Landgericht Bielefeld Beschluss, 28. Juli 2014 - 9 KLs - 6 Js 36/11- 13/12

ECLI:ECLI:DE:LGBI:2014:0728.9KLS6JS36.11.13.1.00
28.07.2014

Tenor

  • I. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt.

  • II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 362 Erlöschen durch Leistung


(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. (2) Wird an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so finden die Vorschriften des § 185 Anwendung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 266 Untreue


(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder ein

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 185 Verfügung eines Nichtberechtigten


(1) Eine Verfügung, die ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand trifft, ist wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt. (2) Die Verfügung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt oder wenn der Verfügende den Gegenstan

Strafprozeßordnung - StPO | § 203 Eröffnungsbeschluss


Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

Strafprozeßordnung - StPO | § 201 Übermittlung der Anklageschrift


(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung d

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Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
__________
StB 16/13
vom
15. Oktober 2013
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 2013 gemäß
§ 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 2 und 3 StPO beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird 1. der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 18. Juni 2013 aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die Anklage des Generalbundesanwalts vom 28. November 2012 zur Hauptverhandlung vor der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zugelassen hat; 2. die Anklage des Generalbundesanwalts vom 28. November 2012 zur Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgerichts Frankfurt zugelassen.

Gründe:

1
Der Generalbundesanwalt hat den Angeklagten mit der zum Oberlandesgericht Frankfurt erhobenen Anklage vorgeworfen, in 20 Fällen jeweils gemeinschaftlich und gewerbsmäßig handelnd vorsätzlich ohne Genehmigung Flugmotoren in den Iran ausgeführt und dadurch gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 18. Juni 2013 das Hauptverfahren eröffnet. Es hat die Anklage wegen Fehlens der gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG erforderlichen besonderen Bedeutung des Falles indes lediglich zur Hauptverhandlung vor der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zugelassen (§ 120 Abs. 2 Satz 2 GVG). Dagegen wendet sich der Generalbundesanwalt mit seiner sofortigen Beschwerde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

A.

2
I. Mit der Anklageschrift sind den in Wiesbaden und Teheran (Iran) wohnhaften Angeklagten folgende Straftaten zur Last gelegt worden:
3
1. Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt Ende des Jahres 2007 kamen die Angeklagten überein, Flugmotoren des deutschen Herstellers L. KG (im Folgenden: L. KG) anzukaufen, um diese in den Iran auszuführen. Dem iranischstämmigen Angeklagten La. , der neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt , sollte dabei die Aufgabe der Geschäftsanbahnung und -abwicklung in Deutschland sowie der Organisation des Transports der Motoren in den Iran zukommen, der im Iran ansässige Angeklagte A. hatte die für Erwerb und Transport erforderlichen finanziellen Mittel bereitzustellen.
4
Im Januar 2008 nahm der Angeklagte La. daraufhin als angeblich Verantwortlicher einer rechtlich nicht existenten "R. Group" - es existiert lediglich die am 17. Juni 2008 gegründete R. Unternehmen La. GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Angeklagte La. ist - Kontakt zum Geschäftsführer der L. KG auf, dem er den geplanten Export in den Iran verschwieg und - um keine Bedenken wegen etwaiger Verstöße gegen außenwirtschaftsrechtliche Bestimmungen aufkommen zu lassen - vorgab, er verfüge über geschäftliche Beziehungen in die Vereinigten Arabischen Emirate; für dieses Land könne er die Vermarktung und den Vertrieb von L. -Flugmotoren übernehmen. Die L. KG lieferte mit Blick darauf am 20. März 2008 zunächst einen Motor des Typs L 550 E mit Zubehör zum Preis von rund 16.000 €, der nach Angaben des Angeklagten bei Kaufver- tragsverhandlungen mit potentiellen Kunden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zu Demonstrationszwecken dienen sollte.
5
Im Mai 2008 bestellte der Angeklagte La. in Absprache mit dem Angeklagten A. sodann 30 Flugmotoren des Typs L 550 E bei der L. KG, wobei er wiederum für die "R. Group" auftrat. Er gab an, die Motoren seien von einer Firma in Dubai bestellt worden, die sie an eine Firma in Abu Dhabi weiterverkaufen wolle. Da der Geschäftsführer der L. KG Zweifel an der Existenz dieser Firmen hatte und ihm der Endverbleib der Motoren ungeklärt erschien, machte er den Vertragsschluss von der Vorlage eines Nullbescheides oder einer Ausfuhrgenehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (im Folgenden: BAFA) abhängig. Der Angeklagte La. wandte sich deshalb im Juni 2008 an das BAFA und bat um "Freigabe" der geplanten Ausfuhr. Als das BAFA Rückfragen zur geplanten Verwendung der Motoren stellte, zog er seinen Antrag im Februar 2009 zurück, woraufhin das Verfahren ohne behördliche Erklärung zur Genehmigungsbedürftigkeit eingestellt wurde.
6
Ungeachtet der zunächst geforderten Vorlage eines Bescheides des BAFA schloss die L. KG am 23. Juli 2008 mit der vom Angeklagten La. vertretenen R. Unternehmen La. GmbH (im Folgenden: R. GmbH) den Kaufvertrag über 30 Flugmotoren des Typs L 550 E. Die ersten drei Motoren holte der Angeklagte La. bereits am 14. August 2008 bei der L. KG ab, die restlichen 27 Motoren wurden in 13 Teillieferungen bis März 2009 übergeben. Im März und im Juli 2009 bestellte der Angeklagte La. namens der R. GmbH insgesamt 30 weitere Motoren des genannten Typs, die bis zum 24. August 2009 geliefert wurden. Der Stückpreis für einen Motor betrug anfänglich 8.820 €, später 9.120 € und schließlich 9.570 € netto.
7
Da den Angeklagten bekannt war, dass die ungenehmigte Ausfuhr der Flugmotoren in den Iran gegen die einschlägigen Ausfuhrbestimmungen verstieß , kamen sie überein, die einzelnen Lieferungen wahrheitswidrig als solche von Jet-Ski-Motoren mit einem Warenwert von unter 1.000 € zu deklarieren. Der Angeklagte La. verfuhr dem gemeinsamen Tatplan entsprechend und erreichte so, dass statt der Ausfuhrabfertigung per förmlicher Ausfuhrerklärung die Ausfuhrabfertigung per Handelsrechnung für Waren unter 1.000 € durchgeführt wurde, die regelmäßig keine Sichtprüfung durch den Zoll nach sich zog. In Abstimmung mit dem Angeklagten A. wurden in der Zeit zwischen dem 2. Oktober 2008 und dem 9. Oktober 2009 in 20 Teillieferungen insgesamt 61 Motoren des Typs L 550 E in den Iran ausgeführt. Die Motoren, die dem Angeklagten La. von der L. KG auf seinen Wunsch und auf seine Kosten in speziellen Koffern aus Kunststoff, sog. Peli-Cases, verpackt geliefert wurden, holten die von ihm beauftragten Speditionsfirmen bei ihm ab und lieferten sie an die in wechselnder Folge als Empfänger benannten acht in Teheran ansässigen Unternehmen.
8
Entsprechend dem Tatplan besorgte der Angeklagte A. die Finanzierung der Geschäfte dergestalt, dass er jeweils vor einer anstehenden Lieferung der L. KG den benötigten Kaufpreis, die für die nächste Teillieferung in den Iran anfallenden Transportkosten und einen zuvor vereinbarten Gewinnanteil des Angeklagten La. auf ein Konto bei einer iranischen Bank in Frankfurt am Main überwies. Der Angeklagte La. hob das Geld entweder noch am selben Tag oder ein bis zwei Tage später in bar ab und beglich davon unter anderem die Rechnungen der L. KG und der beauftragten Spedition.
9
Nach der Einfuhr der Motoren in den Iran veräußerte der Angeklagte A. mindestens 40 Stück an namentlich nicht bekannte Abnehmer zum Preis von 25.000 € pro Stück. Den aus dem Weiterverkauf erzielten Gewinn teilten die Angeklagten im Verhältnis von 60 % für den Angeklagten A. und 40 % für den Angeklagten La. . Bei einem Gewinn von ca. 12.000 € pro Motor erhielt der Angeklagte La. damit mindesten 192.000 €, der Angeklagte A. mindestens 288.000 €. Von diesen Einnahmen bestritten die Angeklagten im Tatzeitraum einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebensunterhalts.
10
Um den deutschen Exportkontrollbehörden gegenüber eine gesetzmäßige Ausfuhr belegen zu können, kamen die Angeklagten etwa im Mai 2009 überein, in Baumärkten handelsübliche Stromgeneratoren zu einem Stückpreis von ca. 100 € zu erwerben, diese als die Flugmotoren der L. KGzu deklarieren und sie genehmigungsfrei nach Dubai zu liefern. Zwischen Mai und September 2009 erwarb der Angeklagte La. 60 Stromerzeuger, von denen 50 in mehreren Tranchen auf dem Seeweg nach Dubai ausgeführt wurden; für zehn weitere verweigerte der deutsche Zoll am 4. September 2009 die Ausfuhrabfertigung , worauf sie wieder zum Wohnsitz des Angeklagten La. zurückgebracht wurden.
11
Die Flugmotoren des Typs L 550 E der L. KG eignen sich aufgrund ihres niedrigen Leistungsgewichts für den Einsatz in Drohnen und - aufgrund der nahezu identischen Bauweise dieses Systems mit der in Südafrika entwickelten und produzierten Drohne "Seeker" - dabei insbesondere für das im Iran produzierte Modell "Ababil III". Abgesehen von dieser militärischen Verwendung können sie als Antrieb von Ultraleichtflugzeugen eingesetzt werden, die vorwiegend touristischen Zwecken dienen.
12
2. In der Anklageschrift des Generalbundesanwalts sind diese Sachverhalte rechtlich wie folgt gewürdigt:
13
Die Angeklagten hätten in 20 Fällen jeweils gemeinschaftlich und gewerbsmäßig handelnd vorsätzlich in Teil I Abschnitt C Kennung 9A994 der Ausfuhrliste (Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung) genannte Güter - die Flugmotoren des Typs L 550 E erfüllen die in dieser Listenposition aufgestellten Kriterien - in den Iran ausgeführt und damit in § 33 Abs. 1 AWG bezeichnete Handlungen begangen, die jeweils geeignet gewesen seien, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33 Abs. 1 AWG, § 70 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 AWV i.V.m. Teil I Abschnitt C Position 9A994 der Ausfuhrliste). Zu seiner Verfolgungszuständigkeit und der Zuständigkeit des Staatsschutzstrafsenates beim Oberlandesgericht Frankfurt hat der Generalbundesanwalt ausgeführt, neben der bereits bei der materiell-rechtlichen Prüfung nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG bejahten Eignung der Taten zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland weise der Fall auch die nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG für die Übernahme der Ermittlungen durch ihn erforderliche besondere Bedeutung auf, die sich bei wertender Betrachtung aus dem Verdacht, die Motoren seien im Iran zum Einbau in militärische Drohnen verwendet worden, der Dauer und der Intensität der Tatserie sowie einem eklatanten Defizit der deutschen Exportkontrollbehörden ergebe.
14
II. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Frankfurt den hinreichenden Verdacht, die Angeklagten hätten die ihnen zur Last gelegten Taten begangen, bejaht und das Hauptverfahren eröffnet. Es hat dabei die rechtliche Würdigung der Anklageschrift auch in Bezug auf die Eignung der Taten, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden, nach der Einholung einer aktuellen Stellungnahme des Auswärtigen Amtes geteilt. Indes hat das Oberlandesgericht seine Zuständigkeit mangels Vorliegens der erforderlichen besonderen Bedeutung des Falles verneint und die Anklage vor der Wirtschaftsstrafkammer des örtlich zuständigen Landgerichts Wiesbaden zugelassen. Insoweit hat es ausgeführt, an das Vorliegen dieses Merkmals seien - weil durch die Übernahmeerklärung des Generalbundesanwalts nicht nur der gesetzliche Richter bestimmt, sondern auch in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eingegriffen werde - strenge Anforderungen zu stellen, die hier nicht erfüllt seien: Die Taten ließen keinen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen erkennen, es handele sich vielmehr um der Gewinnerzielungsabsicht dienende Wirtschaftskriminalität von Einzeltätern. Ein bestehender Auslandsbezug betreffend die Länder Iran und Vereinigte Arabische Emirate begründe keinen Ermittlungsaufwand, der über denjenigen hinausgehe, der mit Durchschnittsfällen in Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz ohnehin verbunden sei. Auch sei nicht erkennbar, warum die Verfolgung des Falles die besondere Sachkunde der Bundesbehörden erfordere. Es hätten sich keine Erkenntnisse ergeben, die auf eine sicherheitspolitische Dimension der Taten für die Bundesrepublik Deutschland schließen ließen, insbesondere lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Handlungen der Angeklagten in gezielte staatliche oder geheimdienstliche Aktionen des Iran zur Beschaffung von Militärgütern eingebettet gewesen seien.

B.

15
Die gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit das Oberlandesgericht die Anklage vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zugelassen hat und zur Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Im Einzelnen:
16
In Fällen, in denen sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem Gericht niedrigerer Ordnung richtet, kann sich das Beschwerdegericht nicht auf die Prüfung der Anträge der Staatsanwaltschaft und die von ihr geltend gemachten Beschwerdepunkte beschränken. Es hat die vom Anklagevorwurf umfassten Taten vielmehr in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BayObLG, Beschluss vom 7. November 1986 - 3 St ObWs 1/86, NJW 1987, 511 mwN) und ist dabei an den Eröffnungsbeschluss weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gebunden (LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 210 Rn. 30 mwN). Hat der Bundesgerichtshof damit als Beschwerdegericht in der Sache selbst über die Eröffnung zu entscheiden, so hat er das in der Eröffnungsentscheidung liegende Wahrscheinlichkeitsurteil eines Oberlandesgerichts über den Tatnachweis und dessen rechtliche Bewertung des Tatvorwurfs in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbstständig zu prüfen (BGH, Beschluss vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 243). Insoweit gilt, dass gemäß § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen ist, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen , wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismit- teln wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 22. April 2003 - StB 3/03, BGHR StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2 mwN). Der gleiche Maßstab gilt hinsichtlich solcher Merkmale der Tat, die die besondere Bedeutung des Falles und damit das Evokationsrecht des Generalbundesanwalts zu begründen vermögen. Die Darlegung von insoweit bedeutsamen Umständen kann die Staatsanwaltschaft zudem noch im Beschwerdeverfahren nachholen; das Beschwerdegericht hat auch im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung noch nicht bekannte Tatsachen oder Beweismittel bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen (LR/Stuckenberg, aaO, § 210 Rn. 19, 23).
17
Die dem Senat danach obliegende umfassende Überprüfung des Falles hat Folgendes ergeben: Die Angeklagten sind in tatsächlicher Hinsicht hinreichend verdächtig, als Mittäter die ihnen in der Anklageschrift vorgeworfenen Ausfuhren von Flugmotoren der L. KG in den Iran durchgeführt und dabei in der Absicht gehandelt zu haben, sich aus der wiederholten Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei waren die Taten geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden (dazu unten I.). In rechtlicher Hinsicht stellen sich die Taten als Verstöße gegen § 18 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Abs. 7 Nr. 2 AWG, § 8 Abs. 1 Nr. 2 AWV i.V.m. Teil I Abschnitt B Position 9A994 der Ausfuhrliste, jeweils in der ab dem 1. September 2013 geltenden Fassung dar (dazu unten II.). Die Gesamtumstände der vom Anklagevorwurf umfassten Taten begründen mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit die besondere Bedeutung des Falles, die zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Frankfurt führt (dazu unten III.).
18
I. Bei vorläufiger Tatbewertung ist auf der Grundlage des in der Anklageschrift mitgeteilten Ermittlungsergebnisses überwiegend wahrscheinlich, dass die Angeklagten - entgegen der Einlassung des Angeklagten La. - mit den dort genannten Beweismitteln überführt werden können, als Mittäter durch 20 Ausfuhren insgesamt 61 Flugmotoren des Typs L 550 E der L. KG in den Iran geliefert und dabei die deutschen Exportkontrollbehörden durch die Falschdeklaration als Jet-Ski-Motoren zu einem Warenwert von unter 1.000 € getäuscht zu haben. Mindestens 40 dieser Motoren wurden durch den Angeklagten A. im Iran zu einem Stückpreis von 25.000 € veräußert, woraus sich nach Abzug der Kosten für Anschaffung und Transport entsprechend den Abrechnungen des Angeklagten A. gegenüber dem Angeklagten La. die Gewinnanteile der beiden Angeklagten in Höhe von 192.000 € für den An- geklagten La. und in Höhe von 288.000 € für den Angeklagten A. ergeben. Diese lassen es auch hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass die Angeklagten, die die Motoren in mehreren Tranchen beschafften und durch 20 Taten ausführten, sich durch die wiederholte Begehung von Verstößen gegen das AWG eine Einnahmequelle von einigem Umfang erschließen wollten und deshalb gewerbsmäßig handelten. Zur Frage des hinreichenden Tatverdachts im Übrigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Frankfurt in dem angefochtenen Beschluss sowie auf die Würdigung der Ermittlungsergebnisse in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts Bezug.
19
Zutreffend ist auch die Annahme des Oberlandesgerichts, die Taten der Angeklagten seien geeignet gewesen, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Auf die ausführliche Begründung in dem angefochtenen Beschluss, mit der das Oberlandesgericht seine dahingehende umfassende Würdigung der Gesamtumstände des Falles dargelegt hat und der sich der Senat anschließt, nimmt er ebenfalls zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
20
II. Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Anklageerhebung und der Eröffnungsentscheidung geltenden Rechts bestand damit der hinreichende Verdacht , dass sich die Angeklagten in 20 Fällen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33 Abs. 1 AWG, § 70 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 AWV i.V.m. Teil I Abschnitt C Position 9A994 der Ausfuhrliste strafbar gemacht haben. Mittlerweile ist indes am 1. September 2013 das Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482) in Kraft getreten. In diesem sind unter anderem die Strafbestimmungen einer umfänglichen Neustrukturierung unterzogen worden.
21
Nach der nunmehr geltenden Gesetzesfassung macht sich nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG unter anderem strafbar, wer gegen die Außenwirtschaftsverordnung verstößt, indem er ohne Genehmigung nach § 8 Abs. 1 AWV nF dort genannte Güter ausführt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AWV nF bedarf die Ausfuhr der in Teil I Abschnitt B der Ausfuhrliste genannten Güter der Genehmigung. In Teil B der Ausfuhrliste, die ebenfalls mit Wirkung ab dem 1. September 2013 neu gefasst worden ist, werden die nach altem Recht in Abschnitt C der Ausfuhrliste gelisteten, national erfassten Güter aufgeführt. Unter Listenposition 9A994 finden sich - nach wie vor - Flugmotoren mit bestimmten - hier erfüllten - technischen Werten, die für den Einsatz in unbemannten Luftfahrzeugen geeignet sind, wenn Käufer- oder Bestimmungsland der Iran ist. Auch nach neuem Recht sind die Taten, deren die Angeklagten hinreichend verdächtig sind, also mit Strafe bedroht.
22
Die Gesetzesänderung macht die Prüfung erforderlich, welches Gesetz nach § 2 Abs. 3 StGB als mildestes Recht zur Anwendung kommt. Zwar werden Ausfüllungsnormen, die der Umsetzung von Embargos dienen, nach herrschender Auffassung als Vorschriften, die nur für einen bestimmten Zeitraum gelten sollen und damit als Zeitgesetze im Sinne von § 2 Abs. 4 StGB angese- hen (Morweiser in Wolffgang/Simonsen/Tietje, AWR-Kommentar, Stand: Mai 2013, § 34 Abs. 4 AWG Rn. 114 mwN). Als solche kommt hier die Listenposition 9A994 in Teil B der nationalen Ausfuhrliste in Betracht, weil die dort genannten Güter nur bei einer Ausfuhr in den Iran kontrolliert werden und diese Kontrolle beendet werden könnte, wenn etwa eine Veränderung der politischen Haltung des Iran zu einer Aufhebung der gegen ihn international verhängten Embargos führen würde. Letztlich kann diese Frage offen bleiben, weil von der Gesetzesänderung nicht die gegebenenfalls als Zeitgesetz anzusehende Ausfüllungsvorschrift , sondern die allgemeinen, die Strafbarkeit bestimmenden Vorschriften des AWG geändert worden sind.
23
Die damit gebotene Prüfung nach § 2 Abs. 3 StGB, welches Gesetz das mildeste ist, führt hier zur Anwendung des neuen Rechts. Insoweit gilt:
24
Die ungenehmigte Ausfuhr der Flugmotoren begründete nach altem Recht grundsätzlich nur den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 AWG, die lediglich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 AWG zur Straftat hochgestuft wurde. Dies spräche bei abstrakter Betrachtung dafür, das alte Recht als das mildeste anzusehen, weil es ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal erforderte, das nach neuem Recht nicht gegeben sein muss. Denn der Verstoß gegen § 8 Abs. 1 AWV nF begründet stets den Vorwurf einer Straftat nach § 18 Abs. 2 AWG nF mit einem - demjenigen des § 34 Abs. 2 AWG aF entsprechenden - Strafrahmen von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Jedoch ist als mildestes Gesetz dasjenige anzusehen, das bei einem Gesamtvergleich des konkreten Einzelfalls die dem Täter günstigste Beurteilung zulässt (st. Rspr.; s. zuletzt BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11, NStZ 2012, 510, 511). Dieser ergibt, dass das neue Recht für die Angeklagten günstiger ist: Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG aF liegen hier - wie dargelegt - vor, so dass sich aus dem Erfordernis der zusätzli- chen Tatbestandsvoraussetzung bei konkreter Betrachtung nichts Günstigeres für die Angeklagten ergibt. Der Strafrahmen des Grunddeliktes ist bei § 34 Abs. 2 AWG aF und § 18 Abs. 2 AWG nF gleich. Da die Angeklagten aber auch hinreichend verdächtig sind, gewerbsmäßig gehandelt und damit den Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 6 Nr. 2 AWG aF bzw. des § 18 Abs. 7 Nr. 2 AWG nF erfüllt zu haben, ist auf einen Vergleich dieser Strafrahmen abzustellen. Gegenüber § 34 Abs. 6 AWG aF, der eine Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsah, erweist sich § 18 Abs. 7 AWG als milderes Gesetz , weil diese Vorschrift bei gleicher Strafobergrenze (Freiheitsstrafe von 15 Jahren, vgl. § 38 Abs. 2 StGB) eine Mindeststrafe von (nur) einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht.
25
III. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a GVG ist bei Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gegeben , wenn die Tat nach den Umständen geeignet ist, die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden ; letzteres ist - wie dargelegt - vorliegend der Fall. Zusätzlich muss dem Fall noch besondere Bedeutung zukommen (KK-Hannich, StPO, 7. Aufl., § 120 GVG Rn. 4d).
26
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind an die Bejahung der besonderen Bedeutung im Sinne des § 120 GVG mit Blick auf die in der Übernahmeerklärung durch den Generalbundesanwalt liegenden Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) und des Eingriffs in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (vgl. Art. 96 Abs. 5 GG) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128, 140 f. mit zahlreichen Nachweisen ). Eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG kann selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches Unrecht verwirklicht und daher staatli- che Sicherheitsinteressen in besonderer Weise beeinträchtigt, nicht allein aus diesem Grund das Evokationsrecht des Generalbundesanwalts begründen. Dies gilt auch in den Fällen des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG, denn die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist in erster Linie Aufgabe der Länder; die Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit ausübenden Organe ist daher nur bei einem spezifischen, ausreichend gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen gegeben (BGH aaO, 142). Ob ein solcher vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts ihres Angriffs auf den Gesamtstaat zu entscheiden. Allein die Schwere der Tat und das Ausmaß der von ihr hervorgerufenen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter vermag für sich die besondere Bedeutung nicht zu begründen; allerdings können die konkrete Tatund Schuldschwere den Grad der Gefährdung bundesstaatlicher Belange durchaus mitbestimmen (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 120 Rn. 6). Von Bedeutung kann auch sein, ob aufgrund der Erheblichkeit des Delikts eine Verfolgung mit besonderer Sachkunde geboten und angesichts des Auslandsbezuges ein spezieller Ermittlungsaufwand erforderlich erscheint. Bei der Beurteilung der besonderen Bedeutung ist zudem zu erwägen, inwieweit die konkrete Tat den Gesamtstaat etwa durch eine Schädigung des Ansehens Deutschlands in der Staatengemeinschaft zu beeinträchtigen vermag (vgl. BT-Drucks. 16/3038 S. 31).
27
Nach diesen Maßstäben ist die besondere Bedeutung des Falles hier im Ergebnis zu bejahen. Dazu im Einzelnen:
28
Es ist bei einer Gesamtschau sämtlicher Ermittlungsergebnisse hinreichend wahrscheinlich, dass die Flugmotoren im iranischen Drohnenprogramm verwendet worden und in Drohnen des Typs "Ababil III" eingebaut worden sind. Dafür spricht zunächst die festgestellte besondere Eignung der Motoren vom Typ L 550 E, als Antrieb für Drohnen dieses mit dem südafrikanischen Modell "Seeker" baugleichen Typs zu dienen. Hinzu kommt, dass die Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die Motoren im Iran einer zivilen Verwendung - etwa dem Einbau in zu touristischen Zwecken hergestellte Ultraleichtflugzeuge - zugeführt wurden. Zudem spricht für einen solchen militäri- schen Zweck der hohe Verkaufspreis von 25.000 € pro Motor, der einem Auf- schlag von über 100 % auf den Einkaufspreis entspricht, wodurch die Angeklagten erhebliche Gewinne erzielen konnten. Es erscheint mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Herstellung von Ultraleichtflugzeugen zweifelhaft, dass die Abnehmer von Flugmotoren für zivile Zwecke, die sich über das Internet auch vom Iran aus einen Überblick über die erzielbaren Preise verschaffen konnten und gegebenenfalls andere, keinen Ausfuhrkontrollen unterliegende Motoren hätten verwenden können, sich auf solche Aufschläge eingelassen hätten (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - StB 27/09, BGHSt 54, 275, 292). Diese Indizien erhalten zusätzliches Gewicht durchden - vom Oberlandesgericht nicht erkennbar in seine Überlegungen einbezogenen - E-Mail-Verkehr, der bei dem Zeugen S. , einem Mitarbeiter der L. KG, sichergestellt wurde: So teilte eine Person namens "E. " unter der Anschrift "uavengine " dem Zeugen mit E-Mail vom 8. September 2009 mit, dass sie Designer und Hersteller von "Uav" im Iran sei. Die Abkürzung "UAV" steht für "unmanned aerial vehicle", die englische Bezeichnung für Drohne. Er, E. , habe etwa drei Monate zuvor 20 Maschinen vom Typ L 550 E von der L. KG erworben und hätte Fragen zum Benzinverbrauch. Der Zeuge S. versuchte in der anschließenden Korrespondenz ohne Erfolg , die Lieferquelle zu ermitteln, da er ausschließen konnte, in der fraglichen Zeit Flugmotoren in den Iran geliefert zu haben. Dies spricht dafür, dass E. durch die Angeklagten beliefert wurde, die bis Juni 2009 bereits 46 Motoren in den Iran ausgeführt hatten. Mit einer weiteren E-Mail vom 19. Dezember 2009 erhielt der Zeuge S. von dem Absender "Gods Aviation Uav" die Nachricht , dass dieser 10 Maschinen vom Typ L 550 E erworben habe, die Seriennummer laute 1543. Ein Flugmotor mit dieser Seriennummer war Teil der Lieferung der L. KG an die von dem Angeklagten La. geleitete R. GmbH vom 12. Februar 2009. Unterzeichnet ist die Nachricht mit "Gods military aviation". Bei dem Namen "Gods" handelt es sich um eine andere Schreibweise des Namen "Qods"; nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist die "Qods Aviation Industries" mit der Entwicklung und Produktion von Drohnen betraut und untersteht der "Aviation Industries Organisation" (AVIO) und damit dem iranischen Verteidigungsministerium.
29
Angesichts dieser Indizien, die eine militärische Verwendung der Flugmotoren im iranischen Drohnenprogramm im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nahe legen, kommt es auf die weiteren nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zur Verwendung der Motoren im iranischen Drohnenprogramm, die der Generalbundesanwalt mit seiner Beschwerdebegründung vorgelegt hat, nicht mehr entscheidend an. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob das Behördenzeugnis des Bundesnachrichtendienstes vom 15. Juli 2013 und das dem Auswärtigen Amt überlassene undatierte "US non-paper", das eine weitere Seriennummer eines der an die Angeklagten gelieferten Motoren mit einer im Südsudan abgeschossenen Drohne in Verbindung bringt, aufgrund ihres geringen Beweiswertes bei der Prüfung eines Tatverdachts berücksichtigt werden könnten.
30
Ist aber davon auszugehen, dass die gelieferten Flugmotoren dem iranischen Drohnenprogramm zur Verfügung gestellt worden sind, stellen sich die Taten der Angeklagten entgegen der Wertung des Oberlandesgerichts nicht in erster Linie als Wirtschaftskriminalität von Einzelnen dar; vielmehr ist das Vorliegen der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG erforderlichen besonderen Bedeu- tung des Falles zu bejahen. Denn angesichts der auch vom Oberlandesgericht erkannten, über Jahre hinweg immer wieder zum Ausdruck gebrachten, aggressiven Grundhaltung des Iran gegenüber Israel ist eine Ausfuhr solcher Motoren in besonderem Maße geeignet, das Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland in den Staaten zu beeinträchtigen, die ihr durch gemeinsame Wertvorstellungen verbunden sind (vgl. dazu Kissel/Mayer, aaO mwN): Durch die Einsatzmöglichkeit militärisch genutzter Drohnen durch den Iran entsteht in der Region des Nahen Ostens ein neues Bedrohungsszenario. Mit dem Bekanntwerden des Umstandes, dass die für den Antrieb dieser Drohnen wesentliche Technologie aus Deutschland geliefert worden ist, werden sämtliche Bemühungen , solche Bedrohungen durch den Iran mittels einer besonders strikten Exportkontrollpolitik zu verhindern, in einem Maße konterkariert, das geeignet ist, die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat in ihrem Ansehen insbesondere mit Blick auf den Staat Israel zu schädigen. Die Möglichkeit des Einsatzes einer mit herkömmlichen Abwehrsystemen nur schwer unschädlich zu machenden Trägertechnologie durch den Iran in der Region weist auch eine sicherheitspolitische Dimension auf, ohne dass es entscheidend darauf ankommt , ob die Drohnen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nur zu Zwecken der Aufklärung oder doch auch als Kampfdrohnen eingesetzt werden.
31
Soweit das Oberlandesgericht bei der Ablehnung der besonderen Bedeutung darauf abgestellt hat, dass es sich um nicht international kontrollierte Güter handelt, deren Ausfuhr aus anderen Ländern jederzeit möglich gewesen wäre, ist zudem nach dem Ermittlungsergebnis zu berücksichtigen, dass gleich geeignete Motoren international jedenfalls nicht ohne Weiteres verfügbar sind, so dass es für die Produktion der Drohnen vom Typ "Ababil III" gerade auf die aus Deutschland stammenden Motoren der L. KG ankam. Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Die Anklageschrift ist auch dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten, der dies beantragt hat, zu übersenden; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Über Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
________________
StB 27/09
vom
19. Januar 2010
Nachschlagewerk: Ja
BGHSt: Ja (jeweils zu A. I, B. II. und B. IV.)
Veröffentlichung: Ja
_______________________
AWG § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 34 Abs. 2 Nr. 3
AWV § 5 c Abs. 2
AEUV Art. 267 (Art. 234 EGV)
VO (EG) 1334/2000 Art. 5 Abs. 1 bzw. VO (EG) 428/2009 Art. 8 Abs. 1
1. § 5 c AWV ist von der Öffnungsklausel in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung
(EG) 1334/2000 (Dual-Use-VO) (jetzt Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG)
428/2009 (Dual-Use-VO nF)) gedeckt und deshalb zulässiges, durch
§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG strafbewehrtes nationales Exportkontrollrecht.
2. Ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht
dadurch, dass Teil I Abschnitt C der nationalen Ausfuhrliste
(Anlage AL zur AWV) den Anhang I zu Art. 3 der Verordnung (EG)
1334/2000 (Dual-Use-VO) bzw. der Verordnung (EG) 428/2009 (DualUse
-VO nF) wiederholt, steht jedenfalls der Anwendbarkeit der Strafnorm
des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG nicht entgegen.
3. Im Verfahren über die sofortige Beschwerde gegen die Nichteröffnung
des Hauptverfahrens besteht keine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof
der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV (früher: Art. 234
EGV).
BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - StB 27/09 - Oberlandesgericht München -
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2010 gemäß
§§ 199, 203, 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StPO beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird
a) der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. März 2009 aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat;
b) das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage des Generalbundesanwalts vom 7. August 2008 zur Hauptverhandlung vor der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II mit der Maßgabe zugelassen, dass der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf der geheimdienstlichen Agententätigkeit entfällt. 2. Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts wird
a) der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. März 2009 aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht aa) die Arrestbeschlüsse des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof vom 19. Oktober 2006 (1 BGs 142/2006) und vom 13. Dezember 2006 (1 BGs 151/2006) in das Vermögen des Angeschuldigten und der H. Limited, aufgehoben hat; hinsichtlich des letztgenannten Beschlusses jedoch nur, soweit sich die Aufhebung durch das Oberlandesgericht München auf einen Teilbetrag von 277.041,07 € erstreckt ; bb) die mit Beschlüssen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof vom 29. November 2006 (1 BGs 192/2006), vom 7. Dezember 2006 (1 BGs 198/2006) und vom 21. Mai 2007 (1 BGs 226/2007) angeordneten Beschlagnahmen aufgehoben hat;
b) gemäß § 111 b Abs. 1, 3 und 4 StPO, § 111 c Abs. 1, § 111 e Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 101 a Nr. 1 i. V. m. § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB die Beschlagnahme von - fünf DVDs mit der Aufschrift "AS BA SH-SCA 17/02/05, 27/09/05, 01/11/052", "1107/06 HS", "02/04/06", "19/11/05, 02/04/06", "SH 11/07/06" (Asservaten-Nr. 10 ZFA Stuttgart zum Schließfach Nr. 699), beim Zollfahndungsamt Stuttgart verwahrt; - einem Aluminiumwinkel mit schwarzer Kunststoffeinlage, Bohrungen und der Aufschrift "568-490-066+GF+" (Asservaten -Nr. 10.2 ZFA Stuttgart zum Schließfach Nr. 574), beim Zollfahndungsamt Stuttgart verwahrt; - einem Notebook der Marke "Toshiba Satellite" mit Maus und Netzteil (Asservaten-Nr. 1.2.4.4.1 BKA), beim Bundeskriminalamt verwahrt; - einem Mobiltelefon der Marke "Nokia 6260" mit Ladegerät (Asservaten-Nr. 1.2.3.3.1.2 und 1.2.4.4.1.3 BKA), beim Bundeskriminalamt verwahrt; und - 15 Blatt technischer Zeichnungen der B. GmbH (Asservaten -Nr. 2 ZFA Stuttgart zum Schließfach Nr. 574, Vermerk des Zollfahndungsamts Stuttgart vom 13. November 2007, Fallakte 020-2000 Bd. 1, S. 10.1), beim Zollfahndungsamt Stuttgart verwahrt; angeordnet. 3. Die weitergehenden Rechtsmittel werden verworfen. 4. Die Kosten der zurückgenommenen Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. März 2009, soweit mit diesem der gegen den Angeklagten bestehende Haftbefehl und der zugehörige Verschonungsbeschluss aufgehoben worden sind, und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

1
Der Generalbundesanwalt hat dem Angeklagten mit der zum Oberlandesgericht München erhobenen Anklage vorgeworfen, für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt und tateinheitlich dazu 29 Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz begangen zu haben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 19. März 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Generalbundesanwalt mit seiner sofortigen Beschwerde.
2
Das Oberlandesgericht hat daneben die folgenden, jeweils vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs getroffenen Entscheidungen aufgehoben: den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl vom 25. Oktober 2006 (1 BGs 151/2006) sowie den zugehörigen Verschonungsbeschluss vom 22. Februar 2007 (1 BGs 49/2007), zwei Arrestbeschlüsse vom 19. Oktober 2006 (1 BGs 142/2006) und vom 13. Dezember 2006 (1 BGs 151/2006) in das Vermögen des Angeschuldigten und der H. Limited, sowie die mit drei Beschlüssen vom 29. November 2006 (1 BGs 192/2006), vom 7. Dezember 2006 (1 BGs 198/2006) und vom 21. Mai 2007 (1 BGs 226/2007) angeordneten Beschlagnahmen. Einen weitergehenden , in der Anklageschrift enthaltenen Beschlagnahmeantrag hat es zurückgewiesen.
3
Dagegen hat der Generalbundesanwalt zunächst insgesamt Beschwerde eingelegt, die er hinsichtlich der Haftentscheidungen indes wieder zurückgenommen hat. Im Übrigen beanstandet er weiterhin den angefochtenen Beschluss und beantragt,
4
a) diesen aufzuheben;
5
b) seine Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München zur Hauptverhandlung zuzulassen.
6
Die Rechtsmittel haben weitgehend Erfolg.

A.

7
I. Mit der Anklageschrift sind dem in K. wohnhaften Angeklagten folgende Straftaten zur Last gelegt worden:
8
1. Bereits Ende der 1980er Jahre nahm er über das in Düsseldorf ansässige Kontaktbüro der iranischen Defense Industry Organisation (DIO) zu dieser geschäftliche Beziehungen auf. Die DIO stellt die wichtigste staatliche Organisation des Iran auf dem Gebiet der konventionellen Rüstung dar, die im Tatzeitraum und auch in den Jahren davor ständig vor der Notwendigkeit stand, die ihr angeschlossenen fertigenden Betriebe mit Rohstoffen, Geräten, Ersatzteilen und Informationen für die Produktion von Rüstungsgütern zu versorgen, die im Iran nicht verfügbar waren und deshalb aus dem Ausland beschafft werden mussten. Um die Exportkontrollen in den Ländern, aus denen die Waren stammen , zu umgehen, bedienen sich die DIO und ihre Untergliederungen einer auf Heimlichkeit und Verschleierung abzielenden Beschaffungsmethodik. So werden u. a. eigens angefertigte Prospekte erstellt und verteilt sowie unrichtige Endverbleibserklärungen gefertigt, um die Lieferanten und die für sie zuständigen Exportkontrollbehörden von einer zivilen Endverwendung der Waren bei den angegebenen Empfängern zu überzeugen. Für die zur DIO gehörenden Betriebe wird zudem ein komplexes Codenummernsystem verwendet, das Außenstehenden den Einblick in die Beschaffungszusammenhänge verwehrt. Zur Verschleierung des wahren Endempfängers werden von der DIO und ihren Untergliederungen schließlich nach Belieben Tarnfirmen eingesetzt, um Maßnahmen der Exportkontrolle gegen bekannte Beschaffungseinrichtungen zu unterlaufen. Scheitern unmittelbare Einfuhrbemühungen der DIO gleichwohl - etwa an einer funktionierenden betrieblichen oder staatlichen Exportkontrolle - beauftragt sie in Deutschland ansässige Kaufleute iranischer Herkunft - wie den Angeklagten - mit der Beschaffung, um nach außen nicht in Erscheinung zu treten.
9
Zunächst wickelte der Angeklagte die Aufträge der DIO über die von ihm geleitete E. GmbH mit Sitz in D. ab; die Zusammenarbeit erwies sich als so lukrativ, dass er sich entschied, seine Geschäftstätigkeit ausschließlich auf Beschaffungsaufträge iranischer Stellen zu verlegen. Nachdem Ende 1992 eine ungenehmigte Ausfuhr der E. GmbH an ein zur DIO gehörendes Unternehmen von den deutschen Exportkontrollbehörden beanstandet worden war, beschloss der Angeklagte, künftige Geschäfte mit dem Iran vor dem Zoll und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geheim zu halten. Zu diesem Zweck übernahm er im Jahr 1993 als Nachfolgerin für die E. GmbH die nach dem Recht der Britischen Jungferninseln eingetragene Ba. (Ba. Inc.), für die er in der Schweiz zunächst eine Postfachadresse und ab 1997 bei einem Büroserviceunternehmen in Z. auch eine "Domiziladresse" einrichtete. Dort eingehende Anrufe und Telefaxe wurden zu seinem Wohnhaus nach K. weitergeleitet, Postsendungen an ein Postfach in K. geschickt, das nicht auf den Namen des Angeklagten angemeldet war, auf das er aber Zugriff hatte. Mit dem von ihm im Jahr 1998 übernommenen, nach liberianischem Recht gegründeten Handelsunternehmen H. Limited (H. Ltd.), das im Laufe der Zeit an die Stelle der Ba. Inc. trat, verfuhr er in gleicher Weise. Im Geschäftsverkehr mit seinen Lieferanten erweckte er so den Eindruck, Käufer der Waren sei ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen, obwohl er dort tatsächlich keinen Geschäftssitz unterhielt, vielmehr sämtliche Geschäfte allein von seinem Wohnhaus in K. aus betrieb. Die Gesellschaften waren nicht im Handelsregister des Kantons Z. eingetragen, bei den Schweizer Steuerbehörden unbekannt und traten auch gegenüber den Schweizer Exportkontrollbehörden nicht in Erscheinung.
10
Als Inhaber einer angeblichen schweizer Handelsfirma und damit als vermeintlich unkritischer Endempfänger konnte der Angeklagte auch Beschaffungsaufträge umsetzen, an denen seine Auftraggeber oder seine zunächst eingeschalteten Konkurrenten zuvor gescheitert waren. Gegenüber seinen Lieferanten trat er nicht unter seinem wahren Namen auf und verschwieg seine iranische Herkunft; vielmehr nannte er sich "S. " und gerierte sich als schweizerischer oder britischer Staatsangehöriger. Obwohl er wusste, dass sämtliche ausgeführten Gegenstände und Stoffe im Iran zur Produktion von konventionellen Rüstungsgütern eingesetzt werden sollten, gab er gegenüber den Lieferanten andere - unkritische - Bestimmungsorte und Verwendungszwecke an. In der Mehrzahl der Fälle meldeten die Verkäufer bei den für sie jeweils zuständigen Ausfuhrzollstellen daraufhin die Ausfuhr der Güter in die Schweiz, in einigen Fällen auch in die Türkei an. Um indes eine Lieferung an die angebliche schweizer Adresse seiner Gesellschaften zu verhindern, ließ der Angeklagte die Waren entweder direkt der Spedition M. GmbH in Ka. anliefern oder beauftragte diese - bzw. im Fall 1 der Anklage die Spedition G. GmbH aus D. - mit der Abholung "ab Werk". In seinem Auftrag verbrachten die Speditionen die Waren sodann auf dem Landweg in den Iran. Dabei meldeten sie bei der zuständigen Ausgangszollstelle - im Fall der M. GmbH (Fälle 2-29 der Anklage) dem Zollamt Ha. - die Ausfuhr der Güter in den Iran an, ohne dass es zu Beanstandungen kam. Denn die Kontrollen insbesondere des Zollamts Ha. beschränkten sich auf eine Sichtprüfung von Unterlagen; eine Beschau der auszuführenden Güter wurde regelmäßig nicht durchgeführt, vor allem wenn - wie in über 80 % der Fälle - bei der Abfertigung eine schon von einem anderen Zollamt vorabgefertigte Ausfuhranmeldung vorgelegt wurde. Soweit in diesen Fällen Anmeldungen mit angeblicher Endbestimmung Schweiz vorgelegt wurden, obwohl die Güter in den Iran ausgeführt werden sollten, fiel den Zollbeamten dieser Umstand entweder nicht auf oder gab ihnen keinen Anlass zum Einschreiten. In einigen Fällen unterstützte der Disponent der Spedition M. GmbH, der anderweitig verfolgte W. , den Angeklagten bei der Ausfuhr der Waren oder deckte gegenüber den Lieferanten die Ausfuhr in den Iran nachträglich durch die Erstellung inhaltlich unrichtiger Ausfuhrnachweise ab, wonach die Waren von der Spedition in die Schweiz und nicht in den Iran geliefert worden seien.
11
Dem Angeklagten war in den Fällen 1-18 und 20-29 der Anklage bekannt , dass die Güter für eine militärische Endverwendung im Iran bestimmt waren und er deshalb vor der Ausfuhr das BAFA zu unterrichten und dessen Entscheidung abzuwarten hatte. Gleichwohl führte er unter bewusster Verletzung dieser Pflicht in den Jahren 2002 bis 2006 Waren aus der Bundesrepublik Deutschland in den Iran aus, die zwar weder in der nationalen Ausfuhrliste (Anhang I zu § 5 AWV) noch in der sog. Dual-Use-Liste (Anhang I zur VO (EG) Nr. 1334/2000 ABl. 159 S. 1, 9 ff.) aufgeführt waren, in den der DIO zugehörigen Produktionsbetrieben aber gleichwohl zur Produktion von konventionellen Rüstungsgütern verwendet wurden. Dabei handelte es sich um Rohstoffe (Fälle 1 und 21 der Anklage), spezielle Werkzeuge zur Metallbearbeitung (Fälle 3 und 17b der Anklage), Geräte zur zerstörungsfreien Materialprüfung (Fall 27 der Anklage), Zubehör für chemische Anlagen (Fall 6 der Anklage), mechanische und elektronische Maschinenteile (Fälle 7, 13c, 18, 20, 22, 24, 26, 28 und 29 der Anklage) sowie um Ersatzteile für bereits in den 1980er und 1990er Jahren in den Betrieben angeschaffte Maschinen, die dort benötigt wurden, um die Produktion aufrecht zu erhalten (Fälle 2, 4-5, 8-13b, 14-17a, 23 und 25 der Anklage ). Im Fall 29 blieb es beim Versuch der Ausfuhr, weil die Lastzüge mit den bereits beim Zollamt Ha. abgefertigten Bandvorschubgeräten von Zollbeamten kurz vor dem Überqueren der Grenze angehalten wurden.
12
Im Fall 19 der Anklage führte der Angeklagte sechs Schlangenwärmetauscher in den Iran aus, die als Kühler und Kondensatoren bei der Herstellung von Spreng- und Kunststoffen verwendet werden und die in Position 2 B 350 Buchst. d) Nr. 3 in Anhang I zur VO (EG) Nr. 1334/2000 aufgeführt sind. Ihre Ausfuhr in Länder außerhalb der Europäischen Union ist deshalb nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1334/2000 genehmigungspflichtig, worauf der Angeklagte von seinem Lieferanten mehrfach hingewiesen worden war. Gleichwohl beantragte er eine entsprechende Genehmigung nicht.
13
In allen Fällen hätte das BAFA für die Ausfuhren keine Genehmigung erteilt , wenn es entsprechend informiert bzw. eine solche beantragt worden wäre.
14
2. In der Anklageschrift des Generalbundesanwalts sind diese Sachverhalte rechtlich wie folgt gewürdigt:
15
a) In den Fällen 1-18 und 20-29 der Anklage habe der Angeklagte jeweils gewerbsmäßig handelnd Güter, die nicht in der Ausfuhrliste genannt sind und deren Käufer- oder Bestimmungsland ein Land der Länderliste K war, in Kenntnis von deren militärischer Endverwendung ohne Unterrichtung der zuständigen Behörden und ohne Genehmigung ausgeführt, wobei jede Ausfuhr geeignet gewesen sei, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33 Abs. 1 AWG, § 70 Abs. 1 Nr. 3, § 5 c Abs. 2 Satz 2 AWV). Im Fall 29 sei es lediglich beim Versuch einer solchen Tat geblieben (§§ 22, 23 Abs. 1 StGB).
16
Im Fall 19 der Anklage habe der Angeklagte gewerbsmäßig handelnd ohne Genehmigung in Teil I Abschnitt C Kategorie 2 Nr. 2 B 350 Buchst. d) Nr. 3 der Ausfuhrliste (Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung) genannte Waren mit doppeltem Verwendungszweck, die in Anhang I der EG-Verordnung Nr. 1334/2000 des Rates über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologie mit doppeltem Verwendungszweck vom 22. Juni 2000 aufgeführt sind, ohne Genehmigung ausgeführt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 AWG i. V. m. Teil I Abschnitt C Kategorie 2 Nr. 2 B 350 der Ausfuhrliste, Art. 3 Abs. 1 und Anhang I zur Verordnung (EG) Nr. 1334/2000).
17
b) Mit diesen Beschaffungsaktivitäten habe der Angeklagte für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit ausgeübt, die gegen die Bundesrepublik Deutschland und auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei und sich so einer geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB hinreichend verdächtig gemacht.
18
c) Die im Sinne des § 53 Abs. 1 StGB tatmehrheitlich begangenen Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz stünden zu dem Vergehen der geheimdienstlichen Agententätigkeit jeweils in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB).
19
II. In seinem die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluss vom 19. März 2009 hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt:
20
1. Eine Verurteilung des Angeklagten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei aus tatsächlichen Gründen nicht hinreichend wahrscheinlich.
21
Es sei nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens nicht erkennbar , dass der iranische Geheimdienst VEVAK konkret in die Beschaffungsbemühungen des Angeklagten für die DIO eingebunden gewesen sei. Ausgehend von der Annahme der Anklageschrift, die DIO ihrerseits sei ein Geheimdienst der Islamischen Republik Iran, ergebe sich gleichwohl eine geheimdienstliche Agententätigkeit nicht, weil die Lieferung der - ganz überwiegend - nicht gelisteten Dual-Use-Güter nicht dem Erkenntnisgewinn der staatlichen iranischen Stellen gedient, sondern lediglich ein Nutzungsinteresse der belieferten Produktionsfirmen befriedigt habe. Eine Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Angeklagten belege weiter nicht seine - auch nur funktionelle - Eingliederung in einen fremden Geheimdienst. Insbesondere sein konspiratives Verhalten lasse sich aus anderen nahe liegenden Gründen erklären, namentlich der beabsichtigten Umgehung der Exportkontrolle. Die Tätigkeit des Angeklagten sei zudem nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet gewesen, weil es angesichts der ausgeführten Güter an der erforderlichen Intensität der Gefährdung deutscher Belange gefehlt habe. Zum Vorsatz des Angeklagten verhalte sich der Anklagesatz nicht.
22
2. Im Hinblick auf die angeklagten Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz scheide ein hinreichender Tatverdacht aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen aus.
23
a) In den Fällen 1-18 und 20-29 sei nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die exportierten Güter im Iran für eine militärische Endverwendung bestimmt gewesen seien. Da sich mehrere Hinweise ergeben hätten, dass die iranischen Empfängerfirmen auch über eine zivile Produktpalette verfügten, habe es in jedem Fall eines besonderen Nachweises bedurft, dass die ausgeführten Waren gerade nicht im zivilen Bereich eingesetzt werden sollten.
24
Auch die positive Kenntnis des Angeklagten von der militärischen Endverwendung der Güter sei ihm nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen , insbesondere lasse sein konspiratives Vorgehen - entgegen der Anklageschrift - nicht den alleinigen Schluss auf diese Kenntnis zu. Es ergäben sich nach dem Ermittlungsergebnis vielmehr auch andere Motive für die Verschleierung seiner Geschäftstätigkeit, namentlich sein Bemühen, etwaigen Schwierigkeiten beim Export vorzubeugen, mögliche politische Vorbehalte der Lieferanten gegenüber dem Iran, sein Interesse, nicht von seinen Kunden als Zwischenhändler umgangen zu werden oder sein Wunsch, auf diese Weise "Steuern zu sparen".
25
Lägen damit bereits die Voraussetzungen des § 5 c Abs. 2 AWV nicht vor, sei auch das für die strafrechtliche Ahndung erforderliche Tatbestandsmerkmal der Eignung der Tat, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG), in der Anklageschrift nicht ausreichend dargelegt. Eine solche Gefährdungseignung sei vor dem Hintergrund, dass die in diesen Fällen ausgeführten Güter aus jedem anderen Land der Europäischen Union genehmigungsfrei hätten ausgeführt werden dürfen, auch im Licht der eingeholten Stellungnahmen und "Behördengutachten" des Auswärtigen Amtes und des BAFA nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar.
26
b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen der Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz sei in allen angeklagten Fällen zudem aus rechtlichen Gründen nicht hinreichend wahrscheinlich. Denn die Vorschriften des § 5 c Abs. 2 AWV, § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 AWG seien mit vorrangigem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar und damit unanwendbar.
27
aa) Die Europäische Gemeinschaft habe auf dem Gebiet der gemäß Art. 133 EGV (jetzt: Art. 207 AEUV) in ihrer Zuständigkeit liegenden gemeinsamen Handelspolitik für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck mit der VO (EG) Nr. 1334/2000 (Dual-Use-Verordnung, jetzt: VO (EG) Nr. 428/2009 vom 5. Mai 2009 ABl. 134 S. 1) ein gemeinsames Kontrollsystem und ein harmonisiertes Konzept geschaffen. Nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1334/2000 dürfe ein Mitgliedsstaat zwar auch die Ausfuhr von nicht in Anhang I der Verordnung aufgelisteten Dual-Use-Gütern aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus Menschenrechtserwägungen untersagen oder einer Genehmigungspflicht unterstellen; wenn der nationale Gesetzgeber allerdings von dieser Öffnungsklausel Gebrauch machen wolle, müsse er die Grundsätze der gemeinsamen Handelspolitik und der Ausfuhrfreiheit mit seinen nationalen Sonderinteressen abwägen und die dieser Abwägung zugrunde liegenden Gesichtspunkte darlegen. Diesem europarechtlichen Begründungszwang sei die Bundesregierung bei der Schaffung bzw. Beibehaltung von § 5 c Abs. 2 AWV nicht nachgekommen; es könne auch nicht der Verwaltung oder den Gerichten überlassen werden, eine solche Begründung zu finden. Aus diesem Grund sei die nationale Sonderregelung des § 5 c Ab s. 2 AWV gemeinschaftsrechtswidrig und entfalte keine Rechtswirkungen.
28
Die Vorschrift genüge zudem nicht dem Grundsatz der gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeit, weil sie wegen der Möglichkeit von Ersatzlieferungen aus anderen europäischen Staaten - gemeinschaftsrechtlich betrachtet - nicht geeignet sei, ihr Ziel einer restriktiven Exportkontrolle zu erreichen.
29
Schließlich verstoße § 5 c Abs. 2 AWV i. V. m. §§ 3, 7 AWG auch gegen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Bestimmtheit, der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit, weil die gesetzliche Regelung keine hinreichend genauen Kriterien nenne, unter welchen Voraussetzungen eine Genehmigung erteilt oder versagt werde. Insbesondere die in § 7 Abs. 1 AWG genannten Zwecke, um derentwillen die Ausfuhrfreiheit beschränkt werden könne, seien zu unbestimmt. Es könne nicht den Gerichten überlassen werden, die Voraussetzungen einer Genehmigung zu konkretisieren; diese müssten sich objektiv und präzise aus dem Gesetz ergeben, um eine gerichtliche Kontrolle der Verwaltung erst zu ermöglichen.
30
bb) Auch § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG erweise sich als gemeinschaftsrechtswidrig , weil der Gesetzgeber die Erforderlichkeit, die Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt auszugestalten, nicht dargelegt habe. Im Hinblick auf die fortschreitende Harmonisierung der Exportkontrolle hätte dies einer besonderen Begründung bedurft. Die unterlassene Begründung könne nicht durch die natio- nalen Gerichte nachgeholt werden. Die Sanktion des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG erweise sich damit als unverhältnismäßig und verstoße gegen die Grundsätze der gemeinsamen Handelspolitik.
31
cc) Die auf die nationale Ausfuhrliste Bezug nehmende Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG widerspreche dem Anwendungsvorrang des Europarechts, soweit in der Ausfuhrliste in Teil I Abschnitt C die Gemeinsame Liste der Europäischen Union für Güter mit doppeltem Verwendungszweck wiederholt werde. Diese Liste sei integraler Bestandteil der VO (EG) Nr. 1334/2000. Durch ihre Wiederholung im nationalen Recht werde die unmittelbare Geltung der Gemeinschaftsregelung aufs Spiel gesetzt; denn die europarechtliche Grundlage werde nicht sichtbar, der Normadressat könne den gemeinschaftsrechtlichen Charakter der Liste nicht eindeutig erkennen.

B.

32
Die gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. Nr. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie - mit der Maßgabe, dass der Tatvorwurf der geheimdienstlichen Agententätigkeit entfällt - zur Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung vor der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II. Hierzu gilt:
33
Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens , wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgülti- gen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGHR StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2 m. w. N.).
34
Der Bundesgerichtshof beschließt als Beschwerdegericht in der Sache selbst über die Eröffnung (Schneider in KK 6. Aufl. § 210 Rdn. 11). Dabei hat er das in dem Nichteröffnungsbeschluss liegende (negative) Wahrscheinlichkeitsurteil eines Oberlandesgerichts und dessen rechtliche Bewertung in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbstständig zu würdigen (BGHSt 53, 238, 243).
35
I. Soweit das Oberlandesgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des Anklagevorwurfs der geheimdienstlichen Agententätigkeit abgelehnt hat, verfolgt der Generalbundesanwalt seine sofortige Beschwerde nicht weiter; dies enthebt den Senat einer diesbezüglichen Entscheidung jedoch nicht. Denn nach der Anklageschrift stellten die Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz gleichzeitig Ausführungshandlungen der geheimdienstlichen Agententätigkeit dar, so dass jeweils Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vorläge. In diesen Fällen kommt eine Rechtsmittelbeschränkung in Bezug auf nur eine der vermeintlich tateinheitlichen Gesetzesverletzungen nicht in Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09 - Rdn. 15 m. w. N.).
36
Nach den oben genannten Maßstäben hat das Oberlandesgericht insoweit allerdings zu Recht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts verneint.
37
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Ausübens einer geheimdienstlichen Tätigkeit" fest, nach der außerhalb des Kernbereichs der klassischen Agententätigkeit in wertender, am Normzweck ausgerichteter Betrachtung entschieden werden muss, ob das Geschehen unter den Tatbestand des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu subsumieren ist (BGH NStZ 2007, 93, 94 m. w. N.; NStZ-RR 2006, 303, 304). Dabei ist in Fällen der Lieferung von Gegenständen - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - auch in den Blick zu nehmen, ob diese maßgeblich der Gewinnung von Informationen dienen sollte oder ob ein konspiratives Vorgehen und eine Verbindung des Täters zu einem fremden Geheimdienst bereits darin begründet ist, dass die Lieferung aus anderen Gründen als der Informationsvermittlung verboten war und deshalb getarnt werden musste (BGH aaO).
38
So verhält es sich hier. Bei den gelieferten Gegenständen handelte es sich ausnahmslos um sog. Dual-Use-Güter, deren Export aus Staaten der Europäischen Union - mit Ausnahme der Schlangenwärmetauscher im Fall 19 der Anklage - jedenfalls außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht kontrolliert wird. Auch bei der Ausfuhr aus Deutschland kann eine Genehmigungspflicht nur entstehen, wenn die Waren für eine militärische Endverwendung bestimmt sind oder bestimmt sein können und das Empfängerland in der Länderliste K aufgeführt ist (§ 5 c AWV). Eine Lieferung in den Iran aus einem anderen Staat der Europäischen Union oder aus Deutschland zu zivilen Zwecken unterlag damit keinerlei Beschränkungen. Daran - sowie an den insbesondere in den Fällen 1, 3, 6, 8c, 21, 22 und 29 der Anklage gelieferten hohen Stückzahlen bzw. großen Mengen - wird erkennbar, dass die Lieferung der Waren nicht auf eine heimliche Vermittlung des darin verkörperten Informationswerts gerichtet war, sondern allein die Beschaffung der Gegenstände zur Aufrechterhaltung der Produktionsabläufe bei den Empfängerfirmen im Vordergrund stand.
39
Soweit der Generalbundesanwalt in der Anklageschrift zur Begründung einer nachrichtendienstlich relevanten Informationsvermittlung bei einem Teil der Beschaffungsvorgänge darauf abstellt, dass vorab Warenmuster geliefert, Ersatzteile anhand zur Verfügung gestellter Zeichnungen oder Altteile nachge- baut oder dass im Zuge der Warenlieferung auch Betriebsanleitungen, Datenblätter oder Wartungsunterlagen zur Verfügung gestellt wurden, führen diese Umstände nicht zu einer abweichenden Würdigung. Nach den Ermittlungsergebnissen war ein Großteil der bei den Empfängern vorhandenen Maschinen bereits so alt, dass Originalteile dafür nicht mehr hergestellt wurden; eine Abklärung der Kompatibilität war deshalb für die Nutzbarkeit der zu liefernden Güter von entscheidender Bedeutung und belegt darüber hinausgehende Ausforschungsbemühungen nicht hinreichend. Die Zurverfügungstellung von Betriebsanleitungen etc. durch den Hersteller entspricht bei technischen Geräten im Übrigen der Üblichkeit und vermag für sich betrachtet angesichts der weiteren Umstände - es handelte sich auch insoweit überwiegend um Ersatzteile für bereits vorhandene, ältere Maschinen - ein im Vordergrund stehendes Informationsinteresse nicht zu belegen.
40
Nach alledem ist die Beurteilung des Oberlandesgerichts, der Angeklagte habe sich der Ausübung einer geheimdienstlichen Agententätigkeit im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht hinreichend verdächtig gemacht, nicht zu beanstanden.
41
II. Im Umfang des verbleibenden Anklagevorwurfs liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens hingegen vor.
42
1. Im Fall 19 liegt - was das Oberlandesgericht nicht in Abrede gestellt hat - in tatsächlicher Hinsicht der hinreichende Tatverdacht vor, dass der Angeklagte sich wegen der Ausfuhr der sowohl von der Dual-Use-Liste der Europäischen Union als auch der nationalen Ausfuhrliste erfassten Schlangenwärmetauscher , auf die § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG für diese Position verweist, nach dieser Vorschrift strafbar gemacht hat.
43
2. Soweit das Oberlandesgericht die Zulassung der Anklage aus tatsächlichen Gründen abgelehnt hat, hat es an den dafür erforderlichen Tatverdacht überspannte Anforderungen gestellt und das Ergebnis der Ermittlungen unzutreffend gewürdigt bzw. nur unvollständig ausgewertet.
44
Die nach den oben genannten Grundsätzen dem Senat obliegende Würdigung der Voraussetzungen der Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt, dass der Angeklagte in den Fällen 1-18 und 20-29 der Anklage hinreichend verdächtig ist, jeweils gewerbsmäßig handelnd Güter, die nicht in der Ausfuhrliste (Anlage AL zu § 5 AWV) genannt sind und deren Käufer- oder Bestimmungsland ein Land der Länderliste K war, in Kenntnis von deren militärischer Endverwendung ohne Unterrichtung der zuständigen Behörden und ohne Genehmigung ausgeführt zu haben, wobei jede Ausfuhr geeignet war, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33 Abs. 1 AWG, § 70 Abs. 1 Nr. 3, § 5 c Abs. 2 Satz 2 AWV). Im Fall 29 blieb es lediglich beim Versuch einer solchen Tat (§§ 22, 23 Abs. 1 StGB).
45
a) Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass die von dem Angeklagten ausgeführten Güter im Iran für eine militärische Endverwendung bestimmt waren. Dies ergibt sich aus der Beschaffenheit der gelieferten Waren, insbesondere aber dem Kreis der Empfänger und deren bekannter Produktpalette sowie einer Gesamtwürdigung der weiteren Tatumstände. Im Einzelnen:
46
aa) Gemäß § 5 c Abs. 1 Satz 2 AWV gilt als militärische Endverwendung der Einbau in Rüstungsgüter, die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannt sind (Nr. 1), die Verwendung von Herstellungs-, Test- oder Analyseausrüstung und deren Bestandteilen für die Entwicklung, die Herstellung oder die Wartung solcher militärischen Güter (Nr. 2) sowie die Verwendung von unfertigen Er- zeugnissen in einer Anlage zur Herstellung von Rüstungsmaterial (Nr. 3). Im Hinblick auf die Beschaffenheit der durch den Angeklagten ausgeführten Gegenstände sind vorliegend nur die beiden letzten Varianten der Vorschrift in den Blick zu nehmen:
47
Waren und deren Bestandteile, die im Sinne von § 5 c Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AWV als Herstellungs-, Test- oder Analyseausrüstung verwendet werden, müssen einen funktionalen Beitrag für die Entwicklung, Herstellung oder Wartung von militärischen Gütern leisten. Eine Verwendung zu Analysezwecken kommt hier für das im Fall 27 der Anklage gelieferte EndoskopieKomplettsystem in Betracht, bei dem es sich nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens um ein Inspektionsgerät für die zerstörungsfreie Materialprüfung handelt, das im gesamten industriellen Spektrum eingesetzt werden kann, aber auch von Streitkräften für Wartungs- und Prüfaufgaben genutzt wird. Eine Verwendung der Waren zum Zweck der Herstellung von militärischen Gütern steht hingegen bei den gelieferten Ersatzteilen für Werkzeug-, Dreh- und Fräsmaschinen sowie einen Vakuumofen zur Härtung von Werkstücken in Rede, die die Bestellerfirmen im Iran bereits in den 1980er und 1990er Jahren angeschafft hatten (Fälle 2, 4-5, 8-10, 12-13b, 14-17a, 23 und 25 der Anklage), sowie bei der Lieferung anderer Werkzeuge und Maschinenteile (Fälle 3, 6-7, 11, 13c, 17b-18, 20, 22, 24, 26, 28 und 29 der Anklage).
48
Unter den Begriff der Verwendung unfertiger Erzeugnisse in einer Anlage zur Herstellung von Rüstungsgütern im Sinne des § 5 c Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AWV werden alle Waren gefasst, die in das Endprodukt eines militärischen Gutes eingehen. Der Begriff der "Anlage" ist weit zu verstehen und erfasst Stätten, in denen unter Zuhilfenahme von Maschinen und sonstigen Einrichtungs- und Ausrüstungsgegenständen Rüstungsgüter produziert werden. Die Lieferung solcher unfertigen Erzeugnisse kommt hinsichtlich der 20 Tonnen Salpetersalz, das bei der Warmbadhärtung von Stahl eingesetzt wird (Fall 1 der Anklage), und der 12 Tonnen der Chemikalie Bonder 98, mit der ein Korrosionsschutz sowie ein Schmierfilm für stark beanspruchte Maschinen- aber auch Waffenteile hergestellt werden kann (Fall 21 der Anklage), in Betracht.
49
Nach einer im Ermittlungsverfahren eingeholten Stellungnahme des BAFA waren alle von dem Angeklagten gelieferten Gegenstände in technischer Hinsicht objektiv geeignet, bei der Entwicklung und Herstellung von Rüstungsgütern im Sinne von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste verwendet zu werden. Insoweit hat das Oberlandesgericht ausgeführt, die objektive Eignung der Waren , zu einer militärischen Endverwendung eingesetzt zu werden, genüge bei den durchweg auch zivil zu nutzenden Gütern nicht als hinreichender Nachweis für ihre Bestimmung zur militärischen Endverwendung. Jedoch steht die Beschaffenheit der Güter einer militärischen Endverwendung auch nicht entgegen. Eine dahingehende Schlussfolgerung ist möglich.
50
bb) Die entscheidenden Verdachtsmomente dafür, dass die von dem Angeklagten gelieferten Waren im Iran zur Produktion von Rüstungsgütern bestimmt waren, ergeben sich aus den in die staatliche iranische Rüstungsorganisation DIO eingegliederten Empfängern selbst, insbesondere im Hinblick auf die von ihnen hergestellten Produkte.
51
Der DIO als einer dem iranischen Verteidigungsministerium angeschlossenen und von diesem kontrollierten Gesellschaft unterstehen nach ihrem eigenen , auch vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Internetauftritt sechs Unternehmenszweige, von denen im vorliegenden Verfahren die "Armament Industries Group" (AIG), die "Ammunition and Metallurgy Industries Group" (AMIG) und die "Chemical Industries & Development of Material Group" (CIDMG) ihrerseits als Muttergesellschaften von Empfängerfirmen eine Rolle spielen.
52
(1) Die AIG stellt nach der von ihr unterhaltenen Internetseite ausschließlich Schusswaffen in drei Kategorien her: große, mittlere und kleine Kaliber. Zu den großen Kalibern zählen insbesondere Kanonen, Haubitzen und Raketenwerfer , zu den mittleren Mörser, Panzerabwehrkanonen und kleinere Raketenwerfer und zu den kleinen diverse Maschinengewehre, Sturmgewehre und Maschinenpistolen. Allein bei den kleinkalibrigen Waffen finden sich mit drei Jagdgewehren , einem Luftgewehr und Signalpistolen sowie einer 9mm-Pistole Produkte , die auch zu zivilen Zwecken einsetzbar sind.
53
In allen den Unternehmenszweig der AIG betreffenden und damit in 16 der 29 dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle (Fälle 2-5, 8-10, 12-14, 16-17, 23 und 25-27 der Anklage), war Empfängerin der Waren (namentlich Ersatzteile für Maschinen und Werkzeuge zur Metallbearbeitung) die J.S. Industries. Diese der AIG unterstehende Produktionsstätte ist nach dem Ermittlungsergebnis auch unter mehreren anderen Bezeichnungen bekannt, insbesondere unter dem aus der Sprache Farsi stammenden Namen "Sanaye Jangafzarsazi", was übersetzt "Kriegswerkzeugindustrie" bedeutet, sowie als "J.S. Co." und als "Weapons Factory". Es handelt sich um ein Rüstungswerk, in dem leichte Raketenwerfer und Mörser, Panzerfäuste sowie militärische und zivile Schusswaffen hergestellt werden. Angesichts dieser Umstände ist gegen die in einem Sachstandsvermerk des Zollfahndungsamts Stuttgart verwendete Bezeichnung der J.S. Industries als Waffenfabrik - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nichts zu erinnern.
54
Für eine Verwendung der Waren bei der J.S. Industries zu Zwecken der Produktion von Rüstungsgütern sprechen weitere, vom Oberlandesgericht nicht erwähnte und nicht in seine Beurteilung einbezogene wesentliche Indizien. Aus einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters der I. GmbH, einer deutschen Firma, die an die J.S. Industries im Jahr 1991 einen Vakuumofen geliefert hatte, der der Härtung von Werkstücken aus Metall diente und für den der Angeklagte in den Fällen 4, 5, 8a, 8b, 9 und 10 Ersatzteile beschaffte, geht hervor, dass die J.S. Industries anlässlich seines Besuchs im Jahr 2005 in den Außenbereichen Teherans ein Firmengelände unterhielt, das durch Mauern, Stacheldraht und mit Gewehren bewaffnete uniformierte Wachen gesichert war, die nicht der iranischen Polizei angehörten. Ausländische Besucher mussten ihren Reisepass abgeben und einen Fragebogen ausfüllen. Derartige aufwändige Sicherungsmaßnahmen seien bei anderen Kunden der I. GmbH im Iran nicht üblich.
55
Ein anderer Mitarbeiter der I. GmbH, der mit der J.S. Industries im Rahmen von geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen im Juli 2002 Verhandlungen führte, verwies angesichts der Kritik der J.S. Industries an der angeblich schleppenden Auftragsbearbeitung, insbesondere der ausbleibenden Lieferung von Ersatzteilen, auf die "gesetzliche Lage". Im September 2002 bemühte sich die I. GmbH, eine Ersatzteillieferung über ihre indische Vertretung zu ermöglichen, die sie bat, für die Ersatzteilliste ihr eigenes Briefpapier zu verwenden, weil Lieferungen in den Iran an diesen speziellen Kunden einem "Embargo" unterlägen. In dem Besuchsbericht eines weiteren I. - Mitarbeiters aus dem November 2002 ist vermerkt, dass "bei vielen Firmen in der Waffenindustrie das Interesse an Vakuumöfen" bestehe. All dies deutet darauf hin, dass die I. GmbH bzw. deren Mitarbeiter davon ausgingen, dass bei der J.S. Industries Rüstungsgüter hergestellt wurden. Besonders deutlich wird dies an den Verweisen auf die "gesetzliche Lage" bzw. auf ein "Embargo", denn auch zur Zeit dieser Äußerungen unterlagen Ausfuhren der in Rede ste- henden Güter aus Deutschland nur in Fällen der dem Ausführer bekannten militärischen Endverwendung der Exportkontrolle.
56
Diese Umstände bleiben im Beschluss des Oberlandesgerichts ebenso unerwähnt wie die im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift auf mehr als neun Seiten aufgeführten weiteren Erkenntnisse zur J.S. Industries, die belegen, dass auch andere deutsche Hersteller bei Lieferungen an die J.S. Industries eine militärische Endverwendung zumindest nicht ausschließen konnten, sich erfolglos beim BAFA um Ausfuhrgenehmigungen bemühten , von Verantwortlichen der J.S. Industries unzutreffende, angeblich zivile Verwendungen belegende Endverbleibserklärungen erhielten und sich bereits Ende der 1990er Jahre weigerten, den Angeklagten mit Waren zu beliefern, weil diese für den Iran bestimmt seien und eine Ausfuhrgenehmigung vom BAFA verweigert worden sei.
57
Die vom Oberlandesgericht herangezogenen, den hinreichenden Tatverdacht nach seiner Ansicht ausschließenden Indizien erweisen sich demgegenüber als nicht tragfähig, vermögen jedenfalls die für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderliche hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht zu entkräften:
58
Soweit das Oberlandesgericht - teilweise unter Bezugnahme auf Frühwarnschreiben des BAFA und Erkenntnismitteilungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundeskriminalamtes (BKA) - auf eine zivile Produktpalette der AIG verweist, setzt es sich mit der zumindest waffenähnlichen Beschaffenheit der - laut der Internetseite einzigen - zivilen Produkte (Sportwaffen, Signalpistolen) nicht auseinander. Die in den genannten Unterlagen enthaltenen Hinweise sind zudem in aller Regel pauschaler Natur und enthalten keinerlei Angaben dazu, woraus die angebliche zivile Produktpalette der AIG bestehen soll. Allein aus einer Erkenntnismitteilung des BAFA ergeben sich Informationen des BND, dass von der AIG im zivilen Produktionsbereich Bewässerungsanlagen und Zubehörteile für den Fahrzeugbau hergestellt werden; diese beziehen sich indes erkennbar nicht auf das vorliegend belieferte, hoch gesicherte Rüstungswerk der J.S. Industries. Gleiches gilt für die pauschale Aussage des Zeugen Kh. , der bekundet hat, staatliche Firmen im Iran würden heute für Mülleimer, Staubsauger, Mobiltelefone, Autoersatzteile und weitere Gebrauchsgegenstände werben.
59
Das vom Oberlandesgericht herangezogene Interesse am Bezug von zivilen Produkten wie Sportwaffen und Munition, Handschellen mit Schlüsseln und Polizeihelmen steht dem Verdacht, die J.S. Industries betreibe eine Fabrik für Rüstungsgüter, nicht entgegen; im Gegenteil kann gerade der angestrebte Kauf von Sportwaffen auch dahingehend zu verstehen sein, dass das Unternehmen solche Produkte nicht selbst herstellt, sie vielmehr zur Vervollständigung seiner im Internet beworbenen Produktpalette zukaufen muss. Auch die anderen angefragten Gegenstände waren nicht im Produktionsprozess einsetzbar , belegen also gerade nicht, dass in dem Werk zivile Güter hergestellt wurden. Aus dem gleichen Grund stellt auch die Anfrage der J.S. Industries nach 1.000 Zielfernrohren, die auch für Jagdgewehre eingesetzt werden können, kein tragfähiges Indiz gegen eine militärische Endverwendung der von dem Angeklagten gelieferten Güter dar, zumal das Oberlandesgericht das insoweit ermittelte Geschehen verkürzt darstellt. Es gibt zwar das Ermittlungsergebnis insoweit zutreffend wieder, als die Zieloptik für den Einsatz durch Scharfschützen des Militärs vorgesehen ist, lässt jedoch unerwähnt, dass angesichts der hohen Auflösung des Zielfernrohrs (für Entfernungen bis 2.000 yards ≈ 1.829 m) und des Stückpreises von über 4.000 US$ die Ausrüstung der von der J.S. Industries angebotenen Jagdgewehre mit einer wesentlich geringeren Reichweite (700 m) nicht nur wirtschaftlich wenig sinnvoll erscheint.
60
Soweit das Oberlandesgericht schließlich wegen der - im Ergebnis nur pauschalen und teilweise nicht tragfähigen - Hinweise auf eine zivile Produktpalette der belieferten Firmen in jedem Einzelfall bereits für die Frage des hinreichenden Tatverdachts einen besonderen Nachweis dafür verlangt, dass die von dem Angeklagten gelieferten Waren nicht für eine zivile Verwendung bestimmt waren, hat es in der Sache einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab angelegt. Der hinreichende Tatverdacht setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung voraus; der erst am Ende der Hauptverhandlung stehende Nachweis der Tat bzw. die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung ist für die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht erforderlich (BGHSt 53, 238, 243 m. w. N.). Auch in Fällen, in denen zunächst gewisse - nicht unüberwindbar erscheinende - Zweifel verbleiben, kommt die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens regelmäßig nicht in Betracht, weil zur Klärung eben dieser Zweifel die überlegenen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung heranzuziehen sind; die nicht aufgrund öffentlicher Verhandlung ergehende und nicht auf einer unmittelbaren Beweisgewinnung beruhende Eröffnungsentscheidung soll erkennbar aussichtslose Fälle herausfiltern, ansonsten aber der Hauptverhandlung nicht vorgreifen (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 203 Rdn. 13 m. w. N.).
61
(2) Die Internetseite der AMIG wirbt unter der Überschrift "Ammunition Industries Group" damit, ein führender Hersteller für konventionelle Munition zu sein. Die Produktpalette umfasst dementsprechend Artilleriemunition, Luftabwehrmunition und Minen sowie zugehörige Zünder, bei der kleinkalibrigen Munition aber auch Sport- und Jagdmunition sowie Munition für "Polizeiwaffen", also vorrangig Pistolen und Maschinenpistolen. Daneben werden als zivil nutzbare Produkte noch Signalmunition, Patronen zum Leinen-Schießen und Patronen zum Absprengen von Felsbrocken oder industriellen Schlacken, Sprengstoffe und Zündvorrichtungen zu kommerziellen Zwecken sowie Werkzeuge (Walzwerkzeuge , Bohrer, Fräser, Gewindebohrer) angeboten.
62
Die von dem Angeklagten im Fall 1 der Anklage unter der Tarnbezeichnung Sanam Industrial Group belieferte "Sanaye Mohemat Sazi" ist auch als "Munitionsfabrik Teheran" bekannt. Anhaltspunkte dafür, dass dort zivile Produkte hergestellt würden, haben sich nach den Ermittlungen nicht ergeben.
63
Die weiteren von dem Angeklagten belieferten Firmen, die nach dem Ergebnis der Ermittlungen zum Unternehmenszweig der AMIG gehören (Sherkate Shirody, Sattari Co. Ltd. bzw. Shahid Sattari und Maham Industrial Group bzw. Maham Industrial Complex; Fälle 7, 11, 15, 20, 22, 24, 28 und 29 der Anklage), verwendeten Telefaxnummern, die der Munitionsfabrik Teheran zugeordnet waren , gaben das gleiche Postfach an und unterfielen der gleichen DIO-internen Codenummer 01. Angesichts dieser - erneut vom Oberlandesgericht unerwähnt gelassenen - Umstände liegt der vom Generalbundesanwalt in der Anklageschrift gezogene Schluss nicht fern, diese Gesellschaften - soweit es sich nicht ohnehin um Tarnfirmen handelt - unterstünden der Munitionsfabrik Teheran. Zumindest stehen sie zu ihr aber in einem engen Zusammenhang, der es hinreichend wahrscheinlich macht, dass die an sie gelieferten Güter zur Produktion konventioneller Munition verwendet wurden. Weitere vom Oberlandesgericht nicht berücksichtigte Hinweise auf eine militärisch ausgerichtete Produktion ergeben sich hinsichtlich der Maham Industrial Group zudem aus der Einschätzung des iranischen Repräsentanten der Firma Dr. (Fall 29 der Anklage), die Maham sei eine "wichtige staatliche Fabrik", die "fast die ganze Munition des Iran" baue, sowie aus einer Erkenntnismitteilung des BND, nach der der Maham Industrial Complex als Hersteller von Munition und Granaten bezeichnet wird; eine zivile Produktion sei nicht bekannt.
64
(3) Nach den die CIDMG betreffenden Informationen auf der Internetseite der DIO stellt die CIDMG militärische und zivile chemische Produkte und Materialien her. Als angebotene Produkte finden sich indes nur militärische zum Einsatz in Munition, Minen und Bomben sowie Sprengstoffe, die allenfalls auch einen zivilen Einsatzbereich haben können. Chemikalien, die nicht mit militärischen Waffen oder Sprengstoff in Zusammenhang stehen, werden nach diesen allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen nicht beworben.
65
Der CIDMG untersteht die von dem Angeklagten in den Fällen 6 und 18 der Anklageschrift belieferte Parchin Chemical Factory bzw. Parchin Chemical Industrial Group. Diese ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen an der Herstellung von Sprengstoffen und Treibladungspulvern (Feststofftreibstoffen für Raketen ) sowie der Entwicklung oder Herstellung chemischer Kampfstoffe beteiligt. Angesichts dessen ist auch insoweit eine militärische Endverwendung der von dem Angeklagten gelieferten Waren hinreichend wahrscheinlich. Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass die Parchin Chemical Factory im Iran-Embargo der Europäischen Gemeinschaft (Verordnung (EG) Nr. 423/2007 vom 19. April 2007, ABl. L 103 S. 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 219/2008 vom 11. März 2008, ABl. L 68 S. 5, Anhang IV A Nr. 23) als eine der Firmen gelistet ist, deren Vermögensgegenstände europaweit eingefroren werden müssen.
66
cc) Zu den sich aus den Empfängerfirmen und ihrer Produktpalette ergebenden Indizien treten weitere Umstände, die das Oberlandesgericht in seine Würdigung nicht einbezogen hat und die ebenfalls auf eine militärische Endverwendung der gelieferten Waren hindeuten:
67
Der Angeklagte ging nach dem Ergebnis der Ermittlungen - wie mehrere der im Rahmen der Telefonüberwachung aufgezeichnete Gespräche zeigen - offenbar selbst davon aus, dass bei den von ihm durchgeführten Exporten eine Genehmigungspflicht in Betracht kam. Das ergibt sich etwa aus einem Gespräch mit einer unbekannt gebliebenen Person aus dem Iran, in dem der Angeklagte äußerte, man dürfe "manchmal nicht alle Karten auf den Tisch legen, besonders bei den Artikeln, die eine Erlaubnis benötigen". In einem weiteren Telefongespräch zeigte sich der Angeklagte gegenüber seinem iranischen Gesprächspartner verstimmt darüber, dass ein deutscher Lieferant offenbar erfolglos versucht hatte, eine Ausfuhrgenehmigung zu erhalten, und erklärte: "Mit Ihrer Vorgehensweise versperren Sie die Wege. Diese Geschäfte gehen mit Gottes Eingebung, man kann nicht wissen, ob sie klappen oder nicht. Ich gehe diesen Weg auf eigenes Risiko. Man darf nicht von Anfang an nach der Erlaubnis fragen. Ich vergleiche diese Geschäfte folgendermaßen: Wenn man fremdgehen will oder etwas Ähnliches vorhat, darf man seine Frau nicht nach Erlaubnis fragen, weil sie nie ihre Einwilligung geben wird. Diese Geschäfte sind genau so, man darf nicht nach Erlaubnis fragen."
68
Hinsichtlich der von dem Angeklagten ganz überwiegend exportierten, nicht gelisteten Dual-Use-Güter kam eine Genehmigungspflicht indes nur nach § 5 c Abs. 2 AWV in Betracht, wenn dem Ausführer die militärische Endverwendung bekannt war. Wenn er also von einer Genehmigungspflicht ausging, deutet dies auf einen Einsatz der Waren in der Rüstungsproduktion hin. Gleiches gilt für die Gespräche, in denen der Angeklagte die von ihm gelieferten Waren als "Verteidigungszeug" oder als Lieferung für die "Kriegswerkzeug-Industrie" bezeichnete und sie so selbst in einen militärischen Kontext stellte.
69
Für eine Verwendung der exportierten Güter im militärischen Kontext sprechen nicht zuletzt auch die erheblichen Gewinne, die der Angeklagte, der nicht selten jedenfalls bei seinem ersten Angebot an die iranischen Abnehmer auf seinen Einkaufspreis schlicht 100 % aufschlug, durch die Geschäfte erziel- te. Es erscheint zweifelhaft, ob die Abnehmer, die sich über das Internet auch vom Iran aus einen Überblick über die im legalen Markt für die entsprechenden Waren erzielbaren Preise verschaffen konnten, sich auf solche Aufschläge eingelassen hätten, wenn es sich um legale Ausfuhren gehandelt hätte. Einziger Grund für eine mögliche Illegalität der Exporte war indes die Kenntnis von der militärischen Endverwendung der Waren.
70
b) Es ist weiter auch hinreichend wahrscheinlich, dass dem Angeklagten die Bestimmung der von ihm ausgeführten Güter für eine militärische Endverwendung im Iran bekannt war.
71
Der Angeklagte stand bereits vor dem Jahr 1996 mit dem damaligen Kontaktbüro der DIO in Düsseldorf in geschäftlicher Verbindung und arbeitete eng mit ihm zusammen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hatte das Kontaktbüro bereits damals die Aufgabe, militärische Verwendungszwecke von auszuführenden Waren zu verschleiern und die kontinuierlich verschärften Exportkontrollbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland zu umgehen. Der Angeklagte war in zahlreichen Fällen in Beschaffungsvorgänge eingebunden und auch als Kurier für Sendungen des Kontaktbüros an die Sasadja Moavenate Bazargani - die Einkaufsabteilung der DIO - tätig. Die enge Verbindung zwischen dem Angeklagten und der DIO bereits in den 1990er Jahren spricht indiziell dafür, dass ihm eine militärische Verwendung der von ihm gelieferten Waren nicht verborgen blieb, zumal das Kontaktbüro im Jahr 1996 wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz durchsucht worden war und der Angeklagte sich bereits damals in Gesprächen mit Mitarbeitern der DIO konspirativ verhielt.
72
Wesentliches Beweisanzeichen für seine Kenntnis von der militärischen Endverwendung ist der hohe Grad an Konspiration, den der Angeklagte bei der Abwicklung seiner Geschäfte durchweg - von der Bestellung bis zur Bezahlung - betrieb. Er verschleierte gegenüber seinen Lieferanten nicht nur die wahren Empfänger der Güter im Iran, indem er angab, die bestellten Waren sollten entweder in die Schweiz oder in die Türkei geliefert werden; er täuschte auch über seinen eigenen Namen und seine Herkunft, indem er sich als S. und als schweizer oder englischer Staatsbürger gerierte. Die Ermittlungen haben zudem ergeben, dass er auch weitere Aliasnamen verwendete. Gegenüber den Zollbehörden wurden wiederum die Hersteller der Waren aber auch die Empfänger verborgen, indem der Angeklagte auf eine strikt neutrale Verpackung bedacht war und darüber hinaus jeglichen Hinweis, der eine Identifikation der wirklichen Abnehmer hätte ermöglichen können (z. B. graphische Kennzeichnung , die die Ware staatlichen Stellen zuordnet), aus den Papieren entfernen und zudem in einer Vielzahl der Fälle nicht existente Tarnfirmen als Empfänger einsetzen ließ. Diese Vertuschung behielt der Angeklagte auch gegenüber den Banken bei der Bezahlung seiner Lieferungen durch die Sasadja Moavenate Bazargani bei. Denn die vielfach verwendeten Akkreditive wurden auf sein Geheiß im Namen der Tarnfirmen eröffnet oder auf diese umgeschrieben; auch aus diesen Papieren wurden auf seine Veranlassung alle Hinweise entfernt, die auf die wahren Empfänger hindeuteten.
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Das konspirative Verhalten des Angeklagten lässt den Schluss zu, dass ihm die Illegalität seiner Ausfuhren bekannt war. Illegal waren die Exporte indes nur, wenn er um die militärische Endverwendung der Waren im Iran wusste.
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Die vom Oberlandesgericht gegen diesen Schluss angeführten Umstände erweisen sich als nicht tragfähig, vermögen jedenfalls den hinreichenden Tatverdacht nicht zu entkräften:
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Ein mögliches Motiv des Angeklagten für sein konspiratives Verhalten soll nach der Ansicht des Oberlandesgerichts sein Bestreben gewesen sein, "etwaigen Schwierigkeiten beim Export vorzubeugen". Völlig unklar bleibt insoweit , worin solche Schwierigkeiten bestehen sollten, wenn sie sich nicht aus der Illegalität der Ausfuhren ergeben, die aber wiederum nur dann in Betracht kommt, wenn der Angeklagte um die militärische Endverwendung der Waren wusste.
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Von einzelnen Lieferanten geäußerte Vorbehalte gegenüber Lieferungen in den Iran - es handelte sich insoweit überwiegend um Niederlassungen USamerikanischer Firmen, zu deren Geschäftspolitik es schon wegen des Totalembargos der USA gegenüber dem Iran gehört, keine Lieferungen in den Iran zuzulassen - vermögen nicht zu erklären, warum der seit vielen Jahren auf dem Gebiet des Iranhandels erfahrene Angeklagte in allen Fällen das Empfängerland verschleierte; erst recht ergibt sich daraus keine Erklärung dafür, dass er Tarnfirmen im Iran als Empfänger angab - auch insoweit hätten "politische Vorbehalte" der Lieferanten bestanden - und Hinweise auf den in Deutschland ansässigen Lieferanten entfernen ließ. In einigen der vom Oberlandesgericht zitierten Fälle ging es zudem nicht um "politische Vorbehalte", die Firmen lehnten die Lieferung vielmehr "aufgrund der Bestimmungen" ab (I. GmbH) bzw. nachdem das BAFA die Ablehnung einer Ausfuhrgenehmigung bei entsprechendem Antrag in Aussicht gestellt hatte (Dr. GmbH).
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Soweit das Oberlandesgericht die Befürchtung des Angeklagten, von seinen Kunden als Zwischenhändler übergangen zu werden, als weiteres mögliches Motiv der Konspiration angibt, stellt es das in der Anklageschrift dargestellte Geschehen erneut verkürzt dar. Richtig ist allein, dass der Angeklagte gegenüber dem Zeugen Wi. diese Befürchtung als Grund für die Neutralisierung der Lieferungen angab; dass es sich um Waren eines Lieferanten han- delte, bei dem eine direkte Bestellung durch die DIO zuvor an dessen Weigerung , in den Iran zu liefern, gescheitert war, bleibt dagegen unerwähnt. Da der Angeklagte von seinen Auftraggebern vor diesem Hintergrund gezielt mit der Beschaffung der Waren beauftragt worden war, ist seine Erklärung gegenüber Wi. nicht plausibel, denn eine direkte Beschaffung der Waren durch seinen Kunden unter Umgehung des Angeklagten war ja gerade gescheitert.
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Irrig ist schließlich die Auffassung des Oberlandesgerichts, es müsse die Einlassung des Angeklagten als unwiderlegbar hinnehmen, er habe angenommen , dass er durch sein konspiratives Vorgehen Steuern sparen könne. Der Tatrichter ist nicht gehalten, entlastende Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, seinen Feststellungen ohne Weiteres zugrunde zu legen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48; NJW 2007, 2274). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die im Urteil vorzunehmende Beweiswürdigung, die auf einer unmittelbaren Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung beruht, sondern in zumindest gleichem Maß auch für die nur auf einer mittelbaren Beweisgewinnung beruhende Eröffnungsentscheidung. Hier war es für Entstehung und Umfang der Steuerpflicht des Angeklagten erkennbar ohne jeden Belang, ob er die Waren in die Schweiz oder den Iran ausführte. Ebensowenig spielte insoweit eine Rolle, ob er sie im Iran an den wahren Empfänger oder eine Tarnfirma lieferte. Maßgeblich war allein der - von ihm allerdings in keinem Fall den Steuerbehörden angegebene - Gewinn, den er aus den getätigten Geschäften erzielte. Die Einlassung des Angeklagten ist deshalb bereits aus sich heraus wenig plausibel.
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Selbst wenn man den vom Oberlandesgericht herangezogenen Indizien jedenfalls in einer Gesamtwürdigung eine den Angeklagten entlastende Qualität zusprechen wollte, würde dies nicht die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigen; denn diffizile Beweiswürdigungsfragen, wie sie hier auf- grund der Beweislage in Rede stehen, dürfen nicht im Zuge der nicht öffentlichen und nicht unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des eröffnenden Gerichts womöglich endgültig entschieden werden (Stuckenberg aaO).
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c) Es besteht auch der hinreichende Tatverdacht, dass die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der § 5 c Abs. 2, § 70 Abs. 1 Nr. 3AWV, § 33 Abs. 1 AWG vorliegen. Insbesondere rechtfertigt das Ermittlungsergebnis die Annahme , der Angeklagte sei Ausführer der Waren im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 4 AWG gewesen und habe die Ausfuhr in keinem Fall gegenüber dem BAFA angezeigt.
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d) Weiter ist es hinreichend wahrscheinlich, dass die Exporte in jedem Einzelfall geeignet waren, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden, was den Verdacht begründet, dass sich der Angeklagte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 3 strafbar gemacht hat.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt, wenn anhand konkreter tatsächlicher Umstände festzustellen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Tat in eine Lage gebracht werden konnte, die es ihr unmöglich macht oder ernsthaft erschwert, ihre Interessen an gedeihlichen Beziehungen zu anderen St aaten zu wahren. Da es sich um ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt handelt, ist es nicht erforderlich, dass eine solche Gefahr tatsächlich eingetreten ist. Die Eignung zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen kann zum Beispiel gegeben sein, wenn aufgrund der Tat ein Akt starker diplomatischer Missbilligung, eine feindselige Kampagne der führenden Medien eines wichtigen Landes der Völkergemeinschaft oder eine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in inter - bzw. supranationalen Gremien naheliegend zu erwarten sind; indes reicht nicht jede mögliche negative Reaktion eines fremden Staates, wie z. B. eine bloße Demarche, für sich allein bereits aus (BGHSt 53, 128, 134 f. m. w. N.; 53, 238, 250). Ob die Handlung des Täters nach diesen Maßstäben eine solche Gefährdungseignung aufweist, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen. Dabei kommt vor allem der Frage Bedeutung zu, ob es staatlichen deutschen Stellen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass es zu den Verstößen gegen die außenwirtschaftlichen Bestimmungen gekommen ist. Daneben sind aber auch die sonstigen Tatumstände , namentlich Art und Menge der gelieferten Güter, deren Verwendungsmöglichkeit und -zweck, das konkrete Empfängerland sowie Umfang und Gewicht der konkreten außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Tat gefährdet werden können, in die Gesamtbetrachtung einzustellen (BGHSt 53, 128, 135 f.).
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Der Generalbundesanwalt hat zur Frage der Eignung der Taten des Angeklagten zur Gefährdung der auswärtigen Beziehungen mehrere Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes eingeholt. Zu Recht kritisiert das Oberlandesgericht daran, dass sich das Auswärtige Amt nicht nur auf die Vermittlung der ihm aufgrund seiner besonderen Sachkunde bekannten Tatsachen beschränkt, sondern vielmehr auch seine Rechtsauffassung mitgeteilt hat, nach der sämtliche Ausfuhren des Angeklagten geeignet gewesen seien, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Die Erstattung eines Rechtsgutachtens durch das Auswärtige Amt ist indes nicht veranlasst (BGHSt 53, 128, 136). Gleichwohl hätte das Oberlandesgericht sich nicht im Wesentlichen darauf beschränken dürfen, die Stellungnahmen zu kritisieren. Denn es obliegt den Strafverfolgungsorganen, auf der durch das Auswärtige Amt vermittelten tatsächlichen Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Handlungen des Täters die nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG erforderliche Gefährdungseignung aufweisen (BGHSt aaO). Das Oberlandesgericht hätte deshalb die in der Stellungnahme jedenfalls auch enthaltenen Informationen vollständig verwerten und in die gebotene Gesamtbetrachtung der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten einstellen müssen.
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bb) Diese ergibt hier - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Generalbundesanwalts - noch die hinreichende Wahrscheinlichkeit , dass die von dem Angeklagten vorgenommenen Ausfuhren geeignet waren , die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich zu gefährden.
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Dabei ist allerdings zunächst in den Blick zu nehmen, dass sich die dem Angeklagten vorgeworfenen Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz - mit Ausnahme von Fall 19 - auf Waren bezogen, die aus anderen Ländern der Europäischen Union genehmigungsfrei hätten ausgeführt werden können. In diesen Fällen kommt die Verletzung von völkerrechtlichen Verträgen oder Embargo -Vereinbarungen durch die Ausfuhr ebensowenig in Betracht wie ein in der Ausfuhr liegender Verstoß gegen im Wege der internationalen Zusammenarbeit beschlossene multilaterale Exportkontrollvorschriften (vgl. dazu BGHSt 53, 238, 250). Andererseits kann - entgegen der offenbar vom Oberlandesgericht vertretenen Ansicht - aus diesem Umstand nicht der Schluss gezogen werden, der Export solcher Güter vermöge die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ungeachtet der übrigen Tatumstände in aller Regel gar nicht zu gefährden. Dies zeigen etwa die vom Auswärtigen Amt referierten äußerst kritischen Reaktionen israelischer und US-amerikanischer Medien selbst auf legale deutsche Exporte in den Iran, die keine Rüstungsgüter bzw. militärisch verwendete Waren betrafen. Auch wenn durch solche Berichte allein das Merkmal der Gefährdungseignung noch nicht erfüllt ist, bieten sie doch einen Beleg für die besondere Aufmerksamkeit, mit der international deutsche Exporte in den Iran beobachtet werden.
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Im Ergebnis ist deshalb in Fällen der Ausfuhr unter Verstoß gegen § 5 c Abs. 2 AWV wegen der objektiv nur schwer bestimmbaren Beschaffenheit der in Betracht kommenden Güter und der tatbestandlichen Weite sowie der die angedrohte Sanktion erheblich verschärfenden Wirkung des Merkmals der Eignung zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen (vgl. dazu BGHSt 53, 128, 134 m. w. N.) in der gebotenen Gesamtschau eine Gefährdungseignung im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG grundsätzlich nur bei Vorliegen erheblicher weiterer, die auswärtigen Beziehungen betreffender Umstände zu bejahen.
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Dies ist hier der Fall. Zwar kam den vom Angeklagten ausgeführten Gütern , bei denen es sich um "alltägliche" Waren - namentlich um Grundstoffe, Einzelwerkstücke und Ersatzteile - handelte, die für sich betrachtet keinen erkennbaren Bezug zur Rüstungsindustrie aufwiesen, für die Herstellung von deren Endprodukten - mögen sie hierfür auch nicht entbehrlich gewesen sein - nur punktuelle Bedeutung zu. Derartige Exporte sind in aller Regel nicht geeignet, die von § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG umschriebenen Voraussetzungen zu erfüllen. Hier ergibt sich indes aus folgenden Umständen ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung:
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Die exportierten Waren sollten sämtlich in der Produktion von konventionellen Rüstungsgütern im Iran, einem Land, dessen Politik insbesondere gegenüber Israel von einer aggressiven Grundhaltung geprägt ist, eingesetzt werden. Aus der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes geht hervor, dass die Bundesrepublik Deutschland ein besonderes außenpolitisches Interesse an der Stabilisierung der Region des Nahen und Mittleren Ostens verfolgt und diesbezügliche Aktivitäten entfaltet, die durch die unkontrollierte Ausfuhr von zur militärischen Verwendung bestimmten Gütern konterkariert werden können, weil Zweifel an der Effektivität der deutschen Exportkontrolle aufgeworfen werden.
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Die Argumentation des Oberlandesgerichts, eine Bedrohung Israels durch den Iran werde nicht durch konventionelle Hochrüstung begründet, geht vor diesem Hintergrund fehl, zumal bekannt ist, dass sich der Iran auch damit brüstet, regionale "Befreiungsarmeen" im Nahen Osten mit Waffen zu versorgen. Solche Gruppen wie etwa die Hisbollah oder die Hamas stellen offenkundig eine unmittelbare Bedrohung Israels und damit des gesamten Friedensprozesses in der Region dar.
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Maßgeblich kommt hinzu, dass jede von der Anklage erfasste illegale Ausfuhr Teil einer jahrelangen Tatserie war (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 53, 128, 137), mit der die Exportkontrollvorschriften von dem Angeklagten systematisch umgangen wurden. Dies gilt auch bereits für die erste angeklagte Tat, weil die Ermittlungen hinreichend belegen, dass der Angeklagte Anfang des Jahres 2001 schon seit mehr als zehn Jahren in das nötigenfalls auf die Umgehung von Exportkontrollen ausgerichtete Beschaffungssystem der DIO eingebunden war.
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Entscheidend wirken sich im vorliegenden Fall aber die massiven Kontrolldefizite aus, die die Ermittlungen bei den deutschen Zollbehörden aufgedeckt haben. Die Ausfuhrzollstellen ließen sich in allen Fällen, in denen auf Veranlassung des Angeklagten bei der Ausfuhranmeldung das falsche Empfängerland angegeben wurde, über wesentliche Umstände täuschen. Dies wiegt umso schwerer, weil das als Ausgangszollstelle fungierende Zollamt Ha. trotz gegenüber der Vorabfertigung geänderter Empfänger keine weitere Prüfung im Hinblick auf ausfuhrrechtliche Bestimmungen durchführte, sondern nur noch eine papiermäßige Sichtung der Unterlagen auf Vollständigkeit und Zuordnung zu der gestellten Ware. Entgegen der Auffassung der Verteidigung sind die Versäumnisse beim Zollamt Ha. auch nicht unabhängig vom Verhalten des Angeklagten zu betrachten. Die Anklageschrift führt zwar aus, dass nicht abschließend geklärt werden konnte, ob der Angeklagte die Abfertigungspraxis des Zollamtes Ha. bewusst ausgenutzt habe; es haben sich indes insbesondere aus den durchgeführten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen Hinweise darauf ergeben, dass ihm das für seine Zwecke vorteilhafte Vorgehen der Zollbeamten bekannt war und er deshalb die vom ihm eingeschaltete Spedition als die Firma pries, die wisse, wie man "eine Frachtsendung abwickeln kann, damit der Hersteller nicht merkt, dass die Ware in den Iran gegangen ist."
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Im Ergebnis waren die Ausfuhren des Angeklagten in allen Fällen somit bei genereller Betrachtung ihrer Art nach typischerweise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet, Akte starker diplomatischer Missbilligung oder Medienkampagnen gegen die Bundesrepublik Deutschland in wichtigen Partnerländern herbeizuführen. Dies gilt auch für den Fall 29 der Anklageschrift, in dem es nur beim Versuch blieb. Denn auch in diesem Fall waren die für den Iran bestimmten Waren beim Zollamt Ha. letztlich beanstandungslos für die Ausfuhr freigegeben worden, obwohl in der Vorabfertigung abweichend als Empfängerland noch die Schweiz angegeben gewesen war. Die maßgeblichen Kontrolldefizite staatlicher deutscher Stellen lagen also auch in diesem Fall vor; zur Vollendung der Ausfuhr kam es lediglich wegen der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen nicht.
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e) Schließlich ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Angeklagte in allen ihm zur Last gelegten Fällen im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 34 Abs. 6 Nr. 2 AWG gewerbsmäßig gehandelt hat. Anders als bei Herstellern oder Lieferanten, die in erster Linie legalen Veräußerungsgeschäften nachgehen , liegt hier der Schluss nahe, dass die Gewinnerzielungsabsicht des Angeklagten gerade darauf abzielte, sich durch wiederholte illegale Ausfuhren eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu erschließen bzw. zu erhalten.
Dafür spricht nicht nur die Vielzahl der ermittelten Fälle, sondern insbesondere der Umstand, dass der Angeklagte mit seinen Unternehmen, die keine eigenen Geschäftsräume unterhielten, im Tatzeitraum - soweit ersichtlich - nicht werbend am Markt aufgetreten ist.
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3. Die sich aus dem Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts ergebende Veurteilungswahrscheinlichkeit wird auch nicht aus rechtlichen Gründen erschüttert. Der rechtlichen Würdigung des Oberlandesgerichts, mit der es die maßgeblichen Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung für gemeinschaftsrechtswidrig gehalten hat und deshalb zu ihrer Unanwendbarkeit gelangt ist, vermag der Senat nicht zu folgen.
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a) Dies gilt zunächst für die Vorschrift des § 5 c Abs. 2 AWV.
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aa) Die Annahme des Oberlandesgerichts, § 5 c Abs. 2 AWV sei gemeinschaftsrechtswidrig und damit unbeachtlich, weil die Bundesregierung einem europarechtlichen Begründungszwang nicht nachgekommen sei, ist rechtsfehlerhaft.
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Eine generelle Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers zur formellen Begründung der von ihm erlassenen Gesetze besteht in der Bundesrepublik Deutschland nicht (BadWürttStGH NJW 1975, 1205, 1214; ThürVerfGH NVwZRR 1999, 55, 60; Kischel, Die Begründung S. 260 ff. mit zahlr. Nachw., insbesondere Fn. 3; vgl. auch Redeker/Karpenstein NJW 2001, 2825 ff.). Eine Begründung von Gesetzen findet sich ganz überwiegend nur in Materialien, die nicht unmittelbar auf den Gesetzgeber - das Parlament - zurückgehen; sie stammen vielmehr beispielsweise von der mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs befassten Stelle, der Bundesregierung oder einem Bundestagsausschuss (Kischel aaO S. 293). Die sich an diesen Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte orientierende historische Auslegung ist deshalb auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben der grammatischen , systematischen und der teleologischen Auslegung nur eine von mehreren Methoden zur Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers. Ihre Anwendung setzt voraus, dass der in den Materialien zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lässt; nur soweit er in dem Gesetz selbst hinreichenden Ausdruck gefunden hat, kann er bei der Auslegung berücksichtigt werden (BVerfGE 8, 274, 307; 10, 234, 244; 11, 126, 130 ff.; 54, 277, 297 ff.; 62, 1, 45). Bereits diese grundsätzlichen Erwägungen erhellen, dass das Fehlen einer Begründung für sich allein noch keine Rechtsfolge - insbesondere nicht die der Verfassungswidrigkeit oder der Unbeachtlichkeit der Norm - auszulösen vermag.
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Zwar kann bei Gesetzen, deren Erlass bestimmten materiell-rechtlichen oder Verfahrensvoraussetzungen unterliegt, im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle die Prüfung erforderlich sein, ob die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten den Sachverhalt ausreichend ermittelt und nachvollziehbar gewürdigt haben oder - insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung - ob mit dem Gesetz ein verfassungskonformer Zweck verfolgt wird; eine solche Prüfung ist etwa bei Planungs- oder Neugliederungsgesetzen geboten (z. B. BVerfGE 86, 90, 108 f. m. w. N.), aber auch bei Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers (z. B. BVerfGE 50, 290, 332 ff. m. w. N.) oder bei Regelungen im Bereich enger verfassungsrechtlicher Vorgaben (z. B. BVerfGE 54, 173, 197; 85, 36, 56 ff.). Hieraus ist indes nicht der Schluss zu ziehen, die maßgeblichen Umstände müssten zwingend in der Gesetzesbegründung niedergelegt werden; vielmehr handelt es sich um eine prozessuale Darlegungspflicht. Im Streitfall müssen die Gründe dem Gericht offen gelegt werden, ohne dass die Art des Nachweises - eine etwa vorhandene Begründung, andere jedermann zugängliche Materialien , aber auch Aussagen an der Normsetzung Beteiligter oder die Offenlegung verwaltungsinterner Vorarbeiten - eine Rolle spielt (Kischel aaO S. 311; Thür- VerfGH aaO; BVerfGE 85, 36, 57). Es kommt allein darauf an, ob die gesetzgeberische Entscheidung im Ergebnis den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (BVerfGE 86, 148, 212; vgl. Kischel aaO).
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Diese Grundsätze gelten nicht nur für Parlamentsgesetze, sondern auch für untergesetzliche Normen wie den hier in Rede stehenden § 5 c Abs. 2 AWV (vgl. Kischel aaO S. 326 f., 333, 334; BVerfGE 85, 36, 57). Ebenso haben sie nicht nur Gültigkeit, soweit es um die Rechtfertigung von Normen im verfassungsrechtlichen Kontext geht, sondern auch, soweit - wie hier - legislative Eingriffe in europarechtlich verbürgte Grundfreiheiten in Rede stehen. Eine Regelung , die die nationalen Gesetzgeber zur Begründung ihrer normsetzenden Entscheidungen verpflichtet, existiert im Gemeinschaftsrecht nicht (Cremer NVwZ 2004, 668, 674). Bei der Frage, ob durch ein nationales Gesetz in vorrangiges Gemeinschaftsrecht eingegriffen worden ist, stellt auch der Gerichtshof der Europäischen Union nicht allein auf in der Begründung niedergelegte Vorstellungen des Gesetzgebers ab; die in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers kann zwar einen Anhaltspunkt für den mit dem Gesetz verfolgten Zweck darstellen, muss indes nicht ausschlaggebend sein. Es ist vielmehr auch von den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die eine Grundfreiheit einschränkende Regelung bei objektiver Betrachtung einen nach dem Gemeinschaftsrecht legitimen Zweck verfolgt (EuGH NZA 2001, 1377, 1379; 2002, 207, 208). Auch aus den vom Oberlandesgericht zitierten Entscheidungen ergibt sich, dass vom Gerichtshof der Europäischen Union im Hinblick auf geforderte Abwägungen oder Darlegungen nicht etwa auf eine dementsprechende Begründungspflicht des nationalen Gesetzgebers rekurriert wird, sondern auf dessen prozessuale Darlegungs- und Beweislast (EuGH Rs. C-414/97, Slg. 1999, I-5585, 5599, Rdn. 22, 24); denn auch die erst im Verfahren benannten Rechtfertigungsgründe des beklagten Staates werden in die Entscheidung einbezogen (EuGH Rs. C-147/03, Slg. 2005, I-5969, 5992, Rdn. 63, 64, 67, 71; vgl. auch Cremer aaO S. 673 f.).
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Nach alledem kann allein aus einer - angeblich - fehlenden Begründung zu § 5 c Abs. 2 AWV im Sinne einer Abwägung zwischen den Grundsätzen der gemeinsamen Handelspolitik und der Ausfuhrfreiheit mit den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Norm geschlossen werden. Vielmehr ist entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts von den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die mit der Vorschrift verbundene Beschränkung der Ausfuhrfreiheit bei objektiver Betrachtung gemeinschaftsrechtlich zulässigen Zwecken dient.
101
bb) Aus der danach gebotenen Prüfung ergibt sich hier:
102
(1) Wie auch das Oberlandesgericht zutreffend angenommen hat, stellen die vorliegend in Rede stehenden Ausfuhrkontrollen für Dual-Use-Güter Maßnahmen auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik dar, für die Art. 133 EGV (jetzt: Art. 207 AEUV) der Europäischen Union eine ausschließliche Zuständigkeit verleiht. Den Mitgliedsstaaten fehlt deshalb grundsätzlich jede eigene Kompetenz zum Erlass nationaler Regelungen (h. M.; vgl. EuGH, Gutachten 1/75, Slg. 1975, 1355, 1363 ff.; EuGH NVwZ 1996, 365, 366 m. w. N.; wistra 1996, 57; Vedder/Lorenzmeier in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 133 EGV Rdn. 11 m. zahlr. Nachw.; Simonsen in Wolffgang /Simonsen, AWR-Kommentar, Einführung Dual-Use-VO Rdn. 18; Reuter NJW 1995, 2190, 2191). Die sich aus der ausschließlichen Zuständigkeit der Union ergebende Sperrwirkung entfällt indes dort, wo das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedsstaaten - etwa durch Öffnungsklauseln - zum Erlass nationaler Regeln ermächtigt (EuGH NJW 1977, 1007, 1008; NVwZ aaO; wistra aaO; EuGH Rs. C-174/84, Slg. 1986, 559, 576, Rdn. 31; Vedder/Lorenzmeier aaO; Schae- fer, Die nationale Kompetenz zur Ausfuhrkontrolle nach Art. 133 EG S. 102). Eine solche Öffnungsklausel findet sich hinsichtlich der Ausfuhr von Dual-UseGütern in Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO (jetzt Art. 8 Abs. 1 Dual-Use-VO nF) (vgl. Ehrlich in Bieneck, Handbuch des Außenwirtschaftsrechts 2. Aufl. § 8 Rdn. 30; Friedrich in Hocke/Berwald/Maurer/Friedrich, Außenwirtschaftsrecht Art. 5 DualUse -VO Rdn. 1 f.; Schaefer aaO S. 150; Karpenstein in Grabitz/Hilf aaO Art. 5 Dual-Use-VO Rdn. 1; Simonsen aaO Art. 8 Dual-Use-VO Rdn. 1; KG, Beschl. vom 22. Juli 2008 - 4 Ws 131/07 - juris - Rdn. 7). Zu Recht ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass Öffnungsklauseln als Ausnahmen von gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen generell eng auszulegen sind (EuGH NJW 1977, 1007, 1008; wistra 1996, 57, 59; EuGH Rs. C-414/97, Slg. 1999, I-5585, 5599, Rdn. 21; Pernice/Mayer in Grabitz/Hilf aaO Art. 220 EGV Rdn. 45 m. w. N.; Karpenstein aaO Rdn. 2; Friedrich aaO Rdn. 3).
103
(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ergeben sich mit Blick auf die Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland zum Erlass exportkontrollrechtlicher Vorschriften keine Anhaltspunkte für eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von § 5 c Abs. 2 AWV; die Vorschrift ist vielmehr von der Öffnungsklausel des Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO (jetzt Art. 8 Abs. 1 Dual-Use-VO nF) erfasst, der die Mitgliedsstaaten ermächtigt, die Ausfuhr von nicht in der Dual-Use-Liste erfassten Gütern aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus Menschenrechtserwägungen zu untersagen oder dafür eine Genehmigungspflicht vorzuschreiben.
104
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die innere und die äußere Sicherheit der Mitgliedsstaaten (EuGH EuZW 1992, 29, 31); wegen der Schwierigkeit, außenpolitische und sicherheitspolitische Gesichtspunkte klar voneinander abzugrenzen, können auch die auswärtigen Beziehungen eines Mitgliedsstaates vom Begriff der öffentlichen Sicherheit erfasst sein. Aufgrund der gebotenen engen Auslegung des Ausnahmetatbestands bedarf es insoweit aber der Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen (EuGH NVwZ 1996, 365, 367; wistra 1996, 57, 58). Die öffentliche Sicherheit kann insbesondere durch die Ausfuhr eines zu militärischen Zwecken einsetzbaren Erzeugnisses in ein Drittland, das als ein für die Ausfuhr von Dual-UseGütern sehr sensibles Bestimmungsland angesehen wird, beeinträchtigt werden (EuGH NVwZ aaO; wistra aaO). Die Einschätzung, ob eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ist Sache des Mitgliedsstaates; diesem steht insoweit - wie beim Schutz anderer Rechtsgüter auch - unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Beurteilungsspielraum zu, innerhalb dessen er bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der öffentlichen Sicherheit gewährleisten will und welche Maßnahmen er zur Erreichung des angestrebten Schutzniveaus für erforderlich hält (Bermbach, Die gemeinschaftliche Ausfuhrkontrolle für Dual-UseGüter S. 187 f.; Schaefer aaO S. 174 f., m. zahlr. Nachw. zur EuGHRechtsprechung ; vgl. EuGH Rs. C-34/79, Slg. 1979, 3795, 3797, Rdn. 15 zum Begriff der öffentlichen Sittlichkeit; EuGH Rs. C-434/04, Slg. 2006, I-9171, 9185, Rdn. 32 f. zum Schutz der Gesundheit). Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder Mitgliedsstaat besondere Sicherheitsinteressen haben kann, etwa wegen seiner geographischen Lage, seiner Geschichte, wegen seiner inneren Situation oder besonderer äußerer Bedrohungen (Generalanwalt Jacobs, Rs. C-70/94 und Rs. C-83/94, Slg. 1995, I-3189, 3191, Rdn. 43; Rs. 120/94, Slg. 1996, I-1513, 1514, Rdn. 54; Schaefer aaO S. 217; Karpenstein aaO Rdn. 2, 7 m. w. N.; vgl. insoweit auch BVerfG NJW 1995, 1537, 1538).
105
Die Vorschrift des § 5 c AWV findet - wie sich bereits aus der Überschrift ergibt - ihre nationale Ermächtigungsgrundlage in § 7 Abs. 1 AWG. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG können Rechtsgeschäfte und Handlungen im Außenwirt- schaftsverkehr beschränkt werden, um zu verhüten, dass die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden. Dieses nationale Regelungsziel unterfällt nach obigen Ausführungen dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit, so dass darauf beruhende nationale Ausfuhrbeschränkungen nicht von der Sperrwirkung der Dual-Use-VO erfasst werden; die Bundesrepublik Deutschland hat insoweit eine eigene, nicht von der Unionszuständigkeit aus Art. 133 EGV (jetzt: Art. 207 AEUV) gehinderte Kompetenz zum Erlass nationaler Vorschriften zur (weiteren) Kontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Schaefer aaO; Karpenstein aaO Rdn. 2; Ehrlich aaO; Simonsen aaO Rdn. 4, 8; Fehn in Hohmann/John, Ausfuhrrecht Art. 5 Dual-Use-VO Rdn. 25).
106
§ 5 c AWV hält sich innerhalb des gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Rahmens, indem die Vorschrift lediglich die Ausfuhr von Gütern, die für eine militärische Endverwendung bestimmt sind, in nach Einschätzung des Verordnungsgebers besonders sensitive Bestimmungsländer der Länderliste K (vgl. BTDrucks. 14/4166 S. 13) von einer vorherigen Unterrichtung des BAFA und gegebenenfalls dessen Genehmigung abhängig macht. Unkontrollierte Ausfuhren in diesem Bereich können auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die auswärtigen Beziehungen eines Mitgliedsstaates erheblich stören und so zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen (EuGH NVwZ 1996 aaO; wistra aaO). § 5 c AWV stellt folglich eine grundsätzlich gemeinschaftsrechtlich zulässige nationale Exportkontrollvorschrift dar (Schaefer aaO S. 209; Karpenstein aaO; Pietsch in Wolffgang/Simonsen aaO § 5 c AWV Rdn. 7; Schörner in Hohmann/John aaO § 5 c AWV Rdn. 9 f.; Simonsen aaO Rdn. 5; Ehrlich aaO Rdn. 35; Friedrich aaO § 5 c AWV Rdn. 2).
107
(3) Diesem Ergebnis kann auch nicht die Auffassung der Verteidigung entgegengehalten werden, § 5 c Abs. 2 AWVsei von Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO nicht gedeckt, weil damit nur ein Genehmigungsvorbehalt oder die Untersagung einer Ausfuhr gestattet werde; § 5 c Abs. 2 AWV sehe aber lediglich eine Informations - und Wartepflicht des Ausführers vor, der die beabsichtigte Ausfuhr anzuzeigen und eine Entscheidung des BAFA abzuwarten habe. Es dürfe aber nicht der Verwaltung die Entscheidung überlassen werden, ob von der europarechtlichen Ermächtigung zum Erlass nationaler Sonderregelungen Gebrauch gemacht werde.
108
Diese Ansicht verkennt, dass § 5 c Abs. 2 AWV lediglich das Verfahren festlegt, das in der Regel zum Entstehen des nach der Ermächtigungsnorm zulässigen Genehmigungsvorbehalts oder auch der Untersagung der Ausfuhr führt. Dass dabei die Verwaltungsbehörde eingeschaltet wird, steht der Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO nicht entgegen, weil in dieser Vorschrift keine Aussage getroffen wird, welcher Staatsgewalten sich die Mitgliedsstaaten zur Durchführung der beschränkenden Maßnahmen bedienen dürfen. § 5 c Abs. 2 AWV schafft damit - wenn auch über den Zwischenschritt der Entscheidung des BAFA - den nach Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO zulässigen Genehmigungsvorbehalt. Der Umstand, dass es - wenn auch eher seltene (vgl. dazu Weith/Wegner/Ehrlich, Grundzüge der Exportkontrolle S. 125) - Fälle geben mag, in denen nach der Prüfung durch das BAFA keine Genehmigungspflicht für die konkrete Ausfuhr besteht, berührt die Vereinbarkeit mit der Ermächtigungsgrundlage nicht; dass insoweit auch für nicht genehmigungspflichtige Ausfuhren eine Informations- und Wartepflicht normiert wird, ist vielmehr erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Bedeutung (dazu unten B. II. 3.
a) cc) (3)). Die Frage, ob in zulässiger Weise der Exekutive eine Kompetenz übertragen wird, den Genehmigungsvorbehalt erst zum Entstehen zu bringen, berührt ebenfalls nicht die Vereinbarkeit von § 5 c Abs. 2 AWV mit Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO, sondern den auch gemeinschaftsrechtlich zu beachtenden Bestimmtheitsgrundsatz (dazu unten B. II. 3. a) dd)).
109
cc) § 5 c Abs. 2 AWV entspricht auch mit Blick auf die damit verbundene Einschränkung der Ausfuhrfreiheit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
110
(1) Mitgliedsstaatliche Exportkontrollvorschriften hinsichtlich nicht gelisteter Dual-Use-Güter auf der Grundlage der Ermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 DualUse -VO (jetzt: Art. 8 Abs. 1 Dual-Use-VO nF) stellen "nationale Alleingänge" dar und unterliegen als solche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sie müssen also geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den jeweils angestrebten, gemeinschaftsrechtlich zulässigen Zweck zu erreichen (EuGH EuZW 1992, 29, 31; wistra 1996, 57, 59). Allein in diesem Rahmen kann ein Mangel an Begründung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber von Bedeutung sein, wenn die Geeignetheit der beschränkenden Maßnahme zur Erreichung eines legitimen Zwecks oder ihre Verhältnismäßigkeit deshalb gegebenenfalls nicht überprüft werden kann (vgl. EuGH Rs. C-414/97, Slg. 1999, I-5585, 5599, Rdn. 22; Rs. C-170/04, Slg. 2007, I-4071, 4107, Rdn. 50). Nach den oben dargelegten Grundsätzen sind aber alle zulässigen Auslegungsmethoden heranzuziehen, um bei objektiver Betrachtung zu ermitteln, ob der Gesetz- oder Verordnungsgeber einen legitimen Zweck verfolgt und den Eingriff in Grundfreiheiten verhältnismäßig ausgestaltet hat (vgl. oben B. II. 3. a) aa)).
111
Bereits aus dem systematischen Zusammenhang des § 5 c AWV ergibt sich, dass der Verordnungsgeber damit einen legitimen Zweck verfolgt. Aus der amtlichen Überschrift, die die Vorschrift als eine Beschränkung nach § 7 Abs. 1 AWG ausweist, geht hervor, dass mit den Ausfuhrbeschränkungen der Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik bezweckt wird. Dieses Ziel erweist sich, wie dargelegt, als gemeinschaftsrechtlich legitim und vermag nationale Ausfuhrkontrollen zu rechtfertigen. Diese Rechtslage bestand bereits vor der Einführung der Dual-Use-VO im Jahr 2000 bzw. vor In- krafttreten der vorhergehenden Fassung durch die VO (EG) Nr. 3381/1994 (ABl. L 367 S. 1). Denn auch nach der nach wie vor geltenden Vorschrift des Art. 11 der VO (EG) Nr. 2603/1969 (ABl. L 324 S. 25; im Folgenden: Ausfuhrverordnung ) konnten nationale Ausfuhrbeschränkungen nicht nach Gutdünken der Mitgliedsstaaten erlassen werden, sondern bedurften einer Rechtfertigung u. a. aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit. Auf dem Boden dieser Rechtslage hatte der Gerichtshof der Europäischen Union bereits im Jahr 1995 Ausfuhrbeschränkungen der Bundesrepublik Deutschland, die nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG den Schutz der auswärtigen Beziehungen bezweckten , als gemeinschaftsrechtskonform beurteilt (EuGH NVwZ 1996, 365; wistra 1996, 57). Anlass zu vertiefenden Ausführungen über die grundsätzliche europarechtliche Zulässigkeit eigener, schärferer Ausfuhrkontrollen bestand für den Verordnungsgeber angesichts dieser höchstrichterlich geklärten Rechtslage - auch im Hinblick auf den Grundsatz der Ausfuhrfreiheit (vgl. Art. 1 Ausfuhrverordnung ) - deshalb nicht.
112
Das Oberlandesgericht kommt zu dem Ergebnis, der Verordnungsgeber habe die Ausfuhrbeschränkungen in § 5 c AWV lediglich mit allgemeinen politischen Einschätzungen begründet und keine nachvollziehbare Abwägung zwischen den Grundsätzen der gemeinsamen Handelspolitik und der Ausfuhrfreiheit einerseits und den nationalen Sonderinteressen der Bundesrepublik Deutschland andererseits vorgenommen. Dabei hat es indes die vorhandenen Begründungen zum Teil unzutreffend und nur unvollständig ausgewertet sowie allgemeinkundigen Umständen keinen ausreichenden Stellenwert beigemessen.
113
Schon bei der Anpassung der AWV an die durch die VO (EG) Nr. 3381/1994 geänderte Rechtslage durch die 36. Änderungs-VO vom 17. Februar 1995 (BAnz 1995 S. 6165, 6168) hat der Verordnungsgeber dargelegt, dass er sich der fortschreitenden Harmonisierung auf dem Gebiet der Exportkontrolle für Dual-Use-Güter bewusst war. Die - vom Oberlandesgericht unbeachtet gebliebene - Begründung zum Erlass der damals neu eingeführten Länderliste K lautete: "Die Entscheidung zugunsten der neuen Länderliste K war Ergebnis einer sehr sorgfältigen Abwägung. Die exportkontrollpolitische Verantwortung Deutschlands einerseits und das integrationspolitische und wirtschaftspolitische Interesse an einer europäischen Harmonisierung andererseits waren in Einklang zu bringen. Einige der in der neuen Länderliste K aufgeführten Länder werden international einheitlich als besonders problematisch angesehen, zum Teil bleiben sie sichtbar hinter Friedensprozessen in ihren Regionen zurück." (BAnz aaO).
114
Es liegt fern anzunehmen, dass der Verordnungsgeber, der bei der Einführung der VO (EG) Nr. 3381/1994, die einen geringeren Stand der Harmonisierung innerhalb der Union widerspiegelte, intensive dahingehende Abwägungen vornahm, seine Verpflichtung zur Berücksichtigung der europarechtlichen Grundsätze fünf Jahre später angesichts fortschreitender Harmonisierung aber aus dem Blick verlor, zumal er - wie auch das Oberlandesgericht festgestellt hat - auch im Jahr 1998 noch die Verpflichtung zur Abwägung zwischen Sicherheits - und Integrationsinteressen hervorhob (vgl. BTDrucks. 13/10104 S. 27). Eine solche Abwägung vor dem Hintergrund einer stärkeren Vereinheitlichung der europäischen Regelungen muss indes nicht notwendig zu einer Lockerung nationaler Regelungen oder auch nur zu einem gesteigerten Begründungsaufwand bei ihrer Beibehaltung führen. Richtig ist vielmehr, dass ein wesentlicher Bestandteil des Harmonisierungsprozesses zwischen den Jahren 1995 und 2000 in der Verschärfung der gemeinschaftlichen Exportkontrollvorschriften bestand, indem mit Art. 4 Abs. 2 und 4 Dual-Use-VO europaweit eine § 5 c AWV vergleichbare verwendungsbezogene Kontrolle von nicht gelisteten Dual-Use-Gütern eingeführt wurde, soweit diese Güter in Ländern, gegen die ein Waffenembargo besteht, zur Produktion von konventionellen Rüstungsgütern eingesetzt werden sollen. Aufgrund dieser Regelung konnte die Bundesregierung die Mehrzahl der zuvor dort aufgeführten Länder von der Länderliste K streichen (vgl. BTDrucks. 14/4166 S. 12, 15); es verblieben nur noch sechs. Jedenfalls missverständlich sind vor diesem Hintergrund auch die Ausführungen des Oberlandesgerichts, Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO (in der Fassung der VO (EG) Nr. 1334/2000) sei auf Wunsch der Bundesrepublik Deutschland in die Verordnung aufgenommen worden, weil sich eine Vereinheitlichung auf dem besonders hohen deutschen Niveau nicht habe durchsetzen lassen. Die dazu zitierten Belege betreffen nur die Vorgängerregelung des Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 3381/1994. Soweit durch solche Wendungen in dem angefochtenen Beschluss der Eindruck entsteht, die gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung stehe einer - auch nur beizubehaltenden - Liberalisierung des Exportkontrollrechts gleich, ist das Gegenteil der Fall. Wie dargelegt hatte die fortschreitende Harmonisierung bis zum Inkrafttreten der Dual-Use-VO im Jahr 2000 bereits zu einer Verschärfung der gemeinschaftsrechtlichen Exportkontrollbestimmungen geführt; dies hat sich im weiteren Verlauf der Harmonisierung fortgesetzt, etwa indem in der jetzigen Fassung der Dual-Use-VO in Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 428/2009 erstmalig europaweit auch Vermittlungstätigkeiten in Bezug auf DualUse -Güter einer verwendungsbezogenen Genehmigungspflicht unterworfen und den Mitgliedsstaaten weitere Befugnisse zum Erlass nationaler Sonderregelungen eingeräumt werden. Auch insoweit hat die Harmonisierung zu einer Anhebung des Kontrollniveaus (vgl. auch Simonsen aaO Einführung Dual-UseVO Rdn. 22 f.) und damit letztlich zu einer weiteren Annäherung an die deutschen Standards geführt. Hinzu kommt, dass mittlerweile von der Europäischen Union Waffenembargos nicht nur gegenüber dem Iran, sondern auch gegenüber Libanon und Nordkorea ausgesprochen worden sind, die Einschätzung der Bundesregierung hinsichtlich der Sensitivität von Exporten von militärisch verwendbaren Gütern in diese Länder also internationale Anerkennung erfahren hat. Nach Streichung dieser Länder sowie Mosambiks (vgl. BTDrucks. 16/4106 S. 8, 12; 16/6269 S. 10, 15) umfasst die Länderliste K deshalb nur noch zwei Staaten.
115
Ausgehend davon ist auch die bei der Anpassung der AWV an die geänderte Dual-Use-VO im Jahr 2000 geäußerte Einschätzung der Bundesregierung , durch die strengeren gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften würden bisher bestehende Wettbewerbsnachteile deutscher Exporteure gemildert, entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts zutreffend (vgl. Hohmann/John in Hohmann/John aaO Update-Anhang 2 zur Dual-Use-VO Rdn. 2; Simonsen aaO Einführung Dual-Use-VO Rdn. 19; aA der mit dem angefochtenen Beschluss zur Frage der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von § 5 c Abs. 2 AWV, § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG weitgehend wortgleiche Beitrag von v. Heintschel -Heinegg/Dauster in FS für Stöckel S. 57, 68 in Fn. 49). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob für die verbliebenen Länder nur in Deutschland Ausfuhrbeschränkungen bestehen, sondern darauf, dass für die Mehrzahl der Länder, in die Exporte von Dual-Use-Gütern zum Zweck der militärischen Endverwendung zuvor nur in Deutschland Beschränkungen unterworfen waren, nunmehr eine europarechtlich einheitliche Kontrollvorschrift vergleichbaren Inhalts besteht und deshalb insoweit die Chancengleichheit zwischen deutschen und anderen europäischen Exporteuren hergestellt wurde.
116
Die Erwägung des Oberlandesgerichts, der Verordnungsgeber sei sich im Jahr 2000 seines durch Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO eingeschränkten Spielraums zur Schaffung oder Beibehaltung nationaler Exportkontrollvorschriften nicht bewusst gewesen, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Vorgängerregelung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 3381/1994 ließ nach ihrem Wortlaut nationale Beschränkungen zwar ohne nähere Begründung zu; zu beachten war aber auch seinerzeit Art. 11 der Ausfuhrverordnung, der nationale Ausfuhrbeschränkungen - wie oben dargelegt - gerade nicht unbegrenzt erlaubte. Im Übrigen bezieht sich die zum Nachweis der Auffassung des Oberlandesgerichts zitierte Passage aus der Verordnungsbegründung erkennbar auf die Beschreibung des Rechtszustandes vor Einführung der Dual-Use-VO, kann also nicht als Begründung für einen angeblich falschen Maßstab des Verordnungsgebers für die Zeit danach herangezogen werden.
117
Für die erforderliche Begründungstiefe, die eine Überprüfung von § 5 c Abs. 2 AWV im Hinblick auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ermöglicht, ergibt sich nach alldem Folgendes: Angesichts des sich bereits aus einer systematischen Auslegung ergebenden legitimen Zwecks der Vorschrift, die dem Schutz der auswärtigen Beziehungen als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit dient, und eingedenk des nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dem nationalen Gesetzgeber zur Verfügung stehenden Spielraums bei der Beurteilung der Frage, ob die Einschränkung von gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedsstaates geboten ist, sind die vom Verordnungsgeber gewählten Formulierungen in den amtlichen Begründungen zur AWV jedenfalls im Zusammenhang mit den allgemein zugänglichen Grundsätzen der deutschen Außen- und Exportkontrollpolitik und den offenkundigen Erkenntnissen zur politischen Haltung des Iran im Nahen Osten und insbesondere gegenüber Israel ausreichend, um eine potentielle erhebliche Gefährdung der auswärtigen Beziehungen durch die Ausfuhr von Gütern mit einem militärischen Endverwendungszweck in den Iran zu begründen. Hierzu gilt:
118
Wie auch das Oberlandesgericht ausgeführt hat, verfolgt die Bundesrepublik gestützt auf das verfassungsrechtlich in Art. 26 GG verankerte Friedens- gebot im Grundsatz eine restriktive Rüstungsexportkontrollpolitik, die auch für Güter mit doppeltem Verwendungszweck gilt, sofern diese für Rüstungszwecke verwendet werden sollen (BTDrucks. 13/5966 S. 2; 13/10104 S. 1 f.). Dieses Friedensgebot verpflichtet nationale Behörden etwa zur Versagung einer Ausfuhrgenehmigung , wenn durch den Export das Rechtsgut des Völkerfriedens im Sinne des Art. 26 Abs. 1 GG potentiell bedroht ist (Schaefer aaO S. 60). Integraler Bestandteil und Grundkonsens der deutschen Außenpolitik ist seit jeher eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels (vgl. nur BTPlenarprotokoll 14/233 S. 23113, 23114, Regierungserklärung zur Lage im Nahen Osten) und damit verbunden ein besonderes Engagement für die Stabilisierung der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens. Der Iran als eines der wichtigsten Länder in dieser Region, war nicht erst in den letzten Jahren, sondern bereits vor dem Jahr 2000 von einer feindlichen Grundhaltung gegenüber Israel geprägt und trug zur Verhinderung von Stabilisierungsbemühungen in der Region bei. Er verweigerte ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels sowie zur demokratischen Legitimität der palästinensischen Autonomiebehörde , bekundete offen Symphatie mit den Motiven von Selbstmordattentätern der Hamas in Israel und unterstützte gewaltbereite palästinensische Oppositionsgruppen (vgl. BTDrucks. 13/4545 S. 2 f.; 13/3483 S. 2). Bereits aus der Zusammenschau dieser Umstände wird deutlich, dass eine durch die Bundesregierung nicht kontrollierte Ermöglichung auch konventioneller Rüstungsprojekte im Iran potentiell geeignet ist, zur Destabilisierung der Region beizutragen und damit im Widerspruch zu wesentlichen Grundsätzen der Außenpolitik der Bundesrepublik steht. Eine zur Außenpolitik widersprüchliche Exportkontrollpolitik ist aber ersichtlich geeignet, die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung bei ihren internationalen Partnern zu untergraben und dadurch die auswärtigen Beziehungen erheblich zu stören; dadurch wird - auch nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union - die öffentliche Sicherheit der Bundesre- publik Deutschland berührt. Dass dies in den Begründungen zur AWV nicht im Einzelnen dargelegt, sondern lediglich auf "sensitive" Staaten verwiesen und ausgeführt wird, diese blieben "zum Teil (…) sichtbar hinter Friedensprozessen in ihren Regionen zurück", ist mit Blick auf die Offenkundigkeit dieser Umstände unschädlich.
119
(2) Die Vorschrift des § 5 c Abs. 2 AWV ist auch geeignet, dieses gemeinschaftsrechtskonforme Ziel des Schutzes der öffentlichen Sicherheit zu erreichen, weil potentiell gefährdende Ausfuhren durch die Exportkontrolle verhindert werden können. Soweit das Oberlandesgericht die Geeignetheit "gemeinschaftsrechtlich betrachtet" in Abrede stellt, weil das Ziel einer restriktiven Exportkontrolle wegen der Gefahr einer Ersatzlieferung aus einem anderen Mitgliedsstaat nicht erreicht werden könne, ist dies im Ansatz verfehlt. Zweck des § 5 c Abs. 2 AWV ist nicht eine gemeinschaftsrechtliche restriktive Exportkontrollpolitik , sondern der Schutz der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland. Diese können durch die Lieferung von Waren aus einem anderen europäischen Land erkennbar nicht beeinträchtigt werden.
120
(3) Die Regelung erweist sich auch als erforderlich und angemessen, um den damit bezweckten Schutz der öffentlichen Sicherheit zu erreichen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung bestehen keine Bedenken dagegen, dass dem Ausführer Informations- und Wartepflichten auch in den seltenen - eher nur theoretisch denkbaren (vgl. dazu unten B. II. 3. a) dd)) - Fällen auferlegt werden , in denen sich die beabsichtigte Ausfuhr nach einer Prüfung durch das BAFA letztlich als nicht genehmigungspflichtig erweist. Da es sich um verwendungsbezogene Kontrollen handelt, die an die Kenntnis des Ausführers von der militärischen Endverwendung in dem Empfängerland anknüpfen, würde die Ablehnung einer Informationspflicht den nach Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO zulässigen Genehmigungsvorbehalt vereiteln, weil das BAFA keine Kenntnis von dem Ausfuhrvorgang erlangte und deshalb über eine Genehmigungspflichtigkeit nicht entscheiden könnte. Ohne eine Wartepflicht könnte der Exporteur gleichsam , ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, die Güter vor einer Entscheidung des BAFA ausführen; auch dadurch würde der Genehmigungsvorbehalt unterlaufen.
121
Die Einschaltung des BAFA ermöglicht zudem eine einzelfallbezogene Prüfung der beabsichtigten Ausfuhr und stellt sich daher - im Vergleich zu dem nach Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO entgegen der Auffassung der Verteidigung grundsätzlich zulässigen Genehmigungsvorbehalt oder gar der Untersagung jeglicher Ausfuhr - als flexiblere Maßnahme dar, die die Berücksichtigung der Ausfuhrfreiheit erlaubt. Als gegenüber den von der Ermächtigungsnorm gestatteten Maßnahmen milderes Mittel erweist sich die Vorschrift damit auch als angemessen im engeren Sinne.
122
(4) Schließlich ist es auch nicht grundsätzlich unverhältnismäßig, bereits an die Ausfuhr unter Verstoß gegen die von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO gedeckte (dazu oben B. II. 3. a) bb) (3)) und zur Wahrung des zulässigen Genehmigungsvorbehalts erforderliche Informationsund Wartepflicht eine Sanktion zu knüpfen. Es handelt sich hierbei gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 3 AWV, § 33 Abs. 1 AWG um eine Ordnungswidrigkeit, die erst bei Hinzutreten weiterer gewichtiger Umstände (vgl. oben B. II. 2. d)) als Straftat verfolgt werden kann; es stehen damit flexible Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dass jegliche Sanktionierung gemeinschaftsrechtlich schlicht unzulässig sein sollte, ist nicht ersichtlich.
123
dd) Nach den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Bestimmtheit, der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit muss eine Regelung, die in Bezug auf gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten eine Beschränkung enthält, klar und deutlich sein, damit der Rechtsunterworfene seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen kann (Pernice/Mayer aaO nach Art. 6 EUV Rdn. 295 m. zahlr. Nachw. zur ständigen EuGH-Rechtsprechung; EuGH NJW 2003, 2663, 2665). Diesen Anforderungen genügt § 5 c Abs. 2 AWV:
124
(1) Bei Kenntnis von der militärischen Endverwendung der auszuführenden Güter in einem Land der Länderliste K hat der Ausführer das BAFA zu unterrichten , das alsdann zunächst über die Genehmigungspflicht zu entscheiden hat. Die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht ergeben sich aus § 5 c Abs. 1 AWV. Danach ist die Ausfuhr genehmigungspflichtig, wenn der Ausführer (wiederum) vom BAFA unterrichtet worden ist, dass die Güter ganz oder teilweise für eine militärische Endverwendung bestimmt sind oder bestimmt sein können und das Käufer- oder Bestimmungsland ein Land der Länderliste K ist. Die Unterrichtung des Ausführers durch das BAFA ist für die Genehmigungspflicht daher auch in Fällen des § 5 c Abs. 2 AWV konstitutiv (Weith/Wegner/Ehrlich aaO S. 122); die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht sind klar und deutlich festgelegt. Die von der Verteidigung vertretene Auffassung , es bleibe mangels im Gesetz oder der Verordnung festgeschriebener Voraussetzungen der Exekutive überlassen, ob und warum von der europarechtlichen Ermächtigung zum Erlass nationaler Sonderregelungen Gebrauch gemacht werde, geht deshalb fehl.
125
Diesem Ergebnis kann auch nicht der systematische Einwand entgegengehalten werden, entgegen dem Wortlaut des § 5 c Abs. 2 AWV könnten keine Fälle auftreten, in denen das BAFA zu dem Ergebnis einer Genehmigungsfreiheit komme. Es erscheint zwar nur in seltenen Fällen - etwa, wenn sich die Erkenntnisse des Ausführers letztlich als unzutreffend erweisen - denkbar, dass das BAFA trotz Unterrichtung durch den Ausführer von seiner Kenntnis der militärischen Endverwendung zu dem Ergebnis kommt, dass die Güter tatsächlich doch nicht ganz oder teilweise für eine militärische Endverwendung bestimmt sind oder bestimmt sein können; das schließt eine solche Entscheidung aber nicht aus. Der in § 5 c AWV normierte Unterrichtungsmechanismus stellt maßgeblich auf die (vermutet besseren) Behördenerkenntnisse ab und knüpft die Rechtsfolge der Genehmigungspflicht deshalb nicht an die subjektive Kenntnis des Ausführers, sondern an die Unterrichtung durch das BAFA (Weith/Wegner/Ehrlich aaO S. 125). Ein Genehmigungsvorbehalt unter den Voraussetzungen des § 5 c Abs. 1 AWV ist - entgegen der Auffassung der Verteidigung - auch von Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO gedeckt, weil in diesen Fällen eine potentielle Gefährdung der auswärtigen Beziehungen als Bestandteil des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit besteht (dazu oben B. II. 3. a) cc) (1)).
126
(2) Die Voraussetzungen für die Erteilung der hier in Betracht kommenden Ausfuhrgenehmigung ergeben sich alsdann aus den §§ 3, 7 AWG. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AWG ist eine Genehmigung zu erteilen, wenn zu erwarten ist, dass die Ausfuhr den Zweck nicht oder nur unwesentlich gefährdet, dem die Vorschrift dient, die die Genehmigungspflicht normiert. Hier bezweckt die Genehmigungspflicht den Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen im Sinne des § 7 Abs. 1 AWG, namentlich soll sie verhüten, dass die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG). Zu der Eignung zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG hat der Senat bereits entschieden, dass die Verwendung dieses Merkmals in einem Straftatbestand wegen der Vielzahl von Beziehungen, auf die der Wortlaut verweist, zwar mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich in hohem Maße problematisch ist (vgl. auch BVerfG NJW 2004, 2213, 2219), letztlich bei der gebotenen engen, konkretisierenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals aber noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (BGHSt 53, 128, 132).
Denn das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht dazu, auf auslegungsfähige Begriffe vollständig zu verzichten. Der erforderliche Grad an gesetzlicher Bestimmtheit richtet sich nach den Besonderheiten der Vorschrift und dem Grund ihrer Einführung (vgl. etwa BVerfGE 28, 175, 183; 75, 329, 341). Bei § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG wird eine konkretere Fassung der Norm durch die Komplexität der internationalen Beziehungen und die Vielfalt der Konfliktmöglichkeiten erschwert. Darüber hinaus besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die gemeinsamen Interessen, welche die Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten verbinden, gerade auch auf dem Gebiet der Außenwirtschaft - nötigenfalls durch Strafbestimmungen - zu wahren (BGHSt aaO).
127
Nicht anders verhält es sich bei der vom Wortlaut her sehr ähnlichen Bestimmung des § 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG auch mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Es handelt sich um eine verwaltungsrechtliche Vorschrift , die - anders als § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG - bereits präventiv eingreift, indem sie eine Gefährdung der auswärtigen Beziehungen verhüten soll. Dabei gibt sie der Verwaltung den gerichtlich überprüfbaren Rahmen vor, innerhalb dessen entschieden werden muss, ob für eine genehmigungspflichtige Handlung im Außenwirtschaftsverkehr die Genehmigung erteilt wird. Bei den in § 7 Abs. 1 AWG genannten Zwecken handelt es sich um hochrangige Ziele mit grundlegender Bedeutung für den Schutz anderer Rechtsgüter (BVerfG NJW 1995, 1537, 1538). Die Komplexität der internationalen Beziehungen verhindert auch hier eine konkretere Gesetzesfassung und erlaubt deshalb die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe; die Forderung nach einer konkreteren Gesetzesfassung könnte vielmehr dazu führen, dass dem Gesetzgeber die Mittel versagt werden, derer er zur Gestaltung störungsfreier auswärtiger Beziehungen bedarf (BVerfG NJW 1993, 1909, 1910).
128
Die Gegenauffassung des Oberlandesgerichts würde darauf hinauslaufen , dass sämtliche Vorschriften, die unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden und deshalb einer konkretisierenden Auslegung durch die sie anwendenden Behörden oder in einem Verfahren durch die Gerichte bedürfen, wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht unbeachtlich wären. Dies ist unvertretbar.
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Das zeigt sich schon daran, dass auch der europäische Verordnungsgeber - etwa mit dem Begriff der öffentlichen Sicherheit in Art. 5 Abs. 1 Dual-UseVO - unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die im gerichtlichen Verfahren - nicht zuletzt vor dem Gerichtshof der Europäischen Union - einer Auslegung - etwa mit dem Ergebnis, dass zur äußeren Sicherheit eines Mitgliedsstaates auch seine auswärtigen Beziehungen zu zählen sind - unterzogen werden (vgl. EuGH NVwZ 1996 365; wistra 1996, 57), ohne dass wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot ihre Gemeinschaftsrechtswidrigkeit postuliert würde. Die vom Oberlandesgericht zitierte Rechtsprechung ist nicht einschlägig, betraf sie doch einen Fall, in dem der spanische Gesetzgeber die Erteilung einer Genehmigung in das freie Ermessen einer Behörde gestellt hatte, ohne jegliche gesetzliche Vorgaben für die Ermessensausübung zu machen (EuGH NJW 2003, 2663, 2666).
130
ee) Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist § 5 c AWV auch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts unbeachtlich. Es handelt sich um eine nationale Vorschrift, die kompetenzrechtlich zulässig ist, weil die auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik bestehende Sperrwirkung wegen der Öffnungsklausel in Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO entfällt (vgl. oben B. II. 3. a) bb) (1)). Ein Anwendungsvorrang europäischen Rechts besteht damit gerade nicht. Der Verordnungsgeber hat in § 5 c Abs. 3 AWV zudem klarstellend geregelt, dass § 5 c Abs. 1 und 2 AWV im Regelungsbereich von Art. 4 Dual-Use-VO nicht gelten und so den Anwen- dungsvorrang von Gemeinschaftsrecht herausgestellt. Ein darüber hinausgehendes "Zitiergebot" - wie von der Verteidigung offenbar gefordert -, um deutlich zu machen, dass § 5 c Abs. 2 AWV im Licht von Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO ausgelegt werden müsse, besteht gemeinschaftsrechtlich nicht.
131
b) Auch § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG erweist sich nicht als gemeinschaftsrechtswidrig.
132
aa) Seine entgegenstehende Auffassung begründet das Oberlandesgericht erneut mit einer vermeintlich fehlenden Abwägung des Gesetzgebers zur Frage der Verhältnismäßigkeit der strafrechtlichen Sanktion, die nicht durch eine Auslegung durch die Gerichte ersetzt werden könne. Dieser Ansatz ist - wie zu § 5 c Abs. 2 AWV bereits dargelegt (oben B. II. 3. a) aa)-cc) (1)) - rechtlich unzutreffend.
133
Bei der gebotenen restriktiven Auslegung von § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG, die im Zusammenhang mit Verstößen gegen § 5 c Abs. 2 AWV das Hinzutreten gewichtiger Umstände erfordert, um das Merkmal der Gefährdungseignung bejahen zu können (dazu oben B. II. 2. d)), ergeben sich auch weder im Hinblick auf die Ausgestaltung des Straftatbestandes als (richtig:) abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt noch mit Blick auf den gewählten Strafrahmen, der von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht, Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der strafrechtlichen Sanktionierung. Die Schaffung von Straftatbeständen fällt - trotz der mittlerweile erweiterten Kompetenzen der Europäischen Union - als zentrale Aufgabe der staatlichen Gewalt, die die demokratische Selbstbestimmung besonders empfindlich berührt, in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten (BVerfG NJW 2009, 2267, 2274, 2287). Dies gilt auch im Bereich des Außenwirtschaftsrechts, das auf der Ebene des Verwaltungsrechts weitgehend von der in der ausschließlichen Zuständigkeit der Union liegenden gemeinsamen Handelspolitik überlagert wird; insoweit dürfen die Strafen, wenn sich die nationale Exportkontrollvorschrift aus der Öffnungsklausel des Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO herleitet, nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel der öffentlichen Sicherheit stehen (vgl. EuGH wistra 1996, 57, 59). Angesichts der Hochrangigkeit dieses Rechtsguts (vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1537, 1538) sind Anhaltspunkte dafür nicht ersichtlich.
134
bb) Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Vorschrift des § 5 c Abs. 2 AWV, an die vorliegend die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG anknüpft, um eine Exportkontrollvorschrift handelt, deren Erlass nicht aufgrund internationaler Verpflichtungen geboten war. Auch außerhalb der internationalen Zusammenarbeit im Sinne von § 7 Abs. 2 AWG können Maßnahmen zum Schutz der auswärtigen Beziehungen geboten sein, etwa wenn der Export der Waren allgemein oder in bestimmte Länder gerade der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer historischen, geographischen oder politischen Situation besondere Nachteile brächte (BVerfG NJW 1995, 1537, 1538; in diesem Sinne auch Generalanwalt Jacobs, Rs. C-70/94 und Rs. C-83/94, Slg. 1995, I-3189, 3191 Rdn. 43; Rs. 120/94, Slg. 1996, I-1513, 1514, Rdn. 54; Schaefer aaO S. 217; Karpenstein aaO Rdn. 2, 7 m. w. N.). Andernfalls könnten die nach Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO zulässigen nationalen Exportkontrollen nie mit einer Sanktion versehen werden, was sie weitgehend ineffektiv machen würde.
135
cc) Im Ergebnis nicht durchgreifend ist auch der Einwand der Verteidigung , dass wegen der Ähnlichkeit der Tatbestandsmerkmale des § 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG, der die Kontrollvorschrift des § 5 c Abs. 2 AWV zur Verhütung einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen gestattet, mit denen des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG, der die Strafbarkeit bei Vorliegen einer Eignung der Tat zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen normiert, kein selbständiger Anwendungsbereich für die Ahndung eines Verstoßes gegen § 5 c Abs. 2 AWV als Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 AWG verbleibe, das Gesetz damit in sich widersprüchlich und deshalb zu unbestimmt sei.
136
Diese Auffassung verkennt die unterschiedlichen Normzwecke der beiden Regelungen. Während - wie sich bereits aus dem Wort "verhüten" ergibt - § 7 Abs. 1 Nr. 3 AWG einen präventiven Ansatz verfolgt und - so etwa im Fall des § 5 c AWV - die Aufstellung abstrakter Kriterien erlaubt, bei deren Verwirklichung typischerweise eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen droht, und an deren Erfüllung eine Beschränkung des Außenwirtschaftsverkehrs knüpft, ist im Rahmen des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu fragen, ob die Handlung tatsächlich die Eignung zur erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen aufwies. Ob also ein Verstoß gegen eine auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 AWG - und damit auch nach Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO - zulässigerweise erlassene Beschränkung nicht nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt, sondern nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG mit Strafe bedroht wird, ist Tatfrage. Aufgrund der restriktiven Auslegung des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG insbesondere im Zusammenhang mit Verstößen gegen § 5 c Abs. 2 AWV (dazu oben B. II. 2. d)) verbleibt ein genügend großer selbständiger Anwendungsbereich für eine Ahndung von Verstößen gegen § 5 c Abs. 2 AWV als Ordnungswidrigkeit.
137
c) Schließlich ist auch § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG nicht wegen einer Missachtung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts (Art. 249 Abs. 2 EGV, jetzt: Art. 288 Abs. 2 AEUV) unbeachtlich.
138
§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG stellt die ungenehmigte Ausfuhr und Verbringung von mehreren im Einzelnen aufgezählten, in Teil I Abschnitt C der nationalen Ausfuhrliste (Anlage AL zur AWV) genannten Gütern unter Strafe. In Teil I Abschnitt C der Ausfuhrliste wird die Dual-Use-Liste, die als Anhang I Be- standteil der unmittelbar geltenden Dual-Use-VO ist, wiedergegeben. Dadurch kommt es indes nicht zu einer gemeinschaftsrechtlich unzulässigen Wiederholung der unmittelbar geltenden Verordnung; eine solche wird vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nur angenommen , wenn dadurch die unmittelbare Geltung der Verordnung vereitelt oder aufs Spiel gesetzt würde, etwa weil die Normadressaten über den Gemeinschaftscharakter einer Rechtsnorm im Unklaren gelassen werden (EuGH Rs. C34 /73, Slg. 1973, 981, 990 Rdn. 10 f.; Rs. C-94/77, Slg. 1978, 99, 101, Rdn. 22/27; Rs. C-272/83, Slg. 1985, 1057, 1066, Rdn. 26). Im Regelungsbereich der Dual-Use-VO, d. h. soweit darin Genehmigungsvorbehalte für die Ausfuhr oder Verbringung von Dual-Use-Gütern oder nunmehr auch in Bezug auf Vermittlungstätigkeiten normiert werden, verweist das deutsche Recht jedoch in keinem Fall auf die in der Ausfuhrliste wiedergegebene Dual-Use-Liste, eine Genehmigungspflicht ergibt sich insoweit nur aus der Dual-Use-VO im Zusammenhang mit deren Anhang I.
139
Soweit darüber hinausgehende nationale Exportkontrollvorschriften (z. B. § 7 Abs. 2, § 40 Abs. 2 AWV) auf die in der Ausfuhrliste wiedergegebenen Positionen der Dual-Use-Liste verweisen, wird der Vorrang von Gemeinschaftsrecht nicht berührt bzw. verschleiert, weil die Dual-Use-VO insoweit keine Regelungen trifft. Die doppelte Erfassung der Dual-Use-Güter im europäischen Anhang I wird vom Verordnungsgeber vielmehr gerade wegen der nationalen Genehmigungspflichten für die "Technische Unterstützung" als notwendig angesehen (HADDEX Bd. 1, Teil 1 Rdn. 25; vgl. dazu auch Weith/Wegner/Ehrlich aaO S. 159).
140
Der Rechtsanwender wird über den Gemeinschaftscharakter auch nicht im Unklaren gelassen, weil die Ausfuhrliste hinreichend deutlich macht, dass es sich bei den Positionen in Teil I Abschnitt C um eine Güterliste mit europarecht- lichen Ursprung handelt. Das ergibt sich bereits aus der Überschrift zu Abschnitt C, die "Gemeinsame Liste der Europäischen Union für Güter mit doppeltem Verwendungszweck" lautet (so auch Simonsen/Beutel in Wolffgang /Simonsen aaO Art. 3 Dual-Use-VO Rdn. 17). In den Hinweisen zur Anwendung der Ausfuhrliste wird ebenfalls festgestellt, dass Abschnitt C die Gemeinsame Liste enthält.
141
Selbst wenn mit einer in der Literatur vertretenen Ansicht die Wiedergabe der europäischen Dual-Use-Liste in Teil I Abschnitt C der nationalen Ausfuhrliste wegen eines Verstoßes gegen den Anwendungsvorrang als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen wäre (Bieneck in Wolffgang/Simonsen aaO § 34 Abs. 1 AWG Rdn. 10; Wolffgang in Bieneck aaO § 4 Rdn. 57; Krach, Die Europäisierung des nationalen Außenwirtschaftsstrafrechts S. 191 f.; Samson/Gustafsson wistra 1996, 201, 208 ff.; aA Bieneck in Bieneck aaO § 23 Rdn. 43; ders. in Ehlers /Wolffgang, Rechtsfragen der Exportkontrolle S. 77, 86; Morweiser in Wolffgang /Simonsen aaO § 34 Abs. 4 AWG Rdn. 34; Simonsen/Beutel aaO; Friedrich aaO Art. 1 Dual-Use-VO Rdn. 6), würde dies nicht zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG führen. Denn der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang bewirkt nicht etwa die Nichtigkeit der mit dem europäischen Recht kollidierenden Norm. Die nationale Vorschrift behält ihre Gültigkeit und ist auf Sachverhaltskonstellationen, in denen das Gemeinschaftsrecht keine Regelungskompetenz beansprucht, weiter anwendbar (h. M.; vgl. Ruffert in Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union 3. Aufl. Art. 249 EGV Rdn. 24; Nettesheim in Grabitz/Hilf aaO Art. 249 EGV Rdn. 42, jeweils m. w. N.). Daraus ergibt sich hier: Eine Kollision zwischen Teil I Abschnitt C der nationalen Ausfuhrliste und der Güterliste in Anhang I der gemeinschaftsrechtlichen Dual-Use-VO könnte allenfalls im (verwaltungsrechtlichen) Bereich der gemeinsamen Handelspolitik auftreten, in dem die Union eine Regelungskompetenz besitzt. Für die strafrechtliche Bewehrung von Verstößen gegen diese verwaltungsrechtlichen Vorschriften sind indes allein die Mitgliedsstaaten zuständig; eine Rechtssetzungskompetenz der Union besteht insoweit nicht (BGHSt 41, 127, 131 f.; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts S. 499 ff.; Bieneck in Bieneck aaO; Morweiser aaO; vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 14 der Dual-Use-VO, Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 bzw. Erwägungsgrund Nr. 19 der aktuellen Fassung, Verordnung (EG) Nr. 428/2009, die den Mitgliedsstaaten aufgeben, - wirksame, verhältnismäßige und abschreckende - Sanktionen für den Fall eines Verstoßes festzulegen). Für die Strafbewehrung in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG wirkt die Wiedergabe der von der Vorschrift in Bezug genommenen Positionen aus der gemeinschaftsrechtlichen Dual-UseListe in der nationalen Ausfuhrliste konstitutiv (BGHSt aaO S. 132; Bieneck in Bieneck aaO; Morweiser aaO). Die Parallelregelung vermag damit die Wirksamkeit der in der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesrepublik liegenden Strafvorschrift nicht zu beeinträchtigen.
142
Der Senat kann deshalb offen lassen, ob die Handlungen des Angeklagten im Fall 19 der Anklage - bei Annahme der Unbeachtlichkeit des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG - als ungenehmigte Ausfuhr eines in Anhang I zu Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO gelisteten Gutes nach § 34 Abs. 2 Nr. 3, § 33 Abs. 4 AWG, § 70 Abs. 5 a Nr. 1 AWV strafbar wären.
143
4. Bei den hier anzuwendenden Vorschriften des AWG und der AWV ergeben sich auch keine durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit.
144
a) Soweit die Verteidigung auf die mangelnde Bestimmtheit von § 5 c Abs. 2 AWV bzw. auf die darin enthaltene Normierung von Informations- und Wartepflichten abstellt, wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Prüfung nach Gemeinschaftsrecht verwiesen (oben B. II. 3. a) bb) (3), cc) (3) und dd)); dass hier mit Blick auf das nationale Verfassungsrecht im Ergebnis andere Grundsätze gelten könnten, ist nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Hinblick auf die gerügte Unverhältnismäßigkeit von § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG (vgl. dazu oben B. II. 2. d) und B. II. 3. a) cc)).
145
b) Die Frage, ob die Bundesregierung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG aufgrund der Ermächtigungsgrundlagen in § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 1 AWG zum Erlass von Ausfuhrbeschränkungen in der AWV ermächtigt war, ist verfassungsrechtlich bereits geklärt; das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit - insbesondere im Hinblick auf den in Art. 80 Abs. 1 GG verankerten Wesentlichkeitsgrundsatz - bejaht (BVerfG NJW 1995, 1537). Die Ansicht der Verteidigung , der Gesetzgeber habe nach der Einführung der Dual-Use-VO (erneut ) selbst entscheiden müssen, ob er den Verordnungsgeber zum Erlass von Rechtsvorschriften aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO ermächtigt, geht bereits deshalb fehl, weil die entsprechenden Regelungen in der AWV schon vorher bestanden. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 3381/1994 sah zudem ausdrücklich vor, dass bestehende nationale Beschränkungsmaßnahmen zulässig blieben; dass diese Rechtslage durch die Neuregelung im Jahr 2000 geändert werden sollte, ist nicht ersichtlich. Da sich mit § 7 Abs. 1 AWG die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Ausfuhrbeschränkungen in der AWV bereits vor der Neuregelung des Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO auf Beschränkungen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit bezog (vgl. EuGH NVwZ 1996, 365, 366; wistra 1996, 57, 58), hatte der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über das "Ob", die Art und die Gründe von Beschränkungen (dazu BVerfG NJW 1995, 1537) zudem schon vorher im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht getroffen; einer erneuten Entscheidung des Gesetzgebers, die Bundesregierung zum Erlass solcher Vorschriften zu ermächtigen, bedurfte es deshalb nicht.
146
Aus der fehlenden Nennung von Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO in der AWV ergibt sich auch kein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG. Rechtsgrundlage für die AWV sind § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 1 AWG, nicht Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO. Diese Vorschrift stellt eine Öffnungsklausel dar, die den Mitgliedsstaaten auf dem in der Zuständigkeit der Union liegenden Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik den Raum zum Erlass autonomer, nationaler Vorschriften gibt. Diese müssen sich in dem Rahmen der Öffnungsklausel halten, eine darüber hinausgehende "Ermächtigungswirkung" mit der Folge eines "Zitiergebots" kommt Art. 5 Abs. 1 Dual-Use-VO nicht zu (oben B. II. 3. a) bb) und ee); vgl. insoweit auch BVerfG NJW 1977, 2024).
147
c) Die Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 103 Abs. 2 GG. Durch die Regelung, dass die Ausfuhr der im Einzelnen aufgeführten Positionen ohne Genehmigung strafbar ist, ergibt sich der wesentliche Inhalt des pönalisierten Verhaltens aus der Vorschrift selbst. Woraus die Genehmigungspflicht im Einzelnen folgt (hier: Art. 3 Abs. 1 Dual-Use-VO i. V. m. Anhang I), ist für die Frage der Gesetzesbestimmtheit der Strafnorm ohne Bedeutung.
148
d) Schließlich ist - ohne dass ersichtlich wird, dass insoweit ein Verstoß gegen Verfassungsrecht in Rede steht - die Rechtsauffassung der Verteidigung unzutreffend, dass die fehlende Genehmigung Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 1 AWG sei, weshalb Verstöße gegen § 5 c Abs. 2 AWV nicht von dessen Schutzzweck erfasst seien. Richtig ist, dass Schutzgut des § 33 Abs. 1 AWG der staatliche Genehmigungsvorbehalt ist (Diemer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 169. ErgLfg. § 33 AWG Rdn. 2 m. w. N.). Diesem Schutzzweck dient indes auch § 5 c Abs. 2 AWV (vgl. oben B. II. 3. a) bb) (3)). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 33 Abs. 1 AWG kommt es im Übrigen aber nur auf die Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 1 AWG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 oder § 7 Abs. 1 AWG sowie darauf an, dass die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf die Bußgeldvorschrift des § 33 Abs. 1 AWG verweist. Diese Funktion übernimmt § 70 Abs. 1 Nr. 3 AWV, der die Ausfuhr unter Verstoß gegen § 5 c Abs. 2 AWV als Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 33 Abs. 1 AWG bestimmt.
149
5. Der danach auch in rechtlicher Hinsicht bestehenden hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit steht nicht entgegen, dass die Taten des Angeklagten nach dem heute geltenden Recht nicht mehr als Verstöße gegen § 5 c Abs. 2 AWV geahndet werden können. Ein Fall des § 2 Abs. 3 StGB, der zur teilweisen Straflosigkeit des Angeklagten führen könnte, liegt nicht vor. Eine im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB relevante Gesetzesänderung scheidet aus, wenn unter Berücksichtigung des gesamten Rechtszustandes der Unrechtskern des Delikts durch die Umgestaltung eines Tatbestandes erhalten geblieben ist (Gribbohm in LK 12. Aufl. § 2 Rdn. 62 f.).
150
So verhält es sich hier: Nachdem gegenüber dem Iran gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt 2007/246/GASP des Rates der Europäischen Union vom 23. April 2007 (ABl. L 106 S. 67) ein Waffenembargo ausgesprochen wurde , unterfällt die Ausfuhr nicht gelisteter Güter, bei denen dem Ausführer bekannt ist, dass sie für eine militärische Endverwendung in diesem Land bestimmt sind, den Vorschriften der Art. 4 Abs. 2 und 4 Dual-Use-VO. Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen ist nach § 34 Abs. 2 Nr. 3, § 33 Abs. 4 AWG, § 70 Abs. 5 a Nr. 3 AWV strafbar und damit den gleichen Tatbestandsvoraussetzungen und der gleichen Strafdrohung unterworfen. Es verbleibt damit bei der Anwendung des Rechts zur Tatzeit (§ 2 Abs. 2 StGB).
151
III. Zuständig zur Durchführung des Hauptverfahrens ist gemäß § 74 Abs. 1, § 74 c Abs. 1 Nr. 3 GVG die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München II. Die allein nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG in Betracht kommende Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München, zu dem der Generalbundesanwalt die Anklage erhoben hat, ist nicht gegeben; denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
152
Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a GVG ist bei Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gegeben , wenn die Tat nach den Umständen geeignet ist, die äußere Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden ; diese Voraussetzung kann hier noch bejaht werden (vgl. oben B. II. 1. d)). Zusätzlich muss dem Fall aber noch besondere Bedeutung zukommen (Hannich in KK aaO § 120 GVG Rdn. 4 d). Daran fehlt es hier:
153
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind an die Bejahung der besonderen Bedeutung im Sinne des § 120 GVG mit Blick auf die in der Übernahmeerklärung durch den Generalbundesanwalt liegenden Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) und des Eingriffs in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (vgl. Art. 96 Abs. 5 GG) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. zuletzt BGHSt 53, 128, 140 f. m. zahlr. Nachw.). Eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 GVG kann selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches Unrecht verwirklicht und daher staatliche Sicherheitsinteressen in besonderer Weise beeinträchtigt, nicht allein aus diesem Grund das Evokationsrecht des Generalbundesanwalts begründen. Dies gilt auch in den Fällen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG, denn die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist in erster Linie Aufgabe der Länder; die Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit ausübenden Organe ist daher nur bei einem spezifischen, ausreichend gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen gegeben (BGHSt aaO S. 142). Ob ein solcher vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts ihres Angriffs auf den Gesamtstaat zu entscheiden. Allein die Schwere der Tat und das Ausmaß der von ihr hervorgerufenen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter vermag für sich die besondere Bedeutung nicht zu begründen; allerdings können die konkrete Tatund Schuldschwere den Grad der Gefährdung bundesstaatlicher Belange durchaus mitbestimmen (vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 120 Rdn. 6). Von Bedeutung kann auch sein, ob aufgrund der Erheblichkeit des Delikts eine Verfolgung mit besonderer Sachkunde geboten und angesichts des Auslandsbezuges ein spezieller Ermittlungsaufwand erforderlich erscheint. Bei der Beurteilung der besonderen Bedeutung ist zudem zu erwägen, inwieweit die konkrete Tat den Gesamtstaat etwa durch eine Schädigung des Ansehens Deutschlands in der Staatengemeinschaft zu beeinträchtigen vermag (vgl. BTDrucks. 16/3038 S.

31).

154
Nach diesen Maßstäben ist die besondere Bedeutung des Falles hier im Ergebnis zu verneinen. Zwar hat der Angeklagte über einen langen Zeitraum immer wieder Güter in den Iran geliefert und es besteht aufgrund der Einbindung der Schweiz und der Türkei auch ein vielschichtiger Auslandsbezug. Mit Blick auf die ausgeführten Waren, bei denen es sich ganz überwiegend um ungelistete und damit nicht per se besonders gefährliche Dual-Use-Güter handelte , die aus anderen Staaten der Europäischen Union im Tatzeitraum genehmigungsfrei in den Iran ausgeführt werden konnten, lässt sich zwar - vor dem Hintergrund der erheblichen Kontrolldefizite bei den beteiligten Zollämtern - noch die Gefährdungseignung bejahen; in einer Gesamtschau der Umstände und Auswirkungen stellen sich die Taten aber nicht als derart gewichtiger Angriff auf die Interessen des Gesamtstaates dar, dass sie die Begründung der Bundesgerichtsbarkeit noch rechtfertigen.
155
IV. Der Senat kann wie geschehen auch zur Frage der Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht befinden. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 234 EGV (jetzt: Art. 267 AEUV) bedarf es im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht.
156
Der Senat ist - auch wenn gegen den vorliegenden Beschluss ein weiteres , innerstaatliches Rechtsmittel nicht gegeben ist - nicht als letztinstanzliches Gericht im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EGV (Art. 267 Abs. 3 AEUV) tätig; denn die nach § 210 Abs. 3 StPO zu treffende Entscheidung stellt sich hier als Eröffnungsbeschluss dar. Das eröffnende Gericht judiziert indes nie als letztinstanzliches Gericht, weil sich an seine Entscheidung das Hauptverfahren erst anschließt (Stuckenberg aaO § 202 Rdn. 13).
157
Es kann deshalb offen bleiben, ob im Übrigen die Voraussetzungen einer Vorlagepflicht, die gegebenenfalls erst in einem späteren Revisionsverfahren entstehen könnte, vorlägen. Gegenstand eines Vorlageverfahrens an den Gerichtshof der Europäischen Union kann nur die Auslegung oder die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht sein (Karpenstein aaO Art. 234 EGV Rdn. 19; Wegener in Callies/Ruffert aaO Art. 234 EGV Rdn. 3). Die gemeinschaftsrechtlich anerkannten rechtsstaatlichen Grundsätze, insbesondere das Bestimmtheitsgebot und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind beim innerstaatlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu beachten, so dass Fragen zu deren Tragweite dem Gerichtshof vorgelegt werden können (Karpenstein aaO Rdn. 22 m. w. N.). Ob eine innerstaatliche Maßnahme aber letztlich zur Erreichung eines gemeinschaftsrechtlich legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist, entscheiden die mitgliedsstaatlichen Gerichte in eigener Kompetenz (vgl. nur EuGH wistra 1996, 57, 59). Ausnahmen von der Vorlagepflicht bestehen auch dort, wo sich zu der zu stellenden Frage bereits eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus einer in einem gleichgelagerten Fall ergangenen Vorabentscheidung, gebildet hat (Wegener aaO Rdn. 28), sowie in Fällen, in denen die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (acte-clair-Doktrin, vgl. Karpenstein aaO Rdn. 57 m. zahlr. Nachw.).
158
Nach diesen Grundsätzen könnte hier eine Vorlage zur Frage der Auslegung des Begriffs der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 DualUse -VO entbehrlich erscheinen, nachdem der Gerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, dass davon auch die auswärtigen Interessen eines Mitgliedsstaates umfasst sein können (EuGH NVwZ 1996, 365, 366; wistra 1996, 57, 58). Zu der Frage, ob die Befugnis, die Ausfuhr mit einem Genehmigungsvorbehalt zu versehen oder zu untersagen, auch die Normierung einer Informations - und Wartepflicht wie in § 5 c Abs. 2 AWV gestattet, wobei sich die Genehmigungspflicht an die konstitutive Unterrichtung durch das BAFA knüpft, könnten Auslegungsfragen im Hinblick auf die Reichweite des Art. 5 Abs. 1 Dual -Use-VO entstehen; angesichts der auch in Art. 4 Abs. 4 Dual-Use-VO verwendeten identischen Regelungstechnik könnte die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts insoweit allerdings in dem Sinne offenkundig sein, dass die entsprechende Befugnis besteht.
159
Zur Frage der Verhältnismäßigkeit und der Bestimmtheit von § 5 c Abs. 2 AWV dürfte hier die Prüfung vorrangig sein, ob die nationale Vorschrift den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen genügt, wobei deren Tragweite auch mit Blick auf Beschränkungen im Außenwirtschaftsrecht wiederum durch den Gerichtshof hinreichend geklärt sein könnte (EuGH aaO).
160
Zur Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWG könnte bereits zweifelhaft sein, ob überhaupt die Auslegung von Gemeinschaftsrecht in Rede steht, will man nicht die Reichweite des Anwendungsvorrangs - allerdings entgegen der referierten herrschenden Meinung - zum Gegenstand einer Anfrage machen.

C.

161
Die Beschwerde des Generalbundesanwalts, mit der er die vom Oberlandesgericht getroffenen Nebenentscheidungen - die Aufhebung der Beschlagnahme - und Arrestbeschlüsse des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof - angreift, hat ebenfalls überwiegend Erfolg.
162
Nach den obigen Ausführungen zum hinreichenden Tatverdacht liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass die beschlagnahmten Gegenstände aus den Gründen des in der Anklageschrift enthaltenen Antrags des Generalbundesanwalts der Einziehung unterliegen und dass gegen den Ange- klagten - allerdings nur im Umfang, in dem der Senat die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung durch Beschluss vom 19. Juni 2009 (StB 19/09) ausgesetzt hat - der Wertersatzverfall angeordnet werden wird. Die Arrestanordnungen waren deshalb im bestehengebliebenen Umfang nicht wegen Zeitablaufs nach § 111 b Abs. 3 StPO aufzuheben, die Voraussetzungen für die beantragte Neuanordnung der Beschlagnahmen liegen vor. Becker Pfister RiBGH von Lienen befindet sich im Urlaub undist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Sost-Scheible Schäfer

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 98/06
Verkündet am:
22. März 2007
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der in ein Anlagemodell als Mittelverwendungskontrolleur eingebundene Wirtschaftsprüfer
ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Anlageinteressenten, der
vor seinem Beitritt einen Prospekt u.a. mit dem - allgemein verständlichen -
Text des abzuschließenden Mittelverwendungskontrollvertrages erhalten hat,
über Reichweite und Risiken dieses Vertrages aufzuklären.
BGH, Urteil vom 22. März 2007 - III ZR 98/06 - OLG München
LG München I
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Streck, Dr. Kapsa, Dörr und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. April 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger erwarb durch auf Abschluss einer "Beitrittsvereinbarung" gerichtete Erklärungen vom 20. Dezember 1998 und vom 3. März 1999 Beteiligungen an der C. Gesellschaft für Internationale Filmproduktion mbH & Co. Zweite Medienbeteiligungs KG (im Folgenden: C. II) in Höhe von insgesamt 100.000 DM und vom 30. Dezember 2000 an der C. Gesellschaft für Internationale Filmproduktion mbH & Co. Vierte Medienbeteiligungs KG (im Folgenden: C. IV) in Höhe von 25.000 DM. Gegenstand der Anlegergesellschaften ist die Entwicklung, die Herstellung und der Erwerb sowie die Beteiligung an Film- und Fernsehproduktionen im In- und Ausland, die Auswertung von Verleihrechten und der Lizenzhandel sowie die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Unternehmen, die Geschäfte auf dem gleichen Gebiet tätigen. Die für C. II und C. IV im Wesentlichen gleichartigen Anlagemodelle, die in den jeweils von der persönlich haftenden Gesellschafterin der Anlegergesellschaft herausgegebenen Prospekten - unter Beifügung von Mustern der von den Beteiligten abzuschließenden Verträge - beschrieben wurden, gingen dahin, dass die Beteiligung der Anleger an der Kommanditgesellschaft jeweils über die beklagte Wirtschaftsprüfergesellschaft als Treuhandkommanditistin erfolgen sollte. Dementsprechend hatte der Anleger unter anderem mit der Beklagten einen "Treuhandvertrag" abzuschließen. Da zum prospektierten Angebot auch gehörte , dass die Zahlungen zur Filmproduktion sowie der Gebühren von der Freigabe durch eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft abhängig sein sollten (Mittelfreigabe), schloss der Anleger darüber hinaus mit der Beklagten bei C. II einen "Mittelverwendungskontrollvertrag", für C. IV war ein einheitliches Vertragswerk "Treuhandvertrag und Mittelverwendungskontrolle" konzipiert.
2
Der Mittelverwendungskontrollvertrag für C. II enthält unter anderem folgende Bestimmungen: § 1 Gegenstand des Mittelverwendungskontrollvertrages 1. Die Mittelverwendungskontrolleurin wird beauftragt, eine Mittelverwendungskontrolle der von den Anlegern zu leistenden Einlagen in dem in diesem Vertrag näher bestimmten Umfang durchzuführen.
2. Die Aufgaben und Rechte der Mittelverwendungskontrolleurin bestimmen sich nach diesem Vertrag. Weitere Pflichten übernimmt die Mittelverwendungskontrolleurin nicht. Insbesondere prüft sie nicht die Verwirklichung oder Verwirklichbarkeit des Gesellschaftszwecks der Gesellschaft, der jeweiligen Koproduzentin oder der Koproduktionsgemeinschaft, die Wirksamkeit und Rechtsfolgen der von der Gesellschaft abgeschlossenen Verträge, insbesondere des Kooperationsvertrages, die Wirtschaftlichkeit der von der Gesellschaft, der jeweiligen Koproduzentin bzw. der Koproduktionsgemeinschaft durchgeführten Investitionen , die Bonität der Personen bzw. Unternehmen, an die die Mittel entsprechend den Bestimmungen dieses Vertrages weitergeleitet werden sowie die Werthaltigkeit der gegenüber der Gesellschaft, der jeweiligen Koproduzentin bzw. der Koproduktionsgemeinschaft erbrachten Leistungen …
§ 2 Aufgaben der Mittelverwendungskontrolleurin/Mittelfreigabe/ Risiken aus vorzeitiger Mittelfreigabe 1. Die Mittelverwendungskontrolleurin hat die von den Treugebern an die Treuhandkommanditistin geleisteten Einlagen inkl. Agio nach Maßgabe dieses Vertrages freizugeben, sofern und soweit die Gesellschaft die Zustimmung zur Produktion des jeweiligen Projektes im Rahmen der Koproduktionsgemeinschaft schriftlich gegenüber der Mittelverwendungskontrolleurin erteilt hat. Die Mittelverwendungskontrolleurin überprüft hierbei nicht, ob die in dem Kooperationsvertrag im einzelnen geregelten Voraussetzungen eingehalten sind und die Mittel tatsächlich entsprechend den vorgegebenen Budgets verwendet werden. 2. Die Mittelverwendungskontrolleurin darf die eingegangenen Zahlungen der Treugeber erst dann zur weiteren Verwendung durch die Gesellschaft freigeben, wenn - der Treuhandvertrag zwischen der Treuhandkommanditistin und dem Treugeber sowie der Mittelverwendungskontrollvertrag zwischen der Mittelverwendungskontrolleurin und dem Treugeber wirksam zustande gekommen und nicht wieder (z.B. durch Widerruf oder Rücktritt vom Vertrag) aufgelöst sind und
- die besonderen Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 dieses Vertrages vorliegen. 3. Die Mittelverwendungskontrolleurin gibt die mit der Gründung der Gesellschaft zusammenhängenden sowie folgende Gebühren , nämlich: … jeweils bezogen auf den Zeichnungsbetrag des einzelnen Treugebers nach Ablauf der auf der Beitrittsvereinbarung vorgesehenen Widerrufsfrist und Einzahlung von 30 % der gezeichneten Einlage sowie des Agios durch den Treugeber auf das Anderkonto frei … 4. Die Mittelfreigabe für die Produktion von Filmprojekten auf ein von der C. und der jeweiligen Koproduzentin eröffnetes Konto oder auf Weisung der C. unmittelbar auf ein Konto eines Vertragspartners erfolgt in Abhängigkeit von dem jeweiligen Projekt nur bei Vorliegen folgender zusätzlicher Voraussetzungen: (1) Vorlage eines Produktionsvertrages bzw. Koproduktionsvertrages zwischen der C. und dem jeweiligen Koproduzenten , der den folgenden Voraussetzungen nicht entgegensteht. (2) Vorlage eines von den Beteiligten, die eine Garantie oder Kreditzusage gegeben oder übernommen haben, gebilligten Produktionskostenbudgets; (3) Vorlage einer Fertigstellungsgarantie (Completion-Bond) eines Major Studios, einer Versicherungsgesellschaft oder einer Completion-Bond-Gesellschaft; (4) Finanzierungsnachweis über die Erbringung der Einlage durch den jeweiligen Koproduzenten oder Nachweis, daß die Erbringung der Einlage sichergestellt ist; (5) Vorlage einer Auszahlungsgarantie eines Kreditinstitutes, einer Versicherungsgesellschaft oder eines Major-Studios, die die Rückführung von mindestens 80 % des Anteils der Gesellschaft an den Produktionskosten entsprechend dem Produktionskostenbudget spätestens 24 Monate nach Lieferung des Films sicherstellt.
Hierzu genügt die Vorlage einer entsprechenden Verpflichtungserklärung eines Kreditinstitutes, einer Versicherungsgesellschaft oder eines Major-Studios, etwa in Form einer Versicherungspolice oder einer Garantieübernahmeerklärung , auch wenn die endgültige Übernahme der Verpflichtung durch die Garanten noch unter Bedingungen steht …
§ 3 Haftung 1. Die Mittelverwendungskontrolleurin wird die ihr in § 2 übertragenen Aufgaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns durchführen. … … 5. Die Mittelverwendungskontrolleurin übernimmt keine Haftung für den Eintritt der vom Treugeber oder der Gesellschaft gegebenenfalls angestrebten wirtschaftlichen und/oder steuerlichen Ergebnisse oder Erfolge. Ferner übernimmt die Mittelverwendungskontrolleurin keine Haftung für die Bonität der Vertragspartner der Gesellschaft, die Durchführbarkeit der Investition oder dafür, dass die Vertragspartner der Gesellschaft die eingegangenen vertraglichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllen. Unter anderem haftet die Mittelverwendungskontrolleurin nicht für die Erfolge der von der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar geplanten Investitionen sowie den Eintritt der vom Treugeber oder der Gesellschaft verfolgten sonstigen wirtschaftlichen Ziele. Sie überprüft nicht die Fragen des unternehmerischen Ermessens der Gesellschaft und der Zweckmäßigkeit der Investitionsentscheidung. Die Mittelverwendungskontrolleurin hat an der Konzeption und der Stellung des der Beitrittsvereinbarung des Treugebers zugrundeliegenden Emissionsprospektes nicht mitgewirkt und dessen Aussagen nicht auf ihre Übereinstimmung mit den tatsächlichen Gegebenheiten überprüft. Der Treugeber erkennt an, dass die Mittelverwendungskontrolleurin zu einer solchen Prüfung auch nicht verpflichtet war. …
3
Das Vertragswerk "Treuhandvertrag und Mittelverwendungskontrolle" für C. IV ist - in § 3 Abs. 3 und 4 sowie § 4 - inhaltlich ähnlich gestaltet.
4
Verschiedene Filme sind, jedenfalls bei C. II, inzwischen Versicherungsfälle , und der für diesen Anlagefonds von der Anlegergesellschaft mit der Versicherung betraute ausländische Versicherer bzw. Versicherungskonzern , die N. E. I. S. Inc. (im folgenden: NEIS), hat sich als zahlungsunfähig erwiesen.
5
Der Kläger hat von der Beklagten Schadensersatz in Höhe seiner Einzahlungen , abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen, Zug um Zug gegen Rückgabe der beiden Anlagebeteiligungen, verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der - soweit hier von Interesse - auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 37.324,31 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus C. II und auf Zahlung von 8.078,41 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus C. IV, gerichteten Berufung des Klägers stattgegeben. Diese Entscheidung bekämpft die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe


6
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


7
Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo), aufgrund dessen er so zu stellen sei wie er stünde, wenn er sich nicht an C. II und C. IV beteiligt hätte. Zwar habe, wie das erstinstanzliche Gericht zutreffend ausgeführt habe, die Beklagte nach den Mittelverwendungskontrollverträgen jeweils lediglich eine "formale" Prüfung geschuldet , weshalb eine positive Vertragsverletzung der Mittelverwendungskontrollverträge durch die Beklagte ausscheide. Wohl aber habe die Beklagte die vorvertragliche Verpflichtung gehabt, dem Kläger jeweils vor Abschluss des Treuhandvertrages und des Mittelverwendungskontrollvertrages darauf hinzuweisen , dass die Mittelverwendung nach dem Mittelverwendungskontrollvertrag ausschließlich nach formalen Kriterien, insbesondere ohne jede Bonitätsprüfung des vorgesehenen Garantiegebers, erfolgen werde. Diese Hinweispflicht habe sich daraus ergeben, dass das Wort Mittelverwendungskontrollvertrag dem an einem Investment Interessierten "suggeriere", durch Abschluss eines solchen Vertrages werde eine effektive Kontrolle der Mittelverwendung erreicht; die Verpflichtung der Beklagten sei dahin gegangen, dem Kläger vor Abschluss des Mittelverwendungskontrollvertrages auf dessen "ganz überwiegend die Haftung ausschließenden Inhalt“, mit dem der potentielle Kapitalanleger angesichts der Bezeichnung des Vertrages nicht habe rechnen müssen, hinzuweisen.
8
An einem schlüssigen Vortrag der Beklagten dazu, dass sie im Rahmen der Beitrittsgespräche der Anlagevermittler mit dem Kläger in diesem Sinne über die Bedeutung des Mittelverwendungskontrollvertrages gesprochen habe, fehle es. Die Pflichtverletzung der Beklagten sei auch kausal dafür gewesen, dass der Kläger sich an C. II und C. IV beteiligt habe; die tatsächliche Vermutung streite dafür, dass der Kläger bei einem Hinweis, der vorgesehene Mittelverwendungskontrollvertrag sehe nur eine "formale" Prüfung vor, von der Zeichnung Abstand genommen hätte. Der daraus resultierende Schadensersatzanspruch des Klägers sei auch nicht verjährt.

II.


9
Diese Ausführungen halten im entscheidenden Punkt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der Argumentation des Berufungsgerichts lässt sich eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger aus culpa in contrahendo nicht begründen.
10
1. a) Ausgangspunkt ist, dass nach den vom Kläger mit der Beklagten entsprechend dem prospektierten Beteiligungsangebot abzuschließenden und abgeschlossenen Mittelverwendungskontrollverträgen die von der Beklagten geschuldete Mittelverwendungskontrolle ausschließlich nach den im Vertrag festgelegten ("formalen") Kriterien erfolgen sollte und keine Prüfung der Bonität der Partner der Anlagegesellschaft, einschließlich des vorgesehenen Garantiegebers , durch die Mittelverwendungskontrolleurin erforderte. Diese Vertragsauslegung hat das Berufungsgericht als zutreffend aus dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts übernommen, das sich seinerseits hierfür auf § 2 Abs. 2 des Mittelverwendungskontrollvertrages für C. II bzw. die inhaltsgleichen Bestimmungen in § 4 Abs. 1 bis 4 des (Treuhand- und) Mittelverwendungskontrollvertrages für C. IV in einer Gesamtschau mit anderen Klauseln dieser beiden Vertragswerke gestützt hat. Es ist allerdings eher missverständlich , wenn die Vorinstanzen die Grenzen des Umfangs der von der Beklagten vertraglich geschuldeten Prüfungen mit der Formulierung beschreiben, es sei nur eine formale Prüfung vorzunehmen gewesen. Die Beklagte hatte mit berufsüblicher Sorgfalt zu prüfen, ob die im Vertrag im Einzelnen genannten Voraussetzungen für eine Freigabe der Mittel für die Filmproduktion vorlagen. Soweit es um bestimmte rechtsgeschäftliche Erklärungen Dritter (etwa Zahlungsgarantien und/oder –zusagen) ging, hatte die Beklagte nach dem Wissensstand und mit dem rechtlichen und wirtschaftlichen Durchblick, der von einem Wirtschaftsprüfer erwartet werden konnte, die ihr vorgelegten Unterlagen darauf zu prüfen, ob sie ordnungsgemäße, in sich schlüssige, rechtsgeschäftliche Erklärungen enthielten. Die Beklagte durfte sich zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass die Anlagegesellschaft sich seriöse Geschäftspartner ausgesucht hatte, und sie brauchte deshalb regelmäßig bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Mittelverwendungskontrolleurin den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dieser - zumal ausländischen - Firmen nicht näher nachzugehen; sollten aber diesbezügliche Bedenken und Vorbehalte in Wirtschaftskreisen aufgekommen sein oder sich der Beklagten aufgedrängt haben, so durfte sie sich diesen nicht verschließen.
11
Bei diesem Verständnis lässt die Auslegung des Berufungsgerichts keinen Rechtsfehler erkennen. Da es nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Beklagte die von ihr geschuldete Prüfung vor der Mittelfreigabe für C. II und C. IV nicht vorgenommen hat, geht das Berufungsgericht mit Recht davon aus, dass eine (positive) Vertragsverletzung des Mittelverwendungskontrollvertrages durch die Beklagte ausscheidet.
12
Das b) vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Vertragsverständnis nach der objektiven Bedeutung des Textes der Vertragswerke betreffend die Mittelverwendungskontrolle indiziert jedoch zugleich, dass ein durchschnittlicher Anlageinteressent die in die Anlageprospekte für C. II und C. IV aufgenommenen Vereinbarungen über die Mittelverwendungskontrolle ebenfalls in demselben Sinne verstehen konnte wie die damit im vorliegenden Prozess befassten Gerichte sie verstanden haben. Voraussetzung dafür war nur, dass der Anlageinteressent die Vertragstexte im Einzelnen durchlas und - verständig - zur Kenntnis nahm. Hierzu hatte der Kläger Gelegenheit.
13
Die beklagte Wirtschaftsprüfergesellschaft hatte deshalb allein aufgrund ihrer Funktion als Mittelverwendungstreuhänderin ohne besonderen Anlass keinen Grund, die Seriosität der von der insoweit allein verantwortlichen Anlagegesellschaft aufgrund ihrer geschäftlichen Beziehungen über einen englischen Broker als Versicherung für C. II ausgewählten und verpflichteten , im Ausland ansässigen, NEIS zu überprüfen.
14
2. Bei dieser Sachlage gibt es aber auch für die Annahme einer vorvertraglichen Hinweis-(Warn-)Pflicht der Beklagten in Bezug auf den Umfang und die Grenzen der ihr als Mittelverwendungskontrolleurin vertraglich obliegenden Prüfung keine rechtliche Grundlage.
15
a) Zwar ist es nicht, wie die Revision meint, nach der Art der durch das vorliegende Anlagemodell unter Verwendung v on - nicht von der Beklagten herausgegebenen - Prospekten angebahnten vertraglichen Beziehungen ausgeschlossen , dass auch die Beklagte als angehende Mittelverwendungskontrolleurin bereits vorvertragliche Aufklärungs- und Hinweispflichten bezüglich derjeni- gen Umstände, die für den Vertragsentschluss der Anleger von besonderer Bedeutung waren, treffen konnten; solche Hinweispflichten konnten sich auch und gerade dann ergeben, wenn der Mittelverwendungskontrolleur, wie hier, in dem Anlagemodell zugleich als Treuhandkommanditist fungierte (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2006 - II ZR 326/04 - ZIP 2006, 849, 850 und Senatsurteil vom 13. Juli 2006 - III ZR 361/04 - ZIP 2006, 1631 f; für den Abwicklungsbevollmächtigten s. Senatsurteil vom 28. Juli 2005 - III ZR 290/04 - ZIP 2005, 1599, 1601 ff; vgl. auch - zu Prüfungspflichten des als Mittelverwendungstreuhänder vorgesehenen Treuhandkommanditisten - Senatsurteil vom 24. Juli 2003 - III ZR 390/02 - NJW-RR 2003, 1342 f).
16
Ob derartige vorvertragliche Hinweispflichten bestehen und wie weit sie gehen, hängt vom Einzelfall ab. Sie sind beeinflusst und begrenzt durch das Aufklärungsbedürfnis des Anlageinteressenten. Ein Aufklärungsbedürfnis des Anlageinteressenten besteht aber - im Verhältnis zu den jeweils im Anlagemodell vorgesehenen Vertragspartnern – jedenfalls grundsätzlich (typischerweise) nicht in Bezug auf den Inhalt der abzuschließenden Verträge, wenn und soweit ein durchschnittlicher Anlageinteressent die (zukünftige) Vertragslage anhand der ihm mit dem Anlageprospekt vorgelegten Vertragstexte hinreichend deutlich erfassen kann. Denn von diesem muss erwartet werden, dass er die ihm vorgelegten Verträge (Vertragsentwürfe) durchliest und sich mit ihrem Inhalt vertraut macht.
17
Eine b) Verpflichtung der sich in Vertragsverhandlungen befindlichen Partei, der Gegenseite den Inhalt und Sinn eines vorgeschlagenen - für einen verständigen Leser ohne weiteres verständlichen - Vertragstextes zu erläutern, gibt es danach im Regelfall nicht. Besondere Umstände, die eine solche vorvertragliche Pflicht im Streitfall ausnahmsweise begründet haben könnten, sind weder dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, noch sind sie nach dem im Berufungsurteil festgestellten Sachverhalt sonst ersichtlich.
18
aa) Das Berufungsgericht führt als einzige Begründung für die von ihm angenommene Hinweispflicht der Beklagten an, das Wort "Mittelverwendungskontrollvertrag" suggeriere dem an einem Investment Interessierten entgegen den Tatsachen, dass durch Abschluss eines Vertrages nach dem vorgelegten Muster eine effektive Mittelverwendung erreicht werde. Ähnliches klingt in dem weiteren Satz an, angesichts "der Bezeichnung" des Vertrages habe der potentielle Kapitalanleger nicht mit dem "ganz überwiegend die Haftung der Beklagten ausschließenden Inhalt" des Vertrages rechnen müssen.
19
Diese Begründung überzeugt schon deshalb nicht, weil in aller Regel die bloße Überschrift eines Vertrages, insbesondere auch eines solchen, um den es hier geht, nur eine schlagwortartige Zusammenfassung dessen darstellen kann, was im Einzelnen im Vertragstext geregelt ist. Begriffe wie "Mittelverwendungskontrolle" oder die - vom Berufungsgericht angeführte - "effektive Kontrolle der Mittelverwendung" deuten auf kompliziertere wirtschaftliche Vorgänge hin. Sie sind im Zusammenhang mit Anlagemodellen der vorliegenden Art unter Verwendung komplexer Vertragsgeflechte für sich zunächst einmal ohne konkreten Inhalt und bedürfen erkennbar der näheren Ausfüllung durch detaillierte Einzelbestimmungen.
20
Entgegen dem, was im Berufungsurteil anklingt, waren die im vorliegenden Mittelverwendungskontrollvertrag im Einzelnen vorgesehenen Überprüfungsakte auch keineswegs von vornherein "ineffektiv". Selbst wenn noch weitere als die im Vertragstext aufgeführten Kontrollschritte denkbar gewesen sein mögen, handelt es sich um sinnvolle Schritte. Der Umstand, dass im Streitfall die vorgesehene Art der Prüfung sich im Nachhinein als nicht ausreichend gezeigt und das "Sicherheitssystem" des Anlagemodells sich als lückenhaft herausgestellt haben mag, weil einer der Mitwirkenden - der ausländische Filmversicherer bei C. II - betrügerisch agierte, besagt nicht, dass die mit der Beklagten vereinbarte Mittelverwendungskontrolle als Ganze von vornherein wirkungs- und wertlos war.
21
bb) Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit die Revisionserwiderung als Grund für eine besondere Aufklärungspflicht der Beklagten zu dem hier in Rede stehenden Punkt anführt, der Inhalt des abzuschließenden Mittelverwendungskontrollvertrages sei, da die vorgesehenen Kontrollmaßnahmen ineffektiv gewesen seien, überraschend gewesen. "Überraschend" sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht (vgl. § 305c Abs. 1 BGB). Dieser Gesichtspunkt kann hier, auch wenn die in Rede stehenden, im Anlageprospekt vorformulierten Vertragsklauseln Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen, jedoch schon deshalb nicht (unmittelbar) ausschlaggebend sein, weil, wie ausgeführt, der konkrete Inhalt der vertraglich versprochenen - wie bereits dargelegt, auch keineswegs insgesamt nutzlosen - Mittelverwendungskontrolle sich erst aus den einzelnen Bestimmungen dieses Vertrages, nicht schon aus einem vorgegebenen, klaren "Leitbild" für solche Kontrollmaßnahmen ergibt.
22
cc) Soweit die Revisionserwiderung gleichwohl eine besondere Schutzund Aufklärungsbedürftigkeit des Klägers als Anlageinteressent sieht, weil dieser mit den sonstigen Prospektangaben "gerade in die Irre geführt" werde, kann ihr nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt eben- falls nicht gefolgt werden. Das angefochtene Urteil enthält diesbezüglich keine Feststellungen. Die Revisionserwiderung verweist unter anderem darauf, dass es im Prospekt C. II in Teil A (S. 11) heißt: "Die optimale Sicherheit Die Mittelfreigabe erfolgt durch eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Mittelverwendungskontrolleurin"; und (S. 13) nach Beschreibung einer Herstellungsgarantie und der verschiedenen Möglichkeiten einer Rückflussgarantie: "Die Mittel für die Filmprojekte werden erst dann frei gegeben, wenn ein Completion-Bond und eine der oben beschriebenen Ab- sicherungen vorliegen."
23
Auch diese - werbenden - Hinweise verschleiern einem verständigen Leser , der den Prospekt und die beigefügten Unterlagen insgesamt liest, nicht, dass der konkrete Inhalt der Mittelverwendungskontrolle sich nach dem abzuschließenden Mittelverwendungskontrollvertrag richtet.

III.


24
Da nach allem die vom Berufungsgericht angenommene Pflichtverletzung der Beklagten entfällt, kommt es auf die weiteren sich hieran anschließenden Ausführungen im angefochtenen Urteil und die hiergegen von der Revision erhobenen Rügen nicht an. Das Urteil muss aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung des dem Berufungsgericht von den Parteien unterbreiteten Verfahrensstoffs an dieses zurückverwiesen werden.
Schlick Streck Kapsa
Dörr Herrmann

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 16.09.2005 - 15 O 25146/04 -
OLG München, Entscheidung vom 10.04.2006 - 21 U 5051/05 -

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 30.08.2012 – 8 O 50/11 – teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten zu 1 bis 5 werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 103.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 14.05.2011, der Beklagte zu 3 abweichend erst ab dem 28.12.2011 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte und Ansprüche, die dem Kläger aus der Beteiligung an der E GmbH & Co. VII. W KG, nominal: 100.000 € zustehen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten zu 1 bis 5 mit der Annahme der Abtretungserklärung gemäß Ziffer 1 in Verzug befinden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zu 1/6, die Beklagten zu 1 bis 5 zu 5/6 als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 6 sowie jeweils 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Streithelferinnen zu 7 und 8 trägt der Kläger. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die jeweils andere Seite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abzuwenden, soweit nicht die andere Seite zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Beschwer der Beklagten und des Klägers übersteigt 20.000 €.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 79/12
Verkündet am:
11. April 2013
B o t t
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WPO §§ 51a a.F., 139b Abs. 1
§ 51a WPO a.F. findet - gegebenenfalls nach Maßgabe des § 139b Abs. 1
WPO - auf Schadensersatzansprüche gegen einen Wirtschaftsprüfer wegen der
Verletzung von Aufklärungspflichten aus einem Mittelverwendungskontrollvertrag
Anwendung.
BGH, Urteil vom 11. April 2013 - III ZR 79/12 - OLG München
LG München I
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. April 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und Dr. Remmert

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. Februar 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten aus abgetretenem Recht als Alleinerbin des Zessionars Ersatzansprüche im Zusammenhang mit Beteiligungen des Zedenten an der Medienfonds MBP M. KG (im Folgenden: MBP KG I) und an der Medienfonds MBP KG (im Folgenden: MBP KG II) geltend. Der Zedent zeichnete am 4. Juli 2000 die Kommanditbeteiligung an dem Fonds MBP KG I über 60.000 DM zuzüglich 5 % Agio und am 22. Oktober 2001 die Kommanditbeteiligung an dem Fonds MBP KG II über 100.000 DM zuzüglich 5 % Agio. Die Kommanditbeteiligungen wurden jeweils treuhänderisch von zwei unterschiedlichen Gesellschaften gehalten.
2
Die Anlagen wurden anhand von Emissionsprospekten vertrieben, aus denen sich unter anderem die Mittelverwendungskontrolle durch eine international tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ergab, deren Firma "aus standesrechtlichen Gründen" nicht genannt wurde. Diese Aufgabe übernahm jeweils die Beklagte zu 1. Die Mittelverwendungskontrollverträge waren mit der jeweiligen Fondsgesellschaft und den Treuhänderinnen abgeschlossenen worden. Der Beklagte zu 2 war Geschäftsführer der jeweiligen Komplementärgesellschaft der Fonds. Er hatte außer den hier maßgeblichen Medienfonds auch die Fondsgesellschaft MBP NY 121 KG (im Folgenden: MBP NY 121) initiiert und als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH geleitet.
3
Die zwischen den Fondsgesellschaften, den Treuhänderinnen und der Beklagten zu 1 geschlossenen Mittelverwendungskontrollverträge waren in den jeweiligen Emissionsprospekten abgedruckt. In § 1 der Verträge waren unter der Überschrift "Mittelbereitstellung, Anderkonto" unter anderem folgende Bestimmungen getroffen: "2. Zur Verwaltung der vom Treuhänder [bei MBP KG II: von der Treuhandkommanditistin ] bereitzustellenden Mittel eröffnet der Mittelverwendungskontrolleur ein getrennt von seinem Vermögen zu führendes Anderkonto (nachfolgend "Anderkonto I"). Verfügungen von dem Anderkonto I können ausschließlich vom Mittelverwendungskontrolleur nach Maßgabe dieses Vertrages vorgenommen werden. 3. Darüber hinaus eröffnet der Mittelverwendungskontrolleur ein weiteres , getrennt von dem vorgenannten Konto zu führendes Anderkonto (nachfolgend Anderkonto II), auf welchem ausschließlich die der MBP GmbH & Co KG [bei MBP KG II: MBP KG II] zustehenden Erlöse aus der Verwertung der von ihr hergestellten Filme einzuzahlen sind. Für das Anderkonto II und die hierauf eingehenden Beträge gilt Abs. 2 Satz 2 entsprechend."
4
§ 4 beider Verträge enthielt für den Mittelverwendungskontrolleur detaillierte Regelungen zu den Voraussetzungen der Mittelbereitstellung und -freigabe. § 4 des mit der MBP KG II geschlossenen Mittelverwendungskontrollvertrags lautete auszugsweise: "1. Der Mittelverwendungskontrolleur wird, soweit die auf dem Anderkonto I vorhandenen Mittel ausreichen, die für die Realisierung der jeweiligen Projekte erforderlichen Mittel auf einem gesonderten Produktionskonto bereitstellen. Der Mittelverwendungskontrolleur hat für jedes einzelne Projekt ein gesondertes Anderkonto (nachfolgend: "Produktionskonto") einzurichten, das als "Produktionskonto" unter Hinzufügung des Projektarbeitstitels zu bezeichnen ist. … … 5.1 Die Freigabe der auf einem Produktionskonto verfügbaren Produktionsmittel zur Zahlung von Produktionskosten zur Herstellung von Kino- und Fernsehfilmen darf nur erfolgen, wenn eine fällige Forderung gegen die MBP KG II aufgrund eines Co-Produktions- oder eines Auftragsproduktionsvertrages besteht. … 6. Die Freigabe der ersten Rate darf nur erfolgen, wenn
a) die MBP KG II folgende Unterlagen übergeben hat: aa) unterzeichneter Vertrag über eine unechte Auftragsproduktion sowie abgeschlossener Co-Produktionsvertrag ; ab) Nachweis einer Fertigstellungsgarantie durch Vorlage entsprechender Unterlagen oder Bestätigungser- klärungen oder eines Letter of Commitment einer Completion Bond Gesellschaft; ac) Vorlage von Kopien der Versicherungspolicen der abgeschlossenen Ausfall-, Negativ- bzw. Datenträgerversicherung ; … 11.1 Der Mittelverwendungskontrolleur kann nach pflichtgemäßem Ermessen fällige Beträge für Produktionen auch auszahlen , wenn für die fälligen Beträge ein oder mehrere Nachweise nach diesem Vertrag noch nicht vorliegen und die Auszahlung erforderlich ist und/oder dazu dient, die Einstellung der Produktion und/oder finanzielle Schäden von der MBP KG II und/oder ihren Gesellschaftern abzuwenden. 11.2 Dem Mittelverwendungskontrolleur ist vor Auszahlung eine schriftliche Erklärung des Co-Produzenten der MBP KG II oder des unechten Auftragsproduzenten vorzulegen, die den Eintritt entscheidungsrelevanter Tatsachen i.S.v. § 4 Ziff. 11.1 dieses Vertrages darlegt. Diese Erklärung ist vom Mittelverwendungskontrolleur auf Plausibilität zu prüfen, im übrigen gilt § 3 Ziff. 5 dieses Vertrages."
5
Der Inhalt des mit der MBP KG I geschlossenen Mittelverwendungskontrollvertrags entsprach dem im Wesentlichen, wobei die Nummerierung der einzelnen Bestimmung teilweise unterschiedlich war und mit dem vorstehenden § 4 Nr. 6 a, ac und Nr. 11.2 vergleichbare Regelungen fehlten.
6
In § 5 Nr. 2 der beiden Mittelverwendungskontrollverträge war jeweils die Verjährung von Ersatzansprüchen gegen die Beklagte zu 1 innerhalb von drei Jahren nach Entstehung vereinbart.
7
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte zu 1 habe regelmäßig von den Ermessensklauseln in § 4 Nr. 10 des Mittelverwendungskontrollvertrags mit dem Fonds MBP KG I sowie § 4 Nr. 11.1 des Mittelverwendungskontrollvertrags mit dem Fonds MBP KG II Gebrauch gemacht, bei Anwendung der letztgenannten Bestimmung zudem unter Missachtung der in § 4 Nr. 11.2 vorgesehenen Voraussetzungen. Ferner hat die Klägerin eine fehlerhafte Ermessensausübung durch die Beklagte zu 1 geltend gemacht. Sie meint, die Beklagte zu 1 habe den Zedenten vor der Zeichnung der Anlage auf diese im Widerspruch zum Gesamtkonzept der Anlagen stehende, bereits vor den Beitrittserklärungen ausgeübte Praxis hinweisen müssen, da eine effektive Mittelverwendungskontrolle so nicht zu erreichen gewesen sei. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin zusätzlich ausgeführt, dass die Auszahlungsvoraussetzungen für die erste Rate gemäß § 4 Nr. 6 a der Mittelverwendungskontrollverträge bei keinem der Projekte hätten eingehalten werden können, so dass stets auf die Ausnahmeklauseln in § 4 Nr. 10 (MBP KG I) und § 4 Nr. 11.1 (MBP KG II) habe zurückgegriffen werden müssen. Wären dem Zedenten Hinweise auf diese Handhabung erteilt worden, wäre er den Fonds nicht beigetreten.
8
Der Beklagte zu 2 hafte zudem als Initiator.
9
Die Beklagten haben unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben.
10
Das Landgericht hat die auf Ersatz des Zeichnungsschadens des Zedenten und entgangener Anlagezinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung gegen dieses Urteil ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Begehren weiter.

Entscheidungsgründe


11
Die zulässige Revision ist begründet.

I.


12
Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Zeichnungsschaden müsse der Klägerin weder auf vertraglicher noch auf deliktischer Grundlage ersetzt werden.
13
Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte zu 1 gegenüber den Anlegern etwaige vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt habe. Eine solche Pflicht könne erst dann begründet sein, wenn nicht nur das "Wie", sondern das "Ob" der Mittelverwendungskontrolle in Frage stehe, eine Mittelverwendungskontrolle also erst gar nicht ins Werk gesetzt sei oder aus anderen Gründen de facto unterbleibe. Der Vortrag der Klägerin stelle aber lediglich das "Wie" der Mittelverwendungskontrolle in Frage. Der behauptete systematische oder regelmäßige Gebrauch der Ermessensklausel des § 4 Nr. 10 (MBP KG I) beziehungsweise § 4 Nr. 11 (MBP KG II) des Mittelverwendungskontrollvertrags könne vor den Beitrittserklärungen des Zedenten nicht festgestellt werden.
14
So habe die Klägerin keine Mittelfreigaben durch die Beklagte zu 1 auf der Grundlage der Ermessensbestimmung vor dem Beitritt des Zedenten zum Fonds MBP KG I behauptet, so dass eine Umgehung des Mittelverwendungskontrollkonzepts nicht festzustellen sei.
15
In Bezug auf den Beitritt zu dem Fonds MBP KG II sei der Vorwurf der Klägerin, bereits vor der Zeichnung der Beteiligung durch den Zedenten am 22. Oktober 2001 habe festgestanden, dass die Beklagte zu 1 ihre vertraglichen Mitwirkungs-, Kontroll- und Überwachungsrechte tatsächlich nicht oder nicht sachgerecht ausgeübt habe oder ausüben werde, selbst dann nicht gerechtfertigt , wenn es zu regelmäßigen, auf die Ermessenklausel des Mittelverwendungskontrollvertrags gestützten Mittelfreigaben gekommen sei. Auch wenn fondsübergreifend Mittelanforderungen des MBP KG I und des MBP KG II zu berücksichtigen seien, sei es fraglich, ob die Freigabe von Zahlungen auf der Grundlage der Ausnahmeregelungen im Verhältnis zu den Gesamtausgaben dem Mittelverwendungskontrollvertrag widerspreche. Auch eine möglicherweise zu großzügige Nutzung dieser Bestimmungen betreffe jedenfalls lediglich das "Wie" der Mittelverwendungskontrolle und könne daher bereits nicht die Möglichkeit der Wahrnehmung der vertraglichen Mitwirkungs-, Kontroll- und Überwachungsrechte der Beklagten zu 1 in Frage stellen.
16
Für nicht durchgreifend hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin erachtet, die prospektierten Voraussetzungen für die Freigabe der ersten Rate gemäß § 4 Nr. 6a des Mittelverwendungskontrollvertrags hätten branchenüblich bei keinem Fonds der MBP-Serie und keinem Projekt vorliegen können , weshalb die Mittelverwendungskontrolle in diesem Punkt von Anfang an nicht habe prospektgemäß durchgeführt werden können. Die Klägerin stütze diese Behauptung auf Aussagen einer Zeugin in einem anderen Verfahren, die ausdrücklich nur den Fonds MBP NY 121 betroffen hätten. Es handele sich deshalb um Behauptungen "ins Blaue" hinein. Die Beklagte zu 1 habe lediglich für die Zeit nach 23. März 2001 teilweise "frühzeitige" Auszahlungen von Produktionsmitteln zugestanden. Dass die ersten Raten stets bei Vertragsschluss mit den Produzenten fällig gewesen seien, habe sie hingegen bestritten. Im Üb- rigen hätten die frühe Fälligkeit der ersten Raten und damit verbundene frühe Mittelanforderungen nicht zwingend die sofortige Freigabe der Mittel ohne Vorlage von Nachweisen durch die Beklagte zu 1 zur Folge gehabt.
17
Der Beklagte zu 2 hafte der Klägerin ebenfalls nicht auf Ersatz des Zeichnungsschadens. Eine vertragliche Haftung aus dem Mittelverwendungskontrollvertrag sei ausgeschlossen, da ihn hieraus keine Pflichten träfen. Etwaige Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinne seien verjährt. Eine Prospekthaftung im weiteren Sinne, wie sie den Initiator eines Fonds ebenfalls treffen könne, scheitere an der fehlenden Inanspruchnahme eines besonderen persönlichen Vertrauens. Die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung des Beklagten zu 2 gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264a StGB oder aus § 826 BGB hätten nicht festgestellt werden können. Da offen sei, ob und inwieweit den belegten Mittelanforderungen auch Freigaben folgten, die Möglichkeit einer Freigabe nach der Ermessensklausel im Prospekt erwähnt sei und die genannten Mittelanforderungen lediglich 15 % der gesamten Filmherstellungskosten ausmachten, habe es nicht der Aufklärung bedurft, wie häufig tatsächlich von der Ermessensklausel Gebrauch gemacht worden sei. Dass dies die Regel gewesen sei, könne jedenfalls nicht festgestellt werden, zumal die Mittelfreigabe nicht dem Beklagten zu 2 obgelegen habe. Da auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Voraussetzungen für die Auszahlung der ersten Rate nicht hätten vorliegen können, sei die Haftung des Beklagten zu 2 auch hierauf nicht zu stützen. Die strafrechtliche Verurteilung des Beklagten zu 2 wegen Untreue im Hinblick auf den Fonds MBP NY 121 lasse Rückschlüsse auf eine deliktische Haftung bezüglich der streitgegenständlichen Fonds nicht zu.

II.


18
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a Abs. 1 StGB, § 826 BGB - für die Beklagte zu 1 i.V.m. § 27 StGB sowie §§ 31, 830, 831 BGB - nicht ausgeschlossen werden.
19
1. Allerdings scheidet ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 auf vertraglicher Grundlage aus.
20
a) Es kann dabei auf sich beruhen, ob die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aus dem Mittelverwendungskontrollvertrag erfüllt sind. Die Beklagte ist jedenfalls gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt , die Leistung von Schadensersatz zu verweigern, weil eine etwaige Forderung der Klägerin verjährt ist.
21
Es kann dabei dahin stehen, ob die in § 5 Nr. 2 der Mittelverwendungskontrollverträge vereinbarte dreijährige Verjährungsfrist auf einen Ersatzanspruch des Zedenten aufgrund seiner Einbeziehung in die Schutzpflichten dieses Vertrags anzuwenden und diese Regelung einer AGB-rechtlichen Kontrolle standhalten würde (siehe dazu Senatsurteil vom 19. November 2009 - III ZR 180/08, BGHZ 183, 220 Rn. 12 ff). Der Anspruch ist jedenfalls gemäß § 51a WPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftsprüferordnung und anderer Gesetze vom 20. August 1975 (BGBl. I S. 2258; nachfolgend § 51a WPO a.F.), der gemäß § 56 WPO auch auf Wirtschaftsprüfungsgesellschaften anwendbar ist, verjährt. Hiernach verjährt der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Wirtschaftsprüfer bestehenden Vertragsverhältnis in fünf Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist.
22
aa) Der aufgrund des Wirtschaftsprüfungsexamen-Reformgesetzes vom 1. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2446) aufgehobene § 51a WPO a.F. findet nach der Übergangsregelung des § 139b Abs. 1 WPO auf den im vorliegenden Rechtsstreit erhobenen Anspruch noch Anwendung. Zwar ist hiernach für die am 1. Januar 2004 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche auf Schadensersatz die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB maßgeblich. Dies gilt gemäß § 139b Abs. 2 WPO jedoch nicht, wenn die Verjährungsfrist des § 51a WPO a.F. früher als die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB, beginnend ab dem 1. Januar 2004, abläuft. Dies ist hier der Fall. Während die 2004 beginnende Regelverjährungsfrist des § 195 BGB nicht vor dem 31. Dezember 2006 ablaufen konnte, war der etwaige Schadensersatzanspruch der Klägerin nach Maßgabe des § 51a WPO a.F. spätestens am 11. November 2006 verjährt (siehe unten).
23
bb) § 51a WPO a.F. ist auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit dem Mittelverwendungskontrollvertrag anzuwenden. Mit der Einführung des § 51a WPO a.F. sollte die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Wirtschaftsprüfer in Anlehnung an den damaligen § 168 Abs. 5 AktG auf fünf Jahre verkürzt werden. Betroffen sollten die Ansprüche des Auftraggebers aus dem zwischen ihm und dem Wirtschaftsprüfer bestehenden Vertragsverhältnis sein (BT-Drucks. 7/2417 S. 21).
24
(1) Die Regelung ist nicht lediglich auf die unmittelbaren Ansprüche eines Auftraggebers gegen den Wirtschaftsprüfer anzuwenden. Vielmehr erfasst sie auch Schadensersatzansprüche, die auf die Verletzung drittschützender Pflichten aus einem Vertrag mit einem Wirtschaftsprüfer gestützt werden (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - X ZR 283/02, NJW 2004, 3420, 3422; zum Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung zugunsten eines Dritten siehe Chab in Zugehör/G. Fischer/ Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 1323), in dem er sich zu einer Leistung verpflichtet, die zum Berufsbild des Wirtschaftsprüfers gehört (vgl. dazu BGH, Urteile vom 11. März 1987 - IV ZR 290/85, BGHZ 100, 132, 134 und vom 6. November 1980 - VII ZR 237/79, BGHZ 78, 335, 343). Zwar handelt es sich bei einem Anspruch wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht um einen vertraglichen Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz. Die Forderung des Dritten wird aber aus den Vertragspflichten gegenüber dem Auftraggeber abgeleitet (Chab aaO zur Anwendbarkeit des § 51b BRAO auf einen Anspruch aus einem Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ). Der in die Schutzwirkungen einbezogene Dritte kann zudem keine weitergehenden Rechte haben als der Vertragspartner des Berufsträgers (BGH, Urteile vom 15. Juni 1971 - VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 272 und vom 7. November 1960 - VII ZR 148/59, BGHZ 33, 247, 250; Chab aaO). Vielmehr entspricht die Gleichbehandlung des Dritten und des Vertragspartners des Haftenden dem Zweck der besonderen Verjährungsregelung.
25
(2) Der Wirtschaftsprüfer, der sich zur Mittelverwendungskontrolle verpflichtet , fällt in den inhaltlichen Anwendungsbereich des § 51a WPO, da diese Tätigkeit seinem Berufsbild zuzuordnen ist. Nach § 2 Abs. 1 WPO haben Wirtschaftsprüfer die berufliche Aufgabe, betriebswirtschaftliche Prüfungen, insbesondere solche von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen, durchzu- führen und Bestätigungsvermerke über die Vornahme und das Ergebnis solcher Prüfungen zu erteilen. Diese Aufgabe ist aber für das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers nicht abschließend (vgl. BGH, Urteile vom 11. März 1987 - IV ZR 290/85, BGHZ 100, 132, 135; vom 26. Februar 1981 - VII ZR 72/80, NJW 1981, 1518, 1519 und vom 6. November 1980 - VII ZR 237/79, NJW 1981, 401, 402 f). Auch eine nicht ausdrücklich aufgeführte Tätigkeit kann dem Berufsbild zugeordnet werden, wenn sie nach dessen geschichtlicher Entwicklung und nach der Verkehrsauffassung dazu gehört (BGH, Urteil vom 11. März 1987, aaO). Wird eine Tätigkeit gerade einem Wirtschaftsprüfer im Hinblick auf die berufsspezifische Sachkunde und Erfahrung auf betriebswirtschaftlichem Gebiet übertragen, kann dies für eine entsprechende Qualifizierung sprechen (BGH, Urteil vom 11. März 1987 aaO; vgl. auch Urteil vom 16. Januar 1986 - VII ZR 61/85, BGHZ 97, 21, 25, bezogen auf die Anwendung von § 68 StBerG auf Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater wegen der Verletzung von Treuhandverträgen im Zusammenhang mit der Beteiligung an Bauherrenmodellen ). Bei Anlagemodellen wie dem vorliegenden kommt der Funktion des Mittelverwendungskontrolleurs eine zentrale Aufgabe zu. Dabei erzeugt deren Wahrnehmung durch einen Wirtschaftsprüfer vor allem im Hinblick auf dessen spezielle betriebswirtschaftliche Kenntnisse Vertrauen in die Seriosität der Anlage.
26
Gerade auch die Gestaltung der Mittelverwaltung durch die hier maßgeblichen Mittelverwendungskontrollverträge entspricht dem Berufsbild eines Wirtschaftsprüfers. Gemäß § 2 Abs. 3 WPO gehört zu den Befugnissen des Wirtschaftsprüfers auch, in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu beraten, fremde Interessen zu wahren und treuhänderische Verwaltungen vorzunehmen. Die Pflichten der Beklagten zu 1 als Mittelverwendungskontrolleurin waren dementsprechend ausgestaltet. Gemäß § 1 Nr. 2 und 3 der Verträge sollte die Kontrolle gerade durch die treuhänderische Verwaltung der Fondsmittel erfolgen. Hierzu sollte die Beklagte zu 1 die Mittel der Gesellschaften, welche sie durch Überweisung der Einlageleistungen der Anleger von der Treuhandkommanditistin erhielt, auf einem Treuhandkonto (Anderkonto I), verwahren und die Erlöse der Fondsgesellschaften aus der Verwertung der hergestellten Filme auf einem ebenfalls als Treuhandkonto geführten Anderkonto II verwalten. Darüber hinaus waren gemäß § 4 Nr. 1 der Mittelverwendungskontrollverträge auf weiteren gesonderten Anderkonten, den sogenannten "Produktionskonten", die Produktionsmittel eines jeden Projekts zu verwalten. Diese Gestaltung ermöglichte die Durchführung der Mittelverwendungskontrolle durch die Beklagte zu 1. Die Überwachung der Verwendung der angelegten Gelder und, soweit erforderlich, die Regulierung der Mittelverwendung erfolgte damit auf Grundlage der in den Mittelverwendungskontrollverträgen vorgesehenen Einrichtung und Verwaltung der treuhänderischen Anderkonten. Dass der Mittelverwendungskontrolleur vor der Freigabe der Mittel lediglich das Vorliegen verschiedener vertraglich definierter Voraussetzungen zu überprüfen hatte, steht der Einordnung seiner Tätigkeit in das Berufsbild eines Wirtschaftsprüfers nicht entgegen, zumal der Beklagten zu 1 durch die Regelungen in § 4 Nr. 10 (MBP KG I) und § 4 Nr. 11 (MBP KG II) des jeweiligen Mittelverwendungskontrollvertrags Ermessen bei der Entscheidung eingeräumt wurde, angeforderte Mittel freizugegeben, wenn die in dem Vertrag definierten formalen Auszahlungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Gerade bei der in diesen Fällen notwendigen Abwägung der Interessen der Anleger und der Fondsgesellschaft kommt es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und auch steuerlichen (vgl. § 2 Abs. 2 WPO) Auswirkungen der jeweiligen Entscheidung auf die besondere Sachkunde eines Wirtschaftsprüfers an.
27
Im Übrigen ist es, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist, bei Kapitalanlagemodellen der vorliegenden Art durchaus üblich, ei- nen Mittelverwendungskontrolleur einzuschalten und mit dieser Aufgabe einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu betrauen.
28
(3) Eine Vergleichbarkeit mit dem Fall, in dem der Senat die Anwendung der Regelverjährung auf Schadensersatzansprüche von Kapitalanlegern gegen eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die als Treuhandkommanditistin tätig war, wegen der mangelnden Aufklärung über die Verwendung von Provisionen im Zusammenhang mit dem Beitritt zu einer Publikumskommanditgesellschaft bejaht hat (Senatsurteil vom 29. Mai 2008 - III ZR 59/07, WM 2008, 1205 Rn. 28), besteht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Die Haftung eines Gesellschafters richtet sich unabhängig von seinem Beruf nach den Vorschriften, die für jeden Gesellschafter in gleicher Situation gelten (Senatsurteil vom 13. Juli 2006 - III ZR 361/04, NJW-RR 2007, 406 Rn. 13; BGH, Urteil vom 20. März 2006 - II ZR 326/04, NJW 2006, 2410 Rn. 8). Hiervon ist die Haftung eines Wirtschaftsprüfers wegen seiner Tätigkeit als Mittelverwendungskontrolleur zu unterscheiden.
29
cc) Die Verjährungsfrist des § 51a WPO a.F. ist vor Erhebung der Klage abgelaufen. In dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch entstanden ist, beginnt der Lauf der Frist des § 51a WPO a.F. Die Klägerin leitet ihre Forderung gegen die Beklagte zu 1 aus dem Vorwurf her, diese habe es unterlassen, den Zedenten vor dessen Beitritten zu den Fonds MBP KG I und II über die (von ihr behaupteten ) Mängel der Mittelverwendungskontrolle aufzuklären. Ein hieraus erwachsener Schaden bestünde in der Eingehung der Beteiligung und wäre demnach mit Eintritt der rechtlichen Bindung des Zedenten an seine Beteiligungsentscheidungen entstanden (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2009 - III ZR 109/08, WM 2010, 25 Rn. 33; BGH, Urteil vom 27. Januar 1994 - IX ZR 195/93, NJW 1994, 1405, 1407). Der Zedent hat die Beitritte am 4. Juli 2000 und 22. Oktober 2001 erklärt. Die Annahmen erfolgten am 13. Juli 2000 und 11. November 2001. Die fünfjährige Verjährungsfrist wäre in Bezug auf etwaige Schadensersatzansprüche wegen beider Fondsgesellschaften damit am 13. Juli 2005 und am 11. November 2006, mithin vor der Klagerhebung im September 2010 abgelaufen.
30
dd) Anhaltspunkte für eine Unterbrechung oder Hemmung des Laufs der Verjährungsfrist des § 51a WPO a.F. sind nicht ersichtlich.
31
ee) Der Verjährung kann die Klägerin entgegen der Ansicht der Revision nicht eine Sekundärhaftung der Beklagten zu 1 entgegenhalten. Ein als Mittelverwendungskontrolleur tätiger Wirtschaftsprüfer unterliegt, nicht anders als der als Jahresabschlussprüfer tätige Wirtschaftsprüfer (hierzu siehe BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323 Rn. 33), keiner Sekundärhaftung. Bei der Mittelverwendungskontrolle ist der Wirtschaftsprüfer ebenso wenig wie bei einer Jahresabschlussprüfung zu einer umfassenden rechtlichen Beratung verpflichtet. Vielmehr beschränkt sich seine Prüfungspflicht auf einen abgegrenzten Bereich. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Sekundärhaftung (vgl. BGH aaO Rn. 34 f). Aus dem gleichen Grund ist, anders als die Revision meint, auch das Senatsurteil vom 7. November 1991 (III ZR 118/90, NJW-RR 1992, 531) nicht auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war ein Wirtschaftsprüfer als Treuhänder tätig, der es ausdrücklich gegenüber dem geschädigten Auftraggeber übernommen hatte, dessen Rechte und Interessen bei dem Erwerb einer Eigentumswohnung im Rahmen eines Kapitalanlagemodels zu wahren. Dieser Aufgabenkreis ist mit dem eines als Mittelverwendungskontrolleur tätigen Wirtschaftsprüfers, der vertraglich keine umfassende Beratung übernommen hat, welche jedoch die Grundlage für die Sekundärhaftung ist, nicht zu vergleichen.
32
b) Indessen hat das Berufungsgericht deliktische Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zu Unrecht verneint. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kann eine deliktische Haftung der Beklagten zu 1 nicht ausgeschlossen werden. Da sie allerdings als bloße Mittelverwendungskontrolleurin nicht prospektverantwortlich ist und auch nicht ersichtlich oder dargetan ist, dass sie (potentiellen) Anlegern gegenüber falsche Angaben gemacht hat, kommt nur in Betracht, dass Mitarbeiter der Beklagten zu 1 als Teilnehmer an den deliktischen Handlungen des Beklagten zu 2 mitgewirkt haben (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 264a, 27 StGB und §§ 826, 830 BGB), für deren Handlungen die Beklagte zu 1 gemäß § 31 oder § 831 BGB haftbar ist (siehe hierzu auch nachfolgend 2 und 3).
33
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Klageabweisung gegenüber dem Beklagten zu 2 bestätigt. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist ein auf Ausgleich des Zeichnungsschadens gerichteter Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 nicht auszuschließen.
34
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Klägerin vom Beklagten zu 2 Schadensersatz - wegen eingetretener Verjährung (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2009 - III ZR 15/08, NJW 2010, 1077 Rn. 26 mwN) - nicht nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinn verlangen kann. Auch eine Prospekthaftung im weiteren Sinn scheidet aus. Durch die Präsentation des Beklagten zu 2 und die Darstellung seiner filmspezifischen Erfahrungen in dem Prospekt wird kein über das hierdurch hergerufene typisierte Vertrauen hinausgehendes besonderes persönli- ches Vertrauen in Anspruch genommen (siehe nur BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 - XI ZR 41/03, NJW-RR 2005, 23, 25 f mwN). Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
35
b) Jedoch hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten zu 2 auf deliktsrechtlicher Grundlage mit unzutreffenden Erwägungen verneint.
36
aa) Es kommt nach Maßgabe nachzuholender tatsächlicher Feststellungen ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 a Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie § 826 BGB in Betracht.
37
Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB setzt die schuldhafte Verletzung eines Schutzgesetzes voraus. § 264 a StGB ist ein solches Gesetz (BGH, Urteile vom 1. März 2010 - II ZR 213/08, NJW-RR 2010, 911 Rn. 24; vom 29. Mai 2000 - II ZR 280/98, NJW 2000, 3346 und vom 21. Oktober 1991 - II ZR 204/90, BGHZ 116, 7, 13 f). Der Kapitalanlagebetrug gemäß § 264 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert in der hier allein in Betracht kommenden Variante, dass der Täter im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Beteiligungen an dem Ergebnis eines Unternehmens in Prospekten hinsichtlich der für die Entscheidung über den Erwerb erheblichen Umstände gegenüber einem größeren Kreis von Personen nachteilige Tatsachen verschweigt. Dies umfasst auch Fälle, in denen er die Unrichtigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennt. Dementsprechend wird eine Aktualisierungspflicht angenommen, also eine Verpflichtung zum Nachreichen richtigstellender Informationen, wenn sich eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der ursprünglichen Angaben erst später infolge geänderter Umstände einstellt (Tiedemann in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl.
§ 264a Rn. 82; MünchKommStGB/Wohlers, § 264a Rn. 38; Grotherr DB 1986, 2584, 2586 f).
38
Zu den für den Erwerbsentschluss der Anleger erheblichen Umständen gehörte bei den in Rede stehenden Fonds auch die Wirksamkeit der in den Prospekten wiedergegebenen Mittelverwendungskontrolle. Dementsprechend stellte es einen offenbarungspflichtigen Umstand dar, wenn diese Kontrolle aufgrund einer den praktischen Bedürfnissen oder den Geschäftsgebräuchen der Filmbranche nicht hinreichend Rechnung tragenden vertraglichen Ausgestaltung ohne "großflächigen" Rückgriff auf die Ermessensklauseln überhaupt nicht funktionieren konnte. Gleiches würde gelten, wenn sich im Rahmen der Zusammenarbeit von Komplementär-Gesellschaft und Mittelverwendungskontrolleur eine tatsächliche Handhabung dergestalt etabliert hätte, dass die formalen Voraussetzungen für die Mittelfreigaben durch die Inanspruchnahme der Ermessensklauseln fortlaufend und systematisch überspielt worden wären. Hiervon ist auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen. Seine Würdigung, aus dem Vortrag der Klägerin zur tatsächlichen Abwicklung der Mittelverwendungskontrolle ergebe sich aber nicht, dass im Rahmen der Tätigkeit der Fondsgesellschaften von den Ermessensklauseln des § 4 Nr. 11.1 beziehungsweise § 4 Nr. 10 der Mittelverwendungskontrollverträge systematisch zweckwidrig Gebrauch gemacht wurde, beruht jedoch auf von der Revision zutreffend gerügten Rechtsfehlern.
39
(1) Bezüglich des Fonds MBP KG I hat das Berufungsgericht keine vor dem Beitritt des Zedenten am 4. Juli 2000 datierenden Mittelfreigaben, bei denen von der Ermessensklausel Gebrauch gemacht wurde, feststellen können. Dies ist zwar bezogen auf die in der Klageschrift einzeln angeführten Vorgänge nicht zu beanstanden. Die insoweit von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch. Mit ihrer Klageschrift hat die Klägerin konkret lediglich Mittelfreigaben ab Oktober 2000 vorgetragen. Soweit sie sich in der Revisionsbegründung zusätzlich auf die von ihr in den Vorinstanzen vorgelegten Schreiben der Beklagten zu 1 aus dem Jahr 1999 und vom 7. Januar 2000 bezieht, aus denen sich ergibt, dass die für Mittelfreigaben erforderlichen Unterlagen fehlten (Anlagen K 3-5), folgt aus diesen gerade nicht, dass die entsprechenden Gelder gleichwohl freigegeben wurden. Im Gegenteil deuten die Schreiben eher darauf hin, dass die Beklagte zu 1 die Freigabe ohne die von ihr vermissten Nachweise nicht erklärte. Jedoch kommt es hierauf im vorliegenden Verfahrensstadium letztlich nicht an. Die Klägerin hat unter anderem in Bezug auf den Beitritt des Zedenten zum Fonds MBP KG I schlüssig vorgetragen, dass die prospektierte Mittelverwendungskontrolle auch deshalb nicht wirksam habe in Gang gesetzt werden können, weil die in § 4 Nr. 6a der Mittelverwendungskontrollverträge bestimmten Voraussetzungen für die Freigabe der ersten Rate der einzelnen Produktionen von vornherein nicht einzuhalten gewesen seien und deshalb eine Auszahlung der entsprechenden Mittel entgegen dem mit dem Prospekt vermittelten Eindruck nur im Wege der Inanspruchnahme der Ermessensklauseln der Mittelverwendungskontrollverträge habe erfolgen können (siehe hierzu unten Nr. (3)). Zudem hat sie behauptet, selbst die Voraussetzungen für die Anwendung der Ermessensklausel seien systematisch missachtet worden (siehe hierzu unten Nr. (4)).
40
(2) Für die Zeit ab Oktober 2000 bis zum Beitritt des Zedenten zu dem Fonds MBP KG II am 22. Oktober 2001 hat die Klägerin eine Reihe von Mittelanforderungen für verschiedene Projekte dieses Fonds sowie des Fonds MBP KG I vorgetragen und hierzu die entsprechenden vom Beklagten zu 2 unterzeichneten Schreiben an die Beklagte zu 1 vorgelegt, aus denen sich ergab, dass die Freigaben nur auf der Grundlage der Ermessensregeln erfolgen konn- ten. Sofern diese Anforderungen auch tatsächlich zu Mittelfreigaben unter Anwendung der Ermessensklauseln führten und der Umfang dieser Freigaben im Verhältnis zu den übrigen Ausgaben unverhältnismäßig hoch war, kann vor dem Beitritt des Zedenten zum Fonds MBP KG II eine systematische und damit entgegen der Ansicht der Vorinstanz offenbarungspflichtige Abweichung der tatsächlich ausgeführten von der prospektierten Mittelverwendungskontrolle vorgelegen haben. In Bezug auf das Verhältnis der Freigaben auf der Grundlage der Ermessensklauseln zu den sonstigen Zahlungen hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - von einer abschließenden , ihm als Tatrichter obliegenden Würdigung abgesehen, weil es gemeint hat, es sei unabhängig hiervon lediglich das "Wie" der Mittelverwendungskontrolle betroffen (siehe dazu auch die Ausführungen zu 3 a).
41
Soweit die anschließende Bezugnahme der Vorinstanz auf die von der Klägerin selbst vorgelegte Anlage BK 5 dahin zu verstehen sein sollte, dass das Berufungsgericht substantiierte Angaben darüber vermisste, welche der in der Klageschrift aufgezählten Mittelanforderungen der Fondsgesellschaft auch tatsächlich zu Freigaben der Gelder führten, die auf den Ermessensregelungen der Mittelverwendungskontrollverträge beruhten, ist auch dies nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar haben die auch im vorliegenden Verfahren als Zeugen benannten Personen in der in Anlage BK 5 protokollierten Vernehmung in einem Parallelprozess bekundet, es sei zu Auseinandersetzungen zwischen der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2 bei Anforderungen gekommen, die auf die Ermessensklauseln gestützt gewesen seien. Dies berührt aber die Schlüssigkeit des Vortrags der Klägerin nicht. Diese hat in ihrer Klageschrift ausdrücklich behauptet , die von ihr dort vorgelegten Anforderungen des Beklagten zu 2 hätten sämtlich zur Freigabe der Mittel unter Anwendung der Ermessensklauseln geführt. Das vom Berufungsgericht angeführte Protokoll konnte daher allenfalls im Rahmen einer Beweiswürdigung Berücksichtigung finden, die aber auch die vorherige Einvernahme der von der Klägerin für ihren Vortrag benannten Zeugen B. -K. und G. vorausgesetzt hätte.
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(3) Begründet ist die weitere Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe das beweisbewehrte - und nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gebliebene - Vorbringen der Klägerin, die in § 4 Nr. 6a der Mittelverwendungskontrollverträge bestimmten regulären Voraussetzungen für die Freigabe der jeweiligen ersten Raten für die Filmproduktionen seien von vornherein nicht einzuhalten gewesen, zu Unrecht als unbeachtliche Behauptung in Blaue hinein behandelt. Sollte dieser Vortrag zutreffen, läge hierin ein aufklärungspflichtiger Umstand, weil in diesem Fall § 4 Nr. 6 der Mittelverwendungskontrollverträge leergelaufen wäre.
43
Die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz das Vorbringen der Klägerin als unbeachtliche Behauptung "ins Blaue hinein" qualifiziert hat, sind nicht tragfähig. Eine Partei genügt ihrer Darlegungslast bereits dadurch, dass sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Dabei muss das Gericht aufgrund dieser Darstellung nur in die Lage versetzt werden zu beurteilen , ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (z.B. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2007 - III ZR 156/06, juris Rn. 8; Senatsurteil von 15. Mai 2003 - III ZR 7/02, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, NJW 2012, 382 Rn. 14; Urteile vom 14. Mai 2009 - I ZR 99/06, juris Rn. 19 und vom 24. Oktober 2002 - I ZR 104/00, NJW-RR 2003, 754, 755). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 aaO). Die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Beweises ist danach nur zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710, 2711). Sind hingegen dem Gericht die zur Begründung der geltend gemachten Rechtsfolgen notwendigen Tatsachen vorgetragen worden, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 aaO mwN).
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Die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Beweises ist überdies zulässig, wenn das tatsächliche Vorbringen zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber willkürlich "aufs Geratewohl", gleichsam "ins Blaue hinein” aufgestellt ist (st. Rspr. z.B. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2007 - III ZR 156/06, juris Rn. 8; Senatsurteil vom 15. Mai 2003 - III ZR 7/02, juris Rn. 15 jew. mwN; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 40 mwN; Beschluss vom 1. Juni 2005 aaO). Bei der Annahme von Willkür ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 aaO mwN).
45
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen für einen hiernach unbeachtlichen Vortrag bejaht. Zur Begründung seiner Auffassung hat es sich unzutreffend auf die Anlage BK 5 gestützt, die das Protokoll der Vernehmung mehrerer Mitarbeiter der Beklagten zu 1 in einem Parallelprozess enthält. Richtig ist zwar, dass sich die Zeugen vorwiegend zur Handhabung der Mittelverwendungskontrolle bei dem dort streitgegenständlichen, hier aber nicht in Rede stehenden Fonds MBP NY 121 geäußert haben. Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass danach jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für den Tatsachenvortrag der Klägerin fehlen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Zeuge K. hat nach dem Protokoll im Zusammenhang mit der Auszahlung erster Raten bestätigt, dass es bei den Fonds MBP KG I und MBP KG II immer wieder Schwierigkeiten gegeben habe, weil die erforderlichen Unterlagen nicht beigebracht worden seien und der Beklagte zu 2 Druck aufgebaut habe, um die Auszahlungen gleichwohl zu erreichen (Seite 11 des Protokolls). Dementsprechend hat der Vorsitzende Richter in jener Sache ausgeführt, die dortige (und hiesige) Beklagte zu 1 müsse mit ihrer Verurteilung rechnen, da die Beweisaufnahme ergeben habe, "dass in Kenntnis des Umstandes, dass bereits bei MBP I und II häufiger Auszahlungsvoraussetzungen nicht vorlagen bzw. nicht vorliegen konnten, bei Nymphenburg 121 erneut ähnlich agiert wurde und Argument für die Auszahlung wohl jeweils drohende Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu 1) waren." (Seite 12 des Protokolls). Dies hat auch in den ebenfalls vom Berufungsgericht herangezogenen Urteilen des Landgerichts München I (Anlagen BK 7 und 7a), die aufgrund der in Anlage BK 5 protokollierten mündlichen Verhandlung ergingen, seinen Niederschlag gefunden (jeweils S. 13 f der Urteile).
46
Angesichts dessen durfte das Berufungsgericht von der Erhebung der angebotenen Beweise nicht mit der Begründung absehen, die entsprechende Behauptung sei "ins Blaue hinein" aufgestellt.
47
Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, dass eine "frühe" Fälligkeit der Rate und eine dementsprechend "frühe" Mittelanforderung nicht zwangsläufig eine sofortige Freigabe der Gelder seitens der Beklagten zu 1 ohne Vorlage von Nachweisen zur Folge gehabt habe, hätte nicht dazu führen dürfen, dem Vortrag der Klägerin nicht nachzugehen. Denn diese hat in ihren Schriftsätzen vom 14. November 2011 und vom 26. Januar 2012 unter Beweisantritt unmissverständlich vorgetragen, dass die Mittel für die ersten Raten stets ohne die in § 4 Nr. 6a der Mittelverwendungskontrollverträge vorgesehenen Nachweise freigegeben wurden. Hierfür gab es zudem aufgrund der oben wiedergegebenen Aussage des Zeugen K. in dem Parallelverfahren einen handfesten Anhaltspunkt.
48
(4) Schließlich rügt die Revision mit Recht, dass das Berufungsgericht dem Vortrag der Klägerin nicht nachgegangen ist, bei Anwendung der Ermessensklauseln habe sich die Beklagte zu 1 regelmäßig mit Pauschalbegründungen für die Eilbedürftigkeit zufrieden gegeben, habe die im Rahmen der Ermessensentscheidung gebotene Abwägung nicht getroffen, und bei dem Fonds MBP KG II hätten die nach § 4 Nr. 11.2 des Mittelverwendungskontrollvertrags erforderlichen Stellungnahmen des Co-Produzenten oder des unechten Auftragsproduzenten nicht vorgelegen. Die Vorinstanz hat gemeint, die Prüfung der Voraussetzungen der Ermessensklauseln betreffe nur das "Wie" der Mittelverwendungskontrolle. Diese Würdigung schöpft den Vortrag der Klägerin nicht aus. Sie hat geltend gemacht, diese laxe Handhabung sei von Anbeginn prägend für die Ausführung der Mittelverwendungskontrolle beider Fonds gewesen. Sollte sich dies bestätigen, läge ein vom Beklagten zu 2 zu offenbarender Umstand vor, da die Emissionsprospekte einen anderen, günstigeren Eindruck von der Intensität der Mittelverwendungskontrolle durch die Beklagte zu 1 erweckten. Das Berufungsgericht wird daher Feststellungen zu den Behauptungen der Klägerin nachzuholen und die angebotenen Beweise zu erheben haben.
49
bb) Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu 2 Kenntnis von dem Umfang der auf die Ermessensklausel gestützten Mittelfreigaben gehabt habe, hat es unberücksichtigt gelassen, dass die Mittelanforderungen von ihm ausgingen und er damit wusste, ob die formalen Voraussetzungen für die Freigaben erfüllt waren oder ob die Ermessensklauseln Anwendung finden mussten.
50
3. Da aus den vorstehenden Gründen die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen unvollständig und gegebenenfalls Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagten zu treffen sind, ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist deshalb gemäß § 563 Abs. 1 und 3 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
51
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
52
a) Das Berufungsgericht hat bei der Frage, ob die Vorgaben des Mittelverwendungskontrollvertrags durch die übermäßige Anwendung der Ermessensklauseln systematisch unterlaufen wurden und deshalb eine (vorvertragliche ) Aufklärungspflicht verletzt wurde, in den Blick genommen, in welchem Umfang tatsächlich von den Ermessensklauseln Gebrauch gemacht wurde. Diesem Umstand vermag auch bei der Prüfung indizielle Bedeutung zukommen, ob den Beklagten ein vorsätzliches deliktisches Fehlverhalten (Beklagte zu 1 §§ 264a, 27 StGB, § 826 BGB i.V.m. §§ 31, 831 BGB; Beklagter zu 2 § 264a StGB, § 826 BGB) vorgeworfen und nachgewiesen werden kann (siehe dazu BGH, Urteil vom 20. November 2011 - VI ZR 309/10, NJW 2012, 404 Rn. 9 ff). Das Berufungsgericht hat bei seiner Vergleichsbetrachtung unter - bedenklicher (siehe nachfolgend c) - Zusammenfassung beider Fonds die bis zu den Beitrit- ten der Klägerin erfolgten - unterstellt beanstandungswürdigen - Freigaben in das Verhältnis zu den Gesamtausgaben der Fonds gesetzt und ist so zu einem Anteil von 15 % gelangt. Dieser geringe Anteil wäre aber nur dann korrekt ermittelt und daher auch nur dann bezüglich einer missbräuchlichen Handhabung der Ermessensklauseln aussagekräftig, wenn feststünde, dass bei den nach den Beitritten erfolgten Freigaben auf diese Klauseln nicht (mehr) zurückgegriffen wurde beziehungsweise werden musste. In die Betrachtung einzubeziehen ist demgegenüber in erster Linie, in welchem Verhältnis die "Ermessensfreigaben" zu den sonstigen Mittelfreigaben bis zu den Zeitpunkten der Beitritte der Klägerin standen. Soweit es darum geht, ob aus dem (späteren) Verhalten der Beklagten Rückschlüsse auf vorgefasste Motive und Absichten gezogen werden können, wären die gesamten Ermessensfreigaben zu den Gesamtausgaben in Beziehung zu setzen.
53
b) In Bezug auf die Beklagte zu 1 ist zu beachten, dass bei der Annahme des erforderlichen (doppelten) Gehilfenvorsatzes in tatsächlicher Hinsicht einerseits Vorsicht geboten ist. Andererseits wäre dann, wenn bei der Mittelfreigabe die formalen Voraussetzungen fortlaufend und systematisch durch die Inanspruchnahme der Ermessensklauseln überspielt worden wären, eine Vorsatztat auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Freigaben seitens der Beklagten zu 1 widerstrebend geschehen wären und ihre Mitarbeiter bei dem einen oder anderen Freigabeersuchen des Beklagten zu 2 erfolgreich auf der Einhaltung der im Mittelverwendungskontrollvertrag enthaltenen Vorgaben bestanden hätten. Ein "kollusives" Zusammenwirken zwischen den Beklagten dahingehend, dass zwischen diesen eine systematisch vertragswidrige Handhabung der Mittelverwendungskontrolle verabredet wurde, ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht erforderlich.
54
c) Weiter ist zu beachten, dass die Voraussetzungen für die Freigaben der ersten Raten in den Fonds MBP I und II im Detail unterschiedlich ausgestaltet sind. Das Berufungsgericht wird daher bei der Würdigung des Vorbringens der Parteien diese Differenzierungen zu berücksichtigen und dementsprechend die notwendigen Feststellungen zu treffen haben. Es wird dabei zu beachten sein, dass die Beklagtenseite insoweit die sekundäre Darlegungslast treffen kann (siehe hierzu Senatsurteile vom 15. März 2012 - III ZR 190/11, NJW 2012, 2103 Rn. 21 und vom 17. Januar 2008 - III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Rn. 16 mwN).
Schlick Herrmann Hucke
Tombrink Remmert
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 04.08.2011 - 22 O 17536/10 -
OLG München, Entscheidung vom 08.02.2012 - 20 U 3620/11 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 616/12
vom
5. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Sitzung vom
5. Februar 2014 in der Verhandlung am 5. März 2014, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott
und der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt (in der Verhandlung am
5. Februar 2014),
Rechtsanwalt (in der Verhandlung
am 5. Februar 2014),
Rechtsanwalt (in der Verhandlung
am 5. Februar 2014 und bei der Verkündung am 5. März 2014)
als Verteidiger,
Justizangestellte (in der Verhandlung am 5. Februar 2014),
Justizangestellte (bei der Verkündung am 5. März 2014)
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juni 2012 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Aufgrund überlanger Verfahrensdauer hat es angeordnet, dass vier Monate der verhängten Strafe als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.


2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
1. Der Angeklagte war Geschäftsführer der Firma N. Ltd. Das von dieser betriebene Unternehmen unterhielt von August 2006 bis zum 31. August 2007 verschiedene kostenpflichtige Internetseiten, unter anderem die Seite „www.routenplaner-server.com“, auf der ein Online-Routenplaner angeboten wurde.
4
Diese Internetseite, für deren Gestaltung der Angeklagte verantwortlich war, war dergestalt aufgebaut, dass bei ihrem Aufruf zunächst eine Startseite erschien, auf der von dem Nutzer verschiedene Angaben zum Stand- und Zielort zu machen waren. Auf der Startseite befand sich in Fettdruck auch ein Hinweis auf ein Gewinnspiel. Eine Information darüber, dass für die Nutzung des Routenplaners ein Entgelt zu zahlen war, enthielt die Startseite nicht.
5
Nach Betätigung der Schaltfläche „Route berechnen!“ erschien eine neue Seite, über der sich eine Grafik befand, in der wiederum auf das Gewinnspiel hingewiesen wurde. Auf derselben Seite gab es auch eine so genannte Anmeldemaske , in welche der Nutzer seinen Vor- und Zunamen nebst Anschrift, E-Mail-Adresse und Geburtsdatum einzutragen hatte. Die Anmeldemaske war in kursiver Schrift mit den Worten überschrieben: „Bitte füllen Sie alle Felder vollständig aus!“ Im unteren Bereich der Seite war von dem Nutzer die Schaltfläche „ROUTE PLANEN“ anzuklicken. Unterhalb dieser Schaltfläche befand sich ein Fußnotentext, auf den mit einem Sternchenhinweis verwiesen wurde. Am Ende dieses mehrzeiligen Fußnotentextes war der Preis für einen dreimonatigen Zugang zu dem Routenplaner in Höhe von 59,95 € in Fettdruck ausgewiesen. In Abhängigkeit von der Größe des Monitors und der verwendeten Bildschirmauflösung endete der sichtbare Teil der Internetseite unmittelbar nach der Schaltfläche „ROUTE PLANEN“,so dass der Hinweis auf das zu zahlende Entgelt auf den ersten Blick nicht wahrzunehmen war. Das zu zahlende Entgelt in Höhe von 59,95 € war auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf- geführt, die über den Link „AGB und Verbraucherinformation“ aufrufbarwaren und von dem Nutzer akzeptiert werden mussten. Die Allgemeinen Geschäfts- bedingungen enthielten darüber hinaus eine Bestimmung, wonach dem Nutzer über den Betrag in Höhe von 59,95 € eine Rechnung zugesandt und der Rechnungsbetrag vorbehaltlich des Widerrufsrechts unmittelbar nach Vertragsschluss fällig werde.
6
Zur Prüfung einer möglichen Strafbarkeit durch das Betreiben der Internetseite hatte sich der Angeklagte bereits im Jahr 2006 an seinen Verteidiger, Rechtsanwalt P. , gewandt, der ihn an seinen Sozietätskollegen, Rechtsanwalt G. , weiterverwies. Dieser gab dem Angeklagten ein im August 2006 für einen Dritten erstattetes Gutachten über die strafrechtliche Beurteilung eines auf einer vergleichbaren Internetseite angebotenen kostenpflichtigen Intelligenztests zur Kenntnis. Darin kam er zu dem Ergebnis, dass eine Strafbarkeit wegen Betrugs schon deswegen nicht in Betracht komme, weil keine Täuschungshandlung vorliege.
7
Aufgrund der Klage eines Verbraucherschutzverbandes wurde der Angeklagte am 27. Juni 2007 vom Landgericht Frankfurt am Main verurteilt, es zu unterlassen, Internetseiten (mit ähnlichem Erscheinungsbild) zu betreiben, ohne die Preise für die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen deutlich zu machen. Das Urteil wurde ihm am 2. Juli 2007 zugestellt. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung nahm der Angeklagte aufgrund eines Hinweisbeschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 6. Mai 2008 zurück. Weitere gleichgelagerte Entscheidungen durch das Landgericht Frankfurt am Main vom 5. September 2007 folgten, sie wurden vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 4. Dezember 2008 und in einem Fall vom Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 25. März 2010 bestätigt (UA S. 31 f.).
8
2. Spätestens zum 1. September 2007 führte die O. Ltd. die zuvor von der N. Ltd. betriebenen Internetseiten in unveränderter Form weiter. Die O. Ltd. hatte in der Zeit vom 1. März 2007 bis zum 31. Oktober 2007 ihren Sitz zunächst in W. ; zum 1. November 2007 wurde der Firmensitz zum Schein nach Ob. verlegt. Geschäftsführerin der O. Ltd. war die ursprüngliche Mitangeklagte D. , die im Jahr 2005 ohne Deutschkenntnisse als „Au Pair-Mädchen“ aus der Slowakei nach Deutschland gekommen und zum Zeitpunkt ihrer Eintragung als Geschäftsführerin 21 Jahre alt war. Tatsächlich wurden die Geschäfte der O. Ltd. von dem Angeklagten geführt, der nach außen hin als Prokurist auftrat.
9
Insgesamt 261 Nutzer, die den Kostenhinweis auf der Internetseite „www.routenplaner-server.com“ nicht zur Kenntnis genommen hatten, erstatte- ten Strafanzeige, nachdem sie nach Ablauf der Widerrufsfrist per E-Mail oder per Post eine Zahlungsaufforderung erhalten hatten. Zehn Anzeigeerstatter zahlten das Entgelt in Höhe von 59,95 €. An diejenigen, die nicht gezahlt hatten , wurden Zahlungserinnerungen versandt; einige erhielten zudem Schreiben von Rechtsanwälten, in denen ihnen für den Fall, dass sie nicht zahlten, mit einem Eintrag bei der „Schufa“ gedroht wurde.
10
II. Das Landgericht hat in der verantwortlichen Gestaltung der Internetseiten durch den Angeklagten einen versuchten Betrug gesehen. Der Angeklagte habe die Absicht gehabt, durch die äußere Form der Internetseite über deren Kostenpflichtigkeit zu täuschen und den Nutzern jeweils einen Vermögensschaden in Höhe von 59,95 € zuzufügen. Der Schaden habe darin liegen sollen, dass die Internetnutzer, die nach Eingabe ihrer Daten die Schaltfläche „ROUTE PLANEN“ betätigt hatten, dadurch einen – wenn auch zivilrechtlich anfechtba- ren – Vertrag geschlossen hätten, der sie zur Zahlung von 59,95 € verpflichtet habe, obwohl die Leistung auch umsonst erhältlich gewesen sei (UA S. 73). Darüber hinaus sei der Vertrag nicht auf eine einmalige Leistung, sondern auf ein Abonnement gerichtet gewesen, was den Internetnutzern, die den Kostenhinweis nicht wahrgenommen hätten, gar nicht bekannt gewesen sei. Daher habe zum einen keine Möglichkeit zur Nutzung bestanden, zum anderen sei diese Nutzungsmöglichkeit wirtschaftlich sinnlos gewesen, wenn die Nutzer anlassbezogen eine einzelne Route planen wollten (UA S. 75). Einen vollendeten Betrug hat das Landgericht, das lediglich drei der Anzeigeerstatter als Zeugen vernommen hat, mit der Begründung verneint, es sei nicht nachzuweisen, dass tatsächlich Nutzer der Seite getäuscht worden seien. Aufgrund des dem Angeklagten bekannten Gutachtens vom 2. August 2006, auf das er vertraut habe, habe ihm zunächst die Einsicht gefehlt, Unrecht zu tun. Nachdem ihm am 2. Juli 2007 das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main zugestellt worden sei, habe er aber mit bedingtem Unrechtsbewusstsein gehandelt; ihm sei spätestens ab diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass er durch die Gestaltung der Internetseiten gegen zivilrechtliche Normen verstoße (UA S. 79). Angesichts von Verschleierungshandlungen im Sommer/Herbst 2007 (Einschaltung von Scheingeschäftsführern , Umfirmierungen und Sitzverlegungen) sei die Strafkammer überzeugt, dass dem Angeklagten tatsächlich bewusst gewesen sei, durch seine Seitengestaltung gegen geltendes Recht zu verstoßen.

B.


11
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
12
I. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
13
II. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Schuld- und Strafausspruch begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14
1. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten Vorsatz hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale des Betrugs gegeben ist.
15
a) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Vorsatz ge- habt, die Nutzer der Internetseite „www.routenplaner-server.com“ über die Kos- tenpflichtigkeit der angebotenen Leistung zu täuschen, wird von den Feststellungen getragen.
16
aa) Eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB ist jede Einwirkung des Täters auf die Vorstellung des Getäuschten, welche objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Dabei kann die Täuschung nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2001 – 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 3).
17
Auf eine solche Täuschungshandlung richtete sich der Vorsatz des Angeklagten. Der Internetseite und den Allgemeinen Geschäftsbedingungen war zwar bei genauer Lektüre zu entnehmen, dass die Inanspruchnahme des Rou- tenplaners zum Abschluss eines Abonnementvertrages führte und zur Zahlung eines Entgelts in Höhe von 59,95 € verpflichtete. Die Strafkammer hat den Vorsatz aber ohne Rechtsfehler daraus abgeleitet, dass der Angeklagte durch den gewählten Aufbau der Internetseite die Kostenpflichtigkeit der angebotenen Leistung verschleiert hat, indem er den Hinweis auf das anfallende Nutzungsentgelt an einer Stelle platziert hat, an der mit einem solchen Hinweis nicht zu rechnen war. Der Hinweis war nicht – wie insbesondere bei Leistungen zu erwarten ist, die im Internet problemlos kostenfrei in Anspruch genommen werden können – im örtlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit den Angaben angebracht , die sich auf die angebotene Leistung beziehen. Er war vielmehr in einem Fußnotentext enthalten, dessen Inhalt der Nutzer nur dann zur Kenntnis nehmen konnte, wenn er dem neben der Überschrift zur Anmeldemaske befindlichen Verweis in Form eines Sternchens folgte. Diese Gestaltung spricht dafür, dass der Angeklagte tatsächlich eine Kenntnisnahme der Kostenpflichtigkeit durch die Nutzer verhindern wollte. Hierfür spricht auch, dass der Fußnotentext bei der im Tatzeitraum statistisch am häufigsten verwendeten Bildschirmgröße und -auflösung erst nach vorherigem „Scrollen“ wahrgenommen werden konnte (so auch OLG Frankfurt am Main, NJW 2011, 398, 400 f.). Auch die wiederholte Hervorhebung der Gewinnspielteilnahme zielte erkennbar darauf ab, die Aufmerksamkeit des Nutzers darauf zu lenken und so durch die Gesamtgestaltung der Internetseite darüber hinwegzutäuschen, dass für die Inanspruchnahme des Routenplaners ein Entgelt zu zahlen war.
18
Zudem liegt in der Gestaltung der Internetseite ein Verstoß gegen die Vorschriften der Preisangabenverordnung (PAngV). Diesem Umstand kommt in Fällen, in denen – wie hier – ein Kostenhinweis lediglich an versteckter Stelle enthalten ist, für die Beurteilung einer Täuschungshandlung und eines darauf gerichteten Vorsatzes indizielle Bedeutung zu (vgl. Fischer, 61. Aufl., § 263 Rn. 28a; Eisele, NStZ 2010, 193, 196; Brammsen/Apel, WRP 2011, 1254, 1255; Hatz, JA 2012, 186, 187). Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV hat derjenige, der Letztverbrauchern gewerbs- oder geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise Waren oder Leistungen anbietet, die Preise anzugeben, die einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile zu zahlen sind (Endpreise). Diese Angaben müssen der allgemeinen Verkehrsauffassung und den Grundsätzen von Preisklarheit und Preiswahrheit entsprechen (§ 1 Abs. 6 Satz 1 PAngV). Nach § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV sind die Angaben dem Angebot oder der Werbung eindeutig zuzuordnen und leicht erkennbar sowie deutlich lesbar oder sonst gut wahrnehmbar zu machen. Soweit auf der Internetseite des Angeklagten lediglich ein Sternchen auf eine Fußnote verwiesen hat, in der das zu zahlende Entgelt ausgewiesen war, genügt dies den beschriebenen Anforderungen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1998 – I ZR 187/97, BGHZ 139, 368, 377; OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2009, 265, 266) und trägt den landgerichtlichen Schluss, der Angeklagte sei bestrebt gewesen, die Kostenpflichtigkeit des Angebots täuschend zu verschleiern.
19
Nichts anderes ergibt sich aus der Tatsache, dass die für die Nutzung anfallenden Kosten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgewiesen waren. Da bereits die Hauptseite keinen deutlichen und leicht erkennbaren Hinweis auf die Kostenpflichtigkeit enthielt, konnten und mussten die Nutzer nicht damit rechnen, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine solche für die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Leistung wesentliche Angabe beinhalteten (ebenso OLG Frankfurt am Main, NJW 2011, 398, 402). Dass der Angeklagte trotz Mitteilung des anfallenden Entgelts auch insoweit beabsichtigte, potentielle Nutzer zu täuschen, wird zudem daraus ersichtlich, dass die entsprechende Preisklausel erstmals in einer drucktechnisch nicht hervorgehobenen Bestimmung auf der dritten Bildschirmseite enthalten und das konkret zu zahlende Entgelt in Höhe von 59,95 € erst einer weiteren Bestimmung auf der fünften Bildschirmseite zu entnehmen war (UA S. 19 f.).
20
bb) Der Annahme von Täuschungsabsicht steht nicht entgegen, dass der Hinweis auf die Entgeltlichkeit bei sorgfältiger, vollständiger und kritischer Prüfung erkennbar war. Es ist zwar nicht Aufgabe des Strafrechts (und des Betrugstatbestands), allzu sorglose Menschen vor den Folgen ihres eigenen unbedachten Tuns zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1952 – 5 StR 358/52, BGHSt 3, 99, 103; Urteil vom 26. April 2001 – 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 4). Doch lassen Leichtgläubigkeit des Opfers oder Erkennbarkeit einer auf die Herbeiführung eines Irrtums gerichteten Täuschungshandlung weder aus Rechtsgründen die Täuschungsabsicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 3 StR 226/86, BGHSt 34, 199, 201 f.; Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, 314; Urteil vom 4. Dezember 2003 – 5 StR 308/03, NStZ-RR 2004, 110, 111) noch schließen sie eine irrtumsbedingte Fehlvorstellung aus.
21
An dieser Rechtsprechung ist auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ; ABl. 2005 L149 S. 22) festzuhalten.
22
Gemäß Art. 6 (1) d) der Richtlinie 2005/29/EG gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation , selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf den Preis täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in je- dem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Der Richtlinie liegt daher im Grundsatz das Leitbild eines durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verbrauchers zugrunde (vgl. auch den Erwägungsgrund 18).
23
Soweit unter Verweis auf dieses Leitbild in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten wird, aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des Betrugstatbestands liege eine strafrechtlich relevante Täuschung nur dann vor, wenn die im Geschäftsverkehr getätigte Aussage geeignet ist, eine informierte, aufmerksame und verständige Person zu täuschen (Soyka, wistra 2007, 127, 132; SSW/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 113 f.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., 2012, § 10 Rn. 17, 21; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht , 6. Aufl., 2013, § 9 Rn. 104 f.; Ruhs in Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 567, 579 ff.; vgl. auch Dannecker, ZStW 2005, 697, 711 f.), folgt der Senat dieser Ansicht nicht.
24
Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung wird überwiegend aus Art. 4 Abs. 3 EUV (früher: Art. 10 EGV) und aus Art. 288 Abs. 3 AEUV (früher : Art. 249 Abs. 3 EGV) abgeleitet (vgl. Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 52; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 6 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 37). Richtlinienkonform auszulegen sind dabei zunächst diejenigen Vorschriften, die unmittelbar der Umsetzung einer EU-Richtlinie dienen (Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 63; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 10); darüber hinaus ist aber auch das sonstige nationale Recht im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts auszulegen, selbst wenn es sich um Vorschriften handelt, die vor oder unabhängig von dem Erlass der Richtlinie ergangen sind (EuGH, Urteil vom 13. November 1990 – C-106/89; Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, NJW 1994, 2473, 2474; Urteil vom 16. Juli 1998 – C-355/96, NJW 1998, 3185, 3187).
25
Infolgedessen besteht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch im Bereich des Strafrechts (Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 560; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., § 9 Rn. 104; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl., § 10 Rn. 10 ff.). Sie kann dazu führen, dass unter mehreren vertretbaren Auslegungsvarianten einer Strafnorm diejenige zugrunde zu legen ist, die dem Unionsrecht am besten gerecht wird (s. Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., § 11 Rn. 46; Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 55; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., § 9 Rn. 93; Hecker, Europäisches Strafrecht , 4. Aufl., § 10 Rn. 15; LK-Weigend, StGB, 12. Aufl., Einleitung Rn. 87; Schönke/Schröder/Eser/Hecker, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen vor § 1 Rn. 28).
26
Im Hinblick darauf, dass das Landgericht das Betreiben der von dem Angeklagten gestalteten Internetseite seit dem 2. Juli 2007 als Täuschungshandlung gewertet hat und die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie besteht (EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – C-212/04, NJW 2006, 2465, 2468), war die gemäß Art. 19 bis zum 12. Juni 2007 umzusetzende Richtlinie 2005/29/EG im Tatzeitraum zwar anwendbar ; sie erfordert indes keine strafbarkeitseinschränkende Auslegung des Betrugstatbestands.
27
(1) Auch wenn sich die innerstaatliche Rechtsanwendung an den gesamten Wertungsvorgaben des Unionsrechts zu orientieren hat (vgl. Satzger in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 1. Aufl., § 9 Rn. 51), unterliegt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Grenzen. Sie setzt grundsätzlich erst dann ein, wenn der Inhalt der Richtlinie insgesamt oder im angewendeten Bereich eindeutig ist (BGH, Beschluss vom 3. Juni 1993 – I ZB 9/91, GRUR 1993, 825, 826; Urteil vom 5. Februar 1998 – I ZR 211/95, BGHZ 138, 55, 61). Dies gilt auch für den Bereich des Strafrechts. Ein absoluter Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung im Bereich des materiellen Strafrechts liefe Gefahr, in Konflikt mit der eingeschränkten Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union auf dem Gebiet des Strafrechts und dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu geraten (vgl. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 520, 550 f., 563; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 434, 452 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., 2011, § 11 Rn. 51). Richtlinienvorgaben können aus diesem Grund nicht in jedem Fall vorbehaltlos in das Strafrecht übertragen werden, zumal der Richtliniengeber die Auswirkungen einer andere Lebensbereiche betreffenden Richtlinie auf das Strafrecht eines jeden Mitgliedsstaates mitunter nicht im Blick hat bzw. haben kann (vgl. Schröder, aaO, S. 444, 450). Es bedarf daher der Prüfung, ob der Regelungsinhalt der Richtlinie nach deren Sinn und Zweck auf die Strafnorm durchschlägt (Schröder, aaO, 2002, S. 452 f.; Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht, 2009, S. 119; Rönnau/Wegner, GA 2013, 561, 564). Dabei ist zu beachten, dass der normative Gehalt einer nationalen Vorschrift im Wege der richtlinienkonformen Auslegung nicht grundlegend neu bestimmt werden darf (vgl. Jarass, EuR 1991, 211, 218; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 533).
28
Nach diesen Maßstäben scheidet eine einschränkende Auslegung des Betrugstatbestands aufgrund der Richtlinie 2005/29/EG aus. Das Leitbild des durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verbrauchers hat – dem Zweck des Lauterkeitsrechts entsprechend – primär den Schutz der Dispositionsfreiheit des Verbrauchers im Blick und zielt darauf ab, ihn generalpräventiv vor unlauteren Beeinflussungen vor, bei oder nach Vertragsschluss zu schützen und damit seine (rechtsgeschäftliche) Entscheidungsfreiheit und mittelbar den Schutz der Mitbewerber sowie einen unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten (vgl. hierzu Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 1 Rn. 17; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 1 Rn. 20 f.; Fezer, WRP 1995, 671, 675; Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht , 2009, S. 129 f.). Gemäß Art. 1 bezweckt auch die Richtlinie 2005/29/EG, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über unlautere Geschäftspraktiken zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen. Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es keiner Einschränkung des strafrechtlichen Vermögensschutzes. Die Richtlinie verfolgt nicht den Zweck, Geschäftspraktiken straffrei zu stellen, die zu einer Verletzung von Rechtsgütern der Verbraucher führen, und Verhaltensweisen zu privilegieren , die auf die Täuschung unterdurchschnittlich aufmerksamer und verständiger Verbraucher gerichtet sind (Vergho, wistra 2010, 86, 90 f.). Irreführende Geschäftspraktiken, die dazu dienen, den Verbraucher durch gezielte Täuschung an seinem Vermögen zu schädigen, werden von dem Schutzzweck der Richtlinie daher nicht erfasst (vgl. Erb, ZIS 2011, 368, 376; Rönnau/Wegner, GA 2013, 561, 566).
29
Es kommt hinzu, dass eine Begrenzung der Betrugsstrafbarkeit auf solche Täuschungshandlungen, die geeignet sind, einen durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verbraucher zu täuschen, dem durch § 263 StGB intendierten Rechtsgüterschutz widerspräche. Eine richtlinienkonforme Auslegung des Betrugstatbestands darf nicht so weit gehen, dass dessen Schutzbe- reich gegenüber Personen eingeschränkt wird, die intellektuell oder situativ nicht zu einem normativ „durchschnittlichen“ Maß an Selbstschutz inder Lage sind (Fischer, aaO Rn. 55a). Denn dadurch würde der strafrechtliche Rechtsgüterschutz gerade solchen Verbrauchern versagt, die in besonderem Maße schutzwürdig sind (Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht , 2009, S. 298 f.). Zu bedenken ist überdies, dass es keinerlei Hinweis dafür gibt, dass der Europäische Richtliniengeber, der den Verbraucherschutz mit seinen Regelungen stärken wollte, diesen Personenkreis zum Zwecke der Harmonisierung dem strafrechtlichen Schutz einzelner Mitgliedsländer entziehen wollte.
30
Eine Beschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auf durchschnittlich verständige Verbraucher führte überdies zu einer die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung überschreitenden Normativierung des Täuschungs - und Irrtumsbegriffs. Anders als der Begriff des durchschnittlich informierten , aufmerksamen und verständigen Verbrauchers, der normativ geprägt (vgl. Fezer, WRP 1995, 671, 676; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 2 Rn. 94, 96; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5, Rn. 1.49 mwN) und deshalb hinsichtlich seiner Reichweite von den Gerichten selbständig zu bestimmen ist (vgl. den Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2005/29/EG sowie EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 – C-428/11, GRUR 2012, 1269, 1272), setzt der Betrugstatbestand nach seinem Wortlaut die Erregung eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums voraus. Der Irrtum ist als Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit eine psychologische Tatsache (vgl. Fischer, aaO Rn. 54; NK-Kindhäuser, 4. Aufl., § 263 Rn. 170), sein Vorliegen ist Tatfrage (Schönke/Schröder/Perron, 29. Aufl., § 263 Rn. 33). Es kommt daher nicht darauf an, was der Getäuschte hätte verstehen müssen, sondern was er tatsächlich verstanden hat (vgl. Vergho, wistra 2010, 86, 89; Schönke/Schröder/Perron, 29. Aufl., § 263 Rn. 32a). Mit diesen Grundsätzen wäre eine Auslegung des Betrugstatbestands nicht in Einklang zu bringen, die – ungeachtet eines bestehenden Täuschungsvorsatzes – Fehlvorstellungen von Verbrauchern, die dem Leitbild des durchschnittlichen Verbrauchers nicht entsprechen, dem strafrechtlichen Rechtsgüterschutz entzieht.
31
(2) Selbst wenn man den vorstehenden grundsätzlichen Erwägungen nicht folgte, käme jedenfalls in der hier vorliegenden Fallgestaltung eine Einschränkung des Betrugstatbestands aufgrund einer die Vorgaben und Wertungen der Richtlinie 2005/29/EG berücksichtigenden Auslegung nicht in Betracht. Auch dem der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnommenen Leitbild des Durchschnittsverbrauchers (grundlegend EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 – C-210/96, WRP 1998, 848, 851) liegt kein besonders aufmerksamer und gründlicher Idealtypus zugrunde (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 1.48). Vielmehr ist die Sicht eines situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers maßgeblich. Die an den Grad der Aufmerksamkeit zu stellenden Anforderungen bestimmen sich dabei nach dem angesprochenen Personenkreis (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2001 – I ZR 193/99, GRUR 2002, 550, 552; Urteil vom 20. Dezember 2001 – I ZR 215/98, GRUR 2002, 715, 716) und der Bedeutung der beworbenen Waren oder Dienstleistungen, so dass die Aufmerksamkeit insbesondere dort eher gering, d.h. flüchtig ist, wo es um den Erwerb geringwertiger Gegenstände des täglichen Bedarfs geht (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 – I ZR 167/97, NJW-RR 2000, 1490, 1491; Urteil vom 19. April 2001 – I ZR 46/99, NJW 2001, 3193, 3195; Urteil vom 2. Oktober 2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244, 245). Die Anforderungen an einen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, der willens und in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, dürfen deshalb gerade im auf schnelle Bot- schaften und schnelle Abschlüsse gerichteten Verkehr nicht überspannt werden (Hefendehl in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 50).
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Auch nach Art. 5 (2) b) und Art. 5 (3) der Richtlinie 2005/29/EG ist bei der Beurteilung, ob eine Geschäftspraktik unlauter ist, die Sicht eines leichtgläubigen Verbrauchers immer dann maßgeblich, wenn gerade ein solcher Verbraucher für eine Geschäftspraxis oder das ihr zugrunde liegende Produkt besonders anfällig ist; in diesem Fall muss der Verbraucherschutz dadurch sichergestellt werden, dass die Praxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Verbrauchergruppe beurteilt wird (vgl. auch den Erwägungsgrund 19). Wird daher – wie hier – die Entgeltlichkeit einer angebotenen Leistung bewusst verschleiert , um die Unaufmerksamkeit oder Leichtgläubigkeit bestimmter Verkehrskreise auszunutzen, ist kein Raum für eine einschränkende Auslegung des Betrugstatbestands. Dies wird auch durch die im Anhang I der Richtlinie aufgeführten Geschäftspraktiken bestätigt, „die unter allen Umständen als unlauter gelten“. Dieser Anhang enthält unter der Nummer 21 als irreführende Ge- schäftspraxis die Fallkonstellation, dass Werbematerialien eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beigefügt wird, die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, er habe das beworbene Produkt bereits bestellt, obwohl dies nicht der Fall ist. Auch hier ist für den Verbraucher bei sorgfältiger Prüfung erkennbar, dass es sich bei der Zahlungsaufforderung nicht um die Geltendmachung einer bestehenden Forderung handelt. Ein hiermit weitgehend vergleichbarer Sachverhalt lag bereits der Entscheidung BGHSt 47, 1 zugrunde. Die ausdrückliche Aufnahme dieser Fallkonstellation in den Anhang der Richtlinie 2005/29/EG, die durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2949) als Ziffer 22 in den Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG übernommen worden ist, stützt die schon in der vorgenannten Entscheidung des Bundesge- richtshofs (Urteil vom 26. April 2001 – 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 6 f.) vertretene Rechtsansicht, wonach weder die Leichtgläubigkeit des Opfers noch die Erkennbarkeit der Täuschung eine Strafbarkeit wegen Betrugs ausschließen (vgl. auch Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung im Verbraucherschutzstrafrecht , 2009, S. 316).
33
(3) Die von der Revision angeregte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. Die dargelegte Auslegung der Richtlinie ist offenkundig und zweifelsfrei („acte-claire-Doktrin“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – 283/81, NJW 1983, 1257; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 – 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11, 16).
34
b) Infolge der Täuschung sollte bei den Nutzern ein Irrtum erregt werden. Das Verhalten des Angeklagten zielte darauf ab, den Besuchern der Internetseite eine kostenfreie Nutzung des Routenplanerangebots vorzuspiegeln, um sie damit zunächst zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages und nach Rechnungsstellung zu einer Zahlung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung für ein Routenplanerabonnement zu veranlassen.
35
c) Der Vorsatz des Angeklagten war auch auf die Herbeiführung eines Vermögensschadens gerichtet. Unabhängig davon, ob – wovon das Landgericht ausgegangen ist – bereits das Eingehen der (vermeintlichen) Verbindlichkeit einen Vermögensschaden begründet hätte, war der Vorsatz des Angeklagten darauf gerichtet, unter Umgehung eines möglichen Widerrufsrechts die täuschungsbedingt eingegangene Verpflichtung durchzusetzen und den im Be- stellvorgang eines „praktisch wertlosen“ Routenplaners angelegten Schaden zu realisieren (vgl. UA S. 73). Infolge der Zahlung des Abonnementpreises wäre nicht nur eine Vermögensgefährdung, sondern bereits ein Erfüllungsschaden eingetreten (ausdrücklich zur Abofalle im Internet Fischer, aaO Rn. 178).
36
Der Angeklagte nahm auch zumindest billigend in Kauf, dass die Gegenleistung in Form des dreimonatigen Abonnements den Vermögensverlust nicht kompensieren würde. Nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung tritt aufgrund der Verfügung ein Schaden ein, soweit die Vermögensminderung nicht durch den wirtschaftlichen Wert des Erlangten ausgeglichen wird (BGH, Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 379/05, BGHSt 51, 10, 15).
37
Für das Landgericht war es nicht entscheidend, ob die vom Angeklagten versprochene Leistung – das dreimonatige „Abonnement“ – „möglicherweise objektiv ihren Preis wert war“ (UA S. 74). Es hat angenommen, dass selbst in diesem Fall jedenfalls ein Schaden im Sinne eines „persönlichen Schadenseinschlags“ eingetreten sei (UA S. 73/75), weil „die Leistung im Internet auch umsonst erhältlich“ war (UA S. 73) und die Nutzer an der Inanspruchnahme eines kostenpflichtigen Routenplaners keinerlei Interesse hatten (UA S. 8). Diese Erwägungen lassen im Ergebnis keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erkennen.
38
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt die Annahme eines Vermögensschadens auch bei objektiv gleichwertigen Leistungen unter anderem dann in Betracht, wenn der Erwerber, der sich zum Abschluss eines Vertrags entschlossen hat, die versprochene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann (grundlegend Beschluss vom 16. August 1961 – 4 StR 166/61, BGHSt 16, 321, 326; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 – 1 StR 550/82, NJW 1983, 1917; Beschluss vom 9. März 1999 – 1 StR 50/99, NStZ 1999, 555; Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 385/05, NStZ-RR 2006, 206, 207). Dasselbe gilt auch für Fälle der so genannten Unterschriftserschleichung , in denen der Getäuschte gar nicht weiß, dass er einen Vertrag abgeschlossen hat und vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist (BGHSt 22, 88, 89; ebenso OLG Hamm, NJW 1969, 624, 625; 1778; OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2002, 47, 49). Wer durch Täuschung zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages veranlasst wird, erleidet einen Vermögensschaden jedenfalls dann, wenn – wie hier – die vertragliche Gegenleistung unter Beachtung der persönlichen Bedürfnisse für ihn praktisch und damit auch wirtschaftlich wertlos ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1970 – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300, 304; Urteil vom 26. April 2001 – 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 8; Urteil vom 19. Juli 2001 – 4 StR 457/00, wistra 2001, 386, 387; Senatsbeschluss vom 24. August 2011 – 2 StR 109/11, ZWH 2012, 191, 192).
39
Wird ein Verbraucher, der einmalig einen kostenlosen Routenplaner- Service in Anspruch nehmen will, durch Täuschung zu einem „Abonnement“ über drei Monate in der Absicht verleitet, hierdurch ein Entgelt zu erlangen, liegt daher hierin ein auf einen Vermögensschaden gerichteter Betrugsversuch (vgl. auch OLG Frankfurt am Main, NJW 2011, 398, 403), ohne dass es darauf ankäme , ob das Abonnement (mit seinen Zusatzleistungen) möglicherweise nach objektiven Maßstäben seinen Preis wert war. Denn für die hier betroffenen und vom Angeklagten gezielt über den Abschluss eines Vertrags getäuschten Nutzer war diese Gegenleistung subjektiv sinnlos und daher wertlos, da im Internet jederzeit zahlreiche kostenlose Routenplaner verfügbar sind. Dies war dem Angeklagten auch bewusst; ebenso der Umstand, dass der Vermögensverlust für die Nutzer nicht dadurch kompensiert wurde, dass das erworbene „Abonnement“ ohne Weiteres und in zumutbarer Weise in Geld umzusetzen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 5 StR 510/13). Einen Markt für die Veräußerung und den Erwerb kostenpflichtiger Routenplanerabonnements gibt es nicht. Der Vorsatz des Angeklagten war damit auf die Verursachung eines Vermögensschadens bei den getäuschten Nutzern gerichtet.
40
2. Kein Zweifel besteht daran, dass der Angeklagte zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar angesetzt hat (§ 22 StGB), indem er das Angebot für ein kostenpflichtiges Routenplanerabonnement auf der von ihm verantwortlich gestalteten Internetseite eingestellt hat, ohne die Kostenpflichtigkeit hinreichend kenntlich zu machen. Dass sich das Landgericht, das lediglich drei der insgesamt 261 Nutzer als Zeugen vernommen hat, nicht die Überzeugung vom tatsächlichen Vorliegen einer Täuschung bzw. eines Irrtums von Internetnutzern verschaffen konnte und deshalb – obwohl zehn Anzeigeerstatter Zahlungen erbracht hatten – nicht von einem vollendeten Betrug ausgegangen ist, lässt auch erkennen, dass sich das Landgericht der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingeräumten Möglichkeiten zur Feststellung von Täuschung bzw. Irrtum bei gleichförmigen und massenhaften Geschäften nicht bewusst war (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, wistra 2009, 433, 434 [insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt]; aus jüngerer Zeit: BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422, 423; Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, wistra 2014, 97, 98). Die Verurteilung lediglich wegen versuchten Betrugs beschwert den Angeklagten indes nicht.
41
3. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit Kenntnis der gegen ihn bzw. gegen die von ihm geführten Unternehmen ergangenen zivilrechtlichen Entscheidungen im Sommer 2007 die Einsicht gehabt, Unrecht zu tun, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
42
Aufgrund dieser Entscheidungen war dem Angeklagten bekannt, dass die von ihm gewählte Gestaltung der Internetseiten gegen zivilrechtliche Normen , unter anderem gegen die Preisangabenverordnung, verstieß. Damit war die Grundlage für das bis dahin aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme angenommene Fehlen des Unrechtsbewusstseins entfallen. Soweit er in der Folgezeit (weiter) womöglich meinte, aus seiner Sicht bestehende Strafbarkeitslücken auszunutzen, schließt dies jedenfalls – worauf das Landgericht unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Rechtsprechung zutreffend hinweist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02) – dann, wenn – wie auch hier – zum Tatzeitpunkt höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen , die Vorstellung der Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen, und legt zumindest die Annahme einer bedingten Unrechtseinsicht nahe. Die Strafkammer hat ungeachtet dessen im Sommer 2007 Verschleierungshandlungen des Angeklagten, etwa die Einschaltung von Scheingeschäftsführern, Umfirmierungen und Sitzverlegungen, festgestellt , für die er nachvollziehbare Gründe nicht anzugeben vermochte. Soweit sie daraus schließt, diese Maßnahmen hätten dazu gedient, seine eigene Verantwortlichkeit zu verdecken und eine (persönliche) Inanspruchnahme zu erschweren , belegt dies nachhaltig, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt das erforderliche Unrechtsbewusstsein tatsächlich besessen hat.
43
4. Der Strafausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
44
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sowohl gewerbsmäßig als auch in der Absicht gehandelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, und dadurch die Regelbeispiele des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 StGB erfüllt, ist nicht zu beanstanden. Wie das Landgericht festgestellt hat, betrieb der Angeklagte neben der Internetseite „www.routenplaner-server.com“ weitere Internetseiten, die „ein nahezu identisches Layout“ aufwiesen (UA S. 8). Damit hatdas Landgericht die Absicht des Angeklagten, durch mehrere Straftaten eine große Anzahl von Internetnutzern zu täuschen und an ihrem Vermögen zu schädigen und sich dadurch eine fortwährende Einnahmequelle zu verschaffen, hinreichend belegt.
45
Die konkurrenzrechtliche Einordnung der abgeurteilten Handlungen als eine Tat schließt ein gewerbsmäßiges Handeln im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht aus, wenn sich die Absicht des Angeklagten – wie hier – auf die fortgesetzte Begehung von Betrugstaten richtete (Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2013 – 2 StR 342/13). Gleiches gilt für das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB, das auch den Fall des Massenbetrugs mit jeweils geringen Schadenssummen erfasst. Liegt die erforderliche Absicht der Begehung von wenigstens zwei für den Täter rechtlich selbständigen Betrugstaten vor (vgl. Fischer, aaO Rn. 219; Schönke/Schröder/Perron, 29. Aufl., § 263 Rn. 188d), begründet bereits die einmalige Tatbegehung einen besonders schweren Fall des Betrugs (BGH, Beschluss vom 9. November 2000 – 3 StR 371/00, NStZ 2001, 319, 320).
46
Allerdings hat das Landgericht, das den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB gemäß § 23 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, nicht erörtert , ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB – gegebenenfalls zusammen mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen – geeignet war, von der Annahme eines besonders schweren Falls abzusehen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2012 – 2 StR 41/12, NStZ-RR 2012, 207). Aufgrund des Tatbildes und des Umstandes, dass der Angeklagte zwei Regelbei- spiele des § 263 Abs. 3 StGB erfüllt hat, schließt der Senat jedoch aus, dass das Landgericht bei entsprechender Prüfung einen für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen zugrunde gelegt hätte.
47
5. Die Entscheidung des Landgerichts, infolge einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen Vollstreckungsabschlag von vier Monaten auf die verhängte Strafe zu gewähren, lässt unter Berücksichtigung des im Rahmen der Sachrüge eröffneten Prüfungsumfangs (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. Oktober 2013 – 2 StR 392/13) einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht erkennen.
Fischer Appl Krehl
Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/13
vom
21. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. August 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 206a Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. Januar 2013
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1-23 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren eingestellt,
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt ist,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Einstellung (Ziffer 1. a) trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. 3. Im Umfang der Aufhebung (Ziffer 1. c) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1-23 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Hinsichtlich der unter II. 1-23 der Urteilsgründe abgeurteilten Straftaten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung der Anklageerhebung. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 30. Juli 2012 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, in der Zeit vom 5. Dezember 1995 bis zum 4. Dezember 1999 in 192 Fällen in seiner Wohnung spätabends auf der Wohnzimmercouch sexuelle Handlungen an dem Nebenkläger S. vorgenommen zu haben. Er habe seine Hand in die Hose des Kindes geführt und jeweils für kurze Dauer am Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, wobei der Junge seinen eigenen Penis sehen konnte. Gegenstand der Verurteilung durch das Landgericht waren 23 diesem Tatbild entsprechende Fälle "in der Zeit zwischen dem 3. November 1998 und dem 4. Dezember 2000". Soweit dem Angeklagten weitere 168 gleichartige Taten zum Nachteil des S. zur Last gelegt worden sind, hat es den Angeklagten freigesprochen, weil es nicht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung gewinnen konnte, dass "der Angeklagte bereits vor Novem- ber 1998 und häufiger als zwei Mal im Monat sexuelle Handlungen an dem Zeugen S. vorgenommen hat."
3
2. Das Landgericht meint, dass der der Verurteilung zugrunde liegende Tatzeitraum von der Anklage mitumfasst gewesen sei, weil die "Nämlichkeit der Tat" trotz der zeitlichen Abweichungen noch gewahrt sei; einer Nachtragsanklage habe es daher nicht bedurft.
4
a) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die 23 abgeurteilten Fälle des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Nebenklägers S. waren von der zugelassenen Anklage nicht umfasst. Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung "die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt." Gegenstand der zugelassenen Anklage sind u.a. 192 Taten in der oben (Ziffer 1.) näher beschriebenen Ausführung in der Zeit vom 5. Dezember 1995 bis zum 4. Dezember 1999. Auf diese Taten erstreckte sich die Kognitionspflicht des Gerichts. Die abgeurteilten Straftaten betreffen mit dem 3. November 1998 bis zum 4. Dezember 2000 einen – zumindest teilweise (dazu anschließend b) – anderen Zeitraum. Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8), wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (vgl. BGHSt 46, 130; BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 – 5 StR 55/02; BGHR StPO, § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
5
So verhält es sich in den abgeurteilten Fällen II. 1-23 der Urteilsgründe. Diese sind durch eine jeweils gleichförmige Tatausführung an einem jeweils identischen Tatort gekennzeichnet. Die Taten sind also nicht unabhängig von der Tatzeit nach individuellen Merkmalen unverwechselbar charakterisiert. Insofern kommt dem in der Anklageschrift genannten Tatzeitraum eine wesentliche, die Kognitionspflicht des Gerichts im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO bestimmende und vor allem begrenzende Funktion zu.
6
b) Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Verfahren wegen des von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses fehlender Anklage eingestellt werden. Dies betrifft alle Missbrauchstaten, die nach den Feststellungen im Wohnzimmer des Angeklagten verübt wurden (II. 1-23 der Urteilsgründe). Zwar überschneiden sich insoweit angeklagter und abgeurteilter Tatzeitraum teilweise. Das Landgericht geht jedoch davon aus, dass es innerhalb der angenommenen Zeitspanne vom 3. November 1998 bis zum 4. Dezember 2000 lediglich über einen Zeitraum von einem Jahr zu entsprechenden Übergriffen gekommen ist. Da dieser Ausschnitt von einem Jahr zeitlich nicht näher bestimmt ist, kann der Senat nicht ausschließen, dass die 23 abgeurteilten Straftaten insgesamt in den nicht von der Anklage erfassten Zeitraum vom 5. Dezember 1999 bis zum 4. Dezember 2000 fallen. Die Einstellung des Verfahrens bedingt eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs sowie die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
7
c) Dagegen lässt die Veränderung der Tatzeit im Fall II. 24 der Urteilsgründe die Identität zwischen angeklagter und abgeurteilter Tat unberührt, da die Tatausführung eine Vielzahl individueller und origineller Details aufweist, die dem Geschehen ein unverwechselbares Gepräge geben. Fischer Appl Schmitt Ott Zeng

(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.

(2) Wird an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so finden die Vorschriften des § 185 Anwendung.

5 StR 371/04

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 2. März 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
2. März 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Graf
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 26. September 2003 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt (Einzelstrafen: ein Jahr und sechs Monate sowie ein Jahr und vier Monate) und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf der Untreue hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich die Revision der Beschwerdeführerin – insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – gegen den Freispruch richtet, gilt folgendes :
a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.: vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den Urteilsgründen muß sich auch ergeben , daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
aa) Entscheidend kam es für den Vorwurf der Untreue auf den Inhalt eines Gesprächs am 18. März 1999 zwischen dem Angeklagten und seinem Geschäftspartner A T , dem faktisch Verantwortlichen der VBG mbH & Co. KG (nachfolgend: VBG), an. Fraglich war dabei insbesondere, ob in diesem Gespräch eine ausdrückliche Zweckbestimmung für eine am selben Tag von A T für die VBG vorgenommene Überweisung von 500.000 DM auf das Konto der vom Angeklagten und weiteren Ingenieuren betriebenen Partnerschaftsgesellschaft B T und P vereinbart wurde. Dem Anklagevorwurf der Untreue liegt die Annahme zugrunde, daß diese Zahlung nicht für die Partnerschaftsgesellschaft B T und P , sondern für die vom Angeklagten geleitete TBG KG (nachfolgend: TBG) bestimmt gewesen sei und der Angeklagte die Zahlung entgegen dieser ausdrücklichen Bestimmung nicht an die TBG weitergeleitet habe, so daß diese mangels Zahlungsfähigkeit am nächsten Tag einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen mußte.
bb) Zum Inhalt des Gesprächs haben der Angeklagte und der Zeuge A T unterschiedliche Angaben gemacht; der ebenfalls an dem Ge- spräch beteiligte Zeuge Fr T hat sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Damit stand letztlich Aussage gegen Aussage. Bei dieser Konstellation ist die Wertung des Landgerichts, dem nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls in strafrechtlich relevanter Weise in das Geschehen involvierten Zeugen A T nicht mehr zu glauben als dem Angeklagten, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe lassen insbesondere nicht besorgen, daß die Strafkammer wesentliche Umstände nicht bedacht oder die notwendige Gesamtwürdigung unterlassen haben könnte.
cc) Die Einlassung des Angeklagten ist mit den sonstigen Beweismitteln in gleicher Weise vereinbar wie die Aussage des Zeugen A T , der sich zudem widersprüchlich zu Schulden der VBG bei der TBG geäußert hatte. Angesichts der auch von weiteren Zeugen bekundeten Schulden der VBG gegenüber der TBG einerseits und gegenüber der Partnerschaftsgesellschaft B T und P andererseits in Höhe von jeweils deutlich über 500.000 DM spricht zunächst schon der objektive Umstand einer Überweisung auf das Konto der Partnerschaftsgesellschaft B und P T für eine Zahlung auf deren Forderungen, da geschuldete Leistungen grundsätzlich an den Gläubiger und nicht an Dritte zu bewirken sind (vgl. § 362 Abs. 1 BGB).
Die Unterzeichnung der – später nicht umgesetzten – Vereinbarung, die Eintragungen von Sicherungshypotheken durch die TBG zu Lasten der VBG nicht weiterzubetreiben und bereits eingetragene Vormerkungen zurückzunehmen , ist mit der Schilderung des Angeklagten über die Zusage A T s, nicht nur an die Partnerschaftsgesellschaft B T und P 500.000 DM, sondern auch an die TBG 600.000 DM zu zahlen, ebenso zu vereinbaren wie mit der Aussage A T Zudem s. ist die Aussage des Zeugen A T über den Verlauf der Unterredung am 18. März 1999 zur Überzeugung des Landgerichts in Teilbereichen durch die Schilderungen des Zeugen M T widerlegt worden.

c) Soweit die Staatsanwaltschaft eine Erörterung der Verwendung des überwiesenen Betrages in den Urteilsgründen vermißt, rügt sie in der Sache, das Landgericht habe die ihrer Ansicht nach gebotene Aufklärung, wie der Angeklagte die erhaltenen 500.000 DM konkret weiter verwendet habe, unterlassen. Entsprechende Verfahrensrügen hat die Staatsanwaltschaft indes nicht erhoben.

d) Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt ist auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt als Untreue zu werten, daß der Angeklagte die Vereinbarung vom 18. März 1999 ohne jede Gegenleistung zu Lasten der TBG unterzeichnet hätte. Nach seinen – vom Landgericht rechtsfehlerfrei als unwiderlegbar angesehenen – Angaben, wurde diese Vereinbarung nur unterzeichnet , weil A T die sofortige Überweisung von 600.000 DM an die VBG als Gegenleistung versprochen hatte und der Angeklagte von der Einhaltung dieser Zusage ausgegangen war.
2. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Angriffe der Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch bleiben ebenfalls erfolglos. Die Staatsanwaltschaft erstrebt dabei die Anwendung des erhöhten Strafrahmens von § 263 Abs. 3 StGB und damit die Verhängung höherer Strafen.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte als Bauleiter zweier Sanierungsvorhaben auf Anraten von A T wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Bauherrin VBG unzutreffende Baufortschritts - oder Fertigstellungsanzeigen, um die finanzierende Bank entsprechend den jeweiligen Kaufverträgen mit den einzelnen Erwerbern der Sanierungseinheiten zur vorzeitigen Auszahlung des Werklohns an die von A T faktisch geleitete VBG zu veranlassen. Der Angeklagte ging davon aus, daß dieses Vorgehen nur einen zeitweiligen Liquiditätsengpaß überbrücken sollte, die Sanierungsarbeiten aber wie vertraglich vereinbart abgeschlossen werden können. Tatsächlich sind bis heute sämtliche Wohn- und Gewerbeobjekte nicht beziehbar, weil die Sanierungsarbeiten infolge Insol- venz der beteiligten Firmen nicht beendet wurden. In beiden Objekten zahlt jeweils nur ein Käufer regelmäßig die Kreditraten an die finanzierende Bank. Die übrigen Kredite sind gekündigt und die Bank betreibt in diesen Fällen die Zwangsvollstreckung; teils haben die Erwerber deshalb Privatinsolvenzen eingeleitet. Der Forderungsausfall der Bank beträgt insgesamt (incl. Kosten und Zinsen) ca. 400.000 Euro.
Für jedes Sanierungsvorhaben ist das Landgericht insgesamt von einer Betrugstat ausgegangen und hat die Strafe für beide Taten jeweils dem Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB entnommen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft erfolglos.

b) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn der Tatrichter gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängten Strafen nach oben oder unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 34, 345, 349; BGH wistra 2002, 137).

c) Solche Rechtsfehler zeigt die Beschwerdeführerin, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, nicht auf.
Daß das Landgericht vom Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB ausgegangen ist, ohne die Möglichkeit eines besonders schweren Falles des Betruges ausdrücklich zu prüfen, gibt keinen Anlaß zu durchgreifenden Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts belegen schon nicht ohne weiteres das Vorliegen eines Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB; an die Strafzumessungserwägungen sind deshalb auch keine besondere Begrün- dungsanforderungen (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 3 StPO) zu stellen. Nach den Urteilsgründen liegen die Voraussetzungen von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1, Nr. 3 StGB in Hinblick auf die Schadenshöhe und Privatinsolvenzen einiger Käufer zwar objektiv vor; die subjektive Seite dieser beiden Regelbeispiele ist jedoch angesichts der festgestellten – nach den Umständen weder unberechtigten noch fernliegenden – Hoffnungen des Angeklagten auf einen guten Abschluß der Sanierungen nach Überbrückung eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses nicht belegt.
Den zu Lasten des Angeklagten gewürdigten Umständen hat das Landgericht zudem eine Mehrzahl als insgesamt gewichtig angesehener Strafmilderungsgründe gegenübergestellt; auch hieraus wird deutlich, daß die tatrichterliche Gesamtwürdigung nicht zur Annahme eines besonders schweren Falles geführt hat. Daß solches nicht ausdrücklich ausgeführt worden ist, läßt den Senat nicht besorgen, das Landgericht könne die Vorschrift des § 263 Abs. 3 StGB gänzlich außer acht gelassen haben.
Zudem kann der Senat ausschließen, daß das Landgericht bei Erörterung von § 263 Abs. 3 StGB höhere Einzelstrafen festgesetzt hätte. Die ausführlichen Strafzumessungserwägungen umfassen alle wesentlichen Gesichtspunkte und dabei insbesondere die Schadenshöhe sowie die auf Käu- ferseite verursachte wirtschaftliche Not. Die verhängten Einzelstrafen unterschreiten den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB nicht.
Harms Raum Brause Schaal Graf

(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.

(2) Wird an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so finden die Vorschriften des § 185 Anwendung.

(1) Eine Verfügung, die ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand trifft, ist wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt.

(2) Die Verfügung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt oder wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt oder wenn er von dem Berechtigten beerbt wird und dieser für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt haftet. In den beiden letzteren Fällen wird, wenn über den Gegenstand mehrere miteinander nicht in Einklang stehende Verfügungen getroffen worden sind, nur die frühere Verfügung wirksam.

5 StR 371/04

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 2. März 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
2. März 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Graf
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 26. September 2003 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt (Einzelstrafen: ein Jahr und sechs Monate sowie ein Jahr und vier Monate) und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf der Untreue hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich die Revision der Beschwerdeführerin – insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – gegen den Freispruch richtet, gilt folgendes :
a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.: vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den Urteilsgründen muß sich auch ergeben , daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
aa) Entscheidend kam es für den Vorwurf der Untreue auf den Inhalt eines Gesprächs am 18. März 1999 zwischen dem Angeklagten und seinem Geschäftspartner A T , dem faktisch Verantwortlichen der VBG mbH & Co. KG (nachfolgend: VBG), an. Fraglich war dabei insbesondere, ob in diesem Gespräch eine ausdrückliche Zweckbestimmung für eine am selben Tag von A T für die VBG vorgenommene Überweisung von 500.000 DM auf das Konto der vom Angeklagten und weiteren Ingenieuren betriebenen Partnerschaftsgesellschaft B T und P vereinbart wurde. Dem Anklagevorwurf der Untreue liegt die Annahme zugrunde, daß diese Zahlung nicht für die Partnerschaftsgesellschaft B T und P , sondern für die vom Angeklagten geleitete TBG KG (nachfolgend: TBG) bestimmt gewesen sei und der Angeklagte die Zahlung entgegen dieser ausdrücklichen Bestimmung nicht an die TBG weitergeleitet habe, so daß diese mangels Zahlungsfähigkeit am nächsten Tag einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen mußte.
bb) Zum Inhalt des Gesprächs haben der Angeklagte und der Zeuge A T unterschiedliche Angaben gemacht; der ebenfalls an dem Ge- spräch beteiligte Zeuge Fr T hat sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Damit stand letztlich Aussage gegen Aussage. Bei dieser Konstellation ist die Wertung des Landgerichts, dem nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls in strafrechtlich relevanter Weise in das Geschehen involvierten Zeugen A T nicht mehr zu glauben als dem Angeklagten, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe lassen insbesondere nicht besorgen, daß die Strafkammer wesentliche Umstände nicht bedacht oder die notwendige Gesamtwürdigung unterlassen haben könnte.
cc) Die Einlassung des Angeklagten ist mit den sonstigen Beweismitteln in gleicher Weise vereinbar wie die Aussage des Zeugen A T , der sich zudem widersprüchlich zu Schulden der VBG bei der TBG geäußert hatte. Angesichts der auch von weiteren Zeugen bekundeten Schulden der VBG gegenüber der TBG einerseits und gegenüber der Partnerschaftsgesellschaft B T und P andererseits in Höhe von jeweils deutlich über 500.000 DM spricht zunächst schon der objektive Umstand einer Überweisung auf das Konto der Partnerschaftsgesellschaft B und P T für eine Zahlung auf deren Forderungen, da geschuldete Leistungen grundsätzlich an den Gläubiger und nicht an Dritte zu bewirken sind (vgl. § 362 Abs. 1 BGB).
Die Unterzeichnung der – später nicht umgesetzten – Vereinbarung, die Eintragungen von Sicherungshypotheken durch die TBG zu Lasten der VBG nicht weiterzubetreiben und bereits eingetragene Vormerkungen zurückzunehmen , ist mit der Schilderung des Angeklagten über die Zusage A T s, nicht nur an die Partnerschaftsgesellschaft B T und P 500.000 DM, sondern auch an die TBG 600.000 DM zu zahlen, ebenso zu vereinbaren wie mit der Aussage A T Zudem s. ist die Aussage des Zeugen A T über den Verlauf der Unterredung am 18. März 1999 zur Überzeugung des Landgerichts in Teilbereichen durch die Schilderungen des Zeugen M T widerlegt worden.

c) Soweit die Staatsanwaltschaft eine Erörterung der Verwendung des überwiesenen Betrages in den Urteilsgründen vermißt, rügt sie in der Sache, das Landgericht habe die ihrer Ansicht nach gebotene Aufklärung, wie der Angeklagte die erhaltenen 500.000 DM konkret weiter verwendet habe, unterlassen. Entsprechende Verfahrensrügen hat die Staatsanwaltschaft indes nicht erhoben.

d) Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt ist auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt als Untreue zu werten, daß der Angeklagte die Vereinbarung vom 18. März 1999 ohne jede Gegenleistung zu Lasten der TBG unterzeichnet hätte. Nach seinen – vom Landgericht rechtsfehlerfrei als unwiderlegbar angesehenen – Angaben, wurde diese Vereinbarung nur unterzeichnet , weil A T die sofortige Überweisung von 600.000 DM an die VBG als Gegenleistung versprochen hatte und der Angeklagte von der Einhaltung dieser Zusage ausgegangen war.
2. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Angriffe der Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch bleiben ebenfalls erfolglos. Die Staatsanwaltschaft erstrebt dabei die Anwendung des erhöhten Strafrahmens von § 263 Abs. 3 StGB und damit die Verhängung höherer Strafen.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte als Bauleiter zweier Sanierungsvorhaben auf Anraten von A T wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Bauherrin VBG unzutreffende Baufortschritts - oder Fertigstellungsanzeigen, um die finanzierende Bank entsprechend den jeweiligen Kaufverträgen mit den einzelnen Erwerbern der Sanierungseinheiten zur vorzeitigen Auszahlung des Werklohns an die von A T faktisch geleitete VBG zu veranlassen. Der Angeklagte ging davon aus, daß dieses Vorgehen nur einen zeitweiligen Liquiditätsengpaß überbrücken sollte, die Sanierungsarbeiten aber wie vertraglich vereinbart abgeschlossen werden können. Tatsächlich sind bis heute sämtliche Wohn- und Gewerbeobjekte nicht beziehbar, weil die Sanierungsarbeiten infolge Insol- venz der beteiligten Firmen nicht beendet wurden. In beiden Objekten zahlt jeweils nur ein Käufer regelmäßig die Kreditraten an die finanzierende Bank. Die übrigen Kredite sind gekündigt und die Bank betreibt in diesen Fällen die Zwangsvollstreckung; teils haben die Erwerber deshalb Privatinsolvenzen eingeleitet. Der Forderungsausfall der Bank beträgt insgesamt (incl. Kosten und Zinsen) ca. 400.000 Euro.
Für jedes Sanierungsvorhaben ist das Landgericht insgesamt von einer Betrugstat ausgegangen und hat die Strafe für beide Taten jeweils dem Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB entnommen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft erfolglos.

b) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn der Tatrichter gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängten Strafen nach oben oder unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 34, 345, 349; BGH wistra 2002, 137).

c) Solche Rechtsfehler zeigt die Beschwerdeführerin, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, nicht auf.
Daß das Landgericht vom Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB ausgegangen ist, ohne die Möglichkeit eines besonders schweren Falles des Betruges ausdrücklich zu prüfen, gibt keinen Anlaß zu durchgreifenden Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts belegen schon nicht ohne weiteres das Vorliegen eines Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB; an die Strafzumessungserwägungen sind deshalb auch keine besondere Begrün- dungsanforderungen (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 3 StPO) zu stellen. Nach den Urteilsgründen liegen die Voraussetzungen von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1, Nr. 3 StGB in Hinblick auf die Schadenshöhe und Privatinsolvenzen einiger Käufer zwar objektiv vor; die subjektive Seite dieser beiden Regelbeispiele ist jedoch angesichts der festgestellten – nach den Umständen weder unberechtigten noch fernliegenden – Hoffnungen des Angeklagten auf einen guten Abschluß der Sanierungen nach Überbrückung eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses nicht belegt.
Den zu Lasten des Angeklagten gewürdigten Umständen hat das Landgericht zudem eine Mehrzahl als insgesamt gewichtig angesehener Strafmilderungsgründe gegenübergestellt; auch hieraus wird deutlich, daß die tatrichterliche Gesamtwürdigung nicht zur Annahme eines besonders schweren Falles geführt hat. Daß solches nicht ausdrücklich ausgeführt worden ist, läßt den Senat nicht besorgen, das Landgericht könne die Vorschrift des § 263 Abs. 3 StGB gänzlich außer acht gelassen haben.
Zudem kann der Senat ausschließen, daß das Landgericht bei Erörterung von § 263 Abs. 3 StGB höhere Einzelstrafen festgesetzt hätte. Die ausführlichen Strafzumessungserwägungen umfassen alle wesentlichen Gesichtspunkte und dabei insbesondere die Schadenshöhe sowie die auf Käu- ferseite verursachte wirtschaftliche Not. Die verhängten Einzelstrafen unterschreiten den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB nicht.
Harms Raum Brause Schaal Graf

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 30.08.2012 – 8 O 50/11 – teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten zu 1 bis 5 werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 103.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 14.05.2011, der Beklagte zu 3 abweichend erst ab dem 28.12.2011 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte und Ansprüche, die dem Kläger aus der Beteiligung an der E GmbH & Co. VII. W KG, nominal: 100.000 € zustehen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten zu 1 bis 5 mit der Annahme der Abtretungserklärung gemäß Ziffer 1 in Verzug befinden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zu 1/6, die Beklagten zu 1 bis 5 zu 5/6 als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 6 sowie jeweils 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Streithelferinnen zu 7 und 8 trägt der Kläger. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die jeweils andere Seite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abzuwenden, soweit nicht die andere Seite zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Beschwer der Beklagten und des Klägers übersteigt 20.000 €.

Die Revision wird nicht zugelassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227

(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Die Anklageschrift ist auch dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten, der dies beantragt hat, zu übersenden; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Über Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 652/10
vom
30. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Bankrotts u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 30. August 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 25. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) im Schuldspruch in den Fällen B.III.1 bis 40 der Urteilsgründe
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Insolvenzverschleppung in zwei Fällen, Bankrotts in sechs Fällen, Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 30 Fällen, Betrugs sowie Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; im Übrigen hat es das Verfahren eingestellt und den Angeklagten freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist im Umfang der Aufhebung begründet; hinsichtlich der noch verbleibenden Tat B.III.41 der Urteilsgründe (Untreue zum Nachteil der Wohnungseigentumsgemeinschaft N. H. – in K. ) ist sie hingegen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

A.

2
Hinsichtlich der Verurteilungen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die der Angeklagte als Geschäftsführer der G. Grundstücks- und Wohnbau GmbH & Co KG (im Folgenden: G. GmbH & Co KG) und der A. Sportmarketing GmbH (im Folgenden: A. GmbH) ausgeübt hat (Fälle B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe), greift die Verfahrensrüge einer Verletzung der Vorschrift des § 261 StPO durch; auf die weiteren formellen und materiellen Beanstandungen der Revision kommt es insoweit nicht an.

I.

3
Nach den Urteilsfeststellungen hielt der Angeklagte über Familienangehörige , die ihm Generalvollmachten erteilt hatten, sowohl die Kommanditanteile an der G. GmbH & Co KG als auch sämtliche Anteile an deren Komplementär -GmbH, der G. Grundstücks- und Wohnbau GmbH. Zugleich war er Geschäftsführer beider Gesellschaften. Daneben war der Angeklagte alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der A. GmbH, deren Geschäftsgegenstand im Bereich der Vermarktung von Sportlern lag und deren Anteile vom Angeklagten und seinem Sohn gehalten wurden. Nachdem diese am 6. Januar 2006 die Auflösung der A. GmbH beschlossen hatten, wurde der Angeklagte zu deren Liquidator bestellt. Am 15. Juli 2008 wurde das Unternehmen auf Antrag des Finanzamts wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
4
Sowohl die G. GmbH & Co KG als auch die A. GmbH hatten ab dem Jahr 2003 mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine Zeitlang gelang es dem Angeklagten, kurzfristige Liquiditätsengpässe mittels Hin- und Herschiebens von Geldern zwischen den beiden Unternehmen, aber auch seinem Privatvermögen auszugleichen. Letztlich jedoch wurden beide Unternehmen zahlungsunfähig. Die Zahlungsunfähigkeit trat nach den Feststellungen bei der G. GmbH & Co KG spätestens Anfang des Jahres 2005, bei der A. GmbH bereits Ende 2004 ein.

II.

5
Die Strafkammer hat ihren Feststellungen zum finanziellen Niedergang der Unternehmen und zum Eintreten der Krisensituationen Auszüge der jeweiligen Geschäftskonten zugrunde gelegt, denen sie eine Vielzahl von Kontoständen und Einzelbuchungen entnommen hat. Diese Einzelbuchungen hat sie zum Teil datum- und zahlengenau auf mehreren Seiten der Urteilsgründe wiedergegeben.
6
Die von der Revision zulässig erhobene Rüge, das Landgericht habe die Auszüge der Geschäftskonten der G. GmbH & Co KG bei der Sparkasse K. (Konto ) und bei der Volksbank V. (Konto ) bzw. der A. GmbH bei der Sparkasse K. (Konto ) verwertet, ohne diese prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben , ist begründet.
7
1. Wie die Revision zutreffend ausführt und durch den Inhalt der Protokollniederschrift bewiesen ist, sind die entsprechenden Kontoauszüge in der Hauptverhandlung weder förmlich als Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO verlesen noch sind sie im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt worden. Der an verschiedenen Stellen des Hauptverhandlungsprotokolls enthaltene Eintrag , Bankordner seien "zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht und in richterlichen Augenschein" genommen worden, ist nicht geeignet, eine förmliche Verlesung der Urkunden zu beweisen (BGHSt 11, 29, 30; Diemer in KK StPO 6. Aufl. § 249 Rn. 51; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 273 Rn. 9). Die Inaugenscheinnahme einer Urkunde beinhaltet im Übrigen nur dann eine zureichende Beweiserhebung, wenn es nicht auf ihren Inhalt, sondern auf ihr Vorhandensein oder ihren Zustand ankommt (BGHR StPO § 249 Abs. 1 Kontoauszüge 1; Meyer-Goßner aaO § 249 Rn. 7).
8
Zwar kann der Inhalt einer Urkunde auch durch ihren Vorhalt an Zeugen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). So ist im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt, dass Bankordner mit Zeugen "erörtert" bzw. diesen vorgehalten wurden. Beweisgrundlage ist dann allerdings nicht der Vorhalt selbst, sondern die bestätigende Erklärung desjenigen, dem der Vorhalt gemacht wurde (BGHSt 11, 159, 160; BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1; § 261 Inbegriff der Verhandlung 38). Der Einführung einer Urkunde mittels Vorhalt sind deshalb Grenzen gesetzt. Insbesondere wenn es sich um längere oder sehr komplexe Ausführungen handelt, besteht die Gefahr, dass die Auskunftsperson den Sinn der schriftlichen Erklärung auf den bloßen inhaltlichen Vorhalt hin nicht richtig oder nur unvollständig erfasst oder sich an den genauen Wortlaut eines Schriftstücks nicht zuverlässig erinnern kann (BGHSt 11, 159, 160; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 39; BGH NStZ 1991, 500; Meyer-Goßner aaO § 249 Rn. 28). So liegt der Fall hier. Angesichts der hohen Anzahl der von der Kammer verwerteten Kontoauszüge und Einzelbuchungen ist auszuschließen , dass die als Zeugen gehörten Bankmitarbeiter und Polizeibeamten das entsprechende Zahlenwerk aus eigener Erinnerung heraus im Einzelnen bestätigen konnten (vgl. BGH NJW 2002, 2480, in BGHSt 47, 318 insoweit nicht abgedruckt

).

9
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil in den Fällen B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe auf diesem Mangel beruht.
10
Das Landgericht hat im Abschnitt B.II.1 bis 3 ausführliche Feststellungen zur finanziellen Entwicklung der beteiligten Unternehmen getroffen, die sie ihrer Darstellung der konkreten Tathandlungen vorangestellt hat. Darin nimmt die Entwicklung der jeweiligen Geschäftskonten breiten Raum ein, teilweise werden Kontostände sowie einzelne Buchungen, etwa eingehende Mietzahlungen, nach genauem Datum und Betrag wiedergegeben. Aus diesen Feststellungen, die das Landgericht ausdrücklich auf die "in die Hauptverhandlung eingeführten Kontoauszüge" gestützt hat (UA S. 45/46 und 50), hat es sodann die Überzeugung gewonnen, dass die G. GmbH & Co KG "spätestens Anfang 2005" und die A. GmbH "spätestens Ende 2004" zahlungsunfähig geworden waren (vgl. UA S. 18, dort unter B.II.3 "Fazit"). Das sich aus den Kontoauszügen ergebende konkrete Zahlenwerk hatte damit bestimmenden Einfluss auf die Bewertung der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen zu den jeweils relevanten Tatzeitpunkten. Dies kann sich auf die Schuldsprüche in den Fällen B.III.1 bis 39 der Urteilsgründe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.
11
Hierzu gilt im Einzelnen:
12
a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall B.III.1 der Urteilsgründe wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 130b Abs. 1 HGB (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung), § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt, weil er als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der G. GmbH & Co KG unter Missachtung der sich aus § 130a Abs. 1 S. 3 HGB (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung; jetzt § 15a Abs. 1 S. 1 InsO) ergebenden Verpflichtungen erst am 23. Januar 2006 einen Insolvenzantrag gestellt habe, obwohl das Unternehmen bereits seit Anfang 2005 zahlungsunfähig gewesen sei. Im Fall B.III.2 der Urteilsgründe hat es den Angeklagten eines Vergehens der Insolvenzverschleppung gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG (in der bis 31. Oktober 2008 gültigen Fassung) schuldig gesprochen, weil er es in seiner Eigenschaft als Liquidator der A. GmbH trotz zum Zeitpunkt seiner Bestellung bereits eingetretener und noch andauernder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens unterlassen habe, einen Insolvenzantrag zu stellen.
13
Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit jeweils explizit auf seine Ausführungen zur generellen finanziellen Entwicklung der Unternehmen Bezug genommen und auf die dort angeführten Kontostände verwiesen (UA S. 56/57). Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass sich der von der Revision aufgezeigte Verfahrensmangel auf die Verurteilungen ausgewirkt hat.
14
b) Aus denselben Gründen waren auch die Schuldsprüche wegen Bankrotts aufzuheben. Soweit die Strafkammer in den Fällen B.III.3 bis 5 der Urteilsgründe den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB dadurch als erfüllt angesehen hat, dass es der Angeklagte in verantwortlicher Funktion unterließ, Bilanzen der beiden Unternehmen für das Geschäftsjahr 2004 und eine Liquidationsbilanz der A. GmbH zu erstellen, greift die Rüge noch unter einem weiteren Gesichtspunkt durch. Zwar hat das Landgericht unter zutreffender Heran- ziehung der Grundsätze der Rechtsfigur der omissio libera in causa (vgl. hierzu : OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 104, 105; Beckemper JZ 2003, 806, 807; Rönnau NStZ 2003, 525, 530; Hillenkamp in FS Tiedemann 2008, S. 949, 963; Fischer StGB 58. Aufl. § 283 Rn. 29; LK/Tiedemann 12. Aufl. § 283 Rn. 154 sowie zu § 266a StGB: BGHSt 47, 318, 320 ff.; BGHZ 134, 304, 308 ff.) ausgeführt , dass die finanzielle Unmöglichkeit, einen Steuerberater mit der Erstellung von Bilanzen zu beauftragen, den Angeklagten nicht entlasten könne, weil er trotz sich abzeichnender Liquiditätsprobleme eingehende Mietzahlungen und sonstige Vermögenswerte nicht zur Bildung von Rücklagen, sondern zur Begleichung eigener Schulden oder Schulden der A. GmbH verwandt habe.
15
Die dieser Wertung zugrunde gelegten Buchungsvorgänge, welche das Landgericht überwiegend tabellarisch in den Urteilsgründen aufgeführt hat (UA S. 21 bis 35), hat es jedoch ebenfalls den nicht prozessordnungsgemäß eingeführten Kontounterlagen entnommen, weshalb das Urteil auch insoweit auf dem Verfahrensmangel beruht. Dies gilt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch hinsichtlich der Feststellung, dass der Angeklagte rechtsgrundlos Gelder von den Geschäftskonten der G. GmbH & Co KG abgezogen hat. Zwar haben mehrere Zeugen solche Vermögensverschiebungen pauschal dem Grunde nach bestätigt. Die Bewertung der den Pflichtwidrigkeitsvorwurf begründenden, auf den jeweiligen Fälligkeitsstichtag zu beziehenden Liquiditätsprognose (vgl. BGHSt 47, 318, 322/323 zu § 266a StGB) setzt jedoch Kenntnis von den konkreten Zahlungsflüssen voraus, die sich dem Landgericht erst aus den verwerteten Kontoauszügen eröffnet hat.
16
Vor diesem Hintergrund kann auch die Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in den Fällen B.III.9 bis 38 der Urteilsgründe keinen Bestand haben, bei der das Landgericht ebenfalls von einem schuldhaften Zahlungsunvermögen ausgegangen ist.
17
c) Der Schuldspruch in den Fällen B.III.6 und 7 der Urteilsgründe nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB wegen unterlassener Buchführung sowie im Fall B.III.8 der Urteilsgründe nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Verheimlichens von Vermögenswerten hat ebenfalls keinen Bestand. Auch hier sind die Feststellungen zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit von dem Verfahrensmangel betroffen. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht den Angeklagten eines Betruges schuldig gesprochen hat (Fall B.III.39 der Urteilsgründe), weil er trotz - von ihm auch erkannter - Zahlungsunfähigkeit einen Handwerker mit der Vornahme von Werkleistungen an Wohnobjekten der G. GmbH & Co KG beauftragt hatte.
18
3. Das Urteil war deshalb im vorbezeichneten Umfang aufzuheben. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich zur Feststellung einer tatsächlichen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit empfiehlt, einen Liquiditätsstatus zu erstellen oder durch einen Sachverständigen erstellen zu lassen, in dem übersichtlich die Barmittel sowie die kurzfristig liquidierbaren Vermögenswerte aller bestehenden oder zu erwartenden Verbindlichkeiten entsprechend ihrer jeweiligen Fälligkeit gegenübergestellt werden (BGHR § 283 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1; BGH NStZ 2003, 546; NJW 2010, 2894, 2898, insoweit in BGHSt 55, 107 nicht abgedruckt; vgl. auch Wegner in Achenbach /Ransiek Handbuch Wirtschaftsstrafrecht 2. Aufl. 2008 VII 1 Rn. 69 ff.; LK/Tiedemann aaO, vor § 283 Rn. 130 ff.). Sofern der neue Tatrichter die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erneut anhand wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen vornehmen sollte, wird er zu beachten haben, dass hierbei nur solche Verbindlichkeiten herangezogen werden können, die zu dem möglichst konkret zu bezeichnenden Bewertungszeitpunkt auch fällig waren (vgl. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO; BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 2; Fischer aaO, vor § 283 Rn. 9).

B.

19
Die Verurteilung wegen Untreue im Fall B.III.40 der Urteilsgründe hält auf die Sachrüge der revisionsrechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand.

I.

20
Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
21
Der Angeklagte war Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter mit einem Kapital von 99.900 € der K. I. GmbH & Co KG (nachfolgend : I. GmbH & Co KG). Der Geschäftsanteil des Angeklagten war an die Sparkasse K. verpfändet, bei der der Angeklagte erhebliche, aus der Finanzierung von Immobilienankäufen resultierende Schulden hatte. Weitere Gesellschafterin der I. GmbH & Co KG war die Firma K. - I. -V. -GmbH, eine Tochtergesellschaft der Sparkasse K. , mit einer Einlage von einem Euro. Ziel der Geschäftsgründung war der Abverkauf der finanzierten Immobilien, wobei die Erlöse überwiegend letztlich der Sparkasse zufließen und der Darlehensrückführung dienen sollten. Im Februar 2002 schloss der Angeklagte hierzu mit Verantwortlichen der I. GmbH & Co KG einen Geschäftsbesorgungsvertrag, wodurch ihm gegen Provision die Vermarktung und Verwaltung von Wohnobjekten übertragen wurde. Am 15. Dezember 2005 vereinnahmte der Angeklagte Mietzahlungen für die I. GmbH & Co KG in Höhe von 12.000 €, die er entgegen den Bestimmungen des Geschäftsbesorgungsvertrages nicht auf das Mietkonto verbuchte, sondern für sich behielt.

II.

22
1. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB verurteilt. Durch die Nichtabführung der Mietzahlungen habe er die ihm durch den Geschäftsbesorgungsvertrag eingeräumte Befugnis , über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dadurch dem Vermögen der I. GmbH & Co KG einen Nachteil zugefügt.
23
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass im Rahmen des § 266 StGB eine Schädigung des Gesamthandvermögens einer Kommanditgesellschaft nur insoweit bedeutsam sein kann, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt. Für die Frage des Nachteilseintritts ist demnach nicht allein auf die Gesellschaft , sondern auf das Vermögen der einzelnen Gesellschafter abzustellen (vgl. BGHSt 34, 221, 223; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; E. Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 85; Tiedemann GmbH-Strafrecht 5. Aufl. 2010 vor §§ 82 ff. Rn. 22).
24
a) Soweit der Gesellschaftsanteil des Angeklagten betroffen ist, schließt sein Einverständnis die Annahme eines Vermögensschadens aus (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; BGH NStZ 1987, 279; Fischer aaO § 266 Rn. 113). Dem steht die Verpfändung seiner Kommanditanteile an die SparkasseK. nicht entgegen. Denn mit einer solchen ist jedenfalls nicht ohne Weiteres auch eine Übertragung der Stimmrechte verbunden (Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck GmbHG 19. Aufl. 2010 § 15 Rn. 50; Michalski GmbHG 2. Aufl. 2010 § 15 Rn. 227).
25
Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe auf Seiten der Komplementär -GmbH ein Vermögensschaden entstanden ist, hat das Landgericht nicht getroffen. Zwar kommt, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist, eine anteilige Schädigung der GmbH im Verhältnis ihrer Einlageleistung zur Gesamteinlage in Betracht (vgl. BGH NStZ 1987, 279; Soyka, Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften, S. 64, jew. auch zu weiteren möglichen Schadenspositionen). Angesichts der lediglich marginalen Höhe eines solchen Nachteils (12.000 € x 1/99001 = 0,12 €) liegt es aber auf der Hand, dass der Angeklagte jederzeit bereit und in der Lage gewesen war, diesen mit eigenen Mitteln auszugleichen (vgl. BGHSt 15, 342, 344; BGH NStZ 1995, 233, 234; Fischer aaO § 266 Rn. 168 mwN).
26
b) Ob der Angeklagte durch die Vereinnahmung der Mietzahlungen zugleich gegen die sich aus dem Verhältnis zur Sparkasse K. als Pfandnehmerin eines Gesellschaftsanteils ergebenden Pflichten verstoßen und dieser in Höhe des auf seinen Kommanditanteil entfallenden Anteils einen Vermögensnachteil zugefügt hat, kann dahin stehen. Mangels konkreter Feststellungen zum Inhalt der Sicherungsabrede ist bereits offen, ob die Ablieferung vereinnahmter Gelder an die I. GmbH & Co KG auch im Verhältnis zur Pfandnehmerin eine wesentliche Vertragspflicht darstellte (vgl. BGH wistra 1984, 143 mit Anm. Schomburg). Ein möglicher Pflichtenverstoß gegenüber der Sparkasse K. war jedenfalls weder von der Anklage bezeichnet, noch war der Angeklagte hierauf in sonstiger Weise, etwa in Form eines rechtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1 StPO, hingewiesen worden.

C.

27
Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen B.III.1 bis 40 der Urteilsgründe erfordert die Aufhebung auch der Gesamtstrafe.

Fischer Appl Schmitt Eschelbach Ott

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.