Landesarbeitsgericht Köln Urteil, 07. Sept. 2016 - 11 Sa 111/16

ECLI:ECLI:DE:LAGK:2016:0907.11SA111.16.00
bei uns veröffentlicht am07.09.2016

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.12.2015 – 12 Ca 9095/14 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.11.2014 zum 31.12.2014 aufgelöst wurde.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 50,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.01.2015 sowie weitere 906,67 € brutto abzüglich der Zahlung der Krankenkasse in Höhe von 449,44 € netto nebst Zinsen in Höhe von5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Differenzbetrag seit dem 01.02.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Landesarbeitsgericht Köln Urteil, 07. Sept. 2016 - 11 Sa 111/16 zitiert 10 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 286 Verzug des Schuldners


#BJNR001950896BJNE027902377 (1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Z

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Zivilprozessordnung - ZPO | § 269 Klagerücknahme


(1) Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden. (2) Die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, a

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 670 Ersatz von Aufwendungen


Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, Abfindung des Arbeitnehmers


(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältni

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 115 Ansprüche gegen den Arbeitgeber


(1) Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe d

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 19. Nov. 2015 - 2 AZR 217/15

bei uns veröffentlicht am 19.11.2015

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

bei uns veröffentlicht am 10.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einen Auflösungsantrag der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt. Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert.

3

In einer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten führte die Klägerin aus, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt, sie habe eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Die Klägerin wies in der E-Mail darauf hin, dass sie drei unterhaltspflichtige Kinder habe.

4

Mit ebenfalls an den damaligen Vorstandsvorsitzenden gerichteter E-Mail vom 5. Februar 2009 teilte die Klägerin erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. In der E-Mail hieß es auszugsweise:

        

„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz.“

5

Mit E-Mail vom 30. März 2009 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ an ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Sie hielt ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vor, ferner, dass er seine Position nur innehabe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Seine Fähigkeiten reichten offensichtlich nicht dazu, als Führungskraft zu fungieren. Er verstehe nicht einmal „den Unterschied zwischen Kosten und Preis“. Die Klägerin versandte die E-Mail an weitere zwölf Mitarbeiter der Beklagten.

6

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2009 darauf hin, dass ihre Äußerungen durch ihr Beschwerderecht und das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr gedeckt seien. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die in der E-Mail vom 5. Februar 2009 enthaltenen Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Das Schreiben lautete auszugsweise:

        

„Sie haben mit diesen Vergleichen und Behauptungen arbeitsrechtliche Kündigungsgründe geliefert. Wir fordern Sie daher auf, alle von Ihnen gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von Ihnen informierten Personen und der S AG schriftlich bis zum 17. April 2009 zurückzunehmen. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis zum 17. April 2009 zu entschuldigen. Wir erwarten, dass Sie derartige Äußerungen künftig unterlassen.

        

Sollten derartige oder sinngemäß gleiche Äußerungen wiederholt werden oder sollte keine Rücknahme erfolgen, werden wir arbeitsrechtliche Maßnahmen einleiten, die bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen können.

        

Bis zur endgültigen Klärung des Vorganges stellen wir Sie widerruflich unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei.“

7

Die Klägerin nahm zu dem Schreiben mit E-Mail vom 16. April 2009 Stellung. Die Bezeichnung ihres Vorgesetzten als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ sei „auch für (ihren) Geschmack … ein wenig zu scharf geraten“, dessen frauenfeindliches Verhalten habe aber zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Sie habe den Ausdruck nicht zum Zwecke der Beleidigung oder Rufschädigung verwandt. Gegen den Vorwurf, den Abteilungsleiter als „Rassisten“ bezeichnet zu haben, verwahre sie sich.

8

Mit Schreiben vom 21. April 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der Absicht an, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 30. Juni 2009 zu kündigen. Dem Anhörungsschreiben - bestehend aus Deckblatt und Anhang - waren weitere Anlagen beigefügt. Ob auch die Anlagen „2a“ bis „2c“ dazu gehörten, ist zwischen den Parteien streitig gewesen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Kündigung unter dem 24. April 2009 zu.

9

Mit Schreiben ebenfalls vom 24. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009.

10

Hiergegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat außerdem die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt. Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, die von ihr getätigten Äußerungen seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 3. April 2009 selbst zum Ausdruck gebracht, dass keine negative Zukunftsprognose bestehe, wenn sie, die Klägerin, bestimmte Verhaltensweisen richtigstelle. Eine Abmahnung sei daher nicht entbehrlich gewesen. Im Übrigen lasse die Beklagte die jahrelangen Mobbingvorgänge außer Acht, die erst zur Störung des Betriebsfriedens geführt hätten. Überdies sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Auf dem Anhörungsbogen sei ihm mitgeteilt worden, dass sie eine Unterhaltsverpflichtung nur gegenüber einem Kind habe, obwohl die Beklagte positive Kenntnis davon gehabt habe, dass sie drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Zitat zum „Judenvergleich“ sei nicht vollständig und damit entstellt wiedergegeben worden. Die Anlagen „2a“ bis „2c“ seien dem Betriebsrat nicht zugeleitet worden. Der hierzu als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende habe sich widersprüchlich geäußert.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, sie zu den im Arbeitsvertrag vom 14. September 2001 geregelten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung als Stratege im Global Procurement in N bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

13

Die Beklagte hat die Kündigung als wirksam verteidigt. Sie hat gemeint, die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme schwerwiegend verletzt. Sie habe ihre Führungskräfte beleidigt, in ehrverletzender Weise die Fähigkeiten ihres Vorgesetzten in Frage gestellt und die Umstände im Unternehmen mit dem Leid der Juden während der NS-Zeit verglichen. Einer Abmahnung habe es nach dem Schreiben vom 3. April 2009 nicht mehr bedurft. Mit ihrer Stellungnahme vom 16. April 2009 habe die Klägerin ihre Pflichtverletzungen noch manifestiert und verstärkt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte hat behauptet, diesem sei die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin zum einen aus deren E-Mail vom 21. September 2008 bekannt gewesen, die dem Anhörungsschreiben als Anlage „2c“ beigefügt gewesen sei, zum anderen habe er von den persönlichen Verhältnissen der Klägerin ohnehin Kenntnis gehabt. Aus der Anlage „2c“ sei ihm auch der vollständige Inhalt des von der Klägerin angestellten „Judenvergleichs“ bekannt gewesen.

14

Zur Begründung des Auflösungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe sie in zahlreichen Äußerungen gegenüber der Presse als ein diskriminierendes, frauen- und ausländerfeindliches Unternehmen dargestellt, in dem systematisch Mobbing betrieben und keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter genommen werde. Von ihrem „Judenvergleich“ habe sie sich in der Öffentlichkeit nicht distanziert, sondern sie, die Beklagte, bezichtigt, ihr zu Unrecht eine strafbare Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen zu haben. Am 24. Februar 2010 habe die Klägerin eine Strafanzeige gegen sie gestellt. Zusätzlich habe sie Strafanzeigen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz gegen zwei ihrer Mitarbeiter erstattet. Die Klägerin habe die Namen der Mitarbeiter auch öffentlich erwähnt sowie der Presse mitgeteilt und dadurch deren Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigt. Sie habe zudem in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den sie auf ihrer Homepage veröffentlich habe, das Ansehen der Firma beschädigt. Dem Betriebsrat habe sie vorgeworfen, seit Jahren Machtmissbrauch begünstigt und offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert und damit gebilligt zu haben.

15

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei einem erst in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag könnten nur Sachverhalte berücksichtigt werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden seien. Gründe für eine Auflösung seien im Übrigen nicht gegeben. Einem Arbeitgeber, der auf die Beschwerde eines diskriminierten Mitarbeiters nicht reagiere, sei es schon aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben verwehrt, von der Möglichkeit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch zu machen.

16

Die Vorinstanzen haben dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Auf den Hilfsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung von 37.600,00 Euro brutto zum 30. Juni 2009 aufgelöst. Dem Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin verfolgt für den Fall, dass die Revision der Beklagten zurückgewiesen wird, mit ihrer Revision ihr Klagebegehren - soweit dieses erfolglos geblieben ist - weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage nicht stattgeben. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Über die Revision der Klägerin war nicht zu entscheiden.

18

I. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht als sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ansehen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

19

1. Die Revision der Beklagten ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon deshalb unbegründet, weil ihre Berufung unzulässig gewesen wäre.

20

a) Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass sie verworfen wird(BAG 26. März 2013 - 3 AZR 101/11 - Rn. 12). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist ohne Bedeutung (BAG 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 11; 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 9 mwN).

21

b) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 18; 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 13). Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 11. November 2014 - 3 AZR 404/13  - Rn. 18 ).

22

c) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten. Sie stellt die Bewertung des Arbeitsgerichts in Frage, die Kündigung sei mangels vorheriger Abmahnung sozial ungerechtfertigt. Eine Abmahnung sei vielmehr entbehrlich gewesen, weil die erheblichen Pflichtverletzungen der Klägerin einen irreparablen Vertrauensverlust begründet hätten und damit bereits eine negative Prognose vorgelegen habe. Damit hat die Beklagte Umstände bezeichnet, aus denen sich iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts ergeben konnte. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe sich nicht hinreichend mit dem Prognoseprinzip auseinandergesetzt, auf welches das erstinstanzliche Urteil unter anderem gestützt sei, verkennt, dass die Beklagte sich hiermit durchaus befasst, eine negative Prognose aber anders als das Arbeitsgericht aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung auch ohne vorherige Abmahnung als gegeben erachtet hat.

23

2. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 sei sozial ungerechtfertigt.

24

a) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen(BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20; zu § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 24. März 2011 - 2 AZR 282/10 - Rn. 12; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers - wie etwa eine Abmahnung - geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken ( BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 19; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO mwN). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22; 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 39).

25

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

26

c) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.

27

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Beklagte habe mit dem Schreiben vom 3. April 2009 auf ein etwaiges Recht zur Kündigung wegen der beanstandeten Äußerungen der Klägerin nicht verzichtet. Aus dem Schreiben werde vielmehr erkennbar, dass sie eine kündigungsrechtliche Bewertung der Vorgänge bis zum Eingang einer Stellungnahme der Klägerin lediglich zurückgestellt habe. Die Beklagte habe zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Basis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erst wieder sehe, wenn sich die Klägerin innerhalb einer Frist bis zum 17. April 2009 von ihren Äußerungen distanziere und sich bei den betroffenen Mitarbeitern entschuldige. Ein Rechtsfehler ist diesbezüglich weder aufgezeigt noch objektiv ersichtlich.

28

(1) Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 33; 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 11 f.). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gem. §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208).

29

(2) Beim Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 handelt es sich um eine atypische Willenserklärung. Deren Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ist vom Revisionsgericht nur auf Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze zu prüfen.

30

(3) Unter Berücksichtigung des Wortlauts der Erklärung geht das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei davon aus, sie lasse den Willen der Beklagten erkennen, sich eine endgültige rechtliche Bewertung des Sachverhalts bis zum Eingang der Stellungnahme der Klägerin vorzubehalten. Das Schreiben ist weder als Abmahnung bezeichnet noch als solche formuliert. Die Aufforderung zur Stellungnahme dient erkennbar dazu, der Klägerin vor einer abschließenden Bewertung Gelegenheit zu einer Entschuldigung und damit zur Abmilderung der Vorwürfe zu geben. Auch die widerrufliche Freistellung erfolgte lediglich „bis zur endgültigen Klärung des Vorganges“ und ließ sich damit nicht als abschließende Reaktion auf das beanstandete Verhalten verstehen.

31

bb) Hatte die Beklagte demnach nicht auf ein etwaiges Kündigungsrecht verzichtet, bleibt nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts unklar, inwiefern dem Umstand, dass sie ihre Erwartungen an die Klägerin nicht klar genug formuliert habe, für die soziale Rechtfertigung der Kündigung „entscheidende Bedeutung“ zukomme.

32

(1) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe durch eine unklare Formulierung dazu beigetragen, dass die Klägerin nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist die erwarteten Erklärungen abgegeben habe. Dies sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und der Interessenabwägung zu würdigen.

33

(2) Wie es diese Würdigung vorgenommen, insbesondere welche weiteren Umstände es in seine Erwägungen einbezogen hat, lässt sich dem Berufungsurteil jedoch nicht entnehmen. Es bleibt sowohl offen, welche Äußerungen der Klägerin das Landesarbeitsgericht überhaupt als Pflichtverletzungen gewertet noch welche Schwere es ihnen ggf. beigemessen hat.

34

cc) Sollte der Würdigung des Landesarbeitsgerichts die Vorstellung zugrunde gelegen haben, es sei ausreichend, dass die Beklagte eine Wiederherstellung der Vertrauensgrundlage zunächst selbst für möglich gehalten habe, läge darin eine Verkennung der Anforderungen an die soziale Rechtfertigung einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers. Für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine Kündigung „bedingt“, gilt ein objektiver Maßstab(für den wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 29; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; HK-ArbR/Griebeling 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 58; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 22). Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung - bei der ordentlichen Kündigung auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus - aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht (für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bei einer außerordentlichen Kündigung vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, BAGE 134, 349 ). An der danach erforderlichen Prüfung, ob im Zeitpunkt der Kündigung nach den objektiv gegebenen Umständen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - auch ohne eine vorherige Abmahnung - gerechtfertigt war, fehlt es bislang.

35

3. Der Senat kann die Würdigung, ob die Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, nicht selbst vornehmen. Hierfür bedarf es weiterer Feststellungen.

36

a) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, ggf. sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 43; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 f .; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 f.). Mit den E-Mails vom 21. September 2008 und 5. Februar 2009 kann eine solche an die Beklagte gerichtete Drohung verbunden gewesen sein, die Klägerin werde sich an die - amerikanischen - Medien wenden, falls die Beklagte ihre vermeintlichen Ansprüche - wie etwa den, nicht mehr mit dem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen - nicht erfülle. Für die Ermittlung ihres Erklärungsinhalts bedarf es der Auslegung der E-Mails gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Begleitumstände. Daran fehlt es bisher. Dafür, dass die Einschaltung der fraglichen Medien im berechtigten Interesse der Klägerin gelegen haben könnte, ist bislang nichts ersichtlich. Den Parteien wird insofern Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben sein.

37

b) In der Bezeichnung ihres „Chefs“ als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ in der E-Mail der Klägerin vom 21. September 2008 kann eine nicht mehr von der Freiheit der Meinungsäußerung gedeckte Beleidigung liegen. Dies gilt ebenso für die Charakterisierung und Herabwürdigung ihres unmittelbaren Vorgesetzten in der E-Mail vom 30. März 2009. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe; zur ordentlichen Kündigung BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45).

38

c) Beim Vergleich ihrer seelischen Verfassung mit dem Leid der Juden in der NS-Zeit sowie beim Hinweis auf den Mafia-Film „Der Pate“ in der E-Mail der Klägerin vom 5. Februar 2009 wird durch Auslegung zu bestimmen sein, welcher Aussagegehalt den Äußerungen überhaupt beizumessen ist. Dass die Klägerin die betrieblichen Vorgänge bei der Beklagten mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem gleichgesetzt hätte (vgl. dazu BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 19), wie die Beklagte gemeint hat, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Die Klägerin hat ihre „seelischen Qualen“ mit denen der Juden verglichen und dabei darauf hingewiesen, es handele sich um ihr „Erleben und Empfinden“.

39

d) Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB durch eine oder mehrere ihrer Äußerungen verletzt, wird es unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Streitfalls zu prüfen haben, ob es der Beklagten dennoch objektiv zumutbar war, das Arbeitsverhältnis - ggf. nach Abmahnung - auf Dauer fortzusetzen.

40

aa) Hierbei kann zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sein, wenn es für die von ihr erhobenen Vorwürfe gegenüber ihrem „Chef“ oder dem direkten Vorgesetzten eine Tatsachengrundlage gab, wie sie behauptet hat. Das wird das Landesarbeitsgericht ggf. näher aufzuklären haben. Die Äußerungen könnten auch dann weniger schwer wiegen, wenn sich die Klägerin - wie sie geltend gemacht hat - in einer Ausnahmesituation befunden hätte, weil sie den Eindruck hatte, ihre Beschwerden würden bei der Beklagten nicht in der gebotenen Weise bearbeitet.

41

bb) Bei der Würdigung, ob der Beklagten eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch ohne Abmahnung - objektiv - unzumutbar war, kann außerdem der Stellungnahme der Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 Bedeutung zukommen. Soweit die Klägerin darin ihr Bedauern bezüglich einzelner Äußerungen zum Ausdruck gebracht und mit Blick auf andere versucht haben sollte, Klarstellungen vorzunehmen, mag dies zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sein. Andererseits hat sie die Erklärungen nicht von sich aus, sondern erst auf die Aufforderung der Beklagten hin abgegeben. Überdies hat sie sich von den beanstandeten Äußerungen nicht uneingeschränkt distanziert, sondern sie zum Teil sogar bekräftigt.

42

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der Basis der bisherigen Feststellungen angenommen, die Kündigung sei nicht wegen einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

43

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gem. Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

44

aa) Der Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert(BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 16; 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 46).

45

bb) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO; Raab GK-BetrVG 10. Aufl. § 102 Rn. 68 und 94). Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe). Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - aaO).

46

b) Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. April 2009 ordnungsgemäß über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterrichtet.

47

aa) Es fehlt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an einer ausreichenden Darstellung des Kündigungssachverhalts. In der dem Anhörungsschreiben unstreitig beigefügten Anlage mit Ausführungen zur Begründung der beabsichtigten Kündigung hatte die Beklagte den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses erläutert und auf die unter Beteiligung des Betriebsrats geführten Gespräche mit der Klägerin verwiesen. Die E-Mails der Klägerin wurden ebenso in Bezug genommen wie das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009. Die Beklagte teilte ihre Einschätzung mit, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr zu erwarten sei, nachdem diese ihre Äußerungen weder zurückgenommen noch sich für sie entschuldigt habe. Wegen des Inhalts der in Bezug genommenen E-Mails verwies die Beklagte auf die nummerierten weiteren Anlagen.

48

bb) Nach dem vom Landesarbeitsgericht gewürdigten Ergebnis der Beweisaufnahme waren diese Anlagen - einschließlich der Anlage „2c“ - dem Anhörungsschreiben bei der Übergabe an den Betriebsrat beigefügt.

49

(1) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 37, BAGE 149, 355; 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21).

50

(2) Das Landesarbeitsgericht hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei begründet, weshalb es für erwiesen hielt, dass dem Anhörungsschreiben sämtliche Anlagen beigefügt waren. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat berücksichtigt, dass sich die Aussagen des Zeugen E zum Teil widersprachen. Es hat dies nachvollziehbar auf eine Verunsicherung durch die dem Zeugen gestellten Zwischenfragen zurückgeführt. Maßgeblich war für das Landesarbeitsgericht, dass der Zeuge mit Verweis auf die auf den Unterlagen durchgängig aufgebrachten Eingangsvermerke vom 21. April 2009 sicher habe ausschließen können, dass dem Betriebsrat noch nachträglich Unterlagen zugeleitet worden seien. Es hat daraus widerspruchsfrei den Schluss gezogen, die Unterlagen seien dem Betriebsrat vollständig bereits mit dem Anhörungsschreiben zugegangen.

51

cc) Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe einen von ihr angebotenen Sachverständigenbeweis über die Dauer der Verlesung von 29 Textseiten übergangen, ist unzulässig. Die Klägerin hat die erforderliche Kausalität zwischen dem vermeintlichen Verfahrensmangel und dem Ergebnis des Berufungsurteils nicht aufgezeigt (zu diesem Erfordernis vgl.: BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 16; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 12).

52

(1) Die Klägerin macht geltend, das Sachverständigengutachten hätte die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden erschüttert, so dass das Landesarbeitsgericht ihre Glaubhaftigkeit deutlich zurückhaltender beurteilt hätte. Weder innerhalb der nur eine Stunde dauernden (ersten) Betriebsratssitzung noch unter Berücksichtigung einer Befassung in einer weiteren Sitzung hätten die gesamten Unterlagen verlesen werden können.

53

(2) Die Klägerin verkennt, dass für das Landesarbeitsgericht die zu veranschlagende Dauer für eine Verlesung der Anlagen nicht entscheidungserheblich war. Dieses hat lediglich angenommen, der Betriebsrat habe sich mit der Anhörung zu der beabsichtigten Kündigung in zwei Sitzungen befasst. Es ist nicht davon ausgegangen, dass dabei die Anlagen verlesen worden seien. Auch der Zeuge E hat lediglich bekundet, nach seiner Erinnerung habe er alle Unterlagen vorgelesen.

54

dd) Die Anhörung des Betriebsrats war nicht wegen einer fehlerhaften Mitteilung der bestehenden Unterhaltspflichten der Klägerin unzureichend. Allerdings ist die Angabe in dem Anhörungsschreiben falsch gewesen. Die Klägerin war nicht einem, sondern drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Für das Landesarbeitsgericht stand aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Betriebsrat schon aufgrund der mehrfachen Vorbefassung mit der Klägerin über deren Unterhaltspflichten informiert war. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig oder irreführend unterrichtet hätte. Insofern bedarf keiner näheren Prüfung, ob der Beklagten Kenntnis von der zutreffenden Anzahl der Unterhaltspflichten der Klägerin jedenfalls aufgrund der Angabe in ihrer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden zuzurechnen war. Die Klägerin hat selbst darauf hingewiesen, dass sich aus ihrer Lohnsteuerkarte nur ein zu berücksichtigendes Kind ergeben habe. Für den Betriebsrat, der die zutreffende Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin kannte, war ebenfalls erkennbar, dass es sich bei der Angabe in dem Anhörungsbogen nur um einen Irrtum bzw. um die aus der Lohnsteuerkarte ersichtliche Zahl unterhaltspflichtiger Kinder der Klägerin handeln konnte.

55

ee) Einer näheren Darlegung im Rahmen der Anhörung, wie die Beklagte die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen hatte, bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, implizierte eine Abwägung zulasten der Klägerin (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

56

c) Die Beklagte hat die Kündigung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht aus ihrem Machtbereich herausgegeben, bevor ihr die Zustimmung und damit eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorlag.

57

II. Der Senat kann über die soziale Rechtfertigung der Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend entscheiden. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegen auch die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie über die Anträge der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Den Auflösungsantrag hat die Beklagte nur hilfsweise für den Fall gestellt, dass der Kündigungsschutzantrag der Klägerin Erfolg hat. Der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist ausdrücklich nur für den Fall ihres Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Da er nur dann Erfolg haben kann, wenn außerdem der Auflösungsantrag abgewiesen wird, steht er konkludent auch unter dieser weiteren - innerprozessualen - Bedingung. Ebenso ist der auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses gerichtete Antrag zu verstehen, da die Klägerin mit ihm nach dem vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten und von ihr nicht beanstandeten Verständnis ein Zwischenzeugnis nur für den Fall des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses begehrt.

58

III. Über die Revision der Klägerin war nicht mehr zu entscheiden. Mit ihr verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren, soweit dieses erfolglos geblieben ist, entsprechend der materiell- und prozessrechtlichen Lage nur für den Fall weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags, dass sie mit ihrem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, Erfolg hat. Diese - innerprozessuale - Bedingung ist nicht eingetreten. Von der Aufhebung und Zurückverweisung aufgrund der erfolgreichen Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag sind im Übrigen die Entscheidungen über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie die Anträge der Klägerin auf Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses bereits erfasst.

59

IV. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat - sollte das Landesarbeitsgericht wiederum über den Auflösungsantrag zu entscheiden haben - darauf hin, dass es diesem mit der bisherigen Begründung nicht stattgeben durfte.

60

1. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47). Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 3 b aa der Gründe; BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 d cc der Gründe; 24. Mai 2005 - 8 AZR 246/04 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 114, 362).

61

2. Das Landesarbeitsgericht hat - entgegen der Auffassung der Klägerin - zu Recht angenommen, die Beklagte sei mit Gründen, die bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vorlagen, nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst in der Berufungsinstanz beantragt hat. Im Gesetzeswortlaut ist eine solche Beschränkung der für die Zukunftsprognose zu berücksichtigenden Gründe nicht angelegt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszweck der Norm. Nur aus einer umfassenden Gesamtschau der zum Zeitpunkt der Auflösungsentscheidung maßgeblichen Umstände kann eine gesicherte Prognose darüber getroffen werden, ob für die Zukunft noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu erwarten ist. Dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, nicht weit zurückliegende Vorfälle ohne Aussagekraft für die zukünftig zu erwartende Zusammenarbeit als Auflösungsgründe heranzuziehen, ist dadurch Rechnung getragen, dass es auf die Beurteilung der objektiven Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung ankommt. Zu diesem Zeitpunkt können aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit verbundener veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände länger zurückliegende Umstände ihre Bedeutung für die erforderliche Zukunftsprognose verloren haben (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe).

62

3. Die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorgesehene Möglichkeit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - verfassungskonform(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

63

a) Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nicht zu erwarten ist. Die Bestimmung dient damit ebenso wie die übrigen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einer Fortsetzung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein über die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes hinausgehender Bestandsschutz ist durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht gefordert(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe). Bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein Sachverhalt vorliegt, der die Auflösung rechtfertigen kann, haben die Arbeitsgerichte die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und Arbeitnehmers zu berücksichtigen und abzuwägen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - aaO).

64

b) Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG beschränkt nicht in grundrechtswidriger Art und Weise die Eigentumsrechte des Arbeitnehmers. Es handelt sich vielmehr - auch unter Berücksichtigung von § 10 KSchG - um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums iSv. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG(BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Ansprüche des Arbeitnehmers auf Verzugslohn werden bei Erklärung einer sozial ungerechtfertigten Kündigung erst dann zu grundrechtlich geschützten Vermögenspositionen, wenn ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch das Gericht zurückgewiesen wird (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 3 der Gründe, BAGE 46, 42).

65

c) Auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt nicht vor (BVerfG 13. August 1991 - 1 BvR 128/87 - zu II der Gründe; 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 4 der Gründe, BAGE 46, 42). Dem Gesetzgeber obliegt es, bei der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts Grundrechtsprinzipien angemessen zu berücksichtigen. Hierzu zählen auch die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Durch die §§ 9, 10 KSchG wird keiner dieser Grundsätze verletzt. Für den Arbeitnehmer ist im Kündigungsschutzprozess von Anfang an erkennbar, dass ein Verzugslohnanspruch von der Möglichkeit eines Auflösungsantrags beschränkt ist und dass dieses Gestaltungsinstrument bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufung gegeben ist (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Die gesetzliche Vorgabe, den Auflösungszeitpunkt auf das Ende des Arbeitsverhältnisses bei unterstellter Wirksamkeit der Kündigung zu bestimmen, liegt ebenfalls innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 2 der Gründe, aaO). Der Einwand der Klägerin, damit habe es allein der Arbeitgeber in der Hand, die Auflösung herbeizuführen, trifft nicht zu. Voraussetzung für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist neben einem Antrag des Arbeitgebers, dass die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nach Abwägung der wechselseitigen Grundrechtspositionen die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten(BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

66

4. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei für die Zukunft nicht zu erwarten, wird jedoch von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen.

67

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das von der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung gezeigte Verhalten lasse nicht erwarten, dass künftige Meinungsverschiedenheiten, wie sie in Betrieben immer wieder aufträten, in der gebotenen Sachlichkeit ausgetragen würden. Es hat die Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Beklagten aufgrund der unter II 2 c cb der Entscheidungsgründe aufgeführten Umstände als gegeben erachtet. Dieses Ergebnis hat es - soweit ersichtlich - aufgrund einer Gesamtschau dieser Umstände gewonnen und nicht angenommen, jeder dieser Faktoren rechtfertige bereits für sich genommen die Auflösung.

68

b) Zumindest der Gesichtspunkt, der Klägerin sei es auch im Berufungsverfahren „nicht gelungen, von ihrem ‚Angriffsmodus’ abzukehren“, lässt nicht erkennen, welche Tatsachen das Landesarbeitsgericht insoweit zugrunde gelegt hat. Zudem wird aus dem Berufungsurteil nicht ersichtlich, ob und ggf. inwiefern das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung darauf Bedacht genommen hat, dass das Verhalten einer Partei in einem Gerichtsverfahren durch berechtigte Interessen gedeckt sein kann. Die Verfahrensbeteiligten dürfen zur Rechtsverteidigung alles vortragen, was rechtserheblich sein kann und sich dabei auch starker, eindringlicher Ausdrücke und Schlagworte bedienen, selbst wenn eine vorsichtigere Formulierung möglich gewesen wäre (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

69

c) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe sich auch nach der Kündigung nicht in ausreichendem Maße mit dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 3. April 2009 auseinandergesetzt, bleibt unklar, weshalb es für sie noch nach Ausspruch der Kündigung Veranlassung gegeben habe, sich um eine „Wiederherstellung des Vertrauens in ihre Person“ zu bemühen, bzw. weshalb dies „nahegelegen“ habe. Das Landesarbeitsgericht hat auf die „Bildung“ der Klägerin und ihr „selbst in Anspruch genommene(s) internationale(s) Format(…)“ verwiesen. Es hat aber nicht gewürdigt, dass die Beklagte selbst durch die Erklärung der Kündigung zu verstehen gegeben hatte, dass sie für eine künftige Zusammenarbeit mit der Klägerin keine Grundlage mehr sah.

70

d) Mit Blick auf die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Strafanzeige, die die Klägerin gegen Mitarbeiter der Beklagten erstattet habe, fehlt es an Feststellungen sowohl zu ihrem näheren Inhalt als auch zu den Umständen ihrer Erstattung.

71

e) Für die Beurteilung, ob der offene Brief an die Bundeskanzlerin einer zukünftigen gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegensteht, ist nicht unerheblich, welchen Kreisen von Lesern er zugänglich war und wie lange die Veröffentlichung zurückliegt. Dazu sind bislang keine Feststellungen getroffen. Bei der Würdigung der in dem Brief enthaltenen Aussagen ist überdies angemessen auf die Meinungsfreiheit der Klägerin Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35).

72

f) Entsprechendes gilt für die Kritik der Klägerin am Betriebsrat.

73

aa) In der E-Mail vom 23. April 2009 hat die Klägerin es als bedauerlich bezeichnet, dass sich „die Arbeitnehmervertretung (…) derart dämlich verhält“. Insofern bedarf der Auslegung, ob dies für die Mitglieder des Betriebsrats als gegen sie - alle - persönlich gerichtete Kritik zu verstehen war. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Erklärung aber noch nicht zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in der Person herabsetzen soll (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312).

74

bb) Die E-Mail vom 31. August 2009 schließt „mit dem Anlass entsprechenden Grüßen diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat“. Die Klägerin hat darin aber auch die im Zusammenhang mit der Kündigung stehenden Ereignisse und die - vermeintliche - Rolle des Betriebsrats dabei aus ihrer Sicht dargestellt. Sie hat dem Betriebsrat in der Sache vorgeworfen, sowohl den ihrer Meinung nach unrechtmäßigen Zugriff auf ihr E-Mail-Konto gebilligt zu haben als auch eine gesetzeswidrige Öffnung der Büroschränke.

75

g) Hinsichtlich aller geltend gemachter Auflösungsgründe bedarf im Übrigen der Prüfung, ob und inwiefern ihnen, selbst wenn sie Jahre zurückliegen, weiterhin Bedeutung für eine zukünftige Zusammenarbeit der Parteien zukommt.

76

h) Ein Teil des Vorbringens der Beklagten zur Begründung des Auflösungsantrags ist bislang unberücksichtigt geblieben. Die Beklagte hat sich auf „zahlreiche Äußerungen (der Klägerin) gegenüber der Presse“ berufen, was auch die Namen der Mitarbeiter, gegen die sie Strafanzeige gestellt habe, umfasse.

77

V. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Für den Senat stellen sich keine für seine Entscheidung erheblichen Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht. Es bedarf auch keiner näheren Untersuchung, ob die von der Klägerin aufgeworfenen Fragestellungen nicht nur die Anwendung, sondern die Auslegung von Unionsrecht betreffen. Bislang ist nicht festgestellt, dass die Beklagte auf Beschwerden der Klägerin, sie werde diskriminiert, nicht reagiert hätte.

        

    Der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft
ist infolge seiner Versetzung in den Ruhestand
mit Ablauf des 31. Januar 2016 an der
Unterschriftsleistung verhindert.
Berger    

        

    Berger    

        

    Rachor     

        

        

        

    K. Schierle    

        

    Niebler    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einen Auflösungsantrag der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt. Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert.

3

In einer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten führte die Klägerin aus, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt, sie habe eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Die Klägerin wies in der E-Mail darauf hin, dass sie drei unterhaltspflichtige Kinder habe.

4

Mit ebenfalls an den damaligen Vorstandsvorsitzenden gerichteter E-Mail vom 5. Februar 2009 teilte die Klägerin erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. In der E-Mail hieß es auszugsweise:

        

„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz.“

5

Mit E-Mail vom 30. März 2009 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ an ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Sie hielt ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vor, ferner, dass er seine Position nur innehabe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Seine Fähigkeiten reichten offensichtlich nicht dazu, als Führungskraft zu fungieren. Er verstehe nicht einmal „den Unterschied zwischen Kosten und Preis“. Die Klägerin versandte die E-Mail an weitere zwölf Mitarbeiter der Beklagten.

6

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2009 darauf hin, dass ihre Äußerungen durch ihr Beschwerderecht und das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr gedeckt seien. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die in der E-Mail vom 5. Februar 2009 enthaltenen Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Das Schreiben lautete auszugsweise:

        

„Sie haben mit diesen Vergleichen und Behauptungen arbeitsrechtliche Kündigungsgründe geliefert. Wir fordern Sie daher auf, alle von Ihnen gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von Ihnen informierten Personen und der S AG schriftlich bis zum 17. April 2009 zurückzunehmen. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis zum 17. April 2009 zu entschuldigen. Wir erwarten, dass Sie derartige Äußerungen künftig unterlassen.

        

Sollten derartige oder sinngemäß gleiche Äußerungen wiederholt werden oder sollte keine Rücknahme erfolgen, werden wir arbeitsrechtliche Maßnahmen einleiten, die bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen können.

        

Bis zur endgültigen Klärung des Vorganges stellen wir Sie widerruflich unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei.“

7

Die Klägerin nahm zu dem Schreiben mit E-Mail vom 16. April 2009 Stellung. Die Bezeichnung ihres Vorgesetzten als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ sei „auch für (ihren) Geschmack … ein wenig zu scharf geraten“, dessen frauenfeindliches Verhalten habe aber zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Sie habe den Ausdruck nicht zum Zwecke der Beleidigung oder Rufschädigung verwandt. Gegen den Vorwurf, den Abteilungsleiter als „Rassisten“ bezeichnet zu haben, verwahre sie sich.

8

Mit Schreiben vom 21. April 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der Absicht an, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 30. Juni 2009 zu kündigen. Dem Anhörungsschreiben - bestehend aus Deckblatt und Anhang - waren weitere Anlagen beigefügt. Ob auch die Anlagen „2a“ bis „2c“ dazu gehörten, ist zwischen den Parteien streitig gewesen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Kündigung unter dem 24. April 2009 zu.

9

Mit Schreiben ebenfalls vom 24. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009.

10

Hiergegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat außerdem die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt. Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, die von ihr getätigten Äußerungen seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 3. April 2009 selbst zum Ausdruck gebracht, dass keine negative Zukunftsprognose bestehe, wenn sie, die Klägerin, bestimmte Verhaltensweisen richtigstelle. Eine Abmahnung sei daher nicht entbehrlich gewesen. Im Übrigen lasse die Beklagte die jahrelangen Mobbingvorgänge außer Acht, die erst zur Störung des Betriebsfriedens geführt hätten. Überdies sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Auf dem Anhörungsbogen sei ihm mitgeteilt worden, dass sie eine Unterhaltsverpflichtung nur gegenüber einem Kind habe, obwohl die Beklagte positive Kenntnis davon gehabt habe, dass sie drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Zitat zum „Judenvergleich“ sei nicht vollständig und damit entstellt wiedergegeben worden. Die Anlagen „2a“ bis „2c“ seien dem Betriebsrat nicht zugeleitet worden. Der hierzu als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende habe sich widersprüchlich geäußert.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, sie zu den im Arbeitsvertrag vom 14. September 2001 geregelten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung als Stratege im Global Procurement in N bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

13

Die Beklagte hat die Kündigung als wirksam verteidigt. Sie hat gemeint, die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme schwerwiegend verletzt. Sie habe ihre Führungskräfte beleidigt, in ehrverletzender Weise die Fähigkeiten ihres Vorgesetzten in Frage gestellt und die Umstände im Unternehmen mit dem Leid der Juden während der NS-Zeit verglichen. Einer Abmahnung habe es nach dem Schreiben vom 3. April 2009 nicht mehr bedurft. Mit ihrer Stellungnahme vom 16. April 2009 habe die Klägerin ihre Pflichtverletzungen noch manifestiert und verstärkt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte hat behauptet, diesem sei die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin zum einen aus deren E-Mail vom 21. September 2008 bekannt gewesen, die dem Anhörungsschreiben als Anlage „2c“ beigefügt gewesen sei, zum anderen habe er von den persönlichen Verhältnissen der Klägerin ohnehin Kenntnis gehabt. Aus der Anlage „2c“ sei ihm auch der vollständige Inhalt des von der Klägerin angestellten „Judenvergleichs“ bekannt gewesen.

14

Zur Begründung des Auflösungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe sie in zahlreichen Äußerungen gegenüber der Presse als ein diskriminierendes, frauen- und ausländerfeindliches Unternehmen dargestellt, in dem systematisch Mobbing betrieben und keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter genommen werde. Von ihrem „Judenvergleich“ habe sie sich in der Öffentlichkeit nicht distanziert, sondern sie, die Beklagte, bezichtigt, ihr zu Unrecht eine strafbare Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen zu haben. Am 24. Februar 2010 habe die Klägerin eine Strafanzeige gegen sie gestellt. Zusätzlich habe sie Strafanzeigen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz gegen zwei ihrer Mitarbeiter erstattet. Die Klägerin habe die Namen der Mitarbeiter auch öffentlich erwähnt sowie der Presse mitgeteilt und dadurch deren Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigt. Sie habe zudem in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den sie auf ihrer Homepage veröffentlich habe, das Ansehen der Firma beschädigt. Dem Betriebsrat habe sie vorgeworfen, seit Jahren Machtmissbrauch begünstigt und offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert und damit gebilligt zu haben.

15

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei einem erst in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag könnten nur Sachverhalte berücksichtigt werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden seien. Gründe für eine Auflösung seien im Übrigen nicht gegeben. Einem Arbeitgeber, der auf die Beschwerde eines diskriminierten Mitarbeiters nicht reagiere, sei es schon aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben verwehrt, von der Möglichkeit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch zu machen.

16

Die Vorinstanzen haben dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Auf den Hilfsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung von 37.600,00 Euro brutto zum 30. Juni 2009 aufgelöst. Dem Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin verfolgt für den Fall, dass die Revision der Beklagten zurückgewiesen wird, mit ihrer Revision ihr Klagebegehren - soweit dieses erfolglos geblieben ist - weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage nicht stattgeben. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Über die Revision der Klägerin war nicht zu entscheiden.

18

I. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht als sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ansehen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

19

1. Die Revision der Beklagten ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon deshalb unbegründet, weil ihre Berufung unzulässig gewesen wäre.

20

a) Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass sie verworfen wird(BAG 26. März 2013 - 3 AZR 101/11 - Rn. 12). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist ohne Bedeutung (BAG 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 11; 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 9 mwN).

21

b) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 18; 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 13). Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 11. November 2014 - 3 AZR 404/13  - Rn. 18 ).

22

c) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten. Sie stellt die Bewertung des Arbeitsgerichts in Frage, die Kündigung sei mangels vorheriger Abmahnung sozial ungerechtfertigt. Eine Abmahnung sei vielmehr entbehrlich gewesen, weil die erheblichen Pflichtverletzungen der Klägerin einen irreparablen Vertrauensverlust begründet hätten und damit bereits eine negative Prognose vorgelegen habe. Damit hat die Beklagte Umstände bezeichnet, aus denen sich iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts ergeben konnte. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe sich nicht hinreichend mit dem Prognoseprinzip auseinandergesetzt, auf welches das erstinstanzliche Urteil unter anderem gestützt sei, verkennt, dass die Beklagte sich hiermit durchaus befasst, eine negative Prognose aber anders als das Arbeitsgericht aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung auch ohne vorherige Abmahnung als gegeben erachtet hat.

23

2. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 sei sozial ungerechtfertigt.

24

a) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen(BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20; zu § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 24. März 2011 - 2 AZR 282/10 - Rn. 12; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers - wie etwa eine Abmahnung - geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken ( BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 19; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO mwN). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22; 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 39).

25

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

26

c) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.

27

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Beklagte habe mit dem Schreiben vom 3. April 2009 auf ein etwaiges Recht zur Kündigung wegen der beanstandeten Äußerungen der Klägerin nicht verzichtet. Aus dem Schreiben werde vielmehr erkennbar, dass sie eine kündigungsrechtliche Bewertung der Vorgänge bis zum Eingang einer Stellungnahme der Klägerin lediglich zurückgestellt habe. Die Beklagte habe zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Basis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erst wieder sehe, wenn sich die Klägerin innerhalb einer Frist bis zum 17. April 2009 von ihren Äußerungen distanziere und sich bei den betroffenen Mitarbeitern entschuldige. Ein Rechtsfehler ist diesbezüglich weder aufgezeigt noch objektiv ersichtlich.

28

(1) Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 33; 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 11 f.). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gem. §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208).

29

(2) Beim Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 handelt es sich um eine atypische Willenserklärung. Deren Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ist vom Revisionsgericht nur auf Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze zu prüfen.

30

(3) Unter Berücksichtigung des Wortlauts der Erklärung geht das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei davon aus, sie lasse den Willen der Beklagten erkennen, sich eine endgültige rechtliche Bewertung des Sachverhalts bis zum Eingang der Stellungnahme der Klägerin vorzubehalten. Das Schreiben ist weder als Abmahnung bezeichnet noch als solche formuliert. Die Aufforderung zur Stellungnahme dient erkennbar dazu, der Klägerin vor einer abschließenden Bewertung Gelegenheit zu einer Entschuldigung und damit zur Abmilderung der Vorwürfe zu geben. Auch die widerrufliche Freistellung erfolgte lediglich „bis zur endgültigen Klärung des Vorganges“ und ließ sich damit nicht als abschließende Reaktion auf das beanstandete Verhalten verstehen.

31

bb) Hatte die Beklagte demnach nicht auf ein etwaiges Kündigungsrecht verzichtet, bleibt nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts unklar, inwiefern dem Umstand, dass sie ihre Erwartungen an die Klägerin nicht klar genug formuliert habe, für die soziale Rechtfertigung der Kündigung „entscheidende Bedeutung“ zukomme.

32

(1) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe durch eine unklare Formulierung dazu beigetragen, dass die Klägerin nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist die erwarteten Erklärungen abgegeben habe. Dies sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und der Interessenabwägung zu würdigen.

33

(2) Wie es diese Würdigung vorgenommen, insbesondere welche weiteren Umstände es in seine Erwägungen einbezogen hat, lässt sich dem Berufungsurteil jedoch nicht entnehmen. Es bleibt sowohl offen, welche Äußerungen der Klägerin das Landesarbeitsgericht überhaupt als Pflichtverletzungen gewertet noch welche Schwere es ihnen ggf. beigemessen hat.

34

cc) Sollte der Würdigung des Landesarbeitsgerichts die Vorstellung zugrunde gelegen haben, es sei ausreichend, dass die Beklagte eine Wiederherstellung der Vertrauensgrundlage zunächst selbst für möglich gehalten habe, läge darin eine Verkennung der Anforderungen an die soziale Rechtfertigung einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers. Für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine Kündigung „bedingt“, gilt ein objektiver Maßstab(für den wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 29; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; HK-ArbR/Griebeling 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 58; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 22). Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung - bei der ordentlichen Kündigung auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus - aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht (für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bei einer außerordentlichen Kündigung vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, BAGE 134, 349 ). An der danach erforderlichen Prüfung, ob im Zeitpunkt der Kündigung nach den objektiv gegebenen Umständen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - auch ohne eine vorherige Abmahnung - gerechtfertigt war, fehlt es bislang.

35

3. Der Senat kann die Würdigung, ob die Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, nicht selbst vornehmen. Hierfür bedarf es weiterer Feststellungen.

36

a) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, ggf. sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 43; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 f .; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 f.). Mit den E-Mails vom 21. September 2008 und 5. Februar 2009 kann eine solche an die Beklagte gerichtete Drohung verbunden gewesen sein, die Klägerin werde sich an die - amerikanischen - Medien wenden, falls die Beklagte ihre vermeintlichen Ansprüche - wie etwa den, nicht mehr mit dem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen - nicht erfülle. Für die Ermittlung ihres Erklärungsinhalts bedarf es der Auslegung der E-Mails gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Begleitumstände. Daran fehlt es bisher. Dafür, dass die Einschaltung der fraglichen Medien im berechtigten Interesse der Klägerin gelegen haben könnte, ist bislang nichts ersichtlich. Den Parteien wird insofern Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben sein.

37

b) In der Bezeichnung ihres „Chefs“ als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ in der E-Mail der Klägerin vom 21. September 2008 kann eine nicht mehr von der Freiheit der Meinungsäußerung gedeckte Beleidigung liegen. Dies gilt ebenso für die Charakterisierung und Herabwürdigung ihres unmittelbaren Vorgesetzten in der E-Mail vom 30. März 2009. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe; zur ordentlichen Kündigung BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45).

38

c) Beim Vergleich ihrer seelischen Verfassung mit dem Leid der Juden in der NS-Zeit sowie beim Hinweis auf den Mafia-Film „Der Pate“ in der E-Mail der Klägerin vom 5. Februar 2009 wird durch Auslegung zu bestimmen sein, welcher Aussagegehalt den Äußerungen überhaupt beizumessen ist. Dass die Klägerin die betrieblichen Vorgänge bei der Beklagten mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem gleichgesetzt hätte (vgl. dazu BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 19), wie die Beklagte gemeint hat, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Die Klägerin hat ihre „seelischen Qualen“ mit denen der Juden verglichen und dabei darauf hingewiesen, es handele sich um ihr „Erleben und Empfinden“.

39

d) Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB durch eine oder mehrere ihrer Äußerungen verletzt, wird es unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Streitfalls zu prüfen haben, ob es der Beklagten dennoch objektiv zumutbar war, das Arbeitsverhältnis - ggf. nach Abmahnung - auf Dauer fortzusetzen.

40

aa) Hierbei kann zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sein, wenn es für die von ihr erhobenen Vorwürfe gegenüber ihrem „Chef“ oder dem direkten Vorgesetzten eine Tatsachengrundlage gab, wie sie behauptet hat. Das wird das Landesarbeitsgericht ggf. näher aufzuklären haben. Die Äußerungen könnten auch dann weniger schwer wiegen, wenn sich die Klägerin - wie sie geltend gemacht hat - in einer Ausnahmesituation befunden hätte, weil sie den Eindruck hatte, ihre Beschwerden würden bei der Beklagten nicht in der gebotenen Weise bearbeitet.

41

bb) Bei der Würdigung, ob der Beklagten eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch ohne Abmahnung - objektiv - unzumutbar war, kann außerdem der Stellungnahme der Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 Bedeutung zukommen. Soweit die Klägerin darin ihr Bedauern bezüglich einzelner Äußerungen zum Ausdruck gebracht und mit Blick auf andere versucht haben sollte, Klarstellungen vorzunehmen, mag dies zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sein. Andererseits hat sie die Erklärungen nicht von sich aus, sondern erst auf die Aufforderung der Beklagten hin abgegeben. Überdies hat sie sich von den beanstandeten Äußerungen nicht uneingeschränkt distanziert, sondern sie zum Teil sogar bekräftigt.

42

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der Basis der bisherigen Feststellungen angenommen, die Kündigung sei nicht wegen einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

43

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gem. Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

44

aa) Der Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert(BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 16; 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 46).

45

bb) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO; Raab GK-BetrVG 10. Aufl. § 102 Rn. 68 und 94). Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe). Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - aaO).

46

b) Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. April 2009 ordnungsgemäß über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterrichtet.

47

aa) Es fehlt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an einer ausreichenden Darstellung des Kündigungssachverhalts. In der dem Anhörungsschreiben unstreitig beigefügten Anlage mit Ausführungen zur Begründung der beabsichtigten Kündigung hatte die Beklagte den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses erläutert und auf die unter Beteiligung des Betriebsrats geführten Gespräche mit der Klägerin verwiesen. Die E-Mails der Klägerin wurden ebenso in Bezug genommen wie das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009. Die Beklagte teilte ihre Einschätzung mit, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr zu erwarten sei, nachdem diese ihre Äußerungen weder zurückgenommen noch sich für sie entschuldigt habe. Wegen des Inhalts der in Bezug genommenen E-Mails verwies die Beklagte auf die nummerierten weiteren Anlagen.

48

bb) Nach dem vom Landesarbeitsgericht gewürdigten Ergebnis der Beweisaufnahme waren diese Anlagen - einschließlich der Anlage „2c“ - dem Anhörungsschreiben bei der Übergabe an den Betriebsrat beigefügt.

49

(1) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 37, BAGE 149, 355; 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21).

50

(2) Das Landesarbeitsgericht hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei begründet, weshalb es für erwiesen hielt, dass dem Anhörungsschreiben sämtliche Anlagen beigefügt waren. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat berücksichtigt, dass sich die Aussagen des Zeugen E zum Teil widersprachen. Es hat dies nachvollziehbar auf eine Verunsicherung durch die dem Zeugen gestellten Zwischenfragen zurückgeführt. Maßgeblich war für das Landesarbeitsgericht, dass der Zeuge mit Verweis auf die auf den Unterlagen durchgängig aufgebrachten Eingangsvermerke vom 21. April 2009 sicher habe ausschließen können, dass dem Betriebsrat noch nachträglich Unterlagen zugeleitet worden seien. Es hat daraus widerspruchsfrei den Schluss gezogen, die Unterlagen seien dem Betriebsrat vollständig bereits mit dem Anhörungsschreiben zugegangen.

51

cc) Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe einen von ihr angebotenen Sachverständigenbeweis über die Dauer der Verlesung von 29 Textseiten übergangen, ist unzulässig. Die Klägerin hat die erforderliche Kausalität zwischen dem vermeintlichen Verfahrensmangel und dem Ergebnis des Berufungsurteils nicht aufgezeigt (zu diesem Erfordernis vgl.: BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 16; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 12).

52

(1) Die Klägerin macht geltend, das Sachverständigengutachten hätte die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden erschüttert, so dass das Landesarbeitsgericht ihre Glaubhaftigkeit deutlich zurückhaltender beurteilt hätte. Weder innerhalb der nur eine Stunde dauernden (ersten) Betriebsratssitzung noch unter Berücksichtigung einer Befassung in einer weiteren Sitzung hätten die gesamten Unterlagen verlesen werden können.

53

(2) Die Klägerin verkennt, dass für das Landesarbeitsgericht die zu veranschlagende Dauer für eine Verlesung der Anlagen nicht entscheidungserheblich war. Dieses hat lediglich angenommen, der Betriebsrat habe sich mit der Anhörung zu der beabsichtigten Kündigung in zwei Sitzungen befasst. Es ist nicht davon ausgegangen, dass dabei die Anlagen verlesen worden seien. Auch der Zeuge E hat lediglich bekundet, nach seiner Erinnerung habe er alle Unterlagen vorgelesen.

54

dd) Die Anhörung des Betriebsrats war nicht wegen einer fehlerhaften Mitteilung der bestehenden Unterhaltspflichten der Klägerin unzureichend. Allerdings ist die Angabe in dem Anhörungsschreiben falsch gewesen. Die Klägerin war nicht einem, sondern drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Für das Landesarbeitsgericht stand aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Betriebsrat schon aufgrund der mehrfachen Vorbefassung mit der Klägerin über deren Unterhaltspflichten informiert war. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig oder irreführend unterrichtet hätte. Insofern bedarf keiner näheren Prüfung, ob der Beklagten Kenntnis von der zutreffenden Anzahl der Unterhaltspflichten der Klägerin jedenfalls aufgrund der Angabe in ihrer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden zuzurechnen war. Die Klägerin hat selbst darauf hingewiesen, dass sich aus ihrer Lohnsteuerkarte nur ein zu berücksichtigendes Kind ergeben habe. Für den Betriebsrat, der die zutreffende Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin kannte, war ebenfalls erkennbar, dass es sich bei der Angabe in dem Anhörungsbogen nur um einen Irrtum bzw. um die aus der Lohnsteuerkarte ersichtliche Zahl unterhaltspflichtiger Kinder der Klägerin handeln konnte.

55

ee) Einer näheren Darlegung im Rahmen der Anhörung, wie die Beklagte die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen hatte, bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, implizierte eine Abwägung zulasten der Klägerin (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

56

c) Die Beklagte hat die Kündigung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht aus ihrem Machtbereich herausgegeben, bevor ihr die Zustimmung und damit eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorlag.

57

II. Der Senat kann über die soziale Rechtfertigung der Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend entscheiden. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegen auch die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie über die Anträge der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Den Auflösungsantrag hat die Beklagte nur hilfsweise für den Fall gestellt, dass der Kündigungsschutzantrag der Klägerin Erfolg hat. Der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist ausdrücklich nur für den Fall ihres Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Da er nur dann Erfolg haben kann, wenn außerdem der Auflösungsantrag abgewiesen wird, steht er konkludent auch unter dieser weiteren - innerprozessualen - Bedingung. Ebenso ist der auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses gerichtete Antrag zu verstehen, da die Klägerin mit ihm nach dem vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten und von ihr nicht beanstandeten Verständnis ein Zwischenzeugnis nur für den Fall des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses begehrt.

58

III. Über die Revision der Klägerin war nicht mehr zu entscheiden. Mit ihr verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren, soweit dieses erfolglos geblieben ist, entsprechend der materiell- und prozessrechtlichen Lage nur für den Fall weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags, dass sie mit ihrem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, Erfolg hat. Diese - innerprozessuale - Bedingung ist nicht eingetreten. Von der Aufhebung und Zurückverweisung aufgrund der erfolgreichen Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag sind im Übrigen die Entscheidungen über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie die Anträge der Klägerin auf Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses bereits erfasst.

59

IV. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat - sollte das Landesarbeitsgericht wiederum über den Auflösungsantrag zu entscheiden haben - darauf hin, dass es diesem mit der bisherigen Begründung nicht stattgeben durfte.

60

1. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47). Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 3 b aa der Gründe; BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 d cc der Gründe; 24. Mai 2005 - 8 AZR 246/04 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 114, 362).

61

2. Das Landesarbeitsgericht hat - entgegen der Auffassung der Klägerin - zu Recht angenommen, die Beklagte sei mit Gründen, die bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vorlagen, nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst in der Berufungsinstanz beantragt hat. Im Gesetzeswortlaut ist eine solche Beschränkung der für die Zukunftsprognose zu berücksichtigenden Gründe nicht angelegt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszweck der Norm. Nur aus einer umfassenden Gesamtschau der zum Zeitpunkt der Auflösungsentscheidung maßgeblichen Umstände kann eine gesicherte Prognose darüber getroffen werden, ob für die Zukunft noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu erwarten ist. Dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, nicht weit zurückliegende Vorfälle ohne Aussagekraft für die zukünftig zu erwartende Zusammenarbeit als Auflösungsgründe heranzuziehen, ist dadurch Rechnung getragen, dass es auf die Beurteilung der objektiven Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung ankommt. Zu diesem Zeitpunkt können aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit verbundener veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände länger zurückliegende Umstände ihre Bedeutung für die erforderliche Zukunftsprognose verloren haben (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe).

62

3. Die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorgesehene Möglichkeit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - verfassungskonform(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

63

a) Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nicht zu erwarten ist. Die Bestimmung dient damit ebenso wie die übrigen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einer Fortsetzung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein über die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes hinausgehender Bestandsschutz ist durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht gefordert(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe). Bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein Sachverhalt vorliegt, der die Auflösung rechtfertigen kann, haben die Arbeitsgerichte die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und Arbeitnehmers zu berücksichtigen und abzuwägen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - aaO).

64

b) Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG beschränkt nicht in grundrechtswidriger Art und Weise die Eigentumsrechte des Arbeitnehmers. Es handelt sich vielmehr - auch unter Berücksichtigung von § 10 KSchG - um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums iSv. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG(BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Ansprüche des Arbeitnehmers auf Verzugslohn werden bei Erklärung einer sozial ungerechtfertigten Kündigung erst dann zu grundrechtlich geschützten Vermögenspositionen, wenn ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch das Gericht zurückgewiesen wird (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 3 der Gründe, BAGE 46, 42).

65

c) Auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt nicht vor (BVerfG 13. August 1991 - 1 BvR 128/87 - zu II der Gründe; 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 4 der Gründe, BAGE 46, 42). Dem Gesetzgeber obliegt es, bei der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts Grundrechtsprinzipien angemessen zu berücksichtigen. Hierzu zählen auch die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Durch die §§ 9, 10 KSchG wird keiner dieser Grundsätze verletzt. Für den Arbeitnehmer ist im Kündigungsschutzprozess von Anfang an erkennbar, dass ein Verzugslohnanspruch von der Möglichkeit eines Auflösungsantrags beschränkt ist und dass dieses Gestaltungsinstrument bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufung gegeben ist (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Die gesetzliche Vorgabe, den Auflösungszeitpunkt auf das Ende des Arbeitsverhältnisses bei unterstellter Wirksamkeit der Kündigung zu bestimmen, liegt ebenfalls innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 2 der Gründe, aaO). Der Einwand der Klägerin, damit habe es allein der Arbeitgeber in der Hand, die Auflösung herbeizuführen, trifft nicht zu. Voraussetzung für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist neben einem Antrag des Arbeitgebers, dass die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nach Abwägung der wechselseitigen Grundrechtspositionen die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten(BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

66

4. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei für die Zukunft nicht zu erwarten, wird jedoch von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen.

67

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das von der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung gezeigte Verhalten lasse nicht erwarten, dass künftige Meinungsverschiedenheiten, wie sie in Betrieben immer wieder aufträten, in der gebotenen Sachlichkeit ausgetragen würden. Es hat die Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Beklagten aufgrund der unter II 2 c cb der Entscheidungsgründe aufgeführten Umstände als gegeben erachtet. Dieses Ergebnis hat es - soweit ersichtlich - aufgrund einer Gesamtschau dieser Umstände gewonnen und nicht angenommen, jeder dieser Faktoren rechtfertige bereits für sich genommen die Auflösung.

68

b) Zumindest der Gesichtspunkt, der Klägerin sei es auch im Berufungsverfahren „nicht gelungen, von ihrem ‚Angriffsmodus’ abzukehren“, lässt nicht erkennen, welche Tatsachen das Landesarbeitsgericht insoweit zugrunde gelegt hat. Zudem wird aus dem Berufungsurteil nicht ersichtlich, ob und ggf. inwiefern das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung darauf Bedacht genommen hat, dass das Verhalten einer Partei in einem Gerichtsverfahren durch berechtigte Interessen gedeckt sein kann. Die Verfahrensbeteiligten dürfen zur Rechtsverteidigung alles vortragen, was rechtserheblich sein kann und sich dabei auch starker, eindringlicher Ausdrücke und Schlagworte bedienen, selbst wenn eine vorsichtigere Formulierung möglich gewesen wäre (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

69

c) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe sich auch nach der Kündigung nicht in ausreichendem Maße mit dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 3. April 2009 auseinandergesetzt, bleibt unklar, weshalb es für sie noch nach Ausspruch der Kündigung Veranlassung gegeben habe, sich um eine „Wiederherstellung des Vertrauens in ihre Person“ zu bemühen, bzw. weshalb dies „nahegelegen“ habe. Das Landesarbeitsgericht hat auf die „Bildung“ der Klägerin und ihr „selbst in Anspruch genommene(s) internationale(s) Format(…)“ verwiesen. Es hat aber nicht gewürdigt, dass die Beklagte selbst durch die Erklärung der Kündigung zu verstehen gegeben hatte, dass sie für eine künftige Zusammenarbeit mit der Klägerin keine Grundlage mehr sah.

70

d) Mit Blick auf die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Strafanzeige, die die Klägerin gegen Mitarbeiter der Beklagten erstattet habe, fehlt es an Feststellungen sowohl zu ihrem näheren Inhalt als auch zu den Umständen ihrer Erstattung.

71

e) Für die Beurteilung, ob der offene Brief an die Bundeskanzlerin einer zukünftigen gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegensteht, ist nicht unerheblich, welchen Kreisen von Lesern er zugänglich war und wie lange die Veröffentlichung zurückliegt. Dazu sind bislang keine Feststellungen getroffen. Bei der Würdigung der in dem Brief enthaltenen Aussagen ist überdies angemessen auf die Meinungsfreiheit der Klägerin Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35).

72

f) Entsprechendes gilt für die Kritik der Klägerin am Betriebsrat.

73

aa) In der E-Mail vom 23. April 2009 hat die Klägerin es als bedauerlich bezeichnet, dass sich „die Arbeitnehmervertretung (…) derart dämlich verhält“. Insofern bedarf der Auslegung, ob dies für die Mitglieder des Betriebsrats als gegen sie - alle - persönlich gerichtete Kritik zu verstehen war. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Erklärung aber noch nicht zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in der Person herabsetzen soll (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312).

74

bb) Die E-Mail vom 31. August 2009 schließt „mit dem Anlass entsprechenden Grüßen diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat“. Die Klägerin hat darin aber auch die im Zusammenhang mit der Kündigung stehenden Ereignisse und die - vermeintliche - Rolle des Betriebsrats dabei aus ihrer Sicht dargestellt. Sie hat dem Betriebsrat in der Sache vorgeworfen, sowohl den ihrer Meinung nach unrechtmäßigen Zugriff auf ihr E-Mail-Konto gebilligt zu haben als auch eine gesetzeswidrige Öffnung der Büroschränke.

75

g) Hinsichtlich aller geltend gemachter Auflösungsgründe bedarf im Übrigen der Prüfung, ob und inwiefern ihnen, selbst wenn sie Jahre zurückliegen, weiterhin Bedeutung für eine zukünftige Zusammenarbeit der Parteien zukommt.

76

h) Ein Teil des Vorbringens der Beklagten zur Begründung des Auflösungsantrags ist bislang unberücksichtigt geblieben. Die Beklagte hat sich auf „zahlreiche Äußerungen (der Klägerin) gegenüber der Presse“ berufen, was auch die Namen der Mitarbeiter, gegen die sie Strafanzeige gestellt habe, umfasse.

77

V. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Für den Senat stellen sich keine für seine Entscheidung erheblichen Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht. Es bedarf auch keiner näheren Untersuchung, ob die von der Klägerin aufgeworfenen Fragestellungen nicht nur die Anwendung, sondern die Auslegung von Unionsrecht betreffen. Bislang ist nicht festgestellt, dass die Beklagte auf Beschwerden der Klägerin, sie werde diskriminiert, nicht reagiert hätte.

        

    Der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft
ist infolge seiner Versetzung in den Ruhestand
mit Ablauf des 31. Januar 2016 an der
Unterschriftsleistung verhindert.
Berger    

        

    Berger    

        

    Rachor     

        

        

        

    K. Schierle    

        

    Niebler    

                 

(1) Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über.

(2) Der Übergang wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann.

(3) An Stelle der Ansprüche des Arbeitnehmers auf Sachbezüge tritt im Fall des Absatzes 1 der Anspruch auf Geld; die Höhe bestimmt sich nach den nach § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Vierten Buches festgelegten Werten der Sachbezüge.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

(2) Die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, auch die Einwilligung des Beklagten sind dem Gericht gegenüber zu erklären. Die Zurücknahme der Klage erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes. Der Schriftsatz ist dem Beklagten zuzustellen, wenn seine Einwilligung zur Wirksamkeit der Zurücknahme der Klage erforderlich ist. Widerspricht der Beklagte der Zurücknahme der Klage nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes, so gilt seine Einwilligung als erteilt, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen; ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wird wirkungslos, ohne dass es seiner ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Der Kläger ist verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.

(4) Das Gericht entscheidet auf Antrag über die nach Absatz 3 eintretenden Wirkungen durch Beschluss. Ist einem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden, hat das Gericht über die Kosten von Amts wegen zu entscheiden.

(5) Gegen den Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag übersteigt. Die Beschwerde ist unzulässig, wenn gegen die Entscheidung über den Festsetzungsantrag (§ 104) ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist.

(6) Wird die Klage von neuem angestellt, so kann der Beklagte die Einlassung verweigern, bis die Kosten erstattet sind.

Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.