Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 10. Dez. 2014 - L 2 SO 4519/12

bei uns veröffentlicht am10.12.2014

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts F. vom 26. September 2012 sowie der Bescheid vom 6. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2012 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen für eine pädagogische Hilfe im Kindergarten für den Zeitraum 1. November 2011 bis 31. August 2012 in Höhe von monatlich 460,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger Leistungen für eine pädagogische Hilfe im Kindergarten für den Zeitraum 01.11.2011 bis 31.08.2012 zu bewilligen hat.
Der am 2005 geborene Kläger leidet an einem Klinefelter Syndrom sowie damit verbundenen Entwicklungsverzögerungen, Interaktions- und Integrationsstörungen. Zu seinen Gunsten ist ein Grad der Behinderung von 80 seit dem 11.10.2013 festgestellt (zuvor GdB 70, anerkannte Funktionsbeeinträchtigungen: Klinefeltersyndrom, Psychomotorische Entwicklungsstörung, Lernbehinderung, Sprachentwicklungsverzögerung, Harninkontinenz).
Am 12.04.2010 beantragten die Eltern des Klägers für ihren Sohn heilpädagogische Frühförderung nach § 55 SGB IX und Eingliederungshilfe im Kindergarten nach den §§ 53, 54 SGB XII (Bl. 1 Verwaltungsakte - VA -). In einem ärztlichen Zeugnis vom 22.03.2010 bestätigte der behandelnde Kinderarzt Dr. N. das Vorliegen eines Klinefelter Syndroms, einer senso-/psychomotorisch-perzeptiven Entwicklungsverzögerung, einer Sprachentwicklungsverzögerung (rückläufig) sowie von sozioemotionalen Interaktions- und Integrationsstörungen. Organisch funktionell bestünden grob-/feinmotorische und koordinative Defizite, eine sensomotorisch-perzeptive Integrationsschwäche sowie eine sozio-emotionale Problematik (Bl. 5 VA). Entsprechende Befunde und Diagnosen finden sich auch in Berichten des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) der Universität F. vom 26.02. und 05.08.2010 (globale psychomotorische Retardierung, Verhaltensauffälligkeiten im Sinne sozialer Ängstlichkeit und Vermeidungsverhalten; eine Integrationshilfe sei notwendig, um die Spirale von Vermeidung und Rückzug zu unterbrechen und S. die Möglichkeit zu geben, sein Entwicklungspotenzial zu entfalten, Bl. 11 u. 49 VA). Der katholische Kindergarten St. J. teilte auf Nachfrage des Beklagten mit, Aufmerksamkeit, Konzentration und Ausdauer des Klägers seien begrenzt. Er benötige Unterstützung und Anleitung, um in ein konstruktives Spiel mit den anderen Kindern zu finden (Bl. 29 VA).
Mit Bewilligungsbescheid vom 09.09.2010 (Bl. 71 VA) erteilte der Beklagte eine befristete Kostenzusage für die Zeit vom 01.09.2010 bis 31.07.2011 für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII im Kindergarten St. J. in Höhe von monatlich 460,00 EUR für eine pädagogische Hilfe für den Kläger.
Laut Bericht der durchführenden Heilpädagogin vom Juni 2011 (Bl. 103 VA) wurde die Einzelintegration im Kindergarten St. J. für den Kläger seit Oktober 2010 mit 5,75 Stunden wöchentlich durchgeführt. Nachdem zunächst noch die Ergebnisse weiterer Untersuchungen am SPZ des Universitätsklinikums F. abgewartet werden sollten, bewilligte der Beklagte die Vergütung für die pädagogische Hilfe zunächst befristet weiter für die Zeit vom 01.08.2011 bis 31.10.2011 (weiter monatlich 460,00 EUR). Über eine Verlängerung werde entschieden, sobald der SPZ-Bericht vorliege und der konkrete Hilfebedarf im Kindergarten ermittelt worden sei (Bescheid vom 31.8.2011, Bl. 123 VA).
Laut erneutem Bericht des SPZ des Universitätsklinikums F. vom 10.10.2011 (Bl. 155 VA) bestand beim Kläger neben dem Klinefelter Syndrom ein kognitives Leistungsniveau in Höhe einer Lernbehinderung. Er sei sehr zurückhaltend und eher ängstlich in Sozialkontakten. Das im Rahmen der psychologischen Testungen erzielte Ergebnis entspreche einem kognitiven Leistungsniveau in Höhe einer Lernbehinderung an der Grenze zu einer leichten Intelligenzminderung (IQ 72). Besondere Stärken habe der Kläger im Bereich der Fertigkeiten/erworbenen Fähigkeiten gezeigt, was für eine gute Förderung des Kindes spreche. Defizite zeigten sich - trotz erfreulicherweise erreichten Fortschritten - im Bereich der sozialen Kompetenzen und in seinem Arbeits- und Kontaktverhalten. Die Fortführung der Integrationsmaßnahme im Regelkindergarten im letzten Kindergartenjahr werde für dringend indiziert gehalten. Laut Bericht einer Mitarbeiterin des Beklagten (pädagogische Fachkraft) vom 20.10.2011 (Bl. 163 VA) hielt diese nicht zuletzt mit Blick auf die aktuellen Testungen im SPZ rückblickend die seit 2010 bewilligte pädagogische Hilfe für gerechtfertigt. Sie habe im Rahmen eines Besuchs im Kindergarten feststellen können, dass der Kläger mittlerweile ansatzweise integriert sei. Er schaffe es beispielsweise, mit anderen Kindern in der Bauecke zu bauen und zu kommunizieren. In Situationen, die für ihn unvorhergesehen eintreten würden, könne er noch nicht zeitnah reagieren (z.B. Kinder wechseln das Spiel, damit den Ort und den Raum). Hier könne der Kläger nicht folgen und verliere den Anschluss an die Gruppe. In Konfliktsituationen schaffe es der Kläger vereinzelt, sich angemessen zu steuern und auch mal nachzugeben, in Interaktion zu treten und den Konflikt zu lösen. Kinder seines Alters seien in ihren Denkleistungen schneller, der Kläger komme da oft einfach noch nicht hinterher. Insgesamt sei er auf einem sehr guten Weg, der mit einem reduzierten heilpädagogischen Hilfsangebot im Kindergarten zu einem guten Ende führen werde. Die Teilhabefähigkeit sei nach einer guten Förderung durch die bisherige Integrationshilfe nur noch in geringem Umfang eingeschränkt, was eine Reduzierung der Maßnahme rechtfertige.
Mit Bescheid vom 06.12.2011 (Bl. 181 VA) erteilte der Beklagte Kostenzusage für die heilpädagogische Frühförderung des Klägers für 1,5 Behandlungseinheiten (BE) wöchentlich im katholischen Kindergarten St. J. in E. für den Zeitraum 01.11.2011 bis 31.07.2012. Die mit Bescheid vom 31.08.2011 bewilligte und bis 31.10.2011 befristete Integration im Kindergarten werde nicht mehr verlängert. Voraussetzung für die Gewährung einer Integration im Kindergarten sei gemäß § 53 SGB XII das Vorliegen einer nicht nur vorübergehenden wesentlichen geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderung und das Vorliegen eines behinderungsbedingten zusätzlichen Mehrbedarfs. Bei dem Kläger sei in einer mehrdimensionalen Bereichsdiagnostik in der Neuropädiatrischen Ambulanz und Sozialpädiatrischen Zentrum F. ein kognitives Leistungsniveau in Form einer Lernbehinderung, Klinefelter Syndrom sowie eine Ängstlichkeit in Sozialkontakten diagnostiziert worden. Aus dem SPZ-Bericht sei zu entnehmen, dass der Kläger in neuen Situationen noch immer verschlossen und zurückhaltend reagiere und häufig Vermeidungs- und Rückzugstendenzen aufzeige. Dieser Bedarf des Klägers aufgrund seiner Lernbehinderung und nicht aufgrund seiner geistigen Behinderung könne am ehesten, auch nach Beurteilung der pädagogischen Fachkraft, mit der Zielsetzung von heilpädagogischer Frühförderung entsprochen werden.
Laut Berechnung des Kreissozialamts vom 06.12.2011 ergab sich bei 1,5 BE pro Woche (42,13 EUR pro Behandlungseinheit) ein monatlicher Betrag von 273,00 EUR (Bl. 185 VA).
Hiergegen erhob der Kläger am 05.01.2012 Widerspruch (Bl.195 VA). Aus dem Bescheid ergebe sich nicht nachvollziehbar, warum die bislang bewilligte und sachgerechte Leistung (Bescheid vom 31.08.2011) nicht mehr bewilligt werde. Vom Universitätsklinikum F. (Neuropädiatrische Ambulanz und Sozialpädiatrisches Zentrum vom 10.10.2011) werde ausdrücklich die Notwendigkeit der Fortsetzung der bisherigen Integrationsmaßnahme bestätigt. Ergänzend legte der Kläger einen weiteren Bericht von Prof. K. , Neuropädiatrische Ambulanz und Sozialpädiatrisches Zentrum des Universitätsklinikums F. vom 29.12.2011 vor, in dem nochmals darauf hingewiesen wurde, dass der beim Kläger vorliegende Intelligenzquotient von 72 einer schweren Lernbehinderung an der Grenze zur geistigen Behinderung entspreche. Auch für ihn sei es unverständlich, warum bei einem IQ-Wert von 72 mit dem Argument eines zu geringen Hilfebedarfes die Integrationshilfe abgelehnt werde. Der Wert liege ja nicht mitten im Lernbehindertenbereich, sondern unmittelbar an der Grenze zur geistigen Behinderung. Da der Kläger zusätzlich sehr schüchtern und zurückgezogen sei, sei bei ihm die endgültige Entscheidung, ob er in der Lernbehindertenschule zurechtkommen werde oder nicht doch eine G-Beschulung brauche, noch keinesfalls entschieden. Eine optimale Förderung in der Vorschulzeit sollte dazu beitragen, sein endgültiges schulisches Niveau etwas anzuheben, insbesondere im Sinne eines integrativen oder inklusiven Modells oberhalb der Geistigbehindertenschule (Bl. 237 VA).
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In einem ergänzend von Klägerseite vorgelegten Gutachten des Medizinischen Dienstes der privaten Krankenversicherungen vom 20.12.2011 wurde der Kläger in Pflegestufe I eingestuft (Bl. 241 VA).
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Einen beim Sozialgericht F. gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 22.03.2012 ab (S 4 SO 563/132 ER). Das SG hielt einen Anordnungsanspruch für nicht glaubhaft gemacht. Lernbehinderte Menschen seien im Allgemeinen nicht als geistig wesentlich behindert anzusehen. Aus den Berichten des Sozialpädiatrischen Zentrums, in denen ein Klinefelter Syndrom, eine kognitive Entwicklungsstörung vom Schweregrad einer schweren Lernbehinderung an der Grenze zur leichten geistigen Behinderung diagnostiziert werde, lasse sich eine drohende wesentliche Behinderung nicht herleiten.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 333 VA). Eingliederungshilfe zur Integration in den Kindergarten sei nach §§ 53 und 54 SGB XII dann zu gewähren, wenn eine wesentliche Behinderung oder eine drohende wesentliche Behinderung vorliege und ein behinderungsbedingter zusätzlicher Bedarf bestehe. Bei der von der Neuropädiatrischen Ambulanz durchgeführten Testung habe der Kläger ein kognitives Leistungsniveau in Höhe einer Lernbehinderung erzielt. Ferner hätten sich Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen und in seinem Arbeits- und Kontaktverhalten gezeigt. Dieser Bedarf sei ebenfalls von der Fachkraft des Beklagten anlässlich eines Besuches im Kindergarten bestätigt worden. Das Aufarbeiten dieser Defizite bzw. Bedarfe könne in Einzel- oder Gruppenarbeit im Kindergarten im Rahmen der heilpädagogischen Frühförderung erfolgen. Nach § 54 SGB XII i.V.m. §§ 55 und 56 SGB IX erhielten Kinder, die noch nicht eingeschult seien, heilpädagogische Leistungen unabhängig von Art, Ausmaß und Schwere der Behinderung. Nach Auffassung des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg (Schreiben vom 04.07.2011 und Rundschreiben Landkreistag Baden-Württemberg vom 18.08.2011 sowie BT-Drucksache 14/5074 S. 111) sei das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung bzw. drohenden wesentlichen Behinderung für die Gewährung heilpädagogischer Leistungen im Vorschulalter seit Einführung des SGB IX nicht mehr Voraussetzung. Um dem Bedarf des Klägers gerecht zu werden, obwohl hier nachweislich weder eine wesentliche noch eine drohende wesentliche Behinderung vorliege, sei mit Bescheid vom 06.12.2012 eine heilpädagogische Frühförderung in Höhe von 1,5 Behandlungseinheiten wöchentlich (monatlich 272,00 EUR) bewilligt worden. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe - pädagogische Hilfe im Kindergarten - bestehe nicht.
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Hiergegen hat der Kläger am 21.05.2012 beim Sozialgericht F. (SG) Klage erhoben. Er hat weiterhin die Gewährung einer pädagogischen Hilfe im Kindergarten bis zum 31.08.2012 begehrt, wie im Bescheid vom 31.08.2011 bewilligt. Die Eingliederungshilfeleistungen seien vom Kindergarten zwischenzeitlich auch erbracht worden, bislang aber noch nicht bezahlt. Der Kindergarten werde die Leistungen voraussichtlich bis einschließlich August 2012 weiter erbringen. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid stünden im Widerspruch zur Einschätzung des Staatlichen Schulamtes F.. Dieses habe mit Schreiben vom 24.05.2012 festgestellt, dass der Kläger einen Anspruch auf eine sonderpädagogische Beschulung im Sinne der Schule für geistig Behinderte habe und ihn deshalb der Integrativen Walldorfschule in E. zugewiesen. Eine schwere Lernbehinderung sei eine geistige Behinderung im Sinne von § 2 EinglHV. Laut pädagogischem Bericht vom 15.03.2012 (Bl. 18 SG-Akte) sei die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger weiterhin umfangreiche besondere Förderung benötige. In dem Bericht sei zum Entwicklungsstand ausgeführt: „S. kann selbstständig essen. Beim Ausziehen braucht er kaum Hilfe, beim Anziehen ist er jedoch immer wieder auf Unterstützung angewiesen. Er muss regelmäßig daran erinnert werden, auf die Toilette zu gehen; vor allem beim intensiven Spielen draußen im Garten vergisst er immer wieder, zur Toilette zu gehen. S. getraut sich nicht, sich alleine im Kindergarten zu bewegen, z.B. von einem Gruppenraum in den anderen. Im Straßenverkehr hat er noch keinerlei Gefahrenbewusstsein entwickelt. Auch in bekannter häuslicher Umgebung kann er keine Wegstrecken z.B. zu Nachbarn alleine bewältigen.“ Seine Wahrnehmungsfähigkeit sei eingeschränkt. Er sei z.B. nicht in der Lage, Zahlen oder kurze Sätze nachzusprechen. Seine Motorik sei nicht altersgerecht entwickelt. Er könne beispielsweise beim Schwimmen Arm- und Beinbewegungen noch nicht koordinieren und habe große Schwierigkeiten, die Finger isoliert zu bewegen. Laut weiterem Verlaufsbericht des SPZ vom 26.06.2012 (Bl. 47 SG-Akte) liege das kognitive Leistungsniveau weiterhin an der Grenze einer leichten Intelligenzminderung/geistigen Behinderung und einer deutlichen Lernschwäche. Defizite zeigten sich vor allem im Bereich des Arbeitsgedächtnisses/Merkfähigkeit. Hier lägen die Fähigkeiten in der Höhe einer leichten Intelligenzminderung/geistigen Behinderung. Die Stärken lägen eher im ganzheitlichen Verarbeiten, z.B. auch bei visuellen Aufgabenstellungen. Es werde aktuell eine Beschulung auf dem Bildungsniveau einer Schule für geistig Behinderte empfohlen, vor allem auch um den Kläger zu Beginn seiner schulischen Laufbahn nicht zu überfordern. Bereits jetzt zeige der Kläger stressinduzierte Symptome wie Nägel kauen oder beginnende vorübergehende Ticks. Eine integrative bzw. inklusive Beschulung werde als sinnvoll erachtet.
14 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Aus dem pädagogischen Bericht ergebe sich zwar derzeit ein sonderpädagogischer Bedarf, nach wie vor bleibe es jedoch bei der Diagnose „kognitive Entwicklungsstörung vom Schweregrad einer schweren Lernbehinderung an der Grenze zur leichten geistigen Behinderung“. Es sei daher nach wie vor davon auszugehen, dass beim Kläger weder eine wesentliche geistige Behinderung noch eine drohende wesentliche geistige Behinderung vorliege. Ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe - pädagogische Hilfe im Kindergarten - bestehe daher nicht.
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Mit Urteil vom 26.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Es sei mit Prof. K. und den vorliegenden Berichten aus dem Universitätsklinikum F., Neuropädiatrische Ambulanz und Sozialpädiatrisches Zentrum davon auszugehen, dass beim Kläger ein Klinefelter Syndrom sowie eine kognitive Entwicklungsstörung vom Schweregrad einer schweren Lernbehinderung an der Grenze zur leichten geistigen Behinderung vorliege. Eine geistige Behinderung sei nicht diagnostiziert worden. Prof. K. habe lediglich für die Zukunft zunächst eine Beschulung auf dem Bildungsniveau einer Schule für geistig Behinderte empfohlen, um den Kläger zu Beginn seiner schulischen Laufbahn nicht zu überfordern. Zu beachten sei überdies, dass es sich bei dem Klinefelter Syndrom um eine Chromosomenanomalie handele, die sich auf die kognitive und körperliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit der Jungen und Männer mit dem Klinefelter Syndrom auswirke. Dabei könne indes nicht generell gesagt werden, welche Symptome sich in welcher Ausprägung bei einem Jungen bzw. Mann ausbildeten. Daher erschiene es unzulässig, bei der Bestimmung der Eingliederungsleistungen allein auf das Vorliegen des Syndroms als solches abzustellen. Vielmehr seien die individuellen Einschränkungen des jeweils Betroffenen zu berücksichtigen.
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Gegen das dem Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 15.10.2012 zugestellte Urteil hat dieser am 30.10.2012 Berufung eingelegt. Das erstinstanzliche Gericht habe sich mit dem Begriff der Behinderung und der Beeinträchtigung der Teilhabechancen des Betroffenen in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern vielmehr eine formale und vollkommen verfehlte Sichtweise vorgezogen. Weder der Beklagte noch das erstinstanzliche Gericht hätten den Bedarf sachgerecht ermittelt. Eine Behinderung im Sinne der EinglHV liege dann vor, wenn die Teilhabechancen des Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt seien. Der Behinderungsbegriff der EinglHV sei veraltet und durch den Behinderungsbegriff des § 2 SGB IX modernisiert worden. Auch nach der EinglHV könne jedoch nicht festgestellt werden, dass eine geistige Behinderung im Sinne von § 53 SGB XII nur dann vorliege, wenn ein bestimmter Intelligenzquotient unterschritten werde. Es komme vielmehr darauf an, ob die Teilhabechancen des Betroffenen signifikant vermindert seien (so auch BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 8 SO 30/10 R, Rdnr. 18, 19). Dies könne nicht sinnvoll verneint werden, wenn das Staatliche Schulamt feststelle, dass ein Förderbedarf im Sinne der Notwendigkeit des Besuchs einer Schule für geistig Behinderte (G-Schule) vorliege. Die streitgegenständlichen Teilhabeleistungen habe der Kläger zwischenzeitlich erhalten. Der katholische Kindergarten, der die Leistungen erbracht habe, habe sie dem Kläger in Rechnung gestellt. Der Anspruch sei also nicht entfallen. Die Kosten seien nach wie vor vom Beklagten zu übernehmen. Inhaltlich handele es sich um genau dieselbe Leistung, die im Zeitraum vom 01.08.2011 bis 31.10.2011 auf Basis des Bescheides des Beklagten vom 31.08.2011 geleistet worden sei. Der Kläger sei erfolgreich durch den Kindergarten begleitet worden und besuche seit der Einschulung ebenso erfolgreich und ebenfalls mit Hilfe der erforderlichen Unterstützung die Schule.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts F. vom 26. September 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 06. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen für eine pädagogische Hilfe im Kindergarten in Höhe von monatlich 460 EUR für den Zeitraum vom 01. November 2011 bis zum 31. August 2012 zu gewähren.
19 
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
21 
Der Vorwurf des Klägers, dass der Teilhabebedarf nicht ausreichend recherchiert worden sei, sei nicht haltbar. Anlässlich eines Besuches im Kindergarten sei durch eine pädagogische Fachkraft der Teilhabebedarf des Klägers ermittelt worden. Danach hätten sich Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen und dem Arbeits- und Kontaktverhalten gezeigt. Um dem Bedarf des Klägers gerecht zu werden, obwohl hier nachweislich weder eine wesentliche noch drohende wesentliche Behinderung vorgelegen habe, seien Leistungen im Rahmen der heilpädagogischen Frühförderung in Höhe von monatlich 272,00 EUR bewilligt worden.
22 
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
23 
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 SGG zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn dem Kläger stehen Leistungen der Eingliederungshilfe zur Einzelintegration im Kindergarten auch über den 30.10.2011 hinaus bis zum Abschluss des Kindergartens zu.
24 
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 6.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2012, mit dem der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 1.11.2011 bis 31.8.2012 anstelle der begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe zur Einzelintegration im Kindergarten „nur“ noch heilpädagogische Frühforderung für 1,5 Behandlungseinheiten wöchentlich bewilligt hat.
25 
Nach § 53 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 SGB IX sind erfüllt, wenn - soweit einschlägig - die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden auch heilpädagogische Leistungen für Kinder erbracht, die noch nicht eingeschult sind (§§ 54 SGB XII i.V.m. §§ 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 56 SGB IX).
26 
Im Fall des Klägers liegt eine Behinderung im Sinne einer geistigen Leistungsstörung vor. Diese Behinderung ist nach der Überzeugung des Senats auch wesentlich.
27 
Wann eine geistige Behinderung wesentlich ist, ergibt sich aus § 2 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Eingliederungshilfe-Verordnung - (EinglHV). Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII sind danach Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Die Prüfung der Wesentlichkeit einer Behinderung ist wertend an deren Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft auszurichten. Die „geistigen Kräfte“ im Sinne des § 2 EinglHV sind keine einheitliche Größe, sondern setzen sich aus einer Vielzahl von Komponenten zusammen (so schon BVerwG, Urt. v. 28.9.1995, 5 C 21/93, juris Rn. 13). Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (BSG, Urt. v. 22.3.2012, B 8 SO 30/10 R, juris Rn. 19). Eine erhebliche Einschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, jedenfalls dann vor, wenn die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Grundschule entgegenstehen, weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (BSG a.a.O. sowie BSG, Urt. v. 3.11.2011, B 3 KR 8/11 R, Rn. 22).
28 
Mithin reicht - hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen - allein die Diagnose des Klinefelter-Syndromes beim Kläger nicht aus, das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im dargelegten Sinne zu begründen. Allerdings kann ebenso wenig ausschließlich auf den im Fall des Klägers bei den Testungen im SPZ der Universitätsklinik F. ermittelten Intelligenzquotienten von 72 verwiesen und hierauf die Annahme gestützt werden, beim Kläger liege somit „nur“ eine Lernbehinderung vor, die eine wesentliche geistige Behinderung ausschließe. Hiermit würde man der vom BSG geforderten wertenden Betrachtung der Auswirkungen der Beeinträchtigungen auf die Teilhabemöglichkeiten nicht gerecht. Als Kriterien zur Feststellung der Wesentlichkeit müssen vielmehr verschiedene Faktoren herangezogen werden. So erscheint es sinnvoll, in verschiedenen Lebensbereichen zu prüfen, ob die selbständige Ausführung möglich ist, ob Hilfsmittel benötigt werden, ob personelle Hilfe benötigt wird oder die Ausführung gar nicht möglich ist. Wesentliche Lebensbereiche sind Selbstversorgung und Mobilität, Haushaltsführung, Orientierung und Kommunikation sowie das Sozialverhalten. Ohne dass hieran eine Bindung des Gerichts bestünde, wird darauf hingewiesen, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer „Orientierungshilfe für die Feststellungen der Träger der Sozialhilfe zur Ermittlung der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB XII i.V. m. der EinglHV“ vom 24.11.2009 ausdrücklich darauf hinweist, dass eine alleinige Berücksichtigung oder Nutzung von IQ-Werten nicht ausreichend ist (S. 14). Die Orientierungshilfe empfiehlt vielmehr, zur Ausfüllung der gesetzlichen Vorschriften auf die Erläuterungen des ICD-10 sowie des Diagnostischen Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM IV) zurückzugreifen. Nach dem ICD-10 müssen neben einer Minderung der Intelligenz (IQ unter 70) auch Störungen in der Anpassung an die Anforderungen des alltäglichen Lebens vorhanden sein. Nach dem DSM IV liegt eine bedeutsame und wesentliche Minderung intellektueller Fähigkeiten vor, wenn - anders als im ICD-10 - ein IQ-Wert von unter 75 vorliegt (Kriterium A), wenn erhebliche Einschränkungen der Anpassungsfähigkeit in mindestens zwei der Bereiche Kommunikation, eigenständige Versorgung, häusliches Leben, soziale/zwischenmenschliche Fähigkeiten, Nutzung öffentlicher Einrichtungen, Selbstbestimmtheit sowie funktionale Schulleistungen/Arbeit/Freizeit/Gesundheit/Sicherheit vorliegen (Kriterium B) und wenn die Störung vor dem 18. Lebensjahr aufgetreten ist (Kriterium C). Bereits die Tatsache, dass als „Grenz-IQ-Wert“ auch von Medizinern unterschiedliche Werte genannt werden, zeigt, dass es hierauf allein nicht ankommen kann.
29 
Im Fall des Klägers liegen wesentliche Defizite in mehreren der genannten Bereiche vor. In Berichten sowohl des behandelnden Kinderarztes als auch aus dem SPZ des Universitätsklinikums F. wurden dem Kläger eine Sprachentwicklungsverzögerung, organisch-funktionelle Defizite (Grob-Feinmotorik, Koordination, tapsiges Gangbild, Diadochokinese sehr ungelenk), eine globale psychomotorische Retardierung und Verhaltensauffälligkeiten (soziale Ängstlichkeit und Vermeidungsverhalten, Defizite im Bereich soziale Kompetenzen sowie Arbeits- und Kontaktverhalten, vgl. insbes. Berichte v. 10.10.2011, Bl. 155 VA, vom 29.12.2011, Bl. 237 VA und vom 26.6.2012, Bl. 47 SG-Akte) bescheinigt. In kognitiver Hinsicht haben zahlreiche Testungen ein Leistungsniveau im Grenzbereich einer leichten Intelligenzminderung (geistigen Behinderung)/deutlichen Lernbehinderung ergeben. Die Defizite im Bereich Arbeitsgedächtnis und Merkfähigkeit lagen in der Höhe einer leichten Intelligenzminderung/geistigen Behinderung, Stärken eher im ganzheitlichen Verarbeiten, z.B. auch bei visuellen Aufgabenstellungen (vgl. zuletzt Bericht SPZ vom 26.6.2012, Bl. 47 SG-Akte).
30 
Aus dem Kindergarten (Bl. 103 ff. VA) wurde von Defiziten im körperlichen Bereich (schlaffe Körperspannung, schwerer Gang, Meidung von Überkreuzbewegungen, nicht altersgerechte Auge-Hand-Koordination z.B. beim Ballfangen, verzögerte Malentwicklung) sowie im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung (nicht altersentsprechende Fähigkeit zum Nacherzählen von Geschichten, wenig nonverbale und verbale Kommunikation mit anderen Kindern, nicht altersgemäße Konflikt- und Frustrationsfähigkeit bzw. Fähigkeit zur Einhaltung von Regeln, mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen) berichtet. Die pädagogische Fachkraft des Beklagten Frau K. (Bereich Hilfeplanung des Beklagten, Bl. 163 VA) hat nach einem Vorortbesuch am 20.10.2011 den Kläger als lediglich „ansatzweise integriert“ in den Kindergarten beschrieben. Allerdings sah sie ihn weiterhin nur vereinzelt befähigt, in Konflikten angemessen zu reagieren und in seinen Denkleistungen im Vergleich zu den anderen Kindern deutlich langsamer. Nachdem allerdings Frau K. die Bewilligung der pädagogischen Hilfe für den vorangegangenen Zeitraum ausdrücklich als gerechtfertigt bezeichnet, erscheint nicht ganz nachvollziehbar, worin genau die Verbesserung liegen sollte, die nunmehr für die letzten Kindergartenmonate eine geänderte Bewertung (hinsichtlich der Frage der Wesentlichkeit der Behinderung) rechtfertigen könnte.
31 
Auch im Alltag zu Hause besteht nach den glaubhaften Angaben der Eltern des Klägers ein erhöhter Betreuungs- und Unterstützungsaufwand im grundpflegerischen Bereich (anhaltende Inkontinenz, gelegentlich Stuhlinkontinenz trotz Toilettentrainings, Unterstützung bei Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, eingeschränkte Fähigkeit zur Gefahrenabschätzung, deutlich erniedrigte Frustrationsschwelle, psychomotorische Unruhezustände, vgl. auch Kinder-Pflegegutachten vom 20.12.2011, Bl. 241 VA). In dem zuletzt genannten Gutachten wird dem Kläger - auch unter Berücksichtigung des kindlichen Entwicklungszustandes - eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz bescheinigt.
32 
In der Gesamtschau dieser Angaben und Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger erhebliche Defizite in mehreren verschiedenen Bereichen (Kommunikation und soziale Interaktion, Selbst- und häusliche Versorgung, kognitive Leistungen) hat, die zu einem besonderen Unterstützungsbedarf sowohl im häuslichen Bereich (Elternhaus) als auch im außerhäuslichen Bereich (Kindergarten) führen. Lediglich als ergänzendes Argument und im Sinne einer Plausibilitätskontrolle kann noch angeführt werden, dass im Fall des Klägers ein Grad der Behinderung von 70 (seit 11.10.2013 von 80) festgestellt wurde und die Merkzeichen G, B und H zuerkannt sind. Im Rahmen der vom Bundessozialgericht verlangten wertenden Betrachtung gelangt der Senat zu der Schlussfolgerung, dass das Tatbestandsmerkmal einer wesentlichen Behinderung beim Kläger entgegen der Auffassung des Beklagten auch im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt war.
33 
Der Kläger gehört daher entgegen der Auffassung des Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum grundsätzlich zum leistungsberechtigten Personenkreis i.S.d. §§ 53, 54 SGB XII.
34 
Der Kläger hatte somit auch im streitgegenständlichen Zeitraum 1.11.2011 bis 31.8.2012 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe, vorliegend in Form der Weiterbewilligung der bereits zuvor seit dem 1.9.2010 gewährten pädagogischen Einzelintegration im Kindergarten. Hinsichtlich der Höhe erscheint dem Senat - mit Blick auf die wohl die entsprechende Verwaltungspraxis abbildende vom Beklagten zuletzt noch vorgelegte Arbeitshilfe für die Gewährung von Eingliederungshilfe in Kindergärten vom 17.12.2011 (Bl. 84 LSG-Akte) und mangels klarer Anhaltspunkte für einen deutlich geringeren Bedarf des Klägers der bereits zuvor bewilligte Betrag von 460,00 EUR weiter angemessen. Gerade unter Berücksichtigung der bisher erfolgreich verlaufenen Integration im Kindergarten und die bevorstehende Einschulung ist die Weiterbewilligung in der bisherigen Höhe auch geboten, um die Kontinuität der Förderung des Klägers und die Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern (vgl. - mit etwas anderem zugrundeliegendem Sachverhalt - insoweit bereits BVerwG, Urt. v. 28.9.1995, 5 C 21/93, juris Leitsatz Nr. 2, Rn. 19f.: Fortgewährung einer Eingliederungshilfeleistung, um die Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern).
35 
Der Berufung war daher stattzugeben und der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Gründe

 
23 
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 SGG zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn dem Kläger stehen Leistungen der Eingliederungshilfe zur Einzelintegration im Kindergarten auch über den 30.10.2011 hinaus bis zum Abschluss des Kindergartens zu.
24 
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 6.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2012, mit dem der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 1.11.2011 bis 31.8.2012 anstelle der begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe zur Einzelintegration im Kindergarten „nur“ noch heilpädagogische Frühforderung für 1,5 Behandlungseinheiten wöchentlich bewilligt hat.
25 
Nach § 53 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 SGB IX sind erfüllt, wenn - soweit einschlägig - die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden auch heilpädagogische Leistungen für Kinder erbracht, die noch nicht eingeschult sind (§§ 54 SGB XII i.V.m. §§ 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 56 SGB IX).
26 
Im Fall des Klägers liegt eine Behinderung im Sinne einer geistigen Leistungsstörung vor. Diese Behinderung ist nach der Überzeugung des Senats auch wesentlich.
27 
Wann eine geistige Behinderung wesentlich ist, ergibt sich aus § 2 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Eingliederungshilfe-Verordnung - (EinglHV). Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII sind danach Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Die Prüfung der Wesentlichkeit einer Behinderung ist wertend an deren Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft auszurichten. Die „geistigen Kräfte“ im Sinne des § 2 EinglHV sind keine einheitliche Größe, sondern setzen sich aus einer Vielzahl von Komponenten zusammen (so schon BVerwG, Urt. v. 28.9.1995, 5 C 21/93, juris Rn. 13). Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (BSG, Urt. v. 22.3.2012, B 8 SO 30/10 R, juris Rn. 19). Eine erhebliche Einschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, jedenfalls dann vor, wenn die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Grundschule entgegenstehen, weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (BSG a.a.O. sowie BSG, Urt. v. 3.11.2011, B 3 KR 8/11 R, Rn. 22).
28 
Mithin reicht - hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen - allein die Diagnose des Klinefelter-Syndromes beim Kläger nicht aus, das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im dargelegten Sinne zu begründen. Allerdings kann ebenso wenig ausschließlich auf den im Fall des Klägers bei den Testungen im SPZ der Universitätsklinik F. ermittelten Intelligenzquotienten von 72 verwiesen und hierauf die Annahme gestützt werden, beim Kläger liege somit „nur“ eine Lernbehinderung vor, die eine wesentliche geistige Behinderung ausschließe. Hiermit würde man der vom BSG geforderten wertenden Betrachtung der Auswirkungen der Beeinträchtigungen auf die Teilhabemöglichkeiten nicht gerecht. Als Kriterien zur Feststellung der Wesentlichkeit müssen vielmehr verschiedene Faktoren herangezogen werden. So erscheint es sinnvoll, in verschiedenen Lebensbereichen zu prüfen, ob die selbständige Ausführung möglich ist, ob Hilfsmittel benötigt werden, ob personelle Hilfe benötigt wird oder die Ausführung gar nicht möglich ist. Wesentliche Lebensbereiche sind Selbstversorgung und Mobilität, Haushaltsführung, Orientierung und Kommunikation sowie das Sozialverhalten. Ohne dass hieran eine Bindung des Gerichts bestünde, wird darauf hingewiesen, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer „Orientierungshilfe für die Feststellungen der Träger der Sozialhilfe zur Ermittlung der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB XII i.V. m. der EinglHV“ vom 24.11.2009 ausdrücklich darauf hinweist, dass eine alleinige Berücksichtigung oder Nutzung von IQ-Werten nicht ausreichend ist (S. 14). Die Orientierungshilfe empfiehlt vielmehr, zur Ausfüllung der gesetzlichen Vorschriften auf die Erläuterungen des ICD-10 sowie des Diagnostischen Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM IV) zurückzugreifen. Nach dem ICD-10 müssen neben einer Minderung der Intelligenz (IQ unter 70) auch Störungen in der Anpassung an die Anforderungen des alltäglichen Lebens vorhanden sein. Nach dem DSM IV liegt eine bedeutsame und wesentliche Minderung intellektueller Fähigkeiten vor, wenn - anders als im ICD-10 - ein IQ-Wert von unter 75 vorliegt (Kriterium A), wenn erhebliche Einschränkungen der Anpassungsfähigkeit in mindestens zwei der Bereiche Kommunikation, eigenständige Versorgung, häusliches Leben, soziale/zwischenmenschliche Fähigkeiten, Nutzung öffentlicher Einrichtungen, Selbstbestimmtheit sowie funktionale Schulleistungen/Arbeit/Freizeit/Gesundheit/Sicherheit vorliegen (Kriterium B) und wenn die Störung vor dem 18. Lebensjahr aufgetreten ist (Kriterium C). Bereits die Tatsache, dass als „Grenz-IQ-Wert“ auch von Medizinern unterschiedliche Werte genannt werden, zeigt, dass es hierauf allein nicht ankommen kann.
29 
Im Fall des Klägers liegen wesentliche Defizite in mehreren der genannten Bereiche vor. In Berichten sowohl des behandelnden Kinderarztes als auch aus dem SPZ des Universitätsklinikums F. wurden dem Kläger eine Sprachentwicklungsverzögerung, organisch-funktionelle Defizite (Grob-Feinmotorik, Koordination, tapsiges Gangbild, Diadochokinese sehr ungelenk), eine globale psychomotorische Retardierung und Verhaltensauffälligkeiten (soziale Ängstlichkeit und Vermeidungsverhalten, Defizite im Bereich soziale Kompetenzen sowie Arbeits- und Kontaktverhalten, vgl. insbes. Berichte v. 10.10.2011, Bl. 155 VA, vom 29.12.2011, Bl. 237 VA und vom 26.6.2012, Bl. 47 SG-Akte) bescheinigt. In kognitiver Hinsicht haben zahlreiche Testungen ein Leistungsniveau im Grenzbereich einer leichten Intelligenzminderung (geistigen Behinderung)/deutlichen Lernbehinderung ergeben. Die Defizite im Bereich Arbeitsgedächtnis und Merkfähigkeit lagen in der Höhe einer leichten Intelligenzminderung/geistigen Behinderung, Stärken eher im ganzheitlichen Verarbeiten, z.B. auch bei visuellen Aufgabenstellungen (vgl. zuletzt Bericht SPZ vom 26.6.2012, Bl. 47 SG-Akte).
30 
Aus dem Kindergarten (Bl. 103 ff. VA) wurde von Defiziten im körperlichen Bereich (schlaffe Körperspannung, schwerer Gang, Meidung von Überkreuzbewegungen, nicht altersgerechte Auge-Hand-Koordination z.B. beim Ballfangen, verzögerte Malentwicklung) sowie im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung (nicht altersentsprechende Fähigkeit zum Nacherzählen von Geschichten, wenig nonverbale und verbale Kommunikation mit anderen Kindern, nicht altersgemäße Konflikt- und Frustrationsfähigkeit bzw. Fähigkeit zur Einhaltung von Regeln, mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen) berichtet. Die pädagogische Fachkraft des Beklagten Frau K. (Bereich Hilfeplanung des Beklagten, Bl. 163 VA) hat nach einem Vorortbesuch am 20.10.2011 den Kläger als lediglich „ansatzweise integriert“ in den Kindergarten beschrieben. Allerdings sah sie ihn weiterhin nur vereinzelt befähigt, in Konflikten angemessen zu reagieren und in seinen Denkleistungen im Vergleich zu den anderen Kindern deutlich langsamer. Nachdem allerdings Frau K. die Bewilligung der pädagogischen Hilfe für den vorangegangenen Zeitraum ausdrücklich als gerechtfertigt bezeichnet, erscheint nicht ganz nachvollziehbar, worin genau die Verbesserung liegen sollte, die nunmehr für die letzten Kindergartenmonate eine geänderte Bewertung (hinsichtlich der Frage der Wesentlichkeit der Behinderung) rechtfertigen könnte.
31 
Auch im Alltag zu Hause besteht nach den glaubhaften Angaben der Eltern des Klägers ein erhöhter Betreuungs- und Unterstützungsaufwand im grundpflegerischen Bereich (anhaltende Inkontinenz, gelegentlich Stuhlinkontinenz trotz Toilettentrainings, Unterstützung bei Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, eingeschränkte Fähigkeit zur Gefahrenabschätzung, deutlich erniedrigte Frustrationsschwelle, psychomotorische Unruhezustände, vgl. auch Kinder-Pflegegutachten vom 20.12.2011, Bl. 241 VA). In dem zuletzt genannten Gutachten wird dem Kläger - auch unter Berücksichtigung des kindlichen Entwicklungszustandes - eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz bescheinigt.
32 
In der Gesamtschau dieser Angaben und Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger erhebliche Defizite in mehreren verschiedenen Bereichen (Kommunikation und soziale Interaktion, Selbst- und häusliche Versorgung, kognitive Leistungen) hat, die zu einem besonderen Unterstützungsbedarf sowohl im häuslichen Bereich (Elternhaus) als auch im außerhäuslichen Bereich (Kindergarten) führen. Lediglich als ergänzendes Argument und im Sinne einer Plausibilitätskontrolle kann noch angeführt werden, dass im Fall des Klägers ein Grad der Behinderung von 70 (seit 11.10.2013 von 80) festgestellt wurde und die Merkzeichen G, B und H zuerkannt sind. Im Rahmen der vom Bundessozialgericht verlangten wertenden Betrachtung gelangt der Senat zu der Schlussfolgerung, dass das Tatbestandsmerkmal einer wesentlichen Behinderung beim Kläger entgegen der Auffassung des Beklagten auch im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt war.
33 
Der Kläger gehört daher entgegen der Auffassung des Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum grundsätzlich zum leistungsberechtigten Personenkreis i.S.d. §§ 53, 54 SGB XII.
34 
Der Kläger hatte somit auch im streitgegenständlichen Zeitraum 1.11.2011 bis 31.8.2012 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe, vorliegend in Form der Weiterbewilligung der bereits zuvor seit dem 1.9.2010 gewährten pädagogischen Einzelintegration im Kindergarten. Hinsichtlich der Höhe erscheint dem Senat - mit Blick auf die wohl die entsprechende Verwaltungspraxis abbildende vom Beklagten zuletzt noch vorgelegte Arbeitshilfe für die Gewährung von Eingliederungshilfe in Kindergärten vom 17.12.2011 (Bl. 84 LSG-Akte) und mangels klarer Anhaltspunkte für einen deutlich geringeren Bedarf des Klägers der bereits zuvor bewilligte Betrag von 460,00 EUR weiter angemessen. Gerade unter Berücksichtigung der bisher erfolgreich verlaufenen Integration im Kindergarten und die bevorstehende Einschulung ist die Weiterbewilligung in der bisherigen Höhe auch geboten, um die Kontinuität der Förderung des Klägers und die Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern (vgl. - mit etwas anderem zugrundeliegendem Sachverhalt - insoweit bereits BVerwG, Urt. v. 28.9.1995, 5 C 21/93, juris Leitsatz Nr. 2, Rn. 19f.: Fortgewährung einer Eingliederungshilfeleistung, um die Wirksamkeit der zuvor gewährten Hilfe zu sichern).
35 
Der Berufung war daher stattzugeben und der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
37 
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 10. Dez. 2014 - L 2 SO 4519/12 zitiert 12 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft m

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 55 Unterstützte Beschäftigung


(1) Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist es, Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten. Unterstützte Beschäftigung umfasst

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 56 Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen


Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (§ 219) werden erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der Menschen mit Behinderungen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser

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Bundessozialgericht Urteil, 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R

bei uns veröffentlicht am 22.03.2012

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Ge

Bundessozialgericht Urteil, 03. Nov. 2011 - B 3 KR 8/11 R

bei uns veröffentlicht am 03.11.2011

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Sozialgericht Aachen Urteil, 24. Juni 2016 - S 19 SO 7/15

bei uns veröffentlicht am 24.06.2016

Tenor Die Klagen werden abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird endgültig auf 32.340,59 Euro festgesetzt 1Tatbestand: 2Die Klägerin begehrt vom Beklagten als Sozialhilfeträger Erstattung von Leistungen der Juge

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(1) Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist es, Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten. Unterstützte Beschäftigung umfasst eine individuelle betriebliche Qualifizierung und bei Bedarf Berufsbegleitung.

(2) Leistungen zur individuellen betrieblichen Qualifizierung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um sie für geeignete betriebliche Tätigkeiten zu erproben, auf ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorzubereiten und bei der Einarbeitung und Qualifizierung auf einem betrieblichen Arbeitsplatz zu unterstützen. Die Leistungen umfassen auch die Vermittlung von berufsübergreifenden Lerninhalten und Schlüsselqualifikationen sowie die Weiterentwicklung der Persönlichkeit der Menschen mit Behinderungen. Die Leistungen werden vom zuständigen Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 für bis zu zwei Jahre erbracht, soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind. Sie können bis zu einer Dauer von weiteren zwölf Monaten verlängert werden, wenn auf Grund der Art oder Schwere der Behinderung der gewünschte nachhaltige Qualifizierungserfolg im Einzelfall nicht anders erreicht werden kann und hinreichend gewährleistet ist, dass eine weitere Qualifizierung zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung führt.

(3) Leistungen der Berufsbegleitung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um nach Begründung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die zu dessen Stabilisierung erforderliche Unterstützung und Krisenintervention zu gewährleisten. Die Leistungen werden bei Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers nach § 6 Absatz 1 Nummer 3 oder 5 von diesem, im Übrigen von dem Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit erbracht, solange und soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind.

(4) Stellt der Rehabilitationsträger während der individuellen betrieblichen Qualifizierung fest, dass voraussichtlich eine anschließende Berufsbegleitung erforderlich ist, für die ein anderer Leistungsträger zuständig ist, beteiligt er diesen frühzeitig.

(5) Die Unterstützte Beschäftigung kann von Integrationsfachdiensten oder anderen Trägern durchgeführt werden. Mit der Durchführung kann nur beauftragt werden, wer über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, um seine Aufgaben entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen erfüllen zu können. Insbesondere müssen die Beauftragten

1.
über Fachkräfte verfügen, die eine geeignete Berufsqualifikation, eine psychosoziale oder arbeitspädagogische Zusatzqualifikation und eine ausreichende Berufserfahrung besitzen,
2.
in der Lage sein, den Menschen mit Behinderungen geeignete individuelle betriebliche Qualifizierungsplätze zur Verfügung zu stellen und ihre berufliche Eingliederung zu unterstützen,
3.
über die erforderliche räumliche und sächliche Ausstattung verfügen sowie
4.
ein System des Qualitätsmanagements im Sinne des § 37 Absatz 2 Satz 1 anwenden.

(6) Zur Konkretisierung und Weiterentwicklung der in Absatz 5 genannten Qualitätsanforderungen vereinbaren die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eine gemeinsame Empfehlung. Die gemeinsame Empfehlung kann auch Ausführungen zu möglichen Leistungsinhalten und zur Zusammenarbeit enthalten. § 26 Absatz 4, 6 und 7 sowie § 27 gelten entsprechend.

Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (§ 219) werden erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der Menschen mit Behinderungen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für die Fortführung einer Maßnahme ("Montessori-Therapie") in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006.

2

Die 1998 geborene Klägerin litt an einer rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche und wurde deshalb vom Beklagten ab Mitte 2003 bis zum Ende der Kindergartenzeit Ende Juli 2005 durch die Übernahme von Kosten für eine (nicht ärztlich verordnete) "Montessori-Einzeltherapie" gefördert. Auch nach Einschulung der Klägerin in die Regelschule übernahm der Beklagte die Kosten einer Stunde "Montessori-Einzeltherapie" pro Woche für die Zeit vom 19.9. bis 31.12.2005, lehnte jedoch die Kostenübernahme für die Fortführung der Maßnahme ab 1.1.2006 mit der Begründung ab, dass Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nur für begleitende Hilfen in Betracht komme, während pädagogische Maßnahmen wie die durchgeführte Montessori-Therapie in den Verantwortungsbereich der Schule fielen (Bescheid vom 30.9.2005; Widerspruchsbescheid vom 13.4.2006). Die Kosten der in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführten Therapiestunden haben daraufhin die Eltern der Klägerin getragen.

3

Das Sozialgericht (SG) hat der auf Erstattung dieser Kosten in Höhe von 1181,50 Euro gerichteten Klage - weil die Maßnahme sowohl therapeutische als auch pädagogische Elemente enthalte - nur teilweise entsprochen und den Beklagten verurteilt, der Klägerin "für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 Eingliederungshilfe für die durchgeführte Montessori-Therapie in Höhe von 590,75 Euro zu gewähren" (Urteil vom 21.10.2008). Auf die Berufungen beider Beteiligten hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Zurückweisung von dessen Berufung verurteilt, der Klägerin die gesamten Kosten in Höhe von 1181,50 Euro zu erstatten (Urteil vom 18.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Pflicht zur Übernahme der Kosten ergebe sich aus § 19 Abs 3 SGB XII iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO). Es habe sich bei der Therapie um eine heilpädagogische oder sonstige geeignete und erforderliche Maßnahme gehandelt, die der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht habe ermöglichen oder erleichtern sollen. Der Nachranggrundsatz (§ 2 Abs 1 SGB XII)stehe der Leistungspflicht nicht deshalb entgegen, weil die Montessori-Therapie auch pädagogische Elemente enthalte; sie sei nach den landesrechtlichen Vorschriften des Schulrechts nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit im Sinne des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags zuzurechnen. Schließlich stehe der Gewährung der Eingliederungshilfe nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die Therapie bereits bezahlt hätten.

4

Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 SGB XII. Nach § 15 Abs 4 Schulgesetz für Baden-Württemberg sei die Förderung behinderter Schüler Aufgabe der Schule selbst, sodass diese für Hilfen zur angemessenen Schulbildung eintrittspflichtig sei. Unzutreffend sei die Feststellung des LSG, es handele sich bei der Montessori-Therapie um eine begleitende, nicht um eine sonderpädagogische Maßnahme. Das LSG habe insoweit sowie zur Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten und seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es die Feststellungen der Therapeutin und des Sachverständigen kritiklos übernommen und sich damit ua auf die Ausführungen eines Diplom-Psychologen gestützt habe, der weder durch Habilitation noch durch Promotion eine besondere wissenschaftliche Qualifikation nachweisen könne.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin aufzuheben und das Urteil des SG unter vollständiger Abweisung der Klage abzuändern.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurück-verweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Es fehlen ausreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für ein abschließendes Urteil.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.4.2006 (§ 95 SGG), soweit darin die Übernahme von Kosten (1181,50 Euro) für eine in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführte Therapie (Montessori-Einzeltherapie) abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).

10

Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere ist weder eine Beiladung der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse (KK) noch eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe noch der Therapeutin der Klägerin erforderlich. Nach § 75 Abs 2 Satz 1 1. Alt SGG sind Dritte nämlich (nur) beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); diese Voraussetzungen sind für keinen der Bezeichneten erfüllt. Über eine unechte notwendige Beiladung war mangels Rüge im Revisionsverfahren (s zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN) nicht zu befinden.

11

Eine notwendige Beiladung der KK im Hinblick auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) scheidet aus(vgl zur notwendigen Beiladung wegen unterlassener Weiterleitung des Antrags an den "eigentlich zuständigen" Träger der Teilhabeleistung nur BSGE 93, 283 ff RdNr 6 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Die durchgeführte Maßnahme stellt keine Leistung zur Teilhabe iS der §§ 4, 5 Nr 1, 14 SGB IX dar; denn die KKen sind abweichend von den Vorschriften des SGB IX (vgl § 7 SGB IX) nur unter den Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - ( vgl § 11 Abs 2, §§ 40 ff SGB V) zur Erbringung medizinischer Rehabilitationsleistungen verpflichtet (BSGE 98, 277 ff RdNr 18 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4). Trotz des Aspektes bzw des Ziels der (Wieder-)Herstellung der Gesundheit haben jedoch nicht alle Maßnahmen des SGB V rehabilitativen Charakter in einem Sinn, der dem Verständnis des SGB V über eine Teilhabeleistung entspricht. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Begriff der Teilhabeleistung des § 14 SGB IX eigenständig (weit) oder (nur) nach dem Verständnis des SGB V auszulegen ist. Vorliegend gehörte die durchgeführte Maßnahme ohnedies nicht zum Leistungskatalog des SGB V, sodass schon deshalb keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX eingetreten ist und eine echte notwendige - ebenso wie im Übrigen eine unechte - Beiladung der KK ausscheidet.

12

Ein Kostenerstattungsanspruch für eine vom Versicherten selbstbeschaffte Leistung des SGB V würde voraussetzen, dass diese allgemein als Sach- oder Dienstleistung hätte erbracht werden müssen. Wie das LSG zu Recht erkannt hat, liegen die Voraussetzungen für einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der durchgeführten Therapie im Jahre 2006 nicht vor. Nach den insoweit unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG käme, weil die Therapie nicht von ärztlichen Fachkräften erbracht worden ist, allenfalls eine medizinische Dienstleistung in der Gestalt eines Heilmittels iS des § 32 SGB V(zum Heilmittelbegriff s: BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff; BSGE 96, 153 ff RdNr 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7) in Betracht.

13

Der Heilmittelanspruch eines Versicherten (§ 11 Abs 1 Nr 4, § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Nr 3 SGB V)unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Insoweit sind neue Heilmittel grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien (RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V über die Versorgung mit Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-RL) Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat(§ 138 SGB V). Die Beurteilung der Neuheit eines Heilmittels richtet sich unter formalen Gesichtspunkten danach, ob es nach dem Stand der Beschlüsse des GBA bei Inkrafttreten des § 138 SGB V (am 1.1.1989) Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung war oder seitdem einbezogen worden ist (Bundessozialgericht SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26, 28 und 31; BSGE 94, 221 ff RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25). Dies trifft für die Montessori-Therapie nicht zu, wie den Heilmittel-RL zu entnehmen ist, in die sie als verordnungsfähige Leistung nicht aufgenommen wurde; sie ist mithin als mögliches Heilmittel neu. Der GBA hat demgemäß in einem zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses "Heil- und Hilfsmittel" des Bundesausschusses vom 18.5.2005 über die Beratungen gemäß § 138 SGB V zur konduktiven Förderung nach Petö(abgerufen über das Internet am 15.5.2012 über http://www.g-ba.de/downloads/40-268-256/2005-05-18-Abschluss-Petoe.pdf ) auch ausgeführt, die Wirksamkeit der Montessori-Therapie sei in wissenschaftlichen Studien nicht eindeutig belegt (S 165). Die somit notwendige Empfehlung für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung fehlt. Zudem mangelt es an der nach § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V vorausgesetzten ärztlichen Verordnung(s dazu BSGE 73, 271 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr 4), sodass es auf einen eventuellen indikationsbezogenen Ausschluss über § 32 Abs 1 Satz 2 SGB V in den Heilmittel-RL nicht mehr ankommt.

14

Ein Anspruch aus § 43a SGB V(in der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung; Abs 2 wurde erst mit Wirkung ab 23.7.2009 eingeführt) scheidet von vornherein aus. Danach haben versicherte Kinder (nur) Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische, insbesondere auch psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Nach den insoweit unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG diente die Maßnahme jedoch weder der Früherkennung noch stand sie unter ärztlicher Verantwortung. Es kann dahinstehen, ob der Senat an diese Feststellung entgegen § 163 SGG deshalb nicht gebunden ist, weil sie im Rahmen der von Amts wegen zu überprüfenden Beiladungsnotwendigkeit von Bedeutung ist(s dazu nur Leitherer, aaO, § 163 RdNr 5b mwN); denn diese Feststellung des LSG ist in der Sache ohnedies nicht zu beanstanden.

15

Eine Beiladung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe als "eigentlich zuständigen" Rehabilitationsträgers iS des § 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX im Hinblick auf § 14 SGB IX dürfte schon deshalb ausscheiden, weil der Beklagte auch der nach §§ 69, 85, 86 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) iVm § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz für Baden-Württemberg (LKJHG) vom 14.4.2005 (Gesetzblatt 376) - zur Überprüfung des Landesrechts ist der Senat entgegen § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung (ZPO) mangels Berücksichtigung durch das LSG befugt(vgl nur das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) - für die einzig denkbare Leistung des § 35a SGB VIII als Jugendhilfeträger zuständig sein dürfte. Einer genaueren Überprüfung, ob nach den Vorschriften der §§ 5, 6 LKJHG ausnahmsweise eine Zuständigkeit der landkreisangehörigen Gemeinden begründet worden ist, bedarf es nicht, denn auch dann wäre die Gemeinde nicht notwendig beizuladen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 - 5 C 6/11 -, ZFSH/SGB 2012, 33, 35 f), der sich der Senat anschließt, wäre vorliegend von einer vorrangigen Leistungspflicht des beklagten Sozialhilfeträgers (Leistungen der Eingliederungshilfe für ua geistig behinderte junge Menschen) gemäß § 10 Abs 4 SGB VIII(in der seit 1.10.2005 geltenden Fassung) auszugehen. Aufgaben, Ziele und die Leistungen richten sich nämlich ohnedies nach den Vorschriften des SGB XII (§ 35a Abs 3 SGB VIII), decken sich also (vgl zum Erfordernis der Gleichheit oder Gleichartigkeit BVerwG aaO), und bei der Klägerin liegt jedenfalls eine wesentliche geistige Behinderung vor (dazu später). Es kann deshalb dahinstehen, ob sich eine Maßnahmenotwendigkeit auch aufgrund einer seelischen (= psychischen) Behinderung ergeben würde und wodurch sich diese von der geistigen abgrenzt.

16

Schließlich ist auch nicht die Therapeutin der Klägerin notwendig beizuladen. Zwar ist der sozialhilferechtliche Leistungserbringer iS des § 75 SGB XII - und zwar auch bei ambulanten Diensten(§ 75 Abs 1 Satz 1 SGB XII; vgl Jaritz/Eicher, juris PraxisKommentar -SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 24)- bei einer beantragten Kostenübernahme, also einem Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (vgl nur BSGE 102, 1 ff RdNr 25 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9), notwendig beizuladen (BSG, aaO, RdNr 13 ff). Vorliegend verlangt die Klägerin jedoch nicht die Kostenübernahme durch den Beklagten im Rahmen einer Sachleistung im weiten Sinne, sondern die Erstattung der bereits beglichenen Therapiekosten als Geldleistung.

17

Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung durch den zuständigen (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Ausführungsgesetz Baden-Württemberg zum SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534; zur eigenständigen Prüfung des Landesrechts ist der Senat mangels Berücksichtigung durch das LSG entgegen § 202 SGG iVm § 560 ZPO befugt - vgl das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) Beklagten ist § 15 Abs 1 Satz 4 2. Alt SGB IX. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl dazu BSGE 102, 126 ff RdNr 11 f = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Ob der Beklagte die Übernahme der Kosten für die durchgeführte Therapie ab 1.1.2006 "zu Unrecht" abgelehnt hat, lässt sich allerdings anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht abschließend beurteilen. Grundlage dafür ist § 19 Abs 3 SGB XII(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Abs 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO. Hilfen nach § 19 Abs 3 SGB XII werden unter den besonderen Voraussetzungen der Vorschriften des Fünften und Neunten Kapitels geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist.

18

Die Klägerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Nach dieser Vorschrift werden Pflichtleistungen nur an Personen erbracht, die durch eine Behinderung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn - soweit einschlägig - die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den in diesem Punkt unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG liegt eine Behinderung im bezeichneten Sinn bei der Klägerin vor, die an einer geistigen Leistungsstörung (s insoweit zur Legasthenie BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff), nämlich einer ausgeprägten rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche, litt; diese geistige Behinderung war auch wesentlich.

19

Wann dies der Fall ist, ergibt sich aus § 2 Eingliederungshilfe-VO. Er verlangt, dass infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfange die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt ist (vgl allgemein dazu Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 20 ff; Heinz, ZfF 2010, 79 ff). Dies ist jedenfalls zu bejahen, wenn - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Grundschule entgegenstehen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl BSG, Urteil vom 3.11.2011 - B 3 KR 8/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 22) bzw eine valide spätere berufliche Tätigkeit. Insoweit ist wie bei der Prüfung einer Behinderung selbst auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten an den Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft (so wohl auch BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff). Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt.

20

Nicht abschließend entschieden werden kann indes, ob die im Jahre 2006 durchgeführte Therapie geeignet und erforderlich war, der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern, ob also iS des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aussicht bestand, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden konnte. Diese allgemeine Voraussetzung konkretisierend bezeichnet § 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII(hier idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) als Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Nach § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.

21

Wie bereits § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde(BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22). Eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw begleitenden, ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 101, 79 ff RdNr 27 mwN = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII ausdrücklich anordnet, die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht sollten unberührt bleiben. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. Zum anderen normiert § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII lediglich Hilfen, mithin unterstützende Leistungen, überlässt damit die Schulbildung selbst aber den Schulträgern. Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers(ähnlich bereits, wenn auch mit anderer Begründung, BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02 - juris RdNr 17 mwN; BVerwG, Urteil vom 30.4.1992 - 5 C 1/88 - NVwZ 1993, 995, 996 f).

22

Nach diesen Maßstäben kann die durchgeführte Maßnahme eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung sein, weil sie - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - jedenfalls nicht den Kernbereich der schulischen pädagogischen Arbeit berührt, ohne dass dieser genau bestimmt werden müsste. Die durchgeführte Therapie, die nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG den Prinzipien der Montessori-Therapie gefolgt ist, weist den Charakter einer nur unterstützenden und außerhalb des schulischen Betriebs stattfindenden Hilfe auf. Im Rahmen eines ganzheitlichen Denkansatzes sollten unter Verwendung von unterschiedlichem Material vielfältige Bereiche ua der Wahrnehmung, des Sprachverständnisses, der Mathematik, der Geografie, der Biologie und der Umwelt (nur) durch ein zurückhaltendes Angebot von Hilfe und Unterstützung, auch durch "sensibles Beobachten", durch den Therapeuten gefördert werden (hierzu insgesamt der in der Gerichtsakte befindliche "Infobrief über die Montessori-Therapie für Fachstellen" des Montessori-Bundesverbands eV, Mengkofen; zur Zulässigkeit der Feststellung genereller Tatsachen in der Revisionsinstanz s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28 mwN).

23

Soweit das LSG in seiner Entscheidung die Ausführungen des Sachverständigen und die Äußerungen der früheren Klassenlehrerin der Klägerin zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Therapie wiedergegeben und verwertet sowie ausgeführt hat, dass die Therapie "nach dem Förderplan der Montessori-Therapeutin gezielt auf den Aufbau der auditiven Wahrnehmungsleistung abgestimmt" gewesen sei, reicht dies jedoch für eine Beurteilung der individuellen Geeignetheit und Erforderlichkeit der durchgeführten Therapie nicht aus. Erforderlich sind vielmehr konkrete Feststellungen dazu, wie die Klägerin betreut worden ist und wie sich dies im Einzelnen auf die individuelle Lernfähigkeit der Klägerin unter prognostischer Sicht - abgestellt auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl nur allgemein dazu BSG SozR 4-4300 § 86 Nr 1 RdNr 15) - auswirken sollte. Allgemein gehaltene Bewertungen der Montessori-Therapie, ihrer Ziele und Methoden, können diese Beurteilung nicht ersetzen. Da das LSG nach der Zurückverweisung der Sache die fehlenden Feststellungen nachzuholen hat, kommt es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten nicht an. Im Rahmen der Erforderlichkeit der Hilfe wird das LSG auch die Anzahl der Therapiestunden zu überprüfen haben.

24

Schließlich wird es anhand der schuldrechtlichen Vereinbarungen mit der Therapeutin die Höhe der der Klägerin (bzw ihren Eltern) entstandenen und damit übernahme- und erstattungsfähigen Kosten zu ermitteln haben, wobei ohne Bedeutung ist, ob mit der Therapeutin Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII geschlossen sind und - wenn ja - welche Vergütung darin für die Therapiestunden vorgesehen war. Eine diesbezügliche rechtliche Unsicherheit kann sich nicht zu Lasten der Klägerin auswirken (vgl BSGE 102, 126 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Dies gilt umso mehr, als sich Umfang der Behandlung und Vergütung offenbar im Rahmen dessen bewegen, was vom Beklagten in der Zeit zuvor übernommen worden ist. Ob die Voraussetzungen einer Schuldverpflichtung der Klägerin bzw ihrer Eltern gegenüber der Therapeutin und der Angemessenheit der Kosten normimmanent aus §§ 53, 54 SGB XII oder aus § 9 Abs 1 SGB XII (Leistungen nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs) zu entnehmen sind, kann offen bleiben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf dies schon deshalb keiner näheren Begründung, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in vorliegender Konstellation hieraus unterschiedliche Rechtsfragen ergäben.

25

Entgegen der Ansicht des Beklagten steht einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin § 2 Abs 1 SGB XII (sog Nachranggrundsatz) nicht entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist, wenn andere Leistungen - wie hier - tatsächlich nicht erbracht werden, keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind (BSG, Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - RdNr 13; Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1; Urteil vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 16/07 R - RdNr 15). Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist deshalb in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule - wie hier - eine entsprechende Hilfe nicht gewährt, ja sogar darauf verweist, sie nicht erbringen zu können. Ob sie dazu verpflichtet ist, ist unerheblich. Der Sozialhilfeträger muss ggf mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen. Soweit der Beklagte mit seiner Revision in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Auslegung des Landesschulrechts rügt, kommt es darauf unabhängig davon, inwieweit der Senat diese Auslegung überhaupt überprüfen darf (§ 202 SGG iVm § 560 ZPO), für die Entscheidung nicht an.

26

Dem Kostenerstattungsanspruch steht schließlich nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die angefallenen Kosten bereits getragen haben. Sozialhilfeleistungen setzen zwar vom Grundgedanken her einen aktuellen Bedarf voraus; dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) nicht bei einer rechtswidrigen Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt hat und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung erst erstreiten muss (BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R -, BSGE 104, 213 ff RdNr 14 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; vgl auch zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - : BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19, und Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 17 mwN).

27

Ermittlungen darüber, ob die Klägerin im Falle des Klageerfolgs ihren Eltern deren Auslagen erstatten muss oder zumindest wird (vgl dazu in einer anderen Konstellation BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19), sind entbehrlich. Im Rahmen der Vermögenssorge (§ 1926 Bürgerliches Gesetzbuch)für ein achtjähriges Kind sind Vereinbarungen über eine Rückerstattung der Kosten besonderer Sozialhilfeleistungen (§ 84 Abs 2 SGB XII ist nicht anwendbar, weil § 92 Abs 1 Satz 2 SGB XII insoweit als Sonderregelung vorgeht), die die Eltern übernommen haben, weil der Sozialhilfeträger die Leistung abgelehnt hat, bei realitätsnaher Sichtweise unüblich. Unerheblich ist es auch, ob und inwieweit in der Übernahme dieser Kosten eine tatsächliche Unterhaltszahlung zu sehen sein könnte. Eine solche Prüfung würde den Zweck des § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) konterkarieren, die Eltern behinderter mit denen nichtbehinderter Kinder hinsichtlich der aus einer angemessenen Schulbildung ihrer Kinder folgenden Lasten wirtschaftlich gleichzustellen (so bereits BVerwGE 94, 127, 135 f mwN zur Vorgängervorschrift des § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und Satz 2 Bundessozialhilfegesetz).

28

Aus § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII ergibt sich zugleich, dass auf Leistungen weder Einkommen der Klägerin noch Einkommen ihrer Eltern anzurechnen ist; denn nach Satz 1 ist eine Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Eine Vermögensanrechnung unterbleibt völlig (Satz 2). Die Beschränkung auf die Kosten des Lebensunterhalts in § 92 Abs 2 Satz 1 SGB XII bedeutet, dass Aufwendungen des Sozialhilfeträgers für die besonderen Hilfen nicht zu erstatten sind, soweit nicht integraler Bestandteil dieser Hilfen Kosten des Lebensunterhalts sind(Behrend in jurisPK-SGB XII, § 92 SGB XII RdNr 23 mwN). Dies war indes bei der durchgeführten Therapie nicht der Fall. Insoweit setzt § 92 Abs 2 SGB XII nicht voraus, dass gleichzeitig die in § 92 Abs 1 SGB XII beschriebenen Merkmale für die Hilfe für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen vorliegen(Behrend, aaO, RdNr 22 mwN).

29

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(1) Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist es, Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten. Unterstützte Beschäftigung umfasst eine individuelle betriebliche Qualifizierung und bei Bedarf Berufsbegleitung.

(2) Leistungen zur individuellen betrieblichen Qualifizierung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um sie für geeignete betriebliche Tätigkeiten zu erproben, auf ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorzubereiten und bei der Einarbeitung und Qualifizierung auf einem betrieblichen Arbeitsplatz zu unterstützen. Die Leistungen umfassen auch die Vermittlung von berufsübergreifenden Lerninhalten und Schlüsselqualifikationen sowie die Weiterentwicklung der Persönlichkeit der Menschen mit Behinderungen. Die Leistungen werden vom zuständigen Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 für bis zu zwei Jahre erbracht, soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind. Sie können bis zu einer Dauer von weiteren zwölf Monaten verlängert werden, wenn auf Grund der Art oder Schwere der Behinderung der gewünschte nachhaltige Qualifizierungserfolg im Einzelfall nicht anders erreicht werden kann und hinreichend gewährleistet ist, dass eine weitere Qualifizierung zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung führt.

(3) Leistungen der Berufsbegleitung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um nach Begründung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die zu dessen Stabilisierung erforderliche Unterstützung und Krisenintervention zu gewährleisten. Die Leistungen werden bei Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers nach § 6 Absatz 1 Nummer 3 oder 5 von diesem, im Übrigen von dem Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit erbracht, solange und soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind.

(4) Stellt der Rehabilitationsträger während der individuellen betrieblichen Qualifizierung fest, dass voraussichtlich eine anschließende Berufsbegleitung erforderlich ist, für die ein anderer Leistungsträger zuständig ist, beteiligt er diesen frühzeitig.

(5) Die Unterstützte Beschäftigung kann von Integrationsfachdiensten oder anderen Trägern durchgeführt werden. Mit der Durchführung kann nur beauftragt werden, wer über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, um seine Aufgaben entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen erfüllen zu können. Insbesondere müssen die Beauftragten

1.
über Fachkräfte verfügen, die eine geeignete Berufsqualifikation, eine psychosoziale oder arbeitspädagogische Zusatzqualifikation und eine ausreichende Berufserfahrung besitzen,
2.
in der Lage sein, den Menschen mit Behinderungen geeignete individuelle betriebliche Qualifizierungsplätze zur Verfügung zu stellen und ihre berufliche Eingliederung zu unterstützen,
3.
über die erforderliche räumliche und sächliche Ausstattung verfügen sowie
4.
ein System des Qualitätsmanagements im Sinne des § 37 Absatz 2 Satz 1 anwenden.

(6) Zur Konkretisierung und Weiterentwicklung der in Absatz 5 genannten Qualitätsanforderungen vereinbaren die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eine gemeinsame Empfehlung. Die gemeinsame Empfehlung kann auch Ausführungen zu möglichen Leistungsinhalten und zur Zusammenarbeit enthalten. § 26 Absatz 4, 6 und 7 sowie § 27 gelten entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für die Fortführung einer Maßnahme ("Montessori-Therapie") in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006.

2

Die 1998 geborene Klägerin litt an einer rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche und wurde deshalb vom Beklagten ab Mitte 2003 bis zum Ende der Kindergartenzeit Ende Juli 2005 durch die Übernahme von Kosten für eine (nicht ärztlich verordnete) "Montessori-Einzeltherapie" gefördert. Auch nach Einschulung der Klägerin in die Regelschule übernahm der Beklagte die Kosten einer Stunde "Montessori-Einzeltherapie" pro Woche für die Zeit vom 19.9. bis 31.12.2005, lehnte jedoch die Kostenübernahme für die Fortführung der Maßnahme ab 1.1.2006 mit der Begründung ab, dass Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nur für begleitende Hilfen in Betracht komme, während pädagogische Maßnahmen wie die durchgeführte Montessori-Therapie in den Verantwortungsbereich der Schule fielen (Bescheid vom 30.9.2005; Widerspruchsbescheid vom 13.4.2006). Die Kosten der in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführten Therapiestunden haben daraufhin die Eltern der Klägerin getragen.

3

Das Sozialgericht (SG) hat der auf Erstattung dieser Kosten in Höhe von 1181,50 Euro gerichteten Klage - weil die Maßnahme sowohl therapeutische als auch pädagogische Elemente enthalte - nur teilweise entsprochen und den Beklagten verurteilt, der Klägerin "für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 Eingliederungshilfe für die durchgeführte Montessori-Therapie in Höhe von 590,75 Euro zu gewähren" (Urteil vom 21.10.2008). Auf die Berufungen beider Beteiligten hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Zurückweisung von dessen Berufung verurteilt, der Klägerin die gesamten Kosten in Höhe von 1181,50 Euro zu erstatten (Urteil vom 18.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Pflicht zur Übernahme der Kosten ergebe sich aus § 19 Abs 3 SGB XII iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO). Es habe sich bei der Therapie um eine heilpädagogische oder sonstige geeignete und erforderliche Maßnahme gehandelt, die der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht habe ermöglichen oder erleichtern sollen. Der Nachranggrundsatz (§ 2 Abs 1 SGB XII)stehe der Leistungspflicht nicht deshalb entgegen, weil die Montessori-Therapie auch pädagogische Elemente enthalte; sie sei nach den landesrechtlichen Vorschriften des Schulrechts nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit im Sinne des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags zuzurechnen. Schließlich stehe der Gewährung der Eingliederungshilfe nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die Therapie bereits bezahlt hätten.

4

Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 SGB XII. Nach § 15 Abs 4 Schulgesetz für Baden-Württemberg sei die Förderung behinderter Schüler Aufgabe der Schule selbst, sodass diese für Hilfen zur angemessenen Schulbildung eintrittspflichtig sei. Unzutreffend sei die Feststellung des LSG, es handele sich bei der Montessori-Therapie um eine begleitende, nicht um eine sonderpädagogische Maßnahme. Das LSG habe insoweit sowie zur Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten und seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es die Feststellungen der Therapeutin und des Sachverständigen kritiklos übernommen und sich damit ua auf die Ausführungen eines Diplom-Psychologen gestützt habe, der weder durch Habilitation noch durch Promotion eine besondere wissenschaftliche Qualifikation nachweisen könne.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin aufzuheben und das Urteil des SG unter vollständiger Abweisung der Klage abzuändern.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurück-verweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Es fehlen ausreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für ein abschließendes Urteil.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.4.2006 (§ 95 SGG), soweit darin die Übernahme von Kosten (1181,50 Euro) für eine in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführte Therapie (Montessori-Einzeltherapie) abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).

10

Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere ist weder eine Beiladung der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse (KK) noch eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe noch der Therapeutin der Klägerin erforderlich. Nach § 75 Abs 2 Satz 1 1. Alt SGG sind Dritte nämlich (nur) beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); diese Voraussetzungen sind für keinen der Bezeichneten erfüllt. Über eine unechte notwendige Beiladung war mangels Rüge im Revisionsverfahren (s zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN) nicht zu befinden.

11

Eine notwendige Beiladung der KK im Hinblick auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) scheidet aus(vgl zur notwendigen Beiladung wegen unterlassener Weiterleitung des Antrags an den "eigentlich zuständigen" Träger der Teilhabeleistung nur BSGE 93, 283 ff RdNr 6 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Die durchgeführte Maßnahme stellt keine Leistung zur Teilhabe iS der §§ 4, 5 Nr 1, 14 SGB IX dar; denn die KKen sind abweichend von den Vorschriften des SGB IX (vgl § 7 SGB IX) nur unter den Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - ( vgl § 11 Abs 2, §§ 40 ff SGB V) zur Erbringung medizinischer Rehabilitationsleistungen verpflichtet (BSGE 98, 277 ff RdNr 18 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4). Trotz des Aspektes bzw des Ziels der (Wieder-)Herstellung der Gesundheit haben jedoch nicht alle Maßnahmen des SGB V rehabilitativen Charakter in einem Sinn, der dem Verständnis des SGB V über eine Teilhabeleistung entspricht. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Begriff der Teilhabeleistung des § 14 SGB IX eigenständig (weit) oder (nur) nach dem Verständnis des SGB V auszulegen ist. Vorliegend gehörte die durchgeführte Maßnahme ohnedies nicht zum Leistungskatalog des SGB V, sodass schon deshalb keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX eingetreten ist und eine echte notwendige - ebenso wie im Übrigen eine unechte - Beiladung der KK ausscheidet.

12

Ein Kostenerstattungsanspruch für eine vom Versicherten selbstbeschaffte Leistung des SGB V würde voraussetzen, dass diese allgemein als Sach- oder Dienstleistung hätte erbracht werden müssen. Wie das LSG zu Recht erkannt hat, liegen die Voraussetzungen für einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der durchgeführten Therapie im Jahre 2006 nicht vor. Nach den insoweit unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG käme, weil die Therapie nicht von ärztlichen Fachkräften erbracht worden ist, allenfalls eine medizinische Dienstleistung in der Gestalt eines Heilmittels iS des § 32 SGB V(zum Heilmittelbegriff s: BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff; BSGE 96, 153 ff RdNr 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7) in Betracht.

13

Der Heilmittelanspruch eines Versicherten (§ 11 Abs 1 Nr 4, § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Nr 3 SGB V)unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Insoweit sind neue Heilmittel grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien (RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V über die Versorgung mit Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-RL) Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat(§ 138 SGB V). Die Beurteilung der Neuheit eines Heilmittels richtet sich unter formalen Gesichtspunkten danach, ob es nach dem Stand der Beschlüsse des GBA bei Inkrafttreten des § 138 SGB V (am 1.1.1989) Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung war oder seitdem einbezogen worden ist (Bundessozialgericht SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26, 28 und 31; BSGE 94, 221 ff RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25). Dies trifft für die Montessori-Therapie nicht zu, wie den Heilmittel-RL zu entnehmen ist, in die sie als verordnungsfähige Leistung nicht aufgenommen wurde; sie ist mithin als mögliches Heilmittel neu. Der GBA hat demgemäß in einem zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses "Heil- und Hilfsmittel" des Bundesausschusses vom 18.5.2005 über die Beratungen gemäß § 138 SGB V zur konduktiven Förderung nach Petö(abgerufen über das Internet am 15.5.2012 über http://www.g-ba.de/downloads/40-268-256/2005-05-18-Abschluss-Petoe.pdf ) auch ausgeführt, die Wirksamkeit der Montessori-Therapie sei in wissenschaftlichen Studien nicht eindeutig belegt (S 165). Die somit notwendige Empfehlung für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung fehlt. Zudem mangelt es an der nach § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V vorausgesetzten ärztlichen Verordnung(s dazu BSGE 73, 271 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr 4), sodass es auf einen eventuellen indikationsbezogenen Ausschluss über § 32 Abs 1 Satz 2 SGB V in den Heilmittel-RL nicht mehr ankommt.

14

Ein Anspruch aus § 43a SGB V(in der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung; Abs 2 wurde erst mit Wirkung ab 23.7.2009 eingeführt) scheidet von vornherein aus. Danach haben versicherte Kinder (nur) Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische, insbesondere auch psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Nach den insoweit unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG diente die Maßnahme jedoch weder der Früherkennung noch stand sie unter ärztlicher Verantwortung. Es kann dahinstehen, ob der Senat an diese Feststellung entgegen § 163 SGG deshalb nicht gebunden ist, weil sie im Rahmen der von Amts wegen zu überprüfenden Beiladungsnotwendigkeit von Bedeutung ist(s dazu nur Leitherer, aaO, § 163 RdNr 5b mwN); denn diese Feststellung des LSG ist in der Sache ohnedies nicht zu beanstanden.

15

Eine Beiladung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe als "eigentlich zuständigen" Rehabilitationsträgers iS des § 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX im Hinblick auf § 14 SGB IX dürfte schon deshalb ausscheiden, weil der Beklagte auch der nach §§ 69, 85, 86 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) iVm § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz für Baden-Württemberg (LKJHG) vom 14.4.2005 (Gesetzblatt 376) - zur Überprüfung des Landesrechts ist der Senat entgegen § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung (ZPO) mangels Berücksichtigung durch das LSG befugt(vgl nur das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) - für die einzig denkbare Leistung des § 35a SGB VIII als Jugendhilfeträger zuständig sein dürfte. Einer genaueren Überprüfung, ob nach den Vorschriften der §§ 5, 6 LKJHG ausnahmsweise eine Zuständigkeit der landkreisangehörigen Gemeinden begründet worden ist, bedarf es nicht, denn auch dann wäre die Gemeinde nicht notwendig beizuladen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 - 5 C 6/11 -, ZFSH/SGB 2012, 33, 35 f), der sich der Senat anschließt, wäre vorliegend von einer vorrangigen Leistungspflicht des beklagten Sozialhilfeträgers (Leistungen der Eingliederungshilfe für ua geistig behinderte junge Menschen) gemäß § 10 Abs 4 SGB VIII(in der seit 1.10.2005 geltenden Fassung) auszugehen. Aufgaben, Ziele und die Leistungen richten sich nämlich ohnedies nach den Vorschriften des SGB XII (§ 35a Abs 3 SGB VIII), decken sich also (vgl zum Erfordernis der Gleichheit oder Gleichartigkeit BVerwG aaO), und bei der Klägerin liegt jedenfalls eine wesentliche geistige Behinderung vor (dazu später). Es kann deshalb dahinstehen, ob sich eine Maßnahmenotwendigkeit auch aufgrund einer seelischen (= psychischen) Behinderung ergeben würde und wodurch sich diese von der geistigen abgrenzt.

16

Schließlich ist auch nicht die Therapeutin der Klägerin notwendig beizuladen. Zwar ist der sozialhilferechtliche Leistungserbringer iS des § 75 SGB XII - und zwar auch bei ambulanten Diensten(§ 75 Abs 1 Satz 1 SGB XII; vgl Jaritz/Eicher, juris PraxisKommentar -SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 24)- bei einer beantragten Kostenübernahme, also einem Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (vgl nur BSGE 102, 1 ff RdNr 25 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9), notwendig beizuladen (BSG, aaO, RdNr 13 ff). Vorliegend verlangt die Klägerin jedoch nicht die Kostenübernahme durch den Beklagten im Rahmen einer Sachleistung im weiten Sinne, sondern die Erstattung der bereits beglichenen Therapiekosten als Geldleistung.

17

Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung durch den zuständigen (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Ausführungsgesetz Baden-Württemberg zum SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534; zur eigenständigen Prüfung des Landesrechts ist der Senat mangels Berücksichtigung durch das LSG entgegen § 202 SGG iVm § 560 ZPO befugt - vgl das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) Beklagten ist § 15 Abs 1 Satz 4 2. Alt SGB IX. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl dazu BSGE 102, 126 ff RdNr 11 f = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Ob der Beklagte die Übernahme der Kosten für die durchgeführte Therapie ab 1.1.2006 "zu Unrecht" abgelehnt hat, lässt sich allerdings anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht abschließend beurteilen. Grundlage dafür ist § 19 Abs 3 SGB XII(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Abs 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO. Hilfen nach § 19 Abs 3 SGB XII werden unter den besonderen Voraussetzungen der Vorschriften des Fünften und Neunten Kapitels geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist.

18

Die Klägerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Nach dieser Vorschrift werden Pflichtleistungen nur an Personen erbracht, die durch eine Behinderung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn - soweit einschlägig - die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den in diesem Punkt unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG liegt eine Behinderung im bezeichneten Sinn bei der Klägerin vor, die an einer geistigen Leistungsstörung (s insoweit zur Legasthenie BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff), nämlich einer ausgeprägten rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche, litt; diese geistige Behinderung war auch wesentlich.

19

Wann dies der Fall ist, ergibt sich aus § 2 Eingliederungshilfe-VO. Er verlangt, dass infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfange die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt ist (vgl allgemein dazu Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 20 ff; Heinz, ZfF 2010, 79 ff). Dies ist jedenfalls zu bejahen, wenn - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Grundschule entgegenstehen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl BSG, Urteil vom 3.11.2011 - B 3 KR 8/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 22) bzw eine valide spätere berufliche Tätigkeit. Insoweit ist wie bei der Prüfung einer Behinderung selbst auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten an den Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft (so wohl auch BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff). Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt.

20

Nicht abschließend entschieden werden kann indes, ob die im Jahre 2006 durchgeführte Therapie geeignet und erforderlich war, der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern, ob also iS des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aussicht bestand, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden konnte. Diese allgemeine Voraussetzung konkretisierend bezeichnet § 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII(hier idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) als Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Nach § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.

21

Wie bereits § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde(BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22). Eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw begleitenden, ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 101, 79 ff RdNr 27 mwN = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII ausdrücklich anordnet, die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht sollten unberührt bleiben. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. Zum anderen normiert § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII lediglich Hilfen, mithin unterstützende Leistungen, überlässt damit die Schulbildung selbst aber den Schulträgern. Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers(ähnlich bereits, wenn auch mit anderer Begründung, BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02 - juris RdNr 17 mwN; BVerwG, Urteil vom 30.4.1992 - 5 C 1/88 - NVwZ 1993, 995, 996 f).

22

Nach diesen Maßstäben kann die durchgeführte Maßnahme eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung sein, weil sie - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - jedenfalls nicht den Kernbereich der schulischen pädagogischen Arbeit berührt, ohne dass dieser genau bestimmt werden müsste. Die durchgeführte Therapie, die nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG den Prinzipien der Montessori-Therapie gefolgt ist, weist den Charakter einer nur unterstützenden und außerhalb des schulischen Betriebs stattfindenden Hilfe auf. Im Rahmen eines ganzheitlichen Denkansatzes sollten unter Verwendung von unterschiedlichem Material vielfältige Bereiche ua der Wahrnehmung, des Sprachverständnisses, der Mathematik, der Geografie, der Biologie und der Umwelt (nur) durch ein zurückhaltendes Angebot von Hilfe und Unterstützung, auch durch "sensibles Beobachten", durch den Therapeuten gefördert werden (hierzu insgesamt der in der Gerichtsakte befindliche "Infobrief über die Montessori-Therapie für Fachstellen" des Montessori-Bundesverbands eV, Mengkofen; zur Zulässigkeit der Feststellung genereller Tatsachen in der Revisionsinstanz s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28 mwN).

23

Soweit das LSG in seiner Entscheidung die Ausführungen des Sachverständigen und die Äußerungen der früheren Klassenlehrerin der Klägerin zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Therapie wiedergegeben und verwertet sowie ausgeführt hat, dass die Therapie "nach dem Förderplan der Montessori-Therapeutin gezielt auf den Aufbau der auditiven Wahrnehmungsleistung abgestimmt" gewesen sei, reicht dies jedoch für eine Beurteilung der individuellen Geeignetheit und Erforderlichkeit der durchgeführten Therapie nicht aus. Erforderlich sind vielmehr konkrete Feststellungen dazu, wie die Klägerin betreut worden ist und wie sich dies im Einzelnen auf die individuelle Lernfähigkeit der Klägerin unter prognostischer Sicht - abgestellt auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl nur allgemein dazu BSG SozR 4-4300 § 86 Nr 1 RdNr 15) - auswirken sollte. Allgemein gehaltene Bewertungen der Montessori-Therapie, ihrer Ziele und Methoden, können diese Beurteilung nicht ersetzen. Da das LSG nach der Zurückverweisung der Sache die fehlenden Feststellungen nachzuholen hat, kommt es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten nicht an. Im Rahmen der Erforderlichkeit der Hilfe wird das LSG auch die Anzahl der Therapiestunden zu überprüfen haben.

24

Schließlich wird es anhand der schuldrechtlichen Vereinbarungen mit der Therapeutin die Höhe der der Klägerin (bzw ihren Eltern) entstandenen und damit übernahme- und erstattungsfähigen Kosten zu ermitteln haben, wobei ohne Bedeutung ist, ob mit der Therapeutin Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII geschlossen sind und - wenn ja - welche Vergütung darin für die Therapiestunden vorgesehen war. Eine diesbezügliche rechtliche Unsicherheit kann sich nicht zu Lasten der Klägerin auswirken (vgl BSGE 102, 126 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Dies gilt umso mehr, als sich Umfang der Behandlung und Vergütung offenbar im Rahmen dessen bewegen, was vom Beklagten in der Zeit zuvor übernommen worden ist. Ob die Voraussetzungen einer Schuldverpflichtung der Klägerin bzw ihrer Eltern gegenüber der Therapeutin und der Angemessenheit der Kosten normimmanent aus §§ 53, 54 SGB XII oder aus § 9 Abs 1 SGB XII (Leistungen nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs) zu entnehmen sind, kann offen bleiben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf dies schon deshalb keiner näheren Begründung, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in vorliegender Konstellation hieraus unterschiedliche Rechtsfragen ergäben.

25

Entgegen der Ansicht des Beklagten steht einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin § 2 Abs 1 SGB XII (sog Nachranggrundsatz) nicht entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist, wenn andere Leistungen - wie hier - tatsächlich nicht erbracht werden, keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind (BSG, Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - RdNr 13; Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1; Urteil vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 16/07 R - RdNr 15). Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist deshalb in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule - wie hier - eine entsprechende Hilfe nicht gewährt, ja sogar darauf verweist, sie nicht erbringen zu können. Ob sie dazu verpflichtet ist, ist unerheblich. Der Sozialhilfeträger muss ggf mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen. Soweit der Beklagte mit seiner Revision in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Auslegung des Landesschulrechts rügt, kommt es darauf unabhängig davon, inwieweit der Senat diese Auslegung überhaupt überprüfen darf (§ 202 SGG iVm § 560 ZPO), für die Entscheidung nicht an.

26

Dem Kostenerstattungsanspruch steht schließlich nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die angefallenen Kosten bereits getragen haben. Sozialhilfeleistungen setzen zwar vom Grundgedanken her einen aktuellen Bedarf voraus; dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) nicht bei einer rechtswidrigen Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt hat und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung erst erstreiten muss (BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R -, BSGE 104, 213 ff RdNr 14 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; vgl auch zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - : BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19, und Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 17 mwN).

27

Ermittlungen darüber, ob die Klägerin im Falle des Klageerfolgs ihren Eltern deren Auslagen erstatten muss oder zumindest wird (vgl dazu in einer anderen Konstellation BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19), sind entbehrlich. Im Rahmen der Vermögenssorge (§ 1926 Bürgerliches Gesetzbuch)für ein achtjähriges Kind sind Vereinbarungen über eine Rückerstattung der Kosten besonderer Sozialhilfeleistungen (§ 84 Abs 2 SGB XII ist nicht anwendbar, weil § 92 Abs 1 Satz 2 SGB XII insoweit als Sonderregelung vorgeht), die die Eltern übernommen haben, weil der Sozialhilfeträger die Leistung abgelehnt hat, bei realitätsnaher Sichtweise unüblich. Unerheblich ist es auch, ob und inwieweit in der Übernahme dieser Kosten eine tatsächliche Unterhaltszahlung zu sehen sein könnte. Eine solche Prüfung würde den Zweck des § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) konterkarieren, die Eltern behinderter mit denen nichtbehinderter Kinder hinsichtlich der aus einer angemessenen Schulbildung ihrer Kinder folgenden Lasten wirtschaftlich gleichzustellen (so bereits BVerwGE 94, 127, 135 f mwN zur Vorgängervorschrift des § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und Satz 2 Bundessozialhilfegesetz).

28

Aus § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII ergibt sich zugleich, dass auf Leistungen weder Einkommen der Klägerin noch Einkommen ihrer Eltern anzurechnen ist; denn nach Satz 1 ist eine Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Eine Vermögensanrechnung unterbleibt völlig (Satz 2). Die Beschränkung auf die Kosten des Lebensunterhalts in § 92 Abs 2 Satz 1 SGB XII bedeutet, dass Aufwendungen des Sozialhilfeträgers für die besonderen Hilfen nicht zu erstatten sind, soweit nicht integraler Bestandteil dieser Hilfen Kosten des Lebensunterhalts sind(Behrend in jurisPK-SGB XII, § 92 SGB XII RdNr 23 mwN). Dies war indes bei der durchgeführten Therapie nicht der Fall. Insoweit setzt § 92 Abs 2 SGB XII nicht voraus, dass gleichzeitig die in § 92 Abs 1 SGB XII beschriebenen Merkmale für die Hilfe für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen vorliegen(Behrend, aaO, RdNr 22 mwN).

29

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2011 - L 16 KR 185/09 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 3555,59 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des klagenden überörtlichen Sozialhilfeträgers gegen die beklagte Krankenkasse auf Erstattung der Kosten für einen Therapiestuhl nebst Zubehör im Rahmen der Zweitversorgung zwecks Besuchs eines Kindergartens.

2

Die am geborene Versicherte S. ist wegen einer durch ein Anfallsleiden verursachten schwerwiegenden Entwicklungsstörung mit Tetraspastik gehunfähig und nicht in der Lage, frei zu sitzen. Die Beklagte versorgte sie ua mit einem Aktivrollstuhl und einem im häuslichen Bereich verwendeten Therapiestuhl des Fabrikats "Gamma 2". In der Zeit von August 2005 bis August 2008 besuchte sie auf Kosten des Klägers (Bescheid vom 3.5.2005, gestützt auf § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 2 Nr 2 SGB IX) einen heilpädagogischen Kindergarten in Brakel-Erkeln, den sie an jedem Öffnungstag von ihrem Wohnort Beverungen-Amelunxen aus aufsuchte. Seitdem ist sie Schülerin an einer Förderschule.

3

Am 3.5.2005 beantragte die Versicherte unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlags die Zweitversorgung mit einem weiteren Therapiestuhl (Fabrikat "Wombat upgrade") nebst Therapietisch und sonstigem notwendigen Zubehör (Hilfsmittelverzeichnis Position 26 11050009) für den Besuch des Kindergartens. Dieser Therapiestuhl sollte in der Einrichtung deponiert werden, weil ein täglicher Transport des vorhandenen Therapiestuhls wegen seines Gewichts (mehr als 17 kg) und seiner Größe sowie wegen der Notwendigkeit exakter Einstellung aller Komponenten bei jedem Montagevorgang nicht möglich war.

4

Die Beklagte leitete den Antrag mit Schreiben vom 17.5.2005 an den nach ihrer Auffassung leistungsrechtlich zuständigen Kläger weiter, wo er am 19.5.2005 einging. Dieser gewährte der Versicherten im Wege der Leihe das begehrte Hilfsmittel (Auslieferung am 23.11.2005) unter Hinweis auf seine nachrangige Leistungsverpflichtung als zweitangegangener Rehabilitationsträger gemäß § 14 SGB IX(Bescheid vom 10.10.2005) und verlangte von der Beklagten die Erstattung der dafür berechneten (und am 8.12.2005 gezahlten) Kosten in Höhe von 3555,59 Euro. Die nach Ablehnung der Erstattung (Schreiben der Beklagten vom 17.11.2005) erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 29.7.2009). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte zur Zahlung von 3555,59 Euro zuzüglich 4 % Zinsen aus 3555 Euro ab 1.2.2006 verurteilt (Urteil vom 20.1.2011): Dem Kläger stehe ein Erstattungsanspruch zu, weil er der Versicherten eine in die Zuständigkeit der Beklagten fallende Leistung gewährt habe. Die Zweitversorgung der Versicherten mit einem Therapiestuhl für den Kindergartenbesuch sei zur Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und somit zu dem von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu gewährleistenden mittelbaren Behinderungsausgleich erforderlich. Der Besuch eines Kindergartens diene der Vorbereitung auf den Erwerb schulischen Allgemeinwissens in der Förderschule und damit der Aneignung elementarer Grundkenntnisse. Darüber hinaus sei der Besuch eines Kindergartens gerade für schwerstbehinderte Kinder zur Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder erforderlich. Diese Grundbedürfnisse seien durch den im Rahmen der Erstversorgung gewährten, aber nicht zum täglichen Transport geeigneten Therapiestuhl nicht ausreichend gedeckt.

5

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 14 Abs 4 S 1 SGB IX und § 33 Abs 1 SGB V. Die Versorgung der Versicherten mit einem zweiten Therapiestuhl für den Besuch des Kindergartens falle nicht in die Zuständigkeit der GKV. Denn ein dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienendes Hilfsmittel sei nur dann von der Krankenkasse zu gewähren, wenn es ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens erfülle. Der freiwillige Besuch eines Kindergartens betreffe kein allgemeines Grundbedürfnis, weil die Integration eines Kindes in den Kreis Gleichaltriger auch ohne einen solchen Besuch möglich sei und dieser auch keine unabdingbare Voraussetzung für den anschließenden verpflichtenden Schulbesuch darstelle. Im Vergleich mit normalen integrativen Kindertageseinrichtungen gebe es beim Besuch eines heilpädagogischen Kindergartens auch keine Besonderheiten, die eine Zuständigkeit der GKV auslösen könnten.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.1.2011 - L 16 KR 185/09 - zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.7.2009 zurückzuweisen.

7

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Kläger im Falle einer Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung den Therapiestuhl Zug um Zug an diese übereignen wird. Auf die Aufnahme der Zug-um-Zug-Verurteilung in den Urteilstenor wurde verzichtet.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht; denn die Versicherte hatte einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Versorgung mit einem zweiten Therapiestuhl zur Ermöglichung des Besuchs des heilpädagogischen Kindergartens.

10

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 14 Abs 4 S 1 SGB IX: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften." Diese Erstattungsregelung, die als "lex specialis" zu den allgemeinen Erstattungsansprüchen zwischen Sozialleistungsträgern nach den §§ 102 ff SGB X anzusehen ist und diese deshalb verdrängt(BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 18; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 10 RdNr 11 mwN), ist hier einschlägig, weil die Beklagte den bei ihr eingereichten Leistungsantrag der Versicherten vom 3.5.2005 als erstangegangener Rehabilitationsträger, der für Leistungen der medizinischen Rehabilitation zuständig ist (§ 5 Nr 1 SGB IX), fristgemäß (§ 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX) an den von ihr für zuständig erachteten Kläger als Rehabilitationsträger, der für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig ist (§ 5 Nr 4 SGB IX), weitergeleitet hat und der Kläger das begehrte Hilfsmittel als nunmehr im Außenverhältnis zu der Versicherten zuständiger zweitangegangener Rehabilitationsträger nach Feststellung des Rehabilitationsbedarfs (§ 14 Abs 2 S 1 und 3 SGB IX) auf Leihbasis (§ 33 Abs 1 und Abs 5 S 1 SGB V sowie § 31 Abs 1 und Abs 4 S 1 SGB IX) bewilligt hat, wobei er die Beklagte als nach § 33 Abs 1 SGB V eigentlich zuständigen Sozialleistungsträger ansah, weil es um medizinische Rehabilitation gehe.

11

Zu Recht hat der Kläger seinen vorprozessual zunächst erhobenen Einwand, die Weiterleitung des Leistungsantrages sei verspätet erfolgt, so dass gemäß § 14 Abs 2 SGB IX die Beklagte selbst den Antrag unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten prüfen und bescheiden müsse(Schreiben vom 15.6.2005), später fallen gelassen und im Klageverfahren auch nicht wiederholt. Die Beklagte hat den bei ihr am 3.5.2005 gestellten Leistungsantrag der Versicherten mit Schreiben vom 17.5.2005 an den Kläger weitergeleitet, wo er am 19.5.2005 eingegangen ist. Damit ist die Prüfungs- und Weiterleitungsfrist des § 14 Abs 1 S 2 SGB IX gewahrt worden. Nach dieser Vorschrift leitet der erstangegangene Rehabilitationsträger den Leistungsantrag "unverzüglich" dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu, wenn er bei der Prüfung des Antrages festgestellt hat, dass er für die Leistung nicht zuständig ist; dabei beträgt die Prüfungsfrist "zwei Wochen nach Eingang des Antrages" (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IX). Die zweiwöchige Prüfungsfrist begann gemäß § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB im vorliegenden Fall am Tage nach dem Eingang des Leistungsantrages vom 3.5.2005, also am 4.5.2005, und endete gemäß § 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB mit Ablauf des 17.5.2005. An diesem Tage hat die Beklagte den Leistungsantrag dem Kläger "zugeleitet" bzw - so die Begrifflichkeit in § 14 Abs 2 S 1 SGB IX - an ihn "weitergeleitet". Maßgebend für die Fristgerechtigkeit der Zuleitung bzw Weiterleitung ist dabei der Zeitpunkt der Absendung des betreffenden Schreibens (17.5.2005), nicht aber der Zeitpunkt des Eingangs beim Empfänger (19.5.2005). Daher kam es nicht einmal darauf an, dass sich an die Prüfungsfrist von maximal zwei Wochen (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IX)auch noch eine gesonderte Weiterleitungsfrist (§ 14 Abs 1 S 2 SGB IX) anschließt, die allerdings sehr kurz zu bemessen ist, weil die Weiterleitung "unverzüglich", also "ohne schuldhaftes Zögern" (vgl § 121 Abs 1 BGB, dazu auch BSGE 22, 187),zu erfolgen hat. Der erstangegangene Rehabilitationsträger kann jedenfalls die Prüfungsfrist von zwei Wochen voll ausnutzen und hat dann immer noch die Möglichkeit, den Leistungsantrag fristwahrend am ersten Werktag nach dem Ende der Prüfungsfrist an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten (vgl Götz in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl 2006, § 14 RdNr 9; Welti in Lachwitz/Schellhorn/Welti, SGB IX, 3. Aufl 2010, § 14 RdNr 27; Ulrich, SGb 2008, 452, 454; ebenso § 2 Nr 1 der Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens in der Fassung vom 22.3.2004).

12

Die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX sind ebenfalls erfüllt, weil die Versicherte die begehrte Leistung von der Beklagten nach den Vorschriften des SGB V als dem für den Bereich der GKV einschlägigen materiellen Recht(§ 7 S 2 SGB IX) beanspruchen konnte (§ 33 Abs 1 SGB V) und die Beklagte den Leistungsantrag deshalb zu Unrecht an den Kläger weitergeleitet hat (§ 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX). Die Beklagte war für die Zweitversorgung der Versicherten mit dem weiteren Therapiestuhl leistungspflichtig, weil das Hilfsmittel unter den gegebenen Umständen dieses Falles erforderlich (§ 33 Abs 1 S 1 SGB V) und wirtschaftlich war (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 SGB V). Die Ausstattung der Versicherten mit dem ersten Therapiestuhl war zum mittelbaren Behinderungsausgleich im Bereich der Mobilität nicht ausreichend, weil die Versicherte im Kindergarten einen solchen Therapiestuhl benötigte, der vorhandene Therapiestuhl zum täglichen Transport nicht geeignet war und die in der Einrichtung durchgeführten Bildungs-, Erziehungs- und Fördermaßnahmen (vgl dazu § 22 Abs 2 und 3 SGB VIII) auch auf das Erreichen der Schulfähigkeit abzielten, damit Grundvoraussetzungen für den Erwerb einer elementaren Schulausbildung schufen und so der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens dienten.

13

Nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V in der im Jahre 2005 (dem maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den Kläger) geltenden Fassung des Art 1 Nr 20 Buchst a aa des Gesetzes zur Modernisierung der GKV (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V (Rechtsverordnung zu Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Die begehrte Zweitversorgung mit dem weiteren Therapiestuhl diente hier ersichtlich nicht der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und auch nicht der Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung, sondern allein dem Ausgleich der Folgen der seit Geburt vorhandenen Behinderung der Versicherten (3. Variante). Der Therapiestuhl ist als speziell für gehunfähige und der Haltungsstabilisierung bedürftige Menschen entwickeltes und hergestelltes Hilfsmittel kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht durch die Rechtsverordnung nach § 34 Abs 4 SGB V von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs 1 SGB V jedoch mit der Bereitstellung des ersten Therapiestuhls nur solange erfüllt, wie die Versicherte ganztags zu Hause lebte und noch nicht in den Kindergarten ging. Mit Beginn des Besuchs des heilpädagogischen Kindergartens hatte die Versicherte einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausstattung mit einem zweiten Therapiestuhl nebst zugehörigem Therapietisch und sonstigem Zubehör. Dabei ist es unerheblich, ob die Versicherte auch zu Hause schon mit einem - an dem Therapiestuhl anzubringenden - Therapietisch versorgt war oder ob es sich insoweit um eine Erstausstattung handelt.

14

Grundsätzlich bemisst sich die Leistungszuständigkeit der GKV im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder zum mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen, Hörgeräten und Sehhilfen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 - C-Leg II). Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die GKV nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl zuletzt etwa BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 14 ff - Hörgerätefestbetrag; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31, RdNr 16 f - Treppensteighilfe; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 13 - Therapiedreirad II; jeweils mwN). Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (zB Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der zB die Bewegung im Nahbereich der Wohnung sowie die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6 mwN).

15

Zu den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langer Zeit anerkannten Aufgaben der GKV gehört auch die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40). Das ergibt sich aus der historischen Entwicklung der Hilfsmittelversorgung in der GKV. Ursprünglich war die GKV als reine Arbeitnehmerversicherung konzipiert. Sie hatte das Ziel, den im Erwerbsleben stehenden Versicherten im Falle der Arbeitsunfähigkeit durch Krankenhilfe, Hilfsmittelversorgung und andere Maßnahmen wieder in das Arbeitsleben einzugliedern (zur Hilfsmittelversorgung vgl den durch das RehaAnglG aufgehobenen § 187 Nr 3 RVO),wobei die Begriffe der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit im Sinne der GKV auf die vom Versicherten bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit abstellten (BSGE 19, 179, 181 = SozR Nr 8 zu § 182 RVO). Mit der späteren Einbeziehung nicht im Erwerbsleben stehender Personen in die GKV erwies sich diese Auslegung des Begriffs "Arbeitsfähigkeit" jedoch als zu eng. Eine strenge Bezugnahme dieses Begriffs auf den bisher ausgeübten Beruf hätte in den Fällen, in denen es sich um Versicherte handelt, die infolge Invalidität oder Alters aus dem Erwerbsleben bereits ausgeschieden waren (Rentner) oder als mitversicherte Familienangehörige entweder überhaupt nicht am Erwerbsleben teilnahmen (Nur-Hausfrauen) oder noch vor dem Eintritt in das Berufsleben standen (Kinder, Schüler, Studenten), zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Leistungsausschluss geführt. Daher hat es die Rechtsprechung des BSG trotz zunächst unveränderten Wortlauts des § 187 Nr 3 RVO ausreichen lassen, wenn mit einem Hilfsmittel die Fähigkeit hergestellt oder erhalten wurde, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen(BSGE 30, 270, 272 = SozR Nr 1 zu § 11 VO über KVdR; BSGE 33, 263, 266 = SozR Nr 2 zu § 187 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; so auch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26.2.1982, Beil Nr 32/82 zum BAnz Nr 125 = DOK 1982, 621 = BKK 1982, 269) bzw die "Alltagskompetenzen" eines Menschen gesichert wurden. Für Schüler setzte die Rechtsprechung den Begriff der Arbeitsfähigkeit folgerichtig mit dem Begriff der Schulfähigkeit gleich (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; stRspr). Benötigte ein Schüler aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ein - von der Schule nicht vorzuhaltendes - Hilfsmittel, um am Unterricht in der Schule erfolgreich teilzunehmen bzw die Hausaufgaben erledigen zu können, hatte die Krankenkasse dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, weil es um die Herstellung oder Sicherung der Schulfähigkeit ging. Die Schulfähigkeit bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung waren damit als allgemeines Grundbedürfnis eines Schülers anerkannt (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182b Nr 13; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28). Diese Rechtsprechung ist auf den Anspruch auf Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V ab 1989 unverändert übertragen und fortgeführt worden(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6).

16

Die Schulfähigkeit ist aber nur insoweit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens iS des § 33 SGB V(und des § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) anzusehen, als es um die Vermittlung von grundlegendem schulischem Wissen und Können an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder der Förder- bzw Sonderschulpflicht geht. Die Landesgesetzgeber haben den Erwerb eines alltagsrelevanten Grundwissens und der für das tägliche Leben notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit der bindenden Verpflichtung aller Kinder, die im jeweiligen Bundesland leben, zum Besuch einer Schule angeordnet und gehen davon aus, dass dieses Grundwissen in Gymnasien in neun und ansonsten in zehn Jahren (am Erreichen des Hauptschulabschlusses orientierte Dauer der allgemeinen Schulpflicht) bzw an bestimmten Förderschulen in elf Jahren vermittelt wird und erlernbar ist. Für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich dies aus den §§ 34 und 37 des Schulgesetzes (SchulG NRW) vom 15.2.2005 (GV NRW 2005, 102). Wenn die GKV dafür einzustehen hat, behinderten Menschen im Wege der medizinischen Rehabilitation die notwendige Kompetenz zur Bewältigung des Alltags zu vermitteln, so muss sie zwar die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Menschen das staatlicherseits als Minimum angesehene Maß an Bildung erwerben und die ihnen insoweit auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen können; darüber hinausgehende Bildungsziele hat sie aber nicht mehr zu fördern. Das ist vielmehr Aufgabe anderer Leistungsträger, wie zB des Klägers, der im Wege der Eingliederungshilfe neben Hilfen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch solche zum Besuch weiterführender Schulen und zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule (§ 54 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 SGB XII) zu gewähren hat. Wer über das Ende der Schulpflicht hinaus weiter die Schule besucht oder sich später berufsbegleitend weiterbildet (zweiter Bildungsweg, Abendschule, Volkshochschule), tut dies ohne staatlichen Zwang aus eigenem Entschluss. Ein Versicherter kommt damit einem - im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägten - individuellen Bildungsbedürfnis nach, das zwar in verschiedener Weise auch staatlich gefördert wird, aber nicht als - alle Menschen grundsätzlich gleichermaßen betreffendes - allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens einzustufen ist. Die GKV ist zu einer so weitgehenden Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit nicht verpflichtet. Bei einem sehbehindertengerecht ausgestatteten Notebook, das von einem Studenten in erster Linie für studienbezogene Zwecke eingesetzt wird, für die Beschaffung von Informationen und die Herstellung von Kommunikationsmöglichkeiten im täglichen Leben aber nicht unerlässlich ist, handelt es sich also nicht um ein von der GKV zu leistendes Hilfsmittel, weil ein Studium an einer Hochschule dem Bereich der Berufsausbildung zuzuordnen ist. Die Studierfähigkeit, die mit diesem Hilfsmittel gefördert werden soll, zählt nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens eines Menschen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40).

17

In den bisherigen Entscheidungen des BSG zur Hilfsmittelversorgung von Schülern bestand allerdings kein Anlass, die Frage zu klären, ob es schon um die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens geht, wenn ein Kind altersbedingt noch nicht der Schulpflicht unterliegt und es deshalb nicht um die Herstellung oder Wahrung der Schulfähigkeit geht, sondern um die Hinführung eines Kindes auf die Schulfähigkeit und die Vorbereitung auf den Erwerb eines elementaren Schulwissens im Rahmen der Aktivitäten in einer Kindertageseinrichtung. Der Senat hat lediglich in einer Entscheidung zur häuslichen Krankenpflege (BSGE 90, 143 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5) die Pflicht zur versichertenfreundlichen Auslegung der leistungsrechtlichen Vorgaben des SGB V vor dem Hintergrund des § 2 Abs 2 SGB I als geboten angesehen, wozu bei Kindern die Wiederherstellung und Sicherung der Möglichkeit zur sozialen Integration unter Gleichaltrigen in einer Kindertageseinrichtung sowie der Schulfähigkeit nach Eintritt der Schulpflicht gehöre. An diese Entscheidung sowie an die oben genannten Grundsätze zum erweiterten mittelbaren Behinderungsausgleich bei der Mobilität von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Schulbesuchs zur Erfüllung der Schulpflicht kann hier aber ohne Weiteres angeknüpft werden.

18

Kindertageseinrichtungen entlasten die Eltern nicht nur von der Betreuung des Kindes (Betreuungsauftrag gemäß § 22 Abs 2 Nr 3, Abs 3 SGB VIII iVm § 3 Abs 1 Kinderbildungsgesetz NRW - KiBiz - vom 30.10.2007, GV NRW 2007, 462), sondern unterstützen darüber hinaus die Eltern in der Wahrnehmung ihrer Erziehungs- und Bildungsverantwortung und ergänzen die Förderung des Kindes in der Familie (§ 22 Abs 2 Nr 2, Abs 3 SGB VIII iVm § 2 S 3 und § 3 Abs 1 KiBiz).

19

Dem Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen kommt dabei nach dem Willen des Gesetzgebers eine besondere Bedeutung zu. Während nach der bis zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage die Aufgabe der Kindertageseinrichtungen in der "Betreuung, Bildung und Erziehung" bestand (§ 22 SGB VIII aF), hat der Gesetzgeber mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) vom 27.12.2004 (BGBl I 3852) mit Wirkung ab 1.1.2005 die Förderungselemente "Betreuung" und "Erziehung" gegeneinander ausgetauscht (§ 22 Abs 3 SGB VIII nF), um das Förderungselement "Bildung" durch die Platzierung dieses Begriffs vor der "Betreuung" stärker zu gewichten (BT-Drucks 15/3676 S 31 f). Daraus ist ersichtlich, dass die Betreuung eines Kindes nicht mehr im Vordergrund steht, sondern Bildung und Erziehung der Kinder vorrangig sind, wobei beide Ziele zwangsläufig mit der Betreuung verbunden sind und diese voraussetzen (Busch, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 29.2., § 22 SGB VIII RdNr 30, Stand 2009). Der den Kindertageseinrichtungen somit gesetzlich zugewiesene zentrale Bildungsauftrag (§ 22 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 S 1 SGB VIII nF) hat zur Folge, dass sich die Aufgabenbereiche von Kindertageseinrichtungen und Schulen im Hinblick auf die Vermittlung elementarer alltäglicher Kenntnisse und Fertigkeiten überschneiden und die Kindertageseinrichtungen die Voraussetzungen für den späteren Erwerb der Schulfähigkeit und einer elementaren Schulausbildung vermitteln.

20

Dabei ist klarzustellen, dass es im vorliegenden Fall um die Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen bzw - bei Ganztagesbetreuung - Kindertagesstätten (Kita) geht, die von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren besucht werden (§ 24 Abs 1 SGB VIII). Diese Einrichtungen werden in Deutschland allgemein als Kindergarten bezeichnet. Es handelt sich um eine Lebensphase, in der sich die elementaren - insbesondere die für die Schulfähigkeit maßgebenden körperlichen, kognitiven und sozialen - Voraussetzungen herausbilden und insoweit pädagogischer Einfluss genommen werden kann. Ua entwickelt sich in dieser Zeit das Sozialverhalten im Sinne des Erlernens sozialer Grundregeln (zB Teilen, Ausdruck von Gefühlen), da erst mit dem vierten Lebensjahr die Orientierung zu Gleichaltrigen beginnt. Für die Entwicklung dieser sozialen Kompetenzen ist der Kontakt zu Gleichaltrigen von besonderer Bedeutung. Zur Erreichung dieser Ziele bedient sich in Deutschland die große Mehrheit der Eltern der Hilfe durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kindergärten, die gemäß § 22 Abs 2 Nr 2 SGB VIII "die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen" und gemäß § 22 Abs 2 Nr 3 SGB VIII "den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können". Nach der Bundesjugendstatistik 2006 lag die Betreuungsquote für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren in Kindergärten schon damals bundesweit bei 86,9 % und in Nordrhein-Westfalen bei 83,7 %.

21

Zu den Kindertageseinrichtungen zählen in Deutschland neben den Kindergärten auch Kinderkrippen, die für Kinder bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres bestimmt sind (§ 24 Abs 3 SGB VIII), sowie Kinderhorte, die von Kindern im Grundschulalter außerhalb des Schulunterrichts besucht werden können. Die Versorgung mit Hilfsmitteln im Falle des Besuchs von Kinderkrippen und Kinderhorten ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Nicht zu entscheiden war auch über die Hilfsmittelversorgung zur Teilnahme eines Kindes an der - von Tagespflegepersonen (Tagesmütter und Tagesväter) durchgeführten - Kindertagespflege (§ 22 Abs 1 S 2 iVm § 23 SGB VIII). Entscheidungsrelevant ist also allein die Zweitversorgung mit Hilfsmitteln im Zusammenhang mit dem Besuch eines Kindergartens. Dabei ist grundsätzlich nicht danach zu unterscheiden, ob es sich um einen Regelkindergarten handelt oder um sonderpädagogische oder - so hier - heilpädagogische Kindergärten, die vielfach als integrative Kindergärten betrieben werden, also Kinder mit und ohne Behinderung oder Förderbedarf gemeinsam betreuen (vgl zB § 35a Abs 4 S 2 SGB VIII zur Aufnahme seelisch behinderter Kinder in integrative Kindergärten). Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte der einzelnen Kindergarten-Typen ist die Bildung und Erziehung der Kinder mit dem Ziel des Erwerbs elementarer Kenntnisse und Fähigkeiten ein gemeinsames Wesensmerkmal.

22

Den Besuch eines Kindergartens an sich sieht der erkennende Senat allerdings weiterhin nicht als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens an, weil dieser Besuch - anders als der Besuch einer Schule im Rahmen der Schulpflicht - vom Gesetzgeber bisher nicht als gesetzliche Pflicht ausgestaltet ist und den Eltern deshalb im Rahmen ihres Ermessens ein Wahlrecht zusteht, ob sie den Auftrag zur Erziehung und Bildung ihrer Kinder bis zum Erreichen der Schulpflicht allein wahrnehmen wollen oder sich der Hilfe der Kindergärten bedienen (§ 22 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 S 1 SGB VIII), wie es mittlerweile der Regelfall ist. Maßgeblich ist die Hinführung auf die Schulfähigkeit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Noch nicht der Schulpflicht unterliegende gehbehinderte Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren können demgemäß die Zweitausstattung mit einem weiteren Therapiestuhl auf Kosten der GKV erlangen, wenn der bereits vorhandene heimische Therapiestuhl wochentäglich nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand zum Kindergarten transportiert werden könnte und bei diesen Kindern deshalb die Förderung ihrer Schulfähigkeit sowie die Integration in den Kreis Gleichaltriger nicht gesichert wären. Nach den in Nordrhein-Westfalen geltenden Schul- und Kinderbildungsgesetzen (vgl zB § 14 KiBiz und § 36 SchulG NRW)sind die Aufgabenbereiche von Kindergärten und Schulen im Hinblick auf die Vermittlung elementarer Kenntnisse und Fähigkeiten so aufeinander abgestimmt, dass die Kindergärten die Voraussetzungen für den Erwerb einer elementaren Schulausbildung im Sinne der Sicherstellung der Schulfähigkeit vermitteln (Elementarbereich), während die Grundschulen darauf aufbauend zu systematischen Formen des Lernens führen und die Basis für die weitere Schullaufbahn legen (Primarbereich). Zwischen der für den verpflichtenden Besuch einer Schule notwendigen Schulfähigkeit und dem Besuch eines Kindergartens besteht somit ein zeitlicher, inhaltlicher und funktionaler Zusammenhang: Der Besuch eines Kindergartens erfolgt zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr und geht somit der mit der Vollendung des sechsten Lebensjahres beginnenden Schulpflicht (§ 35 Abs 1 SchulG NRW) zeitlich voraus. Dabei wird das letzte Jahr vor der Einschulung häufig als Vorschulzeit bezeichnet. Diese Bezeichnung weist zusätzlich auf den inhaltlichen und organisatorischen Zusammenhang zwischen Grundschule und Kindergarten hin. Deshalb hat die GKV auch schon in diesem vorschulischen Bereich ab Vollendung des dritten Lebensjahres eines behinderten Kindes dafür Sorge zu tragen, dass eine ausreichende und den möglichst reibungslosen Besuch eines Kindergartens zulassende Versorgung mit Hilfsmitteln erfolgt. Dies war hier nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht der Fall.

23

Da die Hinführung auf die Schulfähigkeit durch die Vermittlung von elementaren Kenntnissen und Fähigkeiten im Rahmen der Bildungs- und Erziehungsarbeit (also die Vorphase der Schulfähigkeit), wie sie nach § 22 SGB VIII in den Kindergärten zu leisten ist, als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens anzuerkennen ist, ist nach § 33 SGB V weiter zu prüfen, ob die Zweitversorgung mit dem begehrten Hilfsmittel im jeweiligen Einzelfall auch erforderlich und wirtschaftlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn das im Rahmen der Erstversorgung zur Verfügung gestellte Hilfsmittel aufgrund seiner fehlenden oder nur unter unzumutbaren Bedingungen herzustellenden Transportfähigkeit nur im häuslichen Bereich und nicht auch - nach täglich erfolgtem Transport - im Kindergarten verwendet werden kann. Dabei hängt die Eignung eines kompletten Therapiestuhls zum regelmäßigen Transport insbesondere ab von seiner Größe und seinem Gewicht, der einfach zu handhabenden Montage und Demontage sowie von den Sicherungsmöglichkeiten während des Transports.

24

Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat verbindlichen (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG, die auch dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im gesamten Rechtsstreit entsprechen, war ein täglicher Transport des von der Beklagten im Jahre 2003 bereitgestellten Therapiestuhls "Gamma 2" vor allem wegen seines hohen Gewichts und seiner Größe ausgeschlossen (zum Anspruch auf Zweitversorgung nur mit einer weiteren speziell angepassten Sitzschale bei vorhandener Ausstattung mit zwei Untergestellen vgl Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 19.7.2010 - L 10 KR 29/09 B ER - juris).

25

Eine Vorhaltepflicht des Kindergartens für Therapiestühle kann allenfalls für genormte, für eine unbestimmte Mehrzahl von behinderten Kindern verwendbare Exemplare bestehen, nicht aber für individuell angepasste Therapiestühle, wie es hier der Fall ist.

26

Ein Ausschluss der Zweitversorgung auf Kosten der GKV ergibt sich hier auch nicht aus den durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (§ 91 SGB V, ab 1.1.2004 Gemeinsamer Bundesausschuss) nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung(HilfsM-RL in der hier maßgeblichen Fassung vom 19.10.2004, BAnz Nr 2 vom 5.1.2005 S 89), die nach § 91 Abs 9 SGB V in der bis zum 30.6.2008 gültigen - und hier maßgeblichen - Fassung des GMG und ebenso nach § 91 Abs 6 SGB V in der ab 1.7.2008 gültigen Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) für die Versicherten, die Krankenkassen und die Leistungserbringer unmittelbar verbindlich sind. Die Zweitversorgung ist im vorliegenden Fall durch die HilfsM-RL nicht ausgeschlossen, sodass ein zur Rechtswidrigkeit einer Regelung der HilfsM-RL führender Verstoß gegen höherrangiges Recht von vornherein ausscheidet, der vorliegen würde, wenn ein nach § 33 SGB V begründeter Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel durch eine solche Regelung der HilfsM-RL ausgeschlossen wäre. Deshalb bedurfte es an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung zu der Frage, ob und ggf unter welchen Voraussetzungen Leistungsbegrenzungen im Bereich der Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 SGB V) in solchen Richtlinien überhaupt angeordnet werden dürfen. Nach Abschnitt A III Nr 21 der HilfsM-RL vom 17.6.1992 (BAnz Nr 183b vom 29.9.1992), die nach Maßgabe späterer Änderungen bis zum 6.2.2009 gültig waren und hier einschlägig sind (ab 7.2.2009 gilt die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 16.10.2008, BAnz Nr 61 vom 6.2.2009 S 462), konnte eine Mehrfachversorgung mit funktionsgleichen Hilfsmitteln an sich nur dann verordnet werden, wenn dies aus hygienischen Gründen notwendig oder aufgrund besonderer Beanspruchung durch den Versicherten zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Beides ist hier nicht der Fall.

27

Diese Bestimmung war jedoch nicht als abschließende Regelung zu verstehen, weil sie ersichtlich lückenhaft ist und der sich aus § 33 SGB V ergebenden Rechtslage nur unvollkommen entspricht, bei rein wörtlicher Auslegung also rechtswidrig und damit unwirksam wäre. Eine Mehrfachversorgung mit einem Hilfsmittel kann im Einzelfall zB auch wegen fehlender oder nur unter unzumutbaren Erschwernissen denkbarer Transportierbarkeit eines Hilfsmittels sowie aus sonstigen medizinischen oder technischen Gründen in Betracht kommen. Die Lückenhaftigkeit der Regelung hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss erkannt und deshalb mit Wirkung ab 7.2.2009 unter Abschnitt A § 6 Abs 7 folgende Vorschrift in die HilfsM-RL nF vom 16.10.2008 aufgenommen: "Eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln kann nur dann verordnet werden, wenn dies aus medizinischen, hygienischen oder sicherheitstechnischen Gründen notwendig oder aufgrund der besonderen Beanspruchung durch den Versicherten zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Als Mehrfachausstattung sind funktionsgleiche Mittel anzusehen. Hinweise hierzu ergeben sich aus dem Hilfsmittelverzeichnis." Diese Vorschrift stellt lediglich eine Klarstellung der nach § 33 SGB V ohnehin bestehenden Rechtslage dar, ist also nicht als konstitutive Regelung zu verstehen. Demgemäß ist diese Vorschrift in entsprechender Weise auch auf die HilfsM-RL vom 17.6.1992 und deren lückenhafte Regelung in Abschnitt A III Nr 21 anzuwenden. Dies gilt im vorliegenden Zusammenhang umso mehr, als sich die grundsätzliche Möglichkeit der Zweitversorgung zur Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers auch aus dem Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) ergibt, das zur Konkretisierung der Verordnungsfähigkeit von Hilfsmitteln stets ergänzend heranzuziehen ist, wie sich nunmehr auch aus Abschnitt A § 6 Abs 7 S 3 HilfsM-RL nF ausdrücklich ergibt. So findet sich im Hilfsmittelverzeichnis, auf das auch schon die HilfsM-RL vom 17.6.1992 mehrfach Bezug genommen haben (vgl Abschnitt A II Nr 8 und 8.2), in der Produktgruppe 18 unter Ziffer 3.1 eine Sonderregelung, wonach bei Kindern und Jugendlichen neben dem für den ständigen Gebrauch zu Hause zu gewährenden Kranken- und Behindertenfahrzeug im Bedarfsfall ein weiteres für den außerhäuslichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden kann, um die Fortbewegung im Schulbereich sicherzustellen. Diese Regelung ist hier analog anwendbar, weil der "Schulbereich" bei zutreffender Auslegung sowohl die Schulfähigkeit und den Erwerb einer elementaren Schulausbildung (ab dem sechsten Lebensjahr) als auch die Hinführung darauf (zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr) umfasst. Die Begriffe "Bedarfsfall" und "Erforderlichkeit im Einzelfall" sind inhaltsgleich.

28

Da nach alledem die Hinführung auf die Schulfähigkeit durch die Bildungs-, Erziehungs- und Förderarbeit, wie sie in dem von der Versicherten besuchten heilpädagogischen Kindergarten durchgeführt wird, als allgemeines Grundbedürfnis anzuerkennen war, die Versicherte dazu eines Therapiestuhles nebst Therapietisch und sonstigem Zubehör bedurfte, dieser Therapiestuhl kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist und das für die Wohnung zur Verfügung gestellte Exemplar zum täglichen Transport nicht geeignet war, hätte die Beklagte die Versicherte mit dem beantragten zweiten Therapiestuhl zu Lasten der GKV versorgen müssen. Der Kläger, der diese Verpflichtung für die vorrangig verpflichtete Beklagte erfüllt hat, beansprucht deshalb zu Recht die Erstattung des Kaufpreises (§ 14 Abs 4 S 1 SGB IX) Zug um Zug gegen Übereignung des Hilfsmittels.

29

Rechtsgrundlage des Zinsanspruchs ist § 108 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB X iVm § 44 Abs 3 S 1 SGB I. Hiernach haben die Sozialhilfeträger und die anderen in § 108 Abs 2 SGB X genannten Träger auf Antrag Anspruch auf Verzinsung eines Erstattungsanspruchs mit 4 vH für den Zeitraum nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsantrages beim zuständigen Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung(§ 108 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB X). Verzinst werden dabei aber nur volle Euro-Beträge (§ 44 Abs 3 S 1 SGB I). Diese Vorschriften gelten für Erstattungsansprüche nach § 14 Abs 4 SGB IX entsprechend(so bereits Urteil des Senats vom 20.11.2008 - B 3 KR 16/08 R - juris, RdNr 26).

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

31

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(1) Ziel der Unterstützten Beschäftigung ist es, Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten. Unterstützte Beschäftigung umfasst eine individuelle betriebliche Qualifizierung und bei Bedarf Berufsbegleitung.

(2) Leistungen zur individuellen betrieblichen Qualifizierung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um sie für geeignete betriebliche Tätigkeiten zu erproben, auf ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorzubereiten und bei der Einarbeitung und Qualifizierung auf einem betrieblichen Arbeitsplatz zu unterstützen. Die Leistungen umfassen auch die Vermittlung von berufsübergreifenden Lerninhalten und Schlüsselqualifikationen sowie die Weiterentwicklung der Persönlichkeit der Menschen mit Behinderungen. Die Leistungen werden vom zuständigen Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 für bis zu zwei Jahre erbracht, soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind. Sie können bis zu einer Dauer von weiteren zwölf Monaten verlängert werden, wenn auf Grund der Art oder Schwere der Behinderung der gewünschte nachhaltige Qualifizierungserfolg im Einzelfall nicht anders erreicht werden kann und hinreichend gewährleistet ist, dass eine weitere Qualifizierung zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung führt.

(3) Leistungen der Berufsbegleitung erhalten Menschen mit Behinderungen insbesondere, um nach Begründung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die zu dessen Stabilisierung erforderliche Unterstützung und Krisenintervention zu gewährleisten. Die Leistungen werden bei Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers nach § 6 Absatz 1 Nummer 3 oder 5 von diesem, im Übrigen von dem Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit erbracht, solange und soweit sie wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind.

(4) Stellt der Rehabilitationsträger während der individuellen betrieblichen Qualifizierung fest, dass voraussichtlich eine anschließende Berufsbegleitung erforderlich ist, für die ein anderer Leistungsträger zuständig ist, beteiligt er diesen frühzeitig.

(5) Die Unterstützte Beschäftigung kann von Integrationsfachdiensten oder anderen Trägern durchgeführt werden. Mit der Durchführung kann nur beauftragt werden, wer über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, um seine Aufgaben entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen erfüllen zu können. Insbesondere müssen die Beauftragten

1.
über Fachkräfte verfügen, die eine geeignete Berufsqualifikation, eine psychosoziale oder arbeitspädagogische Zusatzqualifikation und eine ausreichende Berufserfahrung besitzen,
2.
in der Lage sein, den Menschen mit Behinderungen geeignete individuelle betriebliche Qualifizierungsplätze zur Verfügung zu stellen und ihre berufliche Eingliederung zu unterstützen,
3.
über die erforderliche räumliche und sächliche Ausstattung verfügen sowie
4.
ein System des Qualitätsmanagements im Sinne des § 37 Absatz 2 Satz 1 anwenden.

(6) Zur Konkretisierung und Weiterentwicklung der in Absatz 5 genannten Qualitätsanforderungen vereinbaren die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eine gemeinsame Empfehlung. Die gemeinsame Empfehlung kann auch Ausführungen zu möglichen Leistungsinhalten und zur Zusammenarbeit enthalten. § 26 Absatz 4, 6 und 7 sowie § 27 gelten entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für die Fortführung einer Maßnahme ("Montessori-Therapie") in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006.

2

Die 1998 geborene Klägerin litt an einer rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche und wurde deshalb vom Beklagten ab Mitte 2003 bis zum Ende der Kindergartenzeit Ende Juli 2005 durch die Übernahme von Kosten für eine (nicht ärztlich verordnete) "Montessori-Einzeltherapie" gefördert. Auch nach Einschulung der Klägerin in die Regelschule übernahm der Beklagte die Kosten einer Stunde "Montessori-Einzeltherapie" pro Woche für die Zeit vom 19.9. bis 31.12.2005, lehnte jedoch die Kostenübernahme für die Fortführung der Maßnahme ab 1.1.2006 mit der Begründung ab, dass Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nur für begleitende Hilfen in Betracht komme, während pädagogische Maßnahmen wie die durchgeführte Montessori-Therapie in den Verantwortungsbereich der Schule fielen (Bescheid vom 30.9.2005; Widerspruchsbescheid vom 13.4.2006). Die Kosten der in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführten Therapiestunden haben daraufhin die Eltern der Klägerin getragen.

3

Das Sozialgericht (SG) hat der auf Erstattung dieser Kosten in Höhe von 1181,50 Euro gerichteten Klage - weil die Maßnahme sowohl therapeutische als auch pädagogische Elemente enthalte - nur teilweise entsprochen und den Beklagten verurteilt, der Klägerin "für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 Eingliederungshilfe für die durchgeführte Montessori-Therapie in Höhe von 590,75 Euro zu gewähren" (Urteil vom 21.10.2008). Auf die Berufungen beider Beteiligten hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Zurückweisung von dessen Berufung verurteilt, der Klägerin die gesamten Kosten in Höhe von 1181,50 Euro zu erstatten (Urteil vom 18.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Pflicht zur Übernahme der Kosten ergebe sich aus § 19 Abs 3 SGB XII iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO). Es habe sich bei der Therapie um eine heilpädagogische oder sonstige geeignete und erforderliche Maßnahme gehandelt, die der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht habe ermöglichen oder erleichtern sollen. Der Nachranggrundsatz (§ 2 Abs 1 SGB XII)stehe der Leistungspflicht nicht deshalb entgegen, weil die Montessori-Therapie auch pädagogische Elemente enthalte; sie sei nach den landesrechtlichen Vorschriften des Schulrechts nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit im Sinne des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags zuzurechnen. Schließlich stehe der Gewährung der Eingliederungshilfe nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die Therapie bereits bezahlt hätten.

4

Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 SGB XII. Nach § 15 Abs 4 Schulgesetz für Baden-Württemberg sei die Förderung behinderter Schüler Aufgabe der Schule selbst, sodass diese für Hilfen zur angemessenen Schulbildung eintrittspflichtig sei. Unzutreffend sei die Feststellung des LSG, es handele sich bei der Montessori-Therapie um eine begleitende, nicht um eine sonderpädagogische Maßnahme. Das LSG habe insoweit sowie zur Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten und seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es die Feststellungen der Therapeutin und des Sachverständigen kritiklos übernommen und sich damit ua auf die Ausführungen eines Diplom-Psychologen gestützt habe, der weder durch Habilitation noch durch Promotion eine besondere wissenschaftliche Qualifikation nachweisen könne.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin aufzuheben und das Urteil des SG unter vollständiger Abweisung der Klage abzuändern.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurück-verweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Es fehlen ausreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für ein abschließendes Urteil.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.4.2006 (§ 95 SGG), soweit darin die Übernahme von Kosten (1181,50 Euro) für eine in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2006 durchgeführte Therapie (Montessori-Einzeltherapie) abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).

10

Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere ist weder eine Beiladung der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse (KK) noch eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe noch der Therapeutin der Klägerin erforderlich. Nach § 75 Abs 2 Satz 1 1. Alt SGG sind Dritte nämlich (nur) beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); diese Voraussetzungen sind für keinen der Bezeichneten erfüllt. Über eine unechte notwendige Beiladung war mangels Rüge im Revisionsverfahren (s zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN) nicht zu befinden.

11

Eine notwendige Beiladung der KK im Hinblick auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) scheidet aus(vgl zur notwendigen Beiladung wegen unterlassener Weiterleitung des Antrags an den "eigentlich zuständigen" Träger der Teilhabeleistung nur BSGE 93, 283 ff RdNr 6 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Die durchgeführte Maßnahme stellt keine Leistung zur Teilhabe iS der §§ 4, 5 Nr 1, 14 SGB IX dar; denn die KKen sind abweichend von den Vorschriften des SGB IX (vgl § 7 SGB IX) nur unter den Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - ( vgl § 11 Abs 2, §§ 40 ff SGB V) zur Erbringung medizinischer Rehabilitationsleistungen verpflichtet (BSGE 98, 277 ff RdNr 18 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4). Trotz des Aspektes bzw des Ziels der (Wieder-)Herstellung der Gesundheit haben jedoch nicht alle Maßnahmen des SGB V rehabilitativen Charakter in einem Sinn, der dem Verständnis des SGB V über eine Teilhabeleistung entspricht. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Begriff der Teilhabeleistung des § 14 SGB IX eigenständig (weit) oder (nur) nach dem Verständnis des SGB V auszulegen ist. Vorliegend gehörte die durchgeführte Maßnahme ohnedies nicht zum Leistungskatalog des SGB V, sodass schon deshalb keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX eingetreten ist und eine echte notwendige - ebenso wie im Übrigen eine unechte - Beiladung der KK ausscheidet.

12

Ein Kostenerstattungsanspruch für eine vom Versicherten selbstbeschaffte Leistung des SGB V würde voraussetzen, dass diese allgemein als Sach- oder Dienstleistung hätte erbracht werden müssen. Wie das LSG zu Recht erkannt hat, liegen die Voraussetzungen für einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der durchgeführten Therapie im Jahre 2006 nicht vor. Nach den insoweit unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG käme, weil die Therapie nicht von ärztlichen Fachkräften erbracht worden ist, allenfalls eine medizinische Dienstleistung in der Gestalt eines Heilmittels iS des § 32 SGB V(zum Heilmittelbegriff s: BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff; BSGE 96, 153 ff RdNr 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7) in Betracht.

13

Der Heilmittelanspruch eines Versicherten (§ 11 Abs 1 Nr 4, § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Nr 3 SGB V)unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Insoweit sind neue Heilmittel grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien (RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V über die Versorgung mit Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-RL) Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat(§ 138 SGB V). Die Beurteilung der Neuheit eines Heilmittels richtet sich unter formalen Gesichtspunkten danach, ob es nach dem Stand der Beschlüsse des GBA bei Inkrafttreten des § 138 SGB V (am 1.1.1989) Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung war oder seitdem einbezogen worden ist (Bundessozialgericht SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26, 28 und 31; BSGE 94, 221 ff RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25). Dies trifft für die Montessori-Therapie nicht zu, wie den Heilmittel-RL zu entnehmen ist, in die sie als verordnungsfähige Leistung nicht aufgenommen wurde; sie ist mithin als mögliches Heilmittel neu. Der GBA hat demgemäß in einem zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses "Heil- und Hilfsmittel" des Bundesausschusses vom 18.5.2005 über die Beratungen gemäß § 138 SGB V zur konduktiven Förderung nach Petö(abgerufen über das Internet am 15.5.2012 über http://www.g-ba.de/downloads/40-268-256/2005-05-18-Abschluss-Petoe.pdf ) auch ausgeführt, die Wirksamkeit der Montessori-Therapie sei in wissenschaftlichen Studien nicht eindeutig belegt (S 165). Die somit notwendige Empfehlung für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung fehlt. Zudem mangelt es an der nach § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V vorausgesetzten ärztlichen Verordnung(s dazu BSGE 73, 271 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr 4), sodass es auf einen eventuellen indikationsbezogenen Ausschluss über § 32 Abs 1 Satz 2 SGB V in den Heilmittel-RL nicht mehr ankommt.

14

Ein Anspruch aus § 43a SGB V(in der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung; Abs 2 wurde erst mit Wirkung ab 23.7.2009 eingeführt) scheidet von vornherein aus. Danach haben versicherte Kinder (nur) Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische, insbesondere auch psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Nach den insoweit unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG diente die Maßnahme jedoch weder der Früherkennung noch stand sie unter ärztlicher Verantwortung. Es kann dahinstehen, ob der Senat an diese Feststellung entgegen § 163 SGG deshalb nicht gebunden ist, weil sie im Rahmen der von Amts wegen zu überprüfenden Beiladungsnotwendigkeit von Bedeutung ist(s dazu nur Leitherer, aaO, § 163 RdNr 5b mwN); denn diese Feststellung des LSG ist in der Sache ohnedies nicht zu beanstanden.

15

Eine Beiladung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe als "eigentlich zuständigen" Rehabilitationsträgers iS des § 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX im Hinblick auf § 14 SGB IX dürfte schon deshalb ausscheiden, weil der Beklagte auch der nach §§ 69, 85, 86 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) iVm § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz für Baden-Württemberg (LKJHG) vom 14.4.2005 (Gesetzblatt 376) - zur Überprüfung des Landesrechts ist der Senat entgegen § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung (ZPO) mangels Berücksichtigung durch das LSG befugt(vgl nur das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) - für die einzig denkbare Leistung des § 35a SGB VIII als Jugendhilfeträger zuständig sein dürfte. Einer genaueren Überprüfung, ob nach den Vorschriften der §§ 5, 6 LKJHG ausnahmsweise eine Zuständigkeit der landkreisangehörigen Gemeinden begründet worden ist, bedarf es nicht, denn auch dann wäre die Gemeinde nicht notwendig beizuladen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 - 5 C 6/11 -, ZFSH/SGB 2012, 33, 35 f), der sich der Senat anschließt, wäre vorliegend von einer vorrangigen Leistungspflicht des beklagten Sozialhilfeträgers (Leistungen der Eingliederungshilfe für ua geistig behinderte junge Menschen) gemäß § 10 Abs 4 SGB VIII(in der seit 1.10.2005 geltenden Fassung) auszugehen. Aufgaben, Ziele und die Leistungen richten sich nämlich ohnedies nach den Vorschriften des SGB XII (§ 35a Abs 3 SGB VIII), decken sich also (vgl zum Erfordernis der Gleichheit oder Gleichartigkeit BVerwG aaO), und bei der Klägerin liegt jedenfalls eine wesentliche geistige Behinderung vor (dazu später). Es kann deshalb dahinstehen, ob sich eine Maßnahmenotwendigkeit auch aufgrund einer seelischen (= psychischen) Behinderung ergeben würde und wodurch sich diese von der geistigen abgrenzt.

16

Schließlich ist auch nicht die Therapeutin der Klägerin notwendig beizuladen. Zwar ist der sozialhilferechtliche Leistungserbringer iS des § 75 SGB XII - und zwar auch bei ambulanten Diensten(§ 75 Abs 1 Satz 1 SGB XII; vgl Jaritz/Eicher, juris PraxisKommentar -SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 24)- bei einer beantragten Kostenübernahme, also einem Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (vgl nur BSGE 102, 1 ff RdNr 25 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9), notwendig beizuladen (BSG, aaO, RdNr 13 ff). Vorliegend verlangt die Klägerin jedoch nicht die Kostenübernahme durch den Beklagten im Rahmen einer Sachleistung im weiten Sinne, sondern die Erstattung der bereits beglichenen Therapiekosten als Geldleistung.

17

Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung durch den zuständigen (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Ausführungsgesetz Baden-Württemberg zum SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534; zur eigenständigen Prüfung des Landesrechts ist der Senat mangels Berücksichtigung durch das LSG entgegen § 202 SGG iVm § 560 ZPO befugt - vgl das Senatsurteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14 mwN) Beklagten ist § 15 Abs 1 Satz 4 2. Alt SGB IX. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl dazu BSGE 102, 126 ff RdNr 11 f = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Ob der Beklagte die Übernahme der Kosten für die durchgeführte Therapie ab 1.1.2006 "zu Unrecht" abgelehnt hat, lässt sich allerdings anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht abschließend beurteilen. Grundlage dafür ist § 19 Abs 3 SGB XII(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Abs 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO. Hilfen nach § 19 Abs 3 SGB XII werden unter den besonderen Voraussetzungen der Vorschriften des Fünften und Neunten Kapitels geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist.

18

Die Klägerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Nach dieser Vorschrift werden Pflichtleistungen nur an Personen erbracht, die durch eine Behinderung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn - soweit einschlägig - die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den in diesem Punkt unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG liegt eine Behinderung im bezeichneten Sinn bei der Klägerin vor, die an einer geistigen Leistungsstörung (s insoweit zur Legasthenie BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff), nämlich einer ausgeprägten rezeptiven und expressiven Sprachentwicklungsverzögerung mit auditiver Gedächtnisschwäche, litt; diese geistige Behinderung war auch wesentlich.

19

Wann dies der Fall ist, ergibt sich aus § 2 Eingliederungshilfe-VO. Er verlangt, dass infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfange die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt ist (vgl allgemein dazu Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 20 ff; Heinz, ZfF 2010, 79 ff). Dies ist jedenfalls zu bejahen, wenn - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Grundschule entgegenstehen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl BSG, Urteil vom 3.11.2011 - B 3 KR 8/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 22) bzw eine valide spätere berufliche Tätigkeit. Insoweit ist wie bei der Prüfung einer Behinderung selbst auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten an den Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft (so wohl auch BVerwG, Urteil vom 28.9.1995 - 5 C 21/93 -, FEVS 46, 360 ff). Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt.

20

Nicht abschließend entschieden werden kann indes, ob die im Jahre 2006 durchgeführte Therapie geeignet und erforderlich war, der Klägerin den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern, ob also iS des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aussicht bestand, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden konnte. Diese allgemeine Voraussetzung konkretisierend bezeichnet § 54 Abs 1 Nr 1 SGB XII(hier idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) als Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Nach § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.

21

Wie bereits § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde(BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22). Eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw begleitenden, ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 101, 79 ff RdNr 27 mwN = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII ausdrücklich anordnet, die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht sollten unberührt bleiben. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. Zum anderen normiert § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII lediglich Hilfen, mithin unterstützende Leistungen, überlässt damit die Schulbildung selbst aber den Schulträgern. Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers(ähnlich bereits, wenn auch mit anderer Begründung, BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02 - juris RdNr 17 mwN; BVerwG, Urteil vom 30.4.1992 - 5 C 1/88 - NVwZ 1993, 995, 996 f).

22

Nach diesen Maßstäben kann die durchgeführte Maßnahme eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung sein, weil sie - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - jedenfalls nicht den Kernbereich der schulischen pädagogischen Arbeit berührt, ohne dass dieser genau bestimmt werden müsste. Die durchgeführte Therapie, die nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG den Prinzipien der Montessori-Therapie gefolgt ist, weist den Charakter einer nur unterstützenden und außerhalb des schulischen Betriebs stattfindenden Hilfe auf. Im Rahmen eines ganzheitlichen Denkansatzes sollten unter Verwendung von unterschiedlichem Material vielfältige Bereiche ua der Wahrnehmung, des Sprachverständnisses, der Mathematik, der Geografie, der Biologie und der Umwelt (nur) durch ein zurückhaltendes Angebot von Hilfe und Unterstützung, auch durch "sensibles Beobachten", durch den Therapeuten gefördert werden (hierzu insgesamt der in der Gerichtsakte befindliche "Infobrief über die Montessori-Therapie für Fachstellen" des Montessori-Bundesverbands eV, Mengkofen; zur Zulässigkeit der Feststellung genereller Tatsachen in der Revisionsinstanz s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28 mwN).

23

Soweit das LSG in seiner Entscheidung die Ausführungen des Sachverständigen und die Äußerungen der früheren Klassenlehrerin der Klägerin zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Therapie wiedergegeben und verwertet sowie ausgeführt hat, dass die Therapie "nach dem Förderplan der Montessori-Therapeutin gezielt auf den Aufbau der auditiven Wahrnehmungsleistung abgestimmt" gewesen sei, reicht dies jedoch für eine Beurteilung der individuellen Geeignetheit und Erforderlichkeit der durchgeführten Therapie nicht aus. Erforderlich sind vielmehr konkrete Feststellungen dazu, wie die Klägerin betreut worden ist und wie sich dies im Einzelnen auf die individuelle Lernfähigkeit der Klägerin unter prognostischer Sicht - abgestellt auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl nur allgemein dazu BSG SozR 4-4300 § 86 Nr 1 RdNr 15) - auswirken sollte. Allgemein gehaltene Bewertungen der Montessori-Therapie, ihrer Ziele und Methoden, können diese Beurteilung nicht ersetzen. Da das LSG nach der Zurückverweisung der Sache die fehlenden Feststellungen nachzuholen hat, kommt es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten nicht an. Im Rahmen der Erforderlichkeit der Hilfe wird das LSG auch die Anzahl der Therapiestunden zu überprüfen haben.

24

Schließlich wird es anhand der schuldrechtlichen Vereinbarungen mit der Therapeutin die Höhe der der Klägerin (bzw ihren Eltern) entstandenen und damit übernahme- und erstattungsfähigen Kosten zu ermitteln haben, wobei ohne Bedeutung ist, ob mit der Therapeutin Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII geschlossen sind und - wenn ja - welche Vergütung darin für die Therapiestunden vorgesehen war. Eine diesbezügliche rechtliche Unsicherheit kann sich nicht zu Lasten der Klägerin auswirken (vgl BSGE 102, 126 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 54 Nr 3). Dies gilt umso mehr, als sich Umfang der Behandlung und Vergütung offenbar im Rahmen dessen bewegen, was vom Beklagten in der Zeit zuvor übernommen worden ist. Ob die Voraussetzungen einer Schuldverpflichtung der Klägerin bzw ihrer Eltern gegenüber der Therapeutin und der Angemessenheit der Kosten normimmanent aus §§ 53, 54 SGB XII oder aus § 9 Abs 1 SGB XII (Leistungen nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs) zu entnehmen sind, kann offen bleiben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf dies schon deshalb keiner näheren Begründung, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in vorliegender Konstellation hieraus unterschiedliche Rechtsfragen ergäben.

25

Entgegen der Ansicht des Beklagten steht einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin § 2 Abs 1 SGB XII (sog Nachranggrundsatz) nicht entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist, wenn andere Leistungen - wie hier - tatsächlich nicht erbracht werden, keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind (BSG, Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - RdNr 13; Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1; Urteil vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 16/07 R - RdNr 15). Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist deshalb in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule - wie hier - eine entsprechende Hilfe nicht gewährt, ja sogar darauf verweist, sie nicht erbringen zu können. Ob sie dazu verpflichtet ist, ist unerheblich. Der Sozialhilfeträger muss ggf mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen. Soweit der Beklagte mit seiner Revision in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Auslegung des Landesschulrechts rügt, kommt es darauf unabhängig davon, inwieweit der Senat diese Auslegung überhaupt überprüfen darf (§ 202 SGG iVm § 560 ZPO), für die Entscheidung nicht an.

26

Dem Kostenerstattungsanspruch steht schließlich nicht entgegen, dass die Eltern der Klägerin die angefallenen Kosten bereits getragen haben. Sozialhilfeleistungen setzen zwar vom Grundgedanken her einen aktuellen Bedarf voraus; dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) nicht bei einer rechtswidrigen Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt hat und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung erst erstreiten muss (BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R -, BSGE 104, 213 ff RdNr 14 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; vgl auch zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - : BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19, und Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 17 mwN).

27

Ermittlungen darüber, ob die Klägerin im Falle des Klageerfolgs ihren Eltern deren Auslagen erstatten muss oder zumindest wird (vgl dazu in einer anderen Konstellation BSG, Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 19), sind entbehrlich. Im Rahmen der Vermögenssorge (§ 1926 Bürgerliches Gesetzbuch)für ein achtjähriges Kind sind Vereinbarungen über eine Rückerstattung der Kosten besonderer Sozialhilfeleistungen (§ 84 Abs 2 SGB XII ist nicht anwendbar, weil § 92 Abs 1 Satz 2 SGB XII insoweit als Sonderregelung vorgeht), die die Eltern übernommen haben, weil der Sozialhilfeträger die Leistung abgelehnt hat, bei realitätsnaher Sichtweise unüblich. Unerheblich ist es auch, ob und inwieweit in der Übernahme dieser Kosten eine tatsächliche Unterhaltszahlung zu sehen sein könnte. Eine solche Prüfung würde den Zweck des § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) konterkarieren, die Eltern behinderter mit denen nichtbehinderter Kinder hinsichtlich der aus einer angemessenen Schulbildung ihrer Kinder folgenden Lasten wirtschaftlich gleichzustellen (so bereits BVerwGE 94, 127, 135 f mwN zur Vorgängervorschrift des § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und Satz 2 Bundessozialhilfegesetz).

28

Aus § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII ergibt sich zugleich, dass auf Leistungen weder Einkommen der Klägerin noch Einkommen ihrer Eltern anzurechnen ist; denn nach Satz 1 ist eine Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Eine Vermögensanrechnung unterbleibt völlig (Satz 2). Die Beschränkung auf die Kosten des Lebensunterhalts in § 92 Abs 2 Satz 1 SGB XII bedeutet, dass Aufwendungen des Sozialhilfeträgers für die besonderen Hilfen nicht zu erstatten sind, soweit nicht integraler Bestandteil dieser Hilfen Kosten des Lebensunterhalts sind(Behrend in jurisPK-SGB XII, § 92 SGB XII RdNr 23 mwN). Dies war indes bei der durchgeführten Therapie nicht der Fall. Insoweit setzt § 92 Abs 2 SGB XII nicht voraus, dass gleichzeitig die in § 92 Abs 1 SGB XII beschriebenen Merkmale für die Hilfe für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen vorliegen(Behrend, aaO, RdNr 22 mwN).

29

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2011 - L 16 KR 185/09 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 3555,59 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des klagenden überörtlichen Sozialhilfeträgers gegen die beklagte Krankenkasse auf Erstattung der Kosten für einen Therapiestuhl nebst Zubehör im Rahmen der Zweitversorgung zwecks Besuchs eines Kindergartens.

2

Die am geborene Versicherte S. ist wegen einer durch ein Anfallsleiden verursachten schwerwiegenden Entwicklungsstörung mit Tetraspastik gehunfähig und nicht in der Lage, frei zu sitzen. Die Beklagte versorgte sie ua mit einem Aktivrollstuhl und einem im häuslichen Bereich verwendeten Therapiestuhl des Fabrikats "Gamma 2". In der Zeit von August 2005 bis August 2008 besuchte sie auf Kosten des Klägers (Bescheid vom 3.5.2005, gestützt auf § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 2 Nr 2 SGB IX) einen heilpädagogischen Kindergarten in Brakel-Erkeln, den sie an jedem Öffnungstag von ihrem Wohnort Beverungen-Amelunxen aus aufsuchte. Seitdem ist sie Schülerin an einer Förderschule.

3

Am 3.5.2005 beantragte die Versicherte unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlags die Zweitversorgung mit einem weiteren Therapiestuhl (Fabrikat "Wombat upgrade") nebst Therapietisch und sonstigem notwendigen Zubehör (Hilfsmittelverzeichnis Position 26 11050009) für den Besuch des Kindergartens. Dieser Therapiestuhl sollte in der Einrichtung deponiert werden, weil ein täglicher Transport des vorhandenen Therapiestuhls wegen seines Gewichts (mehr als 17 kg) und seiner Größe sowie wegen der Notwendigkeit exakter Einstellung aller Komponenten bei jedem Montagevorgang nicht möglich war.

4

Die Beklagte leitete den Antrag mit Schreiben vom 17.5.2005 an den nach ihrer Auffassung leistungsrechtlich zuständigen Kläger weiter, wo er am 19.5.2005 einging. Dieser gewährte der Versicherten im Wege der Leihe das begehrte Hilfsmittel (Auslieferung am 23.11.2005) unter Hinweis auf seine nachrangige Leistungsverpflichtung als zweitangegangener Rehabilitationsträger gemäß § 14 SGB IX(Bescheid vom 10.10.2005) und verlangte von der Beklagten die Erstattung der dafür berechneten (und am 8.12.2005 gezahlten) Kosten in Höhe von 3555,59 Euro. Die nach Ablehnung der Erstattung (Schreiben der Beklagten vom 17.11.2005) erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 29.7.2009). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte zur Zahlung von 3555,59 Euro zuzüglich 4 % Zinsen aus 3555 Euro ab 1.2.2006 verurteilt (Urteil vom 20.1.2011): Dem Kläger stehe ein Erstattungsanspruch zu, weil er der Versicherten eine in die Zuständigkeit der Beklagten fallende Leistung gewährt habe. Die Zweitversorgung der Versicherten mit einem Therapiestuhl für den Kindergartenbesuch sei zur Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und somit zu dem von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu gewährleistenden mittelbaren Behinderungsausgleich erforderlich. Der Besuch eines Kindergartens diene der Vorbereitung auf den Erwerb schulischen Allgemeinwissens in der Förderschule und damit der Aneignung elementarer Grundkenntnisse. Darüber hinaus sei der Besuch eines Kindergartens gerade für schwerstbehinderte Kinder zur Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder erforderlich. Diese Grundbedürfnisse seien durch den im Rahmen der Erstversorgung gewährten, aber nicht zum täglichen Transport geeigneten Therapiestuhl nicht ausreichend gedeckt.

5

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 14 Abs 4 S 1 SGB IX und § 33 Abs 1 SGB V. Die Versorgung der Versicherten mit einem zweiten Therapiestuhl für den Besuch des Kindergartens falle nicht in die Zuständigkeit der GKV. Denn ein dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienendes Hilfsmittel sei nur dann von der Krankenkasse zu gewähren, wenn es ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens erfülle. Der freiwillige Besuch eines Kindergartens betreffe kein allgemeines Grundbedürfnis, weil die Integration eines Kindes in den Kreis Gleichaltriger auch ohne einen solchen Besuch möglich sei und dieser auch keine unabdingbare Voraussetzung für den anschließenden verpflichtenden Schulbesuch darstelle. Im Vergleich mit normalen integrativen Kindertageseinrichtungen gebe es beim Besuch eines heilpädagogischen Kindergartens auch keine Besonderheiten, die eine Zuständigkeit der GKV auslösen könnten.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.1.2011 - L 16 KR 185/09 - zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.7.2009 zurückzuweisen.

7

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Kläger im Falle einer Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung den Therapiestuhl Zug um Zug an diese übereignen wird. Auf die Aufnahme der Zug-um-Zug-Verurteilung in den Urteilstenor wurde verzichtet.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht; denn die Versicherte hatte einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Versorgung mit einem zweiten Therapiestuhl zur Ermöglichung des Besuchs des heilpädagogischen Kindergartens.

10

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 14 Abs 4 S 1 SGB IX: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften." Diese Erstattungsregelung, die als "lex specialis" zu den allgemeinen Erstattungsansprüchen zwischen Sozialleistungsträgern nach den §§ 102 ff SGB X anzusehen ist und diese deshalb verdrängt(BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 18; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 10 RdNr 11 mwN), ist hier einschlägig, weil die Beklagte den bei ihr eingereichten Leistungsantrag der Versicherten vom 3.5.2005 als erstangegangener Rehabilitationsträger, der für Leistungen der medizinischen Rehabilitation zuständig ist (§ 5 Nr 1 SGB IX), fristgemäß (§ 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX) an den von ihr für zuständig erachteten Kläger als Rehabilitationsträger, der für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig ist (§ 5 Nr 4 SGB IX), weitergeleitet hat und der Kläger das begehrte Hilfsmittel als nunmehr im Außenverhältnis zu der Versicherten zuständiger zweitangegangener Rehabilitationsträger nach Feststellung des Rehabilitationsbedarfs (§ 14 Abs 2 S 1 und 3 SGB IX) auf Leihbasis (§ 33 Abs 1 und Abs 5 S 1 SGB V sowie § 31 Abs 1 und Abs 4 S 1 SGB IX) bewilligt hat, wobei er die Beklagte als nach § 33 Abs 1 SGB V eigentlich zuständigen Sozialleistungsträger ansah, weil es um medizinische Rehabilitation gehe.

11

Zu Recht hat der Kläger seinen vorprozessual zunächst erhobenen Einwand, die Weiterleitung des Leistungsantrages sei verspätet erfolgt, so dass gemäß § 14 Abs 2 SGB IX die Beklagte selbst den Antrag unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten prüfen und bescheiden müsse(Schreiben vom 15.6.2005), später fallen gelassen und im Klageverfahren auch nicht wiederholt. Die Beklagte hat den bei ihr am 3.5.2005 gestellten Leistungsantrag der Versicherten mit Schreiben vom 17.5.2005 an den Kläger weitergeleitet, wo er am 19.5.2005 eingegangen ist. Damit ist die Prüfungs- und Weiterleitungsfrist des § 14 Abs 1 S 2 SGB IX gewahrt worden. Nach dieser Vorschrift leitet der erstangegangene Rehabilitationsträger den Leistungsantrag "unverzüglich" dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu, wenn er bei der Prüfung des Antrages festgestellt hat, dass er für die Leistung nicht zuständig ist; dabei beträgt die Prüfungsfrist "zwei Wochen nach Eingang des Antrages" (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IX). Die zweiwöchige Prüfungsfrist begann gemäß § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB im vorliegenden Fall am Tage nach dem Eingang des Leistungsantrages vom 3.5.2005, also am 4.5.2005, und endete gemäß § 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB mit Ablauf des 17.5.2005. An diesem Tage hat die Beklagte den Leistungsantrag dem Kläger "zugeleitet" bzw - so die Begrifflichkeit in § 14 Abs 2 S 1 SGB IX - an ihn "weitergeleitet". Maßgebend für die Fristgerechtigkeit der Zuleitung bzw Weiterleitung ist dabei der Zeitpunkt der Absendung des betreffenden Schreibens (17.5.2005), nicht aber der Zeitpunkt des Eingangs beim Empfänger (19.5.2005). Daher kam es nicht einmal darauf an, dass sich an die Prüfungsfrist von maximal zwei Wochen (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IX)auch noch eine gesonderte Weiterleitungsfrist (§ 14 Abs 1 S 2 SGB IX) anschließt, die allerdings sehr kurz zu bemessen ist, weil die Weiterleitung "unverzüglich", also "ohne schuldhaftes Zögern" (vgl § 121 Abs 1 BGB, dazu auch BSGE 22, 187),zu erfolgen hat. Der erstangegangene Rehabilitationsträger kann jedenfalls die Prüfungsfrist von zwei Wochen voll ausnutzen und hat dann immer noch die Möglichkeit, den Leistungsantrag fristwahrend am ersten Werktag nach dem Ende der Prüfungsfrist an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten (vgl Götz in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl 2006, § 14 RdNr 9; Welti in Lachwitz/Schellhorn/Welti, SGB IX, 3. Aufl 2010, § 14 RdNr 27; Ulrich, SGb 2008, 452, 454; ebenso § 2 Nr 1 der Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens in der Fassung vom 22.3.2004).

12

Die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX sind ebenfalls erfüllt, weil die Versicherte die begehrte Leistung von der Beklagten nach den Vorschriften des SGB V als dem für den Bereich der GKV einschlägigen materiellen Recht(§ 7 S 2 SGB IX) beanspruchen konnte (§ 33 Abs 1 SGB V) und die Beklagte den Leistungsantrag deshalb zu Unrecht an den Kläger weitergeleitet hat (§ 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX). Die Beklagte war für die Zweitversorgung der Versicherten mit dem weiteren Therapiestuhl leistungspflichtig, weil das Hilfsmittel unter den gegebenen Umständen dieses Falles erforderlich (§ 33 Abs 1 S 1 SGB V) und wirtschaftlich war (§ 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 SGB V). Die Ausstattung der Versicherten mit dem ersten Therapiestuhl war zum mittelbaren Behinderungsausgleich im Bereich der Mobilität nicht ausreichend, weil die Versicherte im Kindergarten einen solchen Therapiestuhl benötigte, der vorhandene Therapiestuhl zum täglichen Transport nicht geeignet war und die in der Einrichtung durchgeführten Bildungs-, Erziehungs- und Fördermaßnahmen (vgl dazu § 22 Abs 2 und 3 SGB VIII) auch auf das Erreichen der Schulfähigkeit abzielten, damit Grundvoraussetzungen für den Erwerb einer elementaren Schulausbildung schufen und so der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens dienten.

13

Nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V in der im Jahre 2005 (dem maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den Kläger) geltenden Fassung des Art 1 Nr 20 Buchst a aa des Gesetzes zur Modernisierung der GKV (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V (Rechtsverordnung zu Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Die begehrte Zweitversorgung mit dem weiteren Therapiestuhl diente hier ersichtlich nicht der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und auch nicht der Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung, sondern allein dem Ausgleich der Folgen der seit Geburt vorhandenen Behinderung der Versicherten (3. Variante). Der Therapiestuhl ist als speziell für gehunfähige und der Haltungsstabilisierung bedürftige Menschen entwickeltes und hergestelltes Hilfsmittel kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht durch die Rechtsverordnung nach § 34 Abs 4 SGB V von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs 1 SGB V jedoch mit der Bereitstellung des ersten Therapiestuhls nur solange erfüllt, wie die Versicherte ganztags zu Hause lebte und noch nicht in den Kindergarten ging. Mit Beginn des Besuchs des heilpädagogischen Kindergartens hatte die Versicherte einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausstattung mit einem zweiten Therapiestuhl nebst zugehörigem Therapietisch und sonstigem Zubehör. Dabei ist es unerheblich, ob die Versicherte auch zu Hause schon mit einem - an dem Therapiestuhl anzubringenden - Therapietisch versorgt war oder ob es sich insoweit um eine Erstausstattung handelt.

14

Grundsätzlich bemisst sich die Leistungszuständigkeit der GKV im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder zum mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen, Hörgeräten und Sehhilfen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 - C-Leg II). Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die GKV nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl zuletzt etwa BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 14 ff - Hörgerätefestbetrag; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31, RdNr 16 f - Treppensteighilfe; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 13 - Therapiedreirad II; jeweils mwN). Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (zB Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der zB die Bewegung im Nahbereich der Wohnung sowie die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6 mwN).

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Zu den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langer Zeit anerkannten Aufgaben der GKV gehört auch die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40). Das ergibt sich aus der historischen Entwicklung der Hilfsmittelversorgung in der GKV. Ursprünglich war die GKV als reine Arbeitnehmerversicherung konzipiert. Sie hatte das Ziel, den im Erwerbsleben stehenden Versicherten im Falle der Arbeitsunfähigkeit durch Krankenhilfe, Hilfsmittelversorgung und andere Maßnahmen wieder in das Arbeitsleben einzugliedern (zur Hilfsmittelversorgung vgl den durch das RehaAnglG aufgehobenen § 187 Nr 3 RVO),wobei die Begriffe der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit im Sinne der GKV auf die vom Versicherten bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit abstellten (BSGE 19, 179, 181 = SozR Nr 8 zu § 182 RVO). Mit der späteren Einbeziehung nicht im Erwerbsleben stehender Personen in die GKV erwies sich diese Auslegung des Begriffs "Arbeitsfähigkeit" jedoch als zu eng. Eine strenge Bezugnahme dieses Begriffs auf den bisher ausgeübten Beruf hätte in den Fällen, in denen es sich um Versicherte handelt, die infolge Invalidität oder Alters aus dem Erwerbsleben bereits ausgeschieden waren (Rentner) oder als mitversicherte Familienangehörige entweder überhaupt nicht am Erwerbsleben teilnahmen (Nur-Hausfrauen) oder noch vor dem Eintritt in das Berufsleben standen (Kinder, Schüler, Studenten), zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Leistungsausschluss geführt. Daher hat es die Rechtsprechung des BSG trotz zunächst unveränderten Wortlauts des § 187 Nr 3 RVO ausreichen lassen, wenn mit einem Hilfsmittel die Fähigkeit hergestellt oder erhalten wurde, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen(BSGE 30, 270, 272 = SozR Nr 1 zu § 11 VO über KVdR; BSGE 33, 263, 266 = SozR Nr 2 zu § 187 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; so auch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26.2.1982, Beil Nr 32/82 zum BAnz Nr 125 = DOK 1982, 621 = BKK 1982, 269) bzw die "Alltagskompetenzen" eines Menschen gesichert wurden. Für Schüler setzte die Rechtsprechung den Begriff der Arbeitsfähigkeit folgerichtig mit dem Begriff der Schulfähigkeit gleich (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; stRspr). Benötigte ein Schüler aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ein - von der Schule nicht vorzuhaltendes - Hilfsmittel, um am Unterricht in der Schule erfolgreich teilzunehmen bzw die Hausaufgaben erledigen zu können, hatte die Krankenkasse dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, weil es um die Herstellung oder Sicherung der Schulfähigkeit ging. Die Schulfähigkeit bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung waren damit als allgemeines Grundbedürfnis eines Schülers anerkannt (BSGE 30, 151, 154 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182b Nr 13; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28). Diese Rechtsprechung ist auf den Anspruch auf Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V ab 1989 unverändert übertragen und fortgeführt worden(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6).

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Die Schulfähigkeit ist aber nur insoweit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens iS des § 33 SGB V(und des § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) anzusehen, als es um die Vermittlung von grundlegendem schulischem Wissen und Können an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder der Förder- bzw Sonderschulpflicht geht. Die Landesgesetzgeber haben den Erwerb eines alltagsrelevanten Grundwissens und der für das tägliche Leben notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit der bindenden Verpflichtung aller Kinder, die im jeweiligen Bundesland leben, zum Besuch einer Schule angeordnet und gehen davon aus, dass dieses Grundwissen in Gymnasien in neun und ansonsten in zehn Jahren (am Erreichen des Hauptschulabschlusses orientierte Dauer der allgemeinen Schulpflicht) bzw an bestimmten Förderschulen in elf Jahren vermittelt wird und erlernbar ist. Für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich dies aus den §§ 34 und 37 des Schulgesetzes (SchulG NRW) vom 15.2.2005 (GV NRW 2005, 102). Wenn die GKV dafür einzustehen hat, behinderten Menschen im Wege der medizinischen Rehabilitation die notwendige Kompetenz zur Bewältigung des Alltags zu vermitteln, so muss sie zwar die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Menschen das staatlicherseits als Minimum angesehene Maß an Bildung erwerben und die ihnen insoweit auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen können; darüber hinausgehende Bildungsziele hat sie aber nicht mehr zu fördern. Das ist vielmehr Aufgabe anderer Leistungsträger, wie zB des Klägers, der im Wege der Eingliederungshilfe neben Hilfen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch solche zum Besuch weiterführender Schulen und zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule (§ 54 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 SGB XII) zu gewähren hat. Wer über das Ende der Schulpflicht hinaus weiter die Schule besucht oder sich später berufsbegleitend weiterbildet (zweiter Bildungsweg, Abendschule, Volkshochschule), tut dies ohne staatlichen Zwang aus eigenem Entschluss. Ein Versicherter kommt damit einem - im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägten - individuellen Bildungsbedürfnis nach, das zwar in verschiedener Weise auch staatlich gefördert wird, aber nicht als - alle Menschen grundsätzlich gleichermaßen betreffendes - allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens einzustufen ist. Die GKV ist zu einer so weitgehenden Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit nicht verpflichtet. Bei einem sehbehindertengerecht ausgestatteten Notebook, das von einem Studenten in erster Linie für studienbezogene Zwecke eingesetzt wird, für die Beschaffung von Informationen und die Herstellung von Kommunikationsmöglichkeiten im täglichen Leben aber nicht unerlässlich ist, handelt es sich also nicht um ein von der GKV zu leistendes Hilfsmittel, weil ein Studium an einer Hochschule dem Bereich der Berufsausbildung zuzuordnen ist. Die Studierfähigkeit, die mit diesem Hilfsmittel gefördert werden soll, zählt nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens eines Menschen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40).

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In den bisherigen Entscheidungen des BSG zur Hilfsmittelversorgung von Schülern bestand allerdings kein Anlass, die Frage zu klären, ob es schon um die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens geht, wenn ein Kind altersbedingt noch nicht der Schulpflicht unterliegt und es deshalb nicht um die Herstellung oder Wahrung der Schulfähigkeit geht, sondern um die Hinführung eines Kindes auf die Schulfähigkeit und die Vorbereitung auf den Erwerb eines elementaren Schulwissens im Rahmen der Aktivitäten in einer Kindertageseinrichtung. Der Senat hat lediglich in einer Entscheidung zur häuslichen Krankenpflege (BSGE 90, 143 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5) die Pflicht zur versichertenfreundlichen Auslegung der leistungsrechtlichen Vorgaben des SGB V vor dem Hintergrund des § 2 Abs 2 SGB I als geboten angesehen, wozu bei Kindern die Wiederherstellung und Sicherung der Möglichkeit zur sozialen Integration unter Gleichaltrigen in einer Kindertageseinrichtung sowie der Schulfähigkeit nach Eintritt der Schulpflicht gehöre. An diese Entscheidung sowie an die oben genannten Grundsätze zum erweiterten mittelbaren Behinderungsausgleich bei der Mobilität von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Schulbesuchs zur Erfüllung der Schulpflicht kann hier aber ohne Weiteres angeknüpft werden.

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Kindertageseinrichtungen entlasten die Eltern nicht nur von der Betreuung des Kindes (Betreuungsauftrag gemäß § 22 Abs 2 Nr 3, Abs 3 SGB VIII iVm § 3 Abs 1 Kinderbildungsgesetz NRW - KiBiz - vom 30.10.2007, GV NRW 2007, 462), sondern unterstützen darüber hinaus die Eltern in der Wahrnehmung ihrer Erziehungs- und Bildungsverantwortung und ergänzen die Förderung des Kindes in der Familie (§ 22 Abs 2 Nr 2, Abs 3 SGB VIII iVm § 2 S 3 und § 3 Abs 1 KiBiz).

19

Dem Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen kommt dabei nach dem Willen des Gesetzgebers eine besondere Bedeutung zu. Während nach der bis zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage die Aufgabe der Kindertageseinrichtungen in der "Betreuung, Bildung und Erziehung" bestand (§ 22 SGB VIII aF), hat der Gesetzgeber mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) vom 27.12.2004 (BGBl I 3852) mit Wirkung ab 1.1.2005 die Förderungselemente "Betreuung" und "Erziehung" gegeneinander ausgetauscht (§ 22 Abs 3 SGB VIII nF), um das Förderungselement "Bildung" durch die Platzierung dieses Begriffs vor der "Betreuung" stärker zu gewichten (BT-Drucks 15/3676 S 31 f). Daraus ist ersichtlich, dass die Betreuung eines Kindes nicht mehr im Vordergrund steht, sondern Bildung und Erziehung der Kinder vorrangig sind, wobei beide Ziele zwangsläufig mit der Betreuung verbunden sind und diese voraussetzen (Busch, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 29.2., § 22 SGB VIII RdNr 30, Stand 2009). Der den Kindertageseinrichtungen somit gesetzlich zugewiesene zentrale Bildungsauftrag (§ 22 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 S 1 SGB VIII nF) hat zur Folge, dass sich die Aufgabenbereiche von Kindertageseinrichtungen und Schulen im Hinblick auf die Vermittlung elementarer alltäglicher Kenntnisse und Fertigkeiten überschneiden und die Kindertageseinrichtungen die Voraussetzungen für den späteren Erwerb der Schulfähigkeit und einer elementaren Schulausbildung vermitteln.

20

Dabei ist klarzustellen, dass es im vorliegenden Fall um die Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen bzw - bei Ganztagesbetreuung - Kindertagesstätten (Kita) geht, die von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren besucht werden (§ 24 Abs 1 SGB VIII). Diese Einrichtungen werden in Deutschland allgemein als Kindergarten bezeichnet. Es handelt sich um eine Lebensphase, in der sich die elementaren - insbesondere die für die Schulfähigkeit maßgebenden körperlichen, kognitiven und sozialen - Voraussetzungen herausbilden und insoweit pädagogischer Einfluss genommen werden kann. Ua entwickelt sich in dieser Zeit das Sozialverhalten im Sinne des Erlernens sozialer Grundregeln (zB Teilen, Ausdruck von Gefühlen), da erst mit dem vierten Lebensjahr die Orientierung zu Gleichaltrigen beginnt. Für die Entwicklung dieser sozialen Kompetenzen ist der Kontakt zu Gleichaltrigen von besonderer Bedeutung. Zur Erreichung dieser Ziele bedient sich in Deutschland die große Mehrheit der Eltern der Hilfe durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kindergärten, die gemäß § 22 Abs 2 Nr 2 SGB VIII "die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen" und gemäß § 22 Abs 2 Nr 3 SGB VIII "den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können". Nach der Bundesjugendstatistik 2006 lag die Betreuungsquote für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren in Kindergärten schon damals bundesweit bei 86,9 % und in Nordrhein-Westfalen bei 83,7 %.

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Zu den Kindertageseinrichtungen zählen in Deutschland neben den Kindergärten auch Kinderkrippen, die für Kinder bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres bestimmt sind (§ 24 Abs 3 SGB VIII), sowie Kinderhorte, die von Kindern im Grundschulalter außerhalb des Schulunterrichts besucht werden können. Die Versorgung mit Hilfsmitteln im Falle des Besuchs von Kinderkrippen und Kinderhorten ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Nicht zu entscheiden war auch über die Hilfsmittelversorgung zur Teilnahme eines Kindes an der - von Tagespflegepersonen (Tagesmütter und Tagesväter) durchgeführten - Kindertagespflege (§ 22 Abs 1 S 2 iVm § 23 SGB VIII). Entscheidungsrelevant ist also allein die Zweitversorgung mit Hilfsmitteln im Zusammenhang mit dem Besuch eines Kindergartens. Dabei ist grundsätzlich nicht danach zu unterscheiden, ob es sich um einen Regelkindergarten handelt oder um sonderpädagogische oder - so hier - heilpädagogische Kindergärten, die vielfach als integrative Kindergärten betrieben werden, also Kinder mit und ohne Behinderung oder Förderbedarf gemeinsam betreuen (vgl zB § 35a Abs 4 S 2 SGB VIII zur Aufnahme seelisch behinderter Kinder in integrative Kindergärten). Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte der einzelnen Kindergarten-Typen ist die Bildung und Erziehung der Kinder mit dem Ziel des Erwerbs elementarer Kenntnisse und Fähigkeiten ein gemeinsames Wesensmerkmal.

22

Den Besuch eines Kindergartens an sich sieht der erkennende Senat allerdings weiterhin nicht als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens an, weil dieser Besuch - anders als der Besuch einer Schule im Rahmen der Schulpflicht - vom Gesetzgeber bisher nicht als gesetzliche Pflicht ausgestaltet ist und den Eltern deshalb im Rahmen ihres Ermessens ein Wahlrecht zusteht, ob sie den Auftrag zur Erziehung und Bildung ihrer Kinder bis zum Erreichen der Schulpflicht allein wahrnehmen wollen oder sich der Hilfe der Kindergärten bedienen (§ 22 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 S 1 SGB VIII), wie es mittlerweile der Regelfall ist. Maßgeblich ist die Hinführung auf die Schulfähigkeit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Noch nicht der Schulpflicht unterliegende gehbehinderte Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren können demgemäß die Zweitausstattung mit einem weiteren Therapiestuhl auf Kosten der GKV erlangen, wenn der bereits vorhandene heimische Therapiestuhl wochentäglich nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand zum Kindergarten transportiert werden könnte und bei diesen Kindern deshalb die Förderung ihrer Schulfähigkeit sowie die Integration in den Kreis Gleichaltriger nicht gesichert wären. Nach den in Nordrhein-Westfalen geltenden Schul- und Kinderbildungsgesetzen (vgl zB § 14 KiBiz und § 36 SchulG NRW)sind die Aufgabenbereiche von Kindergärten und Schulen im Hinblick auf die Vermittlung elementarer Kenntnisse und Fähigkeiten so aufeinander abgestimmt, dass die Kindergärten die Voraussetzungen für den Erwerb einer elementaren Schulausbildung im Sinne der Sicherstellung der Schulfähigkeit vermitteln (Elementarbereich), während die Grundschulen darauf aufbauend zu systematischen Formen des Lernens führen und die Basis für die weitere Schullaufbahn legen (Primarbereich). Zwischen der für den verpflichtenden Besuch einer Schule notwendigen Schulfähigkeit und dem Besuch eines Kindergartens besteht somit ein zeitlicher, inhaltlicher und funktionaler Zusammenhang: Der Besuch eines Kindergartens erfolgt zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr und geht somit der mit der Vollendung des sechsten Lebensjahres beginnenden Schulpflicht (§ 35 Abs 1 SchulG NRW) zeitlich voraus. Dabei wird das letzte Jahr vor der Einschulung häufig als Vorschulzeit bezeichnet. Diese Bezeichnung weist zusätzlich auf den inhaltlichen und organisatorischen Zusammenhang zwischen Grundschule und Kindergarten hin. Deshalb hat die GKV auch schon in diesem vorschulischen Bereich ab Vollendung des dritten Lebensjahres eines behinderten Kindes dafür Sorge zu tragen, dass eine ausreichende und den möglichst reibungslosen Besuch eines Kindergartens zulassende Versorgung mit Hilfsmitteln erfolgt. Dies war hier nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht der Fall.

23

Da die Hinführung auf die Schulfähigkeit durch die Vermittlung von elementaren Kenntnissen und Fähigkeiten im Rahmen der Bildungs- und Erziehungsarbeit (also die Vorphase der Schulfähigkeit), wie sie nach § 22 SGB VIII in den Kindergärten zu leisten ist, als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens anzuerkennen ist, ist nach § 33 SGB V weiter zu prüfen, ob die Zweitversorgung mit dem begehrten Hilfsmittel im jeweiligen Einzelfall auch erforderlich und wirtschaftlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn das im Rahmen der Erstversorgung zur Verfügung gestellte Hilfsmittel aufgrund seiner fehlenden oder nur unter unzumutbaren Bedingungen herzustellenden Transportfähigkeit nur im häuslichen Bereich und nicht auch - nach täglich erfolgtem Transport - im Kindergarten verwendet werden kann. Dabei hängt die Eignung eines kompletten Therapiestuhls zum regelmäßigen Transport insbesondere ab von seiner Größe und seinem Gewicht, der einfach zu handhabenden Montage und Demontage sowie von den Sicherungsmöglichkeiten während des Transports.

24

Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat verbindlichen (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG, die auch dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im gesamten Rechtsstreit entsprechen, war ein täglicher Transport des von der Beklagten im Jahre 2003 bereitgestellten Therapiestuhls "Gamma 2" vor allem wegen seines hohen Gewichts und seiner Größe ausgeschlossen (zum Anspruch auf Zweitversorgung nur mit einer weiteren speziell angepassten Sitzschale bei vorhandener Ausstattung mit zwei Untergestellen vgl Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 19.7.2010 - L 10 KR 29/09 B ER - juris).

25

Eine Vorhaltepflicht des Kindergartens für Therapiestühle kann allenfalls für genormte, für eine unbestimmte Mehrzahl von behinderten Kindern verwendbare Exemplare bestehen, nicht aber für individuell angepasste Therapiestühle, wie es hier der Fall ist.

26

Ein Ausschluss der Zweitversorgung auf Kosten der GKV ergibt sich hier auch nicht aus den durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (§ 91 SGB V, ab 1.1.2004 Gemeinsamer Bundesausschuss) nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung(HilfsM-RL in der hier maßgeblichen Fassung vom 19.10.2004, BAnz Nr 2 vom 5.1.2005 S 89), die nach § 91 Abs 9 SGB V in der bis zum 30.6.2008 gültigen - und hier maßgeblichen - Fassung des GMG und ebenso nach § 91 Abs 6 SGB V in der ab 1.7.2008 gültigen Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) für die Versicherten, die Krankenkassen und die Leistungserbringer unmittelbar verbindlich sind. Die Zweitversorgung ist im vorliegenden Fall durch die HilfsM-RL nicht ausgeschlossen, sodass ein zur Rechtswidrigkeit einer Regelung der HilfsM-RL führender Verstoß gegen höherrangiges Recht von vornherein ausscheidet, der vorliegen würde, wenn ein nach § 33 SGB V begründeter Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel durch eine solche Regelung der HilfsM-RL ausgeschlossen wäre. Deshalb bedurfte es an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung zu der Frage, ob und ggf unter welchen Voraussetzungen Leistungsbegrenzungen im Bereich der Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 SGB V) in solchen Richtlinien überhaupt angeordnet werden dürfen. Nach Abschnitt A III Nr 21 der HilfsM-RL vom 17.6.1992 (BAnz Nr 183b vom 29.9.1992), die nach Maßgabe späterer Änderungen bis zum 6.2.2009 gültig waren und hier einschlägig sind (ab 7.2.2009 gilt die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 16.10.2008, BAnz Nr 61 vom 6.2.2009 S 462), konnte eine Mehrfachversorgung mit funktionsgleichen Hilfsmitteln an sich nur dann verordnet werden, wenn dies aus hygienischen Gründen notwendig oder aufgrund besonderer Beanspruchung durch den Versicherten zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Beides ist hier nicht der Fall.

27

Diese Bestimmung war jedoch nicht als abschließende Regelung zu verstehen, weil sie ersichtlich lückenhaft ist und der sich aus § 33 SGB V ergebenden Rechtslage nur unvollkommen entspricht, bei rein wörtlicher Auslegung also rechtswidrig und damit unwirksam wäre. Eine Mehrfachversorgung mit einem Hilfsmittel kann im Einzelfall zB auch wegen fehlender oder nur unter unzumutbaren Erschwernissen denkbarer Transportierbarkeit eines Hilfsmittels sowie aus sonstigen medizinischen oder technischen Gründen in Betracht kommen. Die Lückenhaftigkeit der Regelung hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss erkannt und deshalb mit Wirkung ab 7.2.2009 unter Abschnitt A § 6 Abs 7 folgende Vorschrift in die HilfsM-RL nF vom 16.10.2008 aufgenommen: "Eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln kann nur dann verordnet werden, wenn dies aus medizinischen, hygienischen oder sicherheitstechnischen Gründen notwendig oder aufgrund der besonderen Beanspruchung durch den Versicherten zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Als Mehrfachausstattung sind funktionsgleiche Mittel anzusehen. Hinweise hierzu ergeben sich aus dem Hilfsmittelverzeichnis." Diese Vorschrift stellt lediglich eine Klarstellung der nach § 33 SGB V ohnehin bestehenden Rechtslage dar, ist also nicht als konstitutive Regelung zu verstehen. Demgemäß ist diese Vorschrift in entsprechender Weise auch auf die HilfsM-RL vom 17.6.1992 und deren lückenhafte Regelung in Abschnitt A III Nr 21 anzuwenden. Dies gilt im vorliegenden Zusammenhang umso mehr, als sich die grundsätzliche Möglichkeit der Zweitversorgung zur Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers auch aus dem Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) ergibt, das zur Konkretisierung der Verordnungsfähigkeit von Hilfsmitteln stets ergänzend heranzuziehen ist, wie sich nunmehr auch aus Abschnitt A § 6 Abs 7 S 3 HilfsM-RL nF ausdrücklich ergibt. So findet sich im Hilfsmittelverzeichnis, auf das auch schon die HilfsM-RL vom 17.6.1992 mehrfach Bezug genommen haben (vgl Abschnitt A II Nr 8 und 8.2), in der Produktgruppe 18 unter Ziffer 3.1 eine Sonderregelung, wonach bei Kindern und Jugendlichen neben dem für den ständigen Gebrauch zu Hause zu gewährenden Kranken- und Behindertenfahrzeug im Bedarfsfall ein weiteres für den außerhäuslichen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden kann, um die Fortbewegung im Schulbereich sicherzustellen. Diese Regelung ist hier analog anwendbar, weil der "Schulbereich" bei zutreffender Auslegung sowohl die Schulfähigkeit und den Erwerb einer elementaren Schulausbildung (ab dem sechsten Lebensjahr) als auch die Hinführung darauf (zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr) umfasst. Die Begriffe "Bedarfsfall" und "Erforderlichkeit im Einzelfall" sind inhaltsgleich.

28

Da nach alledem die Hinführung auf die Schulfähigkeit durch die Bildungs-, Erziehungs- und Förderarbeit, wie sie in dem von der Versicherten besuchten heilpädagogischen Kindergarten durchgeführt wird, als allgemeines Grundbedürfnis anzuerkennen war, die Versicherte dazu eines Therapiestuhles nebst Therapietisch und sonstigem Zubehör bedurfte, dieser Therapiestuhl kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist und das für die Wohnung zur Verfügung gestellte Exemplar zum täglichen Transport nicht geeignet war, hätte die Beklagte die Versicherte mit dem beantragten zweiten Therapiestuhl zu Lasten der GKV versorgen müssen. Der Kläger, der diese Verpflichtung für die vorrangig verpflichtete Beklagte erfüllt hat, beansprucht deshalb zu Recht die Erstattung des Kaufpreises (§ 14 Abs 4 S 1 SGB IX) Zug um Zug gegen Übereignung des Hilfsmittels.

29

Rechtsgrundlage des Zinsanspruchs ist § 108 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB X iVm § 44 Abs 3 S 1 SGB I. Hiernach haben die Sozialhilfeträger und die anderen in § 108 Abs 2 SGB X genannten Träger auf Antrag Anspruch auf Verzinsung eines Erstattungsanspruchs mit 4 vH für den Zeitraum nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsantrages beim zuständigen Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung(§ 108 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB X). Verzinst werden dabei aber nur volle Euro-Beträge (§ 44 Abs 3 S 1 SGB I). Diese Vorschriften gelten für Erstattungsansprüche nach § 14 Abs 4 SGB IX entsprechend(so bereits Urteil des Senats vom 20.11.2008 - B 3 KR 16/08 R - juris, RdNr 26).

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

31

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.