Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 19. Feb. 2014 - L 7 SB 31/10

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2014:0219.L7SB31.10.0A
bei uns veröffentlicht am19.02.2014

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2010 wird abgeändert.

Der Bescheid vom 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, unter Abänderung der Bescheide vom 13. November 1996, vom 27. September 1999, 14. März 2000, 22. Januar 2001 sowie vom 17. Juni 2010 bei dem Kläger vom 23. November 1998 bis 14. November 2000 einen GdB von 80, vom 15. November 2000 bis 14. November 2005 einen GdB von 100 und ab 15. November 2005 einen GdB von 80 festzustellen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten noch über die rückwirkende Feststellung der Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

2

Auf Antrag des am .. 1945 geborenen Klägers stellte der Beklagte wegen einer Sehbehinderung mit Bescheid vom 26. August 1992 einen GdB von 30 fest. Nach Widerspruch des Klägers stellte der Beklagte zusätzlich eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest (Abhilfebescheid vom 7. Dezember 1992). Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 25. Juni 1996 stellte der Beklagte nach medizinischen Ermittlungen zusätzlich ein Wirbelsäulenleiden mit chronischem Schmerzsyndrom fest, lehnte jedoch eine Erhöhung des GdB ab (Bescheid vom 13. November 1996). Auf den Widerspruch des Klägers wurden die Behinderungen neu gefasst (psychisch depressive Störung, Blindheit des rechten Auges, Migräne, Hypertonie, Arm- und Lendenmuskelreizsyndrom bei umformenden Veränderungen der Wirbelsäule), dem Widerspruch abgeholfen und ein GdB von 60 festgestellt (Bescheid vom 18. Dezember 1996). Nach einem Überprüfungsverfahren hob der Beklagte den Abhilfebescheid wegen einer wesentlichen Verbesserung auf (Bescheid vom 27. September 1999) und zog nach einem Widerspruch des Klägers weitere medizinische Unterlagen aus einem Rentenverfahren bei (u.a. ein orthopädisches Gutachten von Dr. K-M. vom 24. Mai 1997, ein psychiatrisches Gutachten von der Nervenärztin Dr. B. vom 21. Juni 1997 sowie ein psychiatrisches Gutachten von Dr. M./ Dr. A. vom 16. April 1999 für das gerichtliche Verfahren S 6 RA 288/98. Dr. K.-M. hielt den Kläger auf orthopädischem Gebiet für leichte körperliche Arbeiten ohne anhaltende Zwangshaltungen für vollschichtig arbeitsfähig. Dabei äußerte sie den Verdacht auf eine neurotische Persönlichkeit mit psychogener Überlagerung des diffusen Schmerzsyndroms. Dr. B. diagnostizierte u.a. eine neurotische Fehlentwicklung mit abnormem Kränkungserleben und hypochondrischer Erlebnis- und Fehlverarbeitung einer seit der Kindheit bestehenden Analfistel bei histrionischer Persönlichkeit. In dem psychiatrischen Gutachten vom 16. April 1999 führten die Sachverständigen aus: Der Kläger sei als jüngster von drei Söhnen in L. auf der Flucht der Eltern aus O. geboren worden. Der warmherzige und gutmütige Vater sei als Kriegsinvalide mit der neuen Situation nicht zurechtgekommen und habe sich der sehr dominanten Mutter völlig untergeordnet. Die Mutter habe gegenüber dem Kläger sehr häufig gewalttätig reagiert und seine Brüder bevorzugt. Hieran habe auch die erfolgreiche Ausbildung zum Diplom-Ingenieur nichts geändert. Die Kindheit sei "beschissen" gewesen. Er sei von den anderen Kindern immer nur verlacht worden. Mit fünf Jahren habe er an einem sehr schmerzhaften "Geschwür am Hintern" (Analfistel) gelitten. Dieses hätte sich immer wieder entzündet, sei in den schlimmen Auswirkungen von der Umgebung nicht richtig erkannt und zum Anlass für Spott genommen worden. Durch die Sehstörung am rechten Auge habe er z.B. beim Ballspielen nicht richtig fangen können und sei deswegen "als Mädchen" verlacht worden. In die Schule sei er eigentlich recht gern gegangen, wobei gute schulische Leistungen von der Mutter nie anerkannt worden seien. Nach der zehnten Klasse habe er eine Lehre zum Maschinen-schlosser mit gutem Ergebnis absolviert und bis 1966 als Schlosser gearbeitet. Von 1966 bis 1971 sei er als Schlosser in L. tätig gewesen. Ab 1971 habe er ein Studium der Fachrichtung Automatisierungstechnik der chemischen Industrie aufgenommen und dieses erfolgreich als Ingenieur abschließen können. Anschließend habe er sich bis zum Abteilungsleiter und Stellvertreter des Direktors für Wissenschaft und Technik hochgearbeitet. Im Jahr 1986 habe er die politisch geprägten betrieblichen Entscheidungen nicht mehr mittragen können. Dies habe zu seiner Ablösung und einem Wechsel in eine fachlich bezogene Arbeit geführt. Seit dieser Zeit seien zunehmend gesundheitliche Probleme aufgetreten. Nach der Wende habe er erfolgreich verschiedene Kündigungsprozesse führen müssen und zuletzt vom ehemaligen Arbeitgeber einen Abfindungsanspruch sowie Lohnnachzahlungen erstritten. Von 1993 bis 1994 habe er eine Umschulung zur technischen Fachkraft für Immobilienbewirtschaftung gemacht. Von Februar bis Juli 1995 sei er als Bauleiter tätig gewesen, jedoch wegen "nicht eingetretener Entwicklungstendenzen des Unternehmens" ausgeschieden und seit August 1995 ohne Beschäftigung. Es habe in der Folgezeit diverse Prozesse vor dem Sozialgericht (SG) gegeben. Er habe manchmal den Eindruck, dass auf Ämtern und Behörden nur Räuber und Verbrecher zu finden seien. Er fühle sich "dieser Mistbande" wehrlos ausgeliefert und "renne immer nur gegen die Wand." Die Sachverständigen führten weiter aus: Beim Kläger bestehe eine psychomotorische Unruhe mit Affektlabilität, Anspannung und Gereiztheit. Im Kontaktverhalten sei er zwar zugewandt und gesprächsbereit, jedoch gleichzeitig auch mürrisch, an vielen Stellen höhnisch und zynisch. Dabei bleibe er misstrauisch und distanziert. Die Stimmung erscheine bedrückt, dysphorisch, verbittert und aggressionsgeladen. Die Frustrationstoleranz sei herabgesetzt, die Konfliktbewältigungsstrategien mangelhaft ausgebildet. Der Kläger sei äußerst leicht kränkbar und reagiere auf Ablehnung, Misserfolg und vermeintliche Angriffe überempfindlich. Es bestehe eine extreme Tendenz zur Sicherung des eigenen Standpunkts. Sein Verhalten wirke auf andere zum Teil skurril und "unbelehrbar". Der Kläger zeige eindeutig querulatorische Tendenzen, die mit einer unveränderbaren Überzeugung verbunden seien, ihm würden in böswilliger Weise fortwährend Rechtskränkungen zugefügt. Auffällig seien massive Abwehrmechanismen im Sinne von Schuldzuweisungen für alles Fehlgeschlagene oder Negative in seinem Leben. Der Kläger sehe sich in einer lebenslangen Leidens- und Opferrolle und fühle sich permanent vom Schicksal benachteiligt. Missliche Ereignisse würden als absichtliche Anfeindung gewertet, wobei er unbeirrbar, zäh und äußerst nachtragend, sthenisch und rigide erscheine. Bei ihm würden seelische Konflikte in eine körperliche Symptomatik umgewandelt. Die schwer gestörten Verhaltens- und Symptommuster liefen unbewusst, unkontrolliert und ungesteuert ab, was mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden sei. Diagnostisch sei von einer chronifizierten Fehlentwicklung bei schwerer paranoider Persönlichkeitsstörung mit zunehmend querulatorischer Entwicklung auszugehen. In akribisch zwanghafter Weise sammle der Kläger immer "neues Beweismaterial". Beispielsweise habe er der Gutachterin einen Text von 58 Seiten vorgelegt. Die Ausführungen enthielten seitenlange detaillierte Ausführungen zu seinen körperlichen Symptomen und den damit verbundenen Einschränkungen. Typisch für diese Störung sei eine Eskalation in eine chronisch querulatorische Haltung mit extremer Einseitigkeit und mitunter verschrobener Argumentation. Der hartnäckig und aggressiv geführte Rechts- bzw. Rentenkampf habe weniger die Versorgung der eigenen Person zum Ziel, sondern diene der Wiederherstellung des vermeintlichen Rechts. Die aus der beschriebenen Störung resultierenden Persönlichkeitsmerkmale seien gravierend und einer therapeutischen Beeinflussung nur schwer oder überhaupt nicht zugänglich. Die beschriebene Krankheitsentwicklung habe eine Tendenz zum sozialen Rückzug, Isolation und einem verringerten physischen und psychischen Leistungsvermögen. Ein vollschichtiger Einsatz in der Arbeitswelt sei aus psychiatrischer Sicht ausgeschlossen.

3

Mit Bescheid vom 14. März 2000 hob der Beklagte den Bescheid vom 27. September 1999 auf und stellte mit Wirkung zum 7. Oktober 1999 als Behinderungen fest:

4

Psychoreaktive Störungen mit körperlichen Beschwerden, Migräne und Blasenleiden,

5

Sehverlust des rechten Auges,

6

Bluthochdruck,

7

Funktionsminderungen und Beschwerden der Wirbelsäule infolge degenerativer Veränderungen mit Muskelreizerscheinungen.

8

Der Gesamt-GdB betrage 60.

9

Nach einem Neufeststellungsantrag des Klägers vom 30. November 2000 wegen einer Krebserkrankung der Prostata zog der Beklagte einen Arztbrief der O.-v. G.-U. M. vom 8. Dezember 2000 bei. Hiernach sei der Kläger vom 13. November bis 28. November 2000 stationär wegen eines Prostatakarzinoms Stadium pt2a pNO MO G 1b (C61) behandelt worden. Die radikale Prostatovesikulektomie sei am 15. November 2000 erfolgt. Daraufhin hob der Beklagte den Bescheid vom 14. März 2000 wieder auf, stellte neben den bereits anerkannten Behinderungen den Verlust der Prostata bei Erkrankung in Heilungsbewährung zusätzlich fest und erkannte ab dem 30. November 2000 auf einen Gesamt-GdB von 80 (Bescheid vom 22. Januar 2001).

10

Am 25. November 2005 beantragte der Kläger die Überprüfung der bisherigen GdB-Feststellung und übergab ein selbst geschriebenes Buch unter dem Titel "Fachmedizin So sollte sie (nicht) sein" mit 142 Seiten Umfang einschließlich eines detaillierten Wortverzeichnisses von den im Buch verwandten Begriffen mit jeweiliger Seitenangabe. Die "Interstitielle Zystitis" sei nach sozialgerichtlichen Entscheidungen des SG Münster und des SG Halle allein mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten und daher der vom Beklagten zuerkannte GdB für die Vergangenheit immer zu gering gewesen. Der Beklagte zog einen Befundschein des Urologen Dr. L. vom 13. Dezember 2005 bei, der beim Kläger eine chronische interstitielle Zystitis, einen Zustand nach Prostatavesikulektomie nach Prostatakarzinom und eine erektile Dysfunktion organischen Ursprungs diagnostizierte. Hiernach bestehe beim Kläger seit ca. 1996 eine chronische therapieresistente interstitielle Zystitis mit einer nachfolgenden Urgeinkontinenz einschließlich rezidivierender Unterbauchschmerzen. Die Erkrankung sei mit einer deutlichen psychischen und physischen Beeinträchtigung verbunden.

11

Der Versorgungsarzt Dr. H. sprach sich in Auswertung des Befundes für einen Gesamt-GdB von 60 aus. Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit ergebe sich kein Hinweis auf ein Rezidiv. Mit Schreiben vom 12. April 2006 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigen Herabsetzung des GdB auf 60 an. Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 2. Mai 2006 und hielt einen Gesamt-GdB von 80 für die bisherigen Behinderungen für zutreffend. Darüber hinaus müsse die seit 1996 bestehende interstitielle Zystitis als seltene, jedoch schwerwiegende chronische Erkrankung zusätzlich berücksichtigt werden. Insoweit werde auf das überzeugende Urteil des SG Halle (S 1 SB 58/04) verwiesen. Er verlange für diese Erkrankung daher einen Einzel-GdB von 60 sowie zusätzlich das Merkzeichen "G". Der Kläger machte detaillierte Ausführungen zu seinem Beschwerdebild.

12

In einem eingeholten Arztbrief der Klinik W. vom 12. Mai 2006 über einen stationären Aufenthalt vom 5. bis 26. April desselben Jahres diagnostizierte der ärztliche Direktor Privatdozent Dr. V. neben den bereits bekannten Diagnosen eine Harnblasendivertikel, eine Lactoseintoleranz, Morbus Meulengracht, Colondivertikulose, Reizdarm, belastungsinduzierte hypertone Dsyregulation, eine latente Hyperthyreose, eine Beinlängenverkürzung, Verdacht einer Somatisierungsstörung, Osteochondrose, MRT-nachgewiesener Bandscheibenvorfall L3/4 sowie Protrusion L4/5 und L5/S1, Epikondylitis lateralis sowie Zustand nach Denervations-OP rechts und Epikondylitis lateralis. Neben Schmerzen im Urogenitaltrakt habe der Kläger über häufigen Harndrang und einen oft überfallartigen Stuhldrang berichtet. Der Allgemeinzustand sei mittelgradig eingeschränkt. Daneben habe er auch über Durch-schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Angstzustände, Stimmungsschwankungen und zwischenmenschliche Probleme berichtet. Angebotene psychologische Beratungsgespräche habe der Kläger für nicht nötig erachtet. Im orthopädischen Befund zeige sich eine freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule. Der Finger-Boden-Abstand betrage 0 cm, die Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule sei nicht einschränkt. Die großen und kleinen Gelenke seien frei beweglich. Die Fachärztin für Orthopädie Dr. H. gab unter dem 25. Juni 2005 verschiedene Messdaten an, auf die Bezug genommen wird.

13

Mit Bescheid vom 9. August 2006 hob der Beklagte den Bescheid vom 22. Januar 2001 auf und stellte ab dem 1. September 2006 einen GdB von 60 ohne das Merkzeichen "G" fest. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 16. August 2006. Am 25. September 2006 stellte der Kläger klar, dass er einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bereits im Jahr 2005 gestellt habe. In einem Schreiben vom 15. Oktober 2006 beschreibt der Kläger nochmals sein komplexes Beschwerdebild und legt in einem dezidierten Vortrag von insgesamt 33 Seiten dar, dass ihm bereits in der Vergangenheit ein Gesamt-GdB von 100 und das Merkzeichen "G" zugestanden hätte. Auf Blatt 259 bis 291 der Verwaltungsakte wird Bezug genommen.

14

Mit Bescheid vom 22. Januar 2007 lehnte der Beklagte eine Rücknahme der Bescheide vom 22. Oktober 2001 sowie vom 9. August 2006 ab. Der Bescheid enthielt einen Hinweis gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

15

Hiergegen legte der Kläger am 1. Februar 2007 Widerspruch ein, verlangte die Aufhebung der Bescheide vom 22. Januar 2001 und vom 9. August 2006, einen höheren Gesamt-GdB sowie die rückwirkende Anerkennung des Merkzeichens "G". Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Für die psychoreaktive Störung mit körperlichen Beschwerden und Migräne, den Sehverlust des rechten Auges, eine Blasenerkrankung (interstitielle Zystitis) mit häufigem Harndrang, eine erektile Dysfunktion, Verdauungsstörungen und plötzlichen Stuhlgang bei Dickdarmvertikeln, Bluthochdruck und degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Schulter-Arm-Syndrom und Bewegungsminderung der Lendenwirbelsäule sei ein Gesamt-GdB von 60 berechtigt. Zum Zeitpunkt der Heilungsbewährung sei der GdB zutreffend mit einem GdB von 80 bewertet worden.

16

Am 26. Februar 2007 hat der Kläger beim SG Magdeburg Klage erhoben und einen deutlich höheren Gesamt-GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" verlangt. Insbesondere die interstitielle Zystitis sei eine schwerwiegende Erkrankung, die mit nachhaltigen Beeinträchtigungen verbunden und höher zu bewerten sei.

17

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Der Facharzt für Urologie Dr. L. hat am 14. Februar 2008 über einen konstanten Krankheitsverlauf berichtet. Der Hausarzt Dr. S. hat am 25. Februar 2008 einen häufigen Harndrang des Klägers, Schmerzen im Unterbauch, einen überfallartigen Stuhldrang, Blähungen, Erschöpfung, Nervosität, Durchschlafstörungen und Stimmungsschwankungen diagnostiziert.

18

Chefarzt Prof. Dr. R. (D-Krankenhaus D.) hat in einem vom SG eingeholten urologischen Gutachten vom 4. Mai 2009 ausgeführt: In der Anamnese hat der Kläger angegeben, er habe Schmerzen im Bereich der Blase, des Darms und der Hoden, die eine Intensität von fünf bis sechs nach der Schmerzskala aufwiesen. Am Tage betrage die Miktionshäufigkeit sieben bis zehn Mal, während nachts die nächtliche Miktion zwischen acht bis neun Mal liege. Dabei habe er nie das Gefühl, die Blase vollständig entleert zu haben. Die Beschwerden bestünden seit dem Jahr 1996. Seit dem Jahr 2002 bestehe zudem eine erektile Dysfunktion, die medikamentös nicht behandelt werde könne. Eine Prüfung der Urodynamik habe ein maximales Füllvolumen der Blase von 100 ml ergeben. Der erste Harndrang trete bereits bei 30 ml auf. Zusammenfassend leide der Kläger an einer Drangsymptomatik als typische Begleitfolge einer interstitiellen Zystitis. Die stark verminderte Blasenkapazität führe dabei zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität. Für die Blasenentleerungsstörung werde ein Einzel-GdB von 60 vorgeschlagen. Hinzu komme die erektile Dysfunktion mit einem Einzel-GdB von 20. Der Gesamt-GdB sei daher mit 60 einzuschätzen.

19

Nach Auswertung des Gutachtens hat sich der Beklagte bereit erklärt, ab dem 4. Mai 2009 einen Gesamt-GdB von 70 festzustellen. In einer beigefügten prüfärztlichen Stellungnahme vom 17. Juni 2009 hat die Versorgungsärztin S.-S. ausgeführt: Für das psychische Leiden sei ein Einzel-GdB von 50 anzuerkennen. Die Blasenerkrankung sei ab Mai 2009 mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 zu bewerten. So habe sich im Vergleich der urologischen Befunde das Blasenvolumen seit dem Jahr 2006 von 190 ml auf 100 bis 150 ml vermindert. Auch die nächtliche Miktionsfrequenz habe zugenommen. Für die weiteren Erkrankungen ergebe sich keine Veränderung, so dass von einem Gesamt-GdB von 70 seit Mai 2009 auszugehen sei. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" seien nicht gegeben.

20

Der Kläger ist dieser Bewertung entgegengetreten und hat geltend gemacht: Die erektile Dysfunktion sei mit einem Einzel-GdB von 20 viel zu niedrig bewertet, da es sich nicht nur um eine leichte Behinderung handele. Der für das Jahr 1996 geltende Bescheid sei nichtig, da die interstitielle Zystitis allein mit einem Einzel-GdB von 60 hätte bewertet werden müssen, was auch für das Merkzeichen "G" gelte. Hilfsweise seien ein Gesamt-GdB von 100 sowie das Merkzeichen "G" ab dem 22. Januar 2001 zuzuerkennen. Weiter hat der Kläger u.a. einen Arztbrief des St. Krankenhauses D., Klinik für Urologie vom 23. November 1998 vorgelegt. Darin berichtete der Chefarzt Dr. H. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 4. bis 15. August 1998 mit der Diagnose einer Blasenhalssklerose. Der Kläger habe über heftigste Miktionsbeschwerden im Sinne von Pollakis- und Dsyurie geklagt. Operativ sei eine transurethrale Resektion eines Prostatamittellappenadenoms vorgenommen worden. In einem weiteren Arztbrief vom 6. Dezember 1999 berichtete der Klinikdirektor Prof. Dr. H. (Klinik und Poliklinik für Urologie, M.) über eine ambulante Behandlung seit dem 8. Juni 1999. Der Kläger habe über Beschwerden im Damm- bzw. Prostatabereich sowie über häufigen Harndrang, Nykturie und Libidostörungen berichtet. Medikamentöse Behandlungen seien erfolglos geblieben, wobei eine psychische Überlagerung auffällig gewesen sei. Für eine psychologische oder psychiatrische Behandlung sei der Kläger nicht zugänglich gewesen.

21

In der öffentlichen Sitzung vom 19. Mai 2010 hat der Kläger ergänzend ausgeführt: Es gehe ihm wegen der fehlerhaften Bewertung der interstitiellen Zystitis um eine rückwirkende Anerkennung eines höheren GdB sowie des Merkzeichens "G". Bezüglich der erektilen Dysfunktion habe das Gericht vom zuständigen Ministerium weitere Grundlagen einzuholen. Sowohl der Begriff als auch die Bewertung dieser Erkrankung sei grundsätzlich zu hinterfragen und bedürfe einer umfassenden Überprüfung. Bezüglich des rückwirkenden Antrages beziehe er sich auf sein Schreiben vom 24. November 2005. Wegen der rückwirkenden Feststellung bezüglich der interstitiellen Zystitis beziehe er sich auf den Operationsbericht des St. Krankenhauses M. vom 23. November 1998, der ärztliche Feststellungen zu seinen Beschwerden enthalte. Die Diagnose einer interstitiellen Zystitis sei erst viel später gestellt worden. Bezogen auf eine rückwirkende Anerkennung eines höheren GdB sowie des Merkzeichens "G" erwarte er sich konkrete Steuervorteile.

22

In der Sitzung des SG vom 19. Mai 2010 hat der Kläger beantragt:

23

1. den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 9. August 2006 und 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 aufzuheben und bei ihm einen GdB von 80 % über den 1. September 2006 hinaus festzustellen.

24

2. den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 27. September 1999, 14. März 2000, 22. Januar 2001, 9. August 2006, 22. Januar 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2007 dahingehend abzuändern, dass bei ihm nach § 44 SGB X rückwirkend ein GdB von 100 und das Merkzeichen "G" ab dem 23. November 1998 festgestellt werden.

25

3. hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 22. Januar 2001, 9. August 2006, 22. Januar 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 bei ihm einen Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen "G" gemäß § 44 SGB X rückwirkend ab dem 22. Januar 2001 festzustellen.

26

Das SG hat mit Urteil vom selben Tage den Beklagten verurteilt, den Bescheid vom 9. August 2006 und 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 aufzuheben und beim Kläger einen GdB von 80 über den 1. September 2006 hinaus festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Herabsetzung des GdB von 80 auf 60 sei gemäß § 48 SGB X rechtswidrig, da keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die interstitielle Zystitis bedinge allein einen Einzel-GdB von 60 und werde mit einer chronischen Harnwegsentzündung stärkeren Grades nicht angemessen abgebildet. Diese Erkrankung habe bereits zum 1. September 2006 beim Kläger vorgelegen. Hinzu trete eine psychoreaktive Störung, die mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sei. Daneben bestünden ein Sehverlust des rechten Auges (Einzel-GdB 30), eine erektile Dysfunktion (Einzel-GdB 20), ein Reizdarm (Einzel-GdB 20) sowie ein Bluthochdruck (Einzel-GdB 20). Das Merkzeichen "G" sei dagegen nicht festzustellen, da der Kläger in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens eingeschränkt sei. Für eine rückwirkende Feststellung eines höheren GdB bzw. des Merkzeichens "G" fehle es an Darlegungen, die ein besonderes Interesse des Klägers begründen könnten.

27

Gegen das ihm am 10. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Juni 2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung in einer 89-seitigen Berufungsbegründungsschrift vorgetragen: Selbst auf der Grundlage der Ein-schätzungen des SG mit drei erheblichen Einzelbehinderungen hätte bereits ein Gesamt-GdB von 100 vergeben werden müssen. Dazu seien dann noch die weiteren Einzelbehinderungen zu berücksichtigen, die einen Einzel-GdB von 20 und mehr rechtfertigten. Vergleiche man allein die Bewertung für die Colitis Ulcerosa, sei wegen seiner häufigen Durchfälle ein Einzel-GdB von 30 festzustellen. Auch der Bluthochdruck sei eher mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Eine Fehlbewertung liege auch bei der erektilen Dysfunktion vor, die komplexe und schwerwiegende Folgen für den Betroffenen habe. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze verschleierten dabei die tatsächlichen Auswirkungen von Prostataoperationen und seien in ihrer pauschalen Bewertung von 20 geradezu willkürlich. Die darauf bezogenen Bewertungskriterien seien unklar und bedürften einer weiteren Sachverhaltsaufklärung für die Einschätzung der dafür maßgeblichen Kriterien. Die Auswirkungen der interstitiellen Zystitis (vgl. Urteil des SG Düsseldorf vom 30. Oktober 2000) hätten Auswirkungen auf die Gehfähigkeit und rechtfertigen das Merkzeichen "G". Beim längeren Laufen habe er gravierende Schmerzen, die dann auch längere Zeit anhielten und die Gehfähigkeit erheblich einschränkten. Auch der vermehrte Harn- und Stuhldrang mache ein regelmäßiges Laufen unmöglich.

28

Der Kläger beantragt,

29

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2010 sowie den Bescheid vom 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 13. November 1996, 27. September 1999, 14. März 2000, 22. Januar 2001 sowie vom 17. Juni 2010 bei ihm vom 23. November 1998 bis 14. November 2000 einen GdB von 90, ab 15. November 2000 bis 31. August 2006 einen GdB von 100 und ab 1. September 2006 einen GdB von 90 festzustellen sowie das Merkzeichen "G" ab 23. November 1998 zuzuerkennen.

30

Der Beklagte beantragt,

31

die Berufung zurückzuweisen.

32

Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 17. Juni 2010 festgestellt, dass beim Kläger ab dem 1. September 2006 weiterhin ein GdB von 80 vorliegt.

33

Wegen der anhängigen Rechtsfrage beim BSG (B 9 SB 3/10 R) zur rückwirkenden GdB-Feststellung haben sich Beteiligten zunächst mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt (Beschluss vom 19. Mai 2011). Nach Verkündung des Urteil des BSG hat der Kläger sein Vorbringen in einem weiteren 51-seitigen Schriftsatz vertieft und im Wesentlichen ausgeführt: Die erektile Dysfunktion sei eher im Sinne des Totalverlustes des männlichen Geschlechtsorgans zu würdigen, was einen deutlich höheren Einzel-GdB als 20 rechtfertigen dürfte. Die erektile Dysfunktion lediglich als leichte Behinderung einzuordnen, werde der tatsächlichen Teilhabeeinschränkung nicht gerecht und grenze schon an "Volksverdummung". Für die rückwirkende Feststellung eines höheren GdB sowie für das Merkzeichen "G" sei ein besonderes Interesse gegeben, da ihm dann beispielsweise ein Steuerrückerstattungsanspruch für die Kfz-Steuer in Höhe von 50 % zustehen würde. Zur Frage des Merk-zeichens "G" bei der interstitiellen Zystitis habe das SG Halle eine instruktive Entscheidung vom 2. November 2004 (S 1 SB 58/04) getroffen. Hierin werde in einer vergleichenden Bewertung eine chronische Blasenentzündung mit Minderung des Kräftezustandes als "inneres Leiden" bewertet, was sich ähnlich wie bei Herz- und Lungenleiden auf die Gehfähigkeit auswirke.

34

Der Berichterstatter hat vom Kläger unter dem 9. Januar 2012 Angaben zu konkreten Vorteilen für die rückwirkende Feststellung des GdB bzw. des Merkzeichens "G" verlangt. Hierzu hat der Kläger für die Zeit von 1997 bis 2012 Berechnungen über Rückforderungsansprüche angestellt und seine Kfz-Steuer-Belege vorgelegt.

35

Das Finanzamt M. hat auf gerichtliche Nachfrage erklärt: Bei einer rückwirkenden Änderung des GdB seien entsprechende Steuerbescheide jederzeit änderbar (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung).

36

Der Kläger hat medizinische Befunde zur Gerichtsakte gereicht, die der Versorgungsarzt Dr. W. unter dem 20. Juli 2012 ausgewertet hat: Hinsichtlich der psychoreaktiven Störungen mit körperlichen Beschwerden sowie der Migräne verbleibe es bei einem Einzel-GdB von 50. Nach Mitteilung des Urologen sei kein Rezidiv entstanden. Wegen der maximalen Blasenfüllung von 100 ml, dem Harndrang und der Stuhlinkontinenz sei kein höherer Einzel-GdB als 50 möglich. Die erektile Dysfunktion sei mit einem GdB von 20 bereits am maximalen Beurteilungsspielraum. Die Verdauungsstörung mit plötzlichem Stuhlgang bei Dickdarmdivertikel sei mit einem Einzel-GdB von 20 einzuschätzen. Der Bluthochdruck sei mit einem Einzel-GdB von 20 korrekt bewertet. Der EF-Wert von 60 habe eine gute Pumpfunktion des Herzens gezeigt. Für die Wirbelsäulenerkrankung lägen nur ältere Befunde vor, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Zusammenfassend betrage der Gesamt-GdB 80 ab dem 30. November 2000.

37

Der Senat hat Befundberichte von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S., dem Facharzt für Urologie Dipl.-Med. J., der Fachärzte für Orthopädie Dres. B. u.a. sowie der Fachärztin für Orthopädie Dr. H., dem Facharzt für Urologie Dr. L. und der Gemeinschafts-praxis Dres. S. eingeholt. Dr. L. hat unter dem 23. Juli 2012 u.a. eine interstitielle Zystitis, eine Urgeinkontinenz sowie eine erektile Dysfunktion organischen Ursprungs diagnostiziert. Das Leistungsvermögen sei konstant schlecht mit deutlicher Beeinträchtigung der Lebensqualität. Beim Kläger bestehe eine unverändert therapieresistente Urgeinkontinenz, eine Pollakisurie (jede Stunde), die mit einem teilweise quälenden Harndrang und Unterbauchbeschwerden verbunden seien. Dr. S. hat mitgeteilt, der Kläger habe sich letztmalig im März 2009 vorgestellt. Dipl.-Med. S. hat am 23. Juli 2012 mitgeteilt, der Kläger habe sich letztmalig am 27. Januar 2000 vorgestellt. Er habe über ständige Kopfschmerzen, Depressionen und Überforderung geklagt. Dipl.-Med. J. hat berichtet, er habe den Kläger letztmalig am 1. Dezember 1998 behandelt. Dres. B. u.a. haben für den Behandlungszeitraum 1998 bis 1999 degenerative Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule diagnostiziert. Die Gehfähigkeit sei aus orthopädischer Sicht nicht eingeschränkt.

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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Ernährungs- und Sozialmedizin Dr. M. vom 18. Oktober 2013 (Untersuchung vom 28. und 29. Mai 2013), der zur Anamnese ausgeführt hat: Der Kläger sei seit der Geburt auf dem rechten Auge blind und könne lediglich Hell-Dunkel-Kontraste wahrnehmen. Seit dem Jahr 1958 habe er Migränebeschwerden, die gelegentlich mit Aura verbunden seien. Die Migräneanfälle seien verstärkt im Winterhalbjahr. Der letzte Therapieversuch mit Triptan habe keine Besserung gebracht. Er behandele sich jetzt selbst mit Schmerz-Dolgit, Ibuprofentropfen sowie Bettruhe im abgedunkelten Raum. Seit dem 14. Lebensjahr habe er Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei einem Beckenschiefstand. Beschwerden im Ellenbogen führten zu einer Epikondylitits-Operation im Jahr 1993, die jedoch keine Besserung gebracht habe. Im Jahr 2009 sei ein Impingementsyndrom der rechten Schulter festgestellt worden. Er könne mit der rechten Hand keine anstrengenden Überkopf-arbeiten ausführen. Urologisch habe er zunächst an Harnsteinen gelitten. Im Jahr 1998 sei es zur ersten transurethralen Resektion der Prostata gekommen. Dies habe sich zwei Mal im Jahr 2000 wiederholt. Am 15. November 2000 sei es zur Prostataektomie wegen eines Karzinoms in diesem Bereich gekommen. Eine Anschlussheilbehandlung sei wegen Schmerzen nicht angetreten worden. Die Operation habe zu einer erektilen Dysfunktion geführt. Der Einsatz einer Vakuumpumpe habe keinen Erfolg gebracht. Seit dem Jahr 2002 sei es wiederholt zu Entzündungen des rechten Hodens und des Nebenhodens gekommen. Eine Operation des rechten Nebenhodens habe zunächst Besserung gebracht. Seit Juni 2010 seien wieder verstärkt Beschwerden aufgetreten, was am 19. Juli 2010 zu einer Teilresektion des linken Nebenhodens geführt habe. Seit einer Epididymektomie links am 7. Dezember 2010 habe er verstärkt Missempfindungen in diesem Bereich. Prof. Dr. R. habe in dessen Gutachten erstmals eine interstitielle Zystitis diagnostiziert. Ab dem Jahr 1995 hätten sich Stuhlunregelmäßigkeiten mit bis zu sieben täglichen Durchfällen mit imperativem Stuhlgang gezeigt. Wegen Blutbeimengungen im Stuhl seien erneut Koloskopien durchgeführt worden. Eine Proktitis sei wiederholt behandelt worden. Der Verdacht auf einen Morbus Crohn habe sich nicht beweisen lassen. Seit dem Jahr 2009 habe er weiterhin sieben Stuhlgänge pro Tag. Der Stuhldrang setzte plötzlich ein und sei mit Bauchschmerzen verbunden. In diesem Zusammenhang seien auch Hämorrhoiden diagnostiziert worden. Im Verlauf der gastroenterologischen Symptomatik sei eine Laktose-Intoleranz festgestellt worden. Er verbrauche ca. 120 Laktasetabletten im Monat. Im Jahr 1990 sei ein Morbus Meulengracht diagnostiziert worden. Im Januar 2003 sei eine Gallensteinoperation erfolgt. Seit dem Jahr 2007 bestünden Stimmstörungen sowie ein Reizhusten. Eine Schilddrüsenüberfunktion im Jahr 2008 habe erfolgreich im Jahr 2010 behandelt werden können. Kardiologisch bestehe seit dem Jahr 1973 ein Bluthochdruck. Seit Anfang 2013 habe er bei Selbstmessungen zu niedrige Herzfrequenzen festgestellt und eine Kardiologin aufgesucht. Diese habe eine leicht eingeschränkte linksventrikuläre Funktion festgestellt. Der Appetit sei normal und das Gewichtverhalten konstant. Der Kläger habe angegeben, er müsse in der Nacht zwischen drei bis zehn Mal wegen des Harndranges zur Toilette. Er halte es aus, dass bis zu 50 ml in der Blase seien. Dies gelte aber nicht bei körperlichen Aktivitäten, da dann bereits 30 ml Blasenfüllung zu Schmerzen führen würden. Aktuell suche er ca. zwölf Mal täglich die Toilette auf. Nach der Blasenentleerung höre der Harndrang nicht auf. Die Miktionsfrequenz führe zu einer Einschränkung des Nachtschlafes.

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Zu seinem Tagesablauf hat der Kläger erklärt: Er stehe gewöhnlich um 7.30 Uhr auf und frühstücke mit seiner Frau. Danach lese er Zeitung und beschäftige sich mit seinen "Gerichtsvorgängen" bis zum Mittagessen. Nach dem Mittag gegen 11.30 Uhr halte er Mittags-ruhe bis 15.00 Uhr. Danach gehe es zum Einkaufen. Zwischen 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr erfolge das Abendbrot, welches vor dem Fernseher eingenommen werde. Ab 23.00 Uhr beginne die Nachtruhe. Dies sei mit Ausnahme von wöchentlichen Besuchen bei Verwandten an jedem Tag der Woche so. Zwei Mal im Jahr werde für sieben bis zehn Tage verreist, wobei er warme Gegenden bevorzuge (Ägypten, Spanien und Portugal (2012)). Bei Flugreisen sei das Aufsuchen der Toilette kein Problem. Öffentliche Veranstaltungen besuche er genau wie Preisskatturniere nicht mehr. Sein Hobby sei es jetzt, "das Sozialgerichtsverfahren zu Ende zu führen" und Probleme in der Sozialgesetzgebung durch Eingaben bei öffentlichen Stellen aufzuzeigen. Für die Ehefrau sei es schwierig mit ihm auszukommen, da er sich auf sein Sozialgerichtsverfahren stark konzentriere und für andere Dinge kaum ansprechbar sei. Seine Impotenz belaste die Ehe. In den Jahren 1990 bis 1995 seien sie noch drei bis vier Mal im Jahr in Urlaub gefahren. Lange Autofahrten seien ihm jedoch wegen seiner Blasenerkrankung nicht mehr möglich. Seit seinem Umzug von H. nach M. im Jahr 2000 habe er die zuvor täglichen Spaziergänge deutlich reduziert. Spaziergänge gebe es nur noch bei gutem Wetter, wobei er auch dazu von seiner Ehefrau angehalten werden müsse. Aktuell mache er wöchentlich noch einen Spaziergang von seiner Wohnung zur E. und zurück (ca. 1 km; 30 Minuten), wobei er Sitzpausen einlegen müsse. In H. habe er noch einen größeren Freundeskreis vor allem mit Arbeitskollegen gehabt. Ein Treffen der Arbeitskollegen finde alle fünf Jahre statt. Die Ehefrau habe neue Freunde in M. gefunden. Das Hobby seiner Ehefrau sei "Shopping", wobei es ihm nicht bekomme, die Einkäufe zu begleiten. Das Sozialgerichtsverfahren sei für ihn zum Lebensziel geworden, schränke jedoch seine Lebensqualität erheblich ein, da er sich kaum auf etwas anderes konzentrieren könne.

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Zum körperlichen Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Der Kläger sei in gutem Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand (Gewicht: 80 kg; Körperlänge: 184 cm; BMI: 23,63 kg/m²). Die Herzfrequenz betrage 72/min und der Ruheblutdruck 122/90 mmHg. Die Rumpfbeweglichkeit sei eingeschränkt. Der Finger-Bodenabstand betrage 40 cm. Im Bereich der Psyche fielen eine stockende Sprechweise sowie ein sehr überlegter sprachlicher Ausdruck auf. So korrigiere sich der Kläger häufig in seinen eigenen Formulierungen. Fragen würden weitschweifig mit häufigem Rückblick auf die gesamte Krankheitsgeschichte beantwortet. Der Kläger habe zur Untersuchung eine Akte im Umfang von ca. 300 Seiten bei sich geführt und habe einige Fragen erst nach Einsicht in seine Selbstaufzeichnungen beantwortet. Es entstehe der Eindruck, als wenn die Lebenswelt des Klägers von seinen Erkrankungen, deren sozialrechtlicher Konsequenz und einem subjektiven Unrechts-bewusstsein geprägt und nahezu völlig ausgefüllt werde. Während der Anamnese von 9.00 bis 14.00 Uhr sei der Kläger drei Mal auf Toilette gegangen. Am Folgetag sei es zu keinen Unterbrechungen durch Toilettengänge gekommen.

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Das Ruhe-EKG habe vereinzelt monomorphe ventrikuläre Extrasystolen gezeigt. Unter Medikation bestehe eine leicht hypertone Blutdruckregulation. Eine Fahrradergometrie habe maximal einen Belastungsgrad von 125 Watt gezeigt, was 89 % des alters- und gewichtskorrigierten Sollwerts entspreche. Der Herzbefund sei normal. Im 6-Minuten-Gehtest habe der Kläger 331 Meter erreicht. In 20 Minuten habe der Kläger 932 Meter zurückgelegt, wobei er Schmerzen im Bereich Blase und Darm sowie im linken Bein angegeben habe. Das Füllvolumen der Blase sei mit 130 ml anzugeben. Dieser Wert sei auch vom behandelnden Urologen Dr. L. mit einer maximalen Blasenkapazität von 100 bis 150 ml angegeben worden. Zusammenfassend sei dieser Bereich mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten. Die chronische Zystitis habe erheblichen Einfluss auf die Alltagsbewältigung und beschränke die Mobilität, die sozialen Kontakte und das Familienleben. Dabei sei jedoch nicht nur die urologische Erkrankung, sondern auch die deutliche psychische und psychosomatische Komponente für das Krankheitserleben zu beachten. Die erektile Dysfunktion sei wegen der vollständigen Impotentia coiundi mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Mit Eintritt der Heilungsbewährung sei die Entfernung der Prostata nicht mehr als zusätzliche Erkrankung zu werten. Die interstitielle Zystitis sowie die Impotentia coeundi decke die Symptomatik sowie das Beschwerdebild vollständig ab. Dies gelte auch für die Teilresektion bzw. Komplettentfernung des Nebenhodens. Diese Erkrankung habe keine GdB-erhöhende Auswirkungen. Das Verhalten des Klägers bestätige die fachpsychiatrischen Feststellungen aus dem Jahre 1999. Er betrachte die sozialrechtliche Auseinandersetzung als bedeutsamen Lebensinhalt, dem er sich bevorzugt widme. Die Lebensführung werde zeitlich und inhaltlich durch die somatisierten Symptome und den aus wirklichen oder vermeintlichen Rechtskränkungen angestoßenen Kampf um die Anerkennung von Forderungen geprägt. Dies hindere den Kläger an einer sozialen Integration. Er fühle sich unverstanden, zeige egozentrische, auf andere ungewöhnlich bis bizarr wirkende Denk- und Verhaltensweisen. Dabei fühle er sich stets benachteiligt bis wertlos, was sich in vielen Lebensbereichen zeige. Die Differenzierung zwischen den Einschränkungen im Urogenitaltrakt und psychopathologischen Verhaltensauffälligkeiten sei schwierig. Der langjährige Krankheitsverlauf habe die Teilhabemöglichkeiten deutlich verengt. Trotz der fehlenden psychiatrischen Qualifikation und der Überschneidung mit somatischen Erkrankungen sei die psychische Störung höher als bisher eingeschätzt zu werten und hierfür ein Einzel-GdB von 60 anzunehmen. Auf gastroenterologischem Gebiet bestehe ein häufiger Stuhlgang, eine wiederkehrende Proktitis (seit 2007), Hämorrhoiden, eine operativ versorgte Mariske (2011). Orientiere man dieses Symptombild an den Folgen einer Colitis Ulcerosa oder dem Morbus Chron, sei nicht von einem häufigen Durchfall und keiner Einschränkung des Kräfte- und Ernährungszustandes auszugehen. Für die Störung der Darmfunktion sei daher ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Dabei würden die durch die chronische Zystitis verursachten häufigen Toilettenbesuche und die vom Kläger eingeräumten parallelen Stuhl- und Harndrangsituationen mit berücksichtigt. Die Lactoseintoleranz habe nicht nachgewiesen werden können. Die Einnahme der Lactasetabletten sei medizinisch streitig. Der Morbus Meulengracht führe zu einer gestörten Bilirubinaufnahme, sei jedoch meist symptomlos. Ein GdB sei entsprechend nicht zu vergeben. Für die chronische Gastritis sowie die Abdominalbeschwerden sei ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Die vom Kläger angegebene Sprach- und Stimmstörung sowie ein Reizhusten seien während der Untersuchung nicht aufgefallen. Die lungentechnischen Untersuchungen seien unauffällig geblieben. Der Bluthochdruck sei unter Medikation auf 140/90 mmHg eingestellt worden. Die aktuelle Untersuchung habe normale Blutdruckwerte gezeigt. Hinweise für eine hypertensive Herzerkrankung lägen nicht vor. Subjektiv vom Kläger wahrgenommene Herzrhythmusstörungen habe das Langzeit-EKG nicht bestätigen können. Da keine Organ-beteiligung bestehe, sei der Einzel-GdB auf 10 einzuschätzen. Der Kläger habe sich als "schielblind" auf dem rechten Auge bezeichnet. Zum tatsächlichen Ausmaß der Sehstörung fehle es an augenärztlichen Befunden. Bei der Begutachtung sei keine erhebliche Fehlstellung beider Augen aufgefallen. Es müsse offen bleiben, ob tatsächlich ein latentes Schielen vorliege. Eine erhebliche Fehlsichtigkeit des schielenden Auges ergebe sich meist durch den Strabismus cometas, das sog. Begleitschielen, was ohne Behandlung eine lebenslange Fehlsichtigkeit des schielenden Auges auslösen könne, die bis zur einseitigen Blindheit führen könne. Die Anamnese ergebe keine Hinweise auf erhebliche Einschränkungen des Sehens im Alltag. So habe der Kläger die Tätigkeit als Ingenieur sowie das Autofahren offenbar problemlos bewältigt. Je nach Intensität der Sehstörung sei von einem Einzel-GdB von 10 bis 30 auszugehen. In den vorhergehenden Befunden sei die sog. Schielblindheit nicht kritisch hinterfragt worden. Gleichwohl werde – trotz Zweifeln – von einem Einzel-GdB von 30 ausgegangen. Eine neurologische Abklärung der Migräne sei nicht erfolgt. Die Angaben des Klägers blieben wenig konkret. Im vorliegenden Fall könne für die Migräne von einem Einzel-GdB von 10 ausgegangen werden. Mögliche Einschränkungen des sozialen Kontakts und der Teilhabe seien bei den anderen Behinderungen bereits berücksichtigt. Die Beweglichkeit der oberen Extremität sei durch ein Impingementsyndrom eingeschränkt. Der Einzel-GdB sei mit 10 einzuschätzen, da die Beweglichkeitsgrenze von 120Grad eindeutig übertroffen werde. Bezogen auf die Wirbelsäule seien geringe funktionale Auswirkungen sowie seltene und kurz auftretende Wirbelsäulensyndrome festzustellen. Hierfür sein ein Einzel-GdB von 10 zu vergeben. Auf orthopädischem Gebiet betrage der GdB daher insgesamt 10. Die Brandnarbe der rechten Wade nach einem Motorradunfall sowie die operative Sanierung ließen einen Einzel-GdB nicht zu. Die Schilddrüsenüberfunktion bei Struma nodosa 1. Grades sei mit Radiojod behandelt worden. Die euthyreote Stoffwechsellage rechtfertige ebenfalls keinen Einzel-GdB. Zusammenfassend sei beim Kläger bei Würdigung aller Erkrankungen von einem Gesamt-GdB von 90 auszugehen. Das Merkzeichen "G" sei wegen den Folgen der Zystitis dabei nicht zu vergeben. Weder nach der Anamnese noch auf der Grundlage der Untersuchungen bestehe ein Harndrangintervall von weniger als 30 Minuten. Der Kläger meide größere Wegstrecken wegen der Unsicherheit, eine Toilette rechtzeitig erreichen zu können. Dies sei jedoch nur eine psychisch bedingte Einschränkung, die allein in diesem Funktionssystem zu bewerten sei. So habe der Kläger im Gehtest 932 Meter in 20 Minuten zurückgelegt. Beim Test sei auffällig gewesen, dass der Kläger beim 6-Minuten-Gehtest bereits 331 Meter habe zurücklegen können. Bei gleichbleibender Gehgeschwindigkeit hätte dies eine Gehstrecke von 1100 Metern erwarten lassen. Der Kläger habe das Gehtempo jedoch verringernd, ohne den Bereich einer erschöpfenden Ausdauerbelastung zu erreichen, wie er dies bei der Spiroergometrie gezeigt habe. Der Gehtest habe auch nicht wegen des Harndrangs unterbrochen werden müssen. Zusammenfassend erscheine es dem Kläger daher möglich 2000 Meter in altersgemäßer Zeit zu bewältigen. Im Vergleich zu Probanden mit Muskelerkrankungen erreiche der Kläger keine vergleichbare Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten.

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Der Beklagte hat das Gutachten versorgungsärztlich auswerten lassen. In einer Prüfärztlichen Stellungnahme vom 25. November 2013 hat Dr. W. ausgeführt, er halte eine Gesamt-GdB von 80 für angemessen und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" für nicht gegeben.

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Der Kläger hat sich in einem 109-seitigen Schriftsatz vom 9. Dezember 2013 sowie einem weiteren 22-seitigen Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 mit dem Gutachten sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme auseinandergesetzt und im Wesentlichen geltend gemacht: Zu Unrecht habe der Sachverständige seine Ansprüche nur bis auf das Jahr 1998 und nicht auf das Jahr 1997 medizinisch ausgewertet. Selbst auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen mit Einzel-GdB von 60 für die harnableitenden Organe sowie die Psyche und wegen der Auswirkungen der erektilen Dysfunktion (Einzel-GdB 20) sei ein Gesamt-GdB von 100 zu bilden. Betrachte man zusätzlich die weiteren Behinderungen könne an einem Gesamt-GdB von 100 kein Zweifel mehr bestehen. Die Bewertung des Durchfalls sei unzureichend und in den Folgen tatsächlich deutlich schlimmer als dies der Sachverständige angenommen habe. So könne er wegen dieser Stuhlunregelmäßigkeiten über mehrere Stunden das Haus nicht verlassen. Der Einzel-GdB müsse daher hierfür höher eingeschätzt werden. Die erektile Dysfunktion werde systematisch fehlbewertet und generell zu gering eingeschätzt. Das Merkzeichen "G" müsse zuerkannt werden.

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Der Sachverständige hat sich unter dem 29. Januar 2014 mit den Schriftsätzen des Klägers auseinandergesetzt und geltend gemacht: Es sei ein Anliegen des Gutachters gewesen, den besonderen Leidensdruck des Klägers zu erfassen, der sich mit somatischen Erkrankungen nicht mehr allein erklären lasse. Trotz der Zweifel an den Auswirkungen der Sehbehinderung habe er den Einzel-GdB von 30 für die Blindheit eines Auges übernommen. Die gastroenterologische Anamnese sei im Beisein des Klägers und dessen Einverständnis so formuliert worden. Der Kläger habe seit 1995 Stuhlunregelmäßigkeiten von bis zu sieben täglichen Durchfällen angegeben. Während der Anamnese habe er nicht das Absetzen größerer Mengen dünnflüssigen Stuhls behauptet, so dass die Diagnose "Diarrhöe" nicht gerechtfertigt wäre. Wäre tatsächlich eine Diarrhö mit monatelang sieben Stühlen pro Tag aufgetreten, hätte sich der Ernährungszustand des Klägers ungünstig verändern müssen und sich laborchemisch durch nachweisbare Pathologika zeigen müssen. Dies sei beim Kläger jedoch nicht der Fall. Von daher bestehe entgegen seiner Ansicht keine Darmerkrankung mit erheblichen Auswirkungen. Überdies werde das "Toilettenverhalten" des Klägers wesentlich durch die urologischen und psychiatrischen Befunde geprägt. Die vom Kläger mitgeteilte Septumsdicke des Herzmuskels bewege sich mit 11 mm noch im Normbereich. Für das verlangsamte Gehtempo beim Test lasse sich keine plausible Erklärung finden. Blutdruckbedingte Schädigungen des Augenhintergrundes oder der beteiligten Organe seien nicht bekannt. Bei der Zusammenfassung der Einzel-GdB könne nicht nur summiert werden. Vielmehr seien die Funktionseinschränkungen sowie Teilhabeminderungen und mögliche Überschneidungen dabei zu berücksichtigen. Das im Gutachten aufgeführte pathologische Füllungsvolumen von 130 ml sei falsch angegeben worden. Der verbliebene Restharn von 35 ml sei nicht relevant pathologisch. Sozialmedizinisch relevante Herzrhythmusstörungen seien beim Kläger nicht gefunden worden. Eine Colitis Ulcerosa oder ein Morbus Crohn seien trotz umfangreicher Diagnostik nie nachgewiesen worden. Für die Diagnose einer Laktoseintoleranz fehlten positive Testergebnisse. Bei einer derartigen Diagnose sollte eine Ernährungsberatung stattfinden, die nach Aktenlage nicht ersichtlich sei. Die Auswirkungen dieser Erkrankungen seien im Gutachten sehr wohl bewertet, aber nicht als weitere eigen-ständige Teilhabestörung angesehen worden.

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Mit Schreiben vom 13. Februar 2010 hat der Beklagte klargestellt, dass am Bescheid vom 9. August 2006 nicht mehr festgehalten werde und ab dem 1. September 2006, wie im Ausführungsbescheid vom 17. Juni 2010 ausgeführt, von einem GdB von 80 ausgegangen werde.

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In einem vom Kläger in der Sitzung vom 19. Februar 2014 überreichten 33-seitigen Schrift-satz vom selben Tage hat er ergänzend ausgeführt: Das Gericht sei seiner Bitte um einen Erörterungstermin nicht nachgekommen, sondern habe einfach eine mündliche Verhandlung anberaumt. Für die Stellungnahme zum Schreiben von Dr. M. habe er lediglich zwölf Tage Zeit gehabt. Der Sachverständige habe den Verlust der Prostata in Heilungsbewährung nicht berücksichtigt, was zu einem Gesamt-GdB von 100 hätte führen müssen. Nach eigenen zeitbezogenen Modellrechnungen für die Berechnung des Gesamt-GdB ergäben sich Werte von über 100, so dass ein Gesamt-GdB von 100 feststehe. Hinzu kämen dann noch weitere Erkrankungen, die mit einem Einzel-GdB von 20 und höher zu bewerten seien, die noch nicht einmal einbezogen worden seien. Die Verdauungsstörungen seien vom Gutachter verharmlost worden und mit der Verdachtsdiagnose eines Morbus Crohn erklärbar. Ob Durchfälle und Diarrhoe gleich zu behandeln seien, müsse durch den Ärztlichen Beirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales geklärt werden. Die Erkrankungen im Herz-Kreislauf-Bereich seien ebenfalls unzutreffend bewertet. Zu Unrecht sei das Jahr 1997 nicht geprüft worden, sondern in einem "Knebelvertrag" auf das Jahr 1998 beschränkt worden.

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Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

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1. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 den Bescheid vom 22. Januar 2001 aufgehoben und den GdB wegen Heilungsbewährung von 80 auf 60 herabgesetzt hat, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr. Der Beklagte hat die darauf bezogenen Bescheide im Ausführungsbescheid vom 17. Juni 2010 konkludent zurückgenommen. Dies hat der Beklagte in seinem Schreiben vom 13. Februar 2014 nochmals ausdrücklich klargestellt.

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2. Streitgegenstand des Verfahrens ist damit nur noch der Bescheid vom 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 soweit es der Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom 22. Oktober 2001 und 9. August 2006 zurückzunehmen. Der vom Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgenommene Prüfungsumfang greift dabei jedoch inhaltlich zu kurz, da es dem Kläger im Kern um die Überprüfung aller Bescheide geht, soweit ihm nicht ab dem 23. November 1998 ein GdB von 100 sowie das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist. Gegenstand des Überprüfungsantrages ist damit auch der Bescheid vom 14. März 2000, in dem der Beklagte ab dem 7. Oktober 1999 einen GdB von 60 festgestellt und den zuvor erlassenen Bescheid vom 27. September 1999 (GdB von 50 ab dem 1. Oktober 2010) wieder aufgehoben hatte. Gleiches gilt für den Bescheid vom 13. November 1996, in dem mit Wirkung ab dem 25. Juni 1996 unter Aufhebung des Abhilfebescheides vom 7. Dezember 1992 ein GdB von 30 festgestellt worden war.

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Ein Verwaltungsakt erwächst, wenn gegen ihn nicht oder erfolglos ein Rechtsbehelf eingelegt wird, gemäß § 77 SGG in Bestandskraft. Bestandskraft bedeutet, dass ein Bescheid formell unanfechtbar wird und materiell im Interesse der Rechtssicherheit für die Beteiligten Bindungswirkung entfaltet. Eine Durchbrechung dieser Bestandskraft ist im Sinne der Gewährleistung der Rechtssicherheit nur unter ganz eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Für das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren regelt dies § 44 SGB Sozialgesetz-buch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), wobei dieser Regelung die Überlegung des Gesetzgebers zu Grunde liegt, dass bei einer Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit der Gerechtigkeit der Vorrang zu geben ist (vgl. Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R). § 44 SGB X eröffnet zwei Alternativen für die Rücknahme. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt worden oder der Verwaltungsträger muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt ausgegangen sein, der sich nachträglich als unrichtig erwiesen hat.

52

Hier macht der Kläger einen vom Beklagten unrichtig bewerteten medizinischen Sachverhalt geltend, der zu einem höheren GdB sowie zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 23. November 1998 führen soll. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG.

53

Der Anspruch richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 26. August 1986 sowie nach den am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) vom 19. Juni 2001. Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1. Juli 2001 erfolgte Ablösung des SchwbG durch das SGB IX keine für das Verfahren maßgeblichen Unterschiede. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 SchwbG bzw. § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie ggf. über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus.

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Dabei ist die rückwirkende Feststellung nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt, soweit es sich um einen Erstantrag und nicht um einen Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB handelt (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die Beschränkung auf § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X findet nur Anwendung, wenn nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Diese Einschränkung folgt im Hinblick auf das nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Sofern die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Dagegen muss die Feststellungsbehörde im Verfahren einer Erstfeststellung bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft schon vor der Antragstellung bestanden hat (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es nicht, weil entsprechende Anträge sich nach Aufklärung des Sachverhalts nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln lassen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

55

Nach diesem Maßstab ist zunächst festzustellen, dass der Kläger keine rückwirkende Erstfeststellung begehrt, sondern die Rücknahme einer unanfechtbaren bindenden GdB-Feststellung sowie für das Merkzeichen "G" für die Vergangenheit verlangt. Die Erstfeststellung von Behinderungen beim Kläger erfolgte bereits auf seinen Antrag vom 24. Juni 1991 hin wegen einer Sehbehinderung mit Bescheid vom 26. August 1992 in Gestalt des Abhilfe-bescheides vom 7. Dezember 1992. Der Senat geht dabei von einer rechtswidrigen Fehlbewertung des Beklagten aus, da dieser die seit November 1998 als gesichert bestehende Diagnose der interstitiellen Zystitis sowie eine Urgeinkontinenz und die damit verbundenen Funktionseinschränkungen zu Lasten des Klägers nicht berücksichtigt hatte.

56

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen wie zuvor nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und zuvor in § 3 Abs. 1 SchwbG bestimmten Begriff der Behinderung an. § 3 Abs. 1 SchwbG definierte Behinderung als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhte. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 3 Abs. 2 SchwbG war die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung und nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Satzzählung der alten Fassung) gelten wie zuvor nach § 3 Abs. 3 SchwbG für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft (bzw. Funktionsbeeinträchtigungen) vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX bzw. zuvor des § 4 SchwbG der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festgestellt.

57

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maß-stäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

58

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind - im Wesentlichen inhaltlich unverändert - in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004, 2005 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a).

59

Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 - B 9/9a SB 6/06 R - in juris RdNr. 15 m.w.N.).

60

Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungs-spannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

61

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers für die Zeit der Krebserkrankung und Prostataoperation ab 15. November 2000 bis zum Ende der Heilungs-bewährungszeit am 14. November 2005 ein GdB von 100 sowie für die Zeiträume vom 23. November 1998 bis zum 14. November 2000 sowie ab dem 15. November 2005 ein GdB von jeweils 80 zuerkannt werden. Die ablehnenden Bescheide des Beklagten soweit sie sich auf das Merkzeichen "G" bezogen haben, sind dagegen rechtmäßig, da dem Kläger zu keinem Zeitpunkt das Merkzeichen "G" zugestanden hat.

62

a. Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche". Für dieses kann durchgehend seit dem 23. November 1998 ein GdB von 50 festgestellt werden.

63

Nach den Anhaltspunkten 1996, 2004, 2005 und 2008 sowie den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B 3.9.) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19, 96. Lfg. – Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-19).

64

Der Kläger leidet unter einer chronifizierten Fehlentwicklung bei schwerer paranoider Persönlichkeits- mit querulatorischer Entwicklung. Diese bereits im Sachverständigengutachten vom 16. April 1999 gestellte Diagnose ist auch nach dem gerichtlichen Gutachten von Dr. M. noch aktuell. Dies gilt auch gerade vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger nach seinen eigenen Angaben seit 1999 keiner psychotherapeutischen Behandlung unterzogen hat. Die zwanghaft erscheinende Prozessführung des Klägers, schriftlich mit äußerster Hingabe auf vielen Seiten das eigene Beschwerdebild und die eigene Rechtsauffassung bis ins kleinste Detail darzulegen und zu bekräftigen, bestätigt die Auffassung des Sachverständigen, dass dieser Prozess für den Kläger zum eigentlichen Lebensinhalt geworden ist. Mit dieser ungewöhnlichen Fokussierung sowie der damit verbundenen Einschränkung der Lebensqualität lässt sich eine schwere psychische Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten begründen. In dem hierfür vorgesehenen Bewertungsrahmen zwischen 50 bis 70 hält der Senat – entgegen der Einschätzung von Dr. M., der sich für einen Einzel-GdB von 60 ausgesprochen hatte – dagegen einen Einzel-GdB von 50 für angemessen. Betrachtet man den vom Sachverständigen dargestellten Tagesablauf des Klägers und den persönlichen Eindruck, den der Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2014 vermittelt hat, vermag er sich situationsadäquat zu verhalten und zumindest teilweise noch Selbstreflektionen vorzunehmen. So hat er auf rechtliche Hinweise beispielsweise von seinem Vorhaben, einen höheren GdB seit 1997 zu verlangen, Abstand nehmen können und sich nach den rechtlichen Möglichkeiten für ein mögliches Revisions-verfahren erkundigt. Auch kann der Kläger, wenn auch mit deutlichen Einschränkungen, den Freizeitwünschen seiner Ehefrau, sei es bei wöchentlichen Verwandtenbesuchen, bei Urlaubsfahrten ins Ausland oder im Alltag bei Shoppingtouren oder kurzen Spaziergängen noch nachkommen.

65

Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger die bei ihm klar diagnostizierte psychische Erkrankung bei der Bildung seiner Gesamt-GdB-Berechnungen durchaus mit einbezieht und dem Grunde nach nicht bestreitet, sondern lediglich ohne nähere Kritikpunkte hinnehmen kann. Auch ist er im Sinne einer Selbstreflektion durchaus fähig zu erkennen, welche Schwierigkeiten er seiner Ehefrau mit seinen hervorstechenden psychischen Besonderheiten tatsächlich bereitet. Dies alles spricht für eine der Zwangskrankheit vergleichbare psychische Störung, die dem Kläger noch Handlungsspielräume belässt. Hierfür hält der Senat einen Einzel-GdB von 50 für angemessen.

66

b. Die beim Kläger diagnostizierte chronische Zystitis bezieht sich auf das Funktionssystem der Harnorgane und wird vom Senat mit einem Einzel-GdB von 40 seit dem 23. November 1998 bewertet. In den Anhaltspunkten 1996, 2004, 2005 und 2008 sowie in der Versorgungsmedizin-Verordnung wird die Zystitis nicht gesondert erwähnt. Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Erkrankung sind daher Schäden der Harnwege, da nach Teil B, Nr. 1b bei Gesundheitsstörungen, die nicht in der Tabelle aufgeführt sind, der GdB in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen ist.

67

Hiernach gilt für die chronische Harnwegsentzündung folgender Bewertungsrahmen:

68

leichten Grades (ohne wesentliche Miktionsstörungen) .. 0 – 10

69

stärkeren Grades (mit erheblichen und häufigen Miktionsstörungen) .. 20 – 40

70

chronische Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase(Fassungsvermögen unter 100 ml, Blasentenesmen) .. 50 – 70

71

Bei Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) ergeben sich folgende GdB-Wertungen:

72

leichten Grades

73

(z. B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) .. 10

74

stärkeren Grades

75

(z. B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) .. 20 – 40

76

mit Notwendigkeit regelmäßigen Katheterisierens, eines Dauerkatheters, eines suprapubischen Blasenfistelkatheters oder Notwendigkeit eines Urinals, ohne wesentliche Begleiterscheinungen ..50

77

Geht man von diesen Bewertungsrahmen aus, greift die Annahme des Sachverständigen von Prof. Dr. R. und Dr. M., für die Zystitis des Klägers einen Einzel-GdB von 60 zu vergeben, deutlich zu hoch. Der häufige und auch für den Kläger schmerzhafte Harndrang erreicht nicht den Behinderungsgrad einer chronischen Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase unter 100 ml bzw. die Situation eines Behinderten, der wegen einer Entleerungsstörung mittels Dauerkatheter versorgt werden muss. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass das Leidensbild des Klägers offenkundig psychisch überlagert ist und die tatsächlichen, objektivierbaren Auswirkungen geringer sind, als vom Kläger vorgetragen. Dies räumt auch der Sachverständige Dr. M. ein, der die Bewertung der psychischen Erkrankung und der Zystitis als schwierig ansieht. Der Senat hält die Annahme von Dr. M., für die Zystitis einen Einzel-GdB zu vergeben, der bereits deutlich über der Schwerbehinderung liegt, für nicht vertretbar, da hierbei die psychische Überlagerung in der Symptomatik nicht hinreichend beachtet wird. Dies bestätigt bereits der Arztbrief von Prof. Dr. H. vom 6. Dezember 1999 (Klinik und Poliklinik für Urologie, M.) über eine ambulante Behandlung seit dem 8. Juni 1999. Danach hat der Kläger bereits im Jahr 1999 über Beschwerden im Darm- bzw. Prostatabereich sowie über häufigen Harndrang, Nykturie und Libidostörungen berichtet und der behandelnde Arzt dabei eine klare psychische Überlagerung festgestellt. Diese psychische Überlagerung beim Beschwerdebild der Zystitis wird auch von Dr. M. eingeräumt, dann jedoch nicht klar dem Funktionssystem Psyche und Gehirn zugeordnet. So berichtete der Sachverständige Dr. M. anlässlich der zweitägigen Untersuchung über kein besonders ausgeprägtes Toilettenverhalten des Klägers. Dies hat sich auch während der über eine Stunde andauernden mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Kläger benötigte in der mündlichen Verhandlung trotz erkennbarer innerer Anspannung keine Unterbrechung und gab nicht zu verstehen, unbedingt die Toilette aufsuchen zu müssen. Die Behauptung des Klägers, er müsse in 24 Stunden ca. 12 Mal die Toilette oder nach seiner späteren Bewertung ggf. noch viel häufiger aufsuchen, unterliegt daher deutlichen Zweifeln. Wäre der Harndrang tatsächlich noch intensiver, wären weitere Einschränkungen des Klägers in der gutachterlichen Untersuchung oder auch der mündlichen Verhandlung bzw. im Urlaub und im Freizeitverhalten zu erwarten gewesen. Bei einer gravierenden psychischen Störung, die bereits für sich genommen die Schwerbehinderung rechtfertigt, lassen sich die Auswirkungen nicht allein mit somatischen Erkrankungsbildern erklären (so auch Dr. M.). Von daher ist es notwendig, um nicht zu unzulässigen Doppelbewertungen zu Gunsten des Klägers zu gelangen, die somatischen Erkrankungsbilder auf ihren objektivierbaren Kerngehalt zurückzuführen. Dies rechtfertigt es, wegen der psychischen Überlagerung, die chronische Zystitis nur einen Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Der Senat schließt sich insoweit der zutreffenden Einschätzung der Versorgungsärztin Sch. vom 17. Juni 2009 an.

78

c. Für die Zeit vom 15. November 2000 (Prostata-OP wegen Karzinom) bis zum 14. November 2005 (Ende der Heilungsbewährungszeit) ist wegen des Verlustes der Prostata bei einer Erkrankung in Heilungsbewährung ein Einzel-GdB von 50 zu vergeben. Dies entspricht bereits der zutreffenden Einschätzung des Versorgungsarztes R. vom 6. Januar 2001 und ergibt sich zudem für einen malignen Prostatatumor aus den Anhaltspunkten 1996 (S. 113).

79

d. Die Sehstörung in Gestalt einer sog. Schielblindheit auf dem rechten Auge bewertet der Senat mit einem Einzel-GdB von 30 (vgl. Teil B Nr. 4, 4.3 der Versorgungsmedizinnischen Grundsätze). Dies entspricht bereits den versorgungsärztlichen Einschätzungen des Beklagten und wird auch vom Sachverständigen Dr. M., trotz geäußerter Zweifel, im Ergebnis aufrechterhalten. Der Senat hat keine Veranlassung von dieser Einschätzung abzuweichen.

80

e. Das Bluthochdruckleiden des Klägers ohne Augen- oder Organbeteiligung rechtfertigt derzeit als leichte Form einen GdB von 10. Nach Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen, mit einem Grad der Behinderung von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundsveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung.

81

Nach der überzeugenden Bewertung von Dr. M., der sich der Senat anschließt, hat sich der Blutdruck des Klägers stabilisiert (140/90 mmHg). Hinweise für eine hypertensive Herzerkrankung vermochte der Sachverständige nicht zu erkennen. Die subjektiv vom Kläger geschilderten Herzrhythmusstörungen haben sich im Langzeit-EKG nicht bestätigt. Mangels Organbeteiligung ist daher der Einzel-GdB von 10 für den gesamten streitigen Zeitraum anzunehmen.

82

f. Für die degenerative Wirbelsäulenerkrankung ohne Bewegungseinschränkungen und ohne neurologische Defizite kann bei dem Kläger nach Teil B Nr. 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze maximal ein GdB von 10 festgestellt werden. Denn ein höherer GdB setzt mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, voraus. Derartige Einschränkungen ergeben sich weder aus der Aktenlage noch aus der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. M. Diese Bewertung steht zudem im Einklang mit den orthopädischen Befunden der Klinik W. vom 12. Mai 2006 und den von Dr. H. ermittelten Messwerten vom 25.Juni 2005. Die Osteochondrose sowie die Bandscheibenvorfälle ohne radikuläre Auswirkungen sind daher geringgradig und lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.

83

g. Im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane ist – entgegen der Ansicht des Klägers – nach der überzeugenden Einschätzung beider gerichtlichen Gutachter sowie der beteiligten Versorgungsärzten des Beklagten für die erektile Dysfunktion ein Einzel-GdB von nicht mehr als 20 gerechtfertigt. Die Annahme des Klägers, diese Erkrankung sei dem Verlust des männlichen Geschlechtsorgans gleichzusetzen (Einzel-GdB 50) vermag der Senat nicht zu folgen, da eine solche Einschätzung in unvertretbarer Weise den Bewertungen der Anhaltspunkten bzw. den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen widerspricht. Nach Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung ist hier bei der nachgewiesenen erfolglosen Behandlung einer Impotentia coeundi die Feststellung eines GdB von 20 gerechtfertigt. Die Forderung des Klägers hierzu wissenschaftliche Nachforschungen zu betreiben, ist unberechtigt, da die Anhaltspunkte und auch die Fortschreibung der Versorgungsmedizinische Grundsätze den aktuellen Bewertungsrahmen von Sachverständigen für diese Erkrankung wiedergeben. Mögliche psychische Besonderheiten in der Bewältigung dieser Erkrankung sind nach Teil A, Nr. 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bereits in der Bewertung der GdB-Tabelle mit berücksichtigt. Erst bei außergewöhnlichen seelischen Begleiterscheinungen, die eine spezielle ärztliche Behandlung, wie z.B. Psychotherapie erforderlich machen, kommt eine höhere Bewertung in Betracht.

84

h. Für das Funktionssystem der Verdauungsorgane ist beim Kläger von einem Reizdarm mit Begleitsymptomatik sowie einer Entzündung des Mastdarms (Proktitis) und Hämorrhoiden sowie einer operativ versorgten Mariske auszugehen. Nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. M. ist die Störung der Darmfunktion mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Für diese Bewertung sind Teil B Nr. 10 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze und hierbei insbesondere die chronische Darmstörung (10.2.2) heranzuziehen. Entgegen der Annahme des Klägers wurde eine Colitis Ulcerosa oder ein Morbus Crohn bei ihm nicht sicher diagnostiziert. Zu beachten ist auch, dass die bereits von der Zystitis verursachten Toilettengänge bei der parallel auftretenden Stuhl- und Harndrangsituationen nicht nochmals berücksichtigt werden können und dürfen (so auch Dr. M.). Wegen des normalen Ernährungszustand des Klägers und den von Dr. M. ermittelten Laborwerten kann keine Darmerkrankung mit erheblichen Auswirkungen vorliegen. Ähnlich wie bei der Chronischen Zystitis wirkt auch hier die psychische Überlagerung in dieses Funktionssystem hinein, ohne dass eine Doppelbewertung vorgenommen werden darf.

85

i. Das Impingementsyndrom der Schulter betrifft das Funktionssystem der oberen Extremitäten und kann wegen der verbliebenen Beweglichkeit über 120 Grad bei der Armhebung mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden (vgl. Teil B, Nr. 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Der Senat folgt insoweit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. M.

86

j. Die beim Kläger vorliegende Migräne betrifft auch dieses Funktionssystem "Kopf und Gesicht" und kann, wegen der eher unspezifischen Angaben des Klägers, mit einem Einzel-GdB von 10 nach Teil B Nr. 2.3 bewertet werden (so auch der Sachverständige Dr. M.). Die Notwendigkeit einer neurologischen Abklärung hat keiner der behandelnden Ärzte gesehen, so dass nicht von einem erheblichen Leidensdruck aufgrund dieser Erkrankung ausgegangen werden kann.

87

k. Bezüglich der Überfunktion der Schilddrüse, die mittels Radiojodtherapie erfolgreich behandelt wurde, der Brandnarbe der rechten Wade, der Laktoseintoleranz, Morbus Meulengracht, dem behaupteten Reizhusten mit Stimmstörung sowie dem Hodenverlust liegen keine Funktionseinschränkungen vor, die gesondert hervorzuheben und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten wären. Der Einschätzung des Sachverständigen M. ist auch in diesem Punkt zu folgen.

88

l. Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktions-beeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

89

Für die Zeit vom 15. November 2000 bis 14. November 2005 ergibt sich im Gesamtbild, wie vom Kläger zu Recht eingefordert, ein Gesamt-GdB von 100. Auch wenn die Bildung eines Gesamt-GdB nicht wie im technischen Verständnis des Klägers zu einem GdB über 100 führen kann, ergibt die Kombination der psychischen Störung (Einzel-GdB 50), dem Prostatakarzinom in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50), der Zystitis (Einzel-GdB 40) sowie der Sehstörung (Einzel-GdB 30) ein so umfassenden Erkrankungsbild, dass tatsächlich die höchstmögliche Behinderung von 100 vom Kläger in diesem Zeitrahmen erreicht worden ist. Mit dem Wegfall der Krebserkrankung nach Eintritt der Heilungsbewährung erreicht der Kläger dann wieder einen Gesamt-GdB von 80, wie dies bereits vor seiner Krebserkrankung seit dem 23. November 1998 vorgelegen hatte. Hierbei geht der Senat vom höchsten Einzel-GdB-Wert von 50 (Funktionssystem Psyche) aus. Die weiteren erheblichen Erkrankungen der Zystitis (Einzel-GdB 40) und die Schielblindheit auf dem rechten Auge (Einzel-GdB 30) rechtfertigen eine Erhöhung des Gesamt-GdB um 20 bzw. 10 und führen zu einem Gesamt-GdB von höchstens 80.

90

Eine weitere Erhöhung aufgrund der weiteren, eher geringfügigen Beeinträchtigungen ist dagegen ausgeschlossen. Die erektile Dysfunktion, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist, genügt hierfür nicht. Denn das Gesamtausmaß der Behinderung wird durch diese - nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A 4, Nr. 3 ee) noch als leichte Funktionseinschränkung zu bewertenden Behinderungen - nicht größer. Die weiteren mit einem GdB von 10 bewerteten Funktionsbehinderungen führen nicht zur Erhöhung des Gesamt-GdB, denn von einem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A 4, Nr. 3 ee).

91

m. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Übereinstimmend mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten haben dies beide Sachverständige klar verneint. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Es liegen zunächst keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor, die für sich einen GdB von 50 bedingen, vor (dazu Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil D 1, Nr. 1d). Deutliche Einschränkungen des Gehvermögens wegen innerer Leiden haben beide gerichtlichen Sachverständigen beim Kläger verneint. Die schmerzhafte Harndrangintensität weist keine Intervallstärke aus, die eine Bewältigung von ortsüblichen Wegstrecken von vornherein ausschließen würde. Besonders aussagekräftig ist dabei der von Dr. M. vorgenommenen Gehtest. Hiernach war der Kläger in der Lage, ortsübliche Gehstrecken zurücklegen und in zumutbarer Weise zu bewältigen. Die Auswirkungen der Zystitis sind damit beim Kläger gerade im Hinblick auf den Harndrang nicht so schwerwiegend, wie er es immer wieder behauptet. So konnte der Kläger eine stundenlange Untersuchung des Sachverständigen mit nur wenigen Toilettengängen sowie eine längere mündliche Verhandlung durchhalten. Beim speziellen Gehtest bei Dr. M. vermochte er eine Gehleistung ohne wesentliche Einschränkung absolvieren und ist dabei (vgl. Ergometertest) nicht an seine Leistungsgrenze gelangt.

92

Für eine noch vorhandene ortübliche Gehfähigkeit sprechen auch seine eigenen anamnestischen Angaben vor dem Sachverständigen. Der Kläger kann, wenn auch mit Einschränkungen, seine Ehefrau beim Einkaufen begleiten, Auslandsflugreisen unternehmen und zumindest einmal wöchentlich einen Spaziergang zur E. und wieder zurück bewältigen. Im Gegensatz zum Sachverhalt, der dem Urteil des SG Düsseldorf vom 30. Oktober 2000 (S 31 (38) SB 238/99, zitiert nach juris) zugrunde gelegen hat, leidet der Kläger auch nicht an ganz erheblichen und objektivierbaren Schmerzen in der Unterleibsregion, die sich beim Gehen weiter verstärken und die Bewältigung von ortüblichen Wegstrecken tatsächlich ausschließen können.

93

3. In dem Antrag des Klägers vom 12. Dezember 2013 auf einen zeitlich vorgelagerten Erörterungstermin und die Rüge zur Fertigung seiner Stellungnahme auf das Schreiben des Sachverständigen Dr. M. vom 29. Januar 2014 zu wenig Zeit eingeräumt bekommen zu haben, liegt kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG hat der Senat das durch Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz garantierte prozessuale Grundrecht des rechtlichen Gehörs gewahrt. Einen Rechtsanspruch des Klägers, vor einer mündlichen Verhandlung seine Ausführungen im Rahmen eines zeitlich vorgeschalteten Erörterungstermins darlegen zu können, sieht das SGG nicht vor. Vielmehr ist der Senat nach Erstellung eines Sachverständigengutachtens und Eintreten der Entscheidungsreife gehalten, zügig einen Entscheidungstermin zu bestimmen, um die zeitliche Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens nicht zu gefährden. Der Kläger hat nach Zustellung des Gutachtens am 6. November 2013 ausreichend Zeit erhalten, sich hiermit auseinanderzusetzen und hat diese Möglichkeit in seinen ausführlichen Schreiben vom 9. Dezember 2013 und 18. Dezember 2013 auch umfassend genutzt. Nach umgehender Zustellung des Schreibens von Dr. M. vom 29. Januar 2014 blieb ebenfalls noch ausreichend Zeit, sich hiermit auseinanderzusetzen, wie dies der Kläger in seinem 33-seitigen Schreiben vom 19. Februar 2014 hinreichend belegt hat. Da der vorliegende Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Oktober 2003, B 4 RA 37/03 B, juris) auch keine unerwartete Wendung genommen hat, zu dem sich ein Beteiligter nicht hinreichend vorbereiten konnte, haben die Beteiligten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Die Ausführungen von Dr. M. dienten zudem lediglich der Verteidigung seines eigenen Gutachtens und beinhalteten keine neuen entscheidungs-erheblichen Gesichtspunkte.

94

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Teilerfolg des Klägers.

95

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.


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(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 19. Feb. 2014 - L 7 SB 31/10 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 19. Feb. 2014 - L 7 SB 31/10 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2011 - B 9 SB 3/10 R

bei uns veröffentlicht am 07.04.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 aufgehoben.

Referenzen

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 für einen vor seinem Feststellungsantrag liegenden Zeitraum hat.

2

Der am 26.8.1945 geborene Kläger ist Arzt für Biochemie. Auf Veranlassung seiner behandelnden Ärztin wurde er am 4.4.2002 ins Krankenhaus aufgenommen. Dort wurde ein mindestens 10 x 10 cm großer gastrointestinaler Stromatumor (GIST) oberhalb des Blasendaches diagnostiziert und am 17.4.2002 operativ entfernt. In der Zeit danach wurden im Rahmen von Kontrolluntersuchungen Metastasen und Rezidive festgestellt, die zu weiteren operativen Eingriffen führten. Seit dem 1.1.2007 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen.

3

Im Dezember 2006 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Feststellung eines GdB ab November 2000. Nach entsprechenden medizinischen Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26.3.2007 wegen einer Harnblasenerkrankung im Zustand der Heilungsbewährung einen GdB von 80 seit dem 1.4.2002 fest. Dem Widerspruch des Klägers half der Beklagte teilweise ab und stellte fest, dass der GdB nunmehr wegen einer Dünndarmerkrankung, bei der von einer Heilungsbewährung nicht mehr auszugehen sei, 100 betrage. Den auf Feststellung eines GdB für die Zeit vor dem 1.4.2002 gerichteten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.8.2007).

4

Das vom Kläger daraufhin angerufene Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.11.2008). Bei der Feststellung des GdB handele es sich um eine Statusentscheidung, die generell nur in die Zukunft wirke. § 6 Abs 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ordne eine rückwirkende Feststellung für die Zeit ab Antragstellung an. Eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV auf offenkundige Fälle zu beschränken. Ein derartiger Fall liege hier erst ab April 2002 vor, weil die bösartige Tumorerkrankung erstmals in diesem Monat objektiv beweisbar diagnostiziert worden sei. Für die Zeit davor fehle es an aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, so dass die vom Kläger behauptete Tatsache, er sei bereits im Mai 2000 wegen Teerstühlen und Schwächeanfällen schwerbehindert gewesen, nicht als offenkundig gelten könne.

5

           

Im Rahmen seiner Berufung hat der Kläger vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 zu verpflichten, bei ihm einen GdB von 100, hilfsweise 50, ab dem 1.5.2000 festzustellen,
hilfsweise
1. ihn als Arzt (Facharzt für Biochemie) und sachverständige Partei dazu zu vernehmen, dass er bereits seit Mai 2000 unter Teerstühlen, starken Symptomen einer Anämie und Kraftlosigkeit litt,
2. ein pathologisches Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. R. B., Institut für Pathologie der Universität B., darüber einzuholen, dass sich sein Gesundheitszustand und seine Funktionseinschränkungen im Jahr 2002 nicht von dem Gesundheitszustand und den Funktionseinschränkungen im Mai 2000 aufgrund der Tumorart, seines Wachstums und der Begleitsymptome signifikant aus ärztlicher Sicht unterschied, so dass ein GdB von 100, mindestens jedoch 50, bereits seit Mai 2000, hilfsweise seit 1.11.2000 offenkundig bestand.

6

Das LSG hat unter Zulassung der Revision durch Urteil vom 19.1.2010 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es nach Darlegung der allgemeinen Grundlagen für die Feststellung des GdB (§ 69 SGB IX) ausgeführt: Es handele sich bei der Feststellung des GdB um eine Statusentscheidung, die prinzipiell in die Zukunft wirke und nach § 6 Abs 1 Satz 1 SchwbAwV lediglich deshalb auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückzubeziehen sei, um den schwerbehinderten Menschen für die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht unzumutbar zu belasten. Für eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV nur dann Raum, wenn der Betroffene ein besonderes Interesse für eine frühere Statusentscheidung glaubhaft machen könne. Eine solche Rückwirkung müsse jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überdies auf offenkundige Fälle beschränkt werden, um den Sinn und Zweck einer Statusentscheidung nicht zu konterkarieren. Offenkundigkeit sei hierbei anzunehmen, wenn die für die Feststellung erforderlichen Voraussetzungen aus der Sicht eines unbefangenen, sachkundigen Beobachters nach Prüfung der objektiv gegebenen Befundlage ohne Weiteres deutlich zu Tage träten.

7

Zwar habe der Kläger ein besonderes Interesse an einer früheren Feststellung des GdB insoweit glaubhaft gemacht, als ihm nach § 236a SGB VI eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen zustehen würde, wenn seine Schwerbehinderteneigenschaft bereits zum 16.11.2000 festgestellt würde. Es fehle jedoch an einem offenkundigen Fall, weil medizinische Befunde, aus denen sich die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Feststellung deutlich entnehmen ließen, für die Zeit vor April 2002 weder vorlägen noch ermittelbar seien. Letzteres ergäbe sich aus den Angaben des Klägers selbst sowie vor allem aus den Attesten der behandelnden Internistinnen Dr. P. und Dr. L. vom 25.4.2007. Danach seien hier entweder nur ganz pauschale Aussagen darüber möglich, dass der Kläger bereits ab Mai 2000 unter vereinzelt aufgetretenen Teerstühlen sowie unter starken Symptomen einer Anämie und unter Kraftlosigkeit gelitten habe, oder es könnten nur Rückschlüsse aus Befunden aus der Zeit ab April 2002 gezogen werden, was der Annahme eines offenkundigen Falles entgegenstehe.

8

Vor diesem Hintergrund müsse der Senat nicht in weitere Ermittlungen eintreten. Insbesondere müsse er den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht folgen, weil sie entweder nur vage Tatsachenbehauptungen zum Inhalt hätten oder auf die Einholung eines "Rückschlussgutachtens" zielten, auf das es bei der Prüfung der Frage, ob ein offenkundiger Fall gegeben sei, gerade nicht ankommen könne.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

10

Materielles Recht sei verletzt, weil der Status der Schwerbehinderteneigenschaft nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen beginne (BSGE 89, 79), und zwar ohne Beschränkung auf offensichtliche Fälle. Eine abweichende Entscheidung des BSG liege für Erstfeststellungen nicht vor. Das vom LSG herangezogene Urteil des BSG vom 29.5.1991 betreffe allein Überprüfungsanträge nach § 44 Abs 2 SGB X, bei denen es im Rahmen des Ermessens auf die "Offensichtlichkeit" ankomme. Demnach sei das rückwirkende Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, wie im Sozialrecht generell üblich, mit sämtlichen Erkenntnismitteln zu erforschen. Eine Beschränkung auf Offensichtlichkeitsfälle oder kaum bestimmte "Ausnahmefälle" finde nicht statt.

11

Das angefochtene Urteil sei auch verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG habe sein Recht auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG verletzt, weil es seinen - des Klägers - Vortrag zum Schweregrad des Tumors und dessen Bewertung mit einem GdB von 100, hilfsweise 50, ab Mai 2000 unter Hinweis auf die fehlende Offenkundigkeit der Befunde übergangen habe. Zudem habe das LSG auch seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen zu Unrecht nicht gefolgt sei. Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe das angefochtene Urteil.

12

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19.1.2010 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 für ihn einen GdB von 100, hilfsweise von 50, ab 1.5.2000, hilfsweise ab 1.11.2000, festzustellen.

13

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

14

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an. Zwar beziehe sich die vom LSG zutreffend angewandte Entscheidung des BSG vom 29.5.1991 auf die Überprüfung bereits bestandskräftiger Bescheide iS des § 44 SGB X. Eine Unterscheidung für die rechtliche Bewertung bei den Voraussetzungen für die rückwirkende Feststellung im Schwerbehindertenrecht sei hingegen hinsichtlich der Erstfeststellungen nicht erforderlich. Es komme lediglich auf die Bewertung der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung als solche an. Diese sei und bleibe eine Statusentscheidung mit den bekannten Ausnahmen für die rückwirkende Feststellung nach der SchwbAwV. Der Kläger trage zwar vor, dass es dem Versorgungsträger und den Sozialgerichten zumutbar sei, durch Einholung von Befunden, Auskünften und ggf von Sachverständigengutachten den objektiven Eintrittspunkt der Schwerbehinderung von Amts wegen zu ermitteln. Dieser Rechtsgedanke sei indes nicht auf die rückwirkende Feststellung zu übertragen, wie bereits das BSG festgestellt habe. Hier gelte die Einschränkung der "Offenkundigkeit". Dieser Begriff lasse schon vom Wortsinn her eine aufwendige Ermittlung nicht zu.

15

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB mit 100, hilfsweise von wenigstens 50, schon ab Mai 2000. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Entgegen der Auffassung des LSG ist der Anspruch des Klägers auf rückwirkende GdB-Feststellung nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Für die Entscheidung, ob der Anspruch begründet ist, bedarf es weiterer einzelfallbezogener Tatsachenfeststellungen, die das LSG noch zu treffen hat.

18

Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab Mai 2000 und damit für Zeiten vor dem vom Beklagten angenommenen Zeitpunkt (1.4.2002) richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG-) idF der Neubekanntmachung vom 26.8.1986 (BGBl I 1421, ber 1550) sowie nach den am 1.7.2001 in Kraft getretenen Vorschriften des SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046), geändert durch das Gesetz vom 23.4.2004 (BGBl I 606).

19

Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1.7.2001 erfolgte Ablösung des SchwbG durch das SGB IX keine nennenswerten Unterschiede. Zwar sind die Begriffe der Behinderung und der des GdB im SGB IX anders umschrieben als zuvor in § 3 Abs 1 SchwbG, der seinem Wortlaut nach unter Behinderung die Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsstörung verstand. Die nunmehr erfasste Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (s § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 Satz 3 SGB IX bzw Satz 4 SGB IX) entspricht indes der schon nach altem Recht ergangenen Rechtsprechung des BSG (s insgesamt BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 2 RdNr 7). Entsprechendes gilt für den auf dem Behinderungsbegriff aufbauenden GdB (s §§ 2 Abs 1, 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX).

20

Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl BSGE 89, 79, 81 = SozR 3-3870 § 59 Nr 1 S 3). Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine behördliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (vgl § 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG, § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Von welchem Zeitpunkt an diese Feststellung zu treffen ist, wird weder im SchwbG noch im SGB IX ausdrücklich geregelt. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten.

21

Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen (vgl dazu zB BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8 RdNr 16). Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (vgl dazu BSGE 69, 14, 17 f = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 9 f). Mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte.

22

Diese aus dem SchwbG und dem SGB IX herzuleitenden rechtlichen Grundsätze haben ihren Niederschlag in den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften über die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gefunden. Nach § 4 Abs 5 Satz 1 SchwbG/§ 69 Abs 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie ggf über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus. Die Einzelheiten der Ausweisausstellung sind in der nach den Vorgaben des § 4 Abs 5 SchwbG/§ 69 Abs 5 SGB IX auf der Grundlage des § 4 Abs 5 Satz 5 SchwbG/§ 70 SGB IX erlassenen SchwbAwV idF der Bekanntmachung vom 25.7.1991 (BGBl I 1739), mit späteren Änderungen zuletzt durch Art 20 Abs 8 Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I 2904), geregelt. Nach deren § 6 Abs 1 Nr 1 ist auf der Rückseite des Ausweises als Beginn der Gültigkeit in den Fällen des § 69 Abs 1 und 4 SGB IX der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften einzutragen. § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV ermöglicht darüber hinaus auf Antrag des schwerbehinderten Menschen und nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses die Eintragung eines zusätzlichen, weiter zurückliegenden Datums.

23

Soweit § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV für die Eintragung des "zusätzlichen" vor dem Datum der Antragstellung liegenden Datums die "Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses" der antragstellenden Person verlangt, ist allerdings auch dort nicht weiter bestimmt, was ein "besonderes Interesse" iS dieser Vorschrift ist. Auch eine höchstrichterliche Definition des "besonderen Interesses" ist bisher nicht erfolgt. Einige (instanzgerichtliche) Entscheidungen haben ein besonderes Interesse für den Fall verneint, dass der Antragsteller aufgrund der vor die Antragstellung zurückreichenden schwerbehindertenrechtlichen Feststellung Steuervergünstigungen wahrnehmen (LSG für das Saarland Beschluss vom 5.11.2002 - L 5 B 12/01 SB -; SG Dortmund Urteil vom 29.3.2004 - S 43 SB 20/03 -; aA LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.5.1992 - L 4 Vs 3/91 -) oder rückwirkend Kindergeld beanspruchen wollte (SG Dresden Gerichtsbescheid vom 9.12.2004 - S 7 SB 340/02 -). Demgegenüber hat das LSG in dem hier angefochtenen Urteil das besondere Interesse bejaht, soweit der Kläger mit der rückwirkenden Feststellung des GdB von mehr als 50 gemäß § 236a SGB VI die Altersrente für schwerbehinderte Menschen abschlagsfrei beziehen könnte. Gleichsinnig hat das LSG Berlin-Brandenburg das besondere Interesse des dortigen Klägers im Urteil vom 18.2.2010 - 11 SB 351/08 - beurteilt.

24

Mangels normativer Maßgaben erscheint es auch angesichts der Bedeutung der Rückwirkung der entsprechenden Feststellungen angemessen, den Begriff des besonderen Interesses nach ähnlichen Maßstäben zu bestimmen wie den Anspruch eines im Ausland lebenden behinderten Menschen auf Feststellung seines GdB in Deutschland. Grundsätzlich hat ein in Deutschland lebender behinderter Mensch nach dem System des Schwerbehindertenrechts im SGB IX Anspruch auf Feststellung des für ihn maßgeblichen GdB unabhängig davon, ob sich seine rechtliche und/oder wirtschaftliche Situation dadurch unmittelbar verbessert. Ein besonderes Feststellungsinteresse (Rechtsschutzbedürfnis) für die Zeit ab Antragstellung ist nicht erforderlich (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8). Etwas anderes gilt für einen im Ausland lebenden behinderten Menschen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist auf dessen Antrag der GdB festzustellen, wenn davon in Deutschland Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6; zuletzt BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 1/10 R - SozialVerw 2011, 11). Ein im Ausland lebender Behinderter kann das Feststellungsverfahren nach § 4 SchwbG bzw § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Die Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs 1 iVm § 37 Satz 1 SGB I) ist gerechtfertigt, wenn ihm trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (BSG aaO). Das BSG hat als entsprechenden Vorteil die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anerkannt (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6).

25

Zu ähnlichen Ergebnissen würde eine in Anlehnung an den Begriff des Rechtsschutzinteresses bzw Rechtsschutzbedürfnisses im gerichtlichen, insbesondere sozialgerichtlichen Verfahren orientierte Definition des Begriffes des besonderen Interesses nach § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV führen. Das gerichtliche Rechtsschutzinteresse ist für einen von einer behördlichen Maßnahme betroffenen oder eine solche Maßnahme erstrebenden Bürger grundsätzlich anzunehmen, wenn er das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreichen und mit der gerichtlichen Entscheidung seine rechtliche oder wirtschaftliche Stellung verbessern kann (s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, vor § 51 RdNr 16a mwN).

26

Aus Anlass des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalls bedarf es letztlich keiner abschließenden Definition des Begriffs des besonderen Interesses, denn es bestehen keinerlei Bedenken gegen die Bejahung des besonderen Interesses des Klägers durch das LSG. Die Möglichkeit des Bezuges einer abschlagsfreien Altersrente (s dazu sowie zur Berücksichtigung der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung BSG Urteil vom 29.11.2007 - B 13 R 44/07 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 2) begründet zweifelsohne ein besonderes Interesse an der vor die Antragstellung zurückwirkenden Feststellung des GdB von 50 als Grundlage für die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (s § 2 Abs 2 SGB IX).

27

Entgegen der Auffassung des LSG ist indes für die Rückverlagerung des Zeitpunkts der Feststellung des GdB vor den Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu fordern, dass der betreffende GdB im beanspruchten Feststellungszeitpunkt offensichtlich bereits vorgelegen hat. Eine Rechtsnorm, die dies bestimmt, existiert nicht. Insbesondere enthält § 6 SchwbAwV keine entsprechende Einschränkung. Diese Einschränkung lässt sich auch, anders als das Erfordernis eines besonderen Interesses, nicht aus den gesetzlichen Grundlagen des Schwerbehindertenrechts herleiten. Für die behördliche Erstfeststellung, dass ein GdB von 50 bereits zu einem Zeitpunkt vor der Antragstellung vorgelegen hat, ist nur die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses erforderlich; eine solche rückwirkende Feststellung ist nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt.

28

Eine Beschränkung der rückwirkenden Feststellung des GdB durch ein Erfordernis der Offensichtlichkeit hat das BSG allein für den Fall angenommen, dass nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist(BSG Urteil vom 29.5.1991 - 9a/9 RVs 11/89 - BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3). Diese Einschränkung folgt indes nicht aus § 4 SchwbG/§ 69 SGB IX oder § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV, sondern rechtfertigt sich, wie in der Literatur zutreffend erkannt worden ist(von Steinäcker, Behindertenrecht 2006, 98, 100), allein im Hinblick auf das nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Da es bei der Feststellung des GdB nicht um Sozialleistungen geht und § 44 Abs 1 SGB X damit unanwendbar ist(BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 8 f), hat die für die Feststellungen zuständige Behörde oder Körperschaft im Falle des Vorliegens einer auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogenen bindenden Feststellung des GdB über den Antrag auf Rückverlagerung im Überprüfungswege nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. In dem Fall, in dem die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (BSGE 69, 14, 18 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 10).

29

Im Verfahren einer Erstfeststellung, um das es sich im vorliegenden Fall handelt, beanspruchen diese aus § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X fließenden, allein auf das Verwaltungsermessen bezogenen Grundsätze keine Gültigkeit. Hier muss die Feststellungsbehörde - bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller - uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft (hier: GdB von mindestens 50) schon vor der Antragstellung bestanden hat. Der entsprechende Zeitpunkt ist festzustellen.

30

Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es auch aus anderen Gründen nicht. Entsprechende Anträge lassen sich nach Aufklärung des Sachverhalts mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln (s von Steinäcker, aaO, 100).

31

Da das LSG davon ausgegangen ist, dass die rückwirkende Feststellung des GdB für Zeiten vor der Antragstellung auf offensichtliche Fälle beschränkt ist, hat es folgerichtig unterlassen, den Gesundheitszustand des Klägers in dem streitigen Zeitraum unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Da der erkennende Senat die nach seiner Auffassung erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen kann (vgl § 163 SGG), ist eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz geboten.

32

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird ua auch zu prüfen sein, ob der Kläger ein besonderes GdB-Feststellungsinteresse nur ab November 2000 oder - seinem Antrag entsprechend - schon ab Mai 2000 glaubhaft machen kann.

33

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.