Finanzgericht München Urteil, 04. Juli 2016 - 7 K 2435/15

bei uns veröffentlicht am04.07.2016

Gericht

Finanzgericht München

Tenor

1. Der Bescheid vom 27. Oktober 2014 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.

Streitig ist, ob dem Kläger im Zeitraum Oktober 2014 bis Juli 2015 Kindergeld für seine Töchter, geboren am 11. Februar 2010 und am 9. April 2012, zusteht.

Der Kläger erhielt für seine Töchter laufend Kindergeld. Mit Schreiben vom 6. August 2014 teilte er der Familienkasse mit, dass er mit seiner Ehefrau und den Töchtern vom 1. September 2014 bis 31. August 2015 für ein Jahr in Elternzeit gehen und sich in diesem Zeitraum in den USA aufhalten würde. Die bisherige 5-Zimmer-Wohnung in der …straße 17 würde untervermietet (vgl. Untermietvertrag mit X und Y für den Zeitraum 27. August 2014 und 26. August 2015). Daraufhin hob die Familienkasse mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2014 bis Juli 2015 auf und forderte das Kindergeld für Oktober 2014 zurück.

Den dagegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass zumindest bis zum 31. Dezember 2014 wegen seiner unbeschränkten Steuerpflicht ein Anspruch auf Kindergeld bestünde. Er sei Arbeitnehmer bei D und erhalte auch in seiner Elternzeit Provisionen und Tantiemen. Ebenso erziele er aus der Untervermietung der Wohnung Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Da er und seine Ehefrau mehr als 186 Tage in Deutschland anwesend gewesen seien, sei ihr Einkommen aufgrund des mit den USA bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland versteuert worden. Spätestens zum 26. August 2015 werde die Familie wieder nach Deutschland zurückkommen. Der derzeitige Lebensmittelpunkt liege in den USA, da er und seine Ehefrau über eine Greencard verfügten. Im Fall einer früheren Rückkehr könne bei den Großeltern untergekommen werden. Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg, er wurde mit Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Er sei mit seiner Familie am 2. September 2014 von Frankfurt in die USA geflogen und am 26. August 2015 nach Deutschland zurückgekehrt. Seine Wohnung habe er während seines Aufenthalts in den USA untervermietet und im August 2015 wieder bezogen. Die Rückkehr der Familie nach Deutschland sei von Anfang an geplant gewesen. So ergebe sich aus den Bestätigungen seines Arbeitgebers vom 24. Juni 2014 und der Bestätigung des Arbeitgebers seiner Ehefrau, der Firma GmbH vom 28. Mai 2014, dass lediglich Elternzeit in Anspruch genommen wurde, die Arbeitsverhältnisse jedoch weiterbestanden hätten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 27. Oktober 2014 und die Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zur Einspruchsentscheidung trägt sie vor, dass die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nicht vorlägen, da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland im Streitzeitraum wegen der Untervermietung seiner Wohnung aufgegeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Familienkasse, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 27. Oktober 2014, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Töchter des Klägers gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgehoben und das für Oktober 2014 gezahlte Kindergeld zurückgefordert hat, und die Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 sind rechtwidrig. Der Kläger und seine Töchter haben in dem zur Beurteilung des Gerichts stehenden Zeitraum von Oktober 2014 bis Juli 2015 ihren Wohnsitz im Sinne von § 8 Abgabenordnung (AO) in Deutschland nicht aufgegeben. Dem Kläger steht somit in diesem Zeitraum Kindergeld zu.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.

Die Vereinigten Staaten von Amerika zählen nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften nicht maßgeblich (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2). Die Begründung eines Wohnsitzes erfolgt durch tatsächliches Handeln, der bloße Wille des Steuerpflichtigen ist dagegen nicht entscheidend. Von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse, d. h. der objektive Zustand (vgl. BFH-Urteile vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351 m.w.N.).

Der Wohnsitzbegriff i. S. von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reichen nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist (vgl. auch Urteil des Finanzgerichts München vom 13. März 2014 5 K 745/12, jurisweb).

Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten oder benutzt wird, schließt nicht aus, dass die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird. Periodische Auslandsaufenthalte stellen das Innehaben eines Wohnsitzes auch dann nicht in Frage, wenn sie sich über einen Zeitraum von etlichen Jahren erstrecken. Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294, m. w. N., und BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917).

2. Nach diesen grundsätzlichen Vorgaben der Rechtsprechung zu § 8 AO steht bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Streitfalls zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im hier zu beurteilenden Zeitraum einen Wohnsitz in München hatte. Die 5-Zimmer-Wohnung in der W. Straße 17 war zum dauerhaften Wohnen des Klägers und seiner Familie vorgesehen und geeignet. Wie oben dargestellt kommt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht darauf an, wenn die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird, da das Innehaben eines Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO auch bei Auslandsaufenthalten von etlichen Jahren nicht in Frage gestellt wird. Durch die befristete Untervermietung der möblierten Räume für den Zeitraum 27. August 2014 und 26. August 2015 hat der Kläger diesen Wohnsitz nicht aufgegeben. Vielmehr erfolgte lediglich eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort während des einjährigen Aufenthaltes in den USA. Aus den vorgelegten Bescheinigungen der Arbeitgeber des Klägers und seiner Ehefrau geht klar hervor, dass die Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der Elternzeit weitergeführt werden. Diese von vornherein befristete Abwesenheit während des dritten Jahres der Elternzeit für die Tochter steht der Beibehaltung des Wohnsitzes nicht entgegen, auch wenn innerhalb dieser zwölf Monate eines besuchsweise Rückkehr zum Wohnsitz etwa zu Ferienzwecken wegen der großen Entfernung oder aus Kostengründen nicht beabsichtigt und tatsächlich nicht erfolgt ist. Wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, bestand darüber hinaus bei einer vorzeitigen Beendigung des Auslandsaufenthaltes vor Ablauf des Untermietvertrags die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung des Untermietvertrages. Somit stand dem Kläger die Wohnung jederzeit zur Verfügung, er konnte tatsächlich über sie verfügen.

Ohne Bedeutung für den Streitfall ist, ob der Kläger daneben während seines Auslandsaufenthalts möglicherweise einen weiteren Wohnsitz in den USA begründet hat. Zudem ist im Streitfall die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers in Deutschland in den Jahren 2014 und 2015 nicht erheblich.

3. Die Kinder des Klägers teilten mit ihm auch während des Auslandaufenthaltes den Wohnsitz in München.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder bei dem Kindergeldanspruch nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Voraussetzungen letztgenannter Ausnahmeregelung liegen im Streitfall nicht vor. Entscheidend für den Kindergeldanspruch des Klägers kommt es daher darauf an, ob seine Töchter im streitbefangenen Zeitraum einen Wohnsitz im Inland, also in Deutschland hatten.

Minderjährige Kinder teilen grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über ihre Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit zugleich die elterliche Wohnung i.S. des § 8 AO innehaben (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351). Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall, sondern hängt maßgeblich von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab. Die Entscheidung, ob Kinder, die sich zeitweise außerhalb des bisher im Inland begründeten elterlichen Haushalts im Ausland aufhalten, ihren inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehalten oder aber zunächst aufgegeben haben und erst bei der späteren Rückkehr einen Wohnsitz im Inland wieder neu begründen, hängt nach der Rechtsprechung des BFH nicht allein von der Dauer des Auslandsaufenthalts, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung insbesondere auch das Alter des Kindes und der Zweck des Auslandsaufenthalts ausschlaggebend. Eine konkrete zeitliche Grenze i.S. eines „Maximalaufenthalts“ kann daher generell und abstrakt nicht festgelegt werden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen, ob im Einzelfall von einem beibehaltenen Wohnsitz im Inland auszugehen ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375 und vom 27.Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917, vgl. auch Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 30. April 2014 5 K 531/13, juris-web).

Im Streitfall hatten die Töchter des Klägers, die im Streitzeitraum vier und zwei Jahre alt waren, vor ihrer Abreise in die USA einen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung im Inland. Diesen haben sich auch durch den Aufenthalt in den USA in der Zeit von Oktober 2014 bis Juli 2015 nicht aufgegeben. Aufgrund ihres Alters ist keine Trennung aus der elterlichen Obhut erfolgt. Der Aufenthalt in den USA war von Anfang an befristet, der gemeinsame Wohnsitz in München wurde nicht aufgegeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 151


(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; §

Einkommensteuergesetz - EStG | § 63 Kinder


(1) 1Als Kinder werden berücksichtigt 1. Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,2. vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,3. vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel. 2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 8 Wohnsitz


Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 19 Steuern vom Einkommen und Vermögen natürlicher Personen


(1) Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzf

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Tatbestand 1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) heiratete im Dezember 2004 in der Ukraine seine Ehefrau (E), eine ukrainische Staatsangehörige, die seit Mai 2004

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Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1)1Als Kinder werden berücksichtigt

1.
Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,
2.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,
3.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.
2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.3Voraussetzung für die Berücksichtigung ist die Identifizierung des Kindes durch die an dieses Kind vergebene Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung).4Ist das Kind nicht nach einem Steuergesetz steuerpflichtig (§ 139a Absatz 2 der Abgabenordnung), ist es in anderer geeigneter Weise zu identifizieren.5Die nachträgliche Identifizierung oder nachträgliche Vergabe der Identifikationsnummer wirkt auf Monate zurück, in denen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 vorliegen.6Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden nicht berücksichtigt, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a.7Kinder im Sinne von § 2 Absatz 4 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes werden nicht berücksichtigt.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig ist oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erzielt, für seine in Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Kinder Kindergeld ganz oder teilweise zu leisten ist, soweit dies mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnsitzstaat und auf die dort gewährten dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen geboten ist.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) heiratete im Dezember 2004 in der Ukraine seine Ehefrau (E), eine ukrainische Staatsangehörige, die seit Mai 2004 in der Wohnung des Klägers in Deutschland gemeldet ist. Nachdem E im August 2004 in die Ukraine gereist war, brachte sie dort am 10. Januar 2005 den gemeinsamen Sohn S zur Welt. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Januar 2006 hielt E sich zusammen mit S ausschließlich in der Ukraine auf. Seit dem Tag der Einreise am 25. Januar 2006 ist auch S in Deutschland gemeldet.

2

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte auf den Antrag des Klägers für S Kindergeld erst ab Januar 2006 fest, da S erst ab diesem Monat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

3

Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger vor, E und er hätten im Oktober 2004 in Deutschland heiraten wollen. E sei dann im August 2004 aus privaten Gründen in die Ukraine gereist. Die für September/Oktober 2004 geplante Rückreise habe sie jedoch wegen Problemen in der Schwangerschaft nicht antreten können, weshalb sie im Dezember 2004 in der Ukraine hätten heiraten müssen. Nachdem E sich von der Geburt erholt gehabt habe, habe sie sich umgehend um die erforderlichen Papiere (ukrainischer Personalausweis, internationaler Reisepass, Geburtsurkunde nebst Übersetzung und Legalisation, Kinderausweis und Visum) gekümmert, was jedoch in der Ukraine gedauert habe. Im Ergebnis habe E deshalb erst im Januar 2006 zusammen mit S nach Deutschland einreisen können. Ihr Verbleib --und damit auch der des S-- in der Ukraine sei unfreiwillig gewesen.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, S habe im Streitzeitraum im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Einen Wohnsitz i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) könne nur beibehalten, wer zuvor bereits einen Wohnsitz begründet habe. Dies setze --auch bei einem Kind-- die Anwesenheit im Inland voraus. Ein Wohnsitz werde jedoch grundsätzlich nicht allein durch die Absicht der Eltern, das Kind solle ab seiner Geburt in der gemeinsamen Wohnung im Inland leben, begründet. Allein dadurch, dass der Wohnsitz des Klägers und der E im strittigen Zeitraum im Inland weiterbestanden habe, hätten die Eltern dem S keinen inländischen Wohnsitz vermittelt, da dieser sich bis Januar 2006 nicht selbst in der Wohnung der Eltern im Inland aufgehalten, diese also nicht tatsächlich innegehabt habe. Ob ausnahmsweise etwas anderes gelte, wenn das Kind innerhalb angemessener Zeit nach der Geburt in das Inland gebracht werde, könne dahinstehen, da S im Streitfall jedenfalls nicht mehr innerhalb eines als angemessen zu beurteilenden Zeitraums eingereist sei.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Er ist der Ansicht, ihm stehe für S auch für den Streitzeitraum Januar bis Dezember 2005 Kindergeld zu, da er und E --und damit auch zugleich S-- ihren Wohnsitz während dieser Zeit in Deutschland gehabt hätten und der Aufenthalt von E und S in der Ukraine unfreiwillig gewesen sei. Allein aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Ukraine sei eine sofortige Rückkehr nach der Geburt nicht möglich gewesen. Kinder teilten den Wohnsitz der Eltern, solange nach den äußerlich erkennbaren Umständen davon auszugehen sei, dass die elterliche Wohnung für das Kind bestimmt sei und von dem Kind auch als eigenes Heim angesehen werde. Bei einem Neugeborenen könne der Wohnsitz bei vernünftiger Betrachtung --jedenfalls dann, wenn es von den Eltern betreut werde-- ausschließlich von dem Willen der Eltern bestimmt werden.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Familienkasse unter Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2006 zu verpflichten, den Bescheid vom 20. Juni 2006 zu ändern und Kindergeld für S auch für die Monate Januar 2005 bis Dezember 2005 zu gewähren.

7

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Die Entscheidung des FG, S habe vor seiner Einreise nach Deutschland im Januar 2006 weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

10

1. Wer --wie der Kläger-- über einen Wohnsitz im Inland verfügt, hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S. des § 63 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden indes Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).

11

a) Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

12

Die Begründung eines Wohnsitzes erfolgt durch tatsächliches Handeln (Michel in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 1 Rz 79), der bloße Wille des Steuerpflichtigen ist dagegen nicht entscheidend (Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 8 AO Rz 12). Von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse (Klein/Gersch, AO, 10. Aufl., § 8 Rz 5, m.w.N.), d.h. der objektive Zustand (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 8 AO Rz 11). Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), genügt deshalb für den Bereich des Steuerrechts ein natürlicher Wille, den auch ein Geschäftsunfähiger haben kann; auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (Senatsurteil vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

13

b) Ob an einem bestimmten Ort ein Wohnsitz besteht oder nicht, ist für jede Person --insbesondere auch im Verhältnis zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern-- gesondert zu prüfen (Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 9). Deshalb ist auch die Frage, ob ein Kind einen Wohnsitz begründet --oder beibehalten-- hat, ausschließlich nach den tatsächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (Greite in Korn, § 63 EStG Rz 15). Auch ein Kind begründet deshalb erst dann einen Wohnsitz, wenn es eine Wohnung unter Umständen innehat, die auf das Beibehalten und Benutzen schließen lassen.

14

c) Zwar teilen minderjährige Kinder grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über ihre Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit zugleich die elterliche Wohnung i.S. des § 8 AO innehaben (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Dezember 2001 VI B 123/00, juris; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 21). Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall, sondern hängt wiederum maßgeblich von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab. So führt insbesondere ein mehrjähriger Schulbesuch im Ausland, für den das Kind vor Ort bei Verwandten untergebracht ist, regelmäßig dazu, dass das Kind die elterliche Wohnung im Inland nicht weiterhin unter Umständen innehat, die darauf hinweisen, dass die Wohnung beibehalten und als solche genutzt werden soll und wird (hierzu z.B. Senatsurteile in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887, und vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Auch teilen minderjährige Kinder nicht stets --gleichsam automatisch-- sämtliche Wohnsitze ihrer Eltern, wenn diese über mehrere Wohnsitze verfügen (Senatsbeschlüsse vom 15. Mai 2009 III B 209/08, BFH/NV 2009, 1630, und vom 27. August 2010 III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272; a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2008  8 K 37/07, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 420). Dies ergibt sich bereits aus der Unterscheidung im EStG zwischen dem Wohnsitz des Kindes (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG) und dem des Kindergeldberechtigten (§ 62 Abs. 1 EStG) als Voraussetzung für den Kindergeldanspruch, so dass der Wohnsitz von Kind und Eltern durchaus auseinanderfallen kann.

15

d) Soweit Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteil vom 11. April 1984 I R 230/80, juris, m.w.N.) und Literatur (z.B. Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 22 und 30) davon ausgehen, dass über das Rechtsinstitut des Familienwohnsitzes das "Innehaben einer Wohnung" durch einen Familienangehörigen vermittelt werden kann, so gilt dies uneingeschränkt nur für das "Beibehalten" eines bereits vorhandenen Wohnsitzes. Dagegen kann ein im Ausland lebender Angehöriger im Inland grundsätzlich keinen Wohnsitz begründen, ohne sich hier aufgehalten zu haben (BFH-Urteil vom 3. März 1978 VI R 195/75, BFHE 124, 530, BStBl II 1978, 372; FG Hamburg, Urteil vom 15. April 1994 V 61/92, EFG 1994, 730; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 31, jeweils für Ehegatten).

16

aa) Wird ein Kind im Ausland geboren, so billigen Verwaltung (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs --DA-FamEStG-- 63.6.1 Abs. 3 Satz 1, BStBl I 2009, 1033) sowie Teile der Literatur (Felix, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 63 Rz G 6; dies. in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 63 Rz 4; Blümich/Treiber, § 63 EStG Rz 38; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 33 Fn 10) dem Kind allerdings unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise einen Wohnsitz im Inland bereits ab seiner Geburt zu (zweifelnd Schmidt/ Heinicke, EStG, 30. Aufl., § 1 Rz 24), sofern sich die Mutter nur kurzfristig (Buciek, a.a.O.), lediglich vorübergehend zum Zeitpunkt der Geburt (Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 63 Rz G 6; Treiber, a.a.O., § 63 EStG Rz 38) bzw. lediglich zur Entbindung vorübergehend (DA-FamEStG, a.a.O.; Felix in Kirchhof, a.a.O., § 63 Rz 4) im Ausland aufgehalten hat und das Kind alsbald (Buciek, a.a.O.) bzw. innerhalb angemessener Zeit (DA-FamEStG, Felix und Treiber, jeweils a.a.O.) nach Deutschland gebracht wird.

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bb) Auch der Senat hält es unter solchen Umständen für möglich, dass ein im Ausland geborenes Kind bereits von Geburt an den inländischen (Familien-)Wohnsitz teilt. Kann das Kind den Wohnsitz der Eltern im Inland indes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht nur kurzfristig nicht aufsuchen, kann es dort (zunächst) auch keinen eigenen Wohnsitz begründen (ebenso Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 49, "Kinder"; s. auch Lehner/Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 1 Rz B 130; Musil in HHSp, § 8 AO Rz 39; Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. April 1983 10 RKg 15/82, juris, zum wortgleichen § 30 Abs. 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch; a.A. FG Baden-Württemberg in EFG 2009, 420). Insgesamt muss die tatsächliche Gestaltung dafür sprechen, dass das Kind bereits mit seiner Geburt im Ausland seinen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung im Inland begründet, weil es diese über seine Eltern innehat und Umstände vorliegen, die auf eine Nutzung der Wohnung auch durch das Kind schließen lassen. Dies ist letztlich eine Frage der tatrichterlichen Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles (§ 96 Abs. 1 FGO), die einer revisionsrechtlichen Prüfung im Hinblick auf § 118 Abs. 2 FGO regelmäßig entzogen ist (z.B. BFH-Urteile vom 30. August 1989 I R 215/85, BFHE 158, 118, BStBl II 1989, 956; vom 9. Mai 2000 VIII R 77/97, BFHE 192, 445, BStBl II 2000, 660; Senatsurteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).

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e) Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes als Ausprägung des Territorialitätsprinzips ist sachgerecht und verfassungsgemäß (z.B. BFH-Urteile in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912). Auch die Differenzierung in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist nicht zu beanstanden. Sie unterscheidet in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise danach, ob ein Kind, das weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem EU/EWR-Staat hat, zum Haushalt eines erweitert unbeschränkt Steuerpflichtigen (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG) gehört (Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 1630; Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 63 Rz 72).

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2. Danach ist die Entscheidung des FG, der in der Ukraine geborene S habe einen Wohnsitz im Inland nicht bereits mit seiner Geburt im Januar 2005, sondern erst mit seiner Einreise nach Deutschland im Januar 2006 begründet, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere auch für die Wertung, S sei jedenfalls nicht mehr innerhalb eines als angemessen zu beurteilenden Zeitraums ins Inland gebracht worden.

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3. Da eine Person zu derselben Zeit immer nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (Klein/Gersch, a.a.O., § 9 Rz 2) und S sich während des gesamten Streitzeitraums in der Ukraine aufgehalten hat, hat das FG den gewöhnlichen Aufenthalt des S im Inland ebenfalls zutreffend verneint. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland kann nicht bereits ab Geburt angenommen werden, wenn das Kind sich nicht in Deutschland aufhält. "Aufhalten" erfordert bereits nach dem Wortlaut die körperliche Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Daraus folgt, dass die erstmalige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort stets die dortige körperliche Anwesenheit der natürlichen Person voraussetzt (BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 109/88, BFHE 161, 482).

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Tenor

1. Der Aufhebungsbescheid vom 8. November 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2012 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für ihre Kinder M, geb. März 2000, und N, geb. am 16. Januar 2002, ab Dezember 2011 mit Bescheid vom 8. November 2011. Bis zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bezog die Klägerin laufend Kindergeld.

Die Klägerin besitzt die deutsche sowie die französische Staatsbürgerschaft. Sie ist verheiratet. Ihr Ehemann besitzt die tunesische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin und ihr Ehemann sind die leiblichen Eltern der Kinder M, N und Ma, geb. November 2009, und haben ihren Wohnsitz im Inland. M und N besitzen von Geburt an die deutsche, die französische und die tunesische Staatsbürgerschaft.

Seit Mai 2000 bewohnt die Klägerin mit ihrer Familie eine angemietete Wohnung in … (Inland), die lt. Mietvertrag eine Grundfläche von 66,5 qm hat und nach dem Grundriss aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer, einem Kinderzimmer sowie einer Küche mit Essgelegenheit und einem Bad/WC besteht. Das Kinderzimmer (ca. 12 qm) stand allein M und N zur Verfügung. Dort stehen ihre Betten. Dort befinden sich ihre Einrichtungsgegenstände, ihre Kleidung sowie ihre Sport- und Spielsachen.

M und N hatten bis zu ihrer Einschulung (M im September 2006 bzw. N im September 2008) ihren alleinigen Wohnsitz bei ihren Eltern im Inland. Seither besuchten M und N die Schule in …. in Tunesien. Sie wohnten dort bei der mit ihren Eltern befreundeten Familie (J). Die Wohnung der Familie J ist ca. 70 qm groß. M und N teilten sich zwei Kinderzimmer mit den Kindern der Familie J. X., der Heimatort des Kindsvaters, ist ca. 25 km von …. entfernt. Hier leben die Großeltern der Kinder väterlicherseits. Die persönlichen Beziehungen der Kinder am Ausbildungsort ergeben sich aus dem Zusammenleben mit der befreundeten Familie J, den Schulkameraden, den Nachbarskindern und den Großeltern väterlicherseits. Außerdem besuchten die Klägerin für einen Zeitraum von insgesamt drei bis vier Monaten im Kalenderjahr und ihr Ehemann zweimal zwischen zwei und drei Wochen im Kalenderjahr ihre Kinder immer wieder in Tunesien, um sich um die Erziehung und die Schulbildung von M und N zu kümmern.

M und N verbrachten seit ihrer Einschulung in Tunesien regelmäßig ihre gesamten Schulferien in … (Inland). Während ihrer Inlandsaufenthalte nutzten sie ihr für sie reserviertes Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung, aber auch das Wohnzimmer mit einer Spielecke sowie die ganze restliche Wohnung.  Das jüngste Kind der Klägerin schlief auch während der Abwesenheit seiner Geschwister im Schlafzimmer der Eltern und hielt sich im Wohnzimmer zum Spielen auf. Die Kinder M und N unterhielten während ihrer Schulferien intensive Beziehungen zu ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Onkel mütterlicherseits. M und N feierten mit ihren Eltern immer Weihnachten und Silvester, teilweise auch Ostern. Zudem besuchte M während seiner Sommerferien im Juni/Juli 2007 bzw. M und N während ihrer Sommerferien im Juli 2009 die Grundschule in …(Inland). Daneben nahmen M und N in all den Jahren aktiv an verschiedenen Angeboten und Aktivitäten in … (Inland) teil, wie z.B. wiederholte Teilnahme an der alle zwei Jahre stattfindenden Spielstadt ……. oder an Veranstaltungen im Kinderhaus …. des Kreisjugendrings …-Stadt mit einem vielfältigen Angebot an Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit anderen Kindern. Ferner besuchten die Kinder …. Veranstaltungen, den Zirkus, Zoo, Museen, Kino, Schwimmbäder, Straßenfeste, kulturelle Veranstaltungen, Freizeitparks, das Freilichtmuseen … sowie die Schlösser ….. Sie nahmen an Picknicks in den … Parks teil, gingen wandern, betrieben sportliche Aktivitäten wie Fahrradfahren, Joggen, Fußballspielen, verabredeten sich mit Freunden oder Nachbarskindern zum Spielen, z.B. im Park vor dem Haus, in dem sich die elterliche Wohnung befindet.

Am 3. November 2010 unterrichtete die Klägerin die damals noch zuständige Familienkasse … davon, dass M und N voraussichtlich noch bis zum Ende des Schuljahres 2010/2011 in Tunesien blieben.

Am 25. November 2010 teilte die Familienkasse … der Klägerin mit, dass für M und N das Kindergeld weiterbezahlt werde und dass die Flugtickets aufbewahrt werden sollten, da die Aufenthalte der Kinder im Inland weiterhin jährlich geprüft würden.

Am 5. August 2011 forderte die Familienkasse …. bei der Klägerin Nachweise über das Ende der Schulausbildung der Kinder in …. und über deren Rückkehr aus Tunesien an. Die Klägerin legte Nachweise über die Inlandsaufenthalte von M und N für den Zeitraum 18. September 2010 bis zum 4. Juli 2011 (Einreise nach Deutschland) vor, und wies darauf hin, dass aufgrund der politischen Verhältnisse in Tunesien Anfang 2011 häufig Unterricht ausgefallen sei, so dass der Lehrstoff nicht komplett habe durchgenommen werden können. Um den Kindern die Nachholmöglichkeit zu gewähren, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen, hätten sie -die Klägerin und ihr Ehemann- entschieden, die Kinder in derselben Schule zu lassen.

Daraufhin hob die Familienkasse …. mit Bescheid vom 8. November 2011 die Kindergeldfestsetzung für die Kinder M und N ab Dezember 2011 auf und begründete dies damit, dass die Kinder weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung finde, hätten, vgl. § 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Denn M und N befänden sich seit 2006 bzw. 2008 in Tunesien und hätten dort ihren Wohnsitz.

Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein, den die Familienkasse …. mit Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2012 als unbegründet  zurückwies. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei § 70 Abs. 3 EStG, der keinen Ermessensspielraum einräume. M und N hätten ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands, der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums. Sie lebten mittlerweile seit Jahren bei Bekannten ihrer Eltern in Tunesien im Herkunftsland ihres Vaters und besuchten dort die Schule, M seit 2006 und N seit 2008. Die Kinder hätten dort ihren Lebensmittelpunkt und ihren Wohnsitz. Der Umstand, dass die Kinder ihre Schulferien in Deutschland verbrächten, könne nicht zur Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes führen. Bei einem minderjährigen Kind mit ausländischer Staatsangehörigkeit, das im Heimatland der Eltern untergebracht sei und dort die Schule besuche, habe der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung einen fortbestehenden inländischen Wohnsitz verneint, wenn sich das Kind während der Schulferien bei den Eltern aufhielte. Werde ein solches Kind für mehrere Jahre im Heimatland der Eltern untergebracht, sei ein derartiger Auslandsaufenthalt nicht in erster Linie durch den von den Eltern betonten Zweck der Schulausbildung bestimmt. Nach der Lebenserfahrung diene ein solcher Aufenthalt vor allem auch dem Zweck, die Heimat der Familie genauer kennen zu lernen und sich längerfristig in die dortigen Lebensverhältnisse einzuleben. Die Bindungen in sprachlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht an den heimatlichen Kulturkreis würden hergestellt oder wiederhergestellt und gefestigt. Das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen führten regelmäßig zu einer Verwurzelung im Ausland (Heimatland), verbunden mit einer entsprechenden Einschränkung der bisherigen familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kind. Diese Umstände schlössen es dann regelmäßig aus, weiterhin von einem Innehaben einer Wohnung bei den Eltern im Inland unter Umständen auszugehen, die darauf hinwiesen, dass die Wohnung beibehalten und als solche genutzt werden solle und werde. In einem solchen Fall stehe die Wohnung dem Kind nicht jederzeit als Bleibe zur Verfügung, sondern nur in der Ferienzeit. Wegen der besonderen Beziehungen zum Herkunftsland seien diese Fälle auch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen ein Kind einen Ausbildungsabschnitt nicht im Heimatland, sondern in einem anderen Staat absolviere (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279).

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Familienkasse … ohne vorherige Anhörung mit Bescheid vom 8. November 2011 die Kindergeldfestsetzung aufgehoben habe. Es sei kein Grund erkennbar dargelegt worden, inwieweit sich der Sachverhalt gegenüber den vorausgegangenen Monaten bzw. Jahren geändert habe.

Ebenso werde die Rechtsprechung des BFH unzutreffend angewendet. Im Urteil vom 28. April 2010 (III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013) habe der BFH ausgeführt, dass die Grundsätze, nach denen sich bestimme, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung -AO-) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland habe, durch langjährige Rechtsprechung geklärt seien. Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begäben, behielten ihren Wohnsitz in der inländischen elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn sie diese in ausbildungsfreien Zeiten nutzten. Dabei komme der Dauer der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu. Eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern genüge jedenfalls, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten, sie sei dafür aber nicht stets erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Nach diesen Grundsätzen sei primär maßgeblich, ob Kinder, die im Ausland ausgebildet würden, die inländische Wohnung während der ausbildungsfreien Zeiten nutzten. Ihre Kinder hätten sich seit ihrer Einschulung nachweislich durch die Vorlage der Flugtickets bzw. Einträge in den Reisepässen jeweils vom Beginn der Schulferien bis zu deren Ende in der elterlichen Wohnung im Inland aufgehalten, d.h. die Aufenthaltsdauer der Kinder habe sich abhängig von den Schwankungen in der Feriendauer in den Schuljahren 2006 bis 2011 im Durchschnitt auf jeweils ca. 18 Wochen pro Jahr, also deutlich mehr als vier Monate, belaufen. Die Kinder M und N seien hier von ihr und ihrem Ehemann erzogen, betreut und versorgt worden. Die Richtigkeit ihrer Angaben und Nachweise seien von der Familienkasse …..  nicht bezweifelt worden. Bei der Angabe eines Zeitraums für die Aufenthaltsdauer bei den Eltern nehme der BFH (in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013) ausdrücklich auf das Urteil des VI. Senats des BFH (in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294), nicht aber auf das Urteil des BFH (in BFH/NV 2001, 684) Bezug. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Rechtsprechung des BFH keine starren Voraussetzungen für die Annahme der Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes bei den Eltern aufstelle, sondern die Beurteilung von der Würdigung der Umstände im Einzelfall abhängig mache.

Die Einbeziehung der Umstände -Herkunft der Eltern, Sprachkenntnisse oder die Festigung natürlicher Bindungen an den heimatlichen Kulturkreis- in die Würdigung der Gesamtumständen sei im Hinblick auf das Differenzierungsgebot des Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) rechtlich bedenklich. Bezüglich dieser Umstände sei jedoch festzustellen, dass diesen insoweit eine Bedeutung zukommen könne, als sich daraus ergebe, inwieweit die Eltern die Berechtigung und Verpflichtung zur Erziehung ihrer Kinder noch in entscheidender Weise wahrnähmen. Der Aufenthalt minderjähriger, erziehungsbedürftiger Kinder in der Wohnung der Eltern sei ein Indiz für das Weiterbestehen einer familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft.

Unter dem Gesichtspunkt der Förderung von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) dürfe eine staatliche Leistung der Familienförderung nur dann versagt werden, wenn eine solche familiäre Lebensgemeinschaft nicht oder nicht mehr bestehe. Nichts anderes könne es bedeuten, wenn der BFH (in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013) betone, dass eine Aufenthaltsdauer von fünf Monaten jedenfalls genüge, aber nicht stets erforderlich sei. Sie und ihr Ehemann legten im Hinblick auf ihre eigene sozio-kulturelle Prägung Wert auf eine mehrsprachige und bikulturelle Erziehung ihrer Kinder. Ihr Ehemann sei Moslem, sie Christin. Sie und ihre Mutter sprächen deutsch und französisch fließend und besäßen die doppelte Staatsbürgerschaft. Ihre Kinder fühlten sich aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit sowohl in Europa als auch in Nordafrika zuhause. In Tunesien würde in der Schule französisch gelehrt und gesprochen. Ihre Kinder M und N beherrschten arabisch. Während ihrer Inlandsaufenthalte pflegten sie die deutsche Sprache, in der sie auch schreiben könnten. Hierin würden sie von ihr -der Klägerin- unterwiesen, da der freiwillige Schulbesuch im Inland für mehrere Wochen mittlerweile für die Schulen aus Haftungsgründen problematisch sei. In Tunesien würden die Kinder während der ersten sechs Schuljahre in der Volkschule zusammen unterrichtet. M besuche seit dem Schuljahr 2012/2013 das Gymnasium, N besuche noch die Volkschule. Das Abitur werde in Tunesien nach 13 Schuljahren abgelegt. Ob ihre Kinder ihre gesamte Schullaufbahn bis zum Abitur in Tunesien absolvierten, stünde nicht fest. Dies hänge von der aktuellen persönlichen Situation und der politischen Entwicklung in Tunesien ab.

§ 70 Abs. 3 EStG sei eine Ermessensvorschrift, auch wenn der 12. Senat des Finanzgerichts München in seinem Urteil vom 25. September 2012 (12 K 466/10, EFG 2013, 60) entschieden habe, dass das Wort „kann“ als „muss“ auszulegen sei, da eine als rechtswidrig erkannte Kindergeldfestsetzung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden müsse. Bei vergleichbaren Vorschriften des öffentlichen Rechts über die Rücknahme oder Änderung von begünstigten behördlichen Entscheidungen werde von der Rechtssprechung einhellig das Wort „kann“ nach dem gängigen Sprachgebrauch des Gesetzgebers so verstanden, dass es der Behörde ein Ermessen einräume. Dies gelte insbesondere auch für Vorschriften, die sich auf Geldleistungen des Staates an den Bürger bezögen (vgl. die Rechtsprechung zu § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, Art. 48 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie zu den §§ 44 ff. des Sozialgesetzbuches X). Warum dies im Kindergeldrecht anders sein solle, nur weil dieses wegen der Wechselwirkung mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag formal dem EStG und nicht mehr dem Sozialrecht zugeordnet sei, sei nicht begründbar.

Aufgrund des Beschlusses des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit (Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 14 ff., Nr. 1 der Anlage 2) ist seit 1. Mai 2013 die Familienkasse (die Beklagte) für den Streitfall zuständig.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 8. November 2011 sowie die Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2012 aufzuheben,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

M besuche seit 2006 und N seit 2008 die Schule in Tunesien. Es werde auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Grundsätze der BFH-Entscheidung (in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279) heranzuziehen seien. Die Kinder seien mit sechs Jahren im Herkunftsland des Kindsvaters eingeschult worden und wohnten dort bei Bekannten. Der BFH habe hierzu ausgeführt, dass Kinder in diesem Fall grundsätzlich ihren Wohnsitz im Inland verlören. Die von der Gegenseite als einschlägig erachtete Rechtsprechung des BFH betreffe hingegen im Ausland studierende Kinder. Diese Grundsätze könnten im Streitfall daher nicht zum Tragen kommen. Besuchsweise Aufenthalte von Kindern in der elterlichen Wohnung führten auch dann nicht zur Beibehaltung des Wohnsitzes, wenn die Rückkehr der Kinder nach Deutschland nach Erreichen des Schulabschlusses beabsichtigt sei. Hierbei sei keine starre Grenze definiert worden. Vielmehr sei grundsätzlich festgestellt worden, dass die Aufenthalte der Kinder während der Schulferien nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkämen und deshalb kein zwischenzeitliches Wohnen in der elterlichen Wohnung bedeuteten. Die Entscheidung des BFH (in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279) sei im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht und finde damit über den Einzelfall hinaus allgemeine Anwendung. Verfassungsrechtliche Verstöße seien nicht erkennbar

Auf den nach der Aufklärungsanordnung vom 28. Januar 2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz der Klägerin samt beigefügten Unterlagen hat die Familienkasse …. erwidert, wenn sich ein Kind eines ausländischen oder deutschen Staatsangehörigen in sein Heimatland begebe und sich dort nicht länger aufhalte, als z.B. im Allgemeinen die Schulferien dauerten, gebe es damit in der Regel seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf. Die Rückkehr eines Kindes in sein Heimatland zur Ausbildung sei ihrer Natur nach auf unbestimmte Zeit angelegt. Diesbezüglich werde auf die Urteile des BFH (in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294) hingewiesen. Die Inlandsaufenthalte der Kinder in den Ferien reichten nicht für die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes aus.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchs-entscheidung vom 2. Februar 2012, die Kindergeldakte samt Flugtickets und Kopien über Einreise- und Ausreisestempeln in den Pässen der Kinder (vgl. Bl. 16 bis 17, Bl. 22 bis 26, Bl. 30 bis 36, Bl. 47 bis 51, Bl. 59 bis 67 der Kindergeldakte), die im vorliegenden Verfahren eingereichten Schriftsätze samt Anlagen, insbesondere den Mietvertrag vom 29. Mai 2000 (vgl. Bl 72 ff der Klageakte) sowie die Tabellen zu den Aufenthalten der Kinder im Inland während der gesamten Schulferien und außerhalb der Schulferien (vgl. Bl. 35 und Bl. 76 der Klageakte) sowie die beigefügten Flugtickets und Kopien über Einreise- und Ausreisestempeln in den Pässen der Kinder (Bl. 77 bis 107 der Klageakte), die Schulbescheinigungen der Grundschule in … vom 30. Juli 2007 und 28. Juli 2009 (vgl. Bl. 119, 120 der Klageakte), die zahlreichen Fotos zur Dokumentation der Inlandsaufenthalte der Kinder, die Bescheinigungen der Spielstadt Mini-… vom 17. August 2012 (vgl. Bl. 118 der Klageakte), sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. März 2014 Bezug genommen.

Gründe

II. 1. Der während des Klageverfahrens durch den Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 18. April 2013 Nr. 21/2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes (Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) eingetretene Zuständigkeitswechsel führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, oder BFH-Beschluss vom 3. März 2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105, unter II.A.).

2. Die zulässige Klage ist begründet.

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Kinder M und N ab dem Zeitpunkt ihrer Einschulung bis zum Ende des Streitzeitraums (Februar 2012) sowohl im Inland als auch in Tunesien einen Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse hatten.

2.1. Wer über einen Wohnsitz im Inland verfügt, hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S. des § 63 EStG. Die Klägerin verfügt über einen Wohnsitz im Inland.

2.2. Die Kinder M und N haben neben ihrem seit der Einschulung neu begründeten Wohnsitz in …. (Tunesien) ihren bisherigen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung im Inland beibehalten.

a) Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden indes Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Tunesien zählt jedenfalls nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).

aa) Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften nicht maßgeblich (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2).

Die Begründung eines Wohnsitzes erfolgt durch tatsächliches Handeln, der bloße Wille des Steuerpflichtigen ist dagegen nicht entscheidend. Von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse, d.h. der objektive Zustand. Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), genügt deshalb für den Bereich des Steuerrechts ein natürlicher Wille, den auch ein Geschäftsunfähiger haben kann; auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteile vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, und vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

Der Wohnsitzbegriff i. S. von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reichen nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen. Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung.

Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten oder benutzt wird, schließt nicht aus, dass die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird. Periodische Auslandsaufenthalte stellen das Innehaben eines Wohnsitzes auch dann nicht in Frage, wenn sie sich über einen Zeitraum von etlichen Jahren erstrecken.

Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. BFH in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, m.w.N., und in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, und BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917).

bb) Ob an einem bestimmten Ort ein Wohnsitz besteht oder nicht, ist für jede Person -insbesondere auch im Verhältnis zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern- gesondert zu prüfen. Deshalb ist auch die Frage, ob ein Kind einen Wohnsitz begründet -oder beibehalten- hat, ausschließlich nach den tatsächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Auch ein Kind begründet deshalb erst dann einen Wohnsitz, wenn es eine Wohnung unter Umständen innehat, die auf das Beibehalten und Benutzen schließen lassen (vgl. BFH in BFH/NV 2011, 1351, m.w.N.).

Zwar teilen minderjährige Kinder grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über ihre Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit zugleich die elterliche Wohnung i.S. des § 8 AO innehaben (vgl. BFH in BFH/NV 2011, 1351, BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2001 VI B 123/00, juris). Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall, sondern hängt maßgeblich von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH teilen minderjährige Kinder aber nicht ausnahmslos alle Wohnsitze ihrer Eltern. Minderjährige Kinder können beispielsweise bei einem längerfristigen Schulbesuch im Ausland abweichend von den Eltern ihren inländischen Wohnsitz aufgeben und einen eigenständigen Wohnsitz im Ausland begründen, wobei es für die Entscheidung, ob das Kind den inländischen Wohnsitz beibehalten hat, aber auch darauf ankommt, wie oft und wie lange sich das Kind zwischenzeitlich im Inland aufgehalten hat (vgl. BFH-Beschluss vom 27. August 2010 III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272, m.w.N.).

cc) Die Rechtsgrundsätze, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zweck des Schulbesuchs oder des Studiums längerfristig im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz beibehält, hat der BFH bereits mehrfach dargelegt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; BFH-Beschlüsse vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907, vom 29. Dezember 2010 III B 90/09, BFH/NV 2011, 626, vom 26. März 2012 III B 218/11, BFH/NV 2012, 1093, in BFH/NV 2012, 375, oder vom 11. Dezember 2012 III B 108/12, BFH/NV 2013, 538, jeweils m.w.N.).

Die Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, hängt indes nach der Rechtsprechung des BFH nicht allein von der Dauer des Auslandsaufenthalts, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab. Für die Dauer des Auslandsaufenthalts lässt sich daher keine allgemeingültige maximale zeitliche Grenze festlegen. So sind neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung insbesondere auch das Alter des Kindes, die Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, der Zweck des Auslandsaufenthalts, die Häufigkeit und Dauer der Aufenthalte bei den Eltern sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits ausschlaggebend (vgl. BFH in BFH/NV 2012, 917, BFH-Beschluss vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375, und vom 17. Dezember 2010 III B 141/10, BFH/NV 2011, 576, jeweils zum Schulbesuch im Ausland).

Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Allein die mit einer Unterbringung in einer studentischen Wohngemeinschaft verbundene räumliche Trennung von den Eltern bedingt keine Auflösung der familiären Bindungen und bringt keine Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse an den Ort des Studiums mit sich. Am Studienort oder in der Nähe des Studienortes in einem möblierten Zimmer oder Studentenheim wohnende Studenten behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern, soweit durch die auswärtige Unterbringung ihre Bindung zum Elternhaus bestehen bleibt. Dabei sind von der Rechtsprechung Zeiträume von drei bis fünf Jahren als unbedenklich angesehen worden.

Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Zum einen müssen die objektiven Wohnverhältnisse so geartet sein, dass sie die Möglichkeit eines längeren Wohnens des Kindes in der Wohnung der Eltern bieten. Zum anderen darf die Anwesenheit des Kindes in der elterlichen Wohnung nicht nur Besuchscharakter haben, wie das bei Aufenthalten von jeweils zwei bis drei Wochen pro Jahr der Fall ist.

Begibt sich ein Kind zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland, behält es seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland nur bei, wenn es diese Wohnung zum zwischenzeitlichen Wohnen in ausbildungsfreien Zeiten nutzt. Dabei kommt der Dauer der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu. Eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern genügt jedenfalls, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten, sie ist aber nicht stets erforderlich.

Dient ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer bestimmten Maßnahme (wie z.B. der Schul- oder Berufsausbildung), ist er deshalb von vornherein zeitlich beschränkt, und hat der Betroffene die Absicht, nach dem Abschluss der Maßnahme wieder an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren, reicht dies allein jedoch nicht dafür aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Ort des Auslandsaufenthalts) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (vgl. BFH in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, und in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, jeweils m.w.N.).

Kinder, die sich lediglich zum Zwecke einer zeitlich begrenzten Schul- oder Berufsausbildung im Ausland aufhalten, behalten zwar in der Regel ihren Wohnsitz im Inland bei. Allerdings kann eine Unterbringung eines Kindes bei den Großeltern oder anderen Verwandten während der Dauer des Schulbesuchs in Verbindung mit nur kurzzeitigen Ferienaufenthalten bei den Eltern in Deutschland darauf hindeuten, dass das Kind während dieses Zeitraums nicht über einen Inlandswohnsitz verfügt hat. Bei minderjährigen Kindern ausländischer Herkunft, die dauerhaft bei Verwandten im Ausland zum Zwecke eines Schulbesuchs untergebracht sind, kann die Aufgabe des Inlandwohnsitzes nicht vermutet werden (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Dezember 2010 III B 90/09, BFH/NV 2011, 626).

dd) Die Frage, ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz im Inland hat, es dort einen weiteren Wohnsitz hat oder seine Aufenthalte lediglich Besuchscharakter haben, hat das Finanzgericht unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 2007, 1907, und in BFH/NV 2013, 538).

b) Bei Anwendung der Rechtsprechung des BFH steht zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls fest, dass M und N seit ihrer Einschulung ihren Wohnsitz bei ihren Eltern im Inland jedenfalls bis zum Ende des Streitzeitraums im Februar 2012 beibehalten haben und daneben einen weiteren Wohnsitz in Tunesien begründet haben. Die Kinder verfügten über zwei Wohnsitze, da nach den äußeren Umständen ihr Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich den zwei Wohnungen in Tunesien und im Inland zuzuordnen war und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet wurden.

Denn die räumliche Trennung während des Schulbesuchs der Kinder im Ausland bedingt für sich allein noch keine Auflösung der familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft im Inland (vgl. BFH in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279). Zwar haben die Kinder M und N seit ihrer Einschulung einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO in … (Tunesien) begründet. Sie gingen dort bis zum Ende des Streitzeitraums schon jahrelang zur Schule, M seit über fünf Jahren, N seit  über drei Jahren. Sie hielten sich in … (Tunesien) zwischen sieben und acht Monaten im Kalenderjahr auf, teilten sich in dieser Zeit  in der ca. 70 qm großen Wohnung der Familie J zwei Kinderzimmer mit deren Kindern, verbrachten mit der Gastfamilie J und teilweise mit der Klägerin ihren Alltag in Tunesien. Daneben hatten M und N Kontakt zu den Verwandten ihres Vaters, aber auch zu Schulfreunden und Nachbarskindern.

Aber auch wenn die Kinder wegen der langjährigen periodischen Auslandsaufenthalte zum Zwecke des Schulbesuchs jedenfalls einen (weiteren) Wohnsitz in Tunesien begründeten, steht der Beibehaltung und damit dem Innehaben des Wohnsitzes der Kinder im Inland der lange Aufenthalt der Kinder in Tunesien seit September 2006 bzw. September 2008 bis zum Ende des Streitzeitraums im Februar 2012 nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des BFH hängt die Beibehaltung des Wohnsitzes der Kinder M und N im Inland nicht allein von der Dauer ihres Auslandsaufenthalts oder von deren Aufenthalten während der Schulferien im Inland ab (vgl. BFH in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, in BFH/NV 2011, 576, in BFH/NV 2012, 375, und in BFH/NV 2012, 917). Vielmehr sind eine Vielzahl weiterer maßgeblicher Faktoren zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2012, 1093, in BFH/NV 2012, 375, und in  BFH/NV 2007, 1907). Damit lässt sich hinsichtlich der Dauer des Auslandsaufenthalts keine allgemeingültige maximale zeitliche Grenze festlegen (vgl. BFH in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, und in BFH/NV 2012, 375, m.w.N.).

Im Streitfall deuten die seit der Einschulung nachhaltigen und langen Inlandsaufenthalte der Kinder M und N von vier bis nahezu fünf Monaten im Jahr, die über die Ferienzeit regelmäßig noch hinausgingen, auf die Beibehaltung der Bindung der Kinder an ihr Elternhaus hin. M und N haben seit ihrer Einschulung bis zum Ende des Streitzeitraums nicht nur ihre gesamten Ferien -was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist und unter Einbeziehung der nachgewiesenen Dauer der Schulferien ab dem Schuljahr 2010/2011 im Hinblick auf die Schulferien seit der Einschulung der Kinder auch durchaus glaubwürdig ist, sondern auch zusätzliche Tage während der regulären Schulzeit mit Unterrichtsbefreiung im Inland bei ihren Eltern verbracht (vgl. Bl 76 der Klageakte).

Die Inlandsaufenthalte stellten sich seit der Einschulung im Einzelnen nachweislich -wie folgt- dar:

        

Einreise

Ausreise

Tage   

Wochen

Monate

Kind   

Kind

        

06.12.06

        

13.01.07

38    

5,43   

        

        

M       

       

        

12.06.07

        

15.09.07

95    

13,57 

        

        

M       

Schuljahr 2006/2007

        

"       

133     

19,00 

4,37   

M       

        

08.12.07

        

29.12.07

21    

3,00   

        

        

M       

        

01.03.08

        

05.04.08

35    

5,00   

        

        

M       

        

14.07.08

        

22.09.08

70    

10,00 

        

        

M       

Schuljahr 2007/2008

        

"       

126     

18,00 

4,37   

M       

        

13.12.08

        

10.01.09

28    

4,00   

        

        

M       

N       

        

07.03.09

        

04.04.09

28    

4,00   

        

        

M       

N       

        

04.07.09

        

20.09.09

78    

11,14 

        

        

M       

N       

Schuljahr 2008/2009

        

        

13,4   

19,14 

4,40   

M       

N       

        

12.12.09

        

09.01.10

28    

4,00   

        

        

M       

N       

        

06.03.10

        

03.04.10

28    

4,00   

        

        

M       

N       

        

07.07.10

        

18.09.10

73    

10,43 

        

        

M       

N       

Schuljahr 2009/2010

        

                   129     

18,43 

4,24  

M       

N       

        

20.12.10

        

08.01.11

19    

2,71   

        

        

M       

N       

        

 21.03.11

        

08.04.11

18    

2,57   

        

        

M       

N       

        

 04.07.11

        

17.09.11

75    

10,71 

        

        

M       

N       

Schuljahr 2010/2011

        

        

112   

  16,00

   3,68

M       

N       

        

17.12.11

        

06.01.12

21    

3,00   

        

        

M       

N             

        

12.03.12

        

07.04.12

27    

3,86   

        

        

M       

N       

        

08.07.12

        

11.09.12

66    

9,43   

        

        

M       

N       

Schuljahr 2011/2012                    

        

        

114   

  16,29

   3,74

M       

N       

        

15.12.11

        

07.01.13

24    

3,43   

        

        

M       

N       

        

16.03.13

        

06.04.13

22    

3,14   

        

        

M       

N       

        

        

        

        

        

        

        

        

        

Schuljahr 2012/2013                    

        

        

        

        

        

        

Zur Errechnung der Monate wurden die Tage durch 30,43688 geteilt.

Die Ferienzeiten in Tunesien ab dem Schuljahr 2010/2011 bis zum Ende des Streitzeitraums beruhen auf den detaillierten und von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Klägerin, die das Gericht ebenfalls unter Bezugnahme auf die nachgewiesenen Inlandsaufenthalte und unter http://www.tunesientourist.com/forum/viewtopic.php?f=3&t=334 oder http://forum.tunesien.org/ubbthreads.php?ubb=showflat&Number=336284 für zutreffend erachtet.

        

Ferienbeginn

Ferienende

Einreise ins Inland

Ausreise

Schulbefreiung

Schuljahr 2010/2011

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

Winterferien

19.12.2010

02.01.2011

20.12.2010

08.01.2011

6 Schultage

Frühlingsferien

20.03.2011

03.04.2011

21.03.2011

08.04.2011

5 Schultage

Sommerferien

01.07.2011

14.09.2011

04.07.2011

17.09.2011

3 Schultage

        

        

        

        

        

        

Schuljahr 2011/2012

        

        

        

        

        

Winterferien

18.12.2011

01.01.2012

17.12.2011

06.01.2012

  6 Schultage

Frühlingsferien

18.03.2012

01.04.2012

12.03.2012

07.04.2012

12 Schultage

Neben den langen Inlandsaufenthalten der Kinder von über vier Monaten pro Jahr kommt hinzu, dass diese Aufenthalte für die Kinder nicht nur Besuchscharakter hatten. Denn sie kamen einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleich und bedeuteten zwischenzeitliches Wohnen in der Dreizimmerwohnung ihrer Eltern in … (Inland). Die objektiven Wohnverhältnisse waren so geartet, dass M und N ein längeres Wohnen in der seit 29. Mai 2000 von den Eltern gemieteten Wohnung möglich war. Die Dreizimmerwohnung der Eltern in … (Inland) mit ca. 66,5 qm ist ausreichend groß, um das bis zu ihrer Einschulung schon von M und N genutzte Kinderzimmer für diese ständig freizuhalten. In diesem Zimmer befinden sich nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin die Betten der Kinder, ihre Einrichtungsgegenstände, ihre Kleidung und ihr Spielzeug. Dafür, dass der kleine Bruder der Kinder noch bei seinen Eltern im Schlafzimmer geschlafen hat und nur im Wohnzimmer gespielt hat, spricht schon dessen Alter. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung schlafen Kleinkinder häufig im Schlafzimmer der Eltern und befinden sich zur besseren Beaufsichtigung beim Spielen etc.  untertags in den Räumen, in denen sich die Eltern aufhalten. Hinzu kommt, dass die vier bis nahezu fünf Monaten andauernden Inlandsaufenthalte unter Berücksichtigung des Alters der Kinder M und N (im Februar 2012: 11 und 10 Jahre) dafür sprechen, dass ein intensives Zusammenleben zwischen den Kindern mit ihren Eltern sowie ihren deutschen Verwandten, der Großmutter und ihrem Onkel mütterlicherseits stattgefunden hat. Zudem haben M und N von der elterlichen Wohnung aus ihr Leben wie andere Kinder verbracht. So waren M und N -während seiner Sommerferien 2007 dem M und während ihrer Sommerferien 2009 M und N- noch der Besuch der Grundschule in …(Inland) erlaubt, die sie zusammen mit ihren Kindergartenfreunden ausweislich der Schulbescheinigungen der Grundschule in … (Inland) vom 30. Juli 2007 und vom 28. Juli 2009 besuchten. Sie haben aber auch mit ihren (Kindergarten- und Schul-) Freunden und Nachbarskindern gespielt und intensiv alle Möglichkeiten in sprachlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht in …. (Inland) und Umgebung genutzt, wie die vorgelegten Fotos oder die Bestätigung über ihre Teilnahme an der Spielstadt Mini-…. 2012 belegen.

Seit der Einschulung der Kinder in Tunesien hat sich die familiäre Bindung von M und N zu ihrem Elternhaus all die Jahre hindurch trotz der räumlichen Trennung während der restlichen Zeit des Jahres, ihrer auswärtigen Unterbringung wegen des Schulbesuchs in Tunesien und ihres Alters von nur sechs Jahren bei der Einschulung wegen der langen Aufenthalte und des zwischenzeitlichen Wohnens im Inland nicht gelockert oder aufgelöst. Hinzu kommt, dass die Kinder im Unterschied zu den Streitfällen des BFH (in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887, und in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279) von ihren Eltern nicht bei den Großeltern, sondern bei einer Gastfamilie in Tunesien untergebracht worden sind. Damit war es der Klägerin und ihrem Ehemann weiterhin möglich, sowohl die Erziehung als auch die Art und Weise der Betreuung ihrer Kinder durch Vorgaben an die Gastfamilie maßgeblich selbst zu bestimmen. Der Auslandsaufenthalt der Kinder diente deshalb von Anfang an dem Zweck, einen Ausbildungsabschnitt in Tunesien abzuleisten, und war daher von vornherein zeitlich beschränkt.

Die Herkunft der Eltern mit unterschiedlichen Staatsbürgerschaften, die gemeinsame Vorstellung der Eltern und deren Verwirklichung, beide Kinder im Hinblick auf beide Herkunftsländer der Eltern, Deutschland und Tunesien, zu erziehen und auszurichten sowie die Mehrsprachigkeit der Kinder, insbesondere auch deren gute Deutschkenntnisse, sind weitere Umstände, die für zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse der Kinder und damit für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes der Kinder im Inland sprechen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 der Finanzgerichts-ordnung (FGO) i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

(1) Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzfinanzamt). Bei mehrfachem Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält; bei mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten oder in Lebenspartnerschaft lebenden Steuerpflichtigen, der von seinem Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt lebt, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich die Familie vorwiegend aufhält. Für die nach § 1 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und nach § 1 Abs. 2 des Vermögensteuergesetzes unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich die zahlende öffentliche Kasse befindet; das Gleiche gilt in den Fällen des § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes bei Personen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes erfüllen, und in den Fällen des § 1a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes.

(2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht vor, so ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich das Vermögen des Steuerpflichtigen und, wenn dies für mehrere Finanzämter zutrifft, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil des Vermögens befindet. Hat der Steuerpflichtige kein Vermögen im Geltungsbereich des Gesetzes, so ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Tätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes vorwiegend ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist. Hat ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes aufgegeben und erzielt er im Jahr des Wegzugs keine Einkünfte im Sinne des § 49 des Einkommensteuergesetzes, ist das Finanzamt örtlich zuständig, das nach den Verhältnissen vor dem Wegzug zuletzt örtlich zuständig war.

(3) Gehören zum Bereich der Wohnsitzgemeinde mehrere Finanzämter und übt ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder freiberuflicher Tätigkeit diese Tätigkeit innerhalb der Wohnsitzgemeinde, aber im Bezirk eines anderen Finanzamts als dem des Wohnsitzfinanzamts aus, so ist abweichend von Absatz 1 jenes Finanzamt zuständig, wenn es nach § 18 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 für eine gesonderte Feststellung dieser Einkünfte zuständig wäre. Einkünfte aus Gewinnanteilen sind bei Anwendung des Satzes 1 nur dann zu berücksichtigen, wenn sie die einzigen Einkünfte des Steuerpflichtigen im Sinne des Satzes 1 sind.

(4) Steuerpflichtige, die zusammen zu veranlagen sind oder zusammen veranlagt werden können, sind bei Anwendung des Absatzes 3 so zu behandeln, als seien ihre Einkünfte von einem Steuerpflichtigen bezogen worden.

(5) Durch Rechtsverordnung der Landesregierung kann bestimmt werden, dass als Wohnsitzgemeinde im Sinne des Absatzes 3 ein Gebiet gilt, das mehrere Gemeinden umfasst, soweit dies mit Rücksicht auf die Wirtschafts- oder Verkehrsverhältnisse, den Aufbau der Verwaltungsbehörden oder andere örtliche Bedürfnisse zweckmäßig erscheint. Die Landesregierung kann die Ermächtigung auf die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde übertragen.

(6) Das Bundesministerium der Finanzen kann zur Sicherstellung der Besteuerung von Personen, die nach § 1 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes beschränkt steuerpflichtig sind und Einkünfte im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 7 und 10 des Einkommensteuergesetzes beziehen, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates einer Finanzbehörde die örtliche Zuständigkeit für den Geltungsbereich des Gesetzes übertragen. Satz 1 gilt auch in den Fällen, in denen ein Antrag nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes gestellt wird.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat vier Kinder. Die Ehe zur Kindesmutter wurde am 5. Mai 1999 geschieden. Das jüngste Kind M (geb. April 1995) ging zunächst noch in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) in den Kindergarten, zog dann aber Anfang 1999 zu der Mutter nach X (Afrika). Die Mutter hatte sich dorthin bereits 1998 begeben, um sich beruflich neu zu orientieren. Die weiteren drei Kinder blieben im Haushalt des Klägers. In X besuchte M deutschsprachige Schulen, zunächst die Grundschule, dann eine weiterführende Schule. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) zahlte für M seit Geburt Kindergeld an den Kläger. Im November 2005 reichte der Kläger eine Haushaltsbescheinigung ein, in welcher der Name der M von der zuständigen Behörde durchgestrichen war. Nach weiteren Ermittlungen hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für M mit Bescheid vom 23. Mai 2006 ab August 1999 auf und forderte das überzahlte Kindergeld in Höhe von 14.318,55 € vom Kläger zurück. Der Einspruch blieb erfolglos.

2

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wurde auf den Zeitraum ab Januar 2002 beschränkt, der Rückforderungsbetrag auf 9.129 € reduziert. Für die davor liegenden Monate ging das FG mangels Vorliegens einer Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung von dem Eintritt der Festsetzungsverjährung aus. Bei Würdigung der Gesamtumstände kam das FG zu dem Ergebnis, dass M ab Anfang 1999 keinen Wohnsitz mehr im Inland hatte.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) und wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.

5

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den Bundesfinanzhof (BFH) geboten erscheinen lassen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 29. August 2011 III B 110/10, BFH/NV 2011, 2100). So verhält es sich hier.

6

a) Der Kläger hält wegen der gestiegenen Freizügigkeit der Menschen und der vermehrten Auslandsaufenthalte von Kindern (zu Ausbildungszwecken oder mit einem getrennt lebenden Elternteil) die Fragen für abstrakt klärungsbedürftig,

 -

ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes von türkisch-stämmigen Kindern, die zwecks Verwurzelung im Heimatland der Eltern in dieses Land geschickt werden, auch auf Fälle anwendbar sind, in denen ein deutschstämmiges Kind auf ausländischem Boden in einem Umfeld ausgebildet wird, das dem inländischen weitgehend entspricht,

 -

nach welchen Kriterien die Abgrenzung zwischen einem Aufenthalt zu Urlaubs-, Besuchs- oder familiären Zwecken und einem Aufenthalt zu Wohnzwecken vorzunehmen ist,

 -

ob bei einem 3 1/2-jährigen Kind, das zu seiner Mutter ins Ausland reist, die tatsächliche Vermutung besteht, dass es dort zumindest für die Dauer des Kindergartenbesuchs verweilen wird,

 -

ob bei einem 3 1/2-jährigen Kind die tatsächliche Vermutung besteht, dass es eine natürliche Neigung zur Mutter hat und deshalb immer --unabhängig von den konkreten Umständen-- bei der Mutter wohnen möchte,

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ob ein 3 1/2-jähriges Kind seine Familie im Inland grundsätzlich jeden Monat, mindestens aber alle zwei Monate besuchen muss, damit kein Verlust der familiären Bindungen angenommen werden kann, der auf eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes hindeuten kann,

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ob auch dann eine Verwurzelung im Ausland angenommen werden kann, wenn ein deutschstämmiges Kind sich in einem deutschsprachigen, von der deutschen Kultur geprägten Umfeld aufhält und eine deutsche Schule besucht, die aufgrund des deutschen Lehrplans einen jederzeitigen Wechsel an eine inländische Schule ermöglicht, und

 -

ob die Begründung eines weiteren steuerlichen Wohnsitzes eines 3 1/2-jährigen Kindes im Ausland zwangsläufig zur Aufgabe des inländischen Wohnsitzes des Kindes führt.

7

b) aa) Der BFH hat die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung) im Inland hat, durch langjährige Rechtsprechung geklärt (vgl. etwa Urteile vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, m.w.N., und vom 28. April 2010 III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013). Danach setzt der Wohnsitzbegriff neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Nutzer tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren Zeitabständen-- aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus.

8

Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen. Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung. Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind. Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen allerdings kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen.

9

bb) Ob ein Kind im Einzelfall seinen Wohnsitz im Inland hat, hat das FG unter Anwendung der Rechtsgrundsätze der BFH-Rechtsprechung nach den Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen. Das gilt auch für die Entscheidung, ob ein 3 1/2-jähriges Kind, das zu der geschiedenen Mutter ins außereuropäische Ausland zieht und dort deutschsprachige Schulen besucht, bei dem im Inland wohnenden Vater einen (weiteren) Wohnsitz behält oder erneut begründet. Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch das erforderliche Allgemeininteresse (Senatsbeschlüsse vom 23. Februar 2009 III B 80/08, juris, und vom 8. März 2010 III B 123/09, BFH/NV 2010, 1288). Der Kläger hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die in der Rechtsprechung zu dem Problemkreis noch nicht gewürdigt wurden. Insbesondere hat der BFH bereits entschieden, dass hinsichtlich der Frage, ob durch einen längeren Auslandsaufenthalt eines Kindes der inländische Wohnsitz aufgegeben wird bzw. unter welchen Umständen ein inländischer Wohnsitz neu begründet wird, in die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände einzubeziehen ist, wie oft und wie lange sich das Kind zwischenzeitlich im Inland aufgehalten hat (z.B. Senatsbeschluss vom 27. August 2010 III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272, m.w.N.) und ob sich bei einem minderjährigen Kind aus den familiären und kulturellen Umständen am Aufenthaltsort Hinweise für das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen ergeben (Senatsurteil vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

10

Das FG hat die einzelnen Umstände, die bei der im Streitfall vorliegenden Sachverhaltskonstellation zu berücksichtigen sind, erwogen. Es ist dabei insbesondere vor dem Hintergrund, dass M bereits mit 3 1/2 Jahren auf nicht absehbare Zeit zur Mutter nach X gezogen und während der ersten fast vier Jahre nicht zum Kläger nach Deutschland zurückgekehrt ist, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass M keinen Wohnsitz in Deutschland mehr hatte. Der Entscheidung des FG als Tatsacheninstanz kommt daher keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. Senatsbeschluss vom 17. März 2006 III B 67/05, BFH/NV 2006, 1255).

11

2. Aus den gleichen Gründen ist auch der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht gegeben. Als spezieller Tatbestand der Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt auch dieser Zulassungsgrund voraus, dass über eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2006 III B 2/05, BFH/NV 2006, 910, m.w.N.).

12

3. Eine Zulassung der Revision kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erfolgen.

13

a) Bei einer Nichtzulassungsbeschwerde, die sich auf die Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen FG stützt, muss der Beschwerdeführer neben der genauen Bezeichnung der Divergenzentscheidung dartun, dass das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der näher angeführten Rechtsprechung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (z.B. Senatsbeschluss vom 27. April 2011 III B 62/10, BFH/NV 2011, 1379). Eine schlüssige Rüge setzt weiter die Darlegung voraus, dass die Entscheidungen zu gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalten ergangen sind (z.B. BFH-Beschluss vom 22. Juli 2008 II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846).

14

b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, das FG-Urteil sei geeignet, hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfragen eine negative Vorbildfunktion für zukünftige Verfahren zu entwickeln. Ferner hat er geltend gemacht, das FG habe entgegen dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung bei der Wohnsitzbestimmung den Willen der Eltern zur Bestimmung des Willens des Kindes herangezogen. Schließlich weiche das FG auch erheblich von der geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, wenn es fordere, zur Aufrechterhaltung der familiären Bindung müsse ein monatlicher Besuch des Kindes bei der Familie im Inland erfolgen.

15

Aus diesen Ausführungen wird weder deutlich, von welcher Entscheidung und welchem Rechtssatz eines anderen Gerichts das FG-Urteil abweicht, noch ergibt sich hieraus Näheres zum Vorliegen vergleichbarer Sachverhaltskonstellationen.

16

4. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

17

a) Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der Amtsaufklärungspflicht bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG ungenutzt ließ, warum der Kläger nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung gleichwohl dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner ist darzulegen, dass der Kläger die nach seiner Ansicht unzulängliche Sachaufklärung vor dem FG gerügt hat oder ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2006 III B 143/05, BFH/NV 2006, 1058).

18

b) Im Streitfall fehlt bereits der Vortrag des Klägers, weshalb er während des finanzgerichtlichen Verfahrens keine entsprechende Beweisaufnahme zu dem nach seiner Ansicht aufklärungsbedürftigen Sachverhalt der Beibehaltung eines (jedenfalls zweiten) Wohnsitzes in Deutschland beantragt hat. Auch geht aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 30. November 2009 nicht hervor, dass der Kläger die Nichterhebung von Beweisen gerügt hat.

19

5. Letztlich wendet sich der Kläger mit seinen Ausführungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit des FG-Urteils. Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1)1Als Kinder werden berücksichtigt

1.
Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,
2.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,
3.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.
2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.3Voraussetzung für die Berücksichtigung ist die Identifizierung des Kindes durch die an dieses Kind vergebene Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung).4Ist das Kind nicht nach einem Steuergesetz steuerpflichtig (§ 139a Absatz 2 der Abgabenordnung), ist es in anderer geeigneter Weise zu identifizieren.5Die nachträgliche Identifizierung oder nachträgliche Vergabe der Identifikationsnummer wirkt auf Monate zurück, in denen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 vorliegen.6Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden nicht berücksichtigt, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a.7Kinder im Sinne von § 2 Absatz 4 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes werden nicht berücksichtigt.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig ist oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erzielt, für seine in Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Kinder Kindergeld ganz oder teilweise zu leisten ist, soweit dies mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnsitzstaat und auf die dort gewährten dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen geboten ist.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) heiratete im Dezember 2004 in der Ukraine seine Ehefrau (E), eine ukrainische Staatsangehörige, die seit Mai 2004 in der Wohnung des Klägers in Deutschland gemeldet ist. Nachdem E im August 2004 in die Ukraine gereist war, brachte sie dort am 10. Januar 2005 den gemeinsamen Sohn S zur Welt. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Januar 2006 hielt E sich zusammen mit S ausschließlich in der Ukraine auf. Seit dem Tag der Einreise am 25. Januar 2006 ist auch S in Deutschland gemeldet.

2

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte auf den Antrag des Klägers für S Kindergeld erst ab Januar 2006 fest, da S erst ab diesem Monat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

3

Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger vor, E und er hätten im Oktober 2004 in Deutschland heiraten wollen. E sei dann im August 2004 aus privaten Gründen in die Ukraine gereist. Die für September/Oktober 2004 geplante Rückreise habe sie jedoch wegen Problemen in der Schwangerschaft nicht antreten können, weshalb sie im Dezember 2004 in der Ukraine hätten heiraten müssen. Nachdem E sich von der Geburt erholt gehabt habe, habe sie sich umgehend um die erforderlichen Papiere (ukrainischer Personalausweis, internationaler Reisepass, Geburtsurkunde nebst Übersetzung und Legalisation, Kinderausweis und Visum) gekümmert, was jedoch in der Ukraine gedauert habe. Im Ergebnis habe E deshalb erst im Januar 2006 zusammen mit S nach Deutschland einreisen können. Ihr Verbleib --und damit auch der des S-- in der Ukraine sei unfreiwillig gewesen.

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, S habe im Streitzeitraum im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Einen Wohnsitz i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) könne nur beibehalten, wer zuvor bereits einen Wohnsitz begründet habe. Dies setze --auch bei einem Kind-- die Anwesenheit im Inland voraus. Ein Wohnsitz werde jedoch grundsätzlich nicht allein durch die Absicht der Eltern, das Kind solle ab seiner Geburt in der gemeinsamen Wohnung im Inland leben, begründet. Allein dadurch, dass der Wohnsitz des Klägers und der E im strittigen Zeitraum im Inland weiterbestanden habe, hätten die Eltern dem S keinen inländischen Wohnsitz vermittelt, da dieser sich bis Januar 2006 nicht selbst in der Wohnung der Eltern im Inland aufgehalten, diese also nicht tatsächlich innegehabt habe. Ob ausnahmsweise etwas anderes gelte, wenn das Kind innerhalb angemessener Zeit nach der Geburt in das Inland gebracht werde, könne dahinstehen, da S im Streitfall jedenfalls nicht mehr innerhalb eines als angemessen zu beurteilenden Zeitraums eingereist sei.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Er ist der Ansicht, ihm stehe für S auch für den Streitzeitraum Januar bis Dezember 2005 Kindergeld zu, da er und E --und damit auch zugleich S-- ihren Wohnsitz während dieser Zeit in Deutschland gehabt hätten und der Aufenthalt von E und S in der Ukraine unfreiwillig gewesen sei. Allein aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Ukraine sei eine sofortige Rückkehr nach der Geburt nicht möglich gewesen. Kinder teilten den Wohnsitz der Eltern, solange nach den äußerlich erkennbaren Umständen davon auszugehen sei, dass die elterliche Wohnung für das Kind bestimmt sei und von dem Kind auch als eigenes Heim angesehen werde. Bei einem Neugeborenen könne der Wohnsitz bei vernünftiger Betrachtung --jedenfalls dann, wenn es von den Eltern betreut werde-- ausschließlich von dem Willen der Eltern bestimmt werden.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Familienkasse unter Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2006 zu verpflichten, den Bescheid vom 20. Juni 2006 zu ändern und Kindergeld für S auch für die Monate Januar 2005 bis Dezember 2005 zu gewähren.

7

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Die Entscheidung des FG, S habe vor seiner Einreise nach Deutschland im Januar 2006 weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

10

1. Wer --wie der Kläger-- über einen Wohnsitz im Inland verfügt, hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S. des § 63 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden indes Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).

11

a) Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

12

Die Begründung eines Wohnsitzes erfolgt durch tatsächliches Handeln (Michel in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 1 Rz 79), der bloße Wille des Steuerpflichtigen ist dagegen nicht entscheidend (Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 8 AO Rz 12). Von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse (Klein/Gersch, AO, 10. Aufl., § 8 Rz 5, m.w.N.), d.h. der objektive Zustand (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 8 AO Rz 11). Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), genügt deshalb für den Bereich des Steuerrechts ein natürlicher Wille, den auch ein Geschäftsunfähiger haben kann; auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (Senatsurteil vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

13

b) Ob an einem bestimmten Ort ein Wohnsitz besteht oder nicht, ist für jede Person --insbesondere auch im Verhältnis zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern-- gesondert zu prüfen (Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 9). Deshalb ist auch die Frage, ob ein Kind einen Wohnsitz begründet --oder beibehalten-- hat, ausschließlich nach den tatsächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (Greite in Korn, § 63 EStG Rz 15). Auch ein Kind begründet deshalb erst dann einen Wohnsitz, wenn es eine Wohnung unter Umständen innehat, die auf das Beibehalten und Benutzen schließen lassen.

14

c) Zwar teilen minderjährige Kinder grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über ihre Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit zugleich die elterliche Wohnung i.S. des § 8 AO innehaben (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Dezember 2001 VI B 123/00, juris; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 21). Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall, sondern hängt wiederum maßgeblich von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab. So führt insbesondere ein mehrjähriger Schulbesuch im Ausland, für den das Kind vor Ort bei Verwandten untergebracht ist, regelmäßig dazu, dass das Kind die elterliche Wohnung im Inland nicht weiterhin unter Umständen innehat, die darauf hinweisen, dass die Wohnung beibehalten und als solche genutzt werden soll und wird (hierzu z.B. Senatsurteile in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887, und vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Auch teilen minderjährige Kinder nicht stets --gleichsam automatisch-- sämtliche Wohnsitze ihrer Eltern, wenn diese über mehrere Wohnsitze verfügen (Senatsbeschlüsse vom 15. Mai 2009 III B 209/08, BFH/NV 2009, 1630, und vom 27. August 2010 III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272; a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2008  8 K 37/07, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 420). Dies ergibt sich bereits aus der Unterscheidung im EStG zwischen dem Wohnsitz des Kindes (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG) und dem des Kindergeldberechtigten (§ 62 Abs. 1 EStG) als Voraussetzung für den Kindergeldanspruch, so dass der Wohnsitz von Kind und Eltern durchaus auseinanderfallen kann.

15

d) Soweit Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteil vom 11. April 1984 I R 230/80, juris, m.w.N.) und Literatur (z.B. Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 22 und 30) davon ausgehen, dass über das Rechtsinstitut des Familienwohnsitzes das "Innehaben einer Wohnung" durch einen Familienangehörigen vermittelt werden kann, so gilt dies uneingeschränkt nur für das "Beibehalten" eines bereits vorhandenen Wohnsitzes. Dagegen kann ein im Ausland lebender Angehöriger im Inland grundsätzlich keinen Wohnsitz begründen, ohne sich hier aufgehalten zu haben (BFH-Urteil vom 3. März 1978 VI R 195/75, BFHE 124, 530, BStBl II 1978, 372; FG Hamburg, Urteil vom 15. April 1994 V 61/92, EFG 1994, 730; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 31, jeweils für Ehegatten).

16

aa) Wird ein Kind im Ausland geboren, so billigen Verwaltung (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs --DA-FamEStG-- 63.6.1 Abs. 3 Satz 1, BStBl I 2009, 1033) sowie Teile der Literatur (Felix, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 63 Rz G 6; dies. in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 63 Rz 4; Blümich/Treiber, § 63 EStG Rz 38; Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 33 Fn 10) dem Kind allerdings unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise einen Wohnsitz im Inland bereits ab seiner Geburt zu (zweifelnd Schmidt/ Heinicke, EStG, 30. Aufl., § 1 Rz 24), sofern sich die Mutter nur kurzfristig (Buciek, a.a.O.), lediglich vorübergehend zum Zeitpunkt der Geburt (Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 63 Rz G 6; Treiber, a.a.O., § 63 EStG Rz 38) bzw. lediglich zur Entbindung vorübergehend (DA-FamEStG, a.a.O.; Felix in Kirchhof, a.a.O., § 63 Rz 4) im Ausland aufgehalten hat und das Kind alsbald (Buciek, a.a.O.) bzw. innerhalb angemessener Zeit (DA-FamEStG, Felix und Treiber, jeweils a.a.O.) nach Deutschland gebracht wird.

17

bb) Auch der Senat hält es unter solchen Umständen für möglich, dass ein im Ausland geborenes Kind bereits von Geburt an den inländischen (Familien-)Wohnsitz teilt. Kann das Kind den Wohnsitz der Eltern im Inland indes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht nur kurzfristig nicht aufsuchen, kann es dort (zunächst) auch keinen eigenen Wohnsitz begründen (ebenso Buciek, a.a.O., AO § 8 Rz 49, "Kinder"; s. auch Lehner/Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 1 Rz B 130; Musil in HHSp, § 8 AO Rz 39; Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. April 1983 10 RKg 15/82, juris, zum wortgleichen § 30 Abs. 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch; a.A. FG Baden-Württemberg in EFG 2009, 420). Insgesamt muss die tatsächliche Gestaltung dafür sprechen, dass das Kind bereits mit seiner Geburt im Ausland seinen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung im Inland begründet, weil es diese über seine Eltern innehat und Umstände vorliegen, die auf eine Nutzung der Wohnung auch durch das Kind schließen lassen. Dies ist letztlich eine Frage der tatrichterlichen Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles (§ 96 Abs. 1 FGO), die einer revisionsrechtlichen Prüfung im Hinblick auf § 118 Abs. 2 FGO regelmäßig entzogen ist (z.B. BFH-Urteile vom 30. August 1989 I R 215/85, BFHE 158, 118, BStBl II 1989, 956; vom 9. Mai 2000 VIII R 77/97, BFHE 192, 445, BStBl II 2000, 660; Senatsurteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).

18

e) Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes als Ausprägung des Territorialitätsprinzips ist sachgerecht und verfassungsgemäß (z.B. BFH-Urteile in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912). Auch die Differenzierung in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist nicht zu beanstanden. Sie unterscheidet in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise danach, ob ein Kind, das weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem EU/EWR-Staat hat, zum Haushalt eines erweitert unbeschränkt Steuerpflichtigen (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG) gehört (Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 1630; Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 63 Rz 72).

19

2. Danach ist die Entscheidung des FG, der in der Ukraine geborene S habe einen Wohnsitz im Inland nicht bereits mit seiner Geburt im Januar 2005, sondern erst mit seiner Einreise nach Deutschland im Januar 2006 begründet, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere auch für die Wertung, S sei jedenfalls nicht mehr innerhalb eines als angemessen zu beurteilenden Zeitraums ins Inland gebracht worden.

20

3. Da eine Person zu derselben Zeit immer nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (Klein/Gersch, a.a.O., § 9 Rz 2) und S sich während des gesamten Streitzeitraums in der Ukraine aufgehalten hat, hat das FG den gewöhnlichen Aufenthalt des S im Inland ebenfalls zutreffend verneint. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland kann nicht bereits ab Geburt angenommen werden, wenn das Kind sich nicht in Deutschland aufhält. "Aufhalten" erfordert bereits nach dem Wortlaut die körperliche Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Daraus folgt, dass die erstmalige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort stets die dortige körperliche Anwesenheit der natürlichen Person voraussetzt (BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 109/88, BFHE 161, 482).

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und seine Ehefrau stammen aus Palästina, besitzen aber mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie haben vier --in den Jahren 1998, 2001, 2006 und 2008 geborene-- Kinder. Im Sommer 2010 reiste die Familie nach B im Westjordanland. Die beiden ältesten Kinder besuchten während ihres Aufenthalts in den Sommerferien dort die Schule, um die heimische Kultur und die arabische Sprache zu lernen. Der Kläger kehrte nach Deutschland zurück und beantragte und erhielt im September 2010 für die beiden älteren Kinder Beurlaubungen für das Schuljahr 2010/2011, nachdem er den Schulbesuch in B nachgewiesen hatte. Die Ehefrau blieb mit den vier Kindern in B und lebte dort zusammen mit diesen bei ihren Eltern.

2

Nachdem die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hiervon im September 2010 erfahren hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab Oktober 2010 auf. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

3

Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Kinder des Klägers hätten durch den mindestens einjährigen Auslandsaufenthalt unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Streitfalles ihren Wohnsitz im Inland aufgegeben. Anders als in den Fällen, in denen ein Kind der Familie einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt mit Schulbesuch zum Erlernen der Sprache mache, sei hier zu berücksichtigen, dass alle Kinder zusammen mit der Mutter nach B gezogen seien und dort mit ihren Großeltern zusammenlebten. Zudem seien die beiden jüngeren Kinder zum Zeitpunkt des Beginns des Auslandsaufenthalts noch nicht schulpflichtig gewesen und hätten die Mutter und die älteren Geschwister begleitet, so dass sich das gesamte Familienleben nun in B "abgespielt" habe. Unter diesen Umständen sei der Senat der Auffassung, dass dem Kläger auch dann kein Kindergeld zustehe, wenn die Ehefrau mit den Kindern tatsächlich nach Ablauf eines Jahres wieder nach Deutschland zurückkehre. In diesem Fall würde der Wohnsitz im Inland dann wieder neu begründet.

4

Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, wie lange ein Auslandsaufenthalt eines Kindes maximal dauern dürfe, um den Wohnsitz in Deutschland nicht zu verlieren.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

6

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

7

Die Rechtsgrundsätze, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zweck des Schulbesuchs längerfristig im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) beibehält, hat der Bundesfinanzhof (BFH) bereits mehrfach dargelegt (z.B. Urteile vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; Senatsbeschluss vom 29. Dezember 2010 III B 90/09, BFH/NV 2011, 626). Grundsätzliche Bedeutung erlangt die Rechtssache --anders als der Kläger meint-- auch nicht dadurch, dass die höchstrichterlich entschiedenen Fälle durchweg Sachverhalte zum Gegenstand hatten, bei denen das Kind sich mehrere --in der Entscheidung in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887 bspw. 2 ½-- Jahre zum Schulbesuch im Ausland aufhielt.

8

Die Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, hängt indes nicht allein von der Dauer des Auslandsaufenthalts, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung insbesondere auch das Alter des Kindes, die Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, der Zweck des Auslandsaufenthalts, die Häufigkeit und Dauer der Aufenthalte bei den Eltern sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits ausschlaggebend (vgl. z.B. Buciek in Beermann/Gosch, § 8 AO Rz 49 "Ausbildung"). Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Dauer einer Schulausbildung wegen der Möglichkeit, weiterführende Schulen zu besuchen oder einzelne Abschnitte zu wiederholen, oft nicht hinreichend genau bestimmt werden kann (Senatsurteil vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967). Ob deshalb im Einzelfall von einem (beibehaltenen) Wohnsitz im Inland auszugehen ist, hat das FG unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (z.B. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 III B 141/10, BFH/NV 2011, 576). Demzufolge entzieht sich auch die Umsetzung dieser Grundsätze, insbesondere durch Festlegung einer zeitlichen Grenze i.S. eines "Maximalaufenthalts" einer generellen und abstrakten Bestimmung, die Aufgabe des Revisionsgerichts sein könnte.

Tenor

1. Der Aufhebungsbescheid vom 07.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2013 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

Die Klage richtet sich gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Söhne der Klägerin ab November 2012.

Die Klägerin, deutsche Staatsangehörige griechischer Abstammung, ist in Deutschland zugelassene Rechtsanwältin und hat zusammen mit ihrem ehemaligen Ehemann M zwei Söhne, A, geboren am xx.xx.1996, und B, geboren am xx.xx.2001. Die Familie lebte zunächst in X, wo die Eheleute gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei führten. Das Kindergeld erhielt M, der im Jahr 2009 eine Professur an der Hochschule Y annahm. Die Familie bezog dort in der 1Straße eine Drei-Zimmer-Mietwohnung. Die Klägerin wickelte seither Restmandate aus der Anwaltskanzlei ab. M zog im Juni 2011 aus der gemeinsamen Wohnung aus und nahm eine Wohnung in Y, 2Straße; die Klägerin verblieb mit den Söhnen in der Wohnung in der 1Straße. Die Eheleute lebten seither getrennt, die Ehe wurde im November 2013 geschieden.

Auf den Antrag der Klägerin vom 04.03.2012 setzte die damals zuständige Familienkasse am 05.04.2012 zu ihren Gunsten das Kindergeld für die Söhne ab Juli 2011 fest und zahlte rückwirkend und ab April 2012 laufend das Kindergeld an die Klägerin aus. Weil die Unterschrift der Klägerin auf ihrer Mitteilung vom 24.10.2012 fehlte, dass sich die Kontonummer bei ihrem Kreditinstitut, an das die Kindergeldzahlungen angewiesen wurden, geändert hatte, stellte die Kindergeldkasse mit der Anweisung vom 24.10.2012 ab November 2012 die Kindergeldzahlungen ein. In ihrem Antwortschreiben vom 26.10.2012, dem die mit der Unterschrift ergänzte Änderungsmitteilung beilag, bemerkte die Klägerin zusätzlich, dass sie beabsichtige, ihre Kinder bei einem Schüleraustausch ins Ausland ab 01.11.2012 zu begleiten. Daraufhin hob die Familienkasse mit dem Bescheid vom 07.11.2012 die Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder A und B ab November 2012 gemäß § 70 Abs. 2 EStG wegen der durch den Auslandsaufenthalt eingetretenen Änderungen in den Verhältnissen auf.

A besuchte im Jahr 2012 das Gymnasium in Y. Vor Ende des Schuljahres wechselte er im Juni 2012 nach Neuseeland auf eine vergleichbare Oberschule und war dort bei einer Gastfamilie untergebracht. Das Schuljahr beginnt in Neuseeland üblicherweise im Januar und endet im Dezember jeden Jahres. A schloss die Schulbildung in Neuseeland im Dezember 2013 mit einer dem deutschen Abitur gleichgestellten Prüfung ab und kehrte am 23. Januar 2014 zu seiner Mutter nach Deutschland zurück. Seit April 2014 studiert er in Z Physik.

Die Klägerin kündigte die Wohnung in der 1Straße bis Ende Oktober 2012. Einen Teil der Möbel und persönliche Sachen verbrachte sie in das Haus einer Freundin, P, in Y, 3Straße. In diesem Haus stellte P der Klägerin ab Ende Oktober zwei Zimmer und ein Bad in der ersten Etage als Wohnmöglichkeit gefälligkeitshalber zur Verfügung, auch für die Zeit ihres geplanten Aufenthalts in Neuseeland. Der Umzug der Klägerin in den 3Straße zum 01.11.2012 wurde bei der Stadt Y am 20.02.2013 angemeldet.

Unter Nutzung eines Besuchs-Visa ohne Arbeitserlaubnis und als Begleitperson ihres Sohnes B flog die Klägerin bereits am 28.10.2012 nach Neuseeland zusammen mit B, der dort eine dem Gymnasium vergleichbare Schule besuchte. Die Klägerin bewohnte zunächst mit B in Neuseeland ein Appartement, später bezogen sie zusammen mit A eine Wohnung in W/Neuseeland.

Aus Neuseeland kehrte die Klägerin mit B am 16.09.2013 nach Y zurück und sie bewohnten die Zimmer in dem Haus der Freundin P in 3Straße. B ging wieder in Y in das Gymnasium.

Die Klägerin zog im Oktober 2013 in Y in die 4Straße um, im Dezember 2013 nach U und im April 2014 wieder nach Y in die 5Straße.

Mit Schreiben vom 07.11.2012 von der zu Auskünften über ihren Wohnsitz wegen der Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen für den Kindergeldbezug aufgefordert, legte die Klägerin zunächst fristgerecht ohne weitere Begründung Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom ebenfalls 07.11.2012 ein.

Ihren fristgerecht erhobenen Einspruch begründete die Klägerin zunächst nicht. Nach gewährter Fristverlängerung übersandte sie am 04.03.2013 die Anmeldebestätigungen des Einwohnermeldeamts der Stadt Y vom 20.2.2013 über den Bezug der Wohnung 3Straße in Y zum 01.11.2012.

Am 13.3.2013 teilte die Klägerin der Familienkasse mit, dass sie ihre Kinder in der Zeit des Schüleraustausches in Neuseeland begleite, dort eine Anschrift habe, für den Aufenthalt dort ein Besuchsvisa besitze, jedoch mit ihren Kindern weiterhin in Deutschland in Y in 3Straße ihren Wohnsitz habe.

Mit der Entscheidung vom 20.03.2013 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Am 03.04.2013 reichte die Klägerin den ihr von der Familienkasse übersandten Fragebogen nach. Diese hielt jedoch an der Einspruchsentscheidung fest und forderte mit Schreiben vom 10.04.2013 Unterlagen zum Mietverhältnis in Y und zu Besuchen der Klägerin in Deutschland an.

Mit ihrer fristgerecht am 18.4.2013 erhobenen Klage beantragt die Klägerin, den Aufhebungsbescheid vom 7.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.3.2013 aufzuheben.

Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlich folgendes vor:

Sie, die Klägerin und ihre Söhne seien deutsche Staatsangehörige. Seit ihrer Trennung vom Ehemann sei sie alleinerziehend und beziehe lediglich Kindesunterhalt vom Kindsvater. Der Aufenthalt in Neuseeland habe der schulischen Erfahrung für die Kinder in einem anderen Land gedient, das im Vergleich zu Deutschland ein sehr differenziertes Schulsystem habe. Sie habe sich in dieser Zeit um ihre Kinder gekümmert und sie in der Schule unterstützt, vor allem B, der mit 11 Jahren die englische Sprache noch nicht ausreichend beherrscht habe. Sie habe ihren Söhnen mit dem Auslandsaufenthalt die Förderung ihrer Sozial- und Fachkompetenz bieten wollen. Für A sei nur ein einjähriger Schüleraufenthalt in Neuseeland in Frage gekommen, da ein kürzerer Schulbesuch danach in Deutschland wohl zu einer Rückstufung bzw. einer Wiederholung der Klasse geführt hätte. Der für A in Neuseeland angestrebte Schulabschluss sei dem deutschen Abitur äquivalent gewesen. Bei B sei zu berücksichtigen gewesen, dass er noch zu jung gewesen sei, um sich ohne Elternteil im fernen Ausland aufzuhalten. Eine kurzzeitige Rückkehr nach Deutschland während der Ferien der Kinder wäre unverhältnismäßig gewesen, sowohl hinsichtlich der großen Reisedauer im Verhältnis zu einer faktisch verbleibenden zehntägigen Aufenthaltsmöglichkeit in Deutschland, als auch hinsichtlich des hohen Kostenfaktors.

Es sei für sie, die Klägerin, notwendig gewesen, ihren jüngsten Sohn B in Neuseeland zu begleiten. Hierfür habe sie ein Visitor-Guardian-Visa beim Neuseeländischen Konsulat beantragt. Ihr sei die Pflicht auferlegt worden, immer in Begleitung ihres jüngsten Sohnes zu leben und es sei ihr eine Arbeitsaufnahme verboten gewesen. Der Aufenthalt in Neuseeland mit ihren Söhnen sei ausschließlich aus ihrem ersparten Geld finanziert worden; öffentliche Leistungen habe sie nicht beantragt. Eine besondere Berücksichtigung sollte auch der Schwierigkeit, als alleinerziehendes Elternteil die unterschiedlichen Interessen beider Kinder gerecht zu werden, eingeräumt werden. Eine Familie mit beiden Elternteilen habe hierfür vergleichsweise mehrere Optionen, einen vorübergehenden Aufenthalt zu planen und durchzuführen.

Ausschlaggebend sei, dass es sich bei dem Auslandsaufenthalt um einen vorübergehenden Aufenthalt gehandelt habe. Im Jahr 2012 habe sie sich überwiegend in Deutschland aufgehalten und daher stehe ihr jedenfalls für die Monate November und Dezember 2012 das Kindergeld zu. Im Veranlagungszeitraum 2012 sei sie auch vom Finanzamt als unbeschränkt steuerpflichtig geführt worden. Sie habe ihren Wohnsitz in Deutschland nicht aufgeben wollen. Von ihrer Freundin P sei ihr eine Wohnmöglichkeit in deren Haus in Y in 3Straße unentgeltlich zur jederzeitigen Nutzung zur Verfügung gestellt worden. Die mit dem Auslandsaufenthalt verbundene vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort zum Zwecke einer einjährigen Ausbildung für A und dem ca. zehnmonatigen Aufenthalt für die Klägerin und B habe nicht die Auflösung des bestehenden Wohnsitzes in Deutschland begründet, sondern lediglich dazu geführt, dass zwei Wohnsitze bestanden haben. Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse habe sich nach wie vor in Deutschland befunden, insbesondere wegen der aufrecht erhalten gebliebenen Kontakte der Kinder und von ihr selbst in Deutschland. Dies sei auch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass sie nach ihrer Rückkehr tatsächlich die Wohnung in Y im 3Straße zusammen mit ihrem Sohn B bewohnt habe.

Sie sei über den gesamten Zeitraum hinweg auch von einem Steuerberater vertreten worden und habe die über ihre Absicht und den Auslandsaufenthalt ständig informiert.

Hinsichtlich der Argumentation der Klägerin wird auf den Schriftverkehr mit der Familienkasse, auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze und auf ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2014 verwiesen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie begründet den Antrag zusammengefasst wie folgt:

Die Klägerin habe für die Zeit ihres Aufenthalts in Neuseeland einen eigenen Wohnsitz und einen Wohnsitz ihrer Kinder in Deutschland nicht nachgewiesen. Es bestünden insbesondere Zweifel am Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung nicht nur vorübergehend genutzt werde. Die Klägerin habe offensichtlich die bisherige Familienwohnung in der 1Straße in Y aufgegeben, bevor sie mit ihren Kindern nach Neuseeland ausgereist ist. Gleichzeitig habe sie die Wohnung 3Straße zwar angemietet, aber für das Innehaben keine weiteren Nachweise vorgelegt. Die Anmeldung bei der Meldebehörde reiche für die Begründung eines Wohnsitzes nicht aus. Auch sei die Klägerin während ihres Auslandsaufenthalts nicht zwischendurch nach Deutschland zurückgekehrt. Die Situation stelle sich so dar, dass die Klägerin und ihre Söhne sich für die Dauer ihres Auslandsaufenthalts nur in der Wohnung von Verwandten oder Bekannten in Y angemeldet haben. Die Klägerin und ihre Söhne haben vor ihrer Ausreise nach Neuseeland aber die zur Verfügung gestellte Wohnung in Y 3Straße nicht in Besitz genommen und sie haben somit dort keinen Wohnsitz begründen können.

Daher liege nicht eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort zum Zwecke der Ausbildung vor, die der Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes nicht entgegenstünde. Vielmehr haben die Klägerin und ihre Kinder in Neuseeland einen neuen Wohnsitz begründet, der außerhalb Deutschlands und der Europäischen Union sowie des europäischen Wirtschaftsraumes liege. Sie, die Beklagte, müsse das Vorliegen eines Wohnsitzes auch in eigener Zuständigkeit prüfen, sodass der Bescheinigung des Finanzamts über die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Klägerin keine Bedeutung zukomme.

Seit September 2013 gewähre die der Klägerin wieder Kindergeld für beide Söhne.

Wegen der Argumentation der beklagten wird auf die Schriftsätze im Klageverfahren und auf den Vortrag in der Mündlichen Verhandlung verwiesen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden Richter, dem Berichterstatter, als Einzelrichter einverstanden erklärt (§ 79a Abs. 3 FGO).

Die Beklagte ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung ---- eingetreten (vgl. BFH-Beschluss vom 03.03.2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105, unter II.A.).

Gründe

Die Klage hat Erfolg.

Der Bescheid vom 07.11.2012, mit dem die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Söhne der Klägerin gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben hat, dieser in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2013, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; er war daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klägerin und ihre Söhne haben in dem zur Beurteilung des Gerichts stehenden Zeitraum von November 2012 bis März 2013 ihren Wohnsitz im Sinne von § 8 AO in Deutschland nicht aufgegeben. Der Klägerin steht somit der Kindergeldanspruch in dieser Zeit für ihre beiden Söhne zu.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Neuseeland jedoch zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

Der für das Kindergeldrecht maßgebliche Begriff des Wohnsitzes richtet sich nach der Regelung in § 8 AO. Danach hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die Grundsätze, nach denen zu bestimmen ist, wo eine natürlich Person einen Wohnsitz im Sinne dieser Vorschrift hat, sind durch die Rechtsprechung des BFH vorgegeben (vgl. BFH-Beschluss vom 27.12.2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917 mit Hinweis auf BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

Danach setzt der Wohnsitzbegriff in § 8 AO zunächst objektiv voraus, dass zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten vorhanden sind, weiterhin ein Innehaben der Wohnung in dem Sinne, dass die Räumlichkeiten auch tatsächlich zur Verfügung stehen und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufsucht werden. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht dagegen nicht aus. Jedenfalls muss die Wohnung als Bleibe jederzeit zur Verfügung stehen. Hinzukommen muss als subjektives Moment, dass die Räumlichkeiten von der nutzenden Person zu einer entsprechenden Verwendung als Wohnung bestimmt sind und zwar nicht nur zu einem bloßen, gelegentlichen Aufenthalt nehmen sondern gerade als dem Wohnsitz.

Im Einzelfall können auch zwei oder mehrere Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich den Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so unterschiedliche Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind. Für die Annahme, dass (auch) ein Wohnsitz im Inland gelegen ist, kommt es daher nicht darauf an, dass sich auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland befindet.

Im Rahmen einer Prognoseentscheidung ist daher aufgrund der objektiven Gegebenheiten darüber zu befinden, ob das Innehaben der Wohnung unter solchen Umständen erfolgt, die auf das zukünftige tatsächliche Verhalten schließen lassen, nämlich dass die Person die Wohnung als Wohnsitz beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht somit jedenfalls in Zweifelsfällen dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen. Bei der Entscheidungsfindung sind alle Umstände, die den jeweiligen Einzelfall prägen, in die Gesamtwürdigung einzubeziehen (zu vorstehenden Grundsätzen vgl. BFH-Beschluss vom 27.12.2011 III B 24/10, a.a.O.; BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, a.a.O.; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

2. Nach diesen Grundsätzen hatte die Klägerin ihren Wohnsitz in Y, somit in Deutschland, durch den Auszug aus der Wohnung in der 1Straße nicht aufgegeben und auch nicht aufgeben wollen, weil sie die Räume, die ihr unentgeltlich zu Wohnzwecken von ihrer Freundin P zur Verfügung gestellt worden waren, tatsächlich als Wohnung bestimmt und in Besitz genommen hat (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2013 III R 44/12, BFH/NV 2014, 773).

Die überlassenen Räume (zwei Zimmer und Bad) waren zum dauerhaften Wohnen der Klägerin vorgesehen und hierfür auch geeignet. Dies folgt aus der glaubhaften schriftlichen Versicherung von P und aus dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, an deren Richtigkeit kein Anlass für Zweifel besteht, zumal die Klägerin mit dem Sohn B die Räume auch tatsächlich in der Zeit von September bis Oktober 2013 als Wohnung nutzte. Trotz des kurzen Aufenthaltes in dieser Wohnung ist nicht von einer bloßen Schlafstelle oder nur notdürftigen Unterbringung auszugehen. Der maßgebliche Wohnungsbegriff erfordert nicht, dass die Räume in sich als Wohnung abgeschlossen sind, sondern es genügen eigene Räume in einer Wohngemeinschaft.

Die der Klägerin von P zur Verfügung gestellten Räume konnte die Klägerin jederzeit und tatsächlich als Wohnung nutzen, auch in der Zeit des Auslandsaufenthaltes; entscheidend ist die Möglichkeit der Nutzung. Eine anderweitige eigene Nutzung der Räume in dieser Zeit von P ist nicht ersichtlich; auch insoweit stellt sich die schriftliche Versicherung von P als glaubhaft dar. In der vom Gericht nachvollziehbaren Vorstellung der Klägerin sollten ihr die Räume dann und unverzüglich als Wohnung zur Verfügung stehen, wenn der geplante Auslandsaufenthalt abgebrochen oder unterbrochen werden musste. Diese Möglichkeit hatte sich die Klägerin aufgrund der mündlichen Vereinbarung mit P ausreichend gesichert, auch wenn die Besitzeinräumung nur auf der Grundlage eines Gefälligkeitsverhältnisses erfolgte.

Aufgrund der glaubhaften Schilderung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bezüglich der Umstände bei der Auflösung der Wohnung in der 1Straße Ende Oktober 2012 und aus der schriftlichen Versicherung von P ist nachvollziehbar, dass die Klägerin bereits vor ihrer Abreise ins Ausland die Räume 3Straße tatsächlich in Besitz genommen hat, da sie dorthin einen Teil ihrer persönlichen Habe verbracht hat. Aus den Umständen, die in dieser Zeit die Lebenslage der Klägerin prägten, also getrennt lebend, mit Sorge für ihre Söhne, ein geplanter Auslandsaufenthalt zur Ausbildung der Kinder, lässt sich folgern, dass die Klägerin die Räume 3Straße nicht nur zum gelegentlichen Verweilen oder als reine Schlafstelle für den Notfall nutzen wollte. Vielmehr waren sie von ihr als Wohnung und beibehaltener Wohnsitz in Deutschland bestimmt, gerade für die Zeit nach dem Auslandsaufenthalt. Hierfür sprechen auch die der Klägerin nur eingeschränkt erteilte Aufenthaltsgenehmigung mit Beschäftigungsverbot und Begleitbestimmung für den Sohn B, ihre weiter fortbestehende Anwaltszulassung in Deutschland, der von vorneherein nur zeitlich befristete Auslandsaufenthalt, der auch frühzeitig der Kindergeldkasse mitgeteilt worden war, und schließlich auch die Ummeldung des in Y verbleibenden Wohnsitzes von der 1Straße in 3Straße.

Bei einer Gesamtwürdigung all dieser Gegebenheiten und Umstände hat das Gericht keinen Zweifel, dass die Klägerin bei ihrer Abreise aus Deutschland Ende Oktober 2012 tatsächlich nur eine Begleitung ihrer Söhne bei einem zeitlich begrenzten Schulaufenthalt in Neuseeland beabsichtigte, wie sie es der Familienkasse in dem Antwortschreiben vom 26.10.2012 mitgeteilt hat, und keineswegs den Wohnsitz in Y aufgeben wollte.

Ohne Bedeutung für den Streitfall ist, ob die Klägerin daneben während ihres Auslandsaufenthalts auch einen weiteren Wohnsitz in Neuseeland begründet hat. Zudem ist im Streitfall die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin in Deutschland in den Jahren 2012 und 2013 nicht erheblich.

3. Die Kinder der Klägerin teilten mit ihr den Wohnsitz in Y 3Straße, auch während des Auslandsaufenthalts.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder bei dem Kindergeldanspruch nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Voraussetzungen letztgenannter Ausnahmeregelung liegen im Streitfall nicht vor. Entscheidend für den Kindergeldanspruch der Klägerin kommt es daher darauf an, ob ihre Söhne im streitbefangenen Zeitraum einen Wohnsitz im Inland, also in Deutschland hatten.

Grundsätzlich teilen minderjährige Kinder nach § 11 BGB den Wohnsitz der Eltern, sie haben daher einen vom Wohnsitz der sorgeberechtigten Eltern bzw. Elternteils abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz, wobei daneben gemäß §§ 7, 8 BGB auch ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden kann (vgl. Ellenberger, in Palandt, BGB-Kommentar, 72. Aufl. 2013, § 8 Rz. 1). Demgegenüber stellt die Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 22.04.1994 III R 22/92, BStBl. II 1994, 887) bei der Entscheidung über das Innehaben des nach § 8 AO maßgeblichen steuerlichen Wohnsitzes eines Minderjährigen auf dessen „natürlichen“ Willen ab, der unabhängig von der Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung und unabhängig vom Willen des gesetzlichen Vertreters zu bestimmen ist. Es knüpft daher der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff i.S. von § 8 AO an die tatsächliche Gestaltung an, so dass auch ein Minderjähriger --​ abweichend von § 11 BGB und unabhängig vom Willen des gesetzlichen Vertreters -​- einen steuerlichen Wohnsitz begründen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 26.03.2012 III B 218/11, BFH/NV 2012, 1093).

Im Streitfall stellt sich die Frage, ob die Söhne der Klägerin, die sich zeitweise außerhalb des bisher in Y begründeten elterlichen Haushalts im Ausland aufhielten, ihren inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehalten oder aber zunächst aufgegeben haben und erst bei der späteren Rückkehr einen Wohnsitz im Inland wieder neu begründeten. Die Entscheidung hierüber hängt nach der Rechtsprechung des BFH nicht allein von der Dauer des Auslandsaufenthalts, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung insbesondere auch das Alter des Kindes, die Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, der Zweck des Auslandsaufenthalts, die Häufigkeit und Dauer der Aufenthalte bei den Eltern sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits ausschlaggebend. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Dauer einer Schulausbildung wegen der Möglichkeit, weiterführende Schulen zu besuchen oder einzelne Abschnitte zu wiederholen, oft nicht hinreichend genau bestimmt werden kann. Eine konkrete zeitliche Grenze i.S. eines „Maximalaufenthalts“ kann daher generell und abstrakt nicht festgelegt werden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen, ob im Einzelfall von einem beibehaltenen Wohnsitz im Inland auszugehen ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 22.11.2011 III B 154/11, BGH/NV 2012, 375 und vom 27.12.2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917).

4. Nach diesen grundsätzlichen Vorgaben der Rechtsprechung zu § 8 AO steht bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Streitfalls zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Sohn B, der im Streitzeitraum elf Jahre alt war, seinen bisherigen Wohnsitz in Y auch durch den Aufenthalt in Neuseeland in der Zeit von Ende Oktober 2012 bis September 2013 nicht aufgegeben, sondern den Wohnsitz seiner Mutter in Y geteilt hat, zunächst in der Wohnung in der 1Straße, aber auch anschließend in den Räumen 3Straße. Denn B hatte sich aus der elterlichen Obhut seiner Mutter noch nicht getrennt und er war zu einer Trennung aufgrund seiner nur beschränkten Geschäftsfähigkeit nicht ohne weiteres in der Lage. Die Organisation des Schulbesuches im Ausland sowie die Besorgung der Aufenthaltsgenehmigung in Neuseeland und der Unterbringung dort lagen in der Hand seiner Mutter, also der Klägerin. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die zur Annahme berechtigen würden, B selbst habe Maßnahmen ergriffen, um seinen bisherigen familiären Wohnsitz in Y aufzugeben, sich vom elterlichen Umfeld gänzlich zu lösen und einen davon unabhängigen eigenen Wohnsitz in Neuseeland neu zu begründen. Seine Aufenthaltsnahme dort stand allein unter der Bestimmung der Klägerin, die sich um die Reiseformalitäten, den dortigen Schulbesuch und die Unterkunftsmöglichkeiten kümmerte und zur Begleitung von B verpflichtet war. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass B außer zu seinem Bruder A, der sich bereits seit Juni 2012 in Neuseeland aufhielt und in einer Gastfamilie untergebracht war, dort weitere familiäre Beziehungen vorfinden würde, die ihm aufgrund eines eigenen „natürlichen“ Entschlusses die Begründung eines Wohnsitzes dort ermöglicht oder erleichtert hätte.

Die Unterbringung der Klägerin in Neuseeland zusammen mit B, später auch mit A, hatte offensichtlich nur vorübergehenden Charakter. Auch war die Planung und tatsächliche Durchführung des Schulaufenthaltes von B in Neuseeland von so begrenzter Dauer, dass nicht angenommen werden kann, der bisherige familiäre Wohnsitz in Y solle aufgegeben werden, auch wenn innerhalb dieser elf Monate eine besuchsweise Rückkehr zum Wohnsitz in Y etwa zu Ferienzwecken oder zum Besuch des Vaters wegen der großen Entfernung oder aus Kostengründen nicht beabsichtigt und tatsächlich nicht erfolgt war. Die Klägerin und mit ihr der Sohn B haben somit tatsächlich nur den von Anfang an geplanten „Schüleraustausch“ entsprechend der Mitteilung vom 26.10.2012 an die verwirklicht und danach ihren weiterbestehenden Wohnsitz in Y 3Straße, den sie vor ihrer Abreise bezogen hatten, wieder beansprucht, ohne ihn zwischenzeitlich aufgegeben zu haben.

5. Ein Gleiches gilt auch für den Sohn A. Nach den besonders gestalteten Umständen des Streitfalls steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch er seinen bisher begründeten familiären Wohnsitz in Y, also einen Wohnsitz im Inland, nicht aufgegeben hat. Die längere Zeitdauer seines Aufenthaltes in Neuseeland von Juni 2012 bis Januar 2014 erlauben ebenso wenig eine andere Entscheidung als auch der Umstand, dass A die Räume in Y 3Straße tatsächlich nicht unmittelbar in Besitz genommen hatte.

Einer zeitlich begrenzten, vorübergehenden räumlichen Trennung vom bisherigen Wohnort steht grundsätzlich selbst bei mehrjährigen Studienaufenthalten nicht entgegen, dass der bisherige Wohnsitz, zumal er der familiäre Bezugspunkt ist, beibehalten bleibt (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Die Unterbringung von A in Neuseeland bei Gasteltern und zweitweise in der gemeinsamen Wohnung mit seiner Mutter, der Klägerin, brachten nach den Umständen des Streitfalles keine Verlagerung des Schwerpunktes seiner Lebensverhältnisse nach Neuseeland mit sich; denn dort sollte und wollte A „nur“ seine schulische Ausbildung mit einem Abschluss beenden, der auch ein universitäres Studium in Deutschland erlaubte. Allein diesen geplanten vorübergehenden Auslandsaufenthalt haben die Klägerin und ihr Sohn A in die Tat umgesetzt, zumal A nach dem Schulabschluss im Januar 2014 ebenfalls nach Deutschland zu seiner Mutter zurückgekehrt ist und dann im April 2014 im Inland ein Studium begonnen hat.

Anhaltspunkte dafür, dass der bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Januar 2014 noch nicht volljährige A während seiner Aufenthaltszeit in Neuseeland einen „natürlichen“ Willen dahin gebildet hätte, seinen bis Juni 2012 bestehenden Wohnsitz in Y aufzugeben und fortan nur einen Wohnsitz in Neuseeland zu begründen, finden sich nach Aktenlage nicht. Ein solcher Wille zur Aufgabe des familiären Wohnsitzes kann weder nach Maßgabe der Regelung in § 8 AO noch nach den Bestimmungen in §§ 7, 8 und 11 BGB vermutet oder unterstellt werden. Denn das familiäre Umfeld von A behielt den Schwerpunkt in Y, wo sich sein Vater und in der Zeit bis Oktober 2012 und ab September 2013 seine Mutter und sein Bruder befanden.

Die Anforderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten nur kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte etwa zu Urlaubs-​, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu ausreichen, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, a.a.O.), kann im Sinne einer sachgerechten Entscheidung im jeweiligen Einzelfall nicht als generell und abstrakt festgelegte zeitliche Vorgabe verstanden werden. Vielmehr ist, wie oben bereits dargelegt, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen, ob von einem beibehaltenen Wohnsitz im Inland auszugehen ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 22.11.2011 III B 154/11, a.a.O. und vom 27.12.2011 III B 24/10, a.a.O.). Unter Umständen wie im Streitfall brauchte es A nicht angelegen sein, den Studienaufenthalt im weit entfernt gelegenen Ausland zu unterbrechen, um seine Ferienzeit in Deutschland und Zeit darüber hinaus hier zu verbringen. Denn einerseits waren die Mutter und der Bruder selbst eine Zeit lang in Neuseeland und andererseits wäre der Erfolg der Schulbildung und des raschen Schulabschlusses im Ausland bei einer längerfristigen Rückkehr nach Y über mögliche Besuchszeiten beim Vater hinaus gefährdet. Damit erlauben allein die Absicht des Auslandsaufenthaltes nur zu einem Schulabschluss und die tatsächliche Rückkehr nach Deutschland mit der Aufnahme eines Studiums im Streitfall zur Annahme, dass A jedenfalls mit einem „natürlichen“ Willen seinen Wohnsitz in Deutschland auch bei seiner Abwesenheit von 1 ½ Jahren beibehalten wollte.

A hat seinen familiären Wohnsitz in Y, in den er einbezogen war, nicht dadurch verloren, dass seine Mutter während seines Auslandsaufenthalts in Neuseeland die bisherige familiäre Wohnung in der 1Straße aufgegeben und zwischenzeitlich bis zu seiner Rückkehr im Januar 2014 mehrmals umgezogen ist. Denn die Mutter von A hat ihre Sorge für ihren Sohn in der Weise vorgenommen, dass sie ihm jederzeit eine unbedingte Aufenthaltsmöglichkeit in Deutschland im Raum Y bereitgestellt hatte, er also bei einer eventuellen kurzfristigen Rückkehr nach Deutschland oder bei einem Abbruch seiner Schulausbildung in Neuseeland ohne weiteres in sein bisheriges familiäres Umfeld in Y als dem bestehen gebliebenen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse zurückfinden konnte. Eine unmittelbare eigene Inbesitznahme der Wohnräume 3Straße oder in der 4Straße jeweils in Y war nicht erforderlich; es genügte die Vermittlung des Besitzes als tatsächliche Wohnmöglichkeit durch die Mutter, also die Klägerin. So hatte A auch bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Januar 2014 die nun von seiner Mutter angemietete Wohnung in U, nahe Y gelegen, als familiären Wohnsitz in gewohnter Umgebung vorgefunden. Unter diesen besonders gelagerten Umständen des Streitfalles konnte das Gericht nicht feststellen, dass A, der in der Zeit seines Auslandsaufenthaltes noch nicht volljährig war, aufgrund eines „natürlich“ gebildeten Willen seinen in Y bestehenden Schwerpunkt seiner bisherigen Lebensverhältnisse und seinen dort bestehenden Wohnsitz hätte aufgeben wollen. Soweit A ab April 2014 aufgrund eigenen Entschlusses im Hinblick auf sein Studium in Z und auf die Vollendung seines 18. Lebensjahres am 26.06.2014 seinen Wohnsitz in Y aufgegeben haben sollte, ist dies für den hier entscheidungserheblichen Zeitraum ohne Bedeutung.

6. Da die Kinder somit im Streitzeitraum den Wohnsitz mit ihrer Mutter, der Klägerin, teilten, war nicht mehr darüber zu befinden, ob sie nicht auch einen Wohnsitz bei ihrem Vater in Y begründet und während ihres Auslandsaufenthalts beibehalten hatten.

7. Somit erweist sich der Bescheid vom 07.11.2012, mit dem die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Söhne der Klägerin gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben hat, dieser in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2013, als rechtswidrig und war aufzuheben. Daraus folgt die Verpflichtung der Familienkasse, für den Streitzeitraum das Kindergeld für ihre beiden Söhne an die Klägerin auszuzahlen. Dieses Ergebnis wird auch von dem gesetzlichen Sinn und Zweck des Kindergeldrechts getragen, nämlich zur Förderung der Familie und insbesondere zur Deckung des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung der Kinder, jedenfalls soweit die kindergeldberechtigten Eltern und ihre Kinder ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten (vgl. BFH-Beschluss vom 14.08.2012 III B 58/12, BFH/NV 2012, 1977).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung einen besonders gestalteten Einzelfall betrifft und nicht von den gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung abweicht (vgl. § 115 FGO).

Die Kosten des Verfahrens hat die beklagte zu tragen, die im Rechtsstreit unterlegen ist (§§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO).

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.

(2) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.