Tenor

1. Die Berufung des beklagten Landes wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung sowie um die Entfernung mehrerer damit in Zusammenhang stehender Abmahnungen. In Streit stehen eine Arbeitsverweigerung des Klägers und ehrverletzende Äußerungen über seinen vorgesetzten Professor.

2

Der 1971 geborene Kläger hat seit 1991 Philosophie und Physik an den Universitäten B-Stadt und E. studiert. Das Fach Philosophie hat er 1997 mit dem Magister Artium (MA) abgeschlossen und das Fach Physik 1999 mit dem Diplom. Seit Oktober 2001 ist der Kläger als Beschäftigter des beklagten Land an der Universität B-Stadt als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Der Kläger wurde im Jahre 2006 zum Dr. phil. promoviert.

3

Seit September 2006 besteht zwischen den Parteien ein unbefristetes Vollzeit-Arbeitsverhältnis. Der Kläger ist der Philosophischen Fakultät und dort dem Institut für Philosophie zugewiesen. Er bekleidet eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Formale Philosophie und untersteht damit Herrn Prof. Dr. W. als Lehrstuhlinhaber. Es handelt sich um eine Stelle, die bewertet ist mit der Entgeltgruppe 13 zum TV-L und der Kläger wird aus dieser Entgeltgruppe vergütet. Zum Zeitpunkt der Kündigung hat er daraus rund 4.650,00 Euro brutto monatlich verdient.

4

Im Arbeitsverhältnis der Parteien besteht Streit, welche Aufgaben dem Kläger im Einzelnen übertragen sind und insbesondere in welchem Umfang er Dienstleistungen für den Lehrstuhlinhaber zu erbringen hat. In der letzten einvernehmlich zu Stande gekommenen Tätigkeitsdarstellung und -bewertung aus Juli 2006 (in Kopie als Anlage B 1 überreicht, hier Blatt 96 ff) sind die klägerischen Aufgaben wie folgt beschrieben: 40 Prozent der Arbeitszeit fällt auf die Lehre ("Mitwirkung bei bzw. eigenständige Durchführung von Übungen und Seminaren im Fach Philosophie; Aufgaben aus dem Bereich der Fachdidaktik), 50 Prozent der Arbeitszeit fällt auf die Forschung ("Zuarbeit zu Forschungen der Professur Formale Philosophie, Vorbereitung von Editionsprojekten im Rahmen der Arbeit der Moritz-Schlick-Forschungsstelle, Organisation von Veranstaltungen zur Präsentation der Forschungsergebnisse der Moritz-Schlick-Forschungsstelle") und 10 Prozent fallen auf diverse Verwaltungsarbeiten ("Unterstützung des Instituts in administrativen Dingen, Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung, Organisation der Lehrveranstaltungsplanung des Instituts")

5

In seinen Forschungen widmet sich der Kläger insbesondere dem deutschen Physiker und Philosophen Moritz Schlick (1882 bis 1936), der unter anderem in B-Stadt und W. (dort Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Ernst Mach) gelehrt und gelebt hatte. Das klägerische Forschungsinteresse gilt sowohl dem Werk von Moritz Schlick selbst, als auch den ideengeschichtlichen Zusammenhängen der von Schlick mitgeprägten Idee des Logischen Empirismus und den Weggefährten und Zeitgenossen von Moritz Schlick.

6

Nicht zuletzt aufgrund der Aktivitäten des Klägers und seiner Kontakte ist es gelungen, an der Universität B-Stadt einen breit aufgestellten und gut dotierten Forschungsschwerpunkt Moritz Schlick zu etablieren. Im Kern geht es dabei um eine kritische Edition sämtlicher Texte von Moritz Schlick. Dieses Projekt ist auf ca. 20 Jahre angelegt und wird von der Akademie der Wissenschaften H. seit Jahresbeginn 2011 mit – über die Jahre gerechnet – weit über einer Million Euro finanziert (Wegen der Einzelheiten wird auf den Kooperationsvertrag aus November 2010, überreicht als Teil des Anlagenkonvoluts K 2, hier Blatt 52 ff, Bezug genommen). Im September 2012 konnte dazu noch ein Verlagsvertrag mit dem S. Fachverlag (A-Stadt) abgeschlossen werden, der die Herausgabe einer "Moritz-Schlick-Gesamtausgabe" zum Ziel hat. Hier kooperiert die Universität B-Stadt mit der Universität W. ("Institut W. Kreis", Prof. Dr. S.).

7

Innerhalb der Universität wurde aus diesem Grunde die Moritz-Schlick-Forschungsstelle gegründet, die mit eigenen Räumen und eigenem Personal ausgestattet ist. Leiter dieser Forschungsstelle ist Herr Prof. Dr. W..

8

Letztlich steht auch die externe Forschungstätigkeit des Klägers als Gastwissenschaftler am M. P.-Institut für Wissenschaftsgeschichte in A-Stadt in diesem Sinnzusammenhang. Schon im Herbst 2006 hatte die Universität B-Stadt dazu mit dem M.-P.-Institut eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwecks Förderung der Forschungen zu den methodischen Grundlagen der Einzelwissenschaften und deren Geschichte abgeschlossen (Kopie als Anlage K 13 zur Gerichtsakte gelangt, hier Blatt 268 ff). Innerhalb der Universität B-Stadt sind die hiermit verbundenen Aufgaben dem Zentrum für Logik, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte übertragen. Seit Dezember 2006 ist der Kläger der geschäftsführende Vorstand dieses Zentrums. Soweit das Gericht die Parteien verstanden hat, sind diesem Zentrum allerdings keine nennenswerten Ressourcen zugeordnet, es dient quasi nur als Gegenstelle zur klägerischen Tätigkeit am M.-P.-Institut in A-Stadt. Der Kläger steht allerdings auf dem Standpunkt, dass die Forschungsstelle Moritz Schlick "integraler Bestandteil" des Zentrums für Logik, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte sei (vgl. Protokoll des Personalgesprächs vom 10. September 2013, Anlage K 25, hier Blatt 206 ff, dort Seite 5, hier Blatt 309).

9

Der Kläger hatte ursprünglich für diese Tätigkeit als Gastwissenschaftler am M.-P.-Institut in A-Stadt eine Nebentätigkeitsgenehmigung bei der Universität B-Stadt beantragt. Diese wurde ihm vom Dezernenten Personal und Personalentwicklung der Universität mit Schreiben vom 28. September 2006 allerdings mit dem Hinweis verweigert, die Übernahme dieser Aufgabe bedürfe keiner Nebentätigkeitsgenehmigung, da sie vom Hauptamt mit umfasst sei (Kopie als Anlage K 12 zur Akte gelangt, hier Blatt 265).

10

Unter Umständen bereits 2012 deutlich sichtbar jedoch ab dem Jahre 2013 ist es zu einer spürbaren Verstimmung im Verhältnis des Klägers zu seinem Lehrstuhlinhaber gekommen. Im inzwischen kaum mehr erkennbaren sachlichen Kern ging es darum, dass der Professor, nachdem die Sonderbelastungen durch die Einrichtung der Forschungsstelle Moritz-Schlick und die Klärung der Finanzierungsfragen abgeklungen waren, den Kläger gerne wieder (oder erstmals) so eingesetzt hätte, wie ein Professor die ihm zugeordneten wissenschaftlichen Mitarbeiter üblicherweise einsetzt. Der Kläger meinte hingegen, er habe trotz seiner formalen Stellung als einfacher wissenschaftlicher Mitarbeiter seines Professors im tatsächlich gelebten Arbeitsverhältnis eine Sonderstellung als ständiger Mitarbeiter mit Koordinierungs- und Lenkungsaufgaben im Bereich der Forschungsstelle Moritz Schlick erworben.

11

In diesem Zusammenhang hatte der Lehrstuhlinhaber dem Kläger vorgeworfen, er vernachlässige seine Anwesenheitspflichten in B-Stadt und er habe falsche Angaben zu Dienstreisen gemacht. Außerdem wurde Kritik am Verhalten des Klägers gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten geübt. Aus diesem Grund fand am 10. September 2013 auf Einladung des Personaldezernenten der Universität ein klärendes Gespräch, an dem unter anderem die Hauptkontrahenten Herr Prof. Dr. W. und der Kläger teilgenommen hatten, statt. Im Ergebnis dieses Gesprächs wurde vereinbart, dass sich beide Parteien bis Anfang November 2013 einvernehmlich auf eine neue Beschreibung der Arbeitsaufgaben des Klägers einigen sollten und dementsprechend eine geänderte Arbeitsplatzbeschreibung vorlegen sollten. Wörtlich heißt es dazu dann noch in dem Protokoll über das Gespräch: "Dabei sind alle Interessen abzuwägen." (als Anlage K 25 überreicht, hier Blatt 306 ff). Außerdem hat der Personaldezernent der Universität laut Protokoll per Weisung angeordnet, dass der Arbeitsort des Klägers nunmehr (wohl im Sinne von ausschließlich) B-Stadt sei.

12

Dieser Versuch einer einvernehmlichen Anpassung der Arbeitsaufgaben des Klägers konnte weder innerhalb der Frist bis Anfang November 2013 noch bis heute erfolgreich abgeschlossen werden. Ohne den Einigungsversuch förmlich für gescheitert zu erklären, hat die Universität dann ab November 2013 einseitig mit direktiven Mitteln versucht, den Konflikt in ihrem Sinne zu lösen. In diesem Zusammenhang steht der von der Universität gefertigte Entwurf einer neuen Arbeitsplatzbeschreibung, nach dem eine Mitarbeit in der Forschungsstelle Moritz-Schlick nicht mehr zu den Aufgaben des Klägers gehören sollte (Anlage K 30, hier Blatt 314 ff). Der Kläger hat die Unterzeichnung dieses Dokuments abgelehnt.

13

In diesem Zusammenhang steht auch die förmliche Kritik von Prof. Dr. W. bezüglich der mangelnden Präsenz des Klägers am Arbeitsplatz und wegen der Nichtbearbeitung seines Auftrags, ihm eine Literaturrecherche zum Körper-Geist-Problem zuzuarbeiten (Mail vom 13. Januar 2014, hier Blatt 58 f). Diese Kritik war dann Gegenstand eines weiteren Personalgesprächs beim Personaldezernenten am 24. Februar 2014 und die Kritik mündete in der förmlichen Abmahnung vom 24. Februar 2014 (erste streitgegenständliche Abmahnung – Anlage K 3 hier Blatt 56 f; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

14

Eine weitere Abmahnung hat der Kläger dann unter dem 19. März 2014 erhalten (zweite streitgegenständliche Abmahnung – Anlage K 7 hier Blatt 65 f; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen). Zu dem vorgeworfenen Verhalten heißt es dort wörtlich:

15

Ich bin davon in Kenntnis gesetzt worden, "dass Sie trotz wiederholter Weisung Ihres Fachvorgesetzten nicht regelmäßig am Arbeitsplatz anwesend sind. Sie sind lediglich an den Tagen Ihrer Lehrverpflichtungen und, bis auf zwei Ausnahmen, zu den monatlichen Dienstberatungen an Ihrem Dienstort anzutreffen. Sie haben sich auch weder im Sekretariat noch persönlich bei Ihrem Fachvorgesetzten abgemeldet. Im Nachgang an das Personalgespräch vom 10.09.2013 erstreckt sich dieses Versäumnis auf den Zeitraum vom 01.10.2013 bis jetzt. Die Anwesenheit am Arbeitsplatz ist wahrzunehmen, wenn es Ihnen Ihr Fachvorgesetzter anweist. Ihnen ist dargelegt worden, dass Ihre Anwesenheit auch über die Lehrveranstaltungen hinaus notwendig ist, um Absprachen zu treffen und um einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb sicherzustellen.

16

… Sie haben die Weisung Ihres Fachvorgesetzten nicht beachtet. Ihr Arbeitsort ist B-Stadt und Ihre Arbeitszeit von 40 Wochenstunden ist in Ihrem Arbeitsvertrag festgelegt. Sie haben somit gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen."

17

Die weitere Abmahnung und die Kündigung erfolgten als Reaktion darauf, dass der Kläger den bisher lediglich innerdienstlichen Konflikt nach außen getragen hatte.

18

Am 31. Januar 2014 führte der Kläger mit der Akademie der Wissenschaften in H. ein Telefonat zu den Problemen in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten, woraufhin die Akademie mit Mail vom 3. Februar 2014 (Anlage K 37, hier Blatt 335) einen schriftlichen Sachstandsbericht anforderte, um sich mit den Vorgängen befassen zu können. Diesen Bericht hat der Kläger ohne weitere interne Absprache auf dem offiziellen Briefpapier der Forschungsstelle Moritz Schlick unter dem 10. Februar 2014 verfasst (Kopie als Anlage B 19 zur Akte gereicht, hier Blatt 463 ff; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen) und sodann an die Akademie versandt.

19

Als die Universität in der Folgezeit nach informeller Unterrichtung durch die Akademie vom Kläger die Herausgabe dieses Berichts gefordert hatte, hat sich dieser unter Hinweis auf die erbetene Vertraulichkeit der Angelegenheit geweigert, den Text zur Verfügung zu stellen. Auch im vorliegenden Rechtsstreit ist der Text erst im Laufe des Berufungsverfahrens in den Rechtsstreit eingeführt worden. In dem Bericht macht der Kläger deutlich, dass das gesamte Projekt seiner Auffassung nach dadurch gefährdet ist, dass man seitens der Universität derzeit versuche, ihn aus der Forschungsstelle zu verdrängen. Dabei übt er mehrfach erhebliche Kritik an dem Leiter der Forschungsstelle, Herrn Prof. Dr. W.. Im sachlichen Kern wirft er ihm fehlende Expertise und mangelnde Zuwendung zu dem Projekt vor.

20

Herr Prof. Dr. W. hat den Bericht des Klägers vom 10. Februar 2014 für ehrabschneidend gehalten und hat deshalb vor dem Landgericht Berlin (Wohnsitz des Klägers) gegen den Kläger auf Unterlassung geklagt. Die Klage ist vom Landgericht Berlin nach Beweisaufnahme mit Urteil vom 16. November 2015 als unbegründet abgewiesen worden (6 O 55/15 – Kopie des Urteils hier Blatt 582 ff, es wird Bezug genommen). Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

21

Auf diesen klägerischen Bericht an die Akademie vom 10. Februar 2014 bezieht sich auch die weitere Abmahnung vom 8. Mai 2014 (dritte streitgegenständliche Abmahnung – Anlage K 8 hier Blatt 67 f, es wird Bezug genommen). Zu dem vorgeworfenen Verhalten heißt es dort wörtlich:

22

Ich bin "in Kenntnis gesetzt worden, dass Sie einen Sachstandsbericht zur derzeitigen Situation im Langzeitvorhaben Moritz-Schlick-Gesamtausgabe, Nachlass und Korrespondenz verfasst und an den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in H. geschickt haben. Im Zusammenhang mit diesem Bericht an die Akademie der Wissenschaften äußern sie sich abschätzend und ehrverletzend über Ihren Fachvorgesetzten (Herrn Prof. W.), insoweit Sie konkrete Vorwürfe über dessen Arbeitsweise äußern. Dem Personaldezernat ist ein Zeuge bekannt, der den Inhalt des Schreibens kennt, und diese Äußerungen bezeugt. Sie wurden über das Personaldezernat mit Schreiben vom 17.03.2014 und vom Rektor mit Schreiben vom 02.04.2014 aufgefordert, den Bericht zur Prüfung auszuhändigen. Dem sind Sie nicht nachgekommen.

23

… Für die zukünftige Wahrnehmung Ihrer Tätigkeit an der Universität B-Stadt erwarten wir, dass Sie zukünftig nicht wertschätzende Äußerungen über Ihren Fachvorgesetzten unterlassen und für Berichte an Beteiligte innerhalb und außerhalb der Universität B-Stadt den Dienstweg einhalten.

24

In dieser ohnehin schon reichlich aufgeladenen Konfliktsituation hat der Kläger dann noch am 21. Mai 2014 abends mit Herrn Prof. Dr. S. telefoniert, dem W. Professor, der mit seinem Institut ebenfalls über den Verlagsvertrag mit der Gesamtausgabe des Werks von Moritz Schlick befasst ist. Auch in diesem Telefongespräch ging es um den innerdienstlichen Konflikt um die Arbeitsaufgaben des Klägers und dabei um die Frage, welche Rolle der Kläger in der Forschungsstelle Moritz Schlick spielt. Im Laufe dieses Telefonats hat der Kläger Prof. Dr. S. auch davon unterrichtet, dass sich Prof. Dr. W. wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens vor der Ombudskommission der Universität B-Stadt zu verantworten habe. Dies soll, so das beklagte Land hier im Rechtsstreit "in triumphierendem Ton" vom Kläger vorgetragen worden sein. Herr Prof. Dr. W. wurde durch seinen W. Kollegen über das Telefonat und seinen Inhalt unterrichtet. Dazu hat Prof. Dr. W. eine Mail an seinen W. Kollegen verfasst, in dem er den Inhalt des Gesprächs zum Zwecke der Dokumentation nochmals zusammengefasst hatte. Herr Prof. Dr. S. hat dann seinem R. Kollegen bestätigt, dass er das Gespräch richtig zusammengefasst habe. In der protokollersetzenden Mail von Prof. Dr. W. an seinen W. Kollegen heißt es – wie in der Beteiligung des Personalrats zur Kündigung wiedergegeben (Anlage B 13, hier Blatt 153 ff, Blatt 156) – auszugsweise wörtlich:

25

"... Wie Sie mir berichtet haben, hat [der Kläger] Sie am vergangenen Mittwoch gegen Abend nach langer Zeit angerufen, vor allem um Sie, in durchaus triumphierenden Unterton zu informieren, dass ein Verfahren vor der Ombudskommission der Universität wegen wissenschaftlichem Fehlverhalten gegen mich laufe. Die ganze Mitteilung war dazu angetan, mich in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen."

26

"Weiterhin hat er behauptet, dass die Qualität der Arbeiten der Mitarbeiter an der Edition an der Forschungsstelle dramatisch nachgelassen habe und die Erfüllung der qualitativen Anforderungen an die Edition nicht mehr gewährleistet sei und er sich deswegen über die Zukunft des Projektes sorge."...

27

Zu diesem Telefonat gab es dann das Personalgespräch am 16. Juni 2014. Unter dem 23. Juni 2014 hat der Rechtsanwalt des Klägers dazu noch ergänzende Ausführungen gemacht. In Anschluss daran hat sich das beklagte Land entschlossen, das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich zu kündigen.

28

Mit Schreiben vom 24. Juni 2014 (Anlage B 13 hier Blatt 153 ff) hat das beklagte Land beim Personalrat der wissenschaftlich Beschäftigten der Universität die Zustimmung des Personalrats zur ordentlichen Kündigung des Klägers wegen des Telefonats mit Herrn Prof. Dr. S. beantragt. Der Personalrat hat der beabsichtigten Kündigung mit Anschreiben vom 10. Juli 2014 widersprochen (Anlage B 14 hier Blatt 159 ff). Daraufhin hat die Universität B-Stadt den Vorgang mit Schreiben vom 14. Juli 2014 (Anlage B 15 hier Blatt 164 ff) dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur vorgelegt mit der Bitte, die Zustimmung des Hauptpersonalrats einzuholen. Dort wurde der Hauptpersonalrat mit Schreiben vom 31. Juli 2014 um Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung ersucht. Dieser hat die Zustimmung ebenfalls verweigert. Die vom Hauptpersonalrat in dieser Angelegenheit mit Antrag vom 9. September 2014 angerufene Einigungsstelle hat sich in ihrer Sitzung vom 29. Oktober 2014 für unzuständig erklärt, da das beklagte Land die Kündigung zu diesem Zeitpunkt bereits ausgesprochen hatte (Beschluss der Einigungsstelle als Anlage B 18 überreicht, hier Blatt 357 f).

29

Das beklagte Land hat das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2014, diesem zugegangen am 14. Oktober 2014 ordentlich zum 30. Juni 2015 gekündigt.

30

Hiergegen hat der Kläger eine Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage erhoben, die am 4. November 2014 beim Arbeitsgericht Rostock eingegangen war (1 Ca 1618/14). Der Rechtsstreit ist dann später mit dem bereits anhängigen Rechtsstreit wegen der Abmahnungen vom 24. Februar 2014, vom 19. März 2014 und vom 8. Mai 2014 verbunden worden.

31

Das Arbeitsgericht Rostock hat der Klage mit Urteil vom 10. März 2015 in vollem Umfang entsprochen (1 Ca 1229/14). Der Tenor lautet in der Hauptsache:

32
1. Das beklagte Land wird verurteilt, die Abmahnung vom 24.02.2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
33
2. Das beklagte Land wird verurteilt, die Abmahnung vom 19.03.2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
34
3. Das beklagte Land wird verurteilt, die Abmahnung vom 08.05.2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
35
4. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 10.10.2014, zugegangen am 14.10.2014, beendet wurde.
36
5. Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger über den 30.06.2015 hinaus zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
37

Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

38

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Berufung, die auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt das beklagte Land sein Begehren auf Klageabweisung unverändert fort.

39

Das beklagte Land hält die erste streitgegenständliche Abmahnung vom 24. Februar 2014 für berechtigt, denn der Kläger habe die ihm rechtmäßig übertragene Aufgabe, für seinen Professor eine Literaturrecherche zum Körper-Geist-Problem zusammenzustellen, nicht erfüllt. Das Arbeitsgericht sei in seinem Urteil unzutreffend zu der Bewertung gekommen, der Kläger habe diese Aufgabe durch die Übergabe einiger Bücher, die sich mit dem Thema beschäftigen, ordnungsgemäß erfüllt.

40

Das beklagte Land hält auch die zweite streitgegenständliche Abmahnung vom 19. März 2014 für berechtigt. Der Kläger sei bei dem ersten Personalgespräch am 10. September 2013 vom Personaldezernenten wirksam angewiesen worden, seine Arbeit zukünftig ausschließlich in B-Stadt wahrzunehmen, außerdem sei er darauf hingewiesen worden, dass er nach dem Vertrag seine Arbeitsaufgabe 40 Stunden in der Woche zu erledigen habe. Dessen ungeachtet sei der Kläger auch in der Folgezeit nur gelegentlich in B-Stadt anwesend gewesen und zwar nahezu ausschließlich zur Erledigung seiner Lehrverpflichtungen und zu den monatlichen operativen Gesprächen in Zusammenhang mit der Herausgabe der Schriften von Moritz Schlick. Für seinen Professor sei der Kläger damit kaum zu greifen gewesen. Daher sei der Professor nicht in der Lage gewesen, den Kläger in die Arbeit am Lehrstuhl einzubinden. Dieses Fehlverhalten sei – abweichend von der Bewertung durch das Arbeitsgericht – mit der Abmahnung vom 19. März 2014 mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden.

41

Das beklagte Land hält auch die dritte streitgegenständliche Abmahnung vom 8. Mai 2014 für berechtigt. Nachdem nunmehr der fragliche Bericht des Klägers an die Akademie der Wissenschaften in H. vom 10. Februar 2014 in den Rechtsstreit eingeführt worden sei, müsse auch das Gericht feststellen, dass der Kläger seinen Professor gegenüber der Akademie in ehrverletzender Art und Weise kritisiert habe. Damit habe er gleichzeitig schwerwiegend gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Absatz 2 BGB verstoßen. Der Kläger habe sich in dem Bericht über den Arbeitsstil von Herrn Prof. Dr. W. beklagt, konkrete Vorwürfe gegen ihn erhoben und zudem den Eindruck erweckt, dass Herr Prof. Dr. W. seinen Aufgaben als Projektleiter nicht gerecht werde und das Forschungsvorhaben gefährde.

42

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts, sei auch die ordentliche Kündigung vom 10. Oktober 2014 wirksam. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger sei unabweislich. Der Kläger habe den Ruf der Universität B-Stadt und ihrer Wissenschaftler beschädigt, was zu einer Vorladung von Herrn Prof. Dr. W. bei der Akademie der Wissenschaften in H. geführt habe. Der Kläger habe seine Anwesenheitspflicht verletzt und damit den Forschungsbetrieb der Universität beeinträchtigt. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und Herrn Prof. Dr. W. sei dauerhaft gestört.

43

Die Kündigung sei auch nicht ohne Zustimmung des Personalrats ausgesprochen worden. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden, insbesondere sei er im gesetzlich erforderlichen Umfang über die Hintergründe der Kündigung unterrichtet worden. Da sich der Hauptpersonalrat nicht innerhalb der gesetzlichen Frist geäußert habe, gelte seine Zustimmung als erteilt.

44

Das beklagte Land beantragt,

45

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

46

Der Kläger beantragt,

47

die Berufung zurückzuweisen.

48

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil durch Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er ist nach wie vor der der Ansicht, dass weder die Abmahnungen noch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wirksam seien. Dass er sich in seinem Bericht an die Akademie der Wissenschaften nicht in pflichtwidriger Weise über seinen Professor ausgelassen habe, habe jüngst das Landgericht Berlin in der Unterlassungsklage des Professors gegen ihn zutreffend festgestellt. Darauf könne wegen der Einzelheiten Bezug genommen werden.

49

Die Kündigung sei außerdem bereits wegen fehlender Zustimmung des Personalrats unwirksam. Schon die Unterrichtung des Personalrats sei unzureichend gewesen. Des Weiteren habe das beklagte Land den Abschluss des Stufenverfahrens nicht abgewartet, sondern die Kündigung noch vor einer Entscheidung der Einigungsstelle ausgesprochen.

50

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

51

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit zutreffenden Gründen, die sich das Berufungsgericht zu eigen macht, der Klage in allen Punkten stattgegeben. Soweit das beklagte Land im Berufungsrechtszug neue Tatsachen vorgetragen hat, rechtfertigen diese eine andere Entscheidung nicht.

I.

52

Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die drei streitgegenständlichen Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen sind.

1.

53

Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht unter anderem dann, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, oder wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. Sie ist auch aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt ist (BAG 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - NZA 2014, 803).

54

Wenn in einem Abmahnungsschreiben gleichzeitig verschiedene Pflichtverletzungen gerügt werden, von denen nur einzelne, aber nicht alle zutreffen, so kann das Abmahnungsschreiben nicht teilweise aufrechterhalten und insoweit vom Gericht neu gefasst werden; die Abmahnung ist in diesem Fall vollständig aus der Personalakte zu entfernen (BAG 13. März 1991 - 5 AZR 133/90 - NJW 1991, 2510; LAG Köln, Urteil vorn 12. August 2005 - 4 Sa 412/05). Gleiches gilt für Abmahnungen, die einzelne unrichtige oder nicht zu beweisende Tatsachenbehauptungen enthalten (BAG 26. Januar 1994 - 7 AZR 640/92).

2.

55

Die Abmahnung vom 24. Februar 2014 ist aus der Personalakte zu entfernen, da sie zumindest eine unrichtige Tatsachenbehauptung enthält. Das beklagte Land wirft dem Kläger in der Abmahnung unter anderem Folgendes vor:

56

"Sie sollten bereits Ende November eine Zusammenstellung der Literatur im Umfeld des Körper-Geist-Problems machen, welche Sie bislang nicht übergeben haben."

57

Das Arbeitsgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, von einer Nichterfüllung der übertragenen Aufgabe könne keine Rede sein, denn der Kläger habe dem Professor Bücher aus seinem privaten Bestand überlassen, die sich damit beschäftigen. Das Berufungsgericht geht zwar mit dem beklagten Land davon aus, dass dies nicht ernsthaft als Erfüllung des Auftrages des Professors gewertet werden kann. Das ändert allerdings nichts an dem Umstand, dass der Kläger den Arbeitsauftrag bearbeitet und auf seine Weise erledigt hat. Die Erledigung zeigt zwar offensichtliche Mängel auf, die Aussage, er hätte die Anweisung ignoriert, trifft jedoch offensichtlich nicht zu.

3.

58

Die Abmahnung vom 19. März 2014 ist aus der Personalakte zu entfernen, da sie zu unbestimmt formuliert ist und daher nicht erkennen lässt, gegen welche konkreten Pflichten der Kläger verstoßen hat.

59

Das beklagte Land wirft dem Kläger in der Abmahnung vor, im Zeitraum Oktober 2013 bis Mitte März 2014 (Ausspruch der Abmahnung) entgegen der wiederholten Weisung des Fachvorgesetzten nur zu den Lehrveranstaltungen und Dienstberatungen und ansonsten nicht regelmäßig am Arbeitsplatz anwesend gewesen zu sein. Nicht näher angegeben ist aber, welche konkrete Anweisung der Fachvorgesetzte dem Kläger zur Arbeitszeit und zur Anwesenheit am Arbeitsplatz erteilt hat und wann der Fachvorgesetzte den Kläger entgegen dieser Anweisung nicht am Arbeitsplatz angetroffen hat.

60

Die Angabe solch konkreter Vorfälle ist auch nicht entbehrlich. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität unterliegt im Regelfall keinen festen Arbeitszeiten, er teilt sich seine Arbeitszeit entsprechend den erhaltenen Aufträgen selber ein. Damit soll nicht gesagt sein, dass der Professor kein Recht habe, von seinem Weisungsrecht auch hinsichtlich der zeitlichen Lage der Arbeitszeit Gebrauch zu machen, sofern dazu ein sachlicher Anlass besteht. Zutreffend hat allerdings das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass nach Aktenlage der Professor des Klägers diesem gar keine konkreten Anweisungen gegeben hat, die mit bestimmten Anwesenheitszeiten am Lehrstuhl in der Zeit von Oktober 2013 bis März 2014 verbunden waren. Es gibt allein die pauschale Anweisung des Personaldezernenten aus dem ersten Personalgespräch aus September 2013. Diese bezieht sich jedoch in erster Linie auf den Arbeitsort B-Stadt. Hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit und der damit verbundenen Anwesenheitszeiten in B-Stadt ist es bei einem Verweis auf die 40-Stunden-Woche verblieben. Das reicht für eine wirksame Anordnung von Anwesenheitszeiten nicht aus. Die Vorgabe des Personaldezernenten musste vor Ort durch konkretisierende Weisungen umgesetzt werden. Daran fehlt es hier.

61

Zudem hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Tatsachenbehauptung in der Abmahnung, der Kläger habe sich im Zeitraum Oktober 2013 bis zum Ausspruch der Abmahnung im März 2014 lediglich zu den Lehrveranstaltungen dienstags bis donnerstags und zu den Dienstberatungen an Dienstagen in B-Stadt blicken lassen, unzutreffend ist. Der Kläger hat im Rechtsstreit seine Anwesenheit am Lehrstuhl in B-Stadt für weitere konkrete Tage behauptet, ohne dass das beklagte Land dem entgegengetreten wäre.

4.

62

Die Abmahnung vom 8. Mai 2014 ist aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da die Vorwürfe in der Abmahnung sich in der Nennung von Stichworten erschöpfen ("ehrverletzende Äußerungen") ohne konkret Vorwürfe zu benennen.

63

Die Abmahnung kann nur dann ihre Warnfunktion für den Arbeitnehmer erfüllen, wenn sie dem Arbeitnehmer konkret vor Augen führt, durch welches Verhalten er im Einzelnen gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen hat. Daran mangelt es hier, denn der Begriff der ehrverletzenden Äußerungen ist ein Rechtsbegriff, der in einer Abmahnung nur dann sinnvoll verwendet ist, wenn ergänzend mitgeteilt wird, welche Äußerungen in dem Bericht ehrverletzend waren.

64

Es ist nachvollziehbar, wenn das beklagte Land vorträgt, eine nähere Bezeichnung sei seinerzeit nicht möglich gewesen, da der klägerische Bericht an die Akademie wegen der unverständlichen Weigerung des Klägers, diesen herauszugeben, nicht möglich gewesen wäre. Das ist jedoch kein Grund, den Kläger sozusagen auf Verdacht und Zuruf ohne genaue Tatsachenkenntnis schon einmal vorsorglich abzumahnen.

65

Auf die weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts zu Grund und Grenzen der Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis kommt es daher vorliegend nicht an. Angesichts der völligen Unbestimmtheit der Vorwürfe aus der Abmahnung ist es auch nicht die Aufgabe des Berufungsgerichts nach nunmehrigem Vorliegen des streitigen klägerischen Berichts an die Akademie diesen umfassend darauf zu untersuchen, ob er tatsächlich ehrverletzende Äußerungen enthält.

II.

66

Die Berufung ist auch nicht begründet, soweit das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage entsprochen hat. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass es bereits an der sozialen Rechtfertigung der Kündigung im Sinne von § 1 KSchG fehlt. Ein verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt nicht vor.

67

Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Absatz 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13; BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - NZA 2014, 1197).

68

Besteht beim Arbeitgeber – wie hier – ein Betriebs- oder Personalrat kann das Gericht allerdings nur diejenigen Kündigungsgründe für die Rechtfertigung der Kündigung heranziehen, die der Arbeitgeber auch gegenüber dem Betriebs- oder Personalrat als Grund zur Kündigung vorgetragen hat. Zur Rechtfertigung der Kündigung können vorliegend also nur die Gründe herangezogen werden, die das beklagte Land im Rahmen der Beteiligung des Personalrats mit Schreiben vom 24. Juni 2014 (hier Anlage B 13, hier Blatt 153 ff) diesem vorgetragen hat.

69

Danach kann ein Grund zur Kündigung nicht festgestellt werden.

1.

70

Aus dem Telefonat mit Prof. Dr. S. aus W. am 21. Mai 2014 ergibt sich kein Kündigungsgrund.

71

Der Kläger hat während des Telefonats keine bewusst wahrheitswidrigen Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Soweit in den Telefonaten überhaupt Tatsachen zur Sprache gekommen sind, entsprechen diese der Wahrheit. Das Verfahren vor der Ombudskommission war seinerzeit bereits eingeleitet. Ob der Kläger Herrn Prof. Dr. S.r darauf hingewiesen hat, dass er – der Kläger – das Verfahren selbst beantragt hat, ist unerheblich. Denn der mögliche Reputationsverlust, der mit einem erfolgreichen Ombuds-Verfahren wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens verbunden ist, tritt unabhängig davon ein, welche Person das Verfahren eingeleitet hat. Das eigentlich Empörende an der Mitteilung des Klägers ist ja auch etwas ganz Anderes. Das beklagte Land stößt sich daran, dass er durch den Hinweis auf das Ombuds-Verfahren versucht hat, gegen seinen Professor Stimmung zu machen ohne Fakten vorlegen zu können. Damit wird aber auch deutlich, dass es sich bei der kolportierten Äußerung des Klägers in dem Telefonat um eine bloße Meinungsäußerung gehandelt hat und nicht um eine (unzutreffende) Tatsachenbehauptung.

72

Als Meinungsäußerung war der wohl "triumphierend" vorgetragene Hinweis auf das Verfahren seines Professors vor der Ombudskommission noch von der Meinungsfreiheit umfasst und daher nicht pflichtwidrig. Selbst wenn man im Rahmen einer Hilfsüberlegung annehmen möchte, dass eine solche Äußerung bezüglich des eigenen Vorgesetzten bereits gegen die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Absatz 2 BGB verstoßen sollte, kann darauf die Kündigung nicht gestützt werden. Denn angesichts des Zeitpunkts des Telefonats ("abends") muss das Gericht davon ausgehen, dass der Kläger hier privat das offenen Gespräch von Kollege zu Kollege gesucht hat, für das andere Maßstäbe gelten müssen als für das dienstliche Gespräch am Arbeitsplatz.

73

Auch das – im Tatbestand gar nicht erwähnte – weitere Telefonat des Klägers mit Prof. Dr. S. wenige Tage später ist nicht geeignet die Kündigung zu rechtfertigen. Nachdem der Kläger die Einladung zu dem letzten Personalgespräch am 16. Juni 2014 erhalten hatte, hat dieser nochmals Herrn Prof. Dr. S. angerufen und hat ihm auf den Kopf zu gesagt, dass er – der Kläger – durch dessen Indiskretion nunmehr wohl vor der Kündigung stehe. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, gegen welches staatliche Gesetz der Kläger damit verstoßen haben soll. Verstoßen hat er allenfalls gegen ungeschriebene Regeln des akademischen Umgangs. So etwas sorgt für Aufmerksamkeit und ist im Zweifel schädlich für die eigene Reputation, es ist jedoch nicht per se rechtswidrig.

2.

74

Auch die dem Personalrat mitgeteilten weiteren Begleitumstände und die mitgeteilten früheren Vorfälle sind nicht geeignet, die streitgegenständliche Kündigung sozial zu rechtfertigen.

75

Das betrifft insbesondere den Bericht des Klägers an die Akademie vom 10. Februar 2014. Denn diesen Gegenstand hat das beklagte Land bereits zum Gegenstand der Abmahnung vom 8. Mai 2014 gemacht. Als eigenständiger Kündigungsgrund scheidet dieser Vorgang daher aus.

76

Auch der Umstand, dass der Kläger den innerdienstlichen Konflikt überhaupt nach außen (Akademie in H., Prof. Dr. S. in W.) getragen hat, kann die Kündigung im vorliegenden Falle nicht rechtfertigen. Nach dem verallgemeinerbaren Rechtsgedanken aus § 17 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz darf der Arbeitnehmer auch außenstehende Stellen auf Missstände hinweisen, sofern er bei den zuständigen innerbetrieblichen Stellen kein Gehör gefunden hat. Nach diesem Maßstab war es nicht pflichtwidrig, wenn der Kläger den innerdienstlichen Konflikt um seine Arbeitsaufgaben und um seine Beteiligung an der Moritz-Schlick-Forschung auch Außenstehenden gegenüber erwähnt, denn weder der Lehrstuhl, noch die Fakultät, noch die Universitätsverwaltung haben der richtigen Zielvorgabe aus dem ersten Personalgespräch im September 2013 folgend konstruktiv versucht, mit dem Kläger eine Neubeschreibung seiner Aufgaben unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien des Arbeitsvertrages zu erarbeiten. Damit hat der Kläger – was das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom 16. November 2015 (6 O 55/15, Kopie hier Blatt 582 ff) ebenfalls betont hat – auch berechtigte eigene Interessen verfolgt.

77

Dass sich der Kläger nach dem 10. Februar 2014 hartnäckig geweigert hatte, den Bericht an die Akademie der Universität und seinem Professor zu zeigen, ist offensichtlich pflichtwidrig gewesen, rechtfertigt jedoch für sich nicht den Ausspruch einer Kündigung. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinem Arbeitgeber ehrlich und umfassend Rede und Antwort zu stehen, soweit es einzelne Geschäftsvorgänge betrifft, an denen der Arbeitnehmer beteiligt war. Da der Kläger den Bericht auf dem offiziellen Briefpapier der Forschungsstelle Moritz Schlick verfasst hat und ihm daher einen offiziellen Anstrich gegeben hat, war er selbstverständlich nach § 241 Absatz 2 BGB verpflichtet, den Bericht seinem Arbeitgeber auf Nachfrage vollständig zur Verfügung zu stellen. Daran ändert die wohl mit der Akademie vereinbarte Vertraulichkeit nichts, denn diese sollte den Kläger schützen, so dass er auch berechtigt war, auf die Vertraulichkeit zu verzichten. Dieses Fehlverhalten rechtfertigt jedoch eine Kündigung nicht, denn der Kläger unterlag in dieser Frage offensichtlich einem Rechtsirrtum. Das indiziert jedoch, dass er ein entsprechendes Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung mit der entsprechenden Warnfunktion zukünftig unterlassen hätte.

78

Dass der Kläger sich in der Anhörung am 16. Juni 2014 geweigert hat, zu dem Inhalt seines Telefonats mit Prof. Dr. S. Stellung zu nehmen, ist nicht pflichtwidrig gewesen. Eine Anhörung vor Ausspruch von Kündigungen dient dem Interesse des Arbeitnehmers, sie bietet ihm die Chance, die Dinge aus seiner Sicht zu schildern. Eine Pflicht zur Offenbarung ergibt sich daraus nicht. Das reicht aus, denn aus der fehlenden Einlassung zur Sache darf der Arbeitgeber (und gegebenenfalls später das Gericht) durchaus seine Schlüsse ziehen.

III.

79

Da der Kläger mit seinem Kündigungsschutzantrag obsiegt hat, ist das beklagte Land auch verpflichtet ihn über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum Abschluss des vorliegenden Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.

IV.

80

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das beklagte Land, da sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).

81

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch


(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Re

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bei uns veröffentlicht am 04.12.2013

Tenor Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2011 - 16 TaBV 75/10 - wird zurückgewiesen.

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(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2011 - 16 TaBV 75/10 - wird zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2011 - 16 TaBV 75/10 - teilweise aufgehoben.

Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 gegenüber dem Beteiligten zu 3. aus dessen Personalakte zu entfernen.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3. zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Berechtigung einer dem Betriebsratsvorsitzenden erteilten Abmahnung sowie in diesem Zusammenhang über Feststellungs- und Unterlassungsansprüche.

2

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein psychiatrisches und psychosomatisches Fachkrankenhaus. In diesem ist der zu 1. beteiligte 15-köpfige Betriebsrat gebildet, dessen freigestellter Vorsitzender der Beteiligte zu 3. ist.

3

Am 4. Dezember 2009 informierte die bei der Arbeitgeberin beschäftigte Arbeitnehmerin L die Geschäftsleitung anhand eines Formblatts „Meldung über ein besonderes Vorkommnis“ darüber, dass sie gesehen habe, wie der Hausmeister Herr B am 2. Dezember 2009 einen Heimbewohner beschimpft und den rechten Arm zu einem Schlag erhoben habe, der Heimbewohner aber - da er sich geduckt habe - nicht getroffen worden sei. Wegen dieser Meldung wandte sich Herr B an den Betriebsrat. Am 9. Dezember 2009 führte der Betriebsratsvorsitzende gemeinsam mit einem weiteren Betriebsratsmitglied - dem vormals Beteiligten zu 4., dessen Arbeitsverhältnis mittlerweile beendet und das Verfahren insoweit eingestellt ist - ein Gespräch mit Frau L. Mit Schreiben vom selben Tag teilte Frau L der Geschäftsleitung mit:

„…

ich möchte Sie über den Besuch der Betriebsratsmitglieder Herr V und Herr F berichten und mich gleichzeitig über die Art und Weise des Umgangs mit mir bei Ihnen beschweren.

Um ca. 10.00 Uhr kamen Herr V und Herr F auf Wohnbereich 1, um mit mir ein Gespräch zu führen. Herr V schickte die beiden diensthabenden Pfleger … und … aus dem Dienstzimmer, wodurch alles für mich einen verhörartigen Charakter bekam. Ich das auch sofort gesagt und beschrieben, dass es mir nicht gut geht. Herr V spielte es herunter. Mir wurde ein schlechtes Gewissen eingeredet, ich sollte die Satzstellung und Formulierungen überdenken oder sollte eine Zeichnung mit Datum und Unterschrift anfertigen.

Herr F zeichnete auch etwas vor, das ich unterzeichnen sollte, wenn ich es für richtig hielt. Habe mich geweigert, hatte nach dem Gespräch so ein schuldiges, schlechtes Gefühl.

Herr V versuchte sein Anliegen runterzuspielen Zitat: ‚… A, kann ich mich darauf verlassen, dass es beim Abwehren bleibt, was Du gesehen hast. Ich muss nämlich noch ein Schreiben für … aufsetzen:‘ Das waren seine Worte.

Überlege, es bedarf doch nur der Formulierung. Ich habe auf mein Schreiben vom 4.12.09 verwiesen… Beide sind dann gegangen.

…“

4

Zu dieser Beschwerde äußerten sich der Betriebsratsvorsitzende und das Betriebsratsmitglied mit einem Schreiben an die Geschäftsleitung vom 16. Dezember 2009. Das Schreiben lautet auszugsweise:

„…

die Beschwerde von Frau L vom 09.12.09 hat uns sehr überrascht. Unsere Erinnerung an den Ablauf des Gespräches vom 09.12.09 unterscheidet sich erheblich von der Schilderung der Kollegin L.

Unsere Absicht war es, uns von Frau L den zugrunde liegenden Sachverhalt bezüglich des Vorfalls vom 02.12.09 zwischen Herrn B und dem Bewohner, Herrn …, aus Ihrer Sicht erläutern zu lassen, nachdem Herr B uns seine Sichtweise geschildert hatte.

Das unsere Bemühungen um Sachaufklärung evtl. missverstanden wurden, macht uns betroffen.

…“

5

Mit Schreiben vom 13. Januar 2010 erteilte die Arbeitgeberin dem Betriebsratsvorsitzenden (ebenso wie mit einem weiteren Schreiben dem vormals zu 4. beteiligten Betriebsratsmitglied) eine „Abmahnung“ mit folgendem Wortlaut:

„…

Von unserem Angebot, ein gemeinsames Gespräch zu führen, haben Sie keinen Gebrauch gemacht. Wie bereits angekündigt, mahnen wir Sie hiermit wegen des Vorfalls vom 09.12.2009 - Frau L - ausdrücklich ab.

Nach den glaubhaften Bekundungen von Frau L, denen Sie im Wesentlichen nicht widersprochen haben, haben Sie in unzulässiger Weise versucht, Frau L zu veranlassen, ihre Beobachtungen zu dem Vorfall am 02.12.2009 - B/… - zugunsten des Herrn B zu korrigieren. Auch als BR-Vorsitzender und freigestelltes BR-Mitglied sind Sie an Gesetz und Recht gebunden, darüberhinaus besteht auch die Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen anderer Arbeitnehmer weiter. Nach dem von Frau L bekannt gemachten Gesprächsverlauf besteht für uns der dringende Verdacht, dass Sie auch aus strafrechtlicher Sicht in unzulässiger Weise versucht haben, Druck auf Frau L auszuüben, um diese zu veranlassen, ihre tatsächlichen Wahrnehmungen anders darzustellen, als wie sie sie wahrgenommen hat. Dies ist eine schwerwiegende Verletzung auch Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Sie haben damit auch gegen das Rücksichtnahme- und Übermaßverbot verstoßen.

Wir mahnen Sie deshalb ab und weisen daraufhin, dass wir uns für den Fall einer Wiederholung vorbehalten, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auch außerordentlich zu kündigen.

…“

6

Der Betriebsrat hat mit dem beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung - die Feststellung begehrt, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 unwirksam sei und eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats sowie des Betriebsratsvorsitzenden darstelle. Nachdem das Landesarbeitsgericht den Betriebsratsvorsitzenden (ebenso wie das weitere Mitglied des Betriebsrats) am Verfahren beteiligt hat, hat dieser im Beschwerdeverfahren gleichlautende Feststellungen begehrt und darüber hinaus - ebenso wie der Betriebsrat hilfsweise - von der Arbeitgeberin die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte sowie die Verpflichtung verlangt, es künftig zu unterlassen, gegenüber Betriebsratsmitgliedern Abmahnungen für Handlungen zu erteilen, die als Mandatsausübung anzusehen seien. Der Betriebsrat und der Betriebsratsvorsitzende haben die Auffassung vertreten, ihre Ansprüche seien im Beschlussverfahren zu verfolgen. Die Abmahnung vom 13. Januar 2010 sei betriebsverfassungswidrig. Sie ziele auf eine Störung und Behinderung der Arbeit des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender.

7

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben - soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse - beantragt

festzustellen, dass

1. die Abmahnung des Beteiligten zu 3. vom 13. Januar 2010 unwirksam ist und

2. sowohl eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats als auch der Arbeit des Beteiligten zu 3. ist,

sowie beim Landesarbeitsgericht außerdem - der Betriebsrat hilfsweise und der Beteiligte zu 3. unbedingt -,

3. die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 gegenüber dem Beteiligten zu 3. zurückzunehmen und aus dessen Personalakte zu entfernen,

4. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats individualrechtliche Abmahnungen für Handlungen zu erteilen, die als Betätigung des Betriebsratsmandats anzusehen sind.

8

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen; der Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz hat sie widersprochen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, es fehle dem Betriebsrat an der Antragsbefugnis. In der berechtigten Abmahnung des Betriebsratsvorsitzenden wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflichten liege keine Störung oder Behinderung der Arbeit des Betriebsrats oder seiner Mitglieder.

9

Das Arbeitsgericht hat die - bei ihm allein anhängigen Anträge zu 1. und zu 2. - als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Betriebsrat verfolge diese Anträge in der nicht zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerden des Betriebsrats und des Betriebsratsvorsitzenden - auch hinsichtlich der Anträge zu 3. und zu 4. - zurückgewiesen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Betriebsratsvorsitzende ihre Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde und führt in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung ua. aus: „… ganz unabhängig von der offenen Frage, ob der Antragserweiterung ein entsprechender Beschluss des“ Betriebsrats „überhaupt zu Grunde liegt“.

10

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsvorsitzenden hat hinsichtlich des Antrags zu 3. Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

11

I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen den seine Hauptanträge zu 1. und zu 2. abweisenden arbeitsgerichtlichen Beschluss im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Anträge sind bereits unzulässig. Auch die Hilfsanträge zu 3. und zu 4. hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der mit einer zulässigen Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz angebrachte Hilfsantrag zu 3. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Hilfsantrag zu 4. ist unzulässig.

12

1. Der Betriebsrat verfolgt sämtliche Anträge in der zutreffenden Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Anders als das Arbeitsgericht - hinsichtlich der Anträge zu 1. und zu 2. - hat das Landesarbeitsgericht die Frage der Verfahrensart nicht problematisiert. Zu Recht hat es im Beschlussverfahren entschieden. Bei den vier erhobenen Ansprüchen des Betriebsrats handelt es sich um „Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz“ iSv. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, bei denen nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet. Der Betriebsrat beruft sich auf seine Rechte als Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Es geht ihm um Feststellungen der Rechtsbeziehungen zwischen den Betriebsparteien und um betriebsverfassungsrechtliche (Leistungs-)Ansprüche. Eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil es in diesem Zusammenhang um eine dem Betriebsratsvorsitzenden als Arbeitnehmer erteilte Abmahnung geht. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner bezieht. Das ist hier der Fall. Ein Urteilsverfahren könnte der Betriebsrat mangels Parteifähigkeit gar nicht betreiben. Nur im Beschlussverfahren ist er nach § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG beteiligtenfähig.

13

2. Die (Haupt-)Anträge zu 1. und zu 2. sind unzulässig.

14

a) Allerdings fehlt es dem Betriebsrat für diese Anträge nicht an der erforderlichen Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

15

aa) Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG, wenn er eigene Rechte geltend macht. Ebenso wie die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren dient die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (vgl. BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 17; 21. August 2012 - 3 ABR 20/10 - Rn. 26 mwN; 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9).

16

bb) Danach ist der Betriebsrat für die Hauptanträge antragsbefugt. Er stützt beide Feststellungsbegehren auf eine (behauptete) Störung und Behinderung seiner Arbeit. Nach seinem Vorbringen in der Antragsbegründung nimmt er Bezug auf die Schutzbestimmung des § 78 Satz 1 BetrVG, der er - jedenfalls auch - eine gremienschutzbezogene Intention beimisst. Damit macht er ein eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht „auf der Hand liegend“ ausgeschlossen, die begehrten Feststellungen auf § 78 Satz 1 BetrVG zu stützen.

17

b) Der Feststellungsantrag zu 1. ist aber unzulässig, weil er nicht die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt.

18

aa) Nach dem im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO kann die gerichtliche Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses beantragt werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden alsbaldigen richterlichen Entscheidung hat(vgl. zB BAG 24. April 2007 - 1 ABR 27/06 - Rn. 15, BAGE 122, 121). Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist jedes durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Dabei sind einzelne Rechte und Pflichten ebenso Rechtsverhältnisse wie die Gesamtheit eines einheitlichen Schuldverhältnisses. Kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sind dagegen abstrakte Rechtsfragen, bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses oder rechtliche Vorfragen. Die Klärung solcher Fragen liefe darauf hinaus, ein Rechtsgutachten zu erstellen. Das ist den Gerichten verwehrt (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 ABR 73/10 - Rn. 35 mwN, BAGE 140, 277). So ist etwa die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts kein zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage (vgl. BAG 1. Juli 2009 - 4 AZR 261/08 - Rn. 21 mwN, BAGE 131, 176).

19

bb) Die begehrte Feststellung, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 unwirksam ist, betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Der Antrag ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Erklärung gerichtet. Der Sache nach erstrebt der Betriebsrat mit ihm die rechtliche Begutachtung einer Vorfrage für einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

20

c) Der Feststellungsantrag zu 2. ist unzulässig, weil er bereits nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist. Zudem liegt auch ihm kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zugrunde.

21

aa) Nach der im Beschlussverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Antragsschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Das ist erforderlich, um zu klären, worüber das Gericht entscheidet und wie der objektive Umfang der Rechtskraft einer Sachentscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO ist(vgl. BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 94/09 - Rn. 14 mwN).

22

bb) Diesem Erfordernis wird der Antrag zu 2. nicht gerecht. Würde ihm stattgegeben, bliebe unklar, worin genau die „Behinderung“ und „Störung“ der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden durch die Abmahnung vom 13. Januar 2010 liegt.

23

cc) Außerdem betrifft der Antrag zu 2. kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Er zielt auf die Feststellung, dass eine bestimmte Maßnahme der Arbeitgeberin eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden ist. Damit umfasst er die Dokumentation einer Tatsache und deren rechtliche Bewertung, die allenfalls mögliche Vorfragen oder Elemente von Leistungs- und Unterlassungsansprüchen sein können. Es ist aber nicht Aufgabe der Feststellungsklage oder des Feststellungsantrags, Vorfragen etwa für eine künftige Leistungs- oder Unterlassungsklage zu klären (vgl. dazu zB BAG 5. Oktober 2000 - 1 ABR 52/99 - zu B II 2 der Gründe mwN).

24

3. Der damit zur Entscheidung anfallende Hilfsantrag zu 3. ist zulässig, aber unbegründet.

25

a) Der Betriebsrat hat diesen - echten - Eventualantrag erstmals in der Beschwerdeinstanz angebracht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt darin keine unzulässige Antragserweiterung.

26

aa) Nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG kann ein Antrag im Beschlussverfahren(auch) noch in der Beschwerdeinstanz geändert werden. In der Erweiterung des Streit- oder Verfahrensgegenstands eines anhängigen Verfahrens liegt grundsätzlich eine Antragsänderung. Gemäß § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ArbGG ist eine Änderung des Antrags zulässig, wenn die übrigen Beteiligten zustimmen, die Zustimmung wegen rügeloser Einlassung der Beteiligten als erteilt gilt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist die Entscheidung, dass eine Änderung des Antrags nicht vorliegt oder zugelassen wird, unanfechtbar. An eine Nichtzulassung der Antragsänderung durch das Beschwerdegericht wegen einer von diesem nicht angenommenen Sachdienlichkeit ist das Rechtsbeschwerdegericht dagegen nicht gebunden. Im Übrigen ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Antragsänderung § 264 ZPO auch im Beschlussverfahren entsprechend anwendbar, selbst wenn dies in § 81 Abs. 3 ArbGG nicht ausdrücklich ausgesprochen ist(so bereits BAG 14. Januar 1983 - 6 ABR 39/82 - zu II 2 der Gründe, BAGE 41, 275; vgl. auch BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 24, BAGE 130, 1; 26. Juli 2005 - 1 ABR 16/04 - zu B II 1 b der Gründe; 29. Juni 2004 - 1 ABR 32/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 111, 191). § 264 Nr. 2 ZPO bestimmt, dass ua. dann keine Klageänderung vorliegt, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird.

27

bb) Danach ist der Hilfsantrag zu 3. selbst dann zulässig, wenn er keine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Antragserweiterung darstellen sollte. Es spricht bereits manches dafür, dass der Betriebsrat aufgrund desselben Tatsachenkomplexes lediglich eine andere Rechtsfolge begehrt (Entfernung der Abmahnung und nicht Feststellung ihrer Unwirksamkeit) und demnach seinen Antrag lediglich iSv. § 264 Nr. 2 ZPO erweitert. Jedenfalls wäre die Antragsänderung sachdienlich iSv. § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Sachdienlichkeit der von ihm angenommenen Antragsänderung mit der Erwägung verneint, in der Abmahnung vom 13. Januar 2010 liege keine Beeinträchtigung iSd. § 78 BetrVG und ohnehin sei der Betriebsrat für einen individualrechtlichen Beseitigungsanspruch nicht antragsbefugt. Damit hat es die Sachdienlichkeit zu Unrecht danach beurteilt, ob der geänderte Antrag Aussicht auf Erfolg hat. Jedenfalls die Frage der Antragsbefugnis und die Begründetheit des mit der Antragserweiterung angebrachten Begehrens sind für dessen Sachdienlichkeit nicht maßgeblich. Vorliegend dient der Antrag zu 3. - so man in ihm eine Antragsänderung iSv. § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG sieht - dazu, den Streitstoff der Beteiligten im Rahmen des anhängigen Verfahrens vollständig auszuräumen und insbesondere zu klären, welche Ansprüche dem Betriebsrat im Zusammenhang mit Abmahnungen zustehen, die Betriebsratsmitgliedern erteilt wurden. Ohne Zulassung der Antragserweiterung würde ein neues Verfahren der Beteiligten herausgefordert. Auch ist mit dem Antrag zu 3. kein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt. Vielmehr geht es - wie bereits bei den Hauptanträgen - um die Rechtmäßigkeit der Abmahnung vom 13. Januar 2010 sowie um Fragen der Antragsbefugnis des Betriebsrats.

28

b) Der Zulässigkeit der Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung eine entsprechende Beschlussfassung des Betriebsrats in Frage gestellt hat. Zur Einlegung eines Rechtsmittels - auch einer Beschwerde, mit der ggf. eine Antragserweiterung und -änderung verfolgt wird - gegen eine den Betriebsrat beschwerende Entscheidung durch einen Verfahrensbevollmächtigten bedarf es prinzipiell keiner gesonderten Beschlussfassung des Betriebsrats. Nach den auch im Beschlussverfahren geltenden Vorschriften des § 81 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG ermächtigt die einmal erteilte Prozessvollmacht im Außenverhältnis in den zeitlichen Grenzen des § 87 ZPO zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln(vgl. BAG 6. Dezember 2006 - 7 ABR 62/05 - Rn. 12 mwN; 16. November 2005 - 7 ABR 12/05 - Rn. 17 mwN, BAGE 116, 192; 9. Dezember 2003 - 1 ABR 44/02 - zu B I 1 c der Gründe, BAGE 109, 61; 11. September 2001 - 1 ABR 2/01 - zu B I der Gründe). § 81 ZPO ermächtigt damit grundsätzlich ebenso zu einer - nicht selten auf einen rechtlichen Hinweis des Gerichts ohnehin angezeigten - Modifikation oder Änderung der Antragstellung, selbst wenn sie wie vorliegend erst in der Beschwerdeinstanz erfolgt. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - mit einer Antragsabwandlung und -erweiterung sachdienliche Anträge gestellt und keine gänzlich anderen, mit dem eingeleiteten Verfahren nicht mehr im Zusammenhang stehende Verfahrensgegenstände eingebracht werden.

29

c) Der Antrag ist zulässig.

30

aa) Er bedarf allerdings der Auslegung. Nach dem Wortlaut des Antrags verlangt der Betriebsrat neben der Entfernung der Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus der Personalakte des Beteiligten zu 3. auch deren „Rücknahme“. Das soll aber ersichtlich lediglich das Entfernungsverlangen unterstreichen und kein eigenständiges Begehren darstellen. Bei einem individualrechtlich erstrebten Abmahnungsentfernungsanspruch wird die mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung regelmäßig als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts verstanden. Nur wenn der Klagebegründung entnommen werden kann, der Kläger begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte beispielsweise den Widerruf darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf Rücknahme der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 142, 331). Dies gilt auch für den hier im Beschlussverfahren verfolgten Abmahnungs„rücknahme“antrag. Im vorliegenden Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betriebsrat neben der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte seines Vorsitzenden einen weitergehenden Anspruch auf Widerruf von Äußerungen verfolgt.

31

bb) Der Betriebsrat ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er macht den Abmahnungsentfernungsanspruch als - nach seiner Auffassung aus § 78 BetrVG folgendes - eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht von vornherein als aussichtslos, den streitbefangenen Anspruch auf diese kollektivrechtliche Schutzbestimmung zu stützen. Ob das vom Betriebsrat verfolgte Recht tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit.

32

d) Der Antrag ist unbegründet. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats kann der geltend gemachte Anspruch nicht auf § 78 Satz 1 BetrVG gestützt werden.

33

aa) Zu Gunsten des Betriebsrats kann unterstellt werden, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 seinem Vorsitzenden zu Unrecht erteilt worden ist und der Betriebsrat - und sein Vorsitzender - damit in der Ausübung ihrer Tätigkeit entgegen § 78 Satz 1 BetrVG gestört oder behindert worden sind. Jedenfalls trägt § 78 Satz 1 BetrVG die vom Betriebsrat erstrebte Rechtsfolge nicht.

34

(1) Allerdings ist der Betriebsrat vom Schutz des § 78 Satz 1 BetrVG erfasst. Zwar dürfen nach dem Wortlaut von § 78 Satz 1 BetrVG die „Mitglieder“ ua. des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. § 78 Satz 1 BetrVG schützt aber(auch) den Betriebsrat als Gremium (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 1 der Gründe). Die Norm bezweckt einen Schutz der Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane und ihrer Mitglieder. Dies folgt deutlich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Schutzbereich des § 78 BetrVG gegenüber dem der Vorgängerregelung des § 53 BetrVG 1952 - in der der Betriebsrat genannt war - erweitert und nicht beschränkt werden sollte. In der Gesetzesbegründung heißt es (BT-Drucks. VI/1786 S. 47):

„Die Schutzbestimmung des § 78 entspricht im wesentlichen § 53 des geltenden Rechts. Sie dehnt jedoch ihren Geltungsbereich auf die Mitglieder aller nach dem Betriebsverfassungsgesetz möglichen Institutionen aus, da insoweit eine gleiche Schutzbedürftigkeit besteht.“

35

Dass der Betriebsrat als Gremium geschützt wird, zeigt außerdem ein systematischer Vergleich mit § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, nach dem die Behinderung und Störung der Tätigkeit ua. „des Betriebsrats“ strafbewehrt ist.

36

(2) Auch ist der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich (vgl. BAG 20. Oktober 1999 - 7 ABR 37/98 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN).

37

bb) Es muss aber letztlich nicht entschieden werden, ob eine Behinderung der Betriebsratsarbeit in dem Umstand liegen kann, dass der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied unzulässig abmahnt. Jedenfalls folgt aus § 78 Satz 1 BetrVG kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder.

38

(1) Eine Rechtsfolge ist in § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 2 der Gründe mwN). Auch kann im Einzelfall etwa eine Zutrittsverweigerung durch die Arbeitgeberin eine unzulässige Behinderung der Amtstätigkeit des Betriebsrats darstellen und einen Anspruch des Betriebsrats nach § 78 Satz 1 BetrVG auf Duldung des Zutritts begründen(vgl. BAG 20. Oktober 1999 - 7 ABR 37/98 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN). Im Schrifttum wird ebenso ganz überwiegend angenommen, dass aus § 78 BetrVG Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsansprüche des Betriebsrats und seiner Mitglieder folgen können(vgl. DKKW-Buschmann 13. Aufl. § 78 Rn. 22 und 39; ErfK/Kania 14. Aufl. § 78 BetrVG Rn. 5; Fitting 26. Aufl. § 78 Rn. 13 und 25; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 78 Rn. 38 f.; Thüsing in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 78 Rn. 16; Schaub/Koch ArbR-HdB 15. Aufl. § 230 Rn. 26; aA Heinze DB 1983 Beilage Nr. 9, 15).

39

(2) Der Betriebsrat hat jedoch keinen aus § 78 Satz 1 BetrVG folgenden Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines Betriebsratsmitglieds. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Personalakten - auch von Betriebsratsmitgliedern - sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 18 mwN, BAGE 142, 331). Entsprechend kann der Betriebsrat - wie sich mittelbar aus § 83 BetrVG ergibt - nicht die Vorlage der gesamten Personalakte verlangen(vgl. BAG 20. Dezember 1988 - 1 ABR 63/87 - zu B II 1 b der Gründe, BAGE 60, 311). Würde man dem Betriebsrat ein eigenständiges Recht auf „Bereinigung“ der Personalakte zuerkennen, tangierte dies das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit (vgl. BGH 1. Dezember 1999 - I ZR 49/97 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 143, 214). Insoweit stehen dem Träger des Persönlichkeitsrechts Ansprüche zu und nicht einem dritten Gremium. Dem Betriebsrat kommt kein - im Wege der Rechtsfortbildung anzunehmendes - kollektivrechtlich begründetes Recht zu, hinter dem die Individualrechte der Betriebsratsmitglieder zurückzutreten hätten. Es besteht schließlich kein unabweisbares Bedürfnis für eine richterliche Rechtsfortbildung zur Begründung eines Abmahnungsentfernungsanspruchs des Betriebsrats. Der Betriebsrat ist im Fall einer Störung oder Behinderung seiner Tätigkeit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Er kann dem mit Unterlassungsbegehren - ggf. auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes - begegnen.

40

4. Der Hilfsantrag zu 4., mit dem der Betriebsrat die Verpflichtung der Arbeitgeberin zu einem näher bezeichneten Unterlassen begehrt, ist unzulässig. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die von ihm hierin gesehene Antragserweiterung und -änderung als sachdienlich und damit zulässig erachtet (§ 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Auch ist diese Entscheidung nach § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG unanfechtbar. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert ferner nicht am Fehlen der Antragsbefugnis des Betriebsrats iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Der Betriebsrat stützt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf die Schutzbestimmung des § 78 BetrVG. Damit macht er eine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend. Hingegen ist der Antrag nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

41

a) Ein Unterlassungsantrag muss - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Nur wenn die danach gebotenen Verhaltensweisen hinreichend erkennbar sind, kann eine der materiellen Rechtskraft zugängliche Sachentscheidung ergehen. Eine Entscheidung, die eine Unterlassungspflicht ausspricht, muss grundsätzlich zur Zwangsvollstreckung geeignet sein. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Genügt ein Antrag - ggf. nach einer vom Gericht vorzunehmenden Auslegung - diesen Anforderungen nicht, ist er als unzulässig abzuweisen (vgl. BAG 14. September 2010 - 1 ABR 32/09 - Rn. 14 mwN; 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 13 mwN, BAGE 133, 342).

42

b) Danach ist der Hilfsantrag zu 4. nicht hinreichend bestimmt. Er ließe für die Arbeitgeberin als in Anspruch genommene Beteiligte bei einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung nicht eindeutig erkennen, was von ihr verlangt wird. Die Formulierung „Handlungen …, die als Betätigung des Betriebsratsmandats anzusehen sind“ ist vage und interpretationsbedürftig. Sie lässt mangels näherer Beschreibung nicht annähernd erkennen, um welche Sachverhalte es dem Betriebsrat geht. Auch unter Hinzuziehung der Antragsbegründung ergibt sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit, was Gegenstand des Unterlassungsbegehrens ist. Die Prüfung, welche Maßnahmen der Schuldner zu unterlassen hat, darf aber grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden.

43

II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsvorsitzenden ist teilweise unbegründet. Hinsichtlich der Anträge zu 1., 2. und 4. hat das Landesarbeitsgericht die Beschwerde im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Bezogen auf den Antrag zu 3. ist die Rechtsbeschwerde begründet. Der Betriebsratsvorsitzende hat einen - im Beschlussverfahren zu prüfenden - Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte.

44

1. Der Betriebsratsvorsitzende verfolgt seine Anträge in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens.

45

a) Die Anträge zu 1., 2. und 4. beziehen sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner und betreffen damit eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit iSd. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, in der nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet.

46

b) Das gilt ebenso für den Antrag zu 3. Bei diesem Antrag scheidet seine Verfolgung im Beschlussverfahren auch nicht deshalb aus, weil neben der kollektivrechtlichen Rechtsposition des Antragstellers als Betriebsratsvorsitzender seine individualrechtliche Rechtsposition als Arbeitnehmer betroffen ist.

47

aa) Nach § 48 Abs. 1 ArbGG gelten ua. für die Zulässigkeit der Verfahrensart die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes(GVG) - mit bestimmten Maßgaben - entsprechend. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. In entsprechender Geltung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG kommt damit den Gerichten für Arbeitssachen ggf. eine verfahrensüberschreitende Sachentscheidungskompetenz zu. Diese setzt voraus, dass Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist. Liegt hingegen eine Mehrheit prozessualer Ansprüche vor, ist für jeden dieser Ansprüche die Verfahrensart gesondert zu prüfen (vgl. - zur Rechtswegzuständigkeit - BGH 27. November 2013 - III ZB 59/13 - Rn. 14 mwN).

48

bb) Bei der kollektivrechtlichen und der individualrechtlichen Rechtsposition des mit dem Antrag zu 3. verfolgten Verlangens handelt es sich nicht um zwei Streit- oder Verfahrensgegenstände. Nach dem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (vgl. zB BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 69/09 - Rn. 16 mwN). Vorliegend verlangt der Betriebsratsvorsitzende von der Arbeitgeberin, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte zu entfernen. Ausgehend von seinem Tatsachenvortrag kommen als Anspruchsgrundlagen kollektiv- oder individualrechtliche Regelungen in Frage. Es liegt damit eine Anspruchskonkurrenz - und keine objektive Anspruchshäufung - vor.

49

2. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den Anträgen zu 1., 2. und 4. nicht stattgegeben. Ungeachtet von Fragen der Antragsbefugnis nach § 81 Abs. 1 ArbGG und der(subjektiven) Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG sind die Anträge - wie bereits ausgeführt - unzulässig. Dem Feststellungsantrag zu 1. liegt kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zugrunde. Das gilt ebenso für den - ohnehin nicht hinreichend iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmten - Feststellungsantrag zu 2. Der Unterlassungsantrag zu 4. entspricht nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

50

3. Hingegen ist der zulässige Antrag zu 3. begründet. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

51

a) Der Antrag ist zulässig.

52

aa) Er bedarf aber der Auslegung. Ebenso wie beim antragstellenden Betriebsrat umfasst er (nur) das Verlangen einer Abmahnungsentfernung. Auch beim antragstellenden Betriebsratsvorsitzenden bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er neben der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte einen weitergehenden Anspruch auf Widerruf von Äußerungen verfolgt. In diesem Verständnis ist der Antrag zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

53

bb) Der Betriebsratsvorsitzende ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er berühmt sich in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied eines eigenen Rechts, dessen Bestehen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.

54

cc) Die in dem Antrag liegende - subjektive - Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz ist als Antragsänderung sachdienlich und damit trotz Widerspruchs der Arbeitgeberin zulässig, § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG.

55

(1) Beteiligte an einem Beschlussverfahren können - auch erst im Laufe des Verfahrens - grundsätzlich einen eigenen Sachantrag stellen, sofern sie antragsbefugt sind. Die Stellung eines (neuen) Sachantrags ist unter den Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 ArbGG als Antragsänderung auch erstmals in der Beschwerdeinstanz zulässig(vgl. BAG 31. Januar 1989 - 1 ABR 60/87 - zu B II 2 b der Gründe).

56

(2) Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 ArbGG liegen vor. Die Antragsänderung war sachdienlich. Der Streit der Beteiligten kann mit ihr - endgültig - beigelegt und ein weiteres Verfahren vermieden werden, ohne dass ein völlig neuer Streitstoff in das Verfahren eingeführt worden ist.

57

b) Der Antrag ist begründet. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob der Betriebsratsvorsitzende nach § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG von der Arbeitgeberin verlangen kann, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte zu entfernen. Der streitbefangene Anspruch folgt jedenfalls aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Prüfung dieses - individualrechtlichen - Anspruchs kann (auch) im vorliegenden Beschlussverfahren erfolgen. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ist die Sache in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.

58

aa) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 142, 331).

59

bb) Danach kann der Betriebsratsvorsitzende als Arbeitnehmer verlangen, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte entfernt wird. Die Abmahnung ist bereits inhaltlich unbestimmt. Sie erschöpft sich in - von der Arbeitgeberin getroffenen - rechtlichen Wertungen des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden während des Gesprächs mit der Arbeitnehmerin L am 9. Dezember 2009. Im Text der Abmahnung sind keine konkreten Tatsachen - zum konkreten Gesprächsverlauf oder zu getätigten Äußerungen - angegeben. Für den abgemahnten Betriebsratsvorsitzenden ist damit nicht ersichtlich, auf welche Tatsachen und welchen Sachverhalt die Arbeitgeberin ihre formulierten Vorwürfe stützt, er habe „in unzulässiger Weise versucht, Frau L zu veranlassen, ihre Beobachtungen zu dem Vorfall am 02.12.2009 - B/… - zugunsten des Herrn B zu korrigieren“ und es bestehe „der dringende Verdacht“, er habe „aus strafrechtlicher Sicht in unzulässiger Weise versucht …, Druck auf Frau L auszuüben, um diese zu veranlassen, ihre tatsächlichen Wahrnehmungen anders darzustellen, als wie sie sie wahrgenommen hat“. Bei einer derartigen „Abmahnung“ ist es dem Abgemahnten gar nicht möglich, sein Verhalten einzurichten und zu erkennen, bei welchen Handlungen er im Wiederholungsfall mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss.

        

    Linsenmaier    

        

    Kiel    

        

    Schmidt    

        

        

        

    Busch    

        

    Strippelmann    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor“ tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung“ und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.

3

In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 - dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit - wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr - anders als zuvor - ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting“ über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten“ ein.

4

Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor“ einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie - neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung“ - eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:

        

„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:

        

…       

        

Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …

        

Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …

        

Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro“ und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.“

5

Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.

6

Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.

7

Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte - unstreitig - eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie - erkennbar - ein „menschen- und aufgabenleeres Büro“ gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting“ über „DM-Aktivitäten“ habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen“ eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.

9

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor“ weiter zu beschäftigen.

10

Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,

        

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.

11

Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting“ und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team“ seien der Klägerin - bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen - geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]“ und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]“, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro“ verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr - der Beklagten - bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem - der Beklagten - Nachteil zu erzielen.

12

Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.

13

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung - wie hier - die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.

17

B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).

18

I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).

19

1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).

20

2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

21

3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen - ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen - nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).

22

4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).

23

5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.

24

a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

25

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.

26

aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten“ einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin - unstreitig - lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank“ und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung - fälschlich - zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.

27

bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden“. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch“ keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage - erneut - nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen - ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont - dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.

28

cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das - unstreitige - Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.

29

dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro“, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer“ an Aufgaben und anderen Menschen.

30

ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe“ keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere“ des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal - insbesondere durch zeitliche Eingrenzung - eigens deutlich gemacht.

31

c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.

32

aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).

33

bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).

34

cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.

35

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.

36

(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.

37

(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel - eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor“ - zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten“ angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche“ Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.

38

d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.

39

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

40

bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]“. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager“ zu berichten - was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach - musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.

41

cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).

42

II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

43

1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. August 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).

44

2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.

45

a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.

46

b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid“ (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung - den 26. Juli 2012 - zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.

47

aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.

48

bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung - selbst bei einem positiven Bescheid - keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).

49

cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält - anders als die Klägerin meint - nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.

50

(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.

51

(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX)bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.

52

(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.

53

c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung“ eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).

54

3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.

55

III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens“ in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag(vgl. BAG 16. November 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Alex    

                 

Tenor

1. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 20. Juni 2013 - 11 Sa 159/12 - werden - unter Aufhebung bzw. Abänderung der gerichtlichen Kostenaussprüche - zurückgewiesen.

2. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit 2005 bei der beklagten Bundesagentur als Sachbearbeiter „Leistungsgewährung im Bereich SGB II“ beschäftigt. Im Jahr 2001 war er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Beihilfe hierzu verurteilt worden. Die Vollstreckung war zur Bewährung ausgesetzt und im Jahr 2003 erlassen worden.

3

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 teilte die Staatsanwaltschaft der Beklagten unter Beifügung der Anklageschrift mit, der Kläger werde gemeinsam mit einer anderen Person beschuldigt, unerlaubten Handel mit Kokain betrieben zu haben.

4

Am 15. August 2011 kam es zu einem Gespräch der Parteien. Der Kläger bestritt den ihm zur Last gelegten Sachverhalt und behauptete, weder mit Betäubungsmitteln gehandelt noch solche konsumiert zu haben. Aus der früheren Verurteilung habe er seine Lehren gezogen und alle Kontakte zum bisherigen Freundeskreis abgebrochen.

5

Aufgrund eines weitgehenden Geständnisses wurde der Kläger am 26. Januar 2012 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Davon setzte der Kläger die Beklagte am selben Tag in Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 6. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Anhörung des Personalrats fristlos, mit Schreiben vom 28. Februar 2012 - nach weiterer Anhörung des Personalrats - ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigungen gewandt. Er hat gemeint, Straftaten aus dem privaten Bereich seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Weder liege ein dienstlicher Bezug vor, noch schädigten die Taten das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit. Die Behauptung der Beklagten, er habe sich am 13. Juli 2010 an seinem Arbeitsplatz mit seinem Zwischenhändler getroffen, um dort Betäubungsmittelgeschäften nachzugehen, sei unrichtig. Aus den Straftaten ergebe sich auch kein Eignungsmangel. Überdies sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe ihm die zur Begründung der Kündigungen herangezogenen Auszüge aus den Ermittlungsakten nicht vorgelegt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 6. Februar 2012 noch durch die ordentliche Kündigung vom 28. Februar 2012 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II gegen eine Vergütung nach der Tarifgruppe TE IV, Tarifstufe 2 weiter zu beschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die neuerlichen Straftaten stellten einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Jedenfalls vermöchten sie eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen. Der Kläger habe sich schwerwiegender Pflichtverletzungen schuldig gemacht, die einen dienstlichen Bezug hätten. Er habe am 8. Juni 2010 mittels elektronischer Kurznachricht (SMS) die Übergabe von Geld für Rauschgiftgeschäfte vereinbart. Diese sei am folgenden Tag verabredungsgemäß an seinem Arbeitsplatz erfolgt. Überdies habe er jemandem Betäubungsmittel verkauft, der im gleichen Zeitraum Leistungen von ihrer Seite bezogen habe. Am 13. Juli 2010 sei er von seinem Zwischenhändler am Arbeitsplatz aufgesucht worden und dort illegalen Geschäften nachgegangen. Durch die Straftaten sei ihr Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt worden. Aus der Verurteilung und den ihr zugrundeliegenden Taten folge überdies, dass der Kläger für eine weitere Tätigkeit bei ihr nicht geeignet sei.

10

Die Vorinstanzen haben die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche für sozial gerechtfertigt gehalten. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die umfassende Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

11

A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung vom 28. Februar 2012 ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Zwar ist sie nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt (I.). Sie ist jedoch aus Gründen in seiner Person berechtigt (II.).

12

I. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers berechtigt.

13

1. Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die - fristgemäße - Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht. Ein kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen. Eine Nebenpflicht kann auch durch eine außerdienstliche Straftat verletzt werden (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 24; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12).

14

2. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Dies gilt auch für eine außerdienstlich begangene Straftat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einer solchen Tat gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15). Diese Grundsätze gelten nach der Ablösung des BAT durch den TVöD bzw. den TV-L auch im öffentlichen Dienst (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 26).

15

3. Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, der Kläger habe durch die begangenen Straftaten seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

16

a) Die Straftaten, wegen derer der Kläger am 26. Januar 2012 verurteilt worden ist, hat er sämtlich nach dem 15. Juli 2010 begangen. Ihnen fehlt es an einem Bezug zum Arbeitsverhältnis der Parteien. Dass der Kläger die Taten im zeitlichen oder räumlichen Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis begangen hätte, ist weder festgestellt noch ersichtlich.

17

b) Allein der Umstand, dass der Kläger - möglicherweise - gewusst hat, dass einer der Rauschgiftkunden seines Mittäters Leistungen von Seiten der Beklagten bezogen hat, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zur Begründung des erforderlichen Bezugs nicht ausreichend. Der Kläger kannte diesen „Kunden“ bereits seit längerer Zeit. Die Bekanntschaft war - soweit ersichtlich - nicht durch einen dienstlichen Kontakt vermittelt worden. Der „Kunde“ bezog überdies Leistungen nach dem SGB III, während der Kläger im Bereich der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II tätig war. Auch hat der Kläger diesen Umstand nicht genutzt, um die Beziehung zu pflegen oder gar zu intensivieren. Das Verhältnis zwischen ihm und dem „Kunden“ hat keine Berührungspunkte mit seiner dienstlichen Tätigkeit.

18

c) Ein hinreichender Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis wäre gegeben, wenn der Kläger - wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat - das Dienstgebäude und/oder seine Arbeitszeit zur Abwicklung von Rauschmittelgeschäften genutzt oder dort bzw. während ihrer entsprechende Verabredungen getroffen hätte. Ob es sich tatsächlich so verhielt, kann dahinstehen. Die Beklagte ist mit ihrem entsprechenden Vortrag materiell-rechtlich ausgeschlossen. Insoweit fehlt es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats.

19

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe seinem Kokainlieferanten per SMS vom 8. Juni 2010 angeboten, Geld für den Handel in den Räumlichkeiten der Beklagten zu übergeben. Dieses Verhalten begründe einen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Auf die Frage, ob sich der Kläger auch am 13. Juli 2010 mit seinem Lieferanten am Arbeitsplatz getroffen habe, komme es nicht mehr an.

20

bb) Diese Vorwürfe - ihre Berechtigung unterstellt - können bei der rechtlichen Würdigung keine Berücksichtigung finden. Die Beklagte hat den Personalrat zu ihnen nicht angehört.

21

(1) Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG ist der Personalrat vor der ordentlichen Kündigung eines Angestellten anzuhören. Die Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 68 Abs. 2 Satz 1 BPersVG ihm gegenüber zu begründen. Gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam, wenn die Personalvertretung nicht beteiligt worden ist.

22

(2) Die Unterrichtung des Personalrats soll diesem die Möglichkeit eröffnen, sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung zu nehmen. Dazu ist es notwendig, dass der Dienstherr dem Personalrat die für ihn - den Dienstherrn - maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilt. Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet, wenn der Dienstherr ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46; zu § 102 BetrVG: BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN). Darauf, ob diese Umstände auch objektiv geeignet und ausreichend sind, die Kündigung zu stützen, kommt es für die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung nicht an (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO). Fehlerhaft ist die Unterrichtung, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet oder einen für dessen Entschließung wesentlichen, insbesondere einen den Arbeitnehmer entlastenden Umstand verschweigt.

23

(3) Waren dem Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung bestimmte Tatsachen nicht bekannt, darf er diese im Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung zwar nachschieben, muss aber vorher den Personalrat zu ihnen - erneut - angehört haben. Einer weiteren Anhörung bedarf es nicht, wenn die neuen Tatsachen lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der bisherigen, dem Personalrat bereits mitgeteilten Kündigungsgründe dienen (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 576/09 - Rn. 11; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 34, BAGE 131, 155). Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die neuen Tatsachen dem mitgeteilten Kündigungssachverhalt erstmals das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere, selbständig zu würdigende Kündigungssachverhalte betreffen. Das gilt auch dann, wenn der Personalrat der Kündigung zugestimmt hat (vgl. BAG 26. September 1991 - 2 AZR 132/91 - zu III 1 a, b der Gründe).

24

(4) Danach durfte das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Beklagten, der Kläger habe sich mit seinem Zwischenhändler zwecks Geldübergabe am Arbeitsplatz getroffen, nicht zur Begründung der Kündigung heranziehen. Über diesen Sachverhalt hatte die Beklagte den Personalrat nicht informiert. Sie hatte ihm mitgeteilt, sie sehe das Vertrauensverhältnis zum Kläger als zerrüttet an, weil dieser vor seiner Verurteilung seine Unschuld beteuert habe. Damit war der Personalrat zwar über die Straftaten unterrichtet, welche Gegenstand der Verurteilung vom 26. Januar 2012 waren. Bei ihnen handelte es sich jedoch sämtlich um Delikte, die zwischen dem 15. Juli und dem 28. August 2010 begangen worden waren. Die im vorliegenden Zusammenhang erhobenen Vorwürfe betreffen demgegenüber den Zeitraum davor und damit Sachverhalte, die von der Verurteilung nicht erfasst sind. Ihre Einführung durch die Beklagte diente auch nicht nur der Konkretisierung der dem Personalrat schon mitgeteilten Kündigungsgründe. Vielmehr vermöchten erst diese dem Verhalten des Klägers das Gewicht eines Kündigungsgrundes zu verleihen, da allenfalls sie geeignet sind, den notwendigen Bezug zum Arbeitsverhältnis herzustellen. Eine gesonderte Anhörung zu diesen Vorwürfen war deshalb nicht entbehrlich.

25

II. Die Kündigung vom 28. Februar 2012 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dem Kläger fehlt die notwendige Eignung zur Ausübung seiner Tätigkeit.

26

1. Durch § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung vertragsgerecht zu erbringen. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers kann Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beschäftigten begründen. Sie können dazu führen, dass es ihm - abhängig von seiner Funktion - an der Eignung für die künftige Erledigung seiner Aufgaben mangelt. Ob daraus ein in der Person liegender Kündigungsgrund folgt, hängt von der Art des Delikts, den konkreten Arbeitspflichten des Arbeitnehmers und seiner Stellung im Betrieb ab. So können außerdienstlich begangene Straftaten eines im öffentlichen Dienst mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt. Generelle Wertungen lassen sich nicht treffen. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 14; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 24, BAGE 132, 72).

27

2. Der Kläger war im Bereich der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II und damit in hoheitlicher Funktion mit Publikumsverkehr tätig. Der private - illegale - Vertrieb von Rauschmitteln ist mit dieser Aufgabe nicht vereinbar.

28

a) Die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung erfordert eine jederzeit integre und gewissenhafte Ausübung der Tätigkeit. Außerdienstliches strafbares Verhalten vermag die Besorgnis zu begründen, der Arbeitnehmer könne auch im dienstlichen Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorgaben in Konflikt geraten. Dadurch wird das erforderliche Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erschüttert.

29

b) Diese Besorgnis bestand im Streitfall umso mehr, als der Kläger die Straftaten im regionalen Zuständigkeitsbereich seiner Dienststelle begangen hat. Dadurch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich der Personenkreis, mit dem er dienstlich Kontakt hat, und der, mit dem er strafrechtlich relevante Beziehungen pflegt, überschneiden. Jedenfalls in der Person seines Mittäters hatte sich diese Gefahr bereits realisiert. Aus Sicht der Beklagten bestand deshalb die berechtigte Befürchtung, der Kläger könne in Konflikt zwischen seinen hoheitlichen Verpflichtungen und eigenen finanziellen Interessen geraten. Bewilligt er etwa einem Rauschgiftkunden korrekterweise bestimmte Leistungen nicht, läuft er möglicherweise Gefahr, sich eine Einkommensquelle abzuschneiden. Seine Betäubungsmittelgeschäfte bergen überdies das Risiko, dass er bei der Ausübung seiner beruflichen Verpflichtungen erpressbar ist. Beide Gesichtspunkte können dazu führen, dass der Kläger seinen dienstlichen Pflichten nicht gewissenhaft nachkommt. Es ist der Beklagten nicht zumutbar, einen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der sich - schuldhaft - in derartige Interessenkonflikte verstrickt hat.

30

3. Die Interessenabwägung führt zu einem Überwiegen der Belange der Beklagten. Zwar ist zu Gunsten des Klägers dessen fast siebenjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Zu Lasten des Klägers ist in Rechnung zu stellen, dass der Eignungsmangel aus einem von ihm selbst verschuldeten Verhalten resultiert (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 30; 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - Rn. 39). Überdies handelt es sich dabei nicht um ein erstmaliges Fehlverhalten. Der Kläger war bereits im Jahr 2001 wegen eines Betäubungsmitteldelikts strafrechtlich belangt worden. Trotz anderslautender Beteuerungen hat er sich dies nicht zur Lehre gereichen lassen und ist in vergleichbarer Weise erneut straffällig geworden. Erhebliche, ihn entlastende Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.

31

III. Die ordentliche Kündigung ist nicht mangels Vertretungsmacht gemäß § 180 Satz 1 BGB unwirksam.

32

1. Bei einer Kündigung als einseitigem Rechtsgeschäft ist nach § 180 Satz 1 BGB eine Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig(BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 13). Hat aber derjenige, welchem gegenüber ein solches Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet, finden gemäß § 180 Satz 2 BGB die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung. Das bedeutet ua., dass das Rechtsgeschäft nach § 177 Abs. 1 BGB genehmigt werden kann.

33

2. Bezogen auf die ordentliche Kündigung vom 28. Februar 2012 hat der Kläger nicht behauptet, er habe das Fehlen der Vertretungsmacht der Unterzeichnerin des Kündigungsschreibens bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts beanstandet. Die Kündigungserklärung war damit nach § 180 Satz 2, § 177 Abs. 1 BGB allenfalls schwebend unwirksam und genehmigungsfähig. Eine solche Genehmigung hat die Beklagte zumindest konkludent dadurch erteilt, dass sie im Rahmen des Rechtsstreits die Kündigungsbefugnis der Vorsitzenden der örtlichen Geschäftsführung ausdrücklich behauptet und die Rechtmäßigkeit der Kündigung verteidigt hat (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 13).

34

IV. Die Kündigung ist nicht nach § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam.

35

1. Die Beklagte hat den Personalrat ordnungsgemäß unterrichtet. Sie hat ihm die Personalien des Klägers, die Beschäftigungsdauer, die Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitgeteilt. Sie hat deutlich gemacht, dass der Grund für die beabsichtigte Kündigung in der Verurteilung des Klägers wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und dem durch sein Bestreiten eingetretenen Vertrauensverlust lag.

36

2. Der Würdigung der Kündigung unter personenbedingten Gesichtspunkten steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte gegenüber dem Personalrat nicht ausdrücklich auf solche Aspekte berufen hat. Das Begründungserfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 BPersVG umfasst nicht eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die kündigungsrelevanten Tatsachen einem der Kündigungsgründe des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG förmlich zuzuordnen. Tut er dies dennoch, bindet ihn dies im späteren Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nicht. Er kann sich im Rahmen des dem Personalrat unterbreiteten tatsächlichen Kündigungssachverhalts auch auf andere rechtliche Gesichtspunkte berufen, sofern die mitgeteilten Tatsachen diese neuen Aspekte tragen (zu § 102 BetrVG: BAG 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 44, BAGE 137, 164).

37

V. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

38

B. Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB sei nicht gegeben.

39

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13).

40

II. Der offenbar gewordene Mangel in der charakterlichen Eignung des Klägers war „an sich“ als wichtiger Grund zur Kündigung geeignet. Er schloss einen weiteren Einsatz des Klägers im hoheitlichen Bereich der Leistungsgewährung grundsätzlich ohne weiteren Aufschub aus. Im Streitfall war der Beklagten jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten. Zwar ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser seinen Eignungsmangel - anders als etwa in Fällen einer Erkrankung - selbst zu vertreten hat. In der Vergangenheit hat sich dieser jedoch im Arbeitsverhältnis nicht tatsächlich ausgewirkt. Der Kläger hat seine dienstlichen Aufgaben als solche ordnungsgemäß verrichtet. Die Beklagte hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass in naher Zukunft insoweit mit konkreten Beeinträchtigungen zu rechnen gewesen wäre. Der berechtigten Besorgnis, der Kläger könne erpressbar sein oder es werde das Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers erschüttert, wird schon mit einer ordentlichen Kündigung Rechnung getragen.

41

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Beckerle    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.