Landesarbeitsgericht Köln Urteil, 23. Jan. 2014 - 7 Sa 97/13
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil desArbeitsgerichts Köln vom 05.12.2012 in Sachen3 Ca 8309/11 teilweise wie folgt abgeändert:
Auf den Auflösungsantrag der Beklagten hin wird dasArbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf der ordent-lichen Kündigungsfrist am 30.09.2012 aufgelöst. DieBeklagte wird verurteilt, an den Kläger zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 50.138,00 € brutto zu zahlen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger 75 % und die Beklagte 25 % zu tragen.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Parteien je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung, einen Beschäftigungsantrag des Klägers und einen Auflösungsantrag der Arbeitgeberin sowie um Zahlungsansprüche des Klägers, die auf eine Tantiemezahlung für das Jahr 2010 sowie eine Erhöhung des monatlichen Gehalts gerichtet sind und von einer Leistungsbeurteilung für das Jahr 2010 abhängen.
3Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird auf den umfassenden Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 05.12.2012 nebst den von den Parteien zur Akte gereichten Dokumenten und Anlagen Bezug genommen. Bezug genommen wird ferner auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils, welche die Erwägungen enthalten, derentwegen das Arbeitsgericht die Zahlungsansprüche des Klägers abgewiesen, den übrigen für die Berufungsinstanz noch relevanten Anträgen des Klägers hingegen stattgegeben hat.
4Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 10.01.2013 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 31.01.2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 11.04.2013 am 11.04.2013 begründen lassen.
5Dem Kläger wurde das Urteil des Arbeitsgerichts ebenfalls am 10.01.2013 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 08.02.2013 Berufung einlegen und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 10.05.2013 am 10.05.2013 begründen lassen.
6Die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1) beanstandet, dass das Arbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 08.03.2012 und auch die ordentliche Kündigung vom 12.03.2012 für unwirksam gehalten hat. Die Beklagte vertritt dabei die Auffassung, das Arbeitsgericht habe insbesondere verkannt, dass die Angriffe und Beschimpfungen ihres Prozessbevollmächtigten in dem Telefonat vom 01.03.2012 in Wirklichkeit gegen sie, die Beklagte selbst, gerichtet gewesen seien. Auch soweit sie sich gegen die Person des Prozessbevollmächtigten selbst gerichtet hätten, seien hiervon ihre, der Beklagten, Interessen massiv beeinträchtigt worden; denn mit dem Prozessbevollmächtigten bestehe seit vielen Jahren eine enge Geschäftsbeziehung und ein enges Vertrauensverhältnis.
7Schließlich habe das Arbeitsgericht auch nicht berücksichtigt, dass der Kläger in dem Telefonat mit dem Personalreferenten K vom 01.03.2012 die Drohung ausgestoßen habe, sie, die Beklagte, „in die Öffentlichkeit zu zerren“.
8Zumindest, so meint die Beklagte, habe das Arbeitsgericht aber ihrem Auflösungsantrag stattgeben müssen. Die als Kündigungsgrund herangezogenen Sachverhalte, aber auch diverse weitere von der Beklagten im Einzelnen angeführten Verhaltensweisen des Klägers und Ausführungen im vorliegenden Prozess zeigten, dass das Verhältnis der Parteien endgültig zerrüttet sei und mit einer gedeihlichen weiteren Zusammenarbeit in der Zukunft schlechthin nicht gerechnet werden könne.
9Zu Recht habe das Arbeitsgericht dagegen nach Auffassung der Beklagten erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Tantiemezahlung für das Jahr 2010 habe und keine auf seinen Leistungen in diesem Jahr beruhende Gehaltserhöhung beanspruchen könne. Abgesehen davon sei es nach Ansicht der Beklagte Sache des Klägers gewesen, darzulegen und zu beweisen, dass er einen Anspruch auf Bewertung mit der von ihm für richtig gehaltenen Leistungsstufe 6, mindestens aber mit der Leistungsstufe 5 gehabt hätte.
10In diesem Zusammenhang räumt die Beklagte ein, dass der Kläger in den Jahren 2008 und 2009 letztlich mit der Leistungsstufe 6 bewertet worden sei. Dabei habe sie aber die bereits damals schon vorhandenen erheblichen Defizite des Klägers in seinem Führungsverhalten und in der Zusammenarbeit mit anderen (noch) nicht in die Bewertung mit einfließen lassen. Sie habe nämlich die Hoffnung gehegt, dass die vom Kläger besuchten einschlägigen Weiterbildungsseminare zu einer Verbesserung seines Verhaltens in der Zusammenarbeit mit anderen führen würde, und auch berücksichtigt, dass sich der Kläger noch in einer Eingewöhnungsphase befunden habe. Die Hoffnung auf eine Besserung hätte sich jedoch im Jahre 2010 endgültig zerschlagen, so dass sich die erheblichen Mängel in der Verhaltensführung des Klägers nunmehr voll auf die Bewertung der Gesamtleistung habe auswirken müssen.
11Die Beklagte, Berufungsklägerin zu 1) und Berufungsbeklagte zu 2) beantragt nunmehr,
12das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.12.2012, 3 Ca 8309/11, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen;
13hilfsweise:
14das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.
15Der Kläger und Berufungsbeklagte zu 1) beantragt,
16die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
17Als Berufungskläger zu 2) beantragt der Kläger,
18unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 05.12.2012, 3 Ca 8309/11,
191. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 197,10 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2011 zu zahlen;
202. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 197,10 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2011 zu zahlen;
213. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 197,10 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011 zu zahlen;
224. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 197,10 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen;
235. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.11.2011 über den Betrag von monatlich 7.300,00 € brutto weitere € 197,10 brutto zu zahlen;
246. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Bonus für das Jahr 2010 in Höhe von € 12.000,00 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2011 zu zahlen.
25Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit es die Kündigungen der Beklagten für unwirksam erklärt und die Beklagte dementsprechend zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet hat. Der Kläger bestreitet, dass sich sein Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers so abgespielt hat, wie von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 06.06.2012 im Einzelnen geschildert, und stellt den Inhalt des Gesprächs abweichend dar. Er bestreitet, in dem Telefonat strafrechtlich relevante Verleumdungen oder Drohungen ausgestoßen zu haben. In jedem Fall verstießen die Kündigungen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und wäre vorrangig zunächst eine Abmahnung auszusprechen gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegen § 12 BORA verstoßen habe, indem er sich überhaupt auf ein 20-minütiges Telefonat eingelassen und dabei auch teilweise provokative Äußerungen gemacht habe.
26Zudem liegen aus der Sicht des Klägers auch keine ausreichenden Gründe für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung vor. Bedenken gegen eine gedeihliche zukünftige Zusammenarbeit bestünden nicht. Sein Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen sei zuletzt ungestört verlaufen. Als zerrüttet habe man nur sein Verhältnis zu den Vorgesetzten G und T bezeichnen können. Dies spiele für die Zukunft aber keine Rolle mehr, da Herr T sich in den Ruhestand verabschiedet habe und er, der Kläger, nicht mehr in der Abteilung eingesetzt sei, als deren Leiter Herr G fungiere.
27Der Auflösungsantrag der Beklagten kann nach Meinung des Klägers aber auch deshalb keinen Erfolg haben, weil die Kündigungen der Beklagten nicht nur aus materiell-rechtlichen Gründen, sondern auch wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung unwirksam seien. Zum einen habe die Beklagte in der Betriebsratsanhörung seinen Familienstand falsch angegeben (ledig statt verheiratet). Zum Anderen bestreitet der Kläger, dass die Betriebsratsanhörung dem Betriebsrat bereits am Freitag, dem 02.03.2012 übergeben worden sei. Habe der Betriebsrat die Anhörung aber frühestens am Montag, dem 05.03.2012, erhalten, so seien die Kündigungen jeweils vor Ablauf der in § 102 Abs. 2 BetrVG geregelten Äußerungsfristen ausgesprochen.
28Fehlerhaft, so meint der Kläger und Berufungskläger zu 2), sei das Urteil des Arbeitsgerichts vom 05.12.2012 aber insoweit, als es seine Zahlungsanträge abgewiesen habe. Es sei die Beklagte, die die Darlegungs- und Beweislast dafür treffe, dass ihre Bewertung der Leistungen des Klägers im Kalenderjahr 2010 billigem Ermessen entsprochen habe. Die Beklagte habe jedoch nicht ausreichend erklären können, warum sie seine Leistungen im Jahre 2010 im Gegensatz zu den Vorjahren nur noch mit der Leistungsstufe 3 bewertet habe. Entspreche diese Bewertung somit nicht billigem Ermessen, so sei die einseitige Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB durch das Gericht zu treffen. Dabei sind nach Auffassung des Klägers dieselben Grundsätze anzuwenden, wie sie von der Rechtsprechung bei einem Streit um die Leistungsbewertung in einem Arbeitszeugnis entwickelt worden sind: Danach könne der Arbeitnehmer mindestens eine durchschnittliche Bewertung verlangen, wenn nicht der Arbeitgeber Tatsachen darlegt und nachweist, die eine unterdurchschnittliche Bewertung rechtfertigen. Diesen Grundsätzen entsprechend könne er, der Kläger, für das Jahr 2010 Leistungen (Bonus, Gehaltserhöhung) wie in den Vorjahren nach Maßgabe der Leistungsstufe 6 verlangen, mindestens aber nach Maßgabe derLeistungsstufe 5; denn die Beklagte habe für das Jahr 2010 durchschnittlich die Leistungsstufe 5 bis 6 vergeben.
29Die Beklagte und Berufungsbeklagte zu 2) beantragt,
30die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
31Ergänzend wird auf die Einzelheiten des vollständigen Inhalts der Berufungsbegründungs- und Erwiderungsschriften beider Parteien nebst ihrer Anlagen sowie die Schriftsätze des Klägers vom 05.09.2013 und vom 06.01.2014 Bezug genommen.
32Das Berufungsgericht hat zur Frage des Zeitpunktes des Zugangs der Betriebsratsanhörung beim Betriebsrat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K Th und S K . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.12.2013 Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34I. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG, diejenige des Klägers gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Beide Berufungen wurden auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 vorgeschriebenen Fristen begründet. Anderweitige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufungen sind nicht ersichtlich.
35II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.12.2012 ist unbegründet. Die Berufung der Beklagten ist nur insoweit begründet, als deren Auflösungsantrag stattzugeben war. Dies hat zugleich zur Folge, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers über den 30.09.2012 hinaus nicht besteht. Im Übrigen war aber auch die Berufung der Beklagten unbegründet.
36An die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 05.12.2012 anknüpfend und diese ergänzend gilt aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im Einzelnen das Folgende:
37A. Wie das Arbeitsgericht in seinem Urteil vom 05.12.2012 zutreffend erkannt hat, steht dem Kläger kein Anspruch auf eine Gehaltserhöhung in Höhe von 197,10 € brutto monatlich ab dem 01.07.2011 zu. Es fehlt hierfür an einer Anspruchsgrundlage.
381. Eine solche könnte sich allenfalls aus § 4 b) der bei der Beklagten gültigen Betriebsvereinbarung Vergütungsmanagement in Verbindung mit deren Anlage 6 ergeben. Dies setzt jedoch voraus, dass der Kläger bei der Leistungsbewertung für das Jahr 2010 einen Rechtsanspruch auf Einstufung in die Leistungsstufe 6 geltend machen könnte.
392. Ein solcher Anspruch ist jedoch nicht ersichtlich.
40a. Eine entsprechende Vereinbarung ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, zwischen den Parteien nicht zustande gekommen, insbesondere nicht am 28.01.2011.
41b. Wie der Kläger in seiner Berufungsbegründung richtig ausführt, trifft die Beklagte bei der Leistungsbewertung eine Ermessensentscheidung. Ein Anspruch des Klägers auf Einreihung in eine bestimmte Leistungsstufe setzte somit voraus, dass das Ermessen der Beklagten dahingehend auf Null reduziert wäre. Hierfür hat der Kläger nicht ausreichend vorgetragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass die für die Einordnung in die Leistungsstufen maßgebliche Gesamtbeurteilung keineswegs nur die rein fachlichen Leistungen im Blick hat.
42c. Entsprechendes gilt für einen etwaigen Anspruch des Klägers in die Leistungsstufe 5. Auch hierbei handelt es sich nach der Definition der Leistungsstufen in der Anlage 3 zur Betriebsvereinbarung Vergütungsmanagement um eine Leistungseinstufung, die eine überdurchschnittliche Gesamtleistung voraussetzt.
43d. Es hilft dem Kläger im Hinblick auf seine Klageforderungen schließlich auch nicht weiter, wenn man seiner Auffassung beiträte, dass es Sache der Beklagten sei, darzulegen und zu beweisen, dass die von ihr vorgenommene Einreihung des Klägers in die Leistungsstufe 3 billigem Ermessen entsprochen hätte, weil es sich hierbei um eine unterdurchschnittliche Leistungsbewertung handele.
44aa. Zum Einen hat das Arbeitsgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Beklagte bei der Entwicklung der Leistungsbeurteilung des Klägers grundsätzlich das in der Betriebsvereinbarung Vergütungsmanagement dafür vorgesehene Verfahren eingehalten hat. Die Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens stellt ein erstes Indiz dafür dar, dass das Ergebnis auch billigem Ermessen entspricht.
45bb. Ferner trifft der Vorwurf des Klägers nicht zu, dass die Beklagte keine Begründung dafür abgegeben habe, warum sich die Leistungseinschätzung des Klägers für 2010 gegenüber den Vorjahren erheblich verschlechtert habe. Die von der Beklagten als Endfassung des Beurteilungsformulars vom 28.01.2011 angesehene Version enthält im Abschnitt C eine Vielzahl von Kritikpunkten, insbesondere die Zusammenarbeit des Klägers mit Vorgesetzten und Mitarbeitern, aber auch das allgemeine Arbeitsverhalten betreffend. Tendenziell stimmt damit auch das Ergebnis des Nachevaluierungsverfahrens vom 26.10.2010 zum sogenannten Potentialanalyseverfahren überein, an dem externe Berater maßgeblich mitgewirkt hatten.
46cc. Selbst wenn man jedoch der Auffassung des Klägers folgte, dass die Beklagte nicht ausreichend dargelegt hätte, dass die Bewertung des Klägers mit der Leistungsstufe 3 billigem Ermessen entsprochen hätte, und wenn man daraus mit dem Kläger den weiteren Schluss zöge, dass der Kläger zumindest einen Anspruch auf eine durchschnittliche Leistungsbewertung hätte, so folgte daraus gerade nicht die Begründetheit seiner Zahlungsansprüche; denn die Forderung des Klägers, mindestens einer Einstufung in die Leistungsgruppe 5 entsprechend behandelt zu werden, stellt die Forderung nach einer überdurchschnittlichen Bewertung dar. Es kommt nicht darauf an, wie viele Mitarbeiter in dem betreffenden Jahr mit welcher Leistungseinstufung bewertet wurden, sondern maßgeblich ist die in der Anlage 4 zur BV Vergütungsmanagement niedergelegte Definition der einzelnen Leistungsstufen. Eine Leistung durchschnittlicher Art und Güte ist danach eine solche, die die vorgegebenen Ziele weder unterschreitet, noch übersteigt. Der Umstand hingegen, wie viele Mitarbeiter eines Unternehmens in welche Leistungsstufe eingereiht wurden, unterliegt jährlichen Schwankungen und kann vom Zufall abhängen. Eine besonders hohe Anzahl überdurchschnittlich bewerteter Mitarbeiter in einem bestimmten Beurteilungsjahr muss auch kein zwingender Anhaltspunkt dafür sein, dass in dem Unternehmen bei der Zuordnung der Leistungsstufen gewohnheitsmäßig ‚Etikettenschwindel‘ betrieben würde, sondern kann ebenso gut auch dadurch erklärt werden, dass die Belegschaft generell überdurchschnittlich gut qualifiziert ist.
473. Da der Kläger somit schon nicht begründen kann, dass ihm für das Beurteilungsjahr 2010 mindestens die Leistungsstufe 5 zustand, muss nicht näher darauf eingegangen werden, dass die Tabellen zur Grundgehaltsentwicklung und zur Tantiemenhöhe in Anlagen 6 und 7 der BV Vergütungsmanagement nur Obergrenzen definieren und z. B. nach § 4 b) Abs. 3 neben der individuellen Leistung des Mitarbeiters auch die Arbeitsmarktsituation und die Geschäftsergebnisse in die Entscheidung einfließen, ob und in welcher Höhe das Ergebnis der Leistungsbeurteilung zu höheren Vergütungsleistungen führt.
48B. Die Berufung der Beklagten muss ebenfalls erfolglos bleiben, soweit sie die Feststellung des Arbeitsgerichts angreift, dass die außerordentliche Kündigung vom 08.03.2012 und die hilfsweise hierzu ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 12.03.2012 unwirksam sind und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben. Das Berufungsgericht folgt diesem Ergebnis der arbeitsgerichtlichen Feststellungen, nicht aber der vom Arbeitsgericht hierfür gegebenen Begründung.
491. Die Beklagte sieht den wichtigen Grund für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 08.03.2012 in den Telefonaten, die der Kläger am 01.03.2012 einerseits mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt P , andererseits mit ihrem Personalreferenten K geführt hat. Im Folgenden unterstellt das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten, dass sich diese Telefonate so abgespielt haben, wie von ihr im Detail im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 06.06.2012 geschildert.
50- 51
a. Danach wäre der Inhalt der Äußerungen, die der Kläger gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten gemacht haben soll, auf der ersten Stufe der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zur Überzeugung des Berufungsgerichts sehr wohl geeignet, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung darzustellen.
aa. Es erscheint dabei nur vordergründig richtig, dass sich die Äußerungen, die dem Kläger in diesem Telefonat zugeschrieben werden, nur gegen den gegnerischen Anwalt richteten, dieser nicht mit dem Arbeitgeber des Klägers identisch sei und ihm gegenüber keine Loyalitätspflichten bestünden. Dabei wird bereits die Eigenart der Stellung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger falsch eingeschätzt. Bei dem Anwalt der Beklagten in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter handelt es sich nicht nur um eine beliebige Drittperson, mit der die Arbeitgeberin zufällig in Geschäftsbeziehungen steht. Bei dem Anwalt in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter handelt es sich vielmehr um eine Person, die die Beklagte aufgrund eines – in diesem Fall bereits langjährig bestehenden – Vertrauensverhältnisses dazu ausgesucht hat, sie in einer hochsensiblen Personalangelegenheit, nämlich dem vorliegenden Arbeitsgerichtsprozess, gegenüber dem Kläger zu vertreten. Kraft der ihm erteilten Vollmacht agiert der Prozessbevollmächtigte somit unmittelbar anstelle der Beklagten selbst. Es macht insoweit keinen entscheidenden Unterschied aus, ob die Beklagte dem Kläger durch einen von ihr bevollmächtigten externen Anwalt gegenübertritt oder etwa durch ihren Geschäftsführer oder einen anderen bei ihr fest angestellten Repräsentanten (Justitiar, Personalleiter o. ä.). Bezeichnenderweise müsste sich im umgekehrten Fall die Beklagte auch ein etwaiges Verschulden ihres anwaltlichen Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.
53bb. Im Ausgangspunkt bestand bereits keinerlei sachlicher Anlass für den Kläger, unter Umgehung seines eigenen Anwalts unmittelbar mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten Kontakt aufzunehmen. Der Kläger, bei dem es sich nicht um eine geschäftsunerfahrene untergeordnete Person, sondern einen hochqualifizierten Akademiker handelt, hätte dies auch ohne weiteres erkennen können.
54cc. Entscheidend erscheint jedoch, dass der wesentliche Inhalt der in dem Telefonat vorgebrachten Verbalattacken des Klägers sich gerade nicht in erster Linie gegen die Person des Prozessbevollmächtigten richtet, sondern unmittelbar gegen die Beklagte selbst. Wenn der Kläger dem Prozessbevollmächtigten – dies ist unstreitig – vorwirft, dieser verbreite im Prozess und insbesondere in der öffentlichen Gütesitzung Lügen und Verleumdungen über ihn, so meint der Kläger damit ersichtlich nicht, dass der Anwalt dies eigenmächtig und ohne Auftrag der Beklagten getan habe. Dies wird schon daran deutlich, dass der Kläger im gleichen Telefonat – ebenfalls unstreitig – anmerkt, der Anwalt habe seine Mandantin, also die Beklagte „nicht im Griff“. Soweit die Vorwürfe den Anwalt selbst treffen, haben sie nur den Inhalt, dass dieser sich dazu hergebe, die von der Beklagten stammenden Lügen und Verleumdungen im Prozess weiterzugeben. Von einer Lüge und Verleumdung kann nur die Rede sein, wenn jemand wider besseres Wissen die Unwahrheit sagt, um jemand anderen aus niederen Beweggründen schlecht zu machen. Im Rahmen eines Gerichtsprozesses zur eigenen Rechtsverteidigung geäußerte Lügen und Verleumdungen stellen zugleich regelmäßig den Tatbestand eines – zumindest versuchten – Prozessbetruges dar. Dementsprechend bringt der Kläger in dem Gesamttelefonat weiter zum Ausdruck, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durch die Verwendung dieser Lügen und Verleumdungen im Prozess seine Anwaltszulassung riskiere und sich der Gefahr einer staatsanwaltschaftlichen Verfolgung aussetze. Bei alledem, so ist den geschilderten Ausführungen des Klägers im Telefonat zu entnehmen, sei der Wahrheitsgehalt der Lügen und Verleumdungen so absurd, dass sich der Anwalt damit „lächerlich“ mache.
55dd. Der Kläger nimmt für sich in Anspruch, dass er seine rechtlichen Angelegenheiten stets in sachlicher Form wahrnehme und nur seine berechtigten eigenen Interessen verfolgt. Die Beklagte, die mit dem Kläger als dessen Arbeitgeberin ein Dauerschuldverhältnis führt, kann von diesem erwarten, dass er ihr grundsätzlich dasselbe unterstellt. Dass dabei die Beklagte in einer rechtlichen Auseinandersetzung wie dem vorliegenden Arbeitsgerichtsprozess den Wahrheitsgehalt etwaiger Aussagen anderer Mitarbeiter über das Verhalten des Klägers ihnen gegenüber unter Umständen anders einschätzt als der Kläger dies sehen möchte, liegt in der Natur der Sache und bildet keinerlei berechtigten Anlass dafür, der Beklagten zu unterstellen, sie lasse wider besseres Wissen Lügen und Verleumdungen über ihn verbreiten. Die Beklagte muss sich unter den gegebenen Umständen derartige Vorwürfe nicht bieten lassen. Es erscheint objektiv nachvollziehbar, dass die Beklagte derartige Verbalattacken aus dem Munde eines hochqualifizierten gehobenen Angestellten für geeignet hält, das für die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis notwendige Grundvertrauen endgültig zu zerstören.
56- 57
b. Auch wenn der von der Beklagten geschilderte – und in wichtigen Teilen unstreitige – Inhalt der Verbalattacken des Klägers auf den Prozessbevollmächtigten somit grundsätzlich geeignet erscheint, eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen, verstößt die Kündigung unter den gegebenen Umständen des vorliegenden Einzelfalls dennoch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
aa. Zwar hat der Kläger die zu beanstandenden Äußerungen nicht spontan geäußert – etwa im Zuge einer sich aufschaukelnden hitzigen Diskussion im Rahmen eines Verhandlungstermins, dem der Kläger sich nicht oder nur schwer hätte entziehen können –, sondern er hat sich ohne akzeptablen sachlichen Anlass aus eigener Initiative an den Anwalt der Gegenseite gewandt und sich damit selbst in die Situation gebracht, in einer akuten Gesprächssituation mit dem sensiblen Prozessinhalt konfrontiert zu sein.
59bb. Dennoch ist dem Kläger zugute zu halten, dass er als in eigener Person von dem Prozess betroffene Partei naturgemäß ein erheblich emotionaleres Verhältnis zu dem Prozessstoff entwickelt als z. B. ein im Rahmen seiner üblichen Berufsausübung agierender Anwalt.
60cc. Die Beklagte, vertreten durch ihren anwaltlichen Prozessbevollmächtigten, trägt letztlich ein Mitverschulden daran, dass das Telefonat vom 01.03.2012 in der Weise, wie geschehen, eskalieren konnte. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte durch den Anruf des Klägers zunächst ‚überrumpelt‘ gewesen sein mag, so hätte er es doch gar nicht erst zu einem inhaltlichen Gespräch mit dem Kläger kommen lassen dürfen, schon gar nicht zu einem solchen von – nach Darstellung beider Parteien – ca. 20-minütiger Dauer.
61aaa. § 12 Abs. 1 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) verbietet es dem Anwalt im Rahmen der rechtlichen Auseinandersetzung seiner Mandantschaft mit einer Gegenpartei, ohne Einwilligung des gegnerischen Anwalts mit der gegnerischen Naturpartei direkt Verbindung aufzunehmen und/oder mit ihr zu „verhandeln“.
62bbb. Zwar erscheint § 12 Abs. 1 BORA vorliegend insoweit nicht unmittelbar anwendbar, weil es hier nicht der Anwalt der Beklagten war, der Kontakt mit dem Kläger aufgenommen hat, sondern umgekehrt.
63ccc. Es mag auch dahingestellt bleiben, ob die Tatsache, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit dem Kläger auf ein 20-minütiges Gespräch über den laufenden Rechtsstreit eingelassen hat, unter den in § 12 Abs. 1 BORA verwendeten Begriff des „Verhandelns“ subsumiert werden kann.
64ddd. Der Schutzzweck der Norm greift jedenfalls auch im vorliegenden Fall. Die anwaltliche Vertretung in einer rechtlichen oder gar gerichtlichen Auseinandersetzung dient nämlich nicht nur dem Ausgleich fehlender Rechtskenntnisse und fehlender prozesstaktischer Erfahrung, sondern sie soll die typischerweise in mehr oder weniger starkem Maße auch emotional in den Prozessstoff verstrickte Partei ein Stück weit auch vor sich selber schützen. Der Schutzzweck des § 12 Abs. 1 BORA dient u. a. gerade auch dazu, zu verhindern, dass sich eine selbst anwaltlich vertretene Partei bei einem ohne anwaltliche Begleitung erfolgenden unmittelbaren Gespräch mit dem Anwalt der Gegenseite ‚um Kopf und Kragen redet‘.
65eee. Der Anwalt der Beklagten wäre somit gehalten gewesen, das Telefongespräch mit dem Kläger sofort abzubrechen, als er bemerkte, dass der Kläger mit ihm über den laufenden Rechtsstreit zu reden gedachte. In diesem Fall hätte der Kläger von vornherein keine Gelegenheit gehabt, ‚sich in Rage zu reden‘ und die bereits besprochenen Verbalattacken vorzubringen.
66dd. Wie bereits ausgeführt muss sich die Beklagte das Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten auch zurechnen lassen.
67c. In Anbetracht dieser Umstände wäre es der Beklagten zuzumuten gewesen, davon abzusehen, das Telefonat vom 01.03.2012 zum Anlass einer einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen.
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d. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aufgrund des Telefonats des Klägers vom gleichen Tage mit dem Personalreferenten K . Auch zu diesem Telefonat sei zugunsten der Beklagten zunächst unterstellt, dass es sich inhaltlich so abgespielt hat wie von ihr geschildert.
Die zitierte Äußerung des Klägers gegenüber dem Personalreferenten, er wolle die Beklagte im Zusammenhang mit der laufenden rechtlichen Auseinandersetzung „an die Öffentlichkeit zerren“, erscheint bereits zu unspezifisch und zu unbestimmt, um daraus einen Kündigungsgrund ableiten zu können. So könnte die Äußerung z. B. auch die Bedeutung haben, dass der Kläger etwa beabsichtigte, die Medien von dem nächsten Gerichtsverhandlungstermin zu informieren. Gerichtsverhandlungen finden grundsätzlich aber ohnehin öffentlich statt und für den Ausschluss der Öffentlichkeit aus gegebenem Anlass ist (nur) der Gerichtsvorsitzende zuständig.
712. Wie auch das Arbeitsgericht angenommen hat, scheidet aus denselben Gründen, die vorliegend eine außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig erscheinen lassen, auch eine ordentliche Kündigung aus. Auch diese erschiene im Ergebnis unverhältnismäßig.
72C. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts war dem arbeitgeberseitigen Antrag, das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, stattzugeben. Insoweit hatte die Berufung der Beklagten Erfolg.
731. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist vorliegend aufgrund § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG gerechtfertigt. Es liegen zur Überzeugung des Berufungsgerichts Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem Kläger nicht erwarten lassen.
74a. Gemäß § 9 Abs. 2 KSchG hat die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt zu erfolgen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Dies ist vorliegend der 30.09.2012.
75b. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind an die Auflösungsgründe nach § 9 Abs. 1 KSchG strenge Anforderungen zu stellen, ohne dass sie aber andererseits die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit im Sinne von § 626 BGB erfüllen müssten (BAG vom 23.06.2005, NZA 2006, 363; BAG vom 10.07.2008, NZA 2009, 312; BAG vom 23.02.2010, NZA 2010, 1123; BAG vom 24.03.211, 2 AZR 674/09).
76aa. Der Arbeitgeber kann sich auch auf Auflösungsgründe stützen, die mit den Kündigungsgründen im Zusammenhang stehen, muss dann aber ergänzende Tatsachen dafür vortragen, weshalb ein konkreter Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung selbst nicht zu begründen vermag, so beschaffen sein soll, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten lässt (BAG vom 24.05.2005, NZA 2005, 1178; BAG vom 23.06.2005, NZA 2006, 363; ErfKo/Kiel, § 9 KSchG Rdnr. 12).
77bb. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber kommen z. B. Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Dabei ist eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit, wenn derartige Gründe vorliegen, um so weniger zu erwarten, je höher die Position des Arbeitnehmers im Betrieb ist. Dies verdeutlicht ein Rückschluss aus § 14 Abs. 2 KSchG (ErfKo/Kiel, a.a.O., Rdnr. 14).
78cc. Auflösungsgründe ergeben sich häufig durch das Verhalten des Arbeitnehmers in einem laufenden Arbeitsgerichtsprozess (BAG vom 10.07.2008, NZA 2009, 312; BAG vom 09.09.2010, NJW 2010, 3798). Ob pointierte Erklärungen oder Rechtsausführungen im Prozess noch durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sind oder bereits eine zur Auflösung berechtigende Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses anzeigen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. z. B. BAG vom 10.07.2008, NZA 2009, 312; LAG Köln vom 22.05.2006, BB 2007, 51; LAG Rheinland-Pfalz vom 08.04.2008, 3 Sa 442/07; LAG Hamburg vom 14.04.2004, 15 Sa 77/05).
79dd. Auch die Herabwürdigung eines Zeugen des Arbeitgebers als Lügner kann im Einzelfall zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen (LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 29.04.2008, 5 Sa 181/07).
80ee. Die Gründe, die die Auflösung tragen, müssen bei alledem nicht unbedingt in einem schuldhaften Verhalten oder überhaupt im Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Es kommt vielmehr darauf an, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG vom 08.10.2009, ZTR 2010, 163; BAG vom 24.03.2011,2 AZR 674/09; ErfKo/Kiel, a.a.O. Rdnr. 18). Insbesondere können die Gründe auch durch das persönliche Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber oder zu anderen Arbeitnehmern oder sonst in der Persönlichkeit des Arbeitnehmers begründet sein (ErfKo/Kiel, a.a.O.; KR/Spilger, § 9 KSchG Rdnr. 55).
81c. Legt man diese Grundsätze zugrunde, rechtfertigen im vorliegenden Fall zahlreiche Anhaltspunkte die Prognose, dass bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten mit dem Kläger eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist.
82aa. So hat der Kläger, wie bereits besprochen, in dem Telefonat vom 01.03.2012 gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten diese beschuldigt, sie lasse über ihn Lügen und Verleumdungen verbreiten. Darin wird die innere Einstellung des Klägers sichtbar, dass er der Beklagten als seiner Arbeitgeberin und Arbeitsvertragspartnerin zutraut, ihm gezielt und in strafrechtlich relevanter Weise Schaden zufügen zu wollen.
83bb. Diese Einstellung kommt auch an anderen Stellen zum Ausdruck. So hat der Kläger ausführen lassen, die ihn negativ beurteilenden Vorgesetzten ließen sich „vor den Karren der Beklagten spannen“. Auf der gleichen Ebene liegt es, wenn der Kläger im Zuge der Auseinandersetzung über das fehlgeschlagene Potentialanalyseverfahren auch einen namentlich benannten Geschäftsführer der Beklagten mit dem Vorwurf angreift, ihm schaden zu wollen.
84cc. In der Auseinandersetzung um das Potentialanalyseverfahren bezichtigt er die Beklagte haltlos, ihn als Mann diskriminiert zu haben. Wenn allerdings von 17 Teilnehmern an dem Verfahren 11 weiblichen Geschlechts waren, war schon statistisch zu erwarten, dass unter den erfolgreichen Absolventen deutlich mehr Frauen sein könnten. Überdies hat die Beklagte unwidersprochen vortragen können, dass auch ein Mann erfolgreich war und im Jahr davor mehr Männer als Frauen.
85dd. Aber auch die im Vorbringen des Klägers zum Ausdruck kommende Einstellung gegenüber anderen Mitarbeitern, seien es Vorgesetzte oder nachgeordnete Mitarbeiter, rechtfertigt Bedenken, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit in der Zukunft eher nicht zu erwarten ist. So erhebt er gegen seinen früheren Vorgesetzten G die haltlose Beschuldigung, dieser habe ihn bei der Leistungsbeurteilung bewusst schlecht gemacht, um die Chancen seiner sich ebenfalls bewerbenden Ehefrau zu erhöhen. Sein Verhältnis zu seinem ehemaligen Vorgesetzten G bezeichnet der Kläger im Übrigen selbst als zerrüttet. Dasselbe gilt für den ehemaligen nächst höheren Vorgesetzten T , dem der Kläger sinngemäß vorwirft, zu seinem Nachteil auf intrigante Weise in die Leistungsbeurteilung 2010 eingegriffen zu haben. Gewisse Integrationsschwierigkeiten in der Anfangszeit des Arbeitsverhältnisses erklärt der Kläger sinngemäß damit, dass ihn Kollegen als künftigen – aufgrund seiner hohen Qualifikation – ‚gefährlichen‘ Konkurrenten wahrgenommen hätten. Auch der Betriebsratsvorsitzenden Gr wirft der Kläger undifferenziert vor, „sich einseitig auf die Seite der Beklagten geschlagen zu haben“.
86- 87
e. Dabei bestehen objektive Anhaltspunkte für die Befürchtung, dass die in den geschilderten Einlassungen zum Ausdruck kommende negative Einstellung des Klägers gegenüber der Beklagten als Arbeitgeberin, aber auch gegenüber seinen Mitarbeitern und Vorgesetzten in bestimmter Weise in seiner Persönlichkeit angelegt ist. Der Kläger bezeichnet sich nämlich selbst als eine Person, deren berufliche Laufbahn zeige, „dass dieser eine ausgesprochen erfolgsorientierte Persönlichkeit ist, die – wie viele Leistungsträger – seine Lebensleistung in hohem Maße über seinen beruflichen Erfolg definiert“ (Schriftsatz vom 20.07.2012, Seite 56).
aa. Zwar hat die Beklagte bereits in der Probezeit des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Verhaltens des Klägers im Betrieb eine Notwendigkeit gesehen, diesem eine Weiterbildung zur Persönlichkeitsentwicklung anzuraten. Es fällt jedoch auf, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien von dem Zeitpunkt ab eskalierten, seitdem der Kläger in dem seit 2009 in Angriff genommenen Potentialanalyseverfahren nicht wie gewünscht zum Zuge gekommen ist. Auch die von ihm selbst wahrgenommene Zerrüttung seines Verhältnisses zu den Vorgesetzten G und T resultiert aus Sicht des Klägers vor allem in deren Verhalten in Bezug auf seine Leistungsbeurteilung.
89bb. Aufgrund der genannten Zusammenhänge muss die Beklagte befürchten, dass bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger erneute Auseinandersetzungen vorprogrammiert sind, falls die weitere Karriere des Klägers nicht so zügig und erfolgreich verlaufen sollte, wie der Kläger sich dies vorstellt.
902. Den Gründen, die somit gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bedingen, stehen keine überwiegenden Interessen des Klägers entgegen.
91aa. Zwar kommt dem Kläger ein natürliches Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses als wirtschaftliche Existenzgrundlage zu. Der Kläger konnte während der bislang vergleichsweise kurzen zeitlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses aber noch keinen überdurchschnittlichen Besitzstand erwerben.
92bb. Eine besonders herausgehobene soziale Schutzbedürftigkeit ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Kläger ist kinderlos verheiratet, seine Frau ebenfalls berufstätig.
93cc. Es steht zu erwarten, dass die unbestritten hohe und – wie die Einstellungsgeschichte bei der Beklagten zeigt – auch gesuchte fachliche Qualifikation des Klägers ihm am Arbeitsmarkt hilfreich sein wird.
94dd. Zudem ist die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Kompensation der dem Kläger entstehenden Nachteile durch Zahlung einer Abfindung zu verpflichten.
953. Die Höhe der Abfindung hat sich im Rahmen des § 10 KSchG zu bewegen.
96- 97
a. Das Berufungsgericht hält nach Abwägung aller Umstände die Festsetzung einer Abfindung mit dem Faktor 1,0, also einem Gehalt pro Jahr des Bestandes des Arbeitsverhältnisses, für angemessen.
- 99
b. Auf der Basis eines Monatsgehalts von 7.367,00 € brutto und der Berücksichtigung des 13. Gehalts ergibt sich umgerechnet ein Monatseinkommen in Höhe von 7.980,00 € brutto.
- 101
c. Zusätzlich muss aber auch zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, dass er die in § 4 der BV Vergütungsmanagement angelegten Chancen auf fortlaufende Gehaltserhöhung und auf Tantiemezahlungen durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert. Als Anhaltspunkt für den Wert dieser Chance hält das Berufungsgericht es für angemessen, auf den Zeitraum zurückzublicken, bevor die Auseinandersetzungen der Parteien über die Ansprüche des Klägers aus § 4 BV Vergütungsmanagement eskaliert sind, also auf das Jahr 2009.
- 103
d. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise hat das Berufungsgericht dem Monatseinkommen von 7.980,00 € einen weiteren Betrag in Höhe von 1.000,- € zugeschlagen und die Summe in Höhe von 8.980,00 € mit der tatsächlichen Beschäftigungsdauer des Klägers bis zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2012 (5 Jahre und 7 Monate) multipliziert.
4. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses steht auch nicht entgegen, dass die Kündigungen der Beklagten bereits wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam gewesen wären. Dies ist nämlich nicht der Fall.
105- 106
a. Die vom Berufungsgericht durchgeführte Beweisaufnahme hat zur vollen Überzeugung der Berufungskammer ergeben, dass die Betriebsratsanhörung der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Th bereits am Freitag, dem 02.03.2012, übergeben wurde. Damit waren bis zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung am 08.03.2012 und bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung am 12.03.2012 die Anhörungsfristen des Betriebsrats gewahrt, auch wenn davon auszugehen ist, dass der Betriebsrat keine vorzeitige abschließende Stellungnahme zu den Kündigungsanträgen der Beklagten abgegeben hat.
- 108
b. Für die Zeugin Thiemann war die Entgegennahme des Anhörungsschreibens kein Alltagsgeschäft, sondern sie war nur deshalb Ansprechpartnerin des Arbeitgebers, weil die Betriebsratsvorsitzende selbst an dem fraglichen Tag nicht im Hause war. Die Zeugin Thiemann hat lebensnah und nachvollziehbar geschildert, dass sich der Zeuge Klaus als Personalreferent der Beklagten aufgrund der Abwesenheit der Betriebsratsvorsitzenden zunächst durch telefonische Nachfrage ihrer Anwesenheit vergewissert und nachgefragt hatte, wie lange sie im Dienst sein werde, da er an dem Tag noch ein Anliegen an den Betriebsrat habe. Sie habe sich daraufhin die Mittagszeit „geblockt“. Die Zeugin hat freimütig bekannt, dass sie das Datum dieses Tages - den 2.März 2012 – in Vorbereitung des Beweisaufnahmetermins in ihrem Kalender recherchiert habe. Dass es sich bei dem fraglichen Tag um einen Freitag gehandelt haben musste, war für die Zeugin aber auch deshalb erinnerlich, weil gerade dies den Hintergrund für die telefonische Nachfrage des Zeugen Klaus nach ihrer Anwesenheitsdauer darstellte; denn, so die Zeugin, freitags pflegte sie ihren Arbeitsplatz öfters schon in der Mittagszeit zu verlassen, was sie für diesen Freitag aber nicht geplant hatte.
- 110
c. Die Zeugin wusste des Weiteren zu berichten, dass der Zeuge Klaus sie dann wie angekündigt in der Mittagszeit aufgesucht und ihr ein relativ umfangreiches Anhörungsschreiben in der Größenordnung von 8 oder 10 Seiten ausgehändigt hatte. Sie konnte sich erinnern, auf dem Deckblatt handschriftlich den Empfang quittiert und die Angabe, der Kläger sei „ledig“, in „verheiratet“ abgeändert zu haben. Auf eine genaue Uhrzeit dieses Geschehens konnte sich die Zeugin nicht mehr festlegen, erläuterte aber, es könne 14 Uhr oder auch 13 Uhr gewesen sein.
- 112
d. Das Aussageverhalten der Zeugin gab für die Kammer keinen Anlass, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Die Zeugin wirkte offen und um wahrheitsgetreue Schilderung bemüht.
- 114
e. Gegen die Aussage der Zeugin spricht auch nicht, dass das Exemplar der Betriebsratsanhörung, das der Beklagtenvertreter erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 6.6.2012 als Anlage KE 13 zu Akte gereicht hatte, die handschriftlichen Eintragungen auf dem Deckblatt nicht erkennen lässt. Der Beklagtenvertreter konnte diesen Umstand einleuchtend damit erklären, dass es sich bei dem erstinstanzlich zur Akte gereichten Exemplar um einen Ausdruck des ihm von der Beklagten ursprünglich per email übermittelten Exemplars handelte. Das stimmt mit der Angabe des Zeugen Klaus überein, dass er noch am 2.3.2012, und zwar um 14.55 Uhr, dem Anwalt das Anhörungsschreiben übermittelt hatte.
- 116
f. Dementsprechend konnte der Beklagtenvertreter im Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht aber auch die Kopie des Anhörungsschreibens vorlegen, die nach der Schilderung des Zeugen Klaus bei der Übergabe gezogen worden war und die die handschriftlichen Passagen aufweist. Bei dieser im Termin vorgelegten Kopie handelte es sich keineswegs nur um das Deckblatt, sondern um den vollständigen Text des Anhörungsschreibens, welcher mit der erstinstanzlichen Anlage K 13 inhaltlich identisch ist.
- 118
g. Die Aussage der Zeugin Thiemann deckt sich mit derjenigen des Zeugen Klaus, soweit es um den Kontakt dieser Personen am 2.3.2012 im Zusammenhang mit der Übergabe des Anhörungsschreibens geht, in vollem Umfang, ohne den Verdacht zu erregen, abgesprochen zu sein. Dabei hat der Zeuge Klaus angegeben, er meine sich zu erinnern, die Unterschrift des Herrn von Plettenberg nach seiner eigenen Mittagspause eingeholt zu haben. Der Zeuge Klaus grenzt bei alledem die Übergabezeit etwas enger als die Zeugin Thiemann auf kurz vor oder kurz nach 14 Uhr ein.
- 120
h. Bei alledem wird der 2.März 2012 als Zeitpunkt der Übergabe des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat schließlich auch nicht dadurch entscheidend in Frage gestellt, dass die Anhörung auf S.10 inhaltlich auf ein zufälliges Treffen des Klägers mit Herrn von Plettenberg eingeht, welches ebenfalls am 2.3.2012 während der Mittagspause in der Kantine stattgefunden hatte. Der Kläger persönlich hat im Verhandlungstermin angegeben, Herr von Plettenberg habe an diesem Tag die Kantine um 13.30 Uhr verlassen. Unterstellt man dies einmal als richtig, hätte der Zeuge Klaus immer noch (mindestens) eine halbe Stunde Zeit gehabt, eine entsprechende Information seitens des Herrn von Plettenberg einzuarbeiten. Dies erscheint ohne Weiteres ausreichend. Die Sekretärin stand zu dieser Zeit nach der Mittagspause auch noch zur Verfügung. Zwar konnte sich der Zeuge Klaus nicht daran erinnern, die vorbereitete Anhörung nach dem Mittagessen nochmals abgeändert zu haben. Ausschließen konnte er dies aber ausdrücklich ebenso wenig.
- 122
i. Hinzukommt, dass der Zeuge Klaus in anderem Zusammenhang bereits angegeben hatte, dem Anwalt der Beklagten den Text des Anhörungsschreibens bereits am selben Tag um 14.55 Uhr übermittelt zu haben. Handelt es sich hierbei, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bekräftigt hat, um den der erstinstanzlichen Anlage K 13 entsprechenden Text, so steht fest, dass zu diesem Zeitpunkt die Passage über das Treffen zwischen dem Kläger und Herrn von Plettenberg bereits eingearbeitet war.
- 124
k. Der Zeuge Klaus wirkte in seinem Aussageverhalten in Anbetracht der intensiven Nachfragen von Klägerseite zwar weniger sicher als die Zeugin Thiemann, bot der Berufungskammer aber ebenfalls keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt des Kerns seiner Aussage zu zweifeln.
- 126
l. Die Betriebsratsanhörung weist auch keine inhaltlichen Mängel auf, die zu ihrer Unwirksamkeit führen könnten.
aa. Die ursprüngliche Falschangabe, dass der Kläger ledig sei, erscheint unerheblich. Zum einen erscheint dieser Umstand bei der vorliegenden verhaltensbedingten Kündigung nicht beurteilungsrelevant, zumal der wirkliche Familienstand des Klägers – kinderlos verheiratet – hier nicht zu einer erhöhten
128sozialen Schutzbedürftigkeit führen konnte.
129bb. Zum anderen hat sich in der Beweisaufnahme ergeben, dass der wahre Familienstand dem Betriebsrat ohnehin bekannt war und der Fehler sofort aufgefallen ist.
1305. Mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entfällt zugleich auch der vom Arbeitsgericht ausgeurteilte Anspruch des Klägers, zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Senior Investment Manager weiterbeschäftigt zu werden.
131III. Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens aus § 92 Abs. 1 ZPO.
132R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
133Gegen dieses Urteil ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben. Auf§ 72 a ArbGG wird vorsorglich hingewiesen.
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(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.
(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.
(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
- 1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, - 2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt, - 3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, - 4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder - 5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
- 1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder - 2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder - 3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
(1) Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten nicht
- 1.
in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, - 2.
in Betrieben einer Personengesamtheit für die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit berufenen Personen.
(2) Auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme des § 3 Anwendung. § 9 Abs. 1 Satz 2 findet mit der Maßgabe Anwendung, daß der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf.
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte zum einen als Tatkündigung und zum anderen als Verdachtskündigung ausgesprochen hat. Außerdem ist über ein Auflösungsantrag der Beklagten zu entscheiden.
- 2
Der Kläger ist im Pharmaaußendienst beschäftigt. Die Beklagte hat ihre Außendienstler zu Teams zusammengefasst. Im Team des Klägers waren wohl fünf oder etwas mehr Außendienstler zusammengefasst. Im Team des Klägers arbeitet unter anderem Frau Z., Frau K., Frau V. und Herr F.. Vorgesetzter des Teams ist Herr M..
- 3
Ausgangspunkt der Differenzen der Parteien war eine Bemerkung des Klägers gegenüber Frau Z. am 06.12.2006. An diesem Tag hatten sich die Mitglieder des Teams zu einer Besprechung getroffen und Frau Z. war gerade damit beschäftigt den Laptop und den Beamer für einen Vortrag vorzubereiten, als der Kläger sie ansprach und sinngemäß zu ihr gewandt sagte: Wieso dauert das Hochfahren des Laptops so lange, hast du da etwa Pornofilme drauf.
- 4
Ob es an diesem Tag noch einen weiteren Vorfall ähnlicher Art gab, ist streitig geblieben, ebenso wie die Frage, ob dem Kläger im Vorlauf zur Kündigung noch ein weitergehender Vorwurf bezüglich des weiteren Verlaufs des soeben wiedergegebenen Gespräches gemacht worden ist.
- 5
Die Äußerung gegenüber Frau Z. ist nicht der Grund der Kündigung des Klägers. Die Beklagte hat den Kläger vielmehr gekündigt, weil er im Rahmen der betriebsinternen Aufklärung des Sachverhaltes seine Kolleginnen und Kollegen im Team der Lüge bezichtigt habe.
- 6
Dem liegt folgendes Geschehen zur Grunde. Frau Z. hatte sich bei ihren Vorgesetzten über den Kläger beschwert. Die Beschwerde betraf den oben wiedergegebenen Sachverhalt sowie "eine weitere Situation im Zusammenhang mit dem Handy von Frau Z., bezüglich dessen" der Kläger "eine ähnliche Bemerkung machte" (Zitat aus der Anhörung des Betriebsrates durch die Beklagte vom 29.01.2007). Über mehrere Zwischenstufen gelangte die Beschwerde zur Personalabteilung der Beklagten in Nürnberg. In Absprache mit dem Betriebsrat wurde der Kläger nach Nürnberg geladen, um ihn zu den Vorfällen anzuhören.
- 7
In diesem Gespräch am 15.01.2007 wurde ihm die Beschwerde von Frau Z. vorgehalten und es wurde dazu angemerkt, es gäbe weitere Mitarbeiter, die die Vorwürfe bestätigen könnten. Darauf hat der Kläger sinngemäß erklärt:
- 8
Wenn die Kolleginnen und Kollegen wahrheitsgemäße Bekundungen
- 9
abgeben würden, müssten sie erklären, dass die ihm unterschobenen Äußerungen nicht stimmten.
- 10
Auf Grund dieser Einlassung endete die Anhörung am 15.01.2007 mit dem Plan, die Zeugen und Zeuginnen gemeinsam (Personalabteilung und Betriebsrat) zu befragen. Der Zeuge S. konnte zu dem Vorfall nichts sagen, die Zeuginnen K. und V. bestätigten das von Frau Z. behauptete Geschehen ebenso wie der Zeuge F..
- 11
Ob im Anschluss an diesen Aufklärungsschritt der Kläger nochmals angehört wurde, ist streitig geblieben.
- 12
Die Beklagte erklärt, sie habe durch den Umstand, dass der Kläger seine Kolleginnen und Kollegen im Team der Lüge bezichtigt, jegliches Vertrauen in ihn verloren, daher sei die Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar. Nach Anhörung des Betriebsrates wurde daher unter dem 01.02.2007 eine außerordentliche und ordentliche Tatkündigung und unter dem 02.02.2007 eine außerordentliche und ordentliche Verdachtskündigung ausgesprochen.
- 13
Der Kläger hat innerhalb der gesetzlichen Frist beide Kündigungen mit der Klage angegriffen. Wegen des Prozessverhaltens des Klägers hat die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits in erster Instanz zusätzlich einen Auflösungsantrag gestellt.
- 14
Das Arbeitsgericht Rostock hat mit Urteil vom 12.06.2007, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen wird, der Klage im vollen Umfang stattgegeben und wie folgt in der Hauptsache tenoriert:
- 15
"1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 01.02.2007 noch durch die am gleichen Tage ausgesprochene vorsorgliche ordentliche bzw. fristgemäße Kündigung aufgelöst wurde.
- 16
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 02.02.2007 noch durch die am gleichen Tage ausgesprochene vorsorgliche ordentliche bzw. fristgemäße Kündigung aufgelöst wurde.
- 17
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits entsprechend dem Anstellungsvertrag zum 01.01.2002 als Pharmaberater weiterzubeschäftigen.
- 18
4. Der Auflösungsantrag wird abgewiesen."
- 19
Das Urteil ist der Beklagten am 20.06.2007 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung vom 29.06.2007 (Gerichtseingang per Fax am selben Tag) ist mit Schriftsatz vom 14.08.2007, Gerichtseingang per Fax am selben Tag, begründet worden.
- 20
Die Beklagte behauptet, dem Kläger sei in dem Gespräch am 15.01.2007 nur der oben im unstreitigen Teil wiedergegebene Vorfall vorgehalten worden. Die weitergehende klägerische Behauptung, Herr M. habe ihm zusätzlich vorgeworfen, er habe Frau Z. angeboten, die Pornos gemeinsam auf dem Zimmer anzusehen, sei falsch.
- 21
Der Kläger sei auch nach der Befragung der Zeugen durch Geschäftsführung und Betriebsrätin nochmals befragt worden und er sei bei seiner Einlassung beblieben.
- 22
Für die Beklagte stehe daher fest, dass der Kläger wider besseres Wissen seine Kolleginnen und Kollegen der Lüge bezichtigt hätte. Daher sei es unzumutbar, das Arbeitsverhältnis weiter fortzusetzen.
- 23
Da der Kläger im Rechtsstreit sogar versucht habe, der Beklagten zu unterstellen, vorsätzlich eine Kampagne gegen den Kläger zu führen, sei auch der Auflösungsantrag begründet.
- 24
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils
- 25
1. die Klage abzuweisen;
- 26
2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wobei die Abfindung ein früheres Bruttomonatsgehalt nicht übersteigen sollte.
- 27
Der Kläger beantragt,
- 28
die Berufung zurückzuweisen.
- 29
Der Kläger behauptet, ihm sei am 15.01.2007 von Herrn M. vorgeworfen worden, er habe Frau Z. ermuntert, die Pornos auf dem Laptop gemeinsam anzuschauen. Da er dies als den Kern des Vorwurfs angesehen habe, habe er den Vorfall mit Recht abgestritten.
- 30
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 31
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
- 32
1. Die außerordentlichen Kündigungen sind unwirksam, da es an einem wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 BGB mangelt.
- 33
a) Die Beklagte hat nicht deutlich gemacht, ob sie den Grund der Kündigung auch darin sieht, dass sich der Kläger in der Anhörung ihr gegenüber unwahr eingelassen hat.
- 34
Daher ist zu betonen, dass eine Lüge gegenüber dem Arbeitgeber die Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag.
- 35
Eine Lüge könnte nur insoweit pflichtwidrig sein, als der Arbeitnehmer aus vertraglicher Nebenpflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet wäre. Das ist im laufenden Arbeitsverhältnis nicht uneingeschränkt der Fall. Die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers setzt vielmehr ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers voraus.
- 36
Dieses Interesse muss gerade im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis vorliegen. Da sich die Auskunft nur auf das Bestehen oder den Umfang von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis beziehen kann, muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, mit dessen sonstiger Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Ein bloß allgemeiner Zweckzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis reicht hier nicht aus. Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess und gesetzliche Beweislastregeln sind dabei zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweissituation darf nicht durch die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden. Der Auskunftsanspruch kann nach Treu und Glauben nur da ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast einer entsprechenden Korrektur bedarf. Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen bestehen, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben (BAG 07.09.1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15 = AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = DB 1996, 634).
- 37
Gemessen an diesem Maßstab kann in der falschen Beantwortung der Fragen der Beklagten zu den von Frau Z. erhobenen Vorwürfen keine Pflichtverletzung des Klägers gesehen werden, denn die Befragung stand unter dem Vorzeichen einer möglichen Kündigung des Klägers wegen dieses Vorfalls. Insofern war der Kläger nicht verpflichtet, wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben.
- 38
b) Auch soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, er habe seine Kolleginnen und Kollegen der Lüge bezichtigt, ergibt sich daraus wegen der Umstände des Einzelfalls kein Kündigungsgrund.
- 39
Insoweit ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass die Bezichtigung der Kollegen der Lüge je nach Lage des Einzelfalles die Möglichkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eröffnet. So hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden, dass Beleidigungen, verbale Bedrohungen, üble Nachrede und Verleumdung gegenüber dem Arbeitgeber oder gegenüber Arbeitskollegen grundsätzlich geeignet seien, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG 21.01.1999 AP Nr. 151 zu § 626 BGB). Wie bei allen anderen Kündigungsgründen auch müssen die Vorfälle jedoch ein gewisses Gewicht haben, sie müssen betriebliche Auswirkungen haben, etwa indem sie den Betriebsfrieden stören.
- 40
Gemessen an diesem Maßstab liegt ein Kündigungsgrund nicht vor.
- 41
Das Gericht hat bereits Zweifel daran, ob die Einlassung des Klägers bei seiner Anhörung am 15.01.2007 überhaupt objektiv ehrverletzend war oder als üble Nachrede bezeichnet werden könnte.
- 42
Denn wenn der Kläger sagt, wenn die Zeugen bei der Wahrheit bleiben würden, müssten sie bekunden, dass die ihm unterschobenen Äußerungen nicht der Wahrheit entsprechen, so gibt er das Geschehene ersichtlich aus seiner Erkenntniswelt wieder. Mit Wahrheit meint er also seine Wahrheit, also seine eigene Erinnerung. In diesem Sinne hat der Satz nur den Aussagegehalt, dass die Zeugen seine - des Klägers - Erinnerung bestätigen müssten.
- 43
Aber selbst dann, wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, der Kläger hätte mit dieser Einlassung am 15.01.2007 aussagen wollen, die Beschwerde der Frau Z. sei erfunden und die von ihr aufgebotenen Zeugen hätten vorsätzlich ein falsches Zeugnis abgelegt, könnte dies die Kündigung noch nicht rechtfertigen.
- 44
Denn aus den Gesamtumständen ergibt sich objektiv nur ein geringes Gewicht dieser Äußerung. Dies schließt das Gericht aus der Äußerung selbst und aus dem Kontext, in dem sie gefallen ist.
- 45
Insoweit ist beachtlich, dass der Kläger die Zeugen nicht wörtlich als Lügner bezeichnet hat, sondern nur defensiv quasi seine Meinung zum Wahrheitsgehalt der Aussagen wiedergegeben hat. Auch muss beachtet werden, dass der Kläger weder Verallgemeinerungen ("lügen mal wieder ...") vorgenommen hat noch ein besonderes Unwerturteil formuliert hat (z. B. "die Lügnerin" oder "infame Lüge" oder eine ähnliche Formulierung). Gerade seine umständliche und farblose Ausdrucksweise zeigt vielmehr, dass er sich auch subjektiv zu jenem Zeitpunkt darum bemühte, mit seiner Aussage niemanden anzugreifen.
- 46
Zudem muss beachtet werden, dass die Worte in der Anhörung ohne Anwesenheit der Zeuginnen und Zeugen gefallen sind. Der Kläger musste zwar damit rechnen, dass die Beklagte die Zeuginnen und Zeugen mit seiner Aussage konfrontieren würde, angesichts seiner Einlassung musste er aber nicht damit rechnen, dass die Beklagte die Zeugen damit konfrontieren würde, er - der Kläger - hätte die Zeugen der Lüge bezichtigt.
- 47
Letztlich ist noch hervorzuheben, dass es auch nicht ersichtlich ist, dass die Einlassung des Klägers in der Anhörung am 15.01.2007 negative betriebliche Folgen hatte. Eine dadurch ausgelöste Störung des Betriebsfriedens kann nicht festgestellt werden.
- 48
Abschließend ist zu diesem Punkt noch festzuhalten, dass das Gericht nur die Einlassungen des Klägers im ersten Anhörungsgespräch am 15.01.2007 bewerten kann. Denn der Kläger hat in beiden Instanzen bestritten, dass es nach dem 15.01.2007 und nach den weiteren Ermittlungen der Beklagten überhaupt noch ein weiteres Gespräch mit ihm gegeben habe. Da die Beklagte dieses weitere Gespräch weder zeitlich noch örtlich noch an Hand der Gesprächspartner weiter eingegrenzt hat, war dieses Bestreiten mit Nichtwissen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig geblieben. Die Einzelheiten dazu können jedoch letzten Endes dahinstehen, da die Beklagte zu diesen behaupteten weiteren Gespräch auch keine konkreten Einzelheiten über den Gesprächsverlauf mitgeteilt hat. Insbesondere auch im nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 10.03.2008 wird nicht ersichtlich, mit welchen Worten sich der Kläger im zweiten Gespräch eingelassen haben soll. Daher kann auch nicht geprüft werden, ob er dabei seine Kolleginnen und Kollegen so direkt der Lüge bezichtigt hat, dass dies eine Kündigung rechtfertigen könnte.
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2. Da nach den bisherigen Ausführungen bereits objektiv die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nicht vorliegen, kann diese auch aus dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung nicht gerechtfertigt sein.
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3. Auch die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen sind nicht wirksam, denn ihnen fehlt die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG.
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Auch hierfür kann im Wesentlichen Bezug genommen werden auf die bisherigen Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung.
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Selbst wenn man mit der Hilfserwägung des Gerichtes davon ausgeht, dass die Einlassung des Klägers objektiv und subjektiv darauf gerichtet war, die Zeuginnen und Zeugen der Lüge zu bezichtigen, könnte dies angesichts der zurückhaltenden Art und Weise der Formulierung auch eine ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Es hätte allenfalls eine Abmahnung gerechtfertigt.
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4. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht begründet.
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Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wobei an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen sind. Dies hat seinen Grund darin, dass eine Sozialwidrigkeit einer Kündigung grundsätzlich zu deren Rechtsunwirksamkeit und damit zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führt. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 240/01 -). In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Auflösungsgründe der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist. Mithin ist im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag maßgeblich, ob auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers in der Vergangenheit in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist (BAG a. a. O.). Als arbeitgeberseitige Auflösungsgründe im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen insbesondere solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Dabei ist es dem Arbeitgeber allerdings untersagt, Spannungen zwischen dem Arbeitnehmer und Kollegen oder Vorgesetzten ohne Beachtung der Verursachungsanteile zu Lasten eines Arbeitnehmers zu lösen. So kann beispielsweise die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, für sich genommen die Auflösung nach § 9 KSchG noch nicht rechtfertigen. Zudem ist es unzulässig, sich auf solche Auflösungsgründe zu berufen, die vom Arbeitgeber selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind (BAG a. a. O.). Danach kommt es also maßgeblich darauf an, ob die objektive Lage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bei dem Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist. Als Auflösungsgründe sind mithin insbesondere geeignet Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen sowie sonstige in der Persönlichkeit des Arbeitnehmers liegende Gründe (BAG a. a. O. sowie Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, 29.06.2007 - 3 Sa 61/06 - sowie 16.10.2007 - 5 Sa 497/05 -).
- 55
Gemessen an diesem Maßstab ist ein Auflösungsgrund nicht ersichtlich.
- 56
Da das Verhalten gegenüber den Kollegen bereits die Kündigung nicht rechtfertigen konnte, kann es auch den Auflösungsantrag nicht rechtfertigen, zumal der Kläger im Laufe des Rechtsstreites den Lügevorwurf nicht weiter vertieft hat. Im Gegenteil hat er sogar eingeräumt, dass es zu der geschmacklosen Bemerkung gegenüber Frau Z. beim Aufbau der PC-Technik tatsächlich gekommen ist.
- 57
Vom Ansatz her zutreffend weist die Beklagte zwar darauf hin, dass der Kläger ihr unterstellt habe, sie - die Beklagte - habe möglicherweise absichtlich versucht, einen Kündigungsgrund zu provozieren.
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Auch wenn sich der Kläger verklausuliert ausgedrückt hat, ist dies doch der objektive Erklärungswert seines Vortrages aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 24.04.2007, dort Seite 4 (hier Blatt 150 d. A.). Denn wenn der Kläger den Vorfall unter der Überschrift schildert, hier hätte es möglicherweise einen "Versuch gegeben ... dem Kläger anderweitige Probleme zu bereiten" kann daraus der Leser nur den Schluss ziehen, der Kläger hege den Verdacht, die Beklagte habe ihm eine Falle stellen wollen.
- 59
Das ist eine ehrverletzende Unterstellung, die umso erstaunlicher ist, als sie auch aus der Sicht des Klägers weitgehend spekulativ geblieben ist. Man kann schon sagen, dass der Kläger hier ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Beklagten versucht hat eine diffuse Stimmung gegen die Beklagte im Rechtsstreit zu erzeugen.
- 60
Zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses reicht dies dennoch nicht. Dabei muss vor allem hervorgehoben werden, dass die Beklagte bereits Monate vor der Kündigung offen und subtil versucht hatte, sich vom Kläger zu trennen. Auf diese Weise hat die Beklagte eine Art Reizklima erzeugt, das sich unter anderem in diesem unsachlichen Angriff des Klägers in dem Rechtsstreit entladen hat. Wegen des Mitverantwortungsbeitrages der Beklagten scheidet daher die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus diesem Anlass aus.
- 61
5. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).
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Zur Zulassung der Revision gibt der vorliegende Rechtsstreit keinen Anlass.
Tenor
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1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.
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2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.
- 2
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Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.
- 3
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Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.
- 4
-
Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.
- 5
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Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.
- 6
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Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.
- 7
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Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.
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Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.
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Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise
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das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
- 10
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Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.
- 11
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Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.
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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
- 14
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I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).
- 15
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II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.
- 16
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1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).
- 17
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2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.
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1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
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a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).
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b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).
- 22
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c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).
- 23
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2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.
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b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.
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Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.
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Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.
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c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.
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aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.
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bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.
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(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.
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(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.
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cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.
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dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.
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3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
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Kreft
Rachor
Berger
Th. Gans
Pitsch
(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.
(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.
(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
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der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, - 2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt, - 3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, - 4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder - 5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
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die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder - 2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder - 3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.