
Annotations
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.