Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. Dez. 2004 - L 7 U 217/02

09.12.2004

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. November 2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der 1929 geborene Ehemann der Klägerin B. G. (G.) legte 1948 in A./Thüringen das Abitur ab. Aus der Zeit bis zur Übersiedlung in die Bundesrepublik im Januar 1961 ist nur bekannt, dass er zeitweise HO-Verkaufsstellenleiter und zeitweise Inhaber einer zoologischen Handlung war. Bis Oktober 1961 arbeitete er als Handelsvertreter, bis 04.03.1966 als Taxifahrer in H. Vom 07.03.1966 bis 06.05.1967 war er im H. Werk der Firma C. H. B. Sohn als Chemiearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen im gegenseitigen Einvernehmen gelöst. Danach arbeitete G. 1967 einige Monate als Maschinenarbeiter und vom 16.06.1969 bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im März 1986 als Buchhalter. Am 05.03.1992 verstarb er an den Folgen eines Dickdarmkrebses.
Am 28.10.1993 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente mit der Begründung, das Todesleiden von G. sei ursächlich auf die Einwirkung von Chemikalien, insbesondere von Dioxinen zurückzuführen, denen er bei seiner Arbeit im H. Zweigwerk der Firma B. ausgesetzt gewesen sei. Sie legte unter anderem das Zeugnis der Firma C. H. B. Sohn vom 18.05.1967, die Bescheinigung des Versorgungsamts Stuttgart vom 13.10.1989 (GdB 100), ihr an den Leiter der Beratungsstelle für Chemiearbeiter in H., Prof. Dr. M., gerichtetes Schreiben vom 20.10.1993 und dessen Antwortschreiben vom 25.10.1993 (Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der abgelaufenen Exposition und dem Todesleiden) vor.
Die Beklagte zog von der Betriebskrankenkasse (BKK) der Firma C. H. B. Sohn das Vorerkrankungsverzeichnis vom 21.12.1993 bei, aus dem sich Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Dermatitis vom 28.07. bis 16.08., Karbunkel rechte Wade vom 22. bis 23.11.1966 sowie wegen Karbunkel rechter Zeigefinger vom 02. bis 12.03.1967 und wegen „Verdacht auf Methanolvergiftung, akute Gastroenteritis“ vom 16. bis 27.03.1967 ergeben. Der leitende Werksarzt Dr. M. übersandte den Untersuchungsbefund vom 23.03.1966 anlässlich der Einstellung von G. als Chemiearbeiter im Trichlorbenzolbetrieb. Darin wird bei Fehlen erblicher Erkrankungen ein gutes Allgemeinbefinden bescheinigt, der Allgemeinzustand andererseits als ausreichend und der Körperbau als mittelkräftig bezeichnet. Die Beklagte holte Auskünfte von dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus W. vom 09.02.1994 (1986 Behandlung von Morbus Pick) und von dem Allgemeinarzt Dr. D. vom 07.02.1994 ein, welcher zahlreiche Arztbriefe aus der Zeit ab 1980 beigefügt waren, und zog die Schwerbehindertenakten des Versorgungsamts Stuttgart bei. Die Firma C. H. B. Sohn erstattete am 11.02.1994 Anzeige über eine Berufskrankheit (BK). Darin wird angegeben, die betriebshygienischen Verhältnisse in der sog. Trichlorbenzoldestillation und im Chlorphenolbetrieb seien auch 1967 noch sehr mangelhaft gewesen.
In seiner Stellungnahme vom 21.02.1994 führte der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) Dr. G. aus, ausweislich der Anzeige des Unternehmers sei G. gegenüber 2, 3, 7, 8-Tetrachlordibenzo-p-Dioxin (im Folgenden: TCDD) ausgesetzt gewesen. Außerdem hätten Chlor, Chlorwasserstoff, Methanol und Trichlorbenzol in der Raumluft vorgelegen. In Anbetracht der kurzen Beschäftigungszeit sehe er die Gesamtexposition gegenüber TCDD als relativ gering an. Der die Beklagte beratende Arzt für Arbeitsmedizin Dr. P. legte in seiner Stellungnahme vom 24.05.1994 dar, eine „hohe Exposition“ im Sinne der TCDD-Konvention sei nicht hinreichend sicher zu belegen. Für eine Chlorakne fänden sich in der Akte keine Hinweise; die Dermatitis sei ein anderes Krankheitsbild. Nachdem die Gewerbeärztin Dr. M.-B. in ihrer Äußerung vom 26.07.1994 weitere Ermittlungen angeregt hatte, holte die Beklagte von der Firma C. H. B. Sohn noch die Auskunft vom 17.11.1994 ein, in der die Arbeitsvorgänge im sog. Chlorphenolbetrieb im Einzelnen geschildert werden. In ihrer ergänzenden Äußerung vom 23.01.1995 vertrat Dr. M..-B. zunächst die Auffassung, eine einjährige Exposition im Chlorphenolbetrieb erfülle ihres Erachtens das Kriterium der hohen Exposition, zumal dieses Kriterium in der sog. Konvention nicht näher spezifiziert sei. Nach Vorhalt neuester Forschungsergebnisse insbesondere von Dr. Flesch-Janys räumte Dr. M.-B. in ihrer Äußerung vom 20.04.1995 ein, aufgrund der statistischen Auswertungen von Fettgewebs- und Blutfettanalysen von B.-Mitarbeitern sei davon auszugehen, dass in den 60er Jahren im Chlorphenolbetrieb etwa eine Blutfettdioxinbelastung mit 2, 3, 7, 8-TCDD von 40 ppt/Jahr erworben worden sei. Daraus errechne sich bei G. eine kumulative Dioxinbelastung von 47 ppt für eine 14-monatige Beschäftigungszeit in diesem Betrieb. Somit könne nicht festgestellt werden, dass er gem. der Konvention in hohem Ausmaß gegenüber Dioxinen exponiert gewesen sei.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1995 die Gewährung von Hinterbliebenenrente ab, da bei G. keine Berufskrankheit gem. Nr. 1310 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vorgelegen habe. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17.11.1995).
Hiergegen erhob die Klägerin am 27.11.1995 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Dieses erhob Beweis durch die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, das Prof. Dr. Z. vom Institut für organische Chemie der Universität S. am 25.03.2000 erstattete. Darin wird ausgeführt, weil bei G. keine TCDD-Messung im Blutfett bzw. Körperfett erfolgt sei, müsse man die geschätzte TCDD-Belastung dem Betriebskataster entnehmen. Hierbei seien jedoch sämtliche individuellen Beeinflussungen zu berücksichtigten. Bei G., der nur kurzfristig bei der Firma B. beschäftigt gewesen sei, sei die Gefahrstoffaufnahme nicht linear, sondern entsprechend dem Fehlen einer TCDD-Vorbelastung exponentiell erfolgt. Nach der Statistik von Becher über die TCDD-Aufnahme bei Kurzzeitbeschäftigten und Langzeitbeschäftigten sei in den Arbeitsbereichen, in denen G. gearbeitet hatte, mit einer Belastung von 287 ng TCDD/l Vollblut/Jahr zu rechnen. Damit ergebe sich am Ende der Arbeitszeit am 06.05.1967 eine Belastung mit 335 ng TCDD/l Vollblut/Jahr. Ginge man von den früheren, auf Formeln von 1994 beruhenden, nur für Langzeitbeschäftigte geltenden Werten aus, dann müsste man von einer Gesamtbelastung von 208 ng TCDD/kg Blutfett ausgehen. An individuellen Besonderheiten sei zu berücksichtigen, dass G. im ersten Jahr der Beschäftigung noch nicht die Routine und Geschicklichkeit für die einzelnen Arbeiten besessen habe. Dies habe während einer Herz-Kreislauf-Anpassung von 3 bis 5 Monaten ein erhöhtes Atemvolumen und eine gegenüber dem Geübten erhöhte Durchblutung - auch der Haut - bedingt. G. sei außerdem von seiner Konstitution her nicht für einen handwerklichen Beruf, insbesondere nicht für die Tätigkeit eines Chemiearbeiters geeignet gewesen, wie sich aus dem bei der Einstellungsuntersuchung festgestellten „ausreichenden“ Allgemeinzustand ergebe. Wegen seiner Kurzsichtigkeit (- 3 Dioptrien) habe er immer eine Brille tragen müssen und deshalb wahrscheinlich ohne Schutzmaske gearbeitet. Nach den Angaben seiner Ehefrau habe er ferner einige Wochen nach Aufnahme seiner Tätigkeit im H. Chemiewerk über die ganze Zeit seiner Beschäftigung einen Hautausschlag am Rücken und im Gesicht gehabt. Hierbei könnte es sich um eine Chlorakne gehandelt haben. Sehe man von diesen Besonderheiten im Falle des G. ab und gehe man von den Schwellenwerten aus, die aufgrund statistischer Untersuchungen über Krebserkrankungen bei langfristig Beschäftigten gewonnen worden seien, so müsse davon ausgegangen werden, dass Flesch-Janys 1996 die aufgenommene Menge an TCDD bei Arbeitern, die viele Jahre (ca. 7 bis 12) im Bereich Trichlorphenol tätig gewesen seien, pro Jahr zwischen 63,9 und 178,3 bei einem Mittelwert von 121,1 ng/TCDD pro kg Blutfett angegeben habe. Im Falle von G. müsste man zumindest die höhere Belastung durch die ungewohnte Arbeitsweise dadurch berücksichtigen, dass der höhere Schätzwert von 178,3 berücksichtigt werden. Für die Zeit vom 07.03.1966 bis 06.05.1967 resultiere dann eine Gesamtbelastung von 208 ng/kg Blutfett. Der Wahrheit näher komme jedoch das von Becher und Flesch-Janys entwickelte Regressionsmodell mit einem Mittelwert von 287,4 ng TCDD/kg Blutfett/Jahr. Die Voraussetzungen der von der Beklagten 1990 eingeführten Konvention seien auf jeden Fall erfüllt.
Die Beklagte wandte hiergegen ein, das Gutachten von Prof. Dr. Z. basiere auf einer bereits veralteten Fassung der Konvention, in der noch eine Chlorakne als ein Indiz für eine hohe Dioxinbelastung gewertet worden sei. Nach der Mitte 1995 überarbeiteten Fassung der Konvention sei ein Kausalzusammenhang bei einer Latenzzeit von annähernd 20 Jahren im Regelfall als wahrscheinlich anzunehmen bei einer hohen Exposition (zurückgerechnete Konzentration mindestens 300 bis 200 ppt 2, 3, 7, 8-TCDD). Zwar habe sich aufgrund der Studie von Flesch-Janys et al. aus dem Jahr 1995 eine Risikoverdopplung für eine Tumorerkrankung erst ab einer Dosis von > 344,7 ppt belegen lassen. Unter Würdigung der individuellen Aufnahme- und Abbaukinetik der entsprechenden Beschäftigten sei jedoch der Wert in der vorgenannten Form festgelegt worden, um die Möglichkeit zu schaffen, bei einer Vielzahl von Versicherten die Anerkennung einer entsprechenden BK festzustellen. Insofern handle es sich um eine sehr weitgehende Interpretation zu Gunsten der Versicherten. Unter Berücksichtigung der Schätzwerte von Dr. Flesch-Janys sei für den Trichlorphenolbereich ab 1957 eine jährliche Aufnahme-Schätzdosis von ca. 121,1 ppt anzunehmen. Unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeit von ca. 1,17 Jahren ergebe sich als sog. worst-case-Betrachtung ca. 141,57 ppt. Dieser Wert liege auch unter Berücksichtigung des theoretisch-mathematischen Rechenmodells deutlich unter den Mindestanforderungen der Konvention. Bei den Denkansätzen, die Prof. Z. hinsichtlich der Aufnahmekinetik aufführe, bewege man sich noch weiter im Bereich der Spekulation, wobei man sich hierbei immer weiter von den Beweisanforderungen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung entferne.
In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 30.12.2000 hielt Prof. Dr. Z. an seiner bisherigen Beurteilung fest. Er führte aus, soweit die Beklagte davon ausgehe, G. habe eine TCDD-Menge von 141,57 ppt aufgenommen, könne dies nicht als sog. worst-case-Betrachtung gelten, da der hierbei zu Grunde gelegte Ausgangswert von 121,1 ppt TCDD/Jahr als Mittelwert der Blutwerte von Arbeitern errechnet worden sei. Aus den bereits dargelegten Gründen sei G. der Personengruppe im Trichlor-phenolbetrieb mit dem oberen TCDD-Belastungswert von 178,3 ng/kg/Körperfett/Jahr zuzuordnen. Im übrigen bestehe bei Berücksichtigung des internationalen Schrifttums schon bei 150 ng TCDD/kg Blutfett/Jahr ein deutliches Risiko für die Entstehung einer Krebserkrankung.
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In der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2001 hörte das SG Prof. Dr. Z. ergänzend an. Mit Urteil vom selben Tage - der Beklagten zugestellt am 03.01.2002 - verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, die Dickdarmkrebserkrankung von G. und seinen darauf zurückzuführenden Tod als Folge einer BK gem. Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und der Klägerin Hinterbliebenleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung stützte es sich auf das Gutachten Prof. Dr. Z. einschließlich der schriftlichen sowie mündlichen Ergänzung.
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Hiergegen hat die Beklagte am 18.01.2002 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie hat weiter vorgetragen, entgegen der von Prof. Dr. Z. in der Stellungnahme vom 30.12.2000 vertretenen Auffassung treffe es nicht zu, dass eine statistische Signifikanz von 1,7 bei Werten ab 156,8 ppt TCDD genüge, um hier von einer ausreichenden Exposition sprechen zu können. Für die generelle Geeignetheit eines Stoffes, mit Gewissheit bestimmte Erkrankungen zu verursachen, sei unter Berücksichtigung der geltenden Rechtslage stets eine Risikoverdoppelung erforderlich. Das von Prof. Dr. Z. erwähnte Regressionsmodell sei nicht geeignet, eine ausreichend hohe Exposition mit dem notwendigen Grad des Vollbeweises zu belegen. In den Mittelwert von 121,1 ppt TCDD für den Arbeitsplatz von G. seien auch kurzzeitige Zufälligkeiten wie z. B. kurzfristig sehr hohe oder aber auch sehr niedrige Expositionen mit eingeflossen. Einen entsprechenden Durchschnittswert für Kurzzeitexponierte zu bilden, sei jedoch nicht möglich, da infolge der zeitlich sehr begrenzten Exposition Zufälligkeiten ein stärkeres Gewicht erlangen könnten und daher ein solcher Wert sehr unsicher und für jeden einzelnen Beschäftigten individuell wäre. Durch solche eher zufälligen Werte könne nicht auf eine genau definierte Expositionshöhe geschlossen werden. Soweit Prof. Dr. Z. die Auffassung vertrete, in der ersten Phase einer Exposition werde viel mehr Gefahrstoff in den Körper aufgenommen als zu späteren Zeiten, handle es sich hierbei nicht um eine gängige, allgemein anerkannte medizinische Lehrmeinung. Sie hat das in ihrem Auftrag erstattete arbeitsmedizinisch-toxikologische Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. Dipl.-Psych. P. vom 04.03.2002 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, da es sich bei TCDD um ein sog. Speichergift handle, bestehe eine innere Exposition auch nach Beschäftigungsende fort. Nach der AUC-Methode könne ein quantitativer Expositionsindikator berechnet werden, der aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht die Gesamtbelastung besser erfasse, da er sowohl die Expositionshöhe als auch die Zeitdauer in die Bewertung einbeziehe. Unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen jährlichen TCDD-Belastung im Chlorphenolbetrieb nach 1957 von 121,1 ppt errechne sich eine Gesamtbelastung bis 1992 von 1241 ppt. Dies entspreche einem standardisierten Mortalitätsrisiko (SMR) von 1,34. Lege man hingegen mit Prof. Dr. Z. die von diesem vorgeschlagene jährliche höhere Dosisrate von 178,3 ppt zu Grunde, so ergebe sich eine kumulierte Dosis von 1825,2 ppt. Auch mit diesem Wert gehöre G. noch hinsichtlich der Expositionsintensität zum dritten Quartil der B.-Kohorte mit einem statistisch nicht signifikant erhöhten Krebsmortalitätsrisiko von 1,34. Für die Expositionsgruppe darüber (4. Quartil) ergebe sich eine Krebs-SMR von 1,73. Sowohl bei Berücksichtigung der Expositionsintensität zum Beschäftigungsende als auch bei der Berechnung der Gesamt-TCDD-Belastung nach der AUC-Methode liege das Krebsmortalitätsrisiko damit lediglich um das 1,2 bis 1,3-fache über dem Risiko der nicht exponierten Vergleichsgruppe.
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Soweit Prof. Dr. Z. argumentiert habe, G. habe wegen seiner individuellen Disposition zu den Personen mit einer hohen TCDD-Belastung gehört, handle es sich lediglich um unbewiesene Spekulationen. Das zweite Hauptargument von Prof. Dr. Z., es gebe pathophysiologische Erkenntnisse über eine erhöhte TCDD-Aufnahme zu Beginn der Exposition, beruhe auf wissenschaftlich falschen Annahmen. Die von ihm genannten wissenschaftlichen Quellen könnten in keiner Weise als Beleg für diese Behauptung herangezogen werden. Insbesondere sei der Forschungsbericht aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (Becher et al., 1998) zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass die ermittelten Dosisraten in Einzelfällen möglicherweise die Belastung von Personen unterschätzten, die nur über einen kurzen Zeitraum im Werk tätig gewesen seien. Soweit bei einzelnen kurzfristig Exponierten numerisch höhere Dosisraten beobachtet worden seien, seien diese Effekte alle nicht signifikant. Es werde auch keine Möglichkeit gesehen, aufgrund der Datensituation zu unterscheiden, ob eine gegenüber der Modellprädikation höhere Konzentration bei Kurzzeitbeschäftigten einer erhöhten Exposition oder einer erhöhten Aufnahme zuzuschreiben sei. Diese potentielle Missklassifikation hinsichtlich der eventuellen Auswirkung in der Dosis-Wirkungsanalyse werde jedoch in der Cox-Regression kontrolliert. Diese Cox-Regressionsanalysen hätten zu dem Ergebnis geführt, dass eine Beschäftigungsdauer von weniger als einem Jahr keinen Einfluss auf die Abschätzung des Krebsrisikos habe (relatives Risiko 0,95). Lediglich für die Beschäftigungsdauer 1 bis 3 Jahre wiesen die vorliegenden Daten auf einen Anstieg des relativen Risikos hin. Diese Beobachtung sei jedoch nach Auffassung der Autoren darauf zurückzuführen, dass für diese Personengruppe eine besonders hohe TCDD-Belastung bestanden habe. Schließlich hätten die Autoren in ihrer zusammenfassenden Bewertung herausgestellt, dass die Dosis-Wirkungs-Analysen als bestes Modell eine nahezu lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen TCDD und Krebsrisiko zeigten.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung des arbeitsmedizinisch-toxikologischen Gutachtens, das der Direktor des Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität D., Prof. Dr. Dr. B., am 18.06.2002 erstattet hat. Dieser legt dar, mit der Annahme, kurzfristig Beschäftigte hätten aufgrund der pathophysiologischen Aufnahmekinetik eine gegenüber Langzeitbeschäftigten erhöhte Belastung von TCDD, sei Prof. Dr. Z. in der Ableitung der toxikokinetischen Gegebenheiten ein Fehler unterlaufen. Wie der Kurvenverlauf auf Bl. 124 der SG-Akte für das Blutfett zeige, komme es bei TCDD-Exposition über einen Zeitraum von 10 Jahren über die Jahre kontinuierlich zu einem fast linearen Anstieg der inneren TCDD-Belastung. Dagegen erscheine der von der Beklagten als Basiswert für die Belastung im Chlorphenolbetrieb ab 1957 herangezogene TCDD-Aufnahmewert von 121,1 ppt insgesamt als konsistent. Insgesamt ergebe sich damit bei einer Tätigkeitszeit von G. von 14 Monaten eine Blutfettbelastung von ca. 140 ppt (ng TCDD/kg). Damit werde die Verdoppelungsgrenze der Krebsmortalität sehr deutlich unterschritten, so dass es nicht möglich sei, die haftungsausfüllende Kausalität im vorliegenden Fall wissenschaftlich zu begründen. Das Gutachten von Dr. P. stehe auf dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und werde von ihm inhaltlich voll mitgetragen.
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Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat ferner von dem früheren Leiter der ärztlichen Beratungsstelle für Chemiearbeiter der Freien und Hansestadt H., Prof. Dr. M., das Gutachten vom 14.02.2003 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, die Mitwirkung des TCDD bei der Verursachung von bösartigen Tumoren im Sinne eines Promoterstoffes sei wissenschaftlich belegt. G. sei nachweislich entsprechend exponiert gewesen, so dass die haftungsbegründende Kausalität einer BK nach Ziffer 1310 der geltenden Liste zu bejahen sei. Bei der Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität sei die von der Beklagten für die Beurteilung entsprechender Schadensfälle bisher angewandte „Konvention“ mit dem darin genannten Belastungsausmaß von mindestens 200 ng/kg Blutfett heranzuziehen. Dr. P. und Prof. Dr. B. hätten zu Unrecht die im vorliegenden Falle gegebenen individuellen Besonderheiten nicht berücksichtigt. Sie würden sogar von Prof. Dr. Z. in ihren Auswirkungen noch unterschätzt. Dass körperlich ungeübte Personen bei entsprechenden Leistungsanforderungen zu Überreaktionen der Kreislauforgane und der Atmung neigten mit der Folge einer vermehrten Schadstoffaufnahme, entspreche wohlbekannten und wissenschaftlich belegten Erkenntnissen der Arbeitsphysiologie. Im Falle von G. sei zusätzlich zu bedenken, dass die bei ihm dokumentierte Dermatitis die Aufnahme des (hautresorptiven) TCDD begünstigt habe. Ferner müsse man davon ausgehen, dass es sich bei den längerfristig Beschäftigten, auf die sich die im vorliegenden Fall die in Betracht gezogene Dosisrate der jährlichen Schadstoffaufnahme beziehe, nicht nur um eine längst an die Arbeitsabläufe gewohnte, sondern auch um eine in gesundheitlicher Hinsicht positiv selektierte Gruppe handle, weil Personen, die wie G. aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie sich den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen fühlen, vorzeitig aus dieser Tätigkeit ausgeschieden seien.
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Entgegen Dr. P. spreche auch die Cox-Regressionsanalyse nicht gegen die von Prof. Dr. Z. angenommene Aufnahmekinetik. In der betreffenden Teilstudie werde zwar die nach 1956 betriebene Chlorphenolabteilung nicht gesondert aufgeführt. Man könne jedoch davon ausgehen, dass die betreffenden Befunde in dem für die „Sammelgruppe 1“ als Jahresdosis angegebenen Wert (287,40 ng/kg/Jahr) enthalten seien.
16 
Gehe man mit Dr. P. davon aus, dass nach der AUC-Methode das Krebsmortalitätsrisiko lediglich um das 1,2 bis 1,3-fache über dem Risiko der nicht exponierten Vergleichsgruppe liege, so hebe dies jedenfalls nicht ein positives Ergebnis in Bezug auf die am Ende der Exposition ermittelte Belastung auf.
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Unabhängig von der Diskussion über die Bedeutung der Verdoppelungsrate sei diese im vorliegenden Fall schon deshalb gegeben, weil es sich um den Fall eines Rektumkarzinoms handle. Schließlich sprächen auch eigene neueste Untersuchungen dafür, dass G. nach dem Ende der Exposition eine Belastung von mehr als 200 ng/kg Blutfett erreicht habe.
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Die Beklagte hat hiergegen eingewandt, die von Prof. Dr. M. angestellten Berechnungen entbehrten einer nachvollziehbaren mathematisch-statistischen Methode. Auch seine medizinische Argumentation basiere lediglich auf Vermutungen und sei wissenschaftlich nicht belegbar. Seiner Argumentation zu folgen bedeute, sich unter Berücksichtung der Unsicherheiten bei der Belastungsabschätzung immer weiter von der Forderung eines gesicherten Expositionsnachweises zu entfernen. Sehe man von der Konvention ab, so müsste die generelle Eignung von 2, 3, 7, 8-TCDD Krebserkrankungen zu verursachen, unter Berücksichtigung des geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes nachgewiesen werden. Das LSG Niedersachsen-Bremen habe in seinem Urteil vom 26.03.2003 - L 3/9/6 U 72/96 die Auffassung vertreten, es habe sich insoweit noch keine herrschende medizinische Lehrmeinung gebildet.
19 
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.11.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
23 
hilfsweise, sämtliche Gutachten und gutachtlichen Stellungnahmen von Dr. med. Dipl.Psych. P. sowie sämtliche Gutachten von Prof. Dr. Dr. B. aus der Gerichtsakte zu entfernen und von der Verwertung auszuschließen,
24 
hilfsweise ferner den anwesenden Prof. Dr. M. gem. § 109 SGG zu den nachfolgenden Beweisfragen mündlich anzuhören:
25 
1. Wie begründet sich der von ihm errechnete Wert für das zur Diskussion stehende Dioxin; gibt es außer den bisher vorgetragenen Argumenten zusätzliche Erkenntnisse?
26 
2. Im Fall einer Kinetik erster Ordnung ergibt sich für kurzfristig Beschäftigte eine relativ größere Giftaufnahme als für längerfristig Beschäftigte; warum ist die in der Abhandlung von Becher aufgeführte Abbildung, auf die sich auch die Berufsgenossenschaft bezieht, nicht geeignet, im Falle des Verstorbenen eine andere Kinetik zu begründen?
27 
3. Welche Bedeutung hat die Feststellung der Risikoverdopplung an Rektumkarzinomen bei den ehemaligen B.-Mitarbeitern für die Beurteilung der Todesursache des Verstorbenen?
28 
Die Beklagte beantragt ferner für den Fall, dass das Gericht dem Antrag gemäß § 109 SGG stattgibt, Prof. Dr. M. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen
29 
Die Klägerin beruft sich auf die Gutachten von Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. M. und vertritt die Auffassung, die Beklagte habe durch die Beauftragung von Dr. P. mit der Erstattung eines Gutachtens gegen die Vorschrift des § 200 Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) verstoßen, weshalb weder die Gutachten und Stellungnahmen von Dr. P. noch die Gutachten von Prof. Dr. B., der sich hierauf gestützt habe, verwertet werden dürften.
30 
Der Senat hat Prof. B. unter Stellung detaillierter Fragen aufgefordert, zum Gutachten von Prof. Dr. M. Stellung zu nehmen. Prof. Dr. M. hat daraufhin unaufgefordert unter dem 01.10.2003 Erläuterungen zu seinem Gutachten vorgelegt. Unter anderem führt er aus, da kein spezieller Schwellenwert für sigmorektale Karzinome bekannt sei, müssten Werte angewandt werden, die für die durch TCDD verursachten Karzinome allgemein gälten. Dennoch stelle die hier gegebene Überhäufigkeit im Sinne einer Verdoppelungsrate ein zusätzliches Indiz für den ursächlichen Zusammenhang dar. Das B.kollektiv habe aus arbeitsmedizinischer und epidemiologischer Sicht eine gesundheitlich eindeutig positiv selektierte Personengruppe dargestellt.
31 
Die Beklagte hat ein Gutachten von Prof. Dr. Ulm zur Publikation von M. et al. „Gesundheitsschäden bei Hexachlorcyclohexan (HCH) - exponierten Chemiewerkern der Insektizidproduktion“ vorgelegt. Prof. Dr. M. hat die Abhandlung (LSG Bl. 230) mit Begleitschreiben vom 30.12.2003 vorgelegt und hierzu ausgeführt, die betrachtete Gruppe sei zu klein, um Rückschlüsse auf die krebserzeugende Wirkung spezieller Schadstoffe treffen zu können. In seinem Gutachten habe er deshalb auf die Abhandlung verwiesen, weil die Aufnahmekinetik des TCDD während der Anfangsphase der Exposition derjenigen des Beta-HCH entspreche.
32 
Nach Auswertung der aufgeführten Unterlagen gab Prof. Dr. Dr. B. am 13.01.2004 eine zusätzliche gutachterliche Stellungnahme ab, in der er seine bisherige Beurteilung aufrecht erhielt. Allerdings sei zu konstatieren, dass nach der heute herrschenden medizinischen Lehrmeinung TCDD generell geeignet sei, Darmkrebserkrankungen zu verursachen. Zur Frage einer möglichen vermehrten Schadstoffaufnahme durch vermehrte Atemtätigkeit bei ungeübten Personen führte er aus, in der Arbeitsphysiologie sei in der Tat akzeptiert, dass körperlich ungeübte Personen bei entsprechenden Leistungsanforderungen zu erhöhten Reaktionen von Herz und Kreislauf neigten. Dies seien jedoch Kurzzeiteffekte. Da G. mehr als ein Jahr im Chlorphenol-Betrieb beschäftigt gewesen sei, sei davon auszugehen, dass der initiale Trainingsprozess längst abgeschlossen gewesen sei. Er sehe aufgrund dieses Arguments keinen wissenschaftlich sinnvollen Grund für die Annahme, dass G. höher gegen TCDD belastet gewesen sei als der Schnitt des Trichlorphenolkollektivs mit einem Belastungswert von 121,1 ppt pro Jahr. Soweit Prof. Dr. M. unter Hinweis auf die Studie von Becher et al. (1989) darauf hingewiesen habe, dass die Dosisraten der Schadstoffaufnahme für Personen mit einer kurzfristigen Tätigkeit (1 bis 3 Jahre) besonders hoch seien und dass deshalb eine höhere Belastung einzelner Kurzzeitbeschäftigter anzunehmen sei, sei diese Annahme in keiner Weise durch Messungen untermauert. Sie stelle lediglich eine Spekulation dar, ohne dass sich hieraus gültige Schlussfolgerungen ziehen ließen.
33 
Zur Frage einer möglichen Beschleunigung der dermalen Resorption von TCDD bei Dermatitiden lägen nach seiner Kenntnis keine wissenschaftlich gültigen Untersuchungen vor.
34 
Ein „healthy-worker-effect“ sei bei der hier untersuchten Gruppe in der Tat möglich. Allerdings gelte die TCDD-Aufnahme von 121,1 ppt pro Jahr für das gesamte Kollektiv im Trichlorphenolbetrieb, weshalb für die hier im Zentrum stehende Frage der Stoffaufnahme ein healthy-worker-effect nicht von Bedeutung sein könne.
35 
Die Cox-Regressionsanalyse von Becker et al. stütze die von Prof. Dr. Z. bejahte Aufnahmekinetik nicht. Zwar werde dort für die Gruppe mit einer Beschäftigungsdauer zwischen 1 und 3 Jahren ein erhöhtes Risiko der Gesamtkrebssterblichkeit von 1,541 gesehen. Dieses Ergebnis sei jedoch nicht statistisch signifikant. Die Daten ließen es nicht zu, ein vielleicht erhöhtes Risiko ursächlich auf eine in der Teilgruppe abgelaufene besonders rasche Gefahrstoffaufnahme zurückzuführen.
36 
Soweit Prof. Dr. M. unter Rückgriff auf eine Statistik von Becher et al. für die „Sammelgruppe I“ (Kurzzeit- und Langzeitbeschäftigte) einen Wert von 287, 40 ng pro kg und Jahr für die nach 1956 betriebene Chlorphenolabteilung entsprechend herangezogen habe, habe er selbst betont, dass dieser Wert wegen des großen Schwankungsbereichs nur als sehr grober Anhaltspunkt gesehen werden könne. Für ihn sei nicht ersichtlich, womit diese Auffassung im Einzelnen zu begründen sei. Schließlich könne er nicht nachvollziehen, dass die von Prof. Dr. M. durchgeführten neuesten Untersuchungen erhöhte Werte der TCDD-Exposition bei Beschäftigungszeiten von weniger als 3 Jahren ergeben hätten. Eine ausführliche Dokumentation werde nämlich nicht gegeben; die im Gutachten gegebene summarische Ausführung erlaube keine begründete Schlussfolgerung.
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Unter dem 23.04.2004 hat Prof. Dr. M. dem Gericht unaufgefordert eine weitere Stellungnahme übersandt. Der Schwerpunkt der Ausführungen ist der Frage der Aufnahmekinetik von TCDD bei kurzfristiger Beschäftigung gewidmet. Unter anderem wird ausgeführt, nach seinen eigenen Erfahrungen aus der betriebsärztlichen Praxis nehme bereits die Eingewöhnung an Arbeitsabläufe in technischen Bereichen in der Regel einige Wochen in Anspruch, die Anpassung an körperlich-muskuläre Anforderungen bei Untrainierten mindestens ein halbes Jahr. Unabhängig davon sei nach den seiner Beratungsstelle vorliegenden Befunden hervorzuheben, dass speziell bei Rektumkarzinomen die Verdoppelungsrate viel eher erreicht werde als bei anderen Krebsfällen. Bis 1998 seien bei den Männern 9 Todesfälle dieser Art registriert worden, während im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nur 3,91 Fälle zu erwarten gewesen wären. Daraus ergebe sich eine alterstandardisierte Mortalitätsrate von 2,30.
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Der Senat hat Prof. M. daraufhin von Amts wegen nochmals zum Sachverständigen ernannt und von ihm die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 11.06.2004 eingeholt, in welcher er seine Eingabe vom 23.04.2004 erläutert. Unter anderem führt er aus, die darin vorgetragenen Sachverhalte seien keineswegs neu gewesen, auch seien keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinzugetreten. Da aus dem Chlorphenolbereich nach 1957 nur wenige Werte vorlägen, habe er bei seinen Berechnungen Beschäftigte aus dem T-Säure-Bereich eingeschlossen und vier Expositionszeitstufen gebildet. Allerdings bleibe die hier besonders interessierende Zeitstufe einer Betriebszugehörigkeit bis 1,5 Jahre mit 6 Fällen weiterhin nur schwach besetzt. In dieser Zeitstufe erhalte man für die zusammengefasste Gruppe der Arbeiter aus dem Chlorphenol- und dem T-Säure Bereich einen Durchschnittswert von 214,77 ng/kg/Jahr.
39 
Die Beklagte hat hierzu zwei beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. P. vom 03.08. und 27.04.2004 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, es sei erklärungsbedürftig, warum in keiner der früher von Prof. Dr. M. zitierten Veröffentlichungen die jetzt behaupteten Einflüsse der Beschäftigungsdauer auf die TCCD-Aufnahmerate dargestellt würden. Diese Auswirkungen seien bisher wissenschaftlich nicht belegt. Würde das Modell von Prof. Dr. M. als Grundlage der Beurteilung herangezogen, so müssten die Dosis-Wirkungsbeziehungen hinsichtlich der Mortalitätsrisiken, auf die sich bisher die Risikobewertung im BK Verfahren gestützt habe, völlig neu berechnet werden. Insbesondere enthielten die von Prof. Dr. M. verwendeten Tabellen aus der Studie von Flesch-Janys et al. von 1998 keine Hinweise für die von ihm behaupteten Zusammenhänge. Auch die Vorgehensweise von Prof. Dr. M., für die neuen Fälle mit Dickdarmkrebs einen Mittelwert und einen Medianwert zu berechnen und diese dann mit dem für G. abzuschätzenden TCCD-Wert in Beziehung zu setzen, sei wissenschaftlich nicht begründbar. In der Studie von Flesch Janys seien nämlich die Mortalitätsraten für die verschiedenen Tumorlokalisationen unabhängig von der Expositionsintensität aufgelistet. Dosis-Wirkungs-Beziehungen auf der Basis der AUC-Methode seien lediglich für Lungenkrebs sowie Krebserkrankungen der blutbildenden Organe untersucht worden. Dabei hätten sich keine konsistenten Zusammenhänge ergeben. Für Dickdarmkrebs seien entsprechende Datenanalysen nicht durchgeführt worden.
40 
Prof. Dr. M. hat hierzu unaufgefordert die Stellungnahme vom 23.11.2004 vorgelegt, in welcher er an seinem bisherigen Standpunkt festhält.
41 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
42 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
43 
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Tod von G. als Folge einer Berufskrankheit (BK) gem. Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
44 
Zutreffend hat das SG dargelegt, dass im vorliegenden Fall gem. §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII allein die bis zum 31.12.1996 gültig gewesenen Rechtsvorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung finden. Aus dem selben Grund sind auch nicht die zum 01.12.1997 in Kraft getretenen Vorschriften der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl I Seite 2623) anzuwenden, die aufgrund des SGB VII erlassen worden ist.
45 
Gem. § 589 Abs. 1 RVO haben Hinterbliebene unter anderem Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Arbeitsunfalls (§ 548 RVO) oder einer BK, die einem Arbeitsunfall gleichgestellt ist (§ 551 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 RVO) eingetreten ist. Dem Tod durch Arbeitsunfall steht der Tod eines Versicherten gleich, dessen Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer BK nach den Nr. 4101 bis 4104 der Anlage 1 zur BKVO um 50 v. H. oder mehr gemindert war. Dies gilt nicht, wenn offenkundig ist, dass der Tod mit der BK nicht in ursächlichem Zusammenhang steht (§ 589 Abs. 2 RVO). Eine BK ist eine Krankheit, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer der in den §§ 539, 540 und 443 bis 445 genannten Tätigkeiten erleiden (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKn zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine in der Anlage 1 zur BKVO bezeichnete Krankheit (sog. Listenkrankheit) muss durch die berufliche Tätigkeit verursacht oder verschlimmert worden sein. Dies ist der Fall, wenn die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert hat (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Erkrankung und das unmittelbar zum Tode führende Leiden gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung des Todes als Folge einer BK die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 9, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285/287). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zu kommt, d. h. dass nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSGE 45, 286). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
46 
Als BK war im vorliegenden Fall lediglich eine solche nach Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKVO zu prüfen, d. h. eine Erkrankung durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryl-Oxide. Zu diesen Verbindungen zählt ausweislich der Bekanntmachung des BMA vom 10.07.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1997 auch Tetrachlordibenzo-p-Dioxin (TCDD). Dagegen kam eine BK nach der Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) nicht in Betracht, weil Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der Kläger einem der hierunter fallenden Gefahrstoffe exponiert war, insbesondere nicht dem Stoff Hexachlorcyclohexan (HCH). G. war nämlich während der Zeit seiner Beschäftigung bei der Firma C. H. B. Sohn vom 07.03.1966 bis 06.05.1967 ausschließlich in deren Chlorphenolbetrieb beschäftigt, in dem Herbizide hergestellt wurden, dagegen nicht in Betrieben, in denen Insektizide (Lindan) hergestellt wurden.
47 
Prof. Dr. Z. ist in seinem Gutachten vom 25.03.2000 auf die Frage, ob die Toxizität von TCDD durch die gleichzeitige Anwesenheit von HCH gesteigert werde, nur deshalb eingegangen, weil das SG - nach Auffassung des Senats ohne Notwendigkeit - ausdrücklich danach gefragt hatte. Auf Bl. 28 seines Gutachtens vom 14.02.2003 hat ferner Prof. Dr. M. zutreffend ausgeführt, dieses Problem habe für die Beantwortung der hier anliegenden Zusammenhangsfrage keine unmittelbare Bedeutung, da maßgeblich das Belastungsausmaß an TCDD sei. In seinem Schreiben vom 01.10.2003 hat Prof. Dr. M. ferner klargestellt, dass er auf seine „zur Veröffentlichung eingereichte“ Arbeit über HCH nur deshalb verwiesen hat, weil er die darin enthaltenen Ausführungen zur Aufnahmekinetik für übertragbar auf die Aufnahme von TCDD hielt.
48 
In Übereinstimmung mit den Beteiligten und sämtlichen gehörten Sachverständigen ist auch der Senat davon überzeugt, dass G. gegenüber TCDD exponiert war. Entgegen der noch vom LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 26.12.2003 - L 6 U 72/96 vertretenen Auffassung handelt es sich hierbei um einen Gefahrstoff, der generell geeignet ist, im Sinne eines Promoterstoffes Darmkrebserkrankungen zu verursachen. Dies kann heute als international geltende Lehrmeinung in der medizinischen Wissenschaft angesehen werden, wie Prof. Dr. M. in seinem Schreiben vom 01.10.2003 unter Hinweis auf den Beschluss des Beratungsgremiums der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) vom Februar 1997 zutreffend dargelegt hat, dem auch Prof. Dr. Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.01.2004 insoweit zugestimmt hat.
49 
Äußerst schwierig gestaltet sich die quantitative Expositionsbewertung. Der Senat berücksichtigt insoweit sämtliche aktenkundigen Gutachten und Stellungnahmen einschließlich des von der Beklagten vorgelegten Aktengutachtens von Dr. P. vom 04.03.2002 und seiner Stellungnahmen vom 03.08. und 27.04.2004, die letzteren drei als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen gem. § 128 Abs. 1 SGG. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin sieht der Senat in der Beauftragung von Dr. P. mit der Erstattung eines Aktengutachtens und mit weiteren Stellungnahmen keinen Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII. Diese Vorschrift greift in den Grundsatz der Amtsermittlung insoweit ein, als die Auswahlfreiheit der Gutachter durch die Unfallversicherungsträger beschränkt wird. Sie ist deshalb eng auszulegen und insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn sich ein Unfallversicherungsträger während eines sozialgerichtlichen Verfahrens fachärztlich beraten lässt (vgl. KassKomm-Ricke, RdNr. 4 zu § 200 SGB VII). Selbst wenn man im übrigen eine Verletzung des § 200 Abs. 2 SGB VII bejahen wollte, würde hierin kein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 40 SGB X, sondern lediglich ein Verfahrensmangel liegen, der kein Verwertungsverbot zur Folge hat (KassKomm-Ricke, RdNr. 7 zu § 200 SGB VII). Aus diesen Gründen hat der Senat dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten ersten Hilfsantrag nicht entsprochen.
50 
Im Regelfall wird die quantitative Expositionsbewertung auf der Basis der von einem aktuell erhobenen TCDD-Blutfettwert auf das Expositionsende zurückgerechneten TCDD-Belastung durchgeführt. Da sich die Klägerin jedoch erst 1 ½ Jahre nach dem Tode von G. an die Beklagte gewandt hat, konnten solche Befunde nicht mehr gewonnen werden. Es blieb daher nichts anderes übrig, als auf die Ergebnisse von Untersuchungen zu den betriebsspezifischen jährlichen TCDD-Zuwachsraten der Körperlast zurückzugreifen. Nach der letzten Untersuchung von Flesch-Janys et al. von 1998, die sich auf 382 Dioxin-Bestimmungen von insgesamt 275 ehemaligen B.-Arbeitern stützt, ergaben sich im Chlorphenolbetrieb in der Zeit ab 1957 jährliche Zuwachsraten zwischen 63,9 und 178,3 ppt. Die durchschnittliche jährliche TCDD-Belastung lag bei 121,1 ppt. Hieraus errechnet sich im Hinblick auf die Beschäftigungszeit von G. von etwa 14 Monaten eine TCDD-Aufnahme von 141,57 ppt.
51 
Nach Auffassung des Senats ist die TCDD-Exposition von G. nur in diesem Umfang im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, wobei die Übernahme von Untersuchungsergebnissen vergleichbar exponierter Arbeiter bereits eine Beweiserleichterung darstellt, um der Beweisnot der Versicherten gerecht zu werden.
52 
Das Argument von Prof. Dr. Z., G. habe wegen seiner individuellen Disposition zu den Personen mit einer hohen TCDD-Belastung gehört, weshalb in seinem Fall nicht vom Mittelwert von 121,1 ppt, sondern von dem oberen Grenzwert von 178,3 ppt auszugehen sei, hält der Senat nicht für stichhaltig. Das von Prof. Dr. Z. herangezogene Ergebnis der Einstellungsuntersuchung lässt nicht den Schluss zu, G. habe sich bei der Aufnahme seiner Tätigkeit in einem reduzierten Gesundheitszustand befunden. Zwar wird der Allgemeinzustand als „ausreichend“ bezeichnet, andererseits jedoch in der Rubrik Allgemeinbefinden ein „gutes Allgemeinbefinden“ bescheinigt. Auch der im Zeugnis der Firma B. vom 18.05.1967 enthaltene Hinweis, das Arbeitsverhältnis sei aus gesundheitlichen Gründen im gegenseitigen Einvernehmen gelöst worden, lässt nicht den Schluss auf fehlende körperliche Eignung zu, weil möglicherweise damit die auch von der Klägerin erwähnte Hautkrankheit gemeint war, derentwegen G. vom 28.07. bis 16.08.1966 krankgeschrieben war. Mit Dr. P. hält der Senat die Argumentation Dr. Z. zum Gesundheitszustand für spekulativ und nicht für geeignet, eine erhöhte TCDD-Aufnahme plausibel zu machen. Ebenso spekulativ sind die Überlegungen, G. sei als kaufmännischer Angestellter generell für die Tätigkeit als Chemiearbeiter ungeeignet gewesen; auch wegen einer erschwerten Anpassung an die körperlich schwere Arbeit im ersten Jahr der Beschäftigung wegen fehlender Routine und Geschicklichkeit sei es zu einer erhöhten TCDD-Aufnahme gekommen. G. wog bei seiner Einstellung 82 kg bei einer Größe von 178 cm und wurde in Bezug auf seinen Körperbau wohl zu Recht als „mittelkräftig“ bezeichnet. Da über den (sportlichen) Trainingszustand von G. im Jahr 1966 nichts bekannt ist, können nach Meinung des Senats kaum Aussagen zur Schwierigkeit der Anpassung an die sicherlich körperlich schwere Arbeit und zur allgemeinen Eignung als Chemiearbeiter gemacht werden. Unterstellt man, dass G. wegen fehlender körperlicher Übung zu Überreaktionen der Kreislauforgane und der Atmung neigte mit der Folge einer vermehrten Schadstoffaufnahme, so kann sich diese vor allem von Prof. Dr. M. vertretene Auffassung immerhin auf Erkenntnisse der Arbeitsphysiologie stützen, wie auch Prof. Dr. Dr. B. eingeräumt hat. Dieser hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nur um Kurzzeiteffekte gehandelt haben kann. Im vorliegenden Fall hat G. etwa 14 Monate im Chlorphenolbetrieb gearbeitet. Bei Beendigung dieser Beschäftigung war der initiale Trainingsprozess längst abgeschlossen. Mit Prof. Dr. Dr. B. sieht der Senat deshalb auch unter der Voraussetzung, G. habe sich wegen fehlender körperlicher Übung erst an die Tätigkeit als Chemiearbeiter gewöhnen müssen, keinen stichhaltigen Grund für die Annahme, dass er gegenüber TCDD höher belastet war als der Schnitt des Trichlorphenolkollektivs mit einem Belastungswert von 121,1 ppt pro Jahr.
53 
Rein spekulativ ist ferner die Vermutung von Prof. Dr. Z., G. habe als Brillenträger mit einer Kurzsichtigkeit von minus 3 Dioptrien bei bestimmten Arbeiten, die mit Schutzmaske zu verrichten gewesen seien, keine Maske getragen und deshalb verstärkt TCDD aufgenommen. Dasselbe gilt für die Annahme von Prof. Dr. M., die bei G. dokumentierte Dermatitis habe die Aufnahme von TCDD begünstigt, da insoweit - so überzeugend Prof. Dr. Dr. B. - keine wissenschaftlich gültigen Untersuchungen vorliegen.
54 
Auch das Argument, kurzfristig Beschäftigte hätten aufgrund der pathophysiologischen Aufnahmekinetik gegenüber Langzeitbeschäftigten eine erhöhte Belastung von TCDD, hält der Senat nicht für tragfähig. Wie Dr. P. überzeugend dargelegt hat, können die von Prof. Dr. Z. genannten wissenschaftlichen Quellen nicht als Beleg für die Behauptung einer verstärkten Aufnahme von TCDD zu Beginn der Exposition herangezogen worden. Dies gilt sowohl für die 1995 publizierte Studie der kanadischen Arbeitsgruppe von G. Carrier als auch für die Studie von Becher et al. vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg von 1998. Im Rahmen der letztgenannten Studie wurde zur Abklärung der Relevanz des Faktors „Kurzzeitbeschäftigung“ eine Analyse durchgeführt, in die nur Personen mit einer Beschäftigungsdauer von einem Jahr und weniger einbezogen wurden. Es handelte sich um insgesamt 16 Personen. Die Autoren hoben jedoch hervor, dass die in einzelnen Bereichen beobachteten numerisch höheren Dosisraten nicht signifikant seien, sodass das vorgelegte Dosisratenmodell aufgrund der Datenverfügbarkeit einen möglichen Zusammenhang einer etwaigen höheren kurzfristigen Exposition und erhöhten Blutkonzentration nicht modelliere. Auch Prof. Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 14.02.2003 eingeräumt, dass der für die „Sammelgruppe I“ als Jahresdosis angegebene Wert von 287,40 ng/kg/Jahr wegen des großen Schwankungsbereichs nur als sehr grober Anhaltspunkt angesehen werden könne. Für Prof. Dr. Dr. B., dem der Senat hierin folgt, ist nicht ersichtlich, womit diese Auffassung im Einzelnen zu begründen ist. Es handelt sich um eine bloße Annahme.
55 
Die These von der besonderen Gefährdung der „Anfänger“ wird auch nicht durch die Ergebnisse des Cox-Regressionsverfahrens gestützt, auf das Prof. Dr. M. insbesondere in seinem Schreiben vom 01.10.2003 abgehoben hat. Nach der seiner Stellungnahme beigefügten Tabelle 6.16 aus der Studie von Becher et al. weist zwar die Gruppe mit einer Beschäftigungsdauer von 1 bis zu 3 Jahren, zu der G. gehörte, im Vergleich zu der Gruppe von 3 bis zu 10 Jahren ein erhöhtes Risiko (1,541) auf. Wie Prof. Dr. Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 13.01.2004 überzeugend dargelegt hat, ist dieses Ergebnis jedoch nicht statistisch signifikant.
56 
Soweit Prof. Dr. M. in seinem Gutachten vom 14.02.2003 behauptet hat, von ihm durchgeführte neueste Untersuchungen hätten ebenfalls erhöhte Werte der TCDD-Exposition bei Beschäftigungszeiten von weniger als 3 Jahren ergeben, sind die entsprechenden Ausführungen - so überzeugend Prof. Dr. Dr. B. - nicht nachvollziehbar, da keine ausführliche Dokumentation gegeben wird und die im Gutachten gegebene summarische Ausführung keine begründete Schlussfolgerung erlaubt.
57 
In seinen Äußerungen vom 23.04. und 11.06.2004 hat Prof. Dr. M. keine neuen wissenschaftlich überprüften Argumente vorgetragen. Zu Recht weist Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 03.08.2004 darauf hin, dass in der Publikation von Flesch-Janys et al. von 1998 der Faktor Beschäftigungsdauer ausführlich diskutiert worden ist. In einer in dieser Studie enthaltenen Grafik werden die gemessenen und geschätzten TCCD-Konzentrationen zum Expositionsende unter Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer miteinander verglichen, wobei sich eine gute Übereinstimmung beider Verfahren ergibt. Für die von Prof. Dr. M. behaupteten Zusammenhänge ergeben die beiden Tabellen aus der zitierten Studie keinen Beleg. Insbesondere überzeugt den Senat nicht, dass Prof. Dr. M. bei seinen Berechnungen in der gutachterlichen Stellungnahme vom 11.06.2004 Beschäftigte aus dem Chlorphenolbereich und aus dem T-Säurebereich zusammengefasst und in einer Zeitstufe bis 1,5 Jahren untersucht hat. Die Zusammenfassung wird damit begründet, dass aus dem nach 1957 betriebenen Chlorphenolbereich nur relativ wenige Werte (23) vorliegen, sodass statistische Analysen mit großen Unsicherheiten verbunden wären. Andererseits muss Prof. Dr. M. einräumen, dass auch bei seiner Zusammenfassung die hier besonders interessierende Zeitstufe bis 1,5 Jahre mit nur 6 Fällen weiterhin nur schwach besetzt ist.
58 
Entgegen der Behauptung von Prof. Dr. M. liegen auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dahingehend vor, dass TCCD speziell bei Rektumkarzinomen eine niedrigere Verdoppelungsrate als bei anderen Krebsformen aufweise. Wie Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 27.04.2004 für den Senat überzeugend aufgezeigt hat, sind nämlich in der von Prof. Dr. M. als Referenz angeführten Studie von Flesch-Janys et al. von 1998 die Mortalitätsraten für die verschiedenen Tumorlokalisationen unabhängig von der Expositionsintensität aufgelistet. Dosis-Wirkungs-Beziehungen auf der Basis der AUC-Methode wurden aber lediglich für Lungenkrebs sowie Krebserkrankungen der blutbildenden Organe untersucht. Dabei haben sich keine konsistenten Zusammenhänge ergeben. Für Dickdarmkrebs wurden entsprechende Datenanalysen nicht durchgeführt. Die Vorgehensweise von Prof. Dr. M., der für neun Fälle mit Dickdarmkrebs einen Mittelwert und einen Medianwert berechnet und diese dann mit dem für G abzuschätzenden TCCD-Wert in Beziehung gesetzt hat, ist deshalb nicht mit wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen zu begründen.
59 
Mithin kann lediglich eine Exposition von 141,57 ppt über die gesamte Beschäftigungszeit als nachgewiesen gelten. Damit lässt sich die sog. haftungsausfüllende Kausalität nicht begründen. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Ursächlichkeit berufsbedingter Schadstoffexpositionen wird angenommen, wenn die schädigenden beruflichen Einwirkungen in einer bestimmten Dosis-Wirkungs-Beziehung stehen, aufgrund derer sich das Risiko einer Erkrankung zumindest in etwa verdoppelt hat. Wird eine solche Risikoverdopplung nicht einmal annähernd erreicht, dann spricht mehr dafür, dass das allgemeine Lebensrisiko sich in der Erkrankung des Versicherten verwirklicht hat, als dass hierfür die berufliche Schadstoffexposition zumindest in Form einer wesentlichen Teilursache mitgewirkt hat (Mehrtens/Perlebach, BKVO, Rndziff. 16 zu § 9 SGB VII m.N.).
60 
Nach der Studie von Flesch-Janys von 1995 lag das relative Risiko nur im obersten Dezil der B.kohorte mit einer TCDD-Konzentration von 344,7 bis 3890,2 ppt über der Marke von 2,0 nämlich bei 2,65. G. gehörte nach dem damaligen Berechnungsmodell zum vierten Quintil (7. und 8. Dezil) mit einer TCDD-Konzentration von 49,3 bis 156,7 ppt entsprechend einem relativen Risiko von 1,24. Noch in der darauf folgenden Dezil mit einer TCDD-Konzentration von 156,8 bis 344,6 ppt lag das relative Risiko nur bei 1,31. Mit Dr. P. und Prof. Dr. Dr. B. geht der Senat deshalb davon aus, dass nach den publizierten epidemiologischen Studien zur Krebsmortalität bei den ehemaligen B.-Arbeitern ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko für G. nicht belegt ist.
61 
Dies gilt auch dann, wenn die zum jetzigen Zeitpunkt geltende Konvention zur Frage eines Krebsrisikos nach Dioxinbelastung zugrunde gelegt wird. Mit dieser Konvention hat die Beklagte aufgrund der überdeutlichen Erhöhung mit einer sog. SMR (standardisierte Mortalitätsrate) von 2,65 einen Schwankungsbereich zu Gunsten der Betroffenen angenommen, sodass ab einer zurückgerechneten Belastung von 300 bis 200 ppt TCDD ein entsprechend positiver Zusammenhang für den Betroffenen angenommen wird, sofern nicht auch andere wesentliche Risikofaktoren vorliegen. Ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine derartige Konvention die Gerichte bindet, und ob sie - ähnlich wie z. B. die Grundsätze für die Beurteilung der Bewertung der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit - rechtlich als sog. antizipiertes Sachverständigengutachten einzustufen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, da G. auch den nach der Konvention maßgeblichen untersten Grenzwert von 200 ppt nicht erreicht hat.
62 
Schließlich hat der Senat auch den zweiten Hilfsantrag der Klägerin abgelehnt, Prof. Dr. M. in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2004 als Sachverständigen zu den drei von der Klägerin formulierten und im Tatbestand wiedergegebenen Fragen zu hören. Aus § 109 SGG konnte die Klägerin diesen Anspruch nicht ableiten, weil Prof. Dr. M. bereits nach dieser Vorschrift das schriftliche Gutachten vom 14.02.2003 erstattet, unaufgefordert seine erläuternden Stellungnahmen vom 01.10.2003 und 23.04.2004 abgegeben, als Sachverständiger von Amts wegen das ergänzende Gutachten vom 11.06.2004 erstattet und schließlich unter dem 23.11.2004 eine weitere Stellungnahme unaufgefordert vorgelegt hat. Das Antragsrecht nach § 109 SGG ist damit verbraucht.
63 
Die Klägerin konnte ihren Antrag auch nicht auf die Vorschriften des § 118 SGG i.V.m. § 411 der Zivilprozessordnung (ZPO) stützen. Nach § 411 Abs. 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Die Beteiligten haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen (§ 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat lässt offen, ob der Antrag im Hinblick auf die letztgenannte Vorschrift verspätet ist, da er erst in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist und die Klägerin zuvor nicht beantragt hatte, Prof. Dr. M. in die Sitzung zu laden. Andernfalls hätte der Senat nämlich grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, anstelle einer Ladung von Prof. Dr. M. diesen nochmals schriftlich zu den von der Klägerin benannten Fragenkomplexen zu hören.
64 
Ausschlaggebend für die Ablehnung des Antrags waren für den Senat zwei Gründe. Zum einen hat sich Prof. Dr. M. zu allen drei Fragekomplexen bereits ausführlich geäußert. In seiner als Sachverständiger von Amts wegen abgegebenen Äußerung vom 11.06.2004 hat er (S. 12) ausdrücklich erklärt, seine jetzt vorliegenden Erklärungen beschrieben den Sachverhalt ausreichend; er halte keine Daten zurück; auch nicht aus prozesstaktischen Gründen (Frage 1). Ebenfalls in seiner Äußerung vom 11.06.2004 ist Prof. Dr. M. auch auf die Studie von Becher und die seiner Äußerung vom 23.04.2004 beigefügte Abbildung eingegangen (Frage 2). Zu Frage 3 hat sich Prof. Dr. M. mehrfach geäußert auf S. 36 und 39 seines Gutachtens vom 14.02.2003, Seite 4 seiner Äußerung vom 01.10.2003, S. 5/6 seiner Äußerung vom 23.04.2004 und zuletzt auf S. 4 seiner Äußerung vom 23.11.2004. Unter diesen Umständen hat es der Senat nicht als sachdienlich angesehen, Prof. Dr. M. zusätzlich mündlich zu den drei Fragenkomplexen anzuhören. Eine Pflicht des Gerichts, den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden oder gar den nicht geladenen, aber „unaufgefordert erschienenen“ Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören, besteht nur dann, wenn bestehende Zweifel am Sachverhalt durch schriftliche Nachfragen nur unzulänglich geklärt werden können. Das Fragerecht darf nicht zu dem Zweck eingesetzt werden, die Beweiswürdigung des Gerichts bei Gutachten mit widersprechenden Ergebnissen durch mündliche Befragung desjenigen Sachverständigen zu beeinflussen, der zu einem für den Kläger positiven Ergebnis gekommen ist (Krasney-Udsching, Handb. des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3 A. 2002). So verhält es sich hier.
65 
Zum anderen hätte das vom Sitzungsvertreter der Beklagten angekündigte Befangenheitsgesuch wohl zum Erfolg geführt, wenn der Senat dem Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben hätte. Prof. Dr. M. hat in einer Verhandlungspause zusammen mit der Klägerin den Sitzungssaal verlassen, um sich mit ihr zu besprechen. Dieses Verhalten konnte vom Standpunkt eines Verfahrensbeteiligten bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise den Eindruck hervorrufen, dem Sachverständigen gehe es weniger darum, dem Gericht die entscheidungserheblichen Fachkenntnisse zu vermitteln, als darum, die Klägerin zu beraten und damit einseitig deren Interessen zu vertreten.
66 
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

Gründe

 
42 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
43 
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Tod von G. als Folge einer Berufskrankheit (BK) gem. Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
44 
Zutreffend hat das SG dargelegt, dass im vorliegenden Fall gem. §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII allein die bis zum 31.12.1996 gültig gewesenen Rechtsvorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung finden. Aus dem selben Grund sind auch nicht die zum 01.12.1997 in Kraft getretenen Vorschriften der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl I Seite 2623) anzuwenden, die aufgrund des SGB VII erlassen worden ist.
45 
Gem. § 589 Abs. 1 RVO haben Hinterbliebene unter anderem Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Arbeitsunfalls (§ 548 RVO) oder einer BK, die einem Arbeitsunfall gleichgestellt ist (§ 551 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 RVO) eingetreten ist. Dem Tod durch Arbeitsunfall steht der Tod eines Versicherten gleich, dessen Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer BK nach den Nr. 4101 bis 4104 der Anlage 1 zur BKVO um 50 v. H. oder mehr gemindert war. Dies gilt nicht, wenn offenkundig ist, dass der Tod mit der BK nicht in ursächlichem Zusammenhang steht (§ 589 Abs. 2 RVO). Eine BK ist eine Krankheit, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer der in den §§ 539, 540 und 443 bis 445 genannten Tätigkeiten erleiden (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKn zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine in der Anlage 1 zur BKVO bezeichnete Krankheit (sog. Listenkrankheit) muss durch die berufliche Tätigkeit verursacht oder verschlimmert worden sein. Dies ist der Fall, wenn die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert hat (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Erkrankung und das unmittelbar zum Tode führende Leiden gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung des Todes als Folge einer BK die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 9, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285/287). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zu kommt, d. h. dass nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSGE 45, 286). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
46 
Als BK war im vorliegenden Fall lediglich eine solche nach Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKVO zu prüfen, d. h. eine Erkrankung durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryl-Oxide. Zu diesen Verbindungen zählt ausweislich der Bekanntmachung des BMA vom 10.07.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1997 auch Tetrachlordibenzo-p-Dioxin (TCDD). Dagegen kam eine BK nach der Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) nicht in Betracht, weil Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der Kläger einem der hierunter fallenden Gefahrstoffe exponiert war, insbesondere nicht dem Stoff Hexachlorcyclohexan (HCH). G. war nämlich während der Zeit seiner Beschäftigung bei der Firma C. H. B. Sohn vom 07.03.1966 bis 06.05.1967 ausschließlich in deren Chlorphenolbetrieb beschäftigt, in dem Herbizide hergestellt wurden, dagegen nicht in Betrieben, in denen Insektizide (Lindan) hergestellt wurden.
47 
Prof. Dr. Z. ist in seinem Gutachten vom 25.03.2000 auf die Frage, ob die Toxizität von TCDD durch die gleichzeitige Anwesenheit von HCH gesteigert werde, nur deshalb eingegangen, weil das SG - nach Auffassung des Senats ohne Notwendigkeit - ausdrücklich danach gefragt hatte. Auf Bl. 28 seines Gutachtens vom 14.02.2003 hat ferner Prof. Dr. M. zutreffend ausgeführt, dieses Problem habe für die Beantwortung der hier anliegenden Zusammenhangsfrage keine unmittelbare Bedeutung, da maßgeblich das Belastungsausmaß an TCDD sei. In seinem Schreiben vom 01.10.2003 hat Prof. Dr. M. ferner klargestellt, dass er auf seine „zur Veröffentlichung eingereichte“ Arbeit über HCH nur deshalb verwiesen hat, weil er die darin enthaltenen Ausführungen zur Aufnahmekinetik für übertragbar auf die Aufnahme von TCDD hielt.
48 
In Übereinstimmung mit den Beteiligten und sämtlichen gehörten Sachverständigen ist auch der Senat davon überzeugt, dass G. gegenüber TCDD exponiert war. Entgegen der noch vom LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 26.12.2003 - L 6 U 72/96 vertretenen Auffassung handelt es sich hierbei um einen Gefahrstoff, der generell geeignet ist, im Sinne eines Promoterstoffes Darmkrebserkrankungen zu verursachen. Dies kann heute als international geltende Lehrmeinung in der medizinischen Wissenschaft angesehen werden, wie Prof. Dr. M. in seinem Schreiben vom 01.10.2003 unter Hinweis auf den Beschluss des Beratungsgremiums der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) vom Februar 1997 zutreffend dargelegt hat, dem auch Prof. Dr. Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.01.2004 insoweit zugestimmt hat.
49 
Äußerst schwierig gestaltet sich die quantitative Expositionsbewertung. Der Senat berücksichtigt insoweit sämtliche aktenkundigen Gutachten und Stellungnahmen einschließlich des von der Beklagten vorgelegten Aktengutachtens von Dr. P. vom 04.03.2002 und seiner Stellungnahmen vom 03.08. und 27.04.2004, die letzteren drei als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen gem. § 128 Abs. 1 SGG. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin sieht der Senat in der Beauftragung von Dr. P. mit der Erstattung eines Aktengutachtens und mit weiteren Stellungnahmen keinen Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII. Diese Vorschrift greift in den Grundsatz der Amtsermittlung insoweit ein, als die Auswahlfreiheit der Gutachter durch die Unfallversicherungsträger beschränkt wird. Sie ist deshalb eng auszulegen und insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn sich ein Unfallversicherungsträger während eines sozialgerichtlichen Verfahrens fachärztlich beraten lässt (vgl. KassKomm-Ricke, RdNr. 4 zu § 200 SGB VII). Selbst wenn man im übrigen eine Verletzung des § 200 Abs. 2 SGB VII bejahen wollte, würde hierin kein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 40 SGB X, sondern lediglich ein Verfahrensmangel liegen, der kein Verwertungsverbot zur Folge hat (KassKomm-Ricke, RdNr. 7 zu § 200 SGB VII). Aus diesen Gründen hat der Senat dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten ersten Hilfsantrag nicht entsprochen.
50 
Im Regelfall wird die quantitative Expositionsbewertung auf der Basis der von einem aktuell erhobenen TCDD-Blutfettwert auf das Expositionsende zurückgerechneten TCDD-Belastung durchgeführt. Da sich die Klägerin jedoch erst 1 ½ Jahre nach dem Tode von G. an die Beklagte gewandt hat, konnten solche Befunde nicht mehr gewonnen werden. Es blieb daher nichts anderes übrig, als auf die Ergebnisse von Untersuchungen zu den betriebsspezifischen jährlichen TCDD-Zuwachsraten der Körperlast zurückzugreifen. Nach der letzten Untersuchung von Flesch-Janys et al. von 1998, die sich auf 382 Dioxin-Bestimmungen von insgesamt 275 ehemaligen B.-Arbeitern stützt, ergaben sich im Chlorphenolbetrieb in der Zeit ab 1957 jährliche Zuwachsraten zwischen 63,9 und 178,3 ppt. Die durchschnittliche jährliche TCDD-Belastung lag bei 121,1 ppt. Hieraus errechnet sich im Hinblick auf die Beschäftigungszeit von G. von etwa 14 Monaten eine TCDD-Aufnahme von 141,57 ppt.
51 
Nach Auffassung des Senats ist die TCDD-Exposition von G. nur in diesem Umfang im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, wobei die Übernahme von Untersuchungsergebnissen vergleichbar exponierter Arbeiter bereits eine Beweiserleichterung darstellt, um der Beweisnot der Versicherten gerecht zu werden.
52 
Das Argument von Prof. Dr. Z., G. habe wegen seiner individuellen Disposition zu den Personen mit einer hohen TCDD-Belastung gehört, weshalb in seinem Fall nicht vom Mittelwert von 121,1 ppt, sondern von dem oberen Grenzwert von 178,3 ppt auszugehen sei, hält der Senat nicht für stichhaltig. Das von Prof. Dr. Z. herangezogene Ergebnis der Einstellungsuntersuchung lässt nicht den Schluss zu, G. habe sich bei der Aufnahme seiner Tätigkeit in einem reduzierten Gesundheitszustand befunden. Zwar wird der Allgemeinzustand als „ausreichend“ bezeichnet, andererseits jedoch in der Rubrik Allgemeinbefinden ein „gutes Allgemeinbefinden“ bescheinigt. Auch der im Zeugnis der Firma B. vom 18.05.1967 enthaltene Hinweis, das Arbeitsverhältnis sei aus gesundheitlichen Gründen im gegenseitigen Einvernehmen gelöst worden, lässt nicht den Schluss auf fehlende körperliche Eignung zu, weil möglicherweise damit die auch von der Klägerin erwähnte Hautkrankheit gemeint war, derentwegen G. vom 28.07. bis 16.08.1966 krankgeschrieben war. Mit Dr. P. hält der Senat die Argumentation Dr. Z. zum Gesundheitszustand für spekulativ und nicht für geeignet, eine erhöhte TCDD-Aufnahme plausibel zu machen. Ebenso spekulativ sind die Überlegungen, G. sei als kaufmännischer Angestellter generell für die Tätigkeit als Chemiearbeiter ungeeignet gewesen; auch wegen einer erschwerten Anpassung an die körperlich schwere Arbeit im ersten Jahr der Beschäftigung wegen fehlender Routine und Geschicklichkeit sei es zu einer erhöhten TCDD-Aufnahme gekommen. G. wog bei seiner Einstellung 82 kg bei einer Größe von 178 cm und wurde in Bezug auf seinen Körperbau wohl zu Recht als „mittelkräftig“ bezeichnet. Da über den (sportlichen) Trainingszustand von G. im Jahr 1966 nichts bekannt ist, können nach Meinung des Senats kaum Aussagen zur Schwierigkeit der Anpassung an die sicherlich körperlich schwere Arbeit und zur allgemeinen Eignung als Chemiearbeiter gemacht werden. Unterstellt man, dass G. wegen fehlender körperlicher Übung zu Überreaktionen der Kreislauforgane und der Atmung neigte mit der Folge einer vermehrten Schadstoffaufnahme, so kann sich diese vor allem von Prof. Dr. M. vertretene Auffassung immerhin auf Erkenntnisse der Arbeitsphysiologie stützen, wie auch Prof. Dr. Dr. B. eingeräumt hat. Dieser hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nur um Kurzzeiteffekte gehandelt haben kann. Im vorliegenden Fall hat G. etwa 14 Monate im Chlorphenolbetrieb gearbeitet. Bei Beendigung dieser Beschäftigung war der initiale Trainingsprozess längst abgeschlossen. Mit Prof. Dr. Dr. B. sieht der Senat deshalb auch unter der Voraussetzung, G. habe sich wegen fehlender körperlicher Übung erst an die Tätigkeit als Chemiearbeiter gewöhnen müssen, keinen stichhaltigen Grund für die Annahme, dass er gegenüber TCDD höher belastet war als der Schnitt des Trichlorphenolkollektivs mit einem Belastungswert von 121,1 ppt pro Jahr.
53 
Rein spekulativ ist ferner die Vermutung von Prof. Dr. Z., G. habe als Brillenträger mit einer Kurzsichtigkeit von minus 3 Dioptrien bei bestimmten Arbeiten, die mit Schutzmaske zu verrichten gewesen seien, keine Maske getragen und deshalb verstärkt TCDD aufgenommen. Dasselbe gilt für die Annahme von Prof. Dr. M., die bei G. dokumentierte Dermatitis habe die Aufnahme von TCDD begünstigt, da insoweit - so überzeugend Prof. Dr. Dr. B. - keine wissenschaftlich gültigen Untersuchungen vorliegen.
54 
Auch das Argument, kurzfristig Beschäftigte hätten aufgrund der pathophysiologischen Aufnahmekinetik gegenüber Langzeitbeschäftigten eine erhöhte Belastung von TCDD, hält der Senat nicht für tragfähig. Wie Dr. P. überzeugend dargelegt hat, können die von Prof. Dr. Z. genannten wissenschaftlichen Quellen nicht als Beleg für die Behauptung einer verstärkten Aufnahme von TCDD zu Beginn der Exposition herangezogen worden. Dies gilt sowohl für die 1995 publizierte Studie der kanadischen Arbeitsgruppe von G. Carrier als auch für die Studie von Becher et al. vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg von 1998. Im Rahmen der letztgenannten Studie wurde zur Abklärung der Relevanz des Faktors „Kurzzeitbeschäftigung“ eine Analyse durchgeführt, in die nur Personen mit einer Beschäftigungsdauer von einem Jahr und weniger einbezogen wurden. Es handelte sich um insgesamt 16 Personen. Die Autoren hoben jedoch hervor, dass die in einzelnen Bereichen beobachteten numerisch höheren Dosisraten nicht signifikant seien, sodass das vorgelegte Dosisratenmodell aufgrund der Datenverfügbarkeit einen möglichen Zusammenhang einer etwaigen höheren kurzfristigen Exposition und erhöhten Blutkonzentration nicht modelliere. Auch Prof. Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 14.02.2003 eingeräumt, dass der für die „Sammelgruppe I“ als Jahresdosis angegebene Wert von 287,40 ng/kg/Jahr wegen des großen Schwankungsbereichs nur als sehr grober Anhaltspunkt angesehen werden könne. Für Prof. Dr. Dr. B., dem der Senat hierin folgt, ist nicht ersichtlich, womit diese Auffassung im Einzelnen zu begründen ist. Es handelt sich um eine bloße Annahme.
55 
Die These von der besonderen Gefährdung der „Anfänger“ wird auch nicht durch die Ergebnisse des Cox-Regressionsverfahrens gestützt, auf das Prof. Dr. M. insbesondere in seinem Schreiben vom 01.10.2003 abgehoben hat. Nach der seiner Stellungnahme beigefügten Tabelle 6.16 aus der Studie von Becher et al. weist zwar die Gruppe mit einer Beschäftigungsdauer von 1 bis zu 3 Jahren, zu der G. gehörte, im Vergleich zu der Gruppe von 3 bis zu 10 Jahren ein erhöhtes Risiko (1,541) auf. Wie Prof. Dr. Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 13.01.2004 überzeugend dargelegt hat, ist dieses Ergebnis jedoch nicht statistisch signifikant.
56 
Soweit Prof. Dr. M. in seinem Gutachten vom 14.02.2003 behauptet hat, von ihm durchgeführte neueste Untersuchungen hätten ebenfalls erhöhte Werte der TCDD-Exposition bei Beschäftigungszeiten von weniger als 3 Jahren ergeben, sind die entsprechenden Ausführungen - so überzeugend Prof. Dr. Dr. B. - nicht nachvollziehbar, da keine ausführliche Dokumentation gegeben wird und die im Gutachten gegebene summarische Ausführung keine begründete Schlussfolgerung erlaubt.
57 
In seinen Äußerungen vom 23.04. und 11.06.2004 hat Prof. Dr. M. keine neuen wissenschaftlich überprüften Argumente vorgetragen. Zu Recht weist Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 03.08.2004 darauf hin, dass in der Publikation von Flesch-Janys et al. von 1998 der Faktor Beschäftigungsdauer ausführlich diskutiert worden ist. In einer in dieser Studie enthaltenen Grafik werden die gemessenen und geschätzten TCCD-Konzentrationen zum Expositionsende unter Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer miteinander verglichen, wobei sich eine gute Übereinstimmung beider Verfahren ergibt. Für die von Prof. Dr. M. behaupteten Zusammenhänge ergeben die beiden Tabellen aus der zitierten Studie keinen Beleg. Insbesondere überzeugt den Senat nicht, dass Prof. Dr. M. bei seinen Berechnungen in der gutachterlichen Stellungnahme vom 11.06.2004 Beschäftigte aus dem Chlorphenolbereich und aus dem T-Säurebereich zusammengefasst und in einer Zeitstufe bis 1,5 Jahren untersucht hat. Die Zusammenfassung wird damit begründet, dass aus dem nach 1957 betriebenen Chlorphenolbereich nur relativ wenige Werte (23) vorliegen, sodass statistische Analysen mit großen Unsicherheiten verbunden wären. Andererseits muss Prof. Dr. M. einräumen, dass auch bei seiner Zusammenfassung die hier besonders interessierende Zeitstufe bis 1,5 Jahre mit nur 6 Fällen weiterhin nur schwach besetzt ist.
58 
Entgegen der Behauptung von Prof. Dr. M. liegen auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dahingehend vor, dass TCCD speziell bei Rektumkarzinomen eine niedrigere Verdoppelungsrate als bei anderen Krebsformen aufweise. Wie Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 27.04.2004 für den Senat überzeugend aufgezeigt hat, sind nämlich in der von Prof. Dr. M. als Referenz angeführten Studie von Flesch-Janys et al. von 1998 die Mortalitätsraten für die verschiedenen Tumorlokalisationen unabhängig von der Expositionsintensität aufgelistet. Dosis-Wirkungs-Beziehungen auf der Basis der AUC-Methode wurden aber lediglich für Lungenkrebs sowie Krebserkrankungen der blutbildenden Organe untersucht. Dabei haben sich keine konsistenten Zusammenhänge ergeben. Für Dickdarmkrebs wurden entsprechende Datenanalysen nicht durchgeführt. Die Vorgehensweise von Prof. Dr. M., der für neun Fälle mit Dickdarmkrebs einen Mittelwert und einen Medianwert berechnet und diese dann mit dem für G abzuschätzenden TCCD-Wert in Beziehung gesetzt hat, ist deshalb nicht mit wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen zu begründen.
59 
Mithin kann lediglich eine Exposition von 141,57 ppt über die gesamte Beschäftigungszeit als nachgewiesen gelten. Damit lässt sich die sog. haftungsausfüllende Kausalität nicht begründen. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Ursächlichkeit berufsbedingter Schadstoffexpositionen wird angenommen, wenn die schädigenden beruflichen Einwirkungen in einer bestimmten Dosis-Wirkungs-Beziehung stehen, aufgrund derer sich das Risiko einer Erkrankung zumindest in etwa verdoppelt hat. Wird eine solche Risikoverdopplung nicht einmal annähernd erreicht, dann spricht mehr dafür, dass das allgemeine Lebensrisiko sich in der Erkrankung des Versicherten verwirklicht hat, als dass hierfür die berufliche Schadstoffexposition zumindest in Form einer wesentlichen Teilursache mitgewirkt hat (Mehrtens/Perlebach, BKVO, Rndziff. 16 zu § 9 SGB VII m.N.).
60 
Nach der Studie von Flesch-Janys von 1995 lag das relative Risiko nur im obersten Dezil der B.kohorte mit einer TCDD-Konzentration von 344,7 bis 3890,2 ppt über der Marke von 2,0 nämlich bei 2,65. G. gehörte nach dem damaligen Berechnungsmodell zum vierten Quintil (7. und 8. Dezil) mit einer TCDD-Konzentration von 49,3 bis 156,7 ppt entsprechend einem relativen Risiko von 1,24. Noch in der darauf folgenden Dezil mit einer TCDD-Konzentration von 156,8 bis 344,6 ppt lag das relative Risiko nur bei 1,31. Mit Dr. P. und Prof. Dr. Dr. B. geht der Senat deshalb davon aus, dass nach den publizierten epidemiologischen Studien zur Krebsmortalität bei den ehemaligen B.-Arbeitern ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko für G. nicht belegt ist.
61 
Dies gilt auch dann, wenn die zum jetzigen Zeitpunkt geltende Konvention zur Frage eines Krebsrisikos nach Dioxinbelastung zugrunde gelegt wird. Mit dieser Konvention hat die Beklagte aufgrund der überdeutlichen Erhöhung mit einer sog. SMR (standardisierte Mortalitätsrate) von 2,65 einen Schwankungsbereich zu Gunsten der Betroffenen angenommen, sodass ab einer zurückgerechneten Belastung von 300 bis 200 ppt TCDD ein entsprechend positiver Zusammenhang für den Betroffenen angenommen wird, sofern nicht auch andere wesentliche Risikofaktoren vorliegen. Ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine derartige Konvention die Gerichte bindet, und ob sie - ähnlich wie z. B. die Grundsätze für die Beurteilung der Bewertung der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit - rechtlich als sog. antizipiertes Sachverständigengutachten einzustufen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, da G. auch den nach der Konvention maßgeblichen untersten Grenzwert von 200 ppt nicht erreicht hat.
62 
Schließlich hat der Senat auch den zweiten Hilfsantrag der Klägerin abgelehnt, Prof. Dr. M. in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2004 als Sachverständigen zu den drei von der Klägerin formulierten und im Tatbestand wiedergegebenen Fragen zu hören. Aus § 109 SGG konnte die Klägerin diesen Anspruch nicht ableiten, weil Prof. Dr. M. bereits nach dieser Vorschrift das schriftliche Gutachten vom 14.02.2003 erstattet, unaufgefordert seine erläuternden Stellungnahmen vom 01.10.2003 und 23.04.2004 abgegeben, als Sachverständiger von Amts wegen das ergänzende Gutachten vom 11.06.2004 erstattet und schließlich unter dem 23.11.2004 eine weitere Stellungnahme unaufgefordert vorgelegt hat. Das Antragsrecht nach § 109 SGG ist damit verbraucht.
63 
Die Klägerin konnte ihren Antrag auch nicht auf die Vorschriften des § 118 SGG i.V.m. § 411 der Zivilprozessordnung (ZPO) stützen. Nach § 411 Abs. 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Die Beteiligten haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen (§ 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat lässt offen, ob der Antrag im Hinblick auf die letztgenannte Vorschrift verspätet ist, da er erst in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist und die Klägerin zuvor nicht beantragt hatte, Prof. Dr. M. in die Sitzung zu laden. Andernfalls hätte der Senat nämlich grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, anstelle einer Ladung von Prof. Dr. M. diesen nochmals schriftlich zu den von der Klägerin benannten Fragenkomplexen zu hören.
64 
Ausschlaggebend für die Ablehnung des Antrags waren für den Senat zwei Gründe. Zum einen hat sich Prof. Dr. M. zu allen drei Fragekomplexen bereits ausführlich geäußert. In seiner als Sachverständiger von Amts wegen abgegebenen Äußerung vom 11.06.2004 hat er (S. 12) ausdrücklich erklärt, seine jetzt vorliegenden Erklärungen beschrieben den Sachverhalt ausreichend; er halte keine Daten zurück; auch nicht aus prozesstaktischen Gründen (Frage 1). Ebenfalls in seiner Äußerung vom 11.06.2004 ist Prof. Dr. M. auch auf die Studie von Becher und die seiner Äußerung vom 23.04.2004 beigefügte Abbildung eingegangen (Frage 2). Zu Frage 3 hat sich Prof. Dr. M. mehrfach geäußert auf S. 36 und 39 seines Gutachtens vom 14.02.2003, Seite 4 seiner Äußerung vom 01.10.2003, S. 5/6 seiner Äußerung vom 23.04.2004 und zuletzt auf S. 4 seiner Äußerung vom 23.11.2004. Unter diesen Umständen hat es der Senat nicht als sachdienlich angesehen, Prof. Dr. M. zusätzlich mündlich zu den drei Fragenkomplexen anzuhören. Eine Pflicht des Gerichts, den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden oder gar den nicht geladenen, aber „unaufgefordert erschienenen“ Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören, besteht nur dann, wenn bestehende Zweifel am Sachverhalt durch schriftliche Nachfragen nur unzulänglich geklärt werden können. Das Fragerecht darf nicht zu dem Zweck eingesetzt werden, die Beweiswürdigung des Gerichts bei Gutachten mit widersprechenden Ergebnissen durch mündliche Befragung desjenigen Sachverständigen zu beeinflussen, der zu einem für den Kläger positiven Ergebnis gekommen ist (Krasney-Udsching, Handb. des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3 A. 2002). So verhält es sich hier.
65 
Zum anderen hätte das vom Sitzungsvertreter der Beklagten angekündigte Befangenheitsgesuch wohl zum Erfolg geführt, wenn der Senat dem Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben hätte. Prof. Dr. M. hat in einer Verhandlungspause zusammen mit der Klägerin den Sitzungssaal verlassen, um sich mit ihr zu besprechen. Dieses Verhalten konnte vom Standpunkt eines Verfahrensbeteiligten bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise den Eindruck hervorrufen, dem Sachverständigen gehe es weniger darum, dem Gericht die entscheidungserheblichen Fachkenntnisse zu vermitteln, als darum, die Klägerin zu beraten und damit einseitig deren Interessen zu vertreten.
66 
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. Dez. 2004 - L 7 U 217/02 zitiert 18 §§.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 40 Nichtigkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 212 Grundsatz


Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 214 Geltung auch für frühere Versicherungsfälle


(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 200 Einschränkung der Übermittlungsbefugnis


(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches verpflichtet ist.

(2) Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; die betroffene Person ist außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 des Zehnten Buches hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches verpflichtet ist.

(2) Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; die betroffene Person ist außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 des Zehnten Buches hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches verpflichtet ist.

(2) Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; die betroffene Person ist außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 des Zehnten Buches hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches verpflichtet ist.

(2) Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; die betroffene Person ist außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 des Zehnten Buches hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.