Finanzgericht Nürnberg Urteil, 15. Feb. 2017 - 3 K 1601/14

bei uns veröffentlicht am15.02.2017

Gericht

Finanzgericht Nürnberg

Tenor

1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.02.2014 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 13.11.2014 wird die Familienkasse verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder im Zeitraum Januar 2013 bis November 2014 in voller gesetzlicher Höhe und damit i.H.v. zusätzlich 174,92 € monatlich zu bewilligen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen des Klägers vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe der Kläger Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) für seine Kinder C und D im Zeitraum Januar 2013 bis November 2014 hat.

Der Kläger und seine Ehefrau sind Eltern von C (geb. ...2001) und D (geb. ...2003).

Er ist seit 2006 als Arzt bei der … in England tätig und lebt seitdem mit seiner Familie schwerpunktmäßig in England.

Aus Vermerken der Familienkasse 1 ist ersichtlich, dass nach Feststellungen der Familienkasse im Frühjahr 2012 der Kläger in 2 (BRD) gemeldet war. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt Eigentümer und Vermieter des Hauses und hielt sich vornehmlich in den Schulferien – teilweise mit seiner Familie – auch dort auf.

Laut Bescheinigung des Finanzamts 1 vom 12.04.2012 gilt er nach § 1 Abs. 3 EStG ab dem Jahr 2011 antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Der Kläger bezog mit Zustimmung seiner Ehefrau zunächst von der Familienkasse 1 laufend Kindergeld für seine beiden Kinder in Höhe von monatlich 193,08 €. Laut Bescheid der Familienkasse 1 vom 17.04.2012 errechnete sich der Betrag ab Januar 2011 aus dem Anspruch in Deutschland (2 x 184 € für beide Kinder monatlich) unter Anrechnung des Anspruchs auf Familienleistungen in England (umgerechnet 174,92 € monatlich). Der Bescheid erging nach § 165 AO vorläufig.

Am 12.02.2013 reichte der Kläger noch bei der Familienkasse 1 eine Bescheinigung der Child Benefit Office in 3, England vom 05.12.2012 ein, aus der hervorgeht, dass dort die Auszahlung des Child Benefit ab 07. Januar 2013 eingestellt würde. Mit Schreiben vom 02.05.2013 (Eingang 07.05.2013) reichte er dann einen Kindergeldantrag für seine beiden Kinder ein und wies darauf hin, dass aufgrund einer Gesetzesänderung in England Erwerbstätige, die über ein Jahreseinkommen von über 60.000 Pfund verfügten, kein Kindergeld mehr erhielten.

Mit Wechsel der Zuständigkeit zur beklagten Familienkasse stellte die Familienkasse 1 die Zahlung des Kindergeldes ab April 2013 zunächst gänzlich ein.

Mit Schreiben vom 07.08.2013 teilte die beklagte Familienkasse dann mit, dass ab Mai 2013 weiterhin Kindergeld in der bisherigen Höhe ausgezahlt werde und wies darauf hin, dass nach ihrer Auffassung der Anspruch auf Kindergeld in England weiterhin dem Grundsatz nach bestehe. Von der Gesetzänderung betroffene Gutverdiener könnten wählen, ob sie zunächst Kindergeld beziehen würden und dann entsprechende Steuern darauf zahlen müssen oder – wie der Kläger – auf die Leistung verzichteten.

Mit Bescheid vom 28.02.2014 lehnte die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld ab Januar 2013 in voller Höhe ab, da ein Anspruch auf Kindergeld in England dem Grund nach gegeben sei.

Gegen diese Ablehnung legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen damit, dass er in England kein Kindergeld mehr bezöge. Nach der Gesetzesänderung in England würde in Anbetracht des Einkommens des Klägers bezogenes Kindergeld in voller Höhe zurückgezahlt werden müssen. Nur aus diesem Grund hätte der Kläger auf die Auszahlung des Child Benefit in England verzichtet. Nach Auffassung des Klägers stehe ihm daher in Deutschland das volle Kindergeld zu. Er kenne vergleichbare Konstellationen, in denen Betroffene – bei Antragstellung durch die Mutter (als Hausfrau und in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig) in Deutschland das volle Kindergeld erhielten.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2014 hat die beklagte Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Sie führt zur Begründung aus, dass im Streitfall zwar der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch in Deutschland nach § 62 Abs. 1 EStG erfülle. Er habe jedoch auch einen Kindergeldanspruch in Großbritannien. Diese Konkurrenzsituation sei durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO) und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 (DVO) zu lösen.

Im Streitfall ergebe sich durch die Ausübung der Tätigkeit als Arbeitnehmer in England und den Wohnort der Kinder nach Art. 68 Abs. 1a) und b) VO, dass England vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig sei. In diesen Fällen werde der deutsche Anspruch in Höhe der ausländischen Leistung ausgesetzt. Es bestehe nur ein Anspruch auf Differenzkindergeld.

Ein Verzicht auf Familienleistungen habe für die Frage von Anspruchskonkurrenzen grundsätzlich keine Bedeutung, da sonst eine Umgehung der Vorschriften möglich sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 15.12.2014 Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte beantragt, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.02.2014 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 13.11.2014 die Familienkasse zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder im Zeitraum Januar 2013 bis November 2014 in voller gesetzlicher Höhe und damit i.H.v. zusätzlich 174,92 € monatlich zu bewilligen.

Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen, dass in England seit Januar 2013 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten sei. Zwar stünde dem Kläger für seine Kinder grundsätzlich weiter Kindergeld zu. Für Besserverdienende gelte aber nunmehr, dass bei einem Verdienst von mehr als 50.000 englische Pfund im Jahr das Kindergeld anteilig und bei einem Verdienst von mehr als 60.000 englische Pfund im Jahr das Kindergeld gänzlich mit der Steuererklärung zurückzuzahlen sei. Da der Kläger aufgrund seines Jahresgehaltes laut Arbeitsvertrag in Höhe von mindestens 69.991 englische Pfund das Kindergeld ohnehin zurückzahlen müsse, habe er aus verwaltungsökonomischen Gründen bereits auf die Auszahlung verzichtet. Über die gesetzliche Änderung und die entsprechenden Verfahrensweisen sei er durch die zuständige Behörde „HM Revenue & Customs“ mit Schreiben vom 02.11.2012 informiert worden und habe sich entsprechend verhalten. Eine etwaige Umgehung rechtlicher Bestimmungen sei damit nicht verbunden.

Der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nach dem EStG; für die von der beklagten Familienkasse vorgenommene Kürzung fehle es insoweit an einer Rechtsgrundlage; insbesondere sei der von der Familienkasse genannte § 65 Abs. 2 EStG nicht einschlägig.

Auch der Rückgriff auf die europäischen Regelungen vermöge die Handhabung der Familienkasse nicht zu stützen. Auch wenn der Kläger vorrangig in England einen Kindergeldanspruch geltend machen müsse, könne nicht unbeachtet bleiben, dass er im Ergebnis kein Geld bleibend beanspruchen könne. Dies sei entscheidend und alles andere Förmelei.

Die beklagte Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Weiter wird ausgeführt, dass der Kläger in Großbritannien eine Beschäftigung ausübe und seine Kinder dort lebten. Damit sei der Kindergeldanspruch in Großbritannien vorrangig. Der nachrangige Anspruch des Klägers in Deutschland ruhe nach Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der VO (EG) 883/2004 bis zur Höhe der Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates vorgesehen seien. Da der Kindergeldanspruch in Großbritannien dem Grunde nach gegeben sei, erfolge die Anrechnung zu Recht.

Bei den Familienkassen bestehe zur Behandlung dieser Fälle eine entsprechende Weisungslage.

Hinsichtlich des weitergehenden Kindergeldanspruchs für Folgezeiträume werde entsprechend des richterlichen Hinweises auf die BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 22.12.2011 III R 41/07) die Antragstellung für Folgezeiträume vorgemerkt.

Die Berichterstatterin hat den Beteiligten den Hinweis erteilt, dass entscheidend im Streitfall möglicherweise nicht die „Verzichtserklärung“ des Klägers ist, sondern die Frage der gegebenenfalls erfolgende „Abschöpfung“ aufgrund zu hoher Einkünfte. Die Einkünfte des Klägers müssten gegebenenfalls nachgewiesen werden.

Dem Gericht wurden durch die Familienkasse die „Social Security Contributiones and Benefits Act“, die die gesetzlichen Bestimmungen zum Child Benefit enthalten, und der „Finance Akt 2012“, der die Regelungen zum „High income child benefit charge“ enthält, vorgelegt.

Die zuständige Behörde in Großbritannien hat Kindergeldleistungen nur bis 12/2012 bescheinigt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, den dem Gericht vorgelegten Ausdruck der elektronisch geführten Kindergeldakte und die Sitzungsniederschrift vom 15.02.2017 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Dem Kläger steht für den streitigen Zeitraum Kindergeld nach dem EStG für seine beiden Kinder in voller Höhe zu.

1. Streitzeitraum sind entsprechend dem zuletzt präzisierten Antrag des Klägervertreters die Monate Januar 2013 bis November 2014 (Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung; vgl. Urteil des BFH vom 25.09.2014 III R 36/12, BStBl II 2015, 286). Soweit der Kläger mit Klageerhebung zunächst ein Begehren für weitere – dem Klagezeitraum nachfolgende – Zeiträume zum Ausdruck gebracht hat, liegt hierin lediglich ein außerhalb des Klageverfahrens gestellter Antrag an die Familienkasse (vgl. Urteil des BFH vom 22.12.2011 III R 41/07, BStBl II 2012, 681), der dort entsprechend vorgemerkt wurde.

2. Der Kläger ist im Streitfall nach Überzeugung des Senats zum ungekürzten Kindergeldbezug berechtigt. Eine Anrechnung englischen Kindergeldes kommt aus unionsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Der Senat schließt sich insoweit dem überzeugend begründeten Urteil des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 (4 K 3115/14 Kg, juris-Datenbank; rkr.) an und hält die Grundsätze der Entscheidung auch auf Streitfall für anwendbar.

a) Der Kläger erfüllt im Streitzeitraum die nationalrechtlichen Anforderungen an die Gewährung von Kindergeld.

Der Kläger ist – wie zwischen den Beteiligten unstreitig – aufgrund der ausdrücklich fortgeltenden Bescheinigung des Finanzamts 1 ab dem Veranlagungszeitraum 2011 nach § 1 Abs. 3 EStG in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Als deutscher Staatsangehöriger ist er daher ohne Einschränkungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG grundsätzlich kindergeldberechtigt. Da seine Kinder minderjährig sind und im EU-Ausland leben (§ 63 Abs. 1 EStG) sind diese auch berücksichtigungsfähig.

Der Kläger und seine Ehefrau leben in einem gemeinsamen Haushalt mit den Kindern; die Ehefrau hat der Auszahlung des Kindergeldes an den Kläger zugestimmt (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).

b) Es handelt sich im Streitfall um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt mit Unionsbezug, der zur Anwendung der VO Nr. 883/2004 sowie der dazu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 führt. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) i.V.m. Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009) ist seit Mai 2010 anwendbar (vgl. Art. 91 Abs. 2 VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009) und gilt damit im Streitzeitraum.

Der Kläger fällt als deutscher Staatsbürger gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in deren persönlichen Anwendungsbereich. Ebenso ist der sachliche Anwendungsbereich der VO eröffnet; das Kindergeld ist eine Familienleistung i. S. von Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004.

Nach Art. 11 Abs. 3 Ziffer a) der VO 883/2004 unterliegt der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung in England den dortigen Rechtsvorschriften.

d) Nach den englischen Rechtsvorschriften ergibt sich, dass auch dort Familienleistungen für Kinder vorgesehen sind, das sogenannte „Child Benefit“ (vgl. Part IX des SOCIAL.SECURITY.CONTRIBITIONES AND BENEFITS ACT 1992, von der Familienkasse vorgelegt). Die in England vorgesehenen Leistungen kann im Grundsatz auch der Kläger in Anspruch nehmen (und hat diese bis Dezember 2012 auch bezogen), wie sich ergänzend auch aus der Mitteilung des HM Revenue Customs zum Child Benefit vom 05.12.2012 ergibt. Dies ist auch im Grundsatz zwischen den Beteiligten unstreitig.

Da im Streitfall für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedsstaaten zu gewähren sind, gilt Art. 68 Abs. 1 der VO 883/2004, der die Priorität der Ansprüche, deren (teilweise) Aussetzung unddas Verfahren regelt. Diese Vorschrift ist an die Stelle des zuvor geltenden Art. 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) sowie Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72) getreten.

Nach dieser Vorschrift ist Großbritannien aufgrund der nur dort ausgeübten Erwerbstätigkeit und dem Wohnort (insbesondere der Kinder) der vorrangig zuständige Staat, der ohne weiteres uneingeschränkt Kindergeld zu gewähren hat (Art. 60 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009; vgl. auch DA 214.2 Abs. 4, 214.5).

Nach Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 ist grundsätzlich vorgesehen, dass vom nachrangig zuständigen Staat (hier Deutschland) die Ansprüche auf Familienleistungen ausgesetzt werden und zwar bis zur Höhe der vom vorrangig zuständigen Staatvorgesehenen Leistungen. In diesen Fällen ist verfahrensrechtlich nach Art. 68 Abs. 3 der VO Nr. 883/2004 weiter vorgesehen, dass der nachrangige Staat bei Antragstellung bei ihm, den Antrag unverzüglich an den vorrangig zuständigen Träger zur dortigen Prüfung zuleitet und vorläufig (nur) den Unterschiedsbetrag leistet.

So lange dieser unionsrechtlich vorgesehene Ablauf nicht eingehalten wird, besteht in Deutschland der volle Kindergeldanspruch. Eine Anrechnung nur fiktiv beziehbaren aber tatsächlich nicht bezogenen Kindergeldes kommt nach Auffassung des Senats dann nicht in Betracht (so auch überzeugend FG Münster, Urteil vom 05.08.2016 4 K 3115/14 Kg, juris-Datenbank).

e) So hat der EuGH zum Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 im Urteil vom 22.10.2015 C-378/14 „Trapkowski“, Rn. 32 (ECLI:EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2015, 1501) - unter Verweis auf sein Urteil vom 14.10.2010 C-16/09 „Schwemmer“, Rn. 52 (ECLI:EU:C:2010:605, Slg. 2010, I-9717-9762), - darauf hingewiesen, dass es nach seiner ständigen Rechtsprechung für die Annahme, dass in einem bestimmten Fall eine Kumulierung vorliegt, nicht genügt, dass Leistungen in dem Mitgliedstaat, in dem das betreffende Kind wohnt, geschuldet werden und zugleich in einem anderen Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil dieses Kindes arbeitet, lediglich potenziell gezahlt werden können (ähnlich auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.10.2013 3 K 3137/12, EFG 2014, 214). Diesen Gedanken hat der BFH unter Geltung der VO Nr. 1408/71 auch dann für anwendbar gehalten, wenn die Kumulation in der Person desselben Steuerpflichtigen vorliegt (vgl. BFH-Urteile vom 05.09.2013 XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33; vom 18.07.2013 III R 51/09, BFHE 242, 222). Dem Finanzgericht Münster ist nach Auffassung des Senats darin zu folgen, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, dass es sich nach neuer Unionsrechtslage anders verhalten könnte. Der Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 Hs. 1 der VO Nr. 883/2004 erfasst ohne weiteres auch die Kollision der Ansprüche in einer Person.

Zwar könnten die Formulierung des Art. 68 Abs. 2, Abs. 3 a) der VO 883/2004 zunächst nahelegen, dass der nachrangig zuständige Staat unabhängig von der tatsächlichen Gewährung von Kindergeld im Ausland lediglich Differenzkindergeld zu zahlen hat. Die Regelung ist nach Auffassung des Senats jedoch im Kontext des verordnungsmäßigen Regelablaufs der Art. 68 Abs. 2, 3 VO Nr. 883/2004 zu sehen. Der nach seiner Auffassung nachrangige Staat hat für den Fall, dass er nur Differenzkindergeld gewähren will, auf Grundlage der Verordnung den Vorgang an den vorrangig zuständigen Staat weiter zu leiten, damit dieser den dortigen Kindergeldanspruch aufgrund der zeitlichen Fiktionswirkung (Art. 68 Abs. 3 b der VO 883/2004) prüfen kann und gegebenenfalls dann Kindergeld nach seinen Rechtsvorschriften gewährt (so auch zutreffend Urteil des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 4 K 3115/14 KG, aaO). Dieser Ablauf entspricht im Übrigen auch der Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht der Familienkassen (DA-üzV), die unter Ziffer 214.821 im Ablaufschema 2 (nachrangige Zuständigkeit Deutschlands) im zeitlichen Ablauf vor der - im Übrigen nur nach § 165 Abs. 1 AO vorläufigen - Festsetzung des Differenzkindergeldes die Weiterleitung des Antrags an den anderen Mitgliedstaat vorsieht.

Der Art. 68 Abs. 3 der VO Nr. 883/2004 verlagert die Prüfung, ob im vorrangigen Staat Kindergeld zu leisten ist (anders als § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, vgl. Urteil des BFH vom 13.06.2013 III R 63/11, BStBl II 2014, 711), zunächst in diesen zuständigen Staat. So formuliert auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.10.2015 C-378 „Trapkowski“, Rn. 40 (aaO) entsprechend, dass es der zuständigen nationalen Behörde obliege, den Kindergeldanspruch nach nationalem Recht zu prüfen. Will die zuständige Familienkasse in Deutschland nur Differenzkindergeld gewähren, weil sie zu der Rechtauffassung gelangt ist, dass sie nur nachrangig zuständig ist und dass nach den Rechtsvorschriften des vorrangigen Mitgliedstaates dort ein Kindergeldanspruch besteht, hat sie nach der unionsrechtlichen Vorschrift das ihrerseits Erforderliche zu tun, damit im vorrangig zuständigen Staat die dortige Leistung zur Auszahlung gelangt.

f) Die hier vertretene Ansicht des Senats widerspricht auch nicht der neueren Rechtsprechung des BFH zu der Konstellation, dass der andere Elternteil oder ein Großelternteil in einem anderen EU-Land in einem anderen Haushalt mit dem Kind lebt und keinen Kindergeldantrag gestellt hat (vgl. BFH-Urteile vom 10.03.2016 III R 66/13 und 62/12; vom 28.04.2016 III R 50/12, BFH/NV 2016, 1471 m.w.N.). In diesen Fallgestaltungen ist aufgrund der unionsrechtlichen Fiktion ein vorrangiger Anspruch der haushaltsaufnehmenden (weiteren) Person in Deutschland aufgrund der nationalen Vorschriften gegeben. Nur für diese Fallgestaltung ergibt sich aus den Entscheidungen (so auch der EuGH im Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 „Trapkowski“, aaO), dass alleine die fehlende Antragstellung des Anspruchsinhabers im Inland nicht dazu führt, dass ein Kindergeldanspruch des weiteren Elternteiles in Deutschland begründet werden kann.

Letztlich verweist der BFH in seinen Entscheidung jedoch auch auf die Einhaltung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften, in dem er z.B. in dem Urteil vom 28.04.2016 (III R 68/13, BStBl II 2016, 776) ausführt:

„Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier: ggf. die Kindsmutter, sofern nicht bereits ein in Spanien gestellter Antrag zu berücksichtigen wäre), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem “anderen Elternteil„gestellt wird.“

Naturgemäß setzt jedoch die Berücksichtigung von Anträgen regelmäßig voraus, dass Kenntnis von der Antragstellung erlangt wird.

3. Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze kommt der Senat für den Streitfall zu dem Ergebnis, dass dem Kläger für den Klagezeitraum das deutsche Kindergeld in voller Höhe zustand. Der Kläger hat aufgrund des in England verfahrensrechtlich vorgesehenen Verzichts auf die Auszahlung des Kindergeldes dort zuletzt im Dezember 2012 Kindergeld bezogen und im Klagezeitraum dann nicht mehr.

Nach Auffassung des Senats ist der im Streitfall erklärte Verzicht einer fehlenden Antragstellung gleichzustellen. Sowohl aus der Bescheinigung der zuständigen Behörde in England (HM Revenue & Customs) vom 05.12.2012 wie auch aus den englischen Rechtsvorschriften (Finance Act 2012, Chapter 2, 8 High income child benefit charge, „13A Election not to receive child benefit“ Nrn. (5) und (7)) ergibt sich, dass der erklärte Verzicht grundsätzlich widerrufbar ist. Entsprechend Nr. (7) ist dies wohl auch noch bis zu zwei Jahre nach Ablauf des Steuerjahres möglich. Über die Frage, ob dem Kläger aufgrund eines erneuten Antrags wieder Kindergeld im Streitzeitraum auszuzahlen gewesen wäre, ihm dieses aus verfahrensrechtlichen oder materiell rechtlichen Gründen (Überschreiten der Einkunftsgrenze?) nach englischem Recht letztlich zu versagen gewesen wäre, hat grundsätzlich zunächst die zuständige Behörde in England zu entscheiden. Diese konnte im Streitfall jedoch nicht tätig werden, da die Familienkasse in Deutschland unter Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften den im Inland gestellten Antrag auf Kindergeld nicht an die zuständige Behörde im Mitgliedstaat England weitergeleitet hat.

Dem Kläger kann – insbesondere vor dem Hintergrund des verordnungswidrigen Verhaltens der Familienkasse – dabei nicht entgegengehalten werden, er habe sich seinerseits verfahrensfehlerhaft oder rechtsmissbräuchlich verhalten. Wie sich aus dem Vortrag des Klägers und den vorgelegten Unterlagen ergibt, hat er den Verzicht auf die Auszahlung des Kindergeld erklärt, weil er nach seiner Prognoseeinschätzung zu dem Ergebnis gelangte, dass ihm letztlich das Kindergeld in England nicht dauerhaft verbleiben werde und er sich und der englischen Behörde Verwaltungsaufwand ersparen wollte. Im Ergebnis hat er sich durch sein Verhalten auch keine Besserstellung verschaffen wollen, da er lediglich die Kindergeldzahlung in Anspruch nehmen wollte, die ihm nach seiner Auffassung nach deutschem Recht zustand. Ob seine Prognoseentscheidung zutreffend war, kann in Anbetracht der Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften (und der darauf möglicherweise beruhenden fehlenden Kindergeldzahlung in England) durch die Familienkasse im Streitfall offen bleiben und ist in Anbetracht der komplexen Ermittlung nach der „High income child benefit charge“ nicht ohne weiteres zu beantworten. Maßgeblich ist nach den entsprechenden Regelungen (Finance Act 2012, Chapter 2, 8 High income child benefit charge, 681H Nr. (2)) nämlich weder das Bruttoeinkommen („salary“) noch das Nettoeinkommen (net income) sondern das: „Adjusted net income“ of a person for a tax year means the person’s adjusted net income for that tax year as determined under section 58 of ITA 2007“. Entsprechend der Seite www. legislation.gov.uk/ukpga/2007/section/58 ergibt sich diese maßgebliche Einkunftsgrenze wieder ausgehend vom Nettoeinkommen unter Berücksichtigung verschiedener Zu- und Abrechnungen, so dass insoweit auch der Steuerbescheid alleine nicht aussagekräftig sein dürfte.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin – ohne dass es in Bezug auf den Streitfall entscheidungserheblich wäre –, dass er die rechtliche Wertung der Familienkasse nicht teilt, wonach alleine aufgrund des beziehbaren (oder bezogenen) Child Benefit der deutsche Kindergeldanspruch dauerhaft in Höhe des Differenzbetrages ausgesetzt bleibt. Nach Auffassung des Senats ergibt sich bereits aus der in Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 gewählten Formulierung, dass die Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriftenvorgesehenen Betrages ausgesetzt werden, dass der nachrangige Anspruch auf Familienleistungen nur insoweit und auch so lange suspendiert wird, als die Familienleistungen auch die Lasten der Familie tatsächlich ausgleichen. Gewährt ein Mitgliedsstaat, wie im Streitfall England, eine solche Familienleistung nur in Form eines „Vorschusses“ und wird diese Leistung bei Überschreitung gewisser Einkunftsgrenzen durch behördliche Entscheidung wieder ganz oder teilweise entzogen, so wird die (Differenz-) Kindergeldfestsetzung in Deutschland nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. AO entsprechend anzupassen sein. Letztlich erschließt sich dem Senat nicht, dass insoweit die Regelungen z.B. für Polen und für England im Ergebnis unterschiedlich behandelt werden sollen. Nach den polnischen Vorschriften wird ausgehend von Einkünften in vorangegangenen Zeiträumen aufgrund einer Prognoseentscheidung bei Überschreiten einer Einkunftsgrenze der Anspruch auf Kindergeld verneint. Demgegenüber wird in England zunächst ein Anspruch bejaht und, wenn der Berechtigte nicht darauf verzichtet, entsprechende Leistungen ausgezahlt; diese Leistungen werden dann aber bei Überschreiten einer Einkunftsgrenze über die Regelung der High income child benefit charge wieder „abgeschöpft“.

4. Sollte im Streitfall das unionsrechtlich vorgesehene Verfahren der Antragsweiterleitung - nachträglich - mit abweichendem Ergebnis später noch durchlaufen werden und in England für die streitigen Zeiträume noch Kindergeld gewährt werden, wäre in Deutschland eine nachträgliche Anrechnung auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG (zur rückwirkenden Änderung der Verhältnisse s. BFH-Urteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717) oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nach Auffassung des Senats ohne weiteres möglich. Da nach Art. 68 Abs. 3 Buchst. b) der VO Nr. 883/2004 das Antragsdatum in Deutschland (spätestens 07.05.2013) auch als Antragsdatum für England gilt, kann die Familienkasse diesen Weg nach wie vor beschreiten.

In Anbetracht der gegebenen Änderungsmöglichkeiten für die Familienkasse im Falle einer etwaigen nachträglichen Kindergeldgewährung durch die englischen Behörden und auch aus verfahrensökonomischen Gründen hält es der Senat weder für geboten noch für zweckmäßig, das Klageverfahren nach § 74 FGO auszusetzen.

5. Im (sachlichen und persönlichen) Anwendungsbereich des Unionsrechts bleibt die Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch nach neuer Verordnungslage ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 9/15, BFH/NV 2016, 1216), so dass im Streitfall eine Prüfung, ob nach englischem Recht letztlich ein Anspruch bestünde, unterbleibt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

7. In Anbetracht der Tatsache, dass insbesondere zur Frage der Rechtsfolgen bei unterlassener Antragsweiterleitung in unionsrechtlichen Sachverhalten noch keine – über die Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 (4 K 3115/14 Kg, aaO) – hinausgehende Rechtsprechung veröffentlicht ist, lässt der Senat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

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(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn1.ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteue

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(1) 1Für Kinder im Sinne des § 63 hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer 1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland a) nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt ei

Einkommensteuergesetz - EStG | § 63 Kinder


(1) 1Als Kinder werden berücksichtigt 1. Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,2. vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,3. vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel. 2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 74


Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde fes

Einkommensteuergesetz - EStG | § 64 Zusammentreffen mehrerer Ansprüche


(1) Für jedes Kind wird nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. (2) 1Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. 2Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern, einem

Einkommensteuergesetz - EStG | § 70 Festsetzung und Zahlung des Kindergeldes


(1) 1Das Kindergeld nach § 62 wird von den Familienkassen durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. 2Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kinder

Einkommensteuergesetz - EStG | § 65 Andere Leistungen für Kinder


1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:1.Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus

Referenzen - Urteile

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Finanzgericht Nürnberg Urteil, 15. Feb. 2017 - 3 K 1601/14 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Finanzgericht Nürnberg Urteil, 15. Feb. 2017 - 3 K 1601/14 zitiert 9 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Urteil, 28. Apr. 2016 - III R 68/13

bei uns veröffentlicht am 28.04.2016

Tenor Auf die Revision der Familienkasse wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. August 2013  4 K 854/13 Kg aufgehoben.

Bundesfinanzhof Urteil, 28. Apr. 2016 - III R 50/12

bei uns veröffentlicht am 28.04.2016

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 25. August 2012  10 K 2183/11 Kg aufgehoben.

Bundesfinanzhof Urteil, 10. März 2016 - III R 66/13

bei uns veröffentlicht am 10.03.2016

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 5. März 2013  14 K 11/12 Kg aufgehoben.

Bundesfinanzhof Urteil, 04. Feb. 2016 - III R 9/15

bei uns veröffentlicht am 04.02.2016

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 28. Januar 2015  14 K 982/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Bundesfinanzhof Urteil, 25. Sept. 2014 - III R 36/12

bei uns veröffentlicht am 25.09.2014

Tatbestand 1 I. Es ist streitig, ob dem Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) Differenzkindergeld für seine in Portugal lebenden zwei Kinder P

Bundesfinanzhof Urteil, 05. Sept. 2013 - XI R 52/10

bei uns veröffentlicht am 05.09.2013

Tatbestand 1 I. Die im streitigen Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2008 in den Niederlanden nichtselbständig beschäftigte Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) is

Bundesfinanzhof Urteil, 18. Juli 2013 - III R 51/09

bei uns veröffentlicht am 18.07.2013

Tatbestand 1 A. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter von D, geboren am 2. April 1985, und von J, geboren am 7. Februar 1992. S

Bundesfinanzhof Urteil, 13. Juni 2013 - III R 63/11

bei uns veröffentlicht am 13.06.2013

Tatbestand 1 I. Im Revisionsverfahren ist streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Kindergeld für seinen minderjährigen Sohn (S) und seine minderjährige T

Bundesfinanzhof Urteil, 22. Dez. 2011 - III R 41/07

bei uns veröffentlicht am 22.12.2011

Tatbestand 1 I. Der im August 1984 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) legte im Juni 2005 das Abitur ab. Bis einschließlich Juni 2005 hatte der K
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Finanzgericht Nürnberg Urteil, 15. Feb. 2017 - 3 K 1601/14.

Bundesfinanzhof Urteil, 22. Feb. 2018 - III R 10/17

bei uns veröffentlicht am 22.02.2018

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 15. Februar 2017  3 K 1601/14 aufgehoben.

Referenzen

(1)1Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.2Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil

1.
an der ausschließlichen Wirtschaftszone, soweit dort
a)
die lebenden und nicht lebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrunds erforscht, ausgebeutet, erhalten oder bewirtschaftet werden,
b)
andere Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung oder Ausbeutung der ausschließlichen Wirtschaftszone ausgeübt werden, wie beispielsweise die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind oder
c)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in den Buchstaben a und b genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden, und
2.
am Festlandsockel, soweit dort
a)
dessen natürliche Ressourcen erforscht oder ausgebeutet werden; natürliche Ressourcen in diesem Sinne sind die mineralischen und sonstigen nicht lebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie die zu den sesshaften Arten gehörenden Lebewesen, die im nutzbaren Stadium entweder unbeweglich auf oder unter dem Meeresboden verbleiben oder sich nur in ständigem körperlichen Kontakt mit dem Meeresboden oder seinem Untergrund fortbewegen können; oder
b)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in Buchstabe a genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden.

(2)1Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind auch deutsche Staatsangehörige, die

1.
im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und
2.
zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen,
sowie zu ihrem Haushalt gehörende Angehörige, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder keine Einkünfte oder nur Einkünfte beziehen, die ausschließlich im Inland einkommensteuerpflichtig sind.2Dies gilt nur für natürliche Personen, die in dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen werden.

(3)1Auf Antrag werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.2Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.3Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten hierbei als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend.4Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach Satz 2 nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind.5Weitere Voraussetzung ist, dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.6Der Steuerabzug nach § 50a ist ungeachtet der Sätze 1 bis 4 vorzunehmen.

(4) Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 und des § 1a beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.

(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn

1.
ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden,
2.
das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist,
2a.
sich auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben kann,
3.
die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder
4.
die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 oder 2 kann die Steuerfestsetzung auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden.

(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.

(1)1Für Kinder im Sinne des § 63 hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer

1.
im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
2.
ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
a)
nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder
b)
nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
2Voraussetzung für den Anspruch nach Satz 1 ist, dass der Berechtigte durch die an ihn vergebene Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung) identifiziert wird.3Die nachträgliche Vergabe der Identifikationsnummer wirkt auf Monate zurück, in denen die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen.

(1a)1Begründet ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, so hat er für die ersten drei Monate ab Begründung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts keinen Anspruch auf Kindergeld.2Dies gilt nicht, wenn er nachweist, dass er inländische Einkünfte im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 mit Ausnahme von Einkünften nach § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erzielt.3Nach Ablauf des in Satz 1 genannten Zeitraums hat er Anspruch auf Kindergeld, es sei denn, die Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 oder Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU liegen nicht vor oder es sind nur die Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 Nummer 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU erfüllt, ohne dass vorher eine andere der in § 2 Absatz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU genannten Voraussetzungen erfüllt war.4Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gemäß Satz 2 vorliegen oder gemäß Satz 3 nicht gegeben sind, führt die Familienkasse in eigener Zuständigkeit durch.5Lehnt die Familienkasse eine Kindergeldfestsetzung in diesem Fall ab, hat sie ihre Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen.6Wurde das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen durch die Verwendung gefälschter oder verfälschter Dokumente oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht, hat die Familienkasse die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich zu unterrichten.

(2) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer erhält Kindergeld nur, wenn er

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.

1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:

1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind,
2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
2Soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt, stehen die Leistungen nach Satz 1 dem Kindergeld gleich.3Steht ein Berechtigter in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nach § 24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nummer 2 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

Tatbestand

1

I. Der im August 1984 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) legte im Juni 2005 das Abitur ab. Bis einschließlich Juni 2005 hatte der Kläger für S Kindergeld bezogen.

2

Am 7. Oktober 2005 stellte der Kläger für S bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) einen auf den 30. September 2005 datierten "Antrag auf Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz". Ausweislich der im Antragsformular vermerkten Bestätigung des "Kundenbereichs Vermittlung" der Agentur für Arbeit war S dort seit dem 7. Oktober 2005 als arbeitsuchend gemeldet. Außerdem ist im Antrag angegeben, dass S "seit Januar 05 bis voraussichtlich 31.12.05 eine Tätigkeit mit Brutto-Einnahmen in Höhe von monatlich 325 €" ausübt und dass ein Einberufungsbescheid zum 1. Januar 2006 vorliegt. In einem Vermerk über eine persönliche Vorsprache des S bei der Agentur für Arbeit am 14. Oktober 2005 heißt es u.a.: "Die Zeit bis zum Beginn der Bundeswehr will der Kunde nutzen und sich selbst um eine Anstellung/Ausbildung bemühen; an einer Vermittlung in Arbeit unsererseits ist er nicht interessiert und steht daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung."

3

Daraufhin lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2005 ab. Den hiergegen eingelegten Rechtsbehelf wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 als unbegründet zurück.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 17. November 2006  8 K 674/06 ab. Dem Kläger stehe Kindergeld weder für die Monate Juli 2005 bis Dezember 2005 noch für die Zeit danach zu. Für die Monate Juli 2005 bis Dezember 2005 sei S nicht als Kind zu berücksichtigen, weil er sich in diesem Zeitraum weder in einer Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --EStG--) noch in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes befunden habe (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG). Die Tätigkeit des S in der von seiner Mutter und deren Kollegen geführten Gemeinschaftspraxis könne, auch bei weiter Auslegung, nicht als Ausbildung für einen Beruf (Berufsausbildung) qualifiziert werden. Für den Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2005 stehe dem Kläger auch kein Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG zu, weil auch die unverschuldete Überschreitung der dort normierten Übergangszeit kindergeldschädlich sei.

5

Der Kläger habe auch ab Januar 2006 keinen Kindergeldanspruch. Dies gelte zunächst für den Zeitraum ab der Einberufung des S zum gesetzlichen Wehrdienst (1. Januar 2006) bis zum Vortag seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit (30. September 2006). Die Ableistung des gesetzlichen Grundwehrdienstes stelle keine Berufsausbildung dar. Allerdings befinde sich S ab dem Beginn seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Zeitsoldaten (1. Oktober 2006) in Berufsausbildung. Einer Berücksichtigung als Kind i.S. von § 32 EStG stehe aber entgegen, dass die Einkünfte des S ab seiner Berufung in das Zeitsoldatenverhältnis den maßgeblichen (anteiligen) Jahresgrenzbetrag überschritten hätten.

6

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger im Wesentlichen aus, die Einarbeitung in das Abrechnungswesen einer physiotherapeutischen Praxis sei als Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu qualifizieren. Aufgrund der Tatsache, dass S nach seiner Bundeswehrzeit unmittelbar in der Praxis beschäftigt werden sollte, sei die Tätigkeit in der Praxis in jedem Fall als Ausbildung zu beurteilen. Falsch sei im Übrigen auch die Ansicht des FG, dass der Wehrdienst nicht als Berufsausbildung zu qualifizieren sei. Denn anders als der wesensverschiedene Zivildienst diene der Wehrdienst, auch der gesetzliche, der Berufsausbildung, beispielsweise zum Offizier. Hinzu komme, dass sich S mittlerweile dauerhaft bei der Bundeswehr verpflichtet habe.

7

Zudem bestünde eine Regelungslücke in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG. Die Nichtberücksichtigung von unvermeidbaren Zwangspausen bei der Ausbildung, die durch die Leistung eines Pflichtdienstes bedingt seien, sei sachlich nicht zu rechtfertigen.

8

Überdies habe das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen. Es hätte, um sich ein besseres Bild von der Tätigkeit des S in der physiotherapeutischen Praxis machen zu können, Beweis durch Vernehmung der angebotenen Zeugin erheben müssen. Da das FG dies unterlassen habe, beruhe das Urteil auf einem Verfahrensmangel.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid der Familienkasse vom 29. Oktober 2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für S ab Juli 2005, hilfsweise ab Januar 2006 zu gewähren, weiter hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Es führt im Wesentlichen aus, es sei keine Regelungslücke in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG für den Fall erkennbar, dass Kinder länger als vier Monate zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes warten müssten. Konkrete Zahlen, wie viele Kinder hiervon betroffen seien, lägen nicht vor.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Zeitraum von Juli 2005 bis Januar 2006 kein Anspruch auf Kindergeld für S zusteht (unten 1.). Für den Zeitraum ab Februar 2006 wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage bereits unzulässig ist (unten 2.).

13

1. Zutreffend hat das FG den S für den Zeitraum von Juli 2005 bis Januar 2006 nicht als Kind gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG berücksichtigt.

14

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist. Danach scheidet eine Berücksichtigung des S aus, weil er zum Zeitpunkt der Meldung als Arbeitsuchender --dem 7. Oktober 2005-- bereits sein 21. Lebensjahr vollendet hatte.

15

b) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das --wie S im Streitzeitraum-- das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

16

Die Entscheidung des FG, dass es sich weder bei der von S in den Monaten Juli 2005 bis Dezember 2005 ausgeübten Tätigkeit in der physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis seiner Mutter noch bei dem von ihm im Monat Januar 2006 abgeleisteten gesetzlichen Wehrdienst um eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gehandelt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

aa) In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Hierzu können auch berufsspezifische Praktika oder Volontärtätigkeiten zählen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Juni 1999 VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713, und VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Voraussetzung ist allerdings, dass das Praktikum oder das Volontariat der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dient und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706).

18

bb) Das FG ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass S mit seiner Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis keine berufliche Qualifikation angestrebt, sondern in dieser Praxis lediglich Hilfsarbeiten, wie sie im Alltagsgeschäft einer physiotherapeutischen Praxis anfielen, wahrgenommen habe, wobei nicht irgendein "Ausbildungscharakter", sondern der "Erwerbscharakter" im Vordergrund gestanden habe. Da die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei, insbesondere nicht unter Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO (dazu unten 3.), zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. Senatsurteile vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423, und vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26).

19

Zudem ist nach der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass die Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes keine Berufsausbildung darstellt (z.B. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 19/02, BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247).

20

c) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es sich u.a. in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes befindet.

21

Im Streitfall lag jedoch eine Übergangszeit von sechs Monaten (Juli 2005 bis Dezember 2005) zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn des gesetzlichen Wehrdienstes vor (zur Berechnung der Viermonatsfrist vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847). Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei einem Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 101/03, BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. September 2005 III B 30/05, BFH/NV 2006, 50).

22

d) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist hierfür erforderlich, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 III B 33/07, BFH/NV 2008, 786, m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall.

23

e) Nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage hält der Senat an der bisherigen Auffassung fest, wonach weder § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b noch Buchst. c EStG analog auf Fälle anwendbar ist, in denen --unabhängig davon, ob absehbar oder nicht-- die Übergangszeit von vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Zivil- oder Wehrdienstes überschritten wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; vgl. auch Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 50).

24

aa) Die für eine Analogie erforderliche "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" ist (nur) dort gegeben, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer gesetzlich gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 136/93, BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382). Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern lediglich vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung hingegen nicht von den Gerichten geschlossen werden. Sie zu schließen, bleibt Aufgabe des Gesetzgebers.

25

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall keine Regelungslücke vor.

26

(1) Der Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG besteht darin, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern zu berücksichtigen. Hierfür hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG die Fälle, in denen in der Regel steuerlich zu berücksichtigende Unterhaltslasten bei den Eltern entstehen, typisierend geregelt. Dabei hat er insbesondere volljährige Kinder im Zusammenhang mit einer Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG als berücksichtigungsfähig angesehen, und zwar solche, die sich in einer Berufsausbildung befinden (Buchst. a), die nach ernsthaften Bemühungen noch keinen Ausbildungsplatz gefunden oder einen solchen zugesagt erhalten haben, diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten können (Buchst. c; vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2011 III R 57/10, BFH/NV 2011, 1316), oder die sich höchstens in einer viermonatigen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung einer der in Buchst. b genannten Dienste befinden (Buchst. b). Die Ableistung des gesetzlichen Zivil- oder Wehrdienstes hat er hingegen nicht als Berücksichtigungs-, sondern als Verlängerungstatbestand ausgestaltet (§ 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG). Damit bringt er zum Ausdruck, dass der Zivil- oder Wehrdienst --so im Übrigen auch die Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile vom 16. März 2004 VIII R 86/02, BFH/NV 2004, 1242, zum gesetzlichen Zivildienst; in BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247, zum gesetzlichen Grundwehrdienst)-- grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt und sich die Eltern der Pflichtdienstleistenden bei typisierender Betrachtung --was auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) entspricht (Urteile vom 29. November 1989 IVb ZR 16/89, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 1990, 394, zur Wehrpflicht; vom 1. Dezember 1993 XII ZR 150/92, FamRZ 1994, 303, zum Zivildienst; vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. März 2004  2 BvR 1670/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2004, 694)-- in keiner Unterhaltssituation mehr befinden. Der Gesetzgeber behandelt daher im Rahmen des Familienleistungsausgleichs (§§ 31 f., §§ 62 ff. EStG) die Berufsausbildung bewusst anders als die gesetzlichen Pflichtdienstzeiten. Dies deutet nicht darauf hin, dass er es planwidrig unterlassen haben könnte, die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG um die in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Dienste zu ergänzen.

27

(2) Das Fehlen einer Regelungslücke wird schließlich durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074) bestätigt. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes gleichgestellt. Diese Regelung bestätigt die frühere Verwaltungspraxis, wonach u.a. Zwangspausen von höchstens vier Monaten Dauer vor und nach der Ableistung des gesetzlichen Wehr- bzw. Zivildienstes wie Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten berücksichtigt wurden (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand Mai 2000, 63.3.3 Abs. 3, BStBl I 2000, 636, 639, 664, und R 180a der Einkommensteuer-Richtlinien 2001). Gleichwohl hat es der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit unterlassen, in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG eine längere Übergangszeit als vier Monate zu formulieren oder in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG die in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Dienste aufzunehmen. Nach alledem kann nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ausgegangen werden.

28

f) Ebenso hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung fest, wonach gegen die Nichtberücksichtigung von Kindern in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG, die sich --unabhängig davon, ob absehbar oder nicht-- in einer längeren als viermonatigen Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und einer Pflichtdienstzeit befinden, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 50, m.w.N.).

29

Im Streitfall ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Nichtberücksichtigung des S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG gegen das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums verstoßen könnte. Im Übrigen wäre zu beachten, dass bei einer Nichtberücksichtigung des S eine steuerliche Entlastung des Klägers im Rahmen des § 33a Abs. 1 EStG möglich ist (vgl. dazu BVerfG-Beschluss in HFR 2004, 694). Es liegt aber auch insoweit kein Verfassungsverstoß, insbesondere keiner gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor, als dem Kindergeldanspruch die sozialrechtliche Funktion einer Familienförderung zukommt (§ 31 Satz 2 EStG).

30

aa) Bei der Überprüfung, ob eine Regelung, die eine Begünstigung gewährt, den begünstigten vom nicht begünstigten Personenkreis im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgrenzt, ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner hierbei grundsätzlich weiten Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, m.w.N.). Dem Gesetzgeber steht bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie der Gewährung von Kindergeld --auch wenn er bei der Abgrenzung der Leistungsberechtigten nicht sachwidrig differenzieren darf-- ein Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu (BVerfG-Urteil vom 28. April 1999  1 BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59).

31

bb) Diesen Maßstäben genügt die gesetzliche Ausgestaltung der Berücksichtigungstatbestände.

32

(1) Der Gesetzgeber geht in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG davon aus, dass eine kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern nur dann besteht, wenn sich das Kind in einer bestimmten Bedürftigkeitslage befindet. Dem entspricht der unterhaltsrechtliche Grundsatz, dass ein volljähriges --nicht in einer bestimmten Bedürftigkeitslage befindliches-- Kind für sich selbst verantwortlich ist. Es hat seinen Lebensunterhalt grundsätzlich durch eine eigene Erwerbstätigkeit (Erwerbsobliegenheit) zu sichern (z.B. BGH-Urteil vom 6. Dezember 1984 IVb ZR 53/83, BGHZ 93, 123; Palandt/Brudermüller, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Aufl., § 1602 Rz 5).

33

Dabei stellt es eine zulässige Typisierung dar, dass sich Eltern bei einer bis zu viermonatigen Übergangszeit weiterhin in einer Unterhaltssituation befinden. Eine solche Annahme ist mit Blick auf die Kürze der gesetzlich normierten Übergangszeit nicht sachfremd. Umgekehrt darf der Gesetzgeber mit Blick auf den unterhaltsrechtlichen Grundsatz der Selbstverantwortung aber auch annehmen, dass volljährige gesunde Kinder, die längere Übergangszeiten zu überbrücken haben, während dieser Zeit eine Erwerbstätigkeit (ggf. Aushilfstätigkeit) aufnehmen.

34

(2) Sollte nach Ablauf der Viermonatsfrist zwischen einem Ausbildungsabschnitt und einer Pflichtdienstzeit gleichwohl noch eine Unterhaltssituation bestehen, handelt es sich um einen Ausnahmefall (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841).

35

Der Gesetzgeber durfte bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass es regelmäßig möglich ist, innerhalb der Viermonatsfrist eine Stelle zur Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes anzutreten. Den Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist, durfte er unberücksichtigt lassen. Im Übrigen wird die beschränkende Wirkung auf die Kindergeldberechtigung dadurch abgemildert, dass volljährige Kinder während einer Übergangszeit trotz eines bevorstehenden Pflichtdienstes --bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen-- nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG oder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden können. Insbesondere würde eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht zwangsläufig daran scheitern, dass das Kind wegen des bevorstehenden Pflichtdienstes gehindert wäre, sich einer Berufsausbildung zu unterziehen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 24/08, BFHE 233, 44; BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 79/99, BFHE 203, 94, BStBl II 2003, 843). Zum einen können auch zeitlich befristete Praktika oder andere Ausbildungsmaßnahmen außerhalb einer Ausbildungsordnung unter den Begriff der Berufsausbildung fallen (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710). Zum anderen könnten sich volljährige Kinder für den Fall der Zusage eines Ausbildungsplatzes noch anders entscheiden und sich von der zunächst beabsichtigten Ableistung des Pflichtdienstes zurückstellen lassen (§ 12 Abs. 4 Nr. 3 des Wehrpflichtgesetzes; § 11 Abs. 4 Nr. 3 des Zivildienstgesetzes).

36

Mit Blick auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum für typisierende und pauschalierende Regelungen bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten für den Kindergeldberechtigten und das Kind nicht absehbar ist. Außerdem ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber --will man das Restrisiko einer Nichtberücksichtigung wegen Überschreitens der Viermonatsfrist vermeiden-- von dem Kind mit Beendigung des Ausbildungsabschnitts ein aktives Verhalten zur Herbeiführung eines Berücksichtigungstatbestandes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG fordert.

37

2. Zwar hätte das FG die Klage für den Zeitraum ab Februar 2006 bereits mangels Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) als unzulässig abweisen müssen. Das angefochtene Urteil ist aber trotz dieses Rechtsfehlers nicht aufzuheben, weil sein Tenor zutreffend ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 2011 XI R 12/08, BFHE 233, 304, BStBl II 2011, 819, m.w.N.).

38

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger die Kindergeldansprüche für den Zeitraum ab Februar 2006 von Anfang an mit seiner Klage verfolgte oder diese erst nachträglich im Wege einer Klageänderung nach § 67 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens zu machen versuchte.

39

Das FG durfte zwar --ohne Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO-- den Vortrag des anwaltlich vertretenen Klägers, wonach die Tätigkeit des S bei der Bundeswehr eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG darstelle, dahingehend verstehen (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches analog), dass auch Kindergeld für die Monate ab Februar 2006 begehrt wird. Zulässig wäre dieses Klagebegehren aber nur dann, wenn hierfür die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen vorlägen (s. dazu Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 67 FGO Rz 44; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 67 Rz 10, m.w.N.). Danach müsste der Kläger bei der im Streitfall vorliegenden Verpflichtungsklage in der Form der sog. Vornahmeklage nach § 40 Abs. 2 FGO dargetan haben, durch die Ablehnung des Kindergeldanspruchs für den eben genannten Zeitraum in seinen Rechten verletzt zu sein.

40

b) Hieran fehlt es aber bereits deshalb, weil der angegriffene Ablehnungsbescheid vom 29. Oktober 2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 überhaupt keine das Kindergeld ab Februar 2006 ablehnende Regelung enthalten.

41

Dies ergibt sich daraus, dass die Familienkasse im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zu dem Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen kann (vgl. Senatsurteile vom 4. August 2011 III R 71/10, BFH/NV 2012, 298, BFHE 235, 203; vom 9. Juni 2011 III R 54/09, BFH/NV 2011, 1858). Dieser zeitliche Regelungsumfang des Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheides wird durch die Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) ist es die Aufgabe der Gerichte, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Danach fehlt es bereits an der Klagebefugnis des Klägers.

42

c) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie vertreten.

43

Die vom Bundessozialgericht (BSG) für das sozialgerichtliche Verfahren abweichend vertretene Auffassung, wonach bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungs- (§ 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG--) bzw. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen einen Verwaltungsakt, durch den die Gewährung laufender Zahlungen abgelehnt wird, auch über die nach der Widerspruchsentscheidung abgelaufenen Zeiträume zu entscheiden ist (vgl. BSG-Urteil vom 11. Dezember 2007 B 8/9b SO 12/06 R, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1), ist auf das finanzgerichtliche Verfahren in Kindergeldsachen nicht übertragbar. Das BSG ging bei dieser Entscheidung davon aus, dass der im sozialgerichtlichen Verfahren angegriffene Bescheid die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat. Demgegenüber trifft ein Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheid im Kindergeldrecht --auch wenn er keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung enthält-- längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zum Monat der Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung.

44

In dem finanzgerichtlichen Verfahren kann der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat. Gründe der Prozessökonomie oder der sozialen Fürsorge (s. BSG-Urteil vom 28. April 1960  8 RV 1341/58, BSGE 12, 127) rechtfertigen es nicht, eine Klage oder Klageänderung (§ 67 FGO) ohne das Vorliegen zwingender Sachurteilsvoraussetzungen als zulässig anzusehen (s. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Januar 1986  5 C 36/84, Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 1985, 406; vom 30. April 1992  5 C 1/88, BayVBl 1992, 760).

45

d) Soweit die Senatsentscheidungen vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) sowie vom 30. Juni 2005 III R 80/03 (BFH/NV 2006, 262) dahingehend verstanden werden könnten, dass die FG bei Klagen gegen Kindergeld-Ablehnungsbescheide die Anspruchsberechtigung bis zu dem Monat der finanzgerichtlichen Entscheidung zu prüfen haben, hält der Senat aufgrund der vorstehenden Erwägungen hieran nicht mehr fest.

46

3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, wonach das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen habe, liegt schon deshalb nicht vor, weil es der rechtskundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, das Übergehen der von ihm schriftsätzlich beantragten Zeugenvernehmungen zu rügen (vgl. Sitzungsprotoll vom 17. November 2006). Damit hat der Kläger sein Rügerecht verloren (z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 1997 III B 74/95, BFH/NV 1998, 970).

47

4. Soweit das Kindergeld für den Zeitraum ab Februar 2006 betroffen ist, weist der Senat darauf hin, dass bezüglich dieser Kindergeldansprüche noch keine Festsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 EStG, § 155 Abs. 4, §§ 169 bis 171 der Abgabenordnung --AO--) eingetreten ist.

48

Es greift eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ein. Grundsätzlich wäre zwar mit Ablauf des Jahres 2010 für die Kindergeldansprüche des Jahres 2006 die Festsetzungsfrist abgelaufen (zu deren Berechnung vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BFHE 214, 1, BStBl II 2008, 371). Zur Wahrung der Rechte des Kindergeldberechtigten ist aber in einem Fall, in dem der Berechtigte im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck bringt, auch Kindergeld für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum erhalten zu wollen, ausnahmsweise davon auszugehen, dass ein noch nicht beschiedener --außerhalb des Klageverfahrens liegender-- Antrag auf Kindergeld vorliegt.

Tatbestand

1

I. Es ist streitig, ob dem Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) Differenzkindergeld für seine in Portugal lebenden zwei Kinder P und B zusteht.

2

Der Kläger ist ein in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lebender Portugiese. Seine geschiedene Ehefrau lebt mit den beiden Kindern P und B aus erster Ehe in Portugal; sie übt dort eine Beschäftigung aus. Sie erhält für P und B einen portugiesischen Familienzuschlag in Höhe von jeweils 22,59 €. Der Kläger hat mit seiner zweiten Ehefrau zwei weitere in Deutschland lebende Kinder.

3

Im April 2010 beantragte der Kläger Kindergeld für seine vier Kinder. Die Beklagte, Revisionsklägerin und Anschlussrevisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte dies für die in Portugal lebenden Kinder P und B mit Bescheid vom 3. Februar 2011 ab. Im Einspruchsverfahren änderte die Familienkasse den angegriffenen Ablehnungsbescheid mit Bescheid vom 27. April 2011 dahingehend ab, dass sie die Festsetzung des Kindergeldes erst ab Mai 2010 ablehnte. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011).

4

Die Klage, mit welcher der Kläger die Festsetzung des Differenzkindergeldes für P und B ab Mai 2010 in Höhe von jeweils 161,41 € (= 184 € ./. 22,59 €) begehrte, war nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) teilweise erfolgreich. Es verpflichtete die Familienkasse für den Zeitraum ab September 2011 unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden. Im Übrigen wies es die Klage für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 als unbegründet ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen Folgendes aus:

5

Soweit der Zeitraum ab September 2011 betroffen sei, stehe dem Kläger ein Anspruch auf Differenzkindergeld zu. Die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (Amtsblatt der Europäischen Union 2004 Nr. L 166, S. 1), der einen Anspruch auf Differenzkindergeld ausschließe, seien ab September 2011 --aufgrund der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers in Berlin-- nicht mehr gegeben. Ebenso sei der Kindergeldanspruch nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeschlossen. Mangels Spruchreife sei der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden. Für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 sei die Klage hingegen unbegründet, weil insoweit der den Anspruch auf Differenzkindergeld ausschließende Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 eingreife.

6

Die Familienkasse macht mit ihrer den Zeitraum ab September 2011 betreffenden Revision geltend, das FG habe § 64 EStG rechtsfehlerhaft angewendet. Zur Begründung trägt sie insbesondere vor, dass aufgrund der Anwendung des Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 und des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu unterstellen sei, dass auch die Kindsmutter mit den Kindern P und B in einem Haushalt in Deutschland lebe. Danach sei die Kindsmutter nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig berechtigt.

7

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie für den Zeitraum ab September 2011 unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 verpflichtet wurde, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, und die Klage auch insoweit abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt, die Revision der Familienkasse für den Zeitraum ab September 2011 zurückzuweisen, sowie im Wege der Anschlussrevision die den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 betreffende Vorentscheidung aufzuheben und die Familienkasse insoweit zu verpflichten, den Kläger neu zu bescheiden.

9

Der Kläger ist unter ausführlicher Darlegung seiner Rechtsansicht der Revision der Familienkasse entgegengetreten. Darüber hinaus macht er im Wege der Anschlussrevision geltend, das den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 betreffende klageabweisende Urteil sei zu seinen Gunsten zu ändern.

Entscheidungsgründe

10

II. Aufgrund des stattgefundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsels ist Beklagte, Revisionsklägerin und Anschlussrevisionsbeklagte nunmehr die Familienkasse Bayern Nord der Bundesagentur für Arbeit (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18. Dezember 2013 III R 52/11, BFH/NV 2014, 851, Rz 9).

III.

11

Die den Zeitraum ab September 2011 betreffende Revision der Familienkasse ist begründet; die Vorentscheidung ist insoweit in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) isoliert aufzuheben. Die den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 betreffende Anschlussrevision des Klägers ist unzulässig und daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

12

A. Revision der Familienkasse (Zeitraum ab September 2011)

13

Die Vorentscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen, soweit das FG auch über die Kindergeldansprüche des Klägers für den Zeitraum ab September 2011 entschieden hat. Insoweit liegt ein Verstoß gegen den in § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO niedergelegten Grundsatz vor, wonach das FG nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf ("ne ultra petita").

14

1. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in Kindergeldangelegenheiten zur Bestimmung des Klagezeitraums folgende Grundsätze aufgestellt:

15

a) Das FG kann den Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer gerichtlichen Inhaltskontrolle machen, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat. Dabei umfasst ein mit einer Anfechtungsklage bzw. Verpflichtungsklage angegriffener Aufhebungsbescheid bzw. Ablehnungsbescheid eine Regelung des Kindergeldanspruchs ab dem Monat der Aufhebung bzw. Ablehnung bis längstens zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 40 ff.; vgl. auch BFH-Urteile vom 5. Juli 2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953, Rz 14 ff.; vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920, Rz 18 ff.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Familienkasse in dem angegriffenen Bescheid nicht ausdrücklich einen hiervon abweichenden Zeitraum geregelt hat.

16

Demnach ist in einem derartigen Fall eine Klage unzulässig, soweit mit ihr Kindergeld für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum begehrt wird (Senatsurteil in BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 40). Es entspricht daher (regelmäßig) dem recht verstandenen Interesse eines Klägers, dass er --sofern er im finanzgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich etwas Abweichendes beantragt-- eine Kindergeldregelung für den Zeitraum ab Aufhebung bzw. Ablehnung der Kindergeldfestsetzung bis längstens zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung begehrt (Senatsurteil vom 27. September 2012 III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544, Rz 14).

17

b) Überträgt man diese Grundsätze auf den Streitfall, bedeutet dies, dass das FG --wie sich aus dem Tenor und den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung ergibt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24. August 2005 VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86, unter II.2.a zur Bestimmung des Entscheidungsgegenstandes)-- auch über die Kindergeldansprüche für den Zeitraum ab September 2011 entschieden hat, obwohl diese Ansprüche nicht vom erstinstanzlichen Klagebegehren umfasst waren.

18

Die Familienkasse hatte mit den angegriffenen Ablehnungsbescheiden keine Kindergeldansprüche geregelt, die den Zeitraum ab September 2011 betrafen. In dem Ablehnungsbescheid vom 27. April 2011 hieß es, dass der Antrag auf Kindergeld für P und B ab Mai 2010 abgelehnt wird. Ebenso lässt sich der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 nicht entnehmen, dass eine Kindergeldregelung für den Zeitraum ab September 2011 getroffen wurde.

19

Dementsprechend begehrte der Kläger in seiner Klageschrift vom 9. Juni 2011, die Familienkasse zu verpflichten, Differenzkindergeld für P und B ab Mai 2010 in Höhe von jeweils 161,41 € festzusetzen. Dass der Kläger hiermit eine Kindergeldregelung für den Zeitraum ab September 2011 anstrebte, ergibt sich aus dieser Klageschrift nicht. Ein solches Begehren ist auch nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2012 erkennbar geworden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift beantragte der Kläger, die Familienkasse unter Aufhebung der angegriffenen Ablehnungsbescheide zu verpflichten, "ihm Kindergeld ab Mai 2010 für die Kinder B und P in Höhe von jeweils 161,41 € zu gewähren". Er führte dort nicht explizit aus, (auch) Kindergeld für den Zeitraum ab September 2011 zu begehren.

20

Nach alledem hätte das Klagebegehren bei verständiger Würdigung so verstanden werden müssen, dass der Kläger keine teilweise unzulässige Klage erheben wollte, sondern nur Differenzkindergeld für den Zeitraum ab Ablehnung der Kindergeldfestsetzung (hier Mai 2010) bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (hier Mai 2011) begehrte.

21

c) Auch wenn der Senat die genannten Grundsätze zur Bestimmung des Klagezeitraums erstmals kurz vor Ergehen der Vorentscheidung in dem Senatsurteil in BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 40 ff. höchstrichterlich niedergelegt hat, führt deren Nichtbeachtung zu einem Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO. Dieser Verfahrensfehler ist ohne Rüge von Amts wegen zu beachten (z.B. Senatsurteil vom 31. Januar 2013 III R 15/10, BFH/NV 2013, 1071, Rz 12, m.w.N.).

22

2. Die Vorentscheidung ist in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 FGO isoliert aufzuheben.

23

a) Hebt der BFH eine nicht entscheidungsreife Sache auf, so muss er bei striktem Wortverständnis des § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO die Sache auch zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Eine isolierte Aufhebung der Vorentscheidung sieht der Wortlaut des § 126 FGO nicht vor. Allerdings muss ein solches Vorgehen dann möglich sein, wenn der Verfahrensfehler nur durch eine Aufhebung beseitigt werden kann und es einer Zurückverweisung an das FG nicht mehr bedarf (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2005 I B 83/04, BFH/NV 2005, 1314, unter II.1. zu § 116 Abs. 6 FGO).

24

b) So verhält es sich im Streitfall. Das FG erließ für den Zeitraum ab September 2011 ein Urteil, das als solches nicht hätte ergehen dürfen. Nach Aufhebung dieses Teils des Urteils gibt es im Streitfall für diesen Zeitraum keine Rechtssache mehr, die vom FG noch zu entscheiden wäre.

25

B. Anschlussrevision des Klägers (Zeitraum Mai 2010 bis August
   2011)

26

Die für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 eingelegte Anschlussrevision des Klägers ist bereits deshalb unzulässig, weil er sie nicht fristgerecht eingelegt und begründet hat.

27

1. Der Kläger hat die Vorentscheidung nicht binnen eines Monats nach deren Zustellung (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) mit einer selbständigen Revision angegriffen. Er hat jedoch eine unselbständige Anschlussrevision (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 554 der Zivilprozessordnung --ZPO--) eingelegt.

28

a) Die Zulässigkeit einer Anschlussrevision setzt u.a. voraus, dass sie innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt und begründet wird (§ 155 FGO i.V.m. § 554 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO; vgl. z.B. Senatsurteile vom 2. Juni 2005 III R 15/04, BFHE 210, 141, BStBl II 2005, 828, unter B.I.2.; vom 22. Dezember 2011 III R 93/10, BFH/NV 2012, 932, Rz 18). Diese Frist kann --anders als die Frist zur Erwiderung auf die Revisionsbegründung-- nicht verlängert werden (BFH-Urteil vom 19. März 2003 VI R 40/01, BFH/NV 2003, 1163, unter II.2.).

29

b) Im Streitfall hat der Kläger die Anschlussrevision nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründungsschrift der Familienkasse eingelegt und begründet. Dem Kläger wurde die Revisionsbegründungsschrift der Familienkasse am 8. Oktober 2012 zugestellt. Die Anschlussrevision legte er jedoch erst am 10. Dezember 2012 beim BFH ein.

30

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen der Versäumung dieser Frist kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat weder einen Antrag gestellt noch sind nach Aktenlage Tatsachen ersichtlich, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten.

31

2. Auch wenn eine unzulässige Revision nach § 126 Abs. 1 FGO grundsätzlich durch Beschluss zu verwerfen ist, kann der Senat in einem Fall wie dem vorliegenden über beide Revisionen einheitlich entscheiden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Juni 2012 IV R 42/11, BFH/NV 2012, 1927, Rz 27).

32

C. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auf Folgendes
   hin:

33

1. Da der Kläger für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 weder Revision noch eine zulässige Anschlussrevision eingelegt hat, kann die Vorentscheidung für den Zeitraum Mai 2010 bis Mai 2011 (Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) nicht mehr zu seinen Gunsten abgeändert werden. Insoweit ist die Vorentscheidung materiell rechtskräftig und bindend (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO).

34

Ohne hierüber im Streitfall entscheiden zu müssen, neigt der Senat zur Annahme, dass die Vorentscheidung ebenfalls für den Zeitraum Juni bis August 2011 bindend ist. Auch wenn das FG durch die irrtümliche Abweisung der Klage für diesen Zeitraum gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verstoßen hat, spricht viel dafür, dass sich die materielle Rechtskraft des Urteils auch auf den "ultra petita" abgewiesenen Teil der Klage erstreckt, zumal der hierdurch beschwerte Beteiligte die Möglichkeit hat, den Fehler im Rechtsmittelverfahren korrigieren zu lassen (gleicher Ansicht Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 FGO Rz 56; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Mai 1998 I ZR 275/95, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 287, unter II.2.a; anderer Ansicht u.U. BFH-Urteil vom 18. Februar 1986 VII R 98/85, BFHE 146, 279, BStBl II 1986, 571, unter II.).

35

2. Außer Frage steht, dass der Kläger für den Zeitraum ab September 2011 Kindergeld beantragen kann. Insoweit besteht keine Bindungswirkung der Vorentscheidung.

36

Sollten für diesen Zeitraum Kindergeldansprüche bestehen, wären sie auch (noch) nicht festsetzungsverjährt (vgl. § 31 Satz 3 EStG, § 155 Abs. 4, §§ 169 bis 171 der Abgabenordnung). Die Festsetzungsverjährung für evtl. Kindergeldansprüche des Jahres 2011 tritt erst mit Ablauf des 31. Dezember 2015 ein (zur Berechnung der Festsetzungsfrist vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BFHE 214, 1, BStBl II 2008, 371, unter II.1.c).

D. ...

Tatbestand

1

I. Der im August 1984 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) legte im Juni 2005 das Abitur ab. Bis einschließlich Juni 2005 hatte der Kläger für S Kindergeld bezogen.

2

Am 7. Oktober 2005 stellte der Kläger für S bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) einen auf den 30. September 2005 datierten "Antrag auf Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz". Ausweislich der im Antragsformular vermerkten Bestätigung des "Kundenbereichs Vermittlung" der Agentur für Arbeit war S dort seit dem 7. Oktober 2005 als arbeitsuchend gemeldet. Außerdem ist im Antrag angegeben, dass S "seit Januar 05 bis voraussichtlich 31.12.05 eine Tätigkeit mit Brutto-Einnahmen in Höhe von monatlich 325 €" ausübt und dass ein Einberufungsbescheid zum 1. Januar 2006 vorliegt. In einem Vermerk über eine persönliche Vorsprache des S bei der Agentur für Arbeit am 14. Oktober 2005 heißt es u.a.: "Die Zeit bis zum Beginn der Bundeswehr will der Kunde nutzen und sich selbst um eine Anstellung/Ausbildung bemühen; an einer Vermittlung in Arbeit unsererseits ist er nicht interessiert und steht daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung."

3

Daraufhin lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2005 ab. Den hiergegen eingelegten Rechtsbehelf wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 als unbegründet zurück.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 17. November 2006  8 K 674/06 ab. Dem Kläger stehe Kindergeld weder für die Monate Juli 2005 bis Dezember 2005 noch für die Zeit danach zu. Für die Monate Juli 2005 bis Dezember 2005 sei S nicht als Kind zu berücksichtigen, weil er sich in diesem Zeitraum weder in einer Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --EStG--) noch in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes befunden habe (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG). Die Tätigkeit des S in der von seiner Mutter und deren Kollegen geführten Gemeinschaftspraxis könne, auch bei weiter Auslegung, nicht als Ausbildung für einen Beruf (Berufsausbildung) qualifiziert werden. Für den Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2005 stehe dem Kläger auch kein Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG zu, weil auch die unverschuldete Überschreitung der dort normierten Übergangszeit kindergeldschädlich sei.

5

Der Kläger habe auch ab Januar 2006 keinen Kindergeldanspruch. Dies gelte zunächst für den Zeitraum ab der Einberufung des S zum gesetzlichen Wehrdienst (1. Januar 2006) bis zum Vortag seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit (30. September 2006). Die Ableistung des gesetzlichen Grundwehrdienstes stelle keine Berufsausbildung dar. Allerdings befinde sich S ab dem Beginn seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Zeitsoldaten (1. Oktober 2006) in Berufsausbildung. Einer Berücksichtigung als Kind i.S. von § 32 EStG stehe aber entgegen, dass die Einkünfte des S ab seiner Berufung in das Zeitsoldatenverhältnis den maßgeblichen (anteiligen) Jahresgrenzbetrag überschritten hätten.

6

Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger im Wesentlichen aus, die Einarbeitung in das Abrechnungswesen einer physiotherapeutischen Praxis sei als Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu qualifizieren. Aufgrund der Tatsache, dass S nach seiner Bundeswehrzeit unmittelbar in der Praxis beschäftigt werden sollte, sei die Tätigkeit in der Praxis in jedem Fall als Ausbildung zu beurteilen. Falsch sei im Übrigen auch die Ansicht des FG, dass der Wehrdienst nicht als Berufsausbildung zu qualifizieren sei. Denn anders als der wesensverschiedene Zivildienst diene der Wehrdienst, auch der gesetzliche, der Berufsausbildung, beispielsweise zum Offizier. Hinzu komme, dass sich S mittlerweile dauerhaft bei der Bundeswehr verpflichtet habe.

7

Zudem bestünde eine Regelungslücke in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG. Die Nichtberücksichtigung von unvermeidbaren Zwangspausen bei der Ausbildung, die durch die Leistung eines Pflichtdienstes bedingt seien, sei sachlich nicht zu rechtfertigen.

8

Überdies habe das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen. Es hätte, um sich ein besseres Bild von der Tätigkeit des S in der physiotherapeutischen Praxis machen zu können, Beweis durch Vernehmung der angebotenen Zeugin erheben müssen. Da das FG dies unterlassen habe, beruhe das Urteil auf einem Verfahrensmangel.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid der Familienkasse vom 29. Oktober 2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für S ab Juli 2005, hilfsweise ab Januar 2006 zu gewähren, weiter hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Es führt im Wesentlichen aus, es sei keine Regelungslücke in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG für den Fall erkennbar, dass Kinder länger als vier Monate zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes warten müssten. Konkrete Zahlen, wie viele Kinder hiervon betroffen seien, lägen nicht vor.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Zeitraum von Juli 2005 bis Januar 2006 kein Anspruch auf Kindergeld für S zusteht (unten 1.). Für den Zeitraum ab Februar 2006 wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage bereits unzulässig ist (unten 2.).

13

1. Zutreffend hat das FG den S für den Zeitraum von Juli 2005 bis Januar 2006 nicht als Kind gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG berücksichtigt.

14

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist. Danach scheidet eine Berücksichtigung des S aus, weil er zum Zeitpunkt der Meldung als Arbeitsuchender --dem 7. Oktober 2005-- bereits sein 21. Lebensjahr vollendet hatte.

15

b) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das --wie S im Streitzeitraum-- das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

16

Die Entscheidung des FG, dass es sich weder bei der von S in den Monaten Juli 2005 bis Dezember 2005 ausgeübten Tätigkeit in der physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis seiner Mutter noch bei dem von ihm im Monat Januar 2006 abgeleisteten gesetzlichen Wehrdienst um eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gehandelt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

aa) In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Hierzu können auch berufsspezifische Praktika oder Volontärtätigkeiten zählen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Juni 1999 VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713, und VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Voraussetzung ist allerdings, dass das Praktikum oder das Volontariat der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dient und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht und es sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handelt (BFH-Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706).

18

bb) Das FG ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass S mit seiner Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis keine berufliche Qualifikation angestrebt, sondern in dieser Praxis lediglich Hilfsarbeiten, wie sie im Alltagsgeschäft einer physiotherapeutischen Praxis anfielen, wahrgenommen habe, wobei nicht irgendein "Ausbildungscharakter", sondern der "Erwerbscharakter" im Vordergrund gestanden habe. Da die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei, insbesondere nicht unter Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO (dazu unten 3.), zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. Senatsurteile vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423, und vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26).

19

Zudem ist nach der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass die Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes keine Berufsausbildung darstellt (z.B. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 19/02, BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247).

20

c) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es sich u.a. in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes befindet.

21

Im Streitfall lag jedoch eine Übergangszeit von sechs Monaten (Juli 2005 bis Dezember 2005) zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn des gesetzlichen Wehrdienstes vor (zur Berechnung der Viermonatsfrist vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847). Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei einem Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 101/03, BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. September 2005 III B 30/05, BFH/NV 2006, 50).

22

d) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist hierfür erforderlich, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 III B 33/07, BFH/NV 2008, 786, m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall.

23

e) Nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage hält der Senat an der bisherigen Auffassung fest, wonach weder § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b noch Buchst. c EStG analog auf Fälle anwendbar ist, in denen --unabhängig davon, ob absehbar oder nicht-- die Übergangszeit von vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Zivil- oder Wehrdienstes überschritten wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; vgl. auch Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 50).

24

aa) Die für eine Analogie erforderliche "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" ist (nur) dort gegeben, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer gesetzlich gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 136/93, BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382). Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern lediglich vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung hingegen nicht von den Gerichten geschlossen werden. Sie zu schließen, bleibt Aufgabe des Gesetzgebers.

25

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall keine Regelungslücke vor.

26

(1) Der Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG besteht darin, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern zu berücksichtigen. Hierfür hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG die Fälle, in denen in der Regel steuerlich zu berücksichtigende Unterhaltslasten bei den Eltern entstehen, typisierend geregelt. Dabei hat er insbesondere volljährige Kinder im Zusammenhang mit einer Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG als berücksichtigungsfähig angesehen, und zwar solche, die sich in einer Berufsausbildung befinden (Buchst. a), die nach ernsthaften Bemühungen noch keinen Ausbildungsplatz gefunden oder einen solchen zugesagt erhalten haben, diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten können (Buchst. c; vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2011 III R 57/10, BFH/NV 2011, 1316), oder die sich höchstens in einer viermonatigen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung einer der in Buchst. b genannten Dienste befinden (Buchst. b). Die Ableistung des gesetzlichen Zivil- oder Wehrdienstes hat er hingegen nicht als Berücksichtigungs-, sondern als Verlängerungstatbestand ausgestaltet (§ 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG). Damit bringt er zum Ausdruck, dass der Zivil- oder Wehrdienst --so im Übrigen auch die Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile vom 16. März 2004 VIII R 86/02, BFH/NV 2004, 1242, zum gesetzlichen Zivildienst; in BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247, zum gesetzlichen Grundwehrdienst)-- grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt und sich die Eltern der Pflichtdienstleistenden bei typisierender Betrachtung --was auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) entspricht (Urteile vom 29. November 1989 IVb ZR 16/89, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 1990, 394, zur Wehrpflicht; vom 1. Dezember 1993 XII ZR 150/92, FamRZ 1994, 303, zum Zivildienst; vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. März 2004  2 BvR 1670/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2004, 694)-- in keiner Unterhaltssituation mehr befinden. Der Gesetzgeber behandelt daher im Rahmen des Familienleistungsausgleichs (§§ 31 f., §§ 62 ff. EStG) die Berufsausbildung bewusst anders als die gesetzlichen Pflichtdienstzeiten. Dies deutet nicht darauf hin, dass er es planwidrig unterlassen haben könnte, die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG um die in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Dienste zu ergänzen.

27

(2) Das Fehlen einer Regelungslücke wird schließlich durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074) bestätigt. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes gleichgestellt. Diese Regelung bestätigt die frühere Verwaltungspraxis, wonach u.a. Zwangspausen von höchstens vier Monaten Dauer vor und nach der Ableistung des gesetzlichen Wehr- bzw. Zivildienstes wie Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten berücksichtigt wurden (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand Mai 2000, 63.3.3 Abs. 3, BStBl I 2000, 636, 639, 664, und R 180a der Einkommensteuer-Richtlinien 2001). Gleichwohl hat es der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit unterlassen, in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG eine längere Übergangszeit als vier Monate zu formulieren oder in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG die in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Dienste aufzunehmen. Nach alledem kann nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ausgegangen werden.

28

f) Ebenso hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung fest, wonach gegen die Nichtberücksichtigung von Kindern in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG, die sich --unabhängig davon, ob absehbar oder nicht-- in einer längeren als viermonatigen Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und einer Pflichtdienstzeit befinden, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 198, m.w.N.; Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 50, m.w.N.).

29

Im Streitfall ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Nichtberücksichtigung des S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG gegen das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums verstoßen könnte. Im Übrigen wäre zu beachten, dass bei einer Nichtberücksichtigung des S eine steuerliche Entlastung des Klägers im Rahmen des § 33a Abs. 1 EStG möglich ist (vgl. dazu BVerfG-Beschluss in HFR 2004, 694). Es liegt aber auch insoweit kein Verfassungsverstoß, insbesondere keiner gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor, als dem Kindergeldanspruch die sozialrechtliche Funktion einer Familienförderung zukommt (§ 31 Satz 2 EStG).

30

aa) Bei der Überprüfung, ob eine Regelung, die eine Begünstigung gewährt, den begünstigten vom nicht begünstigten Personenkreis im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgrenzt, ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner hierbei grundsätzlich weiten Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, m.w.N.). Dem Gesetzgeber steht bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie der Gewährung von Kindergeld --auch wenn er bei der Abgrenzung der Leistungsberechtigten nicht sachwidrig differenzieren darf-- ein Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu (BVerfG-Urteil vom 28. April 1999  1 BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59).

31

bb) Diesen Maßstäben genügt die gesetzliche Ausgestaltung der Berücksichtigungstatbestände.

32

(1) Der Gesetzgeber geht in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG davon aus, dass eine kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern nur dann besteht, wenn sich das Kind in einer bestimmten Bedürftigkeitslage befindet. Dem entspricht der unterhaltsrechtliche Grundsatz, dass ein volljähriges --nicht in einer bestimmten Bedürftigkeitslage befindliches-- Kind für sich selbst verantwortlich ist. Es hat seinen Lebensunterhalt grundsätzlich durch eine eigene Erwerbstätigkeit (Erwerbsobliegenheit) zu sichern (z.B. BGH-Urteil vom 6. Dezember 1984 IVb ZR 53/83, BGHZ 93, 123; Palandt/Brudermüller, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Aufl., § 1602 Rz 5).

33

Dabei stellt es eine zulässige Typisierung dar, dass sich Eltern bei einer bis zu viermonatigen Übergangszeit weiterhin in einer Unterhaltssituation befinden. Eine solche Annahme ist mit Blick auf die Kürze der gesetzlich normierten Übergangszeit nicht sachfremd. Umgekehrt darf der Gesetzgeber mit Blick auf den unterhaltsrechtlichen Grundsatz der Selbstverantwortung aber auch annehmen, dass volljährige gesunde Kinder, die längere Übergangszeiten zu überbrücken haben, während dieser Zeit eine Erwerbstätigkeit (ggf. Aushilfstätigkeit) aufnehmen.

34

(2) Sollte nach Ablauf der Viermonatsfrist zwischen einem Ausbildungsabschnitt und einer Pflichtdienstzeit gleichwohl noch eine Unterhaltssituation bestehen, handelt es sich um einen Ausnahmefall (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841).

35

Der Gesetzgeber durfte bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass es regelmäßig möglich ist, innerhalb der Viermonatsfrist eine Stelle zur Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes anzutreten. Den Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist, durfte er unberücksichtigt lassen. Im Übrigen wird die beschränkende Wirkung auf die Kindergeldberechtigung dadurch abgemildert, dass volljährige Kinder während einer Übergangszeit trotz eines bevorstehenden Pflichtdienstes --bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen-- nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG oder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden können. Insbesondere würde eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht zwangsläufig daran scheitern, dass das Kind wegen des bevorstehenden Pflichtdienstes gehindert wäre, sich einer Berufsausbildung zu unterziehen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 24/08, BFHE 233, 44; BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 79/99, BFHE 203, 94, BStBl II 2003, 843). Zum einen können auch zeitlich befristete Praktika oder andere Ausbildungsmaßnahmen außerhalb einer Ausbildungsordnung unter den Begriff der Berufsausbildung fallen (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710). Zum anderen könnten sich volljährige Kinder für den Fall der Zusage eines Ausbildungsplatzes noch anders entscheiden und sich von der zunächst beabsichtigten Ableistung des Pflichtdienstes zurückstellen lassen (§ 12 Abs. 4 Nr. 3 des Wehrpflichtgesetzes; § 11 Abs. 4 Nr. 3 des Zivildienstgesetzes).

36

Mit Blick auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum für typisierende und pauschalierende Regelungen bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten für den Kindergeldberechtigten und das Kind nicht absehbar ist. Außerdem ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber --will man das Restrisiko einer Nichtberücksichtigung wegen Überschreitens der Viermonatsfrist vermeiden-- von dem Kind mit Beendigung des Ausbildungsabschnitts ein aktives Verhalten zur Herbeiführung eines Berücksichtigungstatbestandes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG fordert.

37

2. Zwar hätte das FG die Klage für den Zeitraum ab Februar 2006 bereits mangels Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) als unzulässig abweisen müssen. Das angefochtene Urteil ist aber trotz dieses Rechtsfehlers nicht aufzuheben, weil sein Tenor zutreffend ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 2011 XI R 12/08, BFHE 233, 304, BStBl II 2011, 819, m.w.N.).

38

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger die Kindergeldansprüche für den Zeitraum ab Februar 2006 von Anfang an mit seiner Klage verfolgte oder diese erst nachträglich im Wege einer Klageänderung nach § 67 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens zu machen versuchte.

39

Das FG durfte zwar --ohne Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO-- den Vortrag des anwaltlich vertretenen Klägers, wonach die Tätigkeit des S bei der Bundeswehr eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG darstelle, dahingehend verstehen (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches analog), dass auch Kindergeld für die Monate ab Februar 2006 begehrt wird. Zulässig wäre dieses Klagebegehren aber nur dann, wenn hierfür die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen vorlägen (s. dazu Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 67 FGO Rz 44; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 67 Rz 10, m.w.N.). Danach müsste der Kläger bei der im Streitfall vorliegenden Verpflichtungsklage in der Form der sog. Vornahmeklage nach § 40 Abs. 2 FGO dargetan haben, durch die Ablehnung des Kindergeldanspruchs für den eben genannten Zeitraum in seinen Rechten verletzt zu sein.

40

b) Hieran fehlt es aber bereits deshalb, weil der angegriffene Ablehnungsbescheid vom 29. Oktober 2005 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 überhaupt keine das Kindergeld ab Februar 2006 ablehnende Regelung enthalten.

41

Dies ergibt sich daraus, dass die Familienkasse im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zu dem Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen kann (vgl. Senatsurteile vom 4. August 2011 III R 71/10, BFH/NV 2012, 298, BFHE 235, 203; vom 9. Juni 2011 III R 54/09, BFH/NV 2011, 1858). Dieser zeitliche Regelungsumfang des Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheides wird durch die Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) ist es die Aufgabe der Gerichte, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Danach fehlt es bereits an der Klagebefugnis des Klägers.

42

c) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie vertreten.

43

Die vom Bundessozialgericht (BSG) für das sozialgerichtliche Verfahren abweichend vertretene Auffassung, wonach bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungs- (§ 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG--) bzw. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen einen Verwaltungsakt, durch den die Gewährung laufender Zahlungen abgelehnt wird, auch über die nach der Widerspruchsentscheidung abgelaufenen Zeiträume zu entscheiden ist (vgl. BSG-Urteil vom 11. Dezember 2007 B 8/9b SO 12/06 R, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1), ist auf das finanzgerichtliche Verfahren in Kindergeldsachen nicht übertragbar. Das BSG ging bei dieser Entscheidung davon aus, dass der im sozialgerichtlichen Verfahren angegriffene Bescheid die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat. Demgegenüber trifft ein Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheid im Kindergeldrecht --auch wenn er keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung enthält-- längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zum Monat der Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung.

44

In dem finanzgerichtlichen Verfahren kann der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat. Gründe der Prozessökonomie oder der sozialen Fürsorge (s. BSG-Urteil vom 28. April 1960  8 RV 1341/58, BSGE 12, 127) rechtfertigen es nicht, eine Klage oder Klageänderung (§ 67 FGO) ohne das Vorliegen zwingender Sachurteilsvoraussetzungen als zulässig anzusehen (s. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Januar 1986  5 C 36/84, Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 1985, 406; vom 30. April 1992  5 C 1/88, BayVBl 1992, 760).

45

d) Soweit die Senatsentscheidungen vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) sowie vom 30. Juni 2005 III R 80/03 (BFH/NV 2006, 262) dahingehend verstanden werden könnten, dass die FG bei Klagen gegen Kindergeld-Ablehnungsbescheide die Anspruchsberechtigung bis zu dem Monat der finanzgerichtlichen Entscheidung zu prüfen haben, hält der Senat aufgrund der vorstehenden Erwägungen hieran nicht mehr fest.

46

3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, wonach das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen habe, liegt schon deshalb nicht vor, weil es der rechtskundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, das Übergehen der von ihm schriftsätzlich beantragten Zeugenvernehmungen zu rügen (vgl. Sitzungsprotoll vom 17. November 2006). Damit hat der Kläger sein Rügerecht verloren (z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 1997 III B 74/95, BFH/NV 1998, 970).

47

4. Soweit das Kindergeld für den Zeitraum ab Februar 2006 betroffen ist, weist der Senat darauf hin, dass bezüglich dieser Kindergeldansprüche noch keine Festsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 EStG, § 155 Abs. 4, §§ 169 bis 171 der Abgabenordnung --AO--) eingetreten ist.

48

Es greift eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ein. Grundsätzlich wäre zwar mit Ablauf des Jahres 2010 für die Kindergeldansprüche des Jahres 2006 die Festsetzungsfrist abgelaufen (zu deren Berechnung vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BFHE 214, 1, BStBl II 2008, 371). Zur Wahrung der Rechte des Kindergeldberechtigten ist aber in einem Fall, in dem der Berechtigte im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck bringt, auch Kindergeld für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum erhalten zu wollen, ausnahmsweise davon auszugehen, dass ein noch nicht beschiedener --außerhalb des Klageverfahrens liegender-- Antrag auf Kindergeld vorliegt.

(1)1Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.2Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil

1.
an der ausschließlichen Wirtschaftszone, soweit dort
a)
die lebenden und nicht lebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrunds erforscht, ausgebeutet, erhalten oder bewirtschaftet werden,
b)
andere Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung oder Ausbeutung der ausschließlichen Wirtschaftszone ausgeübt werden, wie beispielsweise die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind oder
c)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in den Buchstaben a und b genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden, und
2.
am Festlandsockel, soweit dort
a)
dessen natürliche Ressourcen erforscht oder ausgebeutet werden; natürliche Ressourcen in diesem Sinne sind die mineralischen und sonstigen nicht lebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie die zu den sesshaften Arten gehörenden Lebewesen, die im nutzbaren Stadium entweder unbeweglich auf oder unter dem Meeresboden verbleiben oder sich nur in ständigem körperlichen Kontakt mit dem Meeresboden oder seinem Untergrund fortbewegen können; oder
b)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in Buchstabe a genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden.

(2)1Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind auch deutsche Staatsangehörige, die

1.
im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und
2.
zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen,
sowie zu ihrem Haushalt gehörende Angehörige, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder keine Einkünfte oder nur Einkünfte beziehen, die ausschließlich im Inland einkommensteuerpflichtig sind.2Dies gilt nur für natürliche Personen, die in dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen werden.

(3)1Auf Antrag werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.2Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.3Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten hierbei als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend.4Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach Satz 2 nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind.5Weitere Voraussetzung ist, dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.6Der Steuerabzug nach § 50a ist ungeachtet der Sätze 1 bis 4 vorzunehmen.

(4) Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 und des § 1a beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.

(1)1Als Kinder werden berücksichtigt

1.
Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,
2.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,
3.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.
2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.3Voraussetzung für die Berücksichtigung ist die Identifizierung des Kindes durch die an dieses Kind vergebene Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung).4Ist das Kind nicht nach einem Steuergesetz steuerpflichtig (§ 139a Absatz 2 der Abgabenordnung), ist es in anderer geeigneter Weise zu identifizieren.5Die nachträgliche Identifizierung oder nachträgliche Vergabe der Identifikationsnummer wirkt auf Monate zurück, in denen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 vorliegen.6Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden nicht berücksichtigt, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a.7Kinder im Sinne von § 2 Absatz 4 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes werden nicht berücksichtigt.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig ist oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erzielt, für seine in Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Kinder Kindergeld ganz oder teilweise zu leisten ist, soweit dies mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnsitzstaat und auf die dort gewährten dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen geboten ist.

(1) Für jedes Kind wird nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt.

(2)1Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.2Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern, einem Elternteil und dessen Ehegatten, Pflegeeltern oder Großeltern aufgenommen worden, so bestimmen diese untereinander den Berechtigten.3Wird eine Bestimmung nicht getroffen, so bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten.4Den Antrag kann stellen, wer ein berechtigtes Interesse an der Zahlung des Kindergeldes hat.5Lebt ein Kind im gemeinsamen Haushalt von Eltern und Großeltern, so wird das Kindergeld vorrangig einem Elternteil gezahlt; es wird an einen Großelternteil gezahlt, wenn der Elternteil gegenüber der zuständigen Stelle auf seinen Vorrang schriftlich verzichtet hat.

(3)1Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt.2Zahlen mehrere Berechtigte dem Kind Unterhaltsrenten, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind die höchste Unterhaltsrente zahlt.3Werden gleich hohe Unterhaltsrenten gezahlt oder zahlt keiner der Berechtigten dem Kind Unterhalt, so bestimmen die Berechtigten untereinander, wer das Kindergeld erhalten soll.4Wird eine Bestimmung nicht getroffen, so gilt Absatz 2 Satz 3 und 4 entsprechend.

Tatbestand

1

I. Die im streitigen Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2008 in den Niederlanden nichtselbständig beschäftigte Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter ihrer 1994 geborenen Tochter … (Kind), für die sie fortlaufend Kindergeld bezog. Sie wohnte zusammen mit ihrem Kind und dessen bis September 2007 im Inland beschäftigten Vater, ihrem damaligen Ehemann, in A (Deutschland). Seit September 2007 lebte die Klägerin getrennt, ist seit Mai 2009 geschieden und seit Januar 2009 nicht mehr in den Niederlanden beschäftigt.

2

Für das Kind erhielt die Klägerin ab dem ersten Quartal 2008 zudem niederländische Familienleistungen in Höhe von vierteljährlich 271,70 €.

3

Am 19. Juni 2009 hob die frühere Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für die Zeit ab Juli 2005 bis Dezember 2008 auf und forderte das überzahlte Kindergeld in Höhe von 4.774 € zurück.

4

Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin wurde von der Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 30. November 2009 mit der Begründung zurückgewiesen, sie, die Klägerin, unterliege den Kindergeldregelungen des Beschäftigungslandes.

5

Die anschließende Klage, mit der die Klägerin Kindergeld für die Zeit von Juli 2005 bis Dezember 2007 in voller Höhe und für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 unter Anrechnung der niederländischen Familienleistungen begehrte, hatte ebenso keinen Erfolg.

6

Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, dass im Streitfall die Anwendung des deutschen Kindergeldrechts durch Art. 13 Abs. 2 Buchst. a, Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) verdrängt werde.

7

Auch habe die Klägerin als Grenzgängerin nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) keinen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der niedrigeren niederländischen Familienleistung und dem höheren deutschen Kindergeld.

8

Da der Klägerin ab dem Zeitpunkt ihrer Beschäftigung in den Niederlanden kein inländisches Kindergeld mehr zugestanden habe, komme es nicht darauf an, ob sie, die Klägerin, niederländische Familienleistungen tatsächlich beantragt habe und ob ihr damaliger Ehemann selbst kindergeldberechtigt gewesen sei.

9

Die Klägerin stützt ihre vom FG zugelassene Revision auf die Verletzung materiellen Rechts.

10

Sie bringt vor, es treffe zwar zu, dass im streitigen Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2008 auch niederländisches Kindergeldrecht anwendbar sei, weil sie, die Klägerin, zu dieser Zeit als Grenzgängerin in den Niederlanden gearbeitet habe.

11

Der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Zeit bis Dezember 2007 stehe jedoch § 65 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entgegen, der nur so zu verstehen sei, dass inländisches Kindergeld für ein Kind, für das ausländisches Kindergeld gezahlt werde oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen gewesen wäre, nur dann ausgeschlossen sei, wenn auf die andere Leistung ein Rechtsanspruch bestehe, der in zumutbarer Weise realisiert werden könne. Sie, die Klägerin, könne dagegen das ausländische Kindergeld für den Zeitraum bis Ende 2007 nicht mehr erhalten, weil sie aus Unkenntnis und mangels eines Hinweises der Familienkasse sowie im Vertrauen auf die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung in den Niederlanden zunächst keinen Antrag gestellt habe.

12

Der Sachverhalt des Streitfalls sei mit dem der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Oktober 2010 C-16/09 --Schwemmer-- (Slg. 2010, I-9717, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2011, 86) vergleichbar. Inländisches Kindergeld sei dort bezogen worden, obwohl --wie hier in den Niederlanden-- kein Antrag auf die äquivalente schweizerische Leistung gestellt worden sei. Entscheidend sei, dass es vorliegend zu keiner Anspruchskumulierung kommen könne, soweit sie, die Klägerin, in den Niederlanden keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt habe.

13

Die Familienkasse änderte im Verlauf des Revisionsverfahrens den angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid mit Bescheid vom 30. Januar 2013, setzte --wie von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 beantragt-- Kindergeld für die Zeit von Oktober 2007 bis Dezember 2008 unter Anrechnung der in den Niederlanden zustehenden Familienleistungen fest und erklärte (insoweit) den Rechtsstreit für erledigt.

14

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2009, den angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 19. Juni 2009 wegen Kindergeld für Juli 2005 bis September 2007 aufzuheben sowie den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. Januar 2013 dahingehend zu ändern, dass für Oktober bis Dezember 2007 Kindergeld in voller Höhe und für Januar bis Dezember 2008 unter Anrechnung niederländischer Familienleistungen gewährt wird.

15

Die Familienkasse beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

16

Sie tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen und bringt ergänzend vor, nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 seien vorliegend die Niederlande der für die Familienleistungen zuständige Mitgliedstaat. Ein Anspruch auf Festsetzung und Zahlung von inländischem Kindergeld in grenzüberschreitenden Sachverhalten bestehe nur, wenn --anders als im Streitfall-- das Recht des Beschäftigungsstaats weder Kindergeld noch vergleichbare Zahlungen vorsehe und die Voraussetzungen der §§ 32, 62 ff. EStG erfüllt seien.

17

Hätte die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht folgend sie, die Familienkasse, über ihre Arbeitsaufnahme in den Niederlanden in Kenntnis gesetzt, hätte sie von ihr die notwendigen Informationen über eine Antragstellung im Beschäftigungsstaat erhalten.

Entscheidungsgründe

18

II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden; Beklagte und Revisionsbeklagte ist nunmehr die Familienkasse B (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109; vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BFH/NV 2013, 1698, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, juris, Rz 14). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern.

19

III. Die Revision der Klägerin ist hinsichtlich des Kindergelds für den Zeitraum Januar bis Dezember 2008 unzulässig. Sie hat, soweit sie Kindergeld für den Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2007 betrifft, hingegen Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

20

1. Die Revision der Klägerin ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zu verwerfen, soweit sie Kindergeld für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 betrifft.

21

a) Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Revision entfällt nachträglich mit der Folge, dass das Rechtsmittel unzulässig wird, soweit sich die Hauptsache während des Rechtsmittelverfahrens materiell erledigt und der Rechtsmittelführer gleichwohl seinen ursprünglichen Sachantrag aufrechterhält (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. August 2009 X B 198/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R1023, unter II.2.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Vor § 115 Rz 21a, jeweils m.w.N.).

22

b) So liegt es im Streitfall.

23

aa) Die Klägerin hat im Revisionsverfahren zwar ausdrücklich beantragt, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 19. Juni 2009 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 30. November 2009 aufzuheben, was auf die Bewilligung des vollen Kindergelds auch für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 gerichtet ist, während sie im Klageverfahren insoweit --was die Familienkasse mit Änderungsbescheid vom 30. Januar 2013 inzwischen auch gewährte-- Kindergeld nur unter Anrechnung der niederländischen Familienleistungen begehrt hatte.

24

Der erkennende Senat ist jedoch an die Fassung der Anträge nicht gebunden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO), sondern an das Klagebegehren. Dieses ist nur auf die Gewährung von Differenzkindergeld gerichtet. Denn aus der Revisionsbegründung ergibt sich eindeutig, dass die Klägerin mit ihrer Revision für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 keine über die Gewährung des Differenzkindergelds hinausgehende Änderung des angefochtenen Urteils erstrebt. Zudem würde es anderenfalls insoweit an der notwendigen formellen Beschwer fehlen, weil die Klägerin ihren Klageantrag erst im Revisionsverfahren hinsichtlich eines Teils erweitert hätte, über den noch keine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt, die vom Revisionsgericht überprüft werden könnte (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 21. Juli 1993 X R 32/91, BFH/NV 1994, 305; BFH-Beschluss vom 13. Mai 2013 I R 39/11, BFHE 241, 1, BFH/NV 2013, 1284).

25

bb) Den so verstandenen Sachantrag hat die Klägerin im Revisionsverfahren aufrechterhalten, obwohl die Familienkasse mit Bescheid vom 30. Januar 2013 ihm entsprochen und sich der Rechtsstreit insoweit materiell erledigt hatte. Die Klägerin hätte den das Kindergeld für die Zeit von Januar bis Dezember 2008 betreffenden Rechtsstreit --wie die Familienkasse-- für erledigt erklären müssen. Das ist nicht geschehen.

26

2. Im Übrigen ist die Revision der Klägerin --den Streitzeitraum Juli 2005 bis Dezember 2007 betreffend-- zulässig und in der Sache auch begründet.

27

a) Das angefochtene Urteil ist hinsichtlich des Kindergelds für die Zeit von Oktober bis Dezember 2007 bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben.

28

Das FG hat über den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 19. Juni 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2009 entschieden. An die Stelle dieses Bescheids ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 30. Januar 2013 getreten, der nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist. Damit liegt der Vorentscheidung --soweit das Kindergeld für die Zeit von Oktober bis Dezember 2007 betroffen ist-- ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das Urteil des FG insoweit keinen Bestand haben kann (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10; vom 26. Januar 2011 IX R 7/09, BFHE 232, 463, BStBl II 2011, 540; vom 10. Oktober 2012 VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359; vom 22. Januar 2013 IX R 25/11, BFH/NV 2013, 1387, jeweils m.w.N.).

29

b) Entgegen der Ansicht des FG entfällt die sich aus den §§ 62 ff. EStG ergebende Anspruchsberechtigung nicht dadurch, dass eine Person gemäß Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 nicht den deutschen Rechtsvorschriften, sondern nur den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt. Obgleich Deutschland in diesem Fall im Hinblick auf die Gewährung der Familienleistungen an sich der unzuständige Staat ist, wird der sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergebende Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen. Denn die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 entfalten keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats, sodass sich die Anspruchsberechtigung auch bei Personen und bei Leistungen, die dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterliegen, allein nach den Bestimmungen des deutschen Rechts richtet (vgl. dazu BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 1698; vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de).

30

Die gegenteilige Auffassung, die der vorinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegt und die auch der BFH in ständiger Rechtsprechung früher vertreten hat (vgl. z.B. Urteile vom 13. August 2002 VIII R 61/00, BFHE 200, 205, BStBl II 2002, 869, und VIII R 97/01, BFHE 200, 211, BStBl II 2002, 869; vom 24. März 2006 III R 41/05, BFHE 212, 551, BStBl II 2008, 369), wurde im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10 --Hudzinski und Wawrzyniak--, ZESAR 2012, 475) inzwischen aufgegeben (vgl. dazu BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 1698; vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung aus den dort genannten Gründen an.

31

Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung konnte daher keinen Bestand haben und war demnach aufzuheben.

32

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG lassen keine Beurteilung darüber zu, ob die Klägerin für den Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2007, in dem sie mangels Antragstellung keine niederländischen Familienleistungen bezogen hat, das volle deutsche Kindergeld beanspruchen kann.

33

a) Die im betreffenden Zeitraum in Deutschland wohnhafte Klägerin erfüllte (unstreitig) nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für ihr gleichfalls in Deutschland lebendes Kind.

34

b) Der erkennende Senat vermag aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen des FG nicht abschließend zu beurteilen, ob im Streitfall die Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 anwendbar sind.

35

aa) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung auch ihrem sachlichen Anwendungsbereich (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 19. April 2012 III R 87/09, BFHE 237, 150, BFH/NV 2012, 1371, Rz 17; zur Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 vgl. ferner BFH-Urteil vom 26. Juli 2012 III R 97/08, BFHE 238, 120, BStBl II 2013, 24, Rz 18 ff., m.w.N.).

36

bb) Vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird erfasst, wer --was erforderlich, aber auch ausreichend ist-- nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist (vgl. dazu BFH-Urteile vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, BStBl II 2013, 619; in BFHE 237, 150, BFH/NV 2012, 1371; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, BFHE 238, 87, BFH/NV 2012, 1710; vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de).

37

Das FG hat dazu lediglich festgestellt, dass die Klägerin im betreffenden Zeitraum in den Niederlanden erwerbstätig war. Dies genügt nicht für die Prüfung, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, weil es hierfür maßgeblich auf den genauen Versichertenstatus ankommt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE, 242, 222,  www.bundesfinanzhof.de).

38

c) Sollte sich im zweiten Rechtsgang herausstellen, dass die Klägerin vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird und sie außerdem wegen einer abhängigen Beschäftigung in den Niederlanden gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung --wonach eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt-- den niederländischen Rechtsvorschriften unterliegt, wird das FG folgendes zu beachten haben:

39

aa) Die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats (Deutschland) wäre im Hinblick auf die Gewährung der Familienleistungen nicht ausgeschlossen (vgl. dazu vorstehend unter III.2.b).

40

bb) Die Konkurrenz zwischen dem niederländischen und dem deutschen Anspruch würde dann nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 aufgelöst.

41

(1) Diese sog. Antikumulierungsbestimmung lautet wie folgt:
"Der Anspruch auf Familienleistungen oder -beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen [--wie nach §§ 62 ff. EStG--] der Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, ruht, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73, 74, 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen."

42

(2) Mit dem von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 angeordneten anteiligen Ruhen des deutschen Kindergeldanspruchs wäre die Anspruchskumulation beseitigt. Diese Bestimmung erlaubt es hingegen nicht, einen weitergehenden deutschen Kindergeldanspruch auszuschließen, sodass der Klägerin dem Grunde nach auch für den Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2007 jedenfalls deutsches Differenzkindergeld zustünde (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de, m.w.N.).

43

cc) Das FG wird im zweiten Rechtsgang ferner zu beachten haben, dass --worauf die Klägerin zu Recht hinweist-- der EuGH zu Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 entschieden hat, dass der im Wohnmitgliedstaat der Kinder bestehende Anspruch nicht teilweise ausgesetzt werden darf, wenn zwar ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat besteht, die Familienleistungen dort faktisch aber nicht bezogen werden, weil kein entsprechender Antrag gestellt wurde (vgl. EuGH-Urteil --Schwemmer-- in Slg. 2010, I-9717, ZESAR 2011, 86, Rz 55; ebenso BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de). Dabei wäre es nicht entscheidungserheblich, dass in dem vom EuGH entschiedenen Fall der andere Elternteil im Beschäftigungsmitgliedstaat den Antrag nicht gestellt hatte, im Streitfall hingegen die Klägerin aber selbst die Antragstellung versäumt hat. Das FG muss deshalb feststellen, ob die Klägerin vor dem Jahr 2008 in den Niederlanden Familienleistungen bezogen hat oder nicht (z.B. durch Vorlage eines Ablehnungsbescheids des niederländischen Trägers).

44

d) Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nach den im zweiten Rechtsgang noch zu treffenden Feststellungen nicht eröffnet sein, wäre die Anspruchskumulation nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aufzulösen. Schon das bloße Bestehen eines Anspruchs auf niederländische Familienleistungen würde dann zum Ausschluss des deutschen Kindergelds führen (vgl. ebenso BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, www.bundesfinanzhof.de). Die Folgen einer unterbliebenen Antragstellung hätte in diesem Fall die Klägerin zu tragen.

45

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

46

Die Kostenentscheidung wird dem FG für das gesamte Verfahren, auch soweit die Revision keinen Erfolg hatte, gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2. April 1998 III R 67/97, BFHE 186, 79, BStBl II 1998, 613; vom 6. November 2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763).

Tatbestand

1

A. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter von D, geboren am 2. April 1985, und von J, geboren am 7. Februar 1992. Seit sie sich vom Vater der Kinder getrennt hatte, erzog sie ihre Söhne allein. Die Familie lebte in Deutschland. Für ihre Kinder bezog die Klägerin laufend Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG).

2

Im April 2003 nahm die Klägerin eine Erwerbstätigkeit in den Niederlanden auf. Als die Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Mai 2005 hiervon erfuhr, hob sie u.a. die Kindergeldfestsetzung für J ab Juli 2003 auf und forderte das für den Streitzeitraum Juli 2003 bis April 2005 ausgezahlte Kindergeld zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde von der Familienkasse zurückgewiesen. Ihre Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte dagegen teilweise Erfolg. Das FG ging davon aus, dass wegen der Erwerbstätigkeit der Klägerin in den Niederlanden grundsätzlich das Recht dieses Staates anzuwenden sei. Die Anwendung deutschen Rechts sei, wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Bosmann judiziert habe (EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008 C-352/06, Bosmann, Slg. 2008, I-3827), deswegen aber nicht stets ausgeschlossen. Im Ergebnis ruhe der deutsche Kindergeldanspruch in Höhe des Anspruchs auf niederländische Familienleistungen. Deshalb habe sie für alle Monate des Streitzeitraumes Anspruch auf die monatliche Differenz in Höhe von 69,90 €.

3

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision, dass das FG ihren Anspruch auf das volle Kindergeld für den Zeitraum ab Beginn ihrer Beschäftigung in den Niederlanden zu Unrecht verneint und sie insoweit zur Rückzahlung verpflichtet habe. Denn am Anfang ihrer Beschäftigung habe sie noch gar keine Leistungen in den Niederlanden erhalten. Sie müsse im Hinblick auf J nicht mehr an Kindergeld zurückzahlen, als sie tatsächlich an Familienbeihilfe aus den Niederlanden erhalten habe. Aus dem Bosmann-Urteil sei zu folgern, dass sie als Wanderarbeitnehmerin nicht schlechter gestellt werden dürfe, als sie stehen würde, wenn sie in Deutschland gearbeitet hätte. Eine solche Schlechterstellung würde sich aber ergeben, wenn sie auf das niedrigere niederländische Kindergeld verwiesen würde. Dieses werde quartalsweise in Höhe eines Betrages von 252,31 € ausgezahlt. Im Streitzeitraum habe sie nur im dritten und vierten Quartal 2004 und im ersten und zweiten Quartal 2005 niederländische Leistungen in Höhe von insgesamt 1.009,24 € bezogen. Mehr als dieser Betrag könne nicht zurückgefordert werden. Sie habe anfangs nicht gewusst, dass ihr Leistungen in den Niederlanden zugestanden hätten, deswegen dort zunächst keinen Antrag gestellt und daher faktisch von April 2003 bis zum Beginn des dritten Quartals 2004 keine Familienbeihilfe in den Niederlanden erhalten. Eine Doppelzahlung liege für diesen Zeitraum somit nicht vor. Sie sei insofern auch nicht bereichert. Außerdem müsse ihr dahingehendes Vertrauen, dass sie als in Deutschland wohnende deutsche Staatsbürgerin trotz ihrer vorübergehenden Beschäftigung in den Niederlanden in Bezug auf das deutsche Kindergeld anspruchsberechtigt sei, geschützt werden.

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. das FG-Urteil unter weiter gehender Änderung des Aufhebungsbescheids vom 15. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2006 dahingehend abzuändern, dass für die Monate Juli 2003 bis Juni 2004 Kindergeld für J in Höhe von monatlich 154 € festzusetzen ist.
2. die Revision der Familienkasse zurückzuweisen.

5

Die Familienkasse beantragt,
1. das FG-Urteil, soweit es das Kind J betrifft, aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen,
2. die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

6

Die Familienkasse rügt eine unzutreffende Auslegung des § 65 EStG. Bei dieser Vorschrift handele es sich um einen nationalen Ausschlusstatbestand, der der Festsetzung von Differenzkindergeld entgegenstehe. Sie, die Familienkasse, lasse sich von den Erwägungsgründen Nr. 8 und 9 zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005, leiten, wonach das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaates gelten solle. Diese Sichtweise werde auch durch Ausführungen des EuGH im Urteil Bosmann gestützt. Der EuGH ermögliche in der Rechtssache Bosmann nur eine theoretische Kumulierung von Leistungsansprüchen. Er erlaube eine Kumulierung nur für den Fall, dass bei zwei Ansprüchen "der Anspruch des Beschäftigungslandes keine Leistungen zeitigen" dürfe. In einem solchen Fall werde statt des Rechts des Beschäftigungsstaates das Recht des Wohnmitgliedstaates angewandt. Unter diesen Überlegungen der ausschließlichen Zuständigkeit eines Staates könne § 65 EStG nur so gewürdigt werden, dass er als nationaler Ausschlusstatbestand im Hinblick auf einen Anspruch auf Differenzkindergeld anzusehen sei. Das Bosmann-Urteil sei in keinen seiner Überlegungen im Streitfall anwendbar. Denn vorliegend würden für das Kind J in den Niederlanden Familienleistungen erbracht. Frau Bosmann habe dagegen wegen des Alters ihres Kindes keinen derartigen Anspruch gehabt. Schließlich sei für den Zeitraum bis zum Beginn der Zahlung der niederländischen Familienleistungen im dritten Quartal 2004 kein deutsches Kindergeld zu gewähren. Wäre sie, die Familienkasse, zur Gewährung verpflichtet, so liefe dies auf die Anerkennung eines von der VO Nr. 1408/71 nicht vorgesehenen Wahlrechts hinaus.

7

Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

8

B. Die Revisionen der Familienkasse und der Klägerin sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), soweit das Kindergeld für das Kind J betroffen ist.

9

I. Die Familienkasse Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit Coesfeld --Familienkasse-- eingetreten (s. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. März 2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105, unter II.A.).

10

II. Zur Revision der Familienkasse

11

1. Über die Revision der Familienkasse ist sachlich zu entscheiden. Die Revision wurde zwar zurückgenommen, die Klägerin hat in die Rücknahme des Rechtsmittels aber nicht eingewilligt. Da die Beteiligten bereits auf die mündliche Verhandlung verzichtet hatten, bedurfte die Rücknahme der Revision aber einer solchen Einwilligung (§ 125 Abs. 1 Satz 2 FGO).

12

2. Das FG hat angenommen, dass ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf (Differenz-)Kindergeld für J nicht an § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG scheitert. Diese rechtliche Folgerung ist nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen und daher fehlerhaft. Erst wenn die Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachgeholt sind, wird die Prüfung möglich sein, ob § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangt oder durch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften verdrängt wird.

13

Die Klägerin erfüllt, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, für J die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das FG ist im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, der die Anrechnung von im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen regelt, durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) verdrängt werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass die Klägerin überhaupt in den persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 fällt.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316; vom 19. April 2012 III R 87/09, BFHE 237, 150; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, BFHE 238, 87) ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist. Hierfür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der EU versichert ist (zur Prüfung im Einzelnen s. BFH-Urteile in BFHE 234, 316; in BFHE 237, 150; in BFHE 238, 87).

15

Ist der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht eröffnet, dann richtet sich die Kindergeldberechtigung nach §§ 62 ff. EStG und die Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Kindergeldanspruch und der ausländischen Familienleistung ist nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu lösen.

16

Das FG hat lediglich die Feststellung getroffen, dass die Klägerin in den Niederlanden eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Dies genügt nicht für die Prüfung, ob der persönliche Geltungsbereich eröffnet wird, weil es hierfür maßgeblich auf den genauen Versichertenstatus ankommt.

17

3. Sollte sich im zweiten Rechtsgang herausstellen, dass die Klägerin dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt und sie, was anhand der Senatsrechtsprechung (BFH-Urteile in BFHE 234, 316; in BFHE 237, 150; in BFHE 238, 87) im Einzelnen zu prüfen wäre, außerdem wegen einer abhängigen Beschäftigung in den Niederlanden gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt, dann wird das FG Folgendes zu beachten haben:

18

a) Obgleich Deutschland in diesem Fall im Hinblick auf die Gewährung der Familienleistungen an sich der unzuständige Staat wäre, würde der sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergebende Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen sein. Denn die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 entfalten keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats, so dass sich die Anspruchsberechtigung auch bei Personen und bei Leistungen, die dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterliegen, allein nach den Bestimmungen des deutschen Rechts richtet. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

19

b) Der Zahlung von (Differenz-)Kindergeld für J stünde in diesem Fall auch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht entgegen. Denn die Konkurrenz zwischen dem niederländischen und dem deutschen Anspruch würde nicht durch diese Vorschrift, sondern durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 aufgelöst.

20

Diese Norm ist in einer solchen Konstellation schon nach ihrem Wortlaut anwendbar. Nach Auffassung des Senats sind die gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften (Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und Art. 10 Abs. 1 der VO Nr. 574/72) gegenüber § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich vorrangig. Die Auflösung der Konkurrenz zwischen den Kindergeldansprüchen richtet sich nur dann nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, wenn entweder der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht eröffnet ist (s. oben unter Ziffer B.II.2. der Gründe dieses Urteils) oder --bei Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs-- Deutschland der nicht zuständige Staat ist und zudem die gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften nicht einschlägig sind, weil der Beschäftigungsmitgliedstaat, der nach Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 als zuständiger Staat bestimmt ist, und der Wohnmitgliedstaat der Kinder identisch sind (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, Hudzinski, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2012, 475, unter Rdnrn. 73 ff.; vgl. die Überschrift zu Art. 76 der VO Nr. 1408/71). Sollte im Streitfall der persönliche Geltungsbereich eröffnet und die Niederlande gemäß Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der zuständige Staat sein, dann würden der Beschäftigungsmitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften als anwendbar bestimmt wurden (Niederlande), und der Wohnmitgliedstaat des Kindes (Deutschland) auseinanderfallen.

21

c) Mit dem von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 angeordneten anteiligen Ruhen des deutschen Kindergeldanspruchs wäre die Anspruchskumulation beseitigt. Die Norm erlaubt es hingegen nicht, einen weiter gehenden deutschen Kindergeldanspruch auszuschließen (vgl. EuGH-Urteil vom 4. Juli 1985 C-104/84, Kromhout, Slg. 1985, 2205), so dass der Klägerin dem Grunde nach deutsches Differenzkindergeld zustünde.

22

III. Zur Revision der Klägerin

23

Ob die Klägerin für diejenigen Monate des Streitzeitraumes, in denen sie mangels Antragstellung keine niederländischen Familienleistungen bezogen hat, einen Anspruch auf das volle deutsche Kindergeld hat, kann aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen des FG zum persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht abschließend beurteilt werden.

24

1. Sollte der persönliche Geltungsbereich eröffnet und das niederländische Recht als anwendbar bestimmt sein, dann würde nach den unter Ziffer B.II.3. der Gründe dieses Urteils gemachten Ausführungen zur Auflösung der Anspruchskonkurrenz zwischen dem niederländischen und dem deutschen Anspruch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72 heranzuziehen sein. Zu dieser Vorschrift hat der EuGH entschieden, dass der im Wohnmitgliedstaat der Kinder bestehende Anspruch nicht teilweise ausgesetzt werden darf, wenn zwar ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat besteht, die Familienleistungen dort faktisch aber nicht bezogen werden, weil kein entsprechender Antrag gestellt wurde (EuGH-Urteil vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, ZESAR 2011, 86, Rdnr. 55). Dass in dem dort entschiedenen Fall der andere Elternteil im Beschäftigungsmitgliedstaat den Antrag nicht gestellt hatte, im Streitfall die Klägerin aber selbst die Antragstellung versäumt haben dürfte, wäre nach Auffassung des Senats nicht rechtserheblich. Denn der EuGH hat in der Rechtssache Schwemmer in abstrakter Weise ausgeführt, dass das Ruhen des deutschen Kindergeldanspruchs nur in Betracht kommt, wenn alle im Beschäftigungsmitgliedstaat aufgestellten Voraussetzungen für den tatsächlichen Leistungsbezug, einschließlich einer vorherigen Antragstellung, erfüllt sind.

25

2. Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht eröffnet sein, wäre die Anspruchskumulation nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aufzulösen. Schon das bloße Bestehen eines Anspruchs auf niederländische Familienleistungen würde dann zum Ausschluss des deutschen Kindergeldes führen. Die Folgen einer unterbliebenen Antragstellung hätte die Klägerin zu tragen.

(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn

1.
ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden,
2.
das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist,
2a.
sich auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben kann,
3.
die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder
4.
die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 oder 2 kann die Steuerfestsetzung auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden.

(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.

1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:

1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind,
2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
2Soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt, stehen die Leistungen nach Satz 1 dem Kindergeld gleich.3Steht ein Berechtigter in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nach § 24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nummer 2 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

Tatbestand

1

I. Im Revisionsverfahren ist streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Kindergeld für seinen minderjährigen Sohn (S) und seine minderjährige Tochter (T) für den Zeitraum September 2006 bis August 2009 (Streitzeitraum) in voller Höhe nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) zusteht.

2

Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, betrieb seit November 2004 einen Gewerbebetrieb im Inland. Er bewohnte eine Zweizimmerwohnung in Nürnberg. Seine Ehefrau lebte mit S und T in Polen. Sie war dort nicht berufstätig. Im Juni 2007 beantragte der Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder. Aus einer während des Verwaltungsverfahrens eingereichten Bescheinigung der polnischen Sozialversicherungsbehörde (ZUS) ging hervor, dass der Kläger dort nicht versichert sei. Er war in Deutschland privat kranken- und rentenversichert.

3

Weiter ging aus dem teilweise übersetzten Vordruck E 411 des polnischen Trägers vom 8. September 2008 hervor, dass die Ehefrau des Klägers ab dem 16. November 2004 keinen Anspruch auf Familienleistungen habe, weil sie in Polen nicht berufstätig gewesen sei. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familien-kasse) setzte mit Bescheid vom 11. Februar 2009 Kindergeld zugunsten des Klägers für den Zeitraum ab Januar 2005 für S und T in jeweils hälftiger Höhe des gesetzlichen Anspruchs fest.

4

Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Es wurde ein Bescheid des Gemeindesozialamts Lubin vom 8. August 2008 vorgelegt, aus dem hervorging, dass ein Bewilligungsbescheid vom 16. November 2004, der der Ehefrau des Klägers polnische Familienleistungen für S und T zugesprochen habe, aufgehoben worden sei. Zur Begründung wurde auf die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen über die Koordinierung der Sozialleistungssysteme und die berufliche Tätigkeit des Klägers seit 2004 in Deutschland verwiesen.

5

Mit Schreiben vom 13. Mai 2009 wies die Familienkasse die polnische Behörde darauf hin, dass der Kläger kein Beschäftigter i.S. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), sei, weil er in Deutschland nur privat versichert sei. Zudem wurde erfragt, ob der Ehefrau des Klägers bei Antragstellung ein Anspruch auf polnische Familienleistungen zugestanden hätte. In dem am 25. September 2009 bei der Familienkasse eingegangenen Antwortschreiben (Vordruck E 001) führte die polnische Behörde mit Blick auf die fehlende Erwerbstätigkeit der Ehefrau des Klägers aus, dass Deutschland zur Zahlung der Familienleistungen verpflichtet sei. Die Familienkasse wies den Einspruch mit Entscheidung vom 20. November 2009 als unbegründet zurück.

6

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger Kindergeld für S und T für den Zeitraum Januar 2005 bis September 2009 in voller Höhe. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2012, 799 veröffentlichten Urteil für den Zeitraum September 2006 bis August 2009 statt; im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass im Streitfall ausschließlich deutsches Kindergeldrecht anwendbar sei. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 EStG seien gegeben. Für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2006 sowie den Monat September 2009 scheide jedoch eine Bewilligung in voller Höhe aus, weil für diese Zeiten ein Anspruch auf kindergeldähnliche Leistungen nach polnischem Recht bestanden habe (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Hingegen stehe dem Kläger für den Zeitraum September 2006 bis August 2009 das Kindergeld nach dem EStG in voller Höhe zu, weil während dieses Zeitraums kein solcher Anspruch nach polnischem Recht existiert habe.

7

Mit der Revision macht die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG geltend. Das FG habe rechtsfehlerhaft angenommen, nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Prüfung des polnischen Rechts verpflichtet gewesen zu sein. Es sei zu dem Ergebnis gekommen, im Zeitraum September 2006 bis August 2009 habe kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestanden. Bejahte man eine solche Prüfungspflicht des FG, bestünde eine solche auch für die Familienkasse im Verwaltungsverfahren. Anderenfalls wäre sie in solchen Fällen einem Prozess- und Kostenrisiko ausgesetzt.

8

Zur Prüfung eines Anspruchs auf polnische Familienleistungen bedürfe es vertiefter Kenntnisse. So werde nach Art. 5 Nr. 1 des in Polen für die Gewährung von Kindergeld maßgeblichen Gesetzes über Familienleistungen vom 28. November 2003 (FamLstgG-PL) Kindergeld gezahlt, "(...) soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied oder das Einkommen der Person in Ausbildung höchstens 504 PLN beträgt". Nach Art. 3 Nr. 2 FamLstgG-PL werde als Familieneinkommen definiert "(...) das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht". Die Definition des Einkommens sei wiederum in Art. 3 Nr. 1 FamLstgG-PL enthalten. Diese Vorschrift bestehe aus den Buchst. a bis c, wobei der Buchst. c 26 Unterpunkte umfasse. Die grundlegende Einkommensdefinition finde sich in Art. 3 Nr. 1 Buchst. a FamLstgG-PL, der wie folgt laute: "Als Einkommen gelten nach Abzug der an andere Personen zu zahlenden Unterhaltsbeiträge: Einnahmen, die nach allgemeinen Regeln mit der Einkommenssteuer zu versteuern sind, vermindert um Werbungskosten, geschuldete Einkommenssteuer, nicht den Werbungskosten angerechnete Sozialversicherungsbeiträge sowie Krankenversicherungsbeiträge (...)." Nach Art. 3 Nr. 10 FamLstgG-PL gelte als Beihilfezeitraum "(...) der Zeitraum vom 1. September bis 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird". Aufgrund der Komplexität der dargestellten Vorschriften sei es für die Beklagte nicht möglich, eine umfassende polnische Einkommensberechnung durchzuführen. Eine solche Verpflichtung sehe das Gesetz nicht vor. Sie lasse sich auch nicht dem § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entnehmen. Abgesehen davon wäre sie nicht umsetzbar. Vielmehr sei es Aufgabe des Klägers, durch geeignete Mittel (z.B. durch den Vordruck E 411) nachzuweisen, dass im Ausland kein Anspruch auf vergleichbare Leistungen bestehe. Diese Vordrucke und die Zusammenarbeit mit ausländischen Staaten wären überflüssig, wenn die Prüfung von möglichen ausländischen Ansprüchen durch die Familienkasse selbst erfolgen müsse.

9

Im Übrigen hätten auch bereits verschiedene FG entschieden, dass in solchen Fällen den Kläger eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) treffe. Danach sei es weder Aufgabe der Familienkasse noch des FG fest-zustellen, ob bei entsprechender Antragstellung Leistungen im Ausland zu zahlen wären. Es liege vielmehr in der Sphäre des Klägers zu belegen, dass dem nicht so sei.

10

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit der Zeitraum September 2006 bis August 2009 betroffen ist.

11

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

12

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein Kindergeldanspruch nach dem EStG in voller Höhe zusteht.

14

1. Die Familienkasse ... der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit ... --Familienkasse-- eingetreten (s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, unter II.1.).

15

2. Die Familienkasse wendet sich mit ihrer Revision gegen die Vorentscheidung, soweit dem Klagebegehren für den Zeitraum September 2006 bis August 2009 stattgegeben wurde. Auch wenn die Familienkasse mit Schriftsatz vom 25. August 2011 unbeschränkt Revision eingelegt hat, geht aus der Revisionsbegründung vom 5. Oktober 2011 hervor, dass sich ihr Rechtsmittel nur gegen das stattgebende Erkenntnis richtet. In der durch die Revisionsbegründung erfolgten Einschränkung des Revisionsbegehrens ist keine teilweise Rücknahme der Revision zu sehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 56 a.E., m.w.N.).

16

3. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (s. § 118 Abs. 2 FGO) lagen die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch des Klägers nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 3 EStG vor. Damit stand dem Kläger im Grundsatz der Kindergeldanspruch in voller Höhe (s. § 66 EStG) zu.

17

4. Sollte im Streitfall --wie vom FG entschieden-- § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anwendbar sein, wäre die Entscheidung des FG, nach der dem Kläger für den Streitzeitraum Kindergeld in voller Höhe zusteht, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

18

Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind. Bei Prüfung dieser Vorschrift sind folgende Grundsätze zu beachten:

19

a) § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verpflichtet das FG, eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob für ein Kind ein Anspruch auf Gewährung dem Kindergeld vergleichbarer Leistungen nach ausländischem Recht besteht. Diese Prüfungspflicht --die im Übrigen auch bereits für die Familienkasse besteht-- ergibt sich ohne Weiteres aus dem eindeutig formulierten Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.

20

aa) Der Tatbestand des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist erfüllt, wenn entweder kindergeldähnliche Leistungen nach ausländischem Recht zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären. Für die Tatbestandsverwirklichung ist daher im Grundsatz ausreichend, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung nach ausländischem Recht besteht (BFH-Beschluss vom 27. November 1998 VI B 120/98, BFH/NV 1999, 614). Dabei ist auch unerheblich, ob dieser Anspruch der nach deutschem Recht kindergeldberechtigten Person oder einem Dritten zusteht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 614).

21

§ 65 EStG sieht bei Durchführung dieser Prüfung für die FG und Familienkassen keine Erleichterungen vor. Insbesondere wurde die Sonderregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung vom 31. Januar 1994 --BKGG a.F.-- (BGBl I 1994, 168) nicht in das EStG übernommen, nach der die Zahlung des gemäß § 8 Abs. 2 BKGG a.F. zu gewährenden Unterschiedsbetrags zwischen einer ausländischen Leistung und dem Kindergeld versagt werden konnte, wenn die ausländische Leistung nicht beantragt wurde und die Feststellung der anderen Leistung der Kindergeldstelle erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde.

22

bb) Die Prüfung eines materiell-rechtlichen Anspruchs nach ausländischem Recht hätte jedoch zu unterbleiben, wenn hierüber bereits eine ausländische Behörde für den Streitzeitraum entschieden haben sollte und dem Bindungswirkung für die deutschen Behörden und Gerichte zukäme. Bei Vorliegen einer negativen Entscheidung (Ablehnung) mit Bindungswirkung ließe sich die Auffassung vertreten, dass keiner der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Tatbestände erfüllt sei.

23

Höchstrichterlich ist die Frage, ob aus derartigen Entscheidungen eine Bindungswirkung resultiert, noch nicht abschließend geklärt und bedarf auch im Streitfall keiner Klärung (s. dazu unter II.4.c; eine solche unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Tatbestandswirkung bejahend FG Münster, Urteil vom 18. Oktober 2011  15 K 2883/08 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 140, mit Anm. Bauhaus; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 65 EStG Rz 6; Felix, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 65 Rz A 22; so unter Umständen auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 614, zu einer positiven Bestätigung). Geklärt ist hingegen, dass eine Bindung von negativen Entscheidungen nicht existieren kann, wenn diese auf der Anwendung und Auslegung des Unionsrechts beruhen (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869) oder bei Antragstellung gegenüber der ausländischen Behörde unzutreffende bzw. unvollständige Tatsachenangaben gemacht worden sind (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 67/01, BFH/NV 2002, 1294).

24

Daneben kann sich eine Bindungswirkung auch aus Bescheinigungen ergeben, die in Durchführung der VO Nr. 1408/71 von den zuständigen Trägern ausgestellt werden (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 26. Januar 2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 18 ff.). Eine solche Wirkung ist daher z.B. auch dann in Betracht zu ziehen, wenn zur Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und des Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72), das Bescheinigungsersuchen nach dem Vordruck E 411 durchgeführt wird.

25

b) Sollte es danach bei einer Prüfungspflicht des FG verbleiben, hat es das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO und den zugrundeliegenden Sachverhalt unter Beachtung der erweiterten Mitwirkungspflichten des Klägers (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO) von Amts wegen zu ermitteln.

26

aa) Entgegen der Ansicht der Familienkasse ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln (BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 14/94, BFHE 177, 263, BStBl II 1995, 502, unter II.4.; s. dazu auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2012  10 C 2/12, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 3461; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. April 1992 IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b bb). Es ist nicht Aufgabe des Klägers, die Regelungen über das ausländische Recht (im Einzelnen) darzulegen (a.A. FG Münster, Urteil vom 14. Dezember 2010  1 K 4131/07 Kg, EFG 2011, 718).

27

Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 I R 46/07, BFH/NV 2008, 930). Dabei lassen sich die Anforderungen an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen. An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist. Gleiches wird man annehmen müssen, wenn die Beteiligten die ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vortragen (s. zum Ganzen auch BGH-Urteil in BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b). Der Umstand, dass das ausländische Recht ggf. sehr komplex ist, kann das FG von dieser Ermittlungspflicht nicht entbinden. Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast ist in diesem Bereich nicht möglich; die ausländischen Rechtssätze werden zu keinen Tatsachen.

28

bb) Von der von Amts wegen durchzuführenden Ermittlung ausländischen Rechts ist die Ermittlungspflicht des FG hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhalts zu unterscheiden.

29

Das FG ist als Tatsacheninstanz gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehender Beweismittel zu erforschen. Die Beteiligten haben bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, trifft den Steuerpflichtigen nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Aufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht. Diese erweiterte Mitwirkungspflicht umfasst auch den (außerdeutschen) Bereich der Europäischen Union (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2005 IX B 131/05, BFH/NV 2006, 904; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 76 FGO Rz 120). Zu beachten bleibt jedoch, dass auch die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO auf Tatsachen beschränkt bleibt.

30

cc) Sollte sich danach im finanzgerichtlichen Verfahren keine --ggf. Bindungswirkung besitzende-- negative Entscheidung bzw. Bescheinigung einer ausländischen Behörde über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf ausländische Familienleistungen beibringen lassen (z.B. wegen fehlender Antragstellung im Ausland), darf das FG nicht bereits deswegen zu Lasten des Klägers unterstellen, es habe ein Anspruch nach ausländischem Recht bestanden. Insbesondere kann von dem Kläger selbst unter Beachtung seiner erweiterten Mitwirkungspflichten nicht erwartet werden, aus Gründen der Beweisvorsorge stets im Ausland einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen. Eine solche Betrachtung liefe dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zuwider, der --gerade unabhängig von einer Antragstellung-- auf das bloße Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs abstellt. Abgesehen davon lässt sich eine solche Verschärfung der Nachweispflicht auch nicht dem § 90 Abs. 2 AO entnehmen.

31

c) Die Vorentscheidung entspricht --jedenfalls im Ergebnis-- diesen Maßstäben:

32

Das FG hat im Streitfall eine Bindungswirkung aus den vorliegenden Vordrucken E 411 vom 8. September 2008 und E 001 vom 17. September 2009 sowie dem Bescheid des Gemeindesozialamts Lubin vom 8. August 2008 abgelehnt und von Amts wegen das maßgebliche polnische Recht sowie den zugrunde zu legenden Sachverhalt ermittelt. Dabei kann für das Revisionsverfahren die Frage nach einer Bindungswirkung unbeantwortet bleiben. Diesen Entscheidungen/Bescheinigungen lässt sich allenfalls entnehmen, dass kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestanden hat. Zum gleichen Ergebnis führt die vom FG durchgeführte Prüfung des polnischen Rechts, die --bei Annahme einer fehlenden Bindungswirkung-- einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhält.

33

aa) Der Senat wäre an die Feststellungen des FG zum polnischen Recht gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

34

(1) Eine Revision kann nicht darauf gestützt werden, die Vorentscheidung beruhe auf der fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts; das ausländische Recht gehört nicht zum Bundesrecht i.S. des § 118 Abs. 1 FGO. Vielmehr sind die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1294; Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 65 f.; Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 118 Rz 38). Allerdings entfällt die Bindungswirkung, soweit die erstinstanzlichen Feststellungen auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen (s. dazu Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 36/08, BFH/NV 2012, 184, unter II.4.b aa, m.w.N.). In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor (Beermann in Beermann/ Gosch, FGO § 118 Rz 38.2). Im Übrigen ist aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge --in gewissen Grenzen-- die Frage nachprüfbar, ob das FG bei der Ermittlung des ausländischen Rechts gegen seine prozessrechtliche Ermittlungspflicht (§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO) verstoßen hat (s. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 930).

35

(2) Eine solche Verfahrensrüge hat die Familienkasse jedoch nicht erhoben. Vielmehr hat sie sich --wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren-- gegen die vom FG vorgenommene Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gewendet, nach der es Aufgabe des FG oder bereits der Familienkasse sei, über einen Anspruch nach ausländischem Recht zu entscheiden.

36

(3) Die Bindungswirkung entfiele auch nicht deshalb, weil die erstinstanzlichen Feststellungen auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhten (s. dazu Senatsurteil in BFH/NV 2012, 184, unter II.4.b aa, m.w.N.). Hiervon könnte mit Blick auf den Umfang der vom FG gemachten Feststellungen zum ausländischen Recht nicht ausgegangen werden. So hat das FG insbesondere folgende Feststellungen zum polnischen Recht getroffen:

37

In Polen seien ab dem 1. Mai 2004 das Familiengeld, Betreuungsleistungen und Unterstützungsleistungen für die Geburt eines Kindes als Familienleistungen eingeführt worden. Dabei sei nur das Familiengeld dem Kindergeld vergleichbar. Der Inhalt der polnischen Regelungen über Familienleistungen ergebe sich aus dem FamLstgG-PL (Gesetzblatt Nr. 228/2003 Pos. 2255). Danach sei Voraussetzung für die Gewährung von Familiengeld, dass das Familieneinkommen pro Kopf 504 PLN (bzw. 583 PLN bei einem behinderten Kind) nicht übersteige. Beihilfezeitraum für die Festsetzung sei der Zeitraum vom 1. September bis 31. August des nachfolgenden Jahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgesetzt werde (Art. 3 Nr. 10 FamLstgG-PL). Maßgeblich sei nicht das Familieneinkommen während des Beihilfezeitraums, sondern das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangehe (Art. 3 Nr. 2 FamLstgG-PL). Danach ergebe sich für eine vierköpfige Familie für den Beihilfezeitraum September 2006 bis August 2007 ein maßgeblicher Grenzbetrag 2005 in Höhe von 6.017,76 €, für den Beihilfezeitraum September 2007 bis August 2008 ein maßgeblicher Grenzbetrag 2006 in Höhe von 6.203,04 € und für den Beihilfezeitraum September 2008 bis August 2009 ein maßgeblicher Grenzbetrag 2007 in Höhe von 6.399,84 €.

38

Daneben hat das FG bereits in der Aufklärungsanordnung vom 11. Januar 2011 ausgeführt, dass maßgeblich für die Ermittlung des Einkommens alle Einnahmen der Familienmitglieder (unabhängig davon, ob steuerbar oder steuerfrei, auch Sozialleistungen verschiedenster Art) seien. Hiervon seien abzusetzen: Unterhaltszahlungen an Dritte, Werbungskosten, geschuldete Einkommensteuer sowie Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeiträge.

39

bb) In tatsächlicher Hinsicht hat das FG die Einnahmen und Abzugsbeträge (Einkommensverhältnisse) des Klägers und seiner Ehefrau aus den Einkommensteuerbescheiden für 2005 bis 2007 entnommen. An die diesen Besteuerungsgrundlagen zugrundeliegenden --nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen-- tatsächlichen Verhältnisse der Jahre 2005 bis 2007 wäre der Senat ebenfalls gebunden (s. § 118 Abs. 2 FGO).

40

cc) Hierauf hat das FG das polnische Recht angewendet. Es kam zu dem Ergebnis, dass die jeweiligen Familieneinkommen der Jahre 2005 bis 2007 die nach dem polnischen Recht maßgeblichen Grenzbeträge 2005 bis 2007 erheblich überschreiten würden. Sollten dem FG hierbei Fehler bei der Anwendung des polnischen Rechts unterlaufen sein, wären diese nicht revisibel.

41

5. Sollte im Streitfall hingegen der den § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verdrängende Art. 10 der VO Nr. 574/72 anwendbar sein, stünde dem Kläger das begehrte Kindergeld ebenfalls zu. Es verbliebe schon deshalb bei der alleinigen Zahlungsverpflichtung Deutschlands, weil kein materiell-rechtlicher Anspruch auf polnische Familienleistungen bestünde.

42

6. Schließlich wäre der Kindergeldanspruch auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Kläger bei eröffnetem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 nach den Art. 13 ff. dieser Verordnung nicht den deutschen, sondern "nur" den polnischen Rechtsvorschriften unterliegen würde (s. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71).

43

Die vom BFH früher in ständiger Rechtsprechung vertretene unionsrechtliche Sperrwirkung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71, die eine Anwendung der deutschen Kindergeldvorschriften (§§ 62 ff. EStG) ausschließe, besteht gerade nicht (s. dazu auch Senatsurteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511). Dies ergibt sich aus den EuGH-Urteilen in den Rechtssachen Bosmann (EuGH-Urteil vom 20. Mai 2008 C-352/06, Slg. 2008, I-3827) sowie Hudzinski und Wawrzyniak (EuGH-Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2012, 475). Auch wenn diese Urteile zur Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union --AEUV--) ergangen sind, im Streitfall hingegen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit der Selbständigen; Art. 49 AEUV) in Rede steht, ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, einen Selbständigen --bei eröffnetem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71-- anders zu behandeln als einen Arbeitnehmer. So hat der EuGH in den genannten Urteilen die fehlende unionsrechtliche Sperrwirkung nicht nur auf die Art. 45 ff. AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) gestützt, sondern auch auf den ersten Erwägungsgrund der VO Nr. 1408/71, nach dem die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Regelungen über soziale Sicherheit zur Freizügigkeit von Personen gehören und zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen sollen (EuGH-Urteile in Slg. 2008, I-3827 Rdnr. 30; in ZESAR 2012, 474 Rdnr. 47). Dieser Zweck trifft bei eröffnetem persönlichen Geltungsbereich gleichermaßen auf Arbeitnehmer und Selbständige zu. Hiervon ausgehend soll der unzuständige Staat nicht gehindert werden, nach seinem Recht Familienleistungen zu gewähren (EuGH-Urteile in Slg. 2008 I-3827, Rdnr. 31; in ZESAR 2012, 474 Rdnrn. 48, 51).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 5. März 2013  14 K 11/12 Kg aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist polnische Staatsangehörige und wohnte im Streitzeitraum Oktober 2011 bis Dezember 2011 in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), wo sie seit Juni 2008 ein Gewerbe angemeldet hat. Sie ist die Mutter eines im Januar 1998 geborenen Kindes (T), das im Haushalt seiner Großmutter in Polen lebt. Der Kindsvater verstarb im Mai 2011.

2

Die polnischen Behörden bestätigten auf dem Vordruck E 411 am 28. November 2008, dass die Großmutter ab dem 1. Mai 2008 keinen Anspruch auf Familienleistungen in Polen habe. In einer weiteren auf dem Vordruck E 411 ausgestellten Bescheinigung vom 8. April 2011 heißt es, dass die Klägerin keinen Kindergeldantrag gestellt habe.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte mit Bescheid vom 4. Februar 2009 u.a. für T ab Mai 2008 Kindergeld zugunsten der Klägerin fest. Mit Bescheid vom 7. September 2011 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab September 2011 mit der Begründung auf, das Kind lebe im Haushalt seiner Großmutter in Polen und die Großmutter sei deshalb gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorrangig kindergeldberechtigt.

4

Im dagegen geführten Einspruchsverfahren schränkte die Familienkasse die Aufhebung der Festsetzung mit Änderungsbescheid vom 29. November 2011 auf den Zeitraum ab Oktober 2011 ein. Im Übrigen wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 2011 als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt und hob den Aufhebungsbescheid vom 29. November 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 2011 auf.

6

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

7

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Mit Beschluss vom 5. September 2014 hat der Bundesfinanzhof das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 ausgesetzt. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) über die Vorlagefragen entschieden.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld (vorrangig) der Klägerin zusteht. Die Klägerin ist zwar nach nationalem Recht (§ 62 EStG) anspruchsberechtigt (dazu 1.). Der Großmutter steht aber nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zu (dazu 2. bis 6.).

11

1. Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 EStG.

12

Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) erfüllt die Klägerin --was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG. Dass T ihren Wohnsitz in Polen hat, ist unerheblich (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

13

2. Allerdings ist die Großmutter --entgegen der Rechtsauffassung des FG-- nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt, weil gemäß Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung)-- i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung)-- zu unterstellen ist, dass die Großmutter mit T in Deutschland wohnt.

14

a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nureinem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Lebt ein Kind im gemeinsamen Haushalt von Eltern und Großeltern, so wird das Kindergeld vorrangig einem Elternteil gezahlt; es wird einem Großelternteil gezahlt, wenn der Elternteil gegenüber der zuständigen Stelle auf seinen Vorrang schriftlich verzichtet hat (§ 64 Abs. 2 Satz 5 EStG).

15

b) Im Streitfall ergibt sich die Anspruchsberechtigung der Großmutter aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 3.). Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2004 ein Inlandswohnsitz der Großmutter fingiert (dazu 4.). Zudem erfüllt die Großmutter auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung (dazu 5. und 6.).

16

3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist danach der zuständige Mitgliedstaat.

17

a) Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.

18

b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Da die Klägerin im Streitzeitraum eine selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland ausgeübt hat, unterlag sie den deutschen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO Nr. 883/2004).

19

4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die Wohnsituation der Großmutter (fiktiv) in das Inland übertragen wird.

20

a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Staats fielen und dort wohnten.

21

b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 35 ff.). Zudem kommt es --entgegen der Ansicht der Klägerin-- nicht darauf an, ob im Streitfall zusätzlich auch eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist, denn Art. 60 der VO Nr. 987/2009 findet bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 32 f., 35 ff.).

22

c) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG auch Großelternteile erfasst, die ein Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen haben.

23

Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nicht die Großeltern, sondern nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in DStRE 2015, 1501 (Rz 38) zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert.

24

5. Die Großmutter erfüllt neben dem Wohnsitzerfordernis auch die übrigen Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch.

25

a) Anhaltspunkte dafür, dass die Großmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin i.S. des § 62 Abs. 2 EStG ist, hat das FG nicht festgestellt. Zudem hat die Großmutter ihr Enkelkind T nach den Feststellungen des FG auch in ihren Haushalt aufgenommen (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

26

b) Ein vorrangiger Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 5 EStG, denn diese Bestimmung setzte einen gemeinsamen Haushalt der Klägerin und der Großmutter voraus, der aber nach den Feststellungen des FG nicht bestand, vielmehr lag eine Konstellation des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG, d.h. eines eigenständigen Haushalts der Großmutter, vor. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man fingiert, dass sich dieser Haushalt in Deutschland befand. Demnach ist im Streitfall der Anspruch der Großmutter vorrangig, da nur diese, nicht dagegen die Klägerin, T in ihren Haushalt aufgenommen hat.

27

6. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Großmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat.

28

Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier ggf. die Großmutter), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste der Klägerin daher nicht wegen der fehlenden Antragstellung der Großmutter zuerkannt werden (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass die Klägerin einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die deutsche Familienkasse auch als solchen zugunsten des Kindergeldanspruchs der Großmutter zu berücksichtigen.

29

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 25. August 2012  10 K 2183/11 Kg aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger und Vater einer im August 1991 geborenen Tochter (T). Seine von ihm geschiedene Ehefrau lebt zusammen mit der gemeinsamen Tochter T in Polen. Der Kläger ist seit 2008 arbeitslos und erhält Leistungen nach den Regelungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch. Die Kindsmutter arbeitete im Streitzeitraum in Polen als … in einem Krankenhaus. Sie hat weder einen Antrag auf Kindergeld in Polen gestellt noch ist Kindergeld in Polen gezahlt worden.

2

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2010 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2010 auf. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sich seit Mai 2010 das maßgebliche Recht der Europäischen Union (EU) geändert habe.

3

Das Finanzgericht (FG) entsprach nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren der Klage, mit welcher der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seine Tochter für den Zeitraum Mai 2010 bis Mai 2011 begehrte. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der nach den §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehende Kindergeldanspruch des Klägers sei --entgegen der Auffassung der Familienkasse-- nicht nach § 64 Abs. 2 EStG durch einen vorrangigen Anspruch der Kindsmutter verdrängt worden. Die Kindsmutter sei im Inland keine Berechtigte.

4

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 64 EStG.

5

Die Familienkasse beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Mit Beschluss vom 26. November 2014 hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 zum Ruhen gebracht. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2015, 1190) über die Vorlagefragen entschieden.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld (vorrangig) dem Kläger zusteht. Der Kläger ist zwar nach nationalem Recht anspruchsberechtigt (§§ 62 ff. EStG). Die Anwendung von Unionsrecht führt jedoch dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig der Kindsmutter zusteht.

9

1. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. b EStG. Dies wurde --für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)-- vom FG festgestellt und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Unerheblich ist für die Kindergeldberechtigung, dass die Tochter im Streitzeitraum ihren Wohnsitz in Polen hatte (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

10

2. Allerdings ist die Kindsmutter nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt. Denn sie hat ihre Tochter in ihren Haushalt aufgenommen. Gemäß Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --AblEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 883/2004 --Grundverordnung--) i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 987/2009 --Durchführungsverordnung--) zu unterstellen ist, dass sie mit der Tochter in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) wohnt.

11

a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird das Kindergeld nur einem Berechtigten gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

12

b) Im Streitfall ergibt sich die Anspruchsberechtigung der Kindsmutter aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 3.). Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2004 ein Inlandswohnsitz der Kindsmutter fingiert (dazu 4.). Zudem erfüllt die Kindsmutter auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung (dazu 5. und 6.).

13

3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist der zuständige Mitgliedstaat.

14

a) Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.

15

b) Nach Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von dieser Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Im Streitfall ergibt sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften jedenfalls aus Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der VO Nr. 883/2004.

16

4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die Wohnsituation der Kindsmutter (fiktiv) in das Inland übertragen wird.

17

a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigten, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahingehend, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.

18

b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der EU hat (EuGH-Urteil in HFR 2015, 1190, Rz 35 ff.). Zudem kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall zusätzlich auch eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist. Wäre Art. 68 der VO Nr. 883/2004 nicht einschlägig, fände Art. 60 der VO Nr. 987/2009 bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung (EuGH-Urteil in HFR 2015, 1190, Rz 32 f., 35 ff.).

19

c) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in HFR 2015, 1190, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff auch Elternteile erfasst, die nicht mehr miteinander verheiratet sind.

20

Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i. Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung zu dem Kind abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in HFR 2015, 1190, Rz 38 zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert.

21

5. Die Kindsmutter erfüllt neben dem Wohnsitzerfordernis auch die übrigen Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch.

22

Es bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass die Kindsmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin i.S. des § 62 Abs. 2 EStG ist, noch dass sie mit dem Kläger einen gemeinsamen Haushalt im Streitzeitraum in Polen hatte (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG). Letzterer ergibt sich auch nicht aus der Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009.

23

6. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Kindsmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Ansprüche auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste dem Kläger daher nicht wegen einer fehlenden Antragstellung der Kindsmutter zuerkannt werden (EuGH-Urteil in HFR 2015, 1190, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die deutsche Familienkasse auch zugunsten des Kindergeldanspruchs der Kindsmutter zu berücksichtigen.

24

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.

Tenor

Auf die Revision der Familienkasse wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. August 2013  4 K 854/13 Kg aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum März 2012 bis März 2013.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater der vier Kinder A (geb. Juni 1996), S (geb. März 1999), D (geb. August 2002) und F (geb. Dezember 2003). Er ist seit dem 1. März 2010 in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) nichtselbständig tätig. D und F leben seit 2004 bei ihrer Mutter in Spanien, die dort erwerbstätig ist. A und S leben beim Kläger.

3

Mit Bescheid vom 18. Februar 2013 lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) den Antrag des Klägers, ihm Kindergeld für D und F zu gewähren, ab März 2012 mit der Begründung ab, dass die Kindsmutter nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung wegen der Haushaltsaufnahme von D und F den vorrangigen Kindergeldanspruch habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 11. März 2013).

4

Mit der hiergegen gerichteten Klage begehrte der Kläger Differenzkindergeld für den Zeitraum ab März 2012 in Höhe von 165,75 € für D und in Höhe von 190,75 € für F. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in vollem Umfang statt.

5

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Familienkasse die sich aus einer unzutreffenden Auslegung des § 64 EStG ergebende Verletzung materiellen Rechts.

6

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2014 hat der Bundesfinanzhof das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 ausgesetzt. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) über die Vorlagefragen entschieden.

Entscheidungsgründe

9

II. Dem Antrag des Klägers, das Verfahren bis zu einer weiteren Klärung der Rechtslage ruhen zu lassen, war nicht zu entsprechen, da die Familienkasse hierzu nicht das nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung erforderliche Einverständnis erklärt hat.

III.

10

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld (vorrangig) dem Kläger zusteht. Der Kläger ist zwar nach nationalem Recht (§§ 62 ff. EStG) anspruchsberechtigt (dazu 1.). Der Kindsmutter steht aber nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zu (dazu 2. bis 6.).

11

1. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 EStG.

12

Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) erfüllt der Kläger --was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG. Unerheblich ist, dass D und F ihren Wohnsitz in Spanien haben (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

13

2. Allerdings ist die Kindsmutter --entgegen der Rechtsauffassung des FG-- nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt. Denn sie hat D und F in ihren Haushalt aufgenommen und gemäß Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung)-- i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung)-- ist zu unterstellen, dass sie mit D und F in Deutschland wohnt.

14

a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

15

b) Im Streitfall ergibt sich die Anspruchsberechtigung der Kindsmutter aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 3.). Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der Kindsmutter fingiert (dazu 4.). Zudem erfüllt die Kindsmutter auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung (dazu 5. und 6.).

16

3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist danach der zuständige Mitgliedstaat.

17

a) Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.

18

b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats. Da der Kläger im Streitzeitraum eine nichtselbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland ausgeübt hat, unterlag er den deutschen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO Nr. 883/2004).

19

4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die Wohnsituation der Kindsmutter (fiktiv) in das Inland übertragen wird.

20

a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.

21

b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedsaat der Europäischen Union hat (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 35 ff.). Zudem kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall wegen eines Familienleistungsanspruchs der Kindsmutter in Spanien zusätzlich auch eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist. Wäre Art. 68 der VO Nr. 883/2004 nicht einschlägig, fände Art. 60 der VO Nr. 987/2009 bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 32 f., 35 ff.). Wäre Art. 68 der VO Nr. 883/2004 einschlägig, eröffnete dieser ebenfalls die Anwendbarkeit des Art. 60 der VO Nr. 987/2009.

22

c) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auch Elternteile erfasst, die nicht miteinander verheiratet sind.

23

Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38 zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert.

24

5. Die Kindsmutter erfüllt neben dem Wohnsitzerfordernis auch die übrigen Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch.

25

a) Anhaltspunkte dafür, dass die Kindsmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin i.S. des § 62 Abs. 2 EStG ist, hat das FG nicht festgestellt.

26

b) Ein vorrangiger Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG; denn diese Bestimmung setzte einen gemeinsamen Haushalt des Klägers und der Kindsmutter voraus. Nach den Feststellungen des FG unterhielten der Kläger und die Kindsmutter jedoch keinen gemeinsamen Haushalt. Ein gemeinsamer Haushalt kann sich auch nicht aus der Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ergeben. Demnach ist im Streitfall der Anspruch der Kindsmutter nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig, da nur bei dieser, nicht dagegen beim Kläger eine Haushaltsaufnahme des D und des F vorliegt.

27

6. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Kindsmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat.

28

Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier: ggf. die Kindsmutter, sofern nicht bereits ein in Spanien gestellter Antrag zu berücksichtigen wäre), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste dem Kläger daher nicht wegen einer fehlenden Antragstellung der Kindsmutter zuerkannt werden (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die deutsche Familienkasse auch als solchen zugunsten des Kindergeldanspruchs der Kindsmutter zu berücksichtigen.

29

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.

(1)1Das Kindergeld nach § 62 wird von den Familienkassen durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt.2Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.3Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.

(2)1Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern.2Ist die Änderung einer Kindergeldfestsetzung nur wegen einer Anhebung der in § 66 Absatz 1 genannten Kindergeldbeträge erforderlich, kann von der Erteilung eines schriftlichen Änderungsbescheides abgesehen werden.

(3)1Materielle Fehler der letzten Festsetzung können durch Aufhebung oder Änderung der Festsetzung mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Aufhebung oder Änderung der Festsetzung folgenden Monat beseitigt werden.2Bei der Aufhebung oder Änderung der Festsetzung nach Satz 1 ist § 176 der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden; dies gilt nicht für Monate, die nach der Verkündung der maßgeblichen Entscheidung eines obersten Bundesgerichts beginnen.

(4) (weggefallen)

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:

1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind,
2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
2Soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt, stehen die Leistungen nach Satz 1 dem Kindergeld gleich.3Steht ein Berechtigter in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nach § 24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nummer 2 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 28. Januar 2015  14 K 982/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) lebt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und hat vier Kinder, von denen drei im Streitzeitraum (April 2012 bis Februar 2013) minderjährig sind und das Älteste sich in Berufsausbildung befindet.

2

Die Klägerin ist nicht berufstätig. Ihr Ehemann und Vater der Kinder ist in der Schweiz nichtselbständig tätig und bezieht dort Kinder- und Ausbildungszulagen (Schweizer Kinderzulage). Diese betragen für die ersten beiden Kinder jeweils 250 CHF und für das dritte und vierte Kind jeweils 200 CHF.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte das monatliche Kindergeld für die Klägerin mit Bescheid vom 2. Januar 2012 auf insgesamt 79,68 € fest. Mit Bescheid vom 5. Februar 2013 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung in Höhe von 51,10 € pro Monat ab April 2012 auf und forderte für den Zeitraum April 2012 bis Januar 2013 überzahltes Kindergeld in Höhe von insgesamt 511 € zurück.

4

Die Familienkasse berechnete das Kindergeld wie folgt:

5

Kind   

Schweizer Kinderzulage

deutsches KiG

Differenz

        

in CHF

in €* 

in €   

in €   

A       

250     

206,78

184     

- 22,78

B       

250     

206,78

184     

- 22,78

C       

200     

165,43

190     

24,57 

D       

200     

165,43

215     

49,57 

zu zahlender Unterschiedsbetrag

        

28,58 

6

* Umrechnungskurs 1,20900 (Kurs der Europäischen Zentralbank vom 2. Januar 2013)

7

Der Rückforderungsbetrag ergibt sich aus der Differenz zwischen der bisherigen und der neuen Festsetzung für 10 Monate.

8

Der Einspruch blieb erfolglos. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Festsetzung eines monatlichen Differenzkindergeldes in Höhe von 74,14 € (24,57 € und 49,57 € für das dritte und vierte Kind) und den Rückforderungsbetrag auf insgesamt 55,40 € zu beschränken. Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, dass die Berechnung des Differenzkindergeldes kindbezogen zu erfolgen habe. Ein verbleibender Überschuss der Schweizer Kinderzulage über das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einem Kind dürfe nicht mit Differenzkindergeldansprüchen für weitere Kinder verrechnet werden. Der Anspruch auf Kindergeld ergebe sich aus Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --VO Nr. 883/2004-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1), die ab dem 1. April 2012 zwischen der Schweiz und Deutschland anzuwenden sei (Anhang II des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit --Freizügigkeitsabkommen--, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2002, Nr. L 114 vom 30. April 2002, S. 6, geändert durch Beschluss Nr. 1/2012 des gemischten Ausschusses vom 31. März 2012 zur Ersetzung des Anhangs II dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherung, ABlEU 2012, Nr. L 103 vom 13. April 2012, S. 51). Die nationalen Vorschriften der §§ 62 und 66 ff. EStG geböten die kindbezogene Betrachtungs- und Berechnungsweise.

9

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Die Frage der kind- bzw. familienbezogenen Betrachtung bei der Berechnung von Differenzbeträgen sei an sich eine solche des koordinierenden EU-Rechts. Nach Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales habe man sich bei der Schaffung des Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 auf Ratsebene zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Berechnung der Modalitäten des Unterschiedsbetrages bei Anspruch auf Familienleistungen aus mehreren Mitgliedstaaten nicht auf eine kind- oder familienbezogene Betrachtung einigen können. Die Regelungslücke sei durch die Mitgliedstaaten selbständig zu schließen. Deutschland habe sich für die familienbezogene Betrachtungsweise entschieden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004. Es gehe um Leistungen "für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen". Auch Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) sehe diese Gesamtbetrachtung vor, in dem sie bestimme, dass bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der Grundverordnung (= VO Nr. 883/2004), insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelange, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen sei, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Zudem sprächen Sinn und Zweck der genannten Vorschriften für die familienbezogene Betrachtungsweise und führten auch zu sachgerechteren Lösungen.

10

Die nationalen Vorschriften zum Kindergeld stünden der familienbezogenen Betrachtungsweise nicht entgegen. Würde jeder Mitgliedstaat ausschließlich sein eigenes nationales System der Familienleistungen für die Berechnung zugrunde legen, wäre eine Koordinierung nach einheitlichen Maßstäben nicht möglich. Daher werde die Koordinierung unabhängig von den einzelnen nationalen Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen. Das Kindergeld solle die Familie als Ganzes entlasten und allen Kindern gleichmäßig zukommen. Die Staffelung des Kindergeldes nach steigender Ordnungszahl solle keine steigende unmittelbare wirtschaftliche Belastung durch höhere Kosten der später geborenen Kinder abdecken, sondern den überproportional zunehmenden Gesamtentlastungsbedarf der Familie bei steigender Kinderzahl. So sei das Kindergeld zwar als monatlicher Anspruch pro Kind ausgestaltet. Bei der Abzweigung nach § 74 EStG und der Pfändung nach § 76 EStG, wenn also der Betrag pro Kind im Vergleich zu anderen Kindern maßgeblich sei, sei der Gesamtbetrag jedoch auf alle Kinder gleichmäßig zu verteilen.

11

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

13

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 121 FGO).

Entscheidungsgründe

II.

14

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

15

Das FG hat den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Kindergeldfestsetzung vom 5. Februar 2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 2013 zu Recht teilweise aufgehoben. Die Klägerin hat für den Streitzeitraum April 2012 bis Februar 2013 einen Anspruch auf Differenzkindergeld für das dritte und vierte Kind in Höhe von monatlich 74,14 €. Dementsprechend hat das FG den Rückforderungsbetrag folgerichtig auf 55,40 € begrenzt.

16

1. Die im Inland wohnende Klägerin erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für ihre gleichfalls im Inland wohnenden und nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigenden vier Kinder. Darüber hinaus ist die Eröffnung des Anwendungsbereichs der VO Nr. 883/2004 sowie eine daraus resultierende Rechtszuständigkeit des Beschäftigungsstaates der Schweiz nicht im Streit.

17

2. Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet, dann richtet sich die Kindergeldberechtigung nach den §§ 62 ff. EStG und die Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Kindergeldanspruch und der ausländischen Familienleistung nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig (vgl. Senatsurteile vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, Rz 20; vom 12. September 2013 III R 32/11, BFHE 243, 204, Rz 17).

18

a) Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 werden beim Zusammentreffen von Ansprüchen die Familienleistungen nach den Rechtsvorschiften gewährt, die nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 Vorrang haben. Vorrang haben hiernach an erster Stelle die durch eine Beschäftigung ausgelösten Ansprüche (Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004), mithin die Ansprüche auf die dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung der Schweizer Kinderzulage. Die nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG bestehenden Ansprüche auf deutsches Kindergeld werden nach Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der VO Nr. 883/2004 ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein weiter gehender deutscher Kindergeldanspruch wird daher nicht ausgeschlossen.

19

b) Der Klägerin steht danach deutsches Differenzkindergeld zu, soweit das Kindergeld die vergleichbare Schweizer Kinderzulage übersteigt.

20

3. Eine Kürzung des Differenzkindergeldes für das dritte und vierte Kind der Klägerin durch Verrechnung des übersteigenden Betrages der Schweizer Kinderzulage für die ersten beiden Kinder ist mangels einer gesetzlichen --sowohl europarechtlichen als auch nationalen-- Regelung ausgeschlossen.

21

a) Aus der in der Vorschrift des Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 gewählten Formulierung "Familienangehörigen" (Plural) lässt sich im Hinblick auf eine Berechnungsmethode, bei der die Beträge der Familienleistungen eines primär und eines sekundär zuständigen Mitgliedstaates miteinander verglichen werden, keine Regelung entnehmen (a.A. Osterholz in jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 69 VO (EG) 883/2004, Rz 28). Ein Rückschluss auf eine bestimmte Berechnungsmethode kann auch nicht aus der in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 geregelten Familienbetrachtung gezogen werden (a.A. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Art. 68 VO Nr. 883/2004, D I. Rz 29). Die dort vorgesehenen Fiktionen betreffen lediglich die Feststellung vorrangiger und nachrangiger Ansprüche bei der Anwendung des Art. 68 der VO Nr. 883/2004, um Anspruchsausschlüsse zu vermeiden, die von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen in der Person des Berechtigten abhängen, enthalten aber keine Aussage zu einer Berechnungsmethode.

22

b) Schon die Vorgängerregelung zu Art. 68 der VO Nr. 883/2004 --Art. 76 der VO Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971, ABlEG 1971 Nr. L 149, S. 1-- enthielt ebenfalls keine Regelung zur Berechnung der Differenzbeträge. Die bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft eingesetzte, u.a. für Auslegungsfragen zuständige Verwaltungskommission (vgl. Art. 80, 81 der VO Nr. 1408/71, Art. 71, 72 der VO Nr. 883/2004) entschied sich für eine kindbezogene Betrachtungsweise (Vergleich der Beträge "bei jedem Familienangehörigen", Beschluss Nr. 147 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 10. Oktober 1990, ABlEG 1991, Nr. L 235, S. 21, unter 1.d und e). Abgesehen davon, dass Beschlüsse der Verwaltungskommission nationale Gerichte mangels eines Rechtsakts mit normativen Charakter nicht binden können (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 14. Mai 1981  98/80, Slg. 1981, 1241), fehlt es bei der Anwendung der VO Nr. 883/2004 an einem entsprechenden (nachfolgenden) Beschluss. Die Mitgliedstaaten konnten sich vielmehr nicht auf eine bestimmte Berechnungsmethode (Berechnung für jeden Familienangehörigen/pro Kind und Berechnung für die Familie insgesamt/Gesamtbetrag) verständigen. Dies ergibt sich u.a. aus dem von der Familienkasse vorgelegten Protokoll der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer der Europäischen Kommission vom 16./17. Dezember 2009. Dementsprechend wurde den Mitgliedstaaten die Wahl der Berechnungsmethode überlassen. Insoweit sehen auch die Vordrucke (SED F001, F002) für den Informationsaustausch im Bereich der Familienleistungen vor, dass die Angaben zu den nationalen Ansprüchen kind- oder familienbezogen erfolgen können.

23

c) In Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung ist es daher Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates, die Modalitäten für die Berechnung festzulegen. Das Erfordernis, wonach eine Familienleistung aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands zu gewähren ist, impliziert, dass nicht nur die Voraussetzungen ihrer Gewährung, sondern gegebenenfalls auch die Voraussetzungen ihres Ruhens den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten entnommen werden müssen (vgl. EuGH-Urteil vom 6. November 2014 C-4/13, EU:C:2014:2344, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2015, 86, Rz 43). Wenn die Richtlinie oder Verordnung den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, obliegt die Befugnis zur Letztkonkretisierung dem Gesetzgeber. Daraus folgt, dass sich die Berechnung nach den Vorschriften des EStG bestimmen lassen muss.

24

aa) Das EStG sieht für die Berechnung der Unterschiedsbeträge beim Zusammentreffen von nationalen und vergleichbaren ausländischen Familienleistungen zwar keine ausdrückliche Regelung vor. Die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften sind aber sowohl dem Grunde (vgl. §§ 62 bis 65 EStG) als auch der Höhe nach (§ 66 EStG) kindbezogen ausgestaltet. Darüber hinaus ergibt sich aus § 31 Satz 1 und aus § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG, dass im Rahmen der Günstigerprüfung die Vergleichsrechnung ebenfalls für jedes Kind einzeln durchzuführen ist (vgl. Senatsurteile vom 28. April 2010 III R 86/07, BFHE 230, 294, BStBl II 2011, 259; vom 19. April 2012 III R 50/08, BFH/NV 2012, 1429, Rz 15).

25

bb) Diese kindbezogene Betrachtungsweise wird nur dann durchbrochen, wenn dies ausdrücklich gesetzlich geregelt ist.

26

Solche Regelungen finden sich in § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG, sofern der Kindergeldberechtigte seine gesetzlichen Unterhaltspflichten verletzt. Hierbei geht es nur um die Verwendung des bereits zuvor kindbezogen festgesetzten Kindergeldes für die ganze Familie.

27

Eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften kommt nicht in Betracht. Für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 76 Abs. 2 Nr. 1 EStG im Wege einer analogen Anwendung fehlt es, wenn schon nicht an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke, so doch an der für eine Analogie erforderlichen, hier nicht vergleichbaren Interessenlage.

28

cc) Soweit die Familienkasse darauf hinweist, dass sich Deutschland für die familienbezogene Betrachtung entschieden habe, stellt dies keine erforderliche Bestimmung im nationalen Recht dar. Auch der Hinweis auf die Regelungen in DA 214.6 Satz 8 der "Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht" --DAüzV-- (abrufbar unter www.arbeitsagentur.de) ersetzt keine gesetzliche Bestimmung. Diese Dienstanweisung, die eine einheitliche Verwaltungstätigkeit der untergeordneten Behörden ermöglichen sollte, entfaltet Bindungswirkung grundsätzlich nur im Innenverhältnis.

29

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden.

(2) Wird eine Sache vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht zurückverwiesen, so kann diesem die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen werden.

(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.

(2) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.