Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 22. Feb. 2018 - 5 Sa 438/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2018:0222.5Sa438.17.00
bei uns veröffentlicht am22.02.2018

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Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 7. September 2017, Az. 2 Ca 419/17, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch wegen Nichtzahlung eines Leistungsentgelts.

2

Der 1965 geborene Kläger war seit 1982 bei der Bundesagentur für Arbeit angestellt. Seit dem 01.01.2012 wird er im Jobcenter des beklagten Landkreises als Verwaltungsfachangestellter beschäftigt. Er wird nach Entgeltgruppe 9 TVöD-VKA vergütet. Mit Wirkung ab 2014 wurde eine Dienstvereinbarung über die Einführung einer leistungsorientierten Bezahlung und Vereinbarung eines betrieblichen Systems nach § 18 Abs. 6 TVöD für alle Bediensteten des Jobcenters abgeschlossen. Darin heißt es auszugsweise:

3

"§ 6 Methoden der Leistungsfeststellung

4

(1) Die Geschäftsführung erstellt für die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbrachten Leistungen anhand einer Systematischen Leistungsbewertung (§ 7) einen Beurteilungsvorschlag. Sofern der zu Beurteilende nicht im gesamten Beurteilungszeitraum im gleichen Arbeitsbereich beschäftigt war, kann der Vorgesetzte der früheren Tätigkeit beteiligt werden.

5

Die Geschäftsführung ist für die Einhaltung des Verfahrens (§ 7) und die fristgerechte Weitergabe der Ergebnisse der Leistungsfeststellung (§ 8 Abs. 2) für ihren Bereich verantwortlich.

6

Um einen einheitlichen Beurteilungsmaßstab zu erreichen, werden anschließend alle Beurteilungsvorschläge dem Landrat als Obersten Dienstvorgesetzten zugeleitet.

7

(2) Grundlage der Leistungsfeststellung sind Kriterien, die auf die auszuübende Tätigkeit der Beschäftigten bezogen sind, von den Beschäftigten beeinflusst und in der regelmäßigen Arbeitszeit erreicht werden können. Voraussetzung der Leistungsfeststellung sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit der auf die Tätigkeit bezogenen Leistungskriterien.

8

(3) Die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbrachten Leistungen werden jährlich festgestellt.

9

(4) Leistungsgeminderte dürfen nicht grundsätzlich von Leistungsentgelten ausgenommen werden. Ihre jeweilige Leistungsminderung soll bezogen auf die Anforderungen ihres Arbeitsplatzes angemessen berücksichtigt werden.

10

§ 7 Systematische Leistungsbewertung

11

(1) Die Systematische Leistungsbewertung ist die auf dem nachstehend dargestellten System beruhende Feststellung der erbrachten Leistung nach messbaren oder anderweitig objektivierbaren Kriterien.

12

(2) Für die systematische Leistungsbewertung werden folgende Leistungskriterien, die nachfolgend abschließend definiert sind, festgelegt:

13

Arbeitsqualität

…       

Arbeitsquantität

…       

Selbstständiges Arbeiten

…       

Flexibilität

…       

Zusammenarbeit

…       

Kundenorientierung

…       

14

(2) Die Leistungsbewertung erfolgt grundsätzlich bei allen Beschäftigten nach den Leistungskriterien Arbeitsqualität, Arbeitsquantität und Selbständiges Arbeiten. … Von den verbleibenden drei Leistungskriterien muss ein weiteres Kriterium entsprechend dem jeweiligen Aufgabengebiet ausgewählt und bewertet werden.

15

(3) Das Ergebnis jedes Leistungskriteriums hat den gleichen Wert in Bezug auf das Gesamtergebnis der Bewertung.

16

(4) Der Erfüllungsgrad wird wie folgt mit Punkten versehen:

17

- deutliche Leistungsmängel

= 1 Punkt

- deutlich unter dem Durchschnitt

= 2 Punkte

- unter Durchschnitt

= 3 Punkte

- durchschnittliche Leistung

= 4 Punkte

- über dem Durchschnitt

= 5 Punkte

- deutlich über dem Durchschnitt

= 6 Punkte

- herausragende Leistung

= 7 Punkte

18

Die maximal erreichbare Gesamtpunktzahl beträgt 7 Punkte.

19

Um ein Leistungsentgelt zu erhalten, muss die Leistung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters über den üblichen Anforderungen (mindestens eine Gesamtpunktzahl von 4,1) liegen.

20
(2) Innerhalb eines Organisationsbereiches ist derselbe Maßstab für die Bewertung zugrunde zu legen. Die Geschäftsführung hat bei der Leistungsbewertung eine Verteilung der Leistungsentgelte nach dem “Gießkannenprinzip” zu verhindern. Vielmehr sind klare Prioritäten zu setzen und damit “echte” Leistungsanreize zu schaffen.
21
(3) Die systematische Leistungsbewertung erfolgt auf der Grundlage der Beobachtung der erbrachten Leistungen.

22

Der Beobachtungszeitraum beginnt jeweils am 01.10. und endet jeweils am 30.09. eines Jahres. In der Mitte des Beobachtungszeitraumes sollen die Vorgesetzten ein Einschätzungsgespräch mit den Beschäftigten über deren Leistungen führen.

23

24

(7) Für die Systematische Leistungsbewertung ist der als Anlage 2 beigefügte Vordruck zu verwenden; anhand des Vordrucks ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erläutern

25

- zu Beginn des Beobachtungszeitraumes die im jeweiligen Bereich relevanten und entsprechend gewichteten Leistungskriterien,

26

- zum Ende des Beobachtungszeitraumes die individuellen Ergebnisse der Systematischen Leistungsbewertung.

27

Die Feststellung ist den Beschäftigten nach Zustimmung durch den Landrat bekannt zu geben und schriftlich zu dokumentieren.

28

…"

29

In der Anlage 1 zur Dienstvereinbarung ist folgendes geregelt:

30

"Anlage 1

31

1. Die Geschäftsführung ist für die Einhaltung des Verfahrens (§ 7) und die fristgerechte Weitergabe der endgültigen Ergebnisse der Leistungsfeststellung (§ 8 Abs. 2) für das Jobcenter Landkreis C-Stadt verantwortlich.

32

2. Die Geschäftsführung Jobcenter Landkreis C-Stadt ist verpflichtet, unter Einhaltung des Dienstweges folgendes abzustimmen und nach Abstimmung umzusetzen:

33

- …

34

- die Einschätzungsgespräche in der Mitte des Beobachtungsraumes,

35

- …"

36

Für das Jahr 2014 wurde dem Kläger ein Leistungsentgelt iHv. € 770,34 gewährt. Für das Jahr 2015 erhielt er kein Leistungsentgelt. Mit Unterschrift vom 29.09.2014 bestätigte er das Stattfinden des ersten Einschätzungsgesprächs. Ein Einschätzungsgespräch in der Mitte des Beobachtungszeitraums fand nicht statt.

37

Am 24.04.2015 wurde ein Gespräch mit dem Kläger geführt, an dem ua. der Personalratsvorsitzende und der Geschäftsführer des Jobcenters teilnahmen. Einzelheiten des Gesprächs sind unklar. Nach dem Eindruck des Klägers wurde ihm vorgeworfen, dass er zu langsam arbeite. Der Kläger kam im September 2015 von sich aus auf den Geschäftsführer des Jobcenters zu und erklärte, dass ihn die Tätigkeit als Sachbearbeiter zu sehr belaste. Er bat darum, ihn von dieser Tätigkeit zu entbinden. Anschließend wurde eine Stelle "kreiert", die den Kläger mental entlasten soll, indem seinem Wunsch entsprochen worden ist, dass er am Abend seinen Arbeitsplatz verlassen kann, ohne dass rückständige Akten auf seinem Tisch liegen.

38

Die Leistungsbewertung für das Jahr 2015 wurde dem Kläger am 05.01.2016 eröffnet. Er erreichte in folgenden Kriterien folgende Punktzahl:

39

Arbeitsqualität

3,5 Punkte

Arbeitsquantität

3,5 Punkte

selbständiges Arbeiten

3,5 Punkte

Kundenorientierung

4  Punkte

40

Die Durchschnittsbewertung lag daher bei 3,625 Punkten. Bei einer Punktzahl von 4,125 hätte der Kläger ein Leistungsentgelt iHv. € 1.470,00 brutto erhalten. Der Kläger legte mit E-Mail vom 26.01.2016 Beschwerde gegen die Nichtgewährung des Leistungsentgelts ein. Die betriebliche Kommission prüfte die Beschwerde am 20.06.2016 gem. § 9 der Dienstvereinbarung, sie erarbeitete aber keinen Vorschlag. Außergerichtlich begründete der Geschäftsführer des Jobcenters gegenüber der Gewerkschaft ver.di, die ihn im Auftrag des Klägers dazu aufgefordert hatte, mit Schreiben vom 23.12.2016 die Nichtgewährung des Leistungsentgelts für 2015 auszugsweise wie folgt:

41

"... [Der Kläger] war bis Dezember 2015 im Bereich Leistungsgewährung bei der sogenannten Clearingstelle eingesetzt. Aufgrund einer von der Personalvertretung mitgetragenen Zusammenlegung zweier Referate … ist die Tätigkeit des "Clearers" in der früheren Form entfallen. [Dem Kläger] wurde daraufhin eine Tätigkeit im Bereich der Sachbearbeitung von Leistungsfällen angeboten. Im Rahmen der Bewertung sämtlicher Stellen im Hause im Jahre 2011 wurde die Stelle eines Sachbearbeiters nach Entgeltgruppe 9 bewertet, da er für schwierige Fälle zuständig ist und außerdem für die Fachassistenten die Zahlbarmachung von Erstanträgen (4-Augenprinzip) freigibt. Insofern war dies die Übertragung einer adäquaten Tätigkeit hinsichtlich seiner Entgeltgruppe. [Dem Kläger] wurden für die Anlernphase keine schwierigen Fälle übergeben und die Überprüfung von Anträgen der Fachassistenten einschließlich ihrer Freigabe wurde ihm ebenfalls nicht abverlangt. Im Laufe des Kalenderjahres 2015 hat sich jedoch herausgestellt, dass [der Kläger] mit dieser Tätigkeit (Fachassistent = Entgeltgruppe 8) überfordert war und er selbst hat mich darum gebeten, ihn von diesen Aufgaben freizustellen. Von den anlernenden Mitarbeiterinnen wurde mir zwar signalisiert, dass [der Kläger] durchaus die Materie verstehe, er aber zu langsam sei. Die Übertragung eines festen Kundenbestandes war nicht möglich, da er dem Druck nicht gewachsen war, bzw. er mit der Abarbeitung von Fällen nicht umgehen konnte. In einem Gespräch zusammen mit ihm und der Personalvertretung haben wir ihm dann eine Arbeit zugewiesen (Aushändigung von Anträgen, Entgegennahme von Unterlagen und Anträgen, Durchführung von DALEB-Verfahren, Entgegennahme und Prüfung von Anträgen auf einmalige Leistungen usw.), die seinem Wunsch entgegenkommt, keinen Aktenbestand abarbeiten zu müssen. Diese Tätigkeit entspricht meiner Auffassung nach der Entgeltgruppe 6, allenfalls der Entgeltgruppe 8. Dies hat unter den Kolleginnen und Kollegen zu Unmut geführt, da manche sich gegenüber [dem Kläger] benachteiligt fühlen. Aufgrund einer längeren Erkrankung des [Klägers] konnte das Beurteilungsgespräch mit ihm erst im Januar 2016 geführt werden. Ich habe ihm im Rahmen dieses Gespräches ausführlich erläutert, dass die im Beurteilungszeitraum gezeigten Leistungen auf keinen Fall die Gewährung von LOB [= leistungsorientierte Bezahlung] rechtfertigen würden und dass ich auch grundsätzlich nicht bereit bin, LOB zu gewähren, wenn eine Tätigkeit ausgeübt wird, deren Bezahlung nicht der Wertigkeit der Stelle entspricht. [Der Kläger] wurde in dem Gespräch auch daran erinnert, dass er auf die Geschäftsführung zugekommen ist, mit der Mitteilung, dass er überfordert sei und nicht umgekehrt. … "

42

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Leistungsbeurteilung für das Jahr 2015 verstoße wegen Nichteinhaltung des Verfahrens gegen die Dienstvereinbarung. Insbesondere sei mit ihm - entgegen der Regelung in § 7 Abs. 6 Satz 3 der Dienstvereinbarung - in der Mitte des Beurteilungszeitraumes (vom 01.10.2014 bis 30.09.2015) kein Einschätzungsgespräch geführt worden. Deshalb habe er nicht die Möglichkeit gehabt, seine Leistungen zu verbessern und zu steigern, um eine Gesamtpunktzahl von mindestens 4,1 zu erreichen. Der Beklagte schulde ihm daher Schadensersatz iHv. € 1.470,00.

43

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

44

den Beklagten zu verurteilen, an ihn € 1.470,00 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2015 zu zahlen.

45

Der Beklagte hat beantragt,

46

die Klage abzuweisen.

47

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 07.09.2017 Bezug genommen.

48

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, selbst wenn man die vom Kläger gerügten Verfahrensverstöße gegen die Dienstvereinbarung hinwegdenke, könne nicht angenommen werden, dass seine Leistung im Beurteilungsjahr 2015 “über den üblichen Anforderungen" mit einer Gesamtpunktzahl von mindestens 4,1 gelegen hätte. Es sei nicht erkennbar, dass die Leistung des Klägers durch ein Einschätzungsgespräch zur Mitte des Beobachtungszeitraums steigerungsfähig gewesen wäre. Dabei sei zu würdigen, dass der Kläger zum Ende des Beobachtungszeitraums auf den Geschäftsführer des Jobcenters zugegangen sei, mit der Bitte, ihn von seinen Aufgaben als Sachbearbeiter zu entbinden, weil er sich überfordert gefühlt habe. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass es den Kläger gesundheitlich belastet habe, einer Arbeit nachzugehen, bei der am Ende des Arbeitstags noch zu bearbeitende Akten auf dem Schreibtisch lagen. Außerdem sei unstreitig, dass der Kläger mit der Arbeit überfordert gewesen sei und zu langsam gearbeitet habe. Es stelle einen gewissen Widerspruch dar, dass der Kläger sich den Aufgaben nicht gewachsen gefühlt habe, aber dennoch der Ansicht sei, seine Leistung habe "über den üblichen Anforderungen" gelegen. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 07.09.2017 Bezug genommen.

49

Gegen das am 19.09.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 12.10.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 27.10.2017 eingegangenen Schriftsatz begründet.

50

Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe zu strenge Anforderungen an die Feststellung des Schadens und der Schadenshöhe gestellt. Er sei aufgrund der evidenten Verfahrensfehler nicht in der Lage gewesen, seine Leistung zu steigern bzw. zu verbessern, was letztlich zur Nichtgewährung des Leistungsentgelts für 2015 geführt habe. Das Arbeitsgericht habe selbst von mangelndem Feedback gesprochen. Wenn ein Einschätzungsgespräch stattgefunden hätte, so hätte er seine Leistungen zur Mitte des Beobachtungszeitraums einschätzen können. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, dass er seine Leistung auf eine Punktzahl von 4,1 gesteigert hätte. Wenn er erfahren hätte, dass die Arbeitsquantität zu niedrig gewesen sei, hätte er die einzelnen Kundengespräche gestrafft und auf das Wesentliche beschränkt. Er hätte dies mit professioneller Freundlichkeit getan, so dass keine Defizite in der Kundenorientierung aufgetreten wären. Wenn er erfahren hätte, dass Kunden unzufrieden gewesen seien - was er immer bestritten habe - hätte er nach den Kunden bzw. Aktenvorgängen gefragt und sich den Grund der Beschwerden schildern lassen. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass Menschen aus Fehlern lernen und diese Fehler dann nicht mehr begehen. Dann entspreche es auch der Lebenserfahrung, dass die Kundenorientierung mit mehr als 4 Punkten bewertet worden wäre. Wenn er erfahren hätte, dass die Arbeitsqualität beanstandet werde, hätte er nach den einzelnen Vorgängen gefragt und sich die Gründe für die Leistungsdefizite angesehen. Dann hätte er wiederum aus den Fehlern gelernt und die Qualität in dieser Hinsicht verbessert. Auch das hätte dazu geführt, dass er in diesem Bereich mehr als 4 Punkte erzielt hätte. Gleiches gelte für das selbständige Arbeiten. Auch hier hätte er nach den Gründen für die mangelnde Selbständigkeit gefragt bzw. nach den Vorgängen, die ein unselbständiges Arbeiten belegen sollen. Er hätte dann zukünftig einen Vorgang zu Ende bearbeitet und bspw. nicht mehr an den Vorgesetzten weitergeleitet. Auch in diesem Bereich hätte er mehr als 4 Punkte erzielt. Daran ändere nichts, dass er zum Ende des Beobachtungszeitraums auf den Geschäftsführer des Jobcenters mit der Bitte zugegangen sei, ihn wegen Überforderung von seinen Aufgaben zu entbinden. Zum einen sei dies gegen Ende des Beobachtungszeitraums geschehen und habe deshalb für die Bewertung der vergangenen Leistung keine Relevanz. Zum andern wäre diese Bitte nicht erfolgt, wenn das Gespräch in der Mitte des Beobachtungszeitraums stattgefunden hätte. Sinn eines solchen Gesprächs sei es nämlich auch, einer Überforderung entgegenzuwirken.

51

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

52

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.09.2017, Az. 2 Ca 419/17, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn € 1.470,00 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2015 zu zahlen.

53

Der Beklagte beantragt,

54

die Berufung zurückzuweisen.

55

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Aufgrund von fachlichen Umorganisationen sei der Kläger in 2015 als Sachbearbeiter von Leistungsfällen eingesetzt worden. Obwohl die Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe 9 TVöD-VKA dies erfordert hätte, seien ihm keine schwierigen Fälle zur Bearbeitung gegeben worden. Außerdem sei von ihm die Überprüfung von Anträgen der Fachassistenten einschließlich ihrer Freigabe nicht verlangt worden. Dennoch habe sich im Laufe des Jahres 2015 herausgestellt, dass der Kläger mit seiner Tätigkeit überfordert gewesen sei und er zu langsam gearbeitet habe. Am 24.04.2015 sei ein Gespräch mit dem Kläger geführt worden, an dem die für seine Einarbeitung zuständige Sachbearbeiterin, die Teamassistentin, die Referatsleiterin, der Leiter des operativen Geschäfts, der Personalratsvorsitzende und der Geschäftsführer des Jobcenters teilgenommen haben. In diesem Gespräch sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass er zwar durchaus die Materie verstehe, aber zu langsam arbeite.

56

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

57

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II.

58

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz iHv. € 1.470,00 brutto.

59

1. Der Kläger hat für das Jahr 2015 keinen Anspruch auf ein Leistungsentgelt aus der Dienstvereinbarung über die Einführung einer leistungsorientierten Bezahlung und Vereinbarung eines betrieblichen Systems nach § 18 Abs. 6 TVöD für alle Bediensteten des Jobcenters des beklagten Landkreises vom 16.12.2013. Der Kläger hat im Beobachtungszeitraum vom 01.10.2014 bis zum 30.09.2015 unstreitig keine Leistungen erbracht, die im Sinne des § 7 Abs. 4 der Dienstvereinbarung "über den üblichen Anforderungen" lagen. Er hat keine Gesamtpunktzahl von mindestens 4,1 erzielt, sondern lediglich 3,625 Punkte erreicht.

60

2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger vom Beklagten auch keinen Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB beanspruchen kann, weil mit ihm - entgegen § 7 Abs. 6 Satz 3 der Dienstvereinbarung - in der Mitte des Beurteilungszeitraums, also Ende März/Anfang April 2015, kein Einschätzungsgespräch geführt worden ist.

61

a) Nach § 7 Abs. 6 Satz 3 iVm. der Anlage 1 zur Dienstvereinbarung steht das Einschätzungsgespräch in der Mitte des Beobachtungszeitraums nicht im freien Ermessen des Vorgesetzten, vielmehr ist die Geschäftsführung des Jobcenters für die Einhaltung des Verfahrens verantwortlich. Sie ist durch die Sollvorschrift ("sollen die Vorgesetzten" ein Gespräch führen) gebunden. Sollvorschriften sind im Regelfall rechtlich zwingend und gestatten eine Abweichung nur in atypischen Ausnahmefällen.

62

Ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, wenn einem Tarifbeschäftigten - wie dem Kläger - im Beobachtungszeitraum aus dienstlichen Gründen eine neue Arbeitsaufgabe übertragen wird, in die er erst eingearbeitet werden muss, ist fraglich. Es ist auch zweifelhaft, kann aber ebenfalls dahinstehen, ob der Geschäftsführer des Jobcenters ein Einschätzungsgespräch mit dem Argument, der Tarifbeschäftige sei im Verhältnis zu seiner Arbeit zu hoch eingruppiert, ausfallen lassen kann. Selbst wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten - wegen Nichteinhaltung des in der Dienstvereinbarung festgelegten Verfahrens - vorliegen sollte, könnte der Kläger Schadensersatz nur dann verlangen, wenn die Nichtdurchführung eines Einschätzungsgesprächs in der Mitte des Beobachtungszeitraums für das Nichterreichen eines Leistungsentgelts im Jahr 2015 auch kausal war. Dies folgt aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Gläubiger, sofern der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des „hierdurch“ entstehenden Schadens verlangen kann.

63

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Ersatz des ihm entgangenen Leistungsentgelts für das Jahr 2015 iHv. € 1.470,00, das er bei einer Gesamtpunktzahl von 4,125 erhalten hätte, und damit entgangenen Gewinn iSv. § 252 BGB. Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt ua. der Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Danach ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, nicht erforderlich; es genügt vielmehr der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er erzielt worden wäre. Dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass der Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus anderen Gründen dennoch nicht erzielt worden wäre. Dabei dürfen allerdings keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden, weil die Beweiserleichterung des § 287 ZPO auch die Darlegungslast des Geschädigten mindert, der Ersatz entgangenen Gewinns verlangt (vgl. BAG 21.04.2016 - 8 AZR 753/14 - Rn. 44 mwN; BAG 26.09.2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 20 mwN; BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 48 mwN).

64

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen auch die Berufungskammer folgt, ist nicht zu beanstanden, wenn das angefochtene Urteil zu dem Ergebnis kommt, der Kläger habe den Eintritt eines materiellen Schadens nach Sachlage und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge - trotz der Erleichterungen des § 287 Abs. 1 ZPO - nicht wahrscheinlich gemacht. Die Berufungskammer folgt der Begründung des Arbeitsgerichts und stellt dies fest, § 69 Abs. 2 ArbGG.

65

Auch aus Sicht der Berufungskammer ist nach der Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass der Kläger für das Jahr 2015 die erforderliche Mindestpunktzahl von 4,1 für ein Leistungsentgelt erreicht hätte, wenn sein Vorgesetzter mit ihm Ende März/Anfang April 2015 ein Einschätzungsgespräch geführt hätte. Dagegen spricht, dass der Kläger unstreitig im September 2015 von sich aus auf den Geschäftsführer des Jobcenters zugegangen ist und ihm erklärte, dass ihn die Tätigkeit als Sachbearbeiter zu sehr belaste. Er bat darum, ihn von dieser Tätigkeit zu entbinden. Anschließend wurde im Jobcenter eine Stelle geschaffen, die den Kläger mental entlasten soll, indem seinem Wunsch entsprochen worden ist, dass er am Abend seinen Arbeitsplatz verlassen kann, ohne dass rückständige Akten auf seinem Schreibtisch liegen. Es ist außerdem unstreitig, dass am 24.04.2015 ein Gespräch mit dem Kläger geführt worden ist, an dem ua. der Personalratsvorsitzende und der Geschäftsführer des Jobcenters teilnahmen. Auch wenn sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer nicht zu Einzelheiten dieses Gesprächs äußern wollte, ist ihm jedenfalls nicht verborgen geblieben, dass sein Arbeitgeber ihm Vorhaltungen gemacht hat, weil er mit seinen Leistungen unzufrieden war. Im Hinblick darauf ist das Berufungsvorbringen des Klägers, es wäre ihm gelungen, seine Leistungen zu verbessern, wenn das Einschätzungsgespräch in der Mitte des Beobachtungszeitraums geführt worden wäre, Folge einer unrealistischen Erwartungshaltung. Eine Leistungssteigerung infolge eines Einschätzungsgesprächs ist nach den vorliegenden Umständen fernliegend, so dass ein Schadensersatzanspruch ausscheidet.

III.

66

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

67

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 26. Sept. 2012 - 10 AZR 370/10

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Tenor 1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Februar 2010 - 17 Sa 1133/08 - wird zurückgewiesen.

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(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Februar 2010 - 17 Sa 1133/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision und die Kosten der Streitverkündeten zu 1., zu 2. und zu 3. zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Wechsel einer Vielzahl von Arbeitnehmern von der Klägerin zur Beklagten.

2

Die Klägerin ist ein Unternehmen der Verkehrswegebaubranche. Sie gehörte dem W-Bau-Konzern an und war mit der Muttergesellschaft, der W Bau AG, wirtschaftlich über einen Cash-Pool verbunden. Die W Bau AG geriet im Jahr 2004 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Klägerin konnte ab Mitte 2004 Rechnungen nicht mehr vollständig begleichen, auf Baustellen traten organisatorische und logistische Schwierigkeiten auf. Die Auszahlung der Arbeitsentgelte im Januar 2005 verzögerte sich. Im Dezember 2004 kündigte die Klägerin den Cash-Pool.

3

Am 1. Februar 2005 stellte die W Bau AG einen Insolvenzantrag, am 1. April 2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum 14. Februar 2005 wurde die Klägerin zusammen mit weiteren Gesellschaften an den S-Konzern verkauft.

4

Auch die Beklagte war am Erwerb der Klägerin interessiert gewesen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen entschloss sie sich, eine eigene Verkehrswegebaugesellschaft zu gründen. Mit dem Streitverkündeten zu 1., zuvor Mitglied im Aufsichtsrat der W Bau AG und später ihr Berater, dem Streitverkündeten zu 2., dem technischen Leiter der D Niederlassung der Klägerin, dem Streitverkündeten zu 3., dem kaufmännischen Leiter dieser Niederlassung und mit weiteren Mitarbeitern der Klägerin schloss sie Dienst- und Arbeitsverträge. Ab Anfang März 2005 gab es mehrere Treffen zwischen den Streitverkündeten und Mitgliedern der Führungsebene der Beklagten sowie zwischen den Streitverkündeten zu 2. und zu 3. und weiteren Führungskräften der Klägerin. Dabei wurden formularmäßige Einstellungszusagen der Beklagten ausgehändigt und ausgefüllt. Der Austausch der Einstellungszusagen mit der Beklagten erfolgte unter Mithilfe der Sekretärinnen der Streitverkündeten zu 2. und zu 3. Bis zum 31. März 2005 kündigten 25 und bis zum 31. Mai 2005 weitere 32 Mitarbeiter der Klägerin ihr Arbeitsverhältnis und wechselten im Laufe des Jahres zur Beklagten. Weitere 47 Arbeitnehmer gingen zu anderen Arbeitgebern. Insgesamt reduzierte sich die Belegschaft der Klägerin von 1.329 Mitarbeitern zum Stichtag 31. Dezember 2004 auf 1.101 Mitarbeiter zum Stichtag 31. Dezember 2005. Im Zusammenhang mit dem Wechsel der Mitarbeiter zur Beklagten wurden Daten der Klägerin gelöscht und für die Beklagte genutzt. Bei einer von der Staatsanwaltschaft veranlassten Durchsuchung von Büroräumen der Beklagten wurden Kalkulations-, Projektsteuerungs- und weitere Unterlagen der Klägerin gefunden. In einer E-Mail eines Mitglieds der Führungsebene der Beklagten an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 15. März 2005 heißt es:

        

„… Der Ball rollt weiter und wir haben heute sechs weitere Schlüsselpersonen wie Kalkulatoren, Arbeitsvorbereiter etc. … verpflichtet. Übrigens, die zukünftige Geschäftsführung arbeitet nun (noch informell) mit Volldampf an der Sache. …“

5

Am 21. April 2005 wurde die Verkehrswegebaugesellschaft der Beklagten ins Handelsregister eingetragen. Am 3. Mai 2005 reichte sie ein vollständig kalkuliertes Angebot auf eine Ausschreibung zum Bau der Bundesautobahn A 72 ein. Vorarbeiten hierzu wurden mit Hilfe eines Laptops des Streitverkündeten zu 2. sowie einer Baugeräteliste der Klägerin getätigt. Den Zuschlag erhielt weder die Beklagte noch die gleichfalls an der Ausschreibung teilnehmende Klägerin. Am 26. April 2005 stellte die Klägerin die Streitverkündeten zu 2. und zu 3. von der Erbringung der Arbeitsleistung frei und kündigte mit Schreiben vom 12. Mai 2005 die Arbeitsverhältnisse fristlos. Am 29. Juni 2005 wurden beide Streitverkündete als Geschäftsführer der neu gegründeten Verkehrswegebaugesellschaft der Beklagten eingetragen.

6

Der Verlust der Klägerin aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit betrug im Jahr 2005 68.759.000,00 Euro und im Jahr 2006 16.767.000,00 Euro.

7

Im Lagebericht der Klägerin für das Jahr 2005 heißt es:

        

„…    

        

Geschäftsergebnis

        

Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit 2005 in Höhe von -68,8 Mio. Euro ist in erheblichem Maße geprägt von indirekten Auswirkungen aus der Insolvenz der ehemaligen Muttergesellschaft W Bau AG, insbesondere von der Verunsicherung bei der Bauherrenschaft und wichtigen Nachunternehmern sowie massiver Abwanderung und Abwerbung von technischem und kaufmännischem Führungspersonal und dem damit verbundenen Know-how. Mehr als die Hälfte der Verluste des Geschäftsjahres 2005 sind auf die Abwertung von Forderungen und laufenden Projekten durch Anpassung an die strengeren Grundsätze der Nachtragsbewertung der S-Gruppe entstanden.

        

…       

        

Im unverändert schrumpfenden inländischen Baumarkt ging die Bauleistung der H Bau GmbH gegenüber dem Vorjahreswert nochmals um 28,9 Prozent auf 273,4 Mio. Euro zurück.

        

…       

        

Ertragslage

        

…       

        

Für die negative Unternehmensentwicklung waren insbesondere die durch die Insolvenz der W-Bau AG entstandenen Unsicherheiten aus konzerninternen Auftragsverhältnissen zur W-Bau-Gruppe, Abwerbung von Führungspersonal durch Wettbewerber, sowie Nachtragsbereinigungen und Leistungskorrekturen im Zuge des S-Erwerbs verantwortlich.

        

Der Rückgang der Gesamtleistung resultiert zum Teil aus der Anwendung der strengeren Grundsätze der Nachtragsbewertung. Diese führen im Geschäftsjahr 2005 bei laufenden Baumaßnahmen zu deutlich höheren Abwertungen der nicht fertiggestellten Bauarbeiten sowie bei den in 2005 fertiggestellten Projekten zu geringeren Abrechnungserlösen.

        

Zudem erhöhte sich der Materialaufwand insbesondere aufgrund ungünstigerer Konditionen bei Nachunternehmern durch die Insolvenz der Muttergesellschaft W Bau AG sowie gestiegener Preise auf den Rohstoffmärkten.

        

…       

        

Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung

        

…       

        

Bei der öffentlichen Hand wuchs die Verunsicherung in Bezug auf Auswertung von Angeboten und Vergabe von Aufträgen genauso wie die Anzahl der Einsprüche gegen beabsichtigte Vergaben. Dies hat zum Teil erhebliche Verzögerungen von Vergaben bis hin zu Aufhebungen von Ausschreibungen vor allem bei Großprojekten zur Folge. Eine fundierte Planung wird für die Bauindustrie immer schwerer.

        

…       

        

Die wesentlichen Faktoren, die zum negativen Ergebnis in 2005 geführt haben, sind für 2006 nicht zu erwarten. Die Fluktuation in den Direktionen konnte durch qualifizierte Mitarbeiter aus der Muttergesellschaft oder externe Fachkräfte kompensiert werden. …“

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe Führungspersonal aus ihren Niederlassungen unter Mithilfe der Streitverkündeten zu 1., zu 2. und zu 3. in wettbewerbswidriger Schädigungsabsicht abgeworben und sei deshalb zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Diesen errechnet sie auf Grundlage der Zielergebnisse für die Jahre 2005 und 2006 von je 963.000,00 Euro und der Beklagten ihrer Auffassung nach zurechenbaren operativen Verlusten von 26.737.000,00 Euro für 2005 und von 17.715.000,00 Euro für 2006 aus den von der Abwerbung betroffenen Niederlassungen. Die Streitverkündeten hätten Unternehmensgeheimnisse der Klägerin für die neue Verkehrswegebaugesellschaft der Beklagten genutzt und dorthin wechselnde Mitarbeiter zur Mitnahme und Nutzung dieser Daten für die Beklagte angehalten. Durch die wettbewerbswidrigen Abwerbungen sei das Know-how des Führungspersonals und damit die Akquisitionsstärke der Klägerin verloren gegangen. In den Niederlassungen D und Dr sei die regionale Präsenz der Klägerin für die Angebotsbearbeitung und Bauausführung nicht mehr gegeben gewesen. Auch die übrigen Niederlassungen seien betroffen gewesen, da sie Aufgaben der von der Abwerbung betroffenen Niederlassungen hätten übernehmen müssen. Die Auftragseingänge seien insgesamt um 37 % zurückgegangen.

9

Auf Grundlage ihres Vortrags müsse eine gerichtliche Schätzung des durch die Abwerbung verursachten Schadens erfolgen. Sonstige Faktoren wie die Insolvenz der Muttergesellschaft hätten die Entstehung des Schadens nicht maßgeblich beeinflusst und könnten ggf. im Rahmen eines Schätzabschlags berücksichtigt werden. Der Schaden könne auch aus dem Substanzverlust des Unternehmens als Folge des Verlusts von Humankapital durch Abwerbung des Führungspersonals ermittelt werden.

10

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 46.378.000,00 Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 27.700.000,00 Euro seit dem 1. Januar 2006 sowie aus 18.678.000,00 Euro seit dem 1. Januar 2007 zu zahlen.

11

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Die gewechselten Mitarbeiter seien bereits entschlossen gewesen, die Klägerin zu verlassen; das bloße Ausnutzen eines Vertragsbruchs sei nicht wettbewerbswidrig. Ursächlich für den Wechsel der Mitarbeiter sei die seit dem Jahr 2004 bestehende wirtschaftliche Krise des W-Bau-Konzerns gewesen; die Situation habe sich für die Mitarbeiter der Klägerin Anfang des Jahres 2005 als existenzbedrohend dargestellt. Die Ängste seien durch Äußerungen des Mehrheitsaktionärs der Käuferin vor Führungskräften der Klägerin am 18. Februar 2005 („den Titel Geschäftsführer gibt es nicht mehr“, „es wird sicherlich die eine oder andere Träne fließen“, „ich brauche Euch nicht“) noch verstärkt worden. Die kaufmännischen Mitarbeiter seien nur noch mit Krisenmanagement befasst gewesen, da der Betrieb der laufenden Baustellen weitgehend zum Erliegen gekommen sei. Die negativen Betriebsergebnisse der Jahre 2005 und 2006 seien nicht auf die Abwanderung des Personals zurückzuführen. Ausweislich des Lageberichts der Klägerin für 2005 habe es eine Vielzahl von Ursachen hierfür gegeben. Für eine Schätzung eines nur durch Abwanderung des Personals verursachten Schadens gebe es keine greifbaren Anknüpfungspunkte.

12

Das Arbeitsgericht hat die zunächst gegen die Beklagte und die Streitverkündeten zu 1., zu 2. und zu 3. gerichtete Klage abgewiesen. Die nur gegen die Beklagte geführte Berufung blieb ohne Erfolg. Die Beklagte hat in der Berufung den noch erstinstanzlich Mitbeklagten den Streit verkündet. Diese sind dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 9, 3 UWG iVm. § 249 ff. BGB.

14

I. Es spricht vieles dafür, in der Form der Abwerbung von Teilen des Führungspersonals der Klägerin eine unlautere geschäftliche und damit nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige Handlung der Beklagten zu sehen, die dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 9 UWG ausgelöst hat.

15

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Abwerben fremder Mitarbeiter als Teil des freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt. Dies gilt aber dann nicht, wenn wettbewerbsrechtlich unlautere Begleitumstände hinzukommen, insbesondere unlautere Mittel eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden (BGH 11. Januar 2007 - I ZR 96/04 - Rn. 14, BGHZ 171, 73; 9. Februar 2006 - I ZR 73/02 - Rn. 18, NZA 2006, 500; 4. März 2004 - I ZR 221/01 - Rn. 16, BGHZ 158, 174). Das Abwerben von Mitarbeitern ist dann unlauter, wenn besondere Umstände, etwa die Verfolgung verwerflicher Zwecke oder die Anwendung verwerflicher Mittel und Methoden, hinzutreten (BGH 11. Januar 2007 - I ZR 96/04 - Rn. 14, aaO).

16

2. Es liegt nahe, dass die Beklagte die wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Schwelle für Kontaktaufnahmen am Arbeitsplatz überschritten hat, indem sie mithilfe der noch im Arbeitsverhältnis zur Klägerin stehenden Streitverkündeten zu 2. und zu 3. und unter Nutzung sächlicher und personeller Betriebsmittel der Klägerin Führungspersonal abgeworben hat; das die Anwerbung steuernde und begleitende Handeln des Mitglieds ihrer Führungsebene ist der Beklagten dabei nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung nach § 31 BGB zuzurechnen(vgl. BGH 5. März 1998 - III ZR 183/96 - zu III 1 a der Gründe, NJW 1998, 1854).

17

II. Die Klägerin kann den Ersatz des dadurch möglicherweise entstandenen Schadens dennoch nicht beanspruchen. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz entgangenen Gewinns mit der Begründung abgelehnt hat, der Vortrag der Klägerin biete keine ausreichende Grundlage für eine Schätzung des durch unlauteres geschäftliches Verhalten der Beklagten entstandenen Schadens.

18

1. Nach § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre(Naturalrestitution). Ist die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend, hat der Ersatzverpflichtete den Gläubiger in Geld zu entschädigen, § 251 Abs. 1 BGB. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist nach der Differenzhypothese durch Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen (BAG 15. September 2011 - 8 AZR 846/09 - Rn. 47 mwN, EzA BGB 2002 § 611 Krankenhausarzt Nr. 4; BGH 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09 - Rn. 8 mwN, BGHZ 188, 78). Nach § 252 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

19

2. Nach § 287 Abs. 1 ZPO entscheidet der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch er ist. Die Norm dehnt das richterliche Ermessen für die Feststellung der Schadenshöhe über die Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt dabei in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen (BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 49, BAGE 125, 147; 20. September 2006 - 10 AZR 439/05 - Rn. 37, BAGE 119, 294). Der Tatrichter muss nach pflichtgemäßem Ermessen auch beurteilen, ob nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist. Eine Schätzung darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre (BGH 24. Juni 2009 - VIII ZR 332/07 - Rn. 16, NJW-RR 2009, 1404; 23. Oktober 1991 - XII ZR 144/90 - zu 3 a der Gründe, WM 1992, 36; Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 287 Rn. 4); eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in Form der Schätzung eines Mindestschadens, lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu(st. Rspr., BGH 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - Rn. 9, NJW 2012, 2267; 16. März 2004 - VI ZR 138/03 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, NJW 2004, 1945).

20

3. Der Geschädigte muss die Umstände darlegen und in den Grenzen des § 287 ZPO beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung des § 252 BGB und § 287 ZPO auch die Darlegungslast des Geschädigten mindert, der Ersatz entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden(BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 48, BAGE 125, 147; BGH 18. Februar 2002 - II ZR 355/00 - zu A II 1 der Gründe, NJW 2002, 2553). Dies gilt auch für den Nachweis eines wettbewerblichen Schadens, für den es im Hinblick auf die künftigen Entwicklungen des Geschäftsverlaufs in der Natur der Sache liegende Beweisschwierigkeiten gibt (BAG 20. September 2006 - 10 AZR 439/05 - Rn. 37, BAGE 119, 294; BGH 17. April 1997 - X ZR 2/96 - zu III 1 der Gründe, NJW-RR 1998, 331; 17. Juni 1992 - I ZR 107/90 - zu II B 1 c der Gründe, BGHZ 119, 20). Greifbare Anknüpfungstatsachen, die für eine Schadensschätzung unabdingbar sind, muss der Geschädigte im Regelfall darlegen und beweisen (BGH 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - Rn. 9, NJW 2012, 2267).

21

4. Beruft sich der Schädiger darauf, entgegen dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre kein oder nur ein geringerer Gewinn angefallen, ist er für den behaupteten anderen Kausalverlauf darlegungs- und beweispflichtig (BGH 30. Mai 2001 - VIII ZR 70/00 - zu II 1 a der Gründe mwN, NJW-RR 2001, 1542; MüKoBGB/Oetker 6. Aufl. § 252 Rn. 40). Auch dem Schädiger kommt § 287 ZPO zugute, denn den naturwissenschaftlichen Beweis eines anderen Kausalverlaufs kann auch er nicht erbringen. Der Schädiger, der sich auf eine Reserveursache beruft, muss daher seinerseits Anknüpfungstatsachen darlegen und beweisen, aus denen das Gericht mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit auf die Einschränkung oder den Ausschluss des Ersatzanspruchs schließen kann (vgl. Staudinger/Schiemann (2005) Vorbem. zu §§ 249 ff. Rn. 93; MüKoBGB/Oetker aaO).

22

5. § 287 ZPO bietet damit Erleichterungen für das Beweismaß und das Verfahren, hat aber keine Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast(BGH 7. Juni 2006 - XII ZR 47/04 - zu II 1 a der Gründe, NJW-RR 2006, 1238; MünchKommZPO/Prütting 3. Aufl. § 287 Rn. 32). Gelangt das Gericht zu keiner für eine Schätzung hinreichenden Überzeugung, ist das non-liquet nach den allgemeinen Regeln zu bewältigen (Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 287 Rn. 43; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 31).

23

6. Das Landesarbeitsgericht hat einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe keine greifbaren Anknüpfungstatsachen dafür vorgetragen, welcher Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte; der geltend gemachte Schaden könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit dem wettbewerbswidrigen Verhalten der Beklagten zugeordnet werden. Eine Vielzahl weiterer Faktoren außer dem Ausscheiden von Mitarbeitern habe das Betriebsergebnis der Klägerin in den Jahren 2005 und 2006 beeinflusst. Dazu gehöre insbesondere die Insolvenz der Muttergesellschaft. Die Klägerin habe zwar behauptet, das Insolvenzgeschehen habe keinen nachhaltigen Einfluss gehabt, dies stehe jedoch im Widerspruch zu den Aussagen im Lagebericht für das Geschäftsjahr 2005. Weitere Faktoren wie die Abwanderung einer Vielzahl von Arbeitnehmern zu anderen Mitbewerbern, die Konjunktur-, Lohn- und Materialpreisentwicklung und die unterschiedliche Ausschreibungsdichte in den betroffenen Regionen hätten Einfluss auf das negative Geschäftsergebnis gehabt. Äußerungen des Mehrheitsaktionärs der S-Gruppe gegenüber Führungskräften sowie die Presseberichterstattung hätten für zusätzliche Verunsicherung gesorgt. Die zur Beklagten gewechselten Mitarbeiter seien überwiegend unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2005 ausgeschieden, sodass nicht nachvollzogen werden könne, dass der Verlust gerade auf ihr Ausscheiden zurückzuführen sei. Mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen sei eine Schätzung, ob und in welchem Umfang die verschiedenen Ereignisse für das negative Betriebsergebnis der Klägerin verantwortlich seien, nicht möglich und würde ins Blaue hinein erfolgen. Es fehlten ausreichende Anhaltspunkte, die es ermöglichten, den behaupteten Schaden dem wettbewerbswidrigen Verhalten der Beklagten zumindest zu einem Teil zuzuordnen.

24

7. Diese Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

25

a) Eine vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmende Schadensschätzung unterliegt nur der beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat(BAG 15. September 2011 - 8 AZR 846/09 - Rn. 48, EzA BGB 2002 § 611 Krankenhausarzt Nr. 4; 20. September 2006 - 10 AZR 439/05 - Rn. 37, BAGE 119, 294; BGH 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - Rn. 9, NJW 2012, 2267; 9. November 2010 - VI ZR 300/08 - Rn. 16, NJW 2011, 1146).

26

b) Das Landesarbeitsgericht hat alle wesentlichen Bemessungsfaktoren in seine Beurteilung einbezogen, ob eine Schadensschätzung möglich ist. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin durch das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden, insbesondere ein Gewinnausfall entstanden sein kann; es hat aber zu Recht darauf abgestellt, dass die Geschäftstätigkeit der Klägerin nicht nur durch einen allgemeinen Rückgang der Bauleistung und konjunkturelle Einflüsse, sondern auch durch weitere Sonderfaktoren geprägt war. Ausweislich des eigenen Lageberichts bestimmten zudem die Verunsicherung der Bauherrenschaft und wichtiger Nachunternehmer sowie ein erhöhter Materialaufwand das Ergebnis. Insbesondere entsprach ein vom Insolvenzgeschehen der Konzernmutter ungetrübter Geschäftsverlauf aber nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge. Durch die Insolvenz der Muttergesellschaft der Klägerin bestand eine Schadensanlage, die keine „planmäßige“ Gewinnerzielung und Fortschreibung der Erträge der Vergangenheit, wohl aber eine spürbare Eintrübung erwarten ließ. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Abwanderung einer Vielzahl von Arbeitnehmern zu anderen Wettbewerbern in seine Bewertung einbezogen und berücksichtigt, dass die zur Beklagten gewechselten Mitarbeiter der Klägerin noch zu einem Großteil des Jahres 2005 zur Verfügung standen. Dass es in Arbeitsverhältnissen wechselwilliger Arbeitnehmer zu Äquivalenzstörungen kommt, kann zwar vermutet werden; es ist aber nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht ohne näheren Sachvortrag hierin keinen tauglichen Bemessungsfaktor für eine Schadensschätzung gesehen hat. Revisionsrechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht von einem multikausalen Geschehensablauf ausgegangen ist.

27

c) Das Landesarbeitsgericht hat auch die Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung nicht verkannt und zu hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer Schätzung nach § 287 ZPO gestellt. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht den weiteren Einflüssen auf das Betriebsergebnis nicht durch einfache Vornahme von Abschlägen vom geltend gemachten Schaden Rechnung getragen hat. Im Hinblick auf den multikausalen Schadensverlauf ist es vielmehr vertretbar, dass das Landesarbeitsgericht vom Fehlen greifbarer Anknüpfungstatsachen für eine Zuordnung der negativen Betriebsergebnisse zur unlauteren Abwerbung der Mitarbeiter ausgegangen ist und eine Schadensschätzung abgelehnt hat. Marktbedingungen und Gesamtumstände müssen eine Wahrscheinlichkeitsschätzung zur Kausalität zulassen; es steht dem Gericht nach § 287 ZPO nicht frei, das Vorliegen und die Höhe eines Schadens nach bloßer Billigkeit anzunehmen. § 287 BGB soll dem Geschädigten die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs erleichtern, nicht aber den Rechtsschutz des Schädigers schmälern. Dieser muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit den Schätzungsgrundlagen auseinanderzusetzen und Einwände geltend zu machen (BGH 5. Dezember 1995 - X ZR 121/93 - zu I 2 der Gründe, NJW 1996, 775). Dies kann er nicht, wenn - wie vorliegend - ein negatives Geschäftsergebnis einer Verletzungshandlung nicht ausreichend zugeordnet und ein hinreichender Zusammenhang zwischen den Abwerbungen und den eingetretenen Verlusten nicht erkennbar wird. Eine Schätzung des Schadens nach reiner Billigkeit ohne konkrete Zuordnung zum Verletzungserfolg gestattet die Norm nicht.

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d) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht nicht eine konkrete Schadensberechnung verlangt. Für die Schätzung eines Schadens war aber erforderlich, greifbare Anknüpfungstatsachen darzulegen, die bei einer Gesamtbetrachtung die Folgen der Abwerbung des Führungspersonals erkennen lassen. Der Hinweis auf „fehlende Akquisitionsstärke in den Regionen“ ist unzureichend und bietet keine Grundlage für eine Schadensschätzung. Ohne ergänzenden Vortrag kann wegen der erheblichen Zeitspannen zwischen Ausschreibung, Baubeginn und Abrechnung nicht nachvollzogen werden, dass eine geringere Akquise im Geschäftsjahr 2005 bereits in diesem Jahr ergebniswirksam geworden ist. Exemplarisch hätte deshalb die zeitliche Abfolge zwischen Ausschreibung, Zuschlag und ergebniswirksamer Abrechnung von Straßenbauvorhaben dargelegt werden müssen. Notwendig wäre auch gewesen, die Tätigkeiten der abgeworbenen (Führungs-)Kräfte und ihren Einfluss auf Geschäft und Betriebsergebnis näher zu beschreiben. Ein Rückgang bei der Vereinbarung von Nachträgen zu erteilten Aufträgen, eine rückläufige Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen oder negative Veränderungen bei der Erteilung von Zuschlägen hätten Rückschlüsse auf die Auswirkung der unlauteren Abwerbung ermöglicht und Grundlage für die Schätzung eines Schadens sein können. Solchen, ihr ohne Weiteres möglichen Vortrag hat die Klägerin nicht gehalten. Weder ist klar, welche Vergabeverfahren im Marktbereich der Klägerin in den Jahren 2005 und 2006 stattfanden, an wie vielen Verfahren sie teilgenommen hat oder infolge Personalmangels nicht teilnehmen konnte, noch ob sie in diesen Jahren unterdurchschnittlich häufig den Zuschlag erhalten hat und wann etwaige Veränderungen ergebniswirksam geworden sind. Aus einem bloßen Auftragsrückgang ergibt sich kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass dieser dem wettbewerbswidrigen Verhalten der Beklagten (teilweise) zugerechnet werden kann und in den Geschäftsjahren 2005 oder 2006 zu einem Ergebnisrückgang geführt hat. Angesichts der konkreten Marktbedingungen hat das Landesarbeitsgericht deshalb zu Recht nicht auf einen Sachvortrag, der eine erfolgreiche Teilnahme an Vergabeverfahren jedenfalls zu einem Teil wahrscheinlich macht, verzichtet.

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e) Das Landesarbeitsgericht hat alle maßgeblichen Umstände ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze berücksichtigt. Mangels ausreichender greifbarer Anknüpfungstatsachen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht, obwohl es die Möglichkeit der Schadensverursachung durch das unlautere Verhalten der Beklagten gesehen hat, auch einen Mindestschaden nicht geschätzt hat, sondern davon ausgegangen ist, dass eine Schätzung „völlig in der Luft hängen“ würde und damit willkürlich wäre. Ohne ausreichende Anknüpfungstatsachen ist das Gericht nicht verpflichtet, einen (Mindest-)Schaden zu schätzen (BGH 6. Februar 2007 - X ZR 117/04 - Rn. 15, NJW 2007, 1806). Ein entgangener Gewinn kann nach § 252 BGB iVm. § 287 ZPO unter Vornahme von Abschlägen nur geschätzt werden, wenn das Tatsachengericht angesichts der jeweiligen Marktsituation eine kausale Schadensverursachung nach § 287 ZPO für wahrscheinlich halten kann (zur Vornahme von Abschlägen bei einer Schätzung: vgl. BGH 6. Februar 2001 - VI ZR 339/99 - zu II 2 b bb der Gründe, NJW 2001, 1640).

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f) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Schätzung eines (Mindest-)Schadens auf Grundlage eines Verlustes an Unternehmenswert durch Abfluss von Humankapital abgelehnt. Unabhängig von methodischen Fragen der Bewertung eines nicht börsennotierten Unternehmens im Hinblick auf dessen Personalstamm scheitert ein Ersatz dieses Schadens daran, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bemessung der Schadenshöhe, im Regelfall der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 18. April 2002 - IX ZR 72/99 - zu C I 3 b der Gründe, BGHZ 150, 319), der Personalabfluss ausweislich des Lageberichts 2005 bereits kompensiert war. Es liegt zudem nahe, dass ein möglicher, aus dem Verlust an Know-how abgeleiteter Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Beklagten eingetreten wäre, weil die Führungskräfte auch bei lauterer Abwerbung die Klägerin verlassen hätten.

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g) Da das Landesarbeitsgericht zu Recht vom Fehlen greifbarer Anknüpfungstatsachen für einen hinreichenden Zusammenhang zwischen den Abwerbungen und den negativen Betriebsergebnissen ausgegangen ist, war es entgegen der Auffassung der Revision auch nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ob und in welchem Umfang eine Beweisaufnahme durchgeführt wird, steht nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Ermessen des Gerichts. Ermessensfehler oder ein Willkürverstoß sind nicht zu erkennen.

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III. Im Hinblick auf das erfolglos gebliebene Rechtsmittel hat die Klägerin die Kosten der Revision und der Streithelfer zu 1., zu 2. und zu 3. zu tragen, § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    W. Reinfelder    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    R. Baschnagel    

        

    Stefan Fluri    

                 

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.