Finanzgericht Köln Urteil, 03. Juli 2014 - 4 K 2025/11
Tenor
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 5.5.2010 und der Einspruchsentscheidung vom 10.6.2011 wird der Beklagte verpflichtet, den Kläger hinsichtlich des Anspruchs auf Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2008 in Bezug auf die Berücksichtigung der Beiträge für die Basisrenten-Versicherung i.H.v. 2460 € als Sonderausgaben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für das Finanzamt eine mögliche offenbare Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärung 2008 aufgrund eines versehentlich nicht erklärten Sonderausgaben-Abzugsbetrages offensichtlich war bzw. ob alternativ eine bewusste Ablehnung des Sonderausgabenabzugs ohne Erläuterung im Steuerbescheid vorlag, aufgrund deren dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren wäre.
3Der Kläger erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. In seiner am 9.6.2009 bei dem Finanzamt A eingegangenen Einkommensteuererklärung nahm er zu Beiträgen für eigene kapitalgedeckte Rentenversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) mit Laufzeitbeginn nach dem 31.12.2004 keine Eintragungen vor. Mit Bescheid vom 22.6.2009 setzte das Finanzamt A die Einkommensteuer 2008 erklärungsgemäß fest und sandte die beigefügten Belege mit Ausnahme der Bescheinigungen über Kapitalerträge und der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung an den Kläger zurück.
4Mit Schreiben vom 24.4.2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung 2008 nach § 129 AO, da die erklärten Beiträge für eine Basisrenten-Versicherung der B Ltd. i.H.v. 2460 €, die die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfülle, nicht berücksichtigt worden seien.
5Diesen Antrag lehnte das Finanzamt A mit Bescheid vom 5.5.2010 ab, da der Kläger in seiner Steuererklärung den Abzug von Beiträgen zur Rürup-Rente nicht beantragt habe.
6Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch trug der Kläger vor, dass er die Beiträge für die Basisrenten-Versicherung bei der Erstellung der Steuererklärung zwar zutreffend in die – zugleich in Kopie vorgelegte – Entwurfsfassung des Mantelbogens eingetragen, sodann aber bei der Fertigung der Reinschrift diese Eintragung versehentlich nicht übernommen habe. Damit liege ein schlichter Übertragungsfehler vor, den das Finanzamt als offenbare Unrichtigkeit übernommen habe. Dieser Fehler sei für das Finanzamt offensichtlich gewesen, da der Steuererklärung eine Bescheinigung der B-Versicherung über die geleisteten Versicherungsbeiträge vom 17.2.2009 beigefügt gewesen sei, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Hieraus sei eindeutig erkennbar, dass der Versicherungsvertrag die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfülle. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 27.5.2009 X R 47/08) sei eine Unrichtigkeit offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung, deren Anlagen sowie den in der Akte befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergebe.
7Mit Einspruchsentscheidung vom 10.6.2011 wies der zwischenzeitlich zuständig gewordene Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Dem Finanzamt sei es nicht ohne weitere Prüfung möglich gewesen, den Fehler zu erkennen und zu beseitigen. Ein unvoreingenommener Dritter könne nicht anhand der Akte erkennen, dass dem Kläger ein Fehler bei Erstellen der Steuererklärung unterlaufen sei. Ebenfalls sei nicht ohne weitere Ermittlungen ersichtlich, dass die Bescheinigung der Versicherung mit der Steuererklärung eingereicht worden sei. Sofern dies der Fall gewesen sein sollte, sei eine unterlassene Sachverhaltsaufklärung durch den zuständigen Sachbearbeiter nicht auszuschließen. Hierbei handele es sich nicht um ein mechanisches Versehen, dass einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen wäre. Aufgrund der Verteilung der Feststellungslast müsse es zulasten des Klägers gehen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nicht nachgewiesen sei.
8Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger geltend, dass seinem Steuerberater und jetzigem Prozessbevollmächtigten bei der Übernahme des Mandats zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2009 der handschriftlich ausgefüllte Entwurf der Einkommensteuererklärung 2008 und der frankierte DIN A5 Briefumschlag, mit dem das Finanzamt – nach Durchführung der Einkommensteuerveranlagung 2008 – die nicht mehr benötigten Belege zurückgesandt habe, vorgelegt worden seien. Wie sein Steuerberater am 13.4.2014 eidesstattlich versichert habe, habe der handschriftlich ausgefüllte Mantelbogen die Eintragung zum Sonderausgabenabzug der Beiträge für die Basis Renten-Versicherung der B i.H.v. 2460 € enthalten und sich die Bescheinigung der B‑Versicherung vom 17.2.2009 in dem von dem Finanzamt zurückgesandten Briefumschlag befunden. Ebenso enthielte die in den Akten enthaltene Prüfberechnung der Einkommensteuer 2008 den auf den 10.6.2009 datierten Sachbearbeitervermerk „Belege zurück“. Er sowie sein Steuerberater seien daher ursprünglich davon ausgegangen, dass auch die dem Finanzamt eingereichte Steuererklärung die nämlichen Eintragungen zu den Sonderausgaben enthalte. Wenngleich sich dies nunmehr als unzutreffend herausgestellt habe, sei die bestandskräftige Steuerfestsetzung 2008 dennoch nach § 129 AO zu berichtigen, weil das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene übernommen habe.
9Demgegenüber könne sich der Beklagte nicht auf die Möglichkeit einer unterlassenen Sachverhaltsaufklärung berufen, die der Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit entgegenstünde. Denn die Abzugsfähigkeit der Versicherungsbeiträge sei aus der beigefügten Bescheinigung der B-Versicherung zweifelsfrei erkennbar gewesen. Von dieser Bescheinigung hätte der Sachbearbeiter auch ohne weiteres Kenntnis nehmen können, da der Steuererklärung keine umfangreichen Belege beigefügt gewesen seien. Für den Sachbearbeiter sei daher zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass der Kläger den Abzug der Basisrenten-Versicherungsbeiträge im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als Sonderausgaben begehrte. Für einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Tatsachen- oder Rechtsirrtum sei nach den hier gegebenen Verhältnissen des Einzelfalls nichts ersichtlich.
10Wenn sich der Beklagte aber nunmehr darauf berufe, dass die Bescheinigung vom 17.2.2009 nicht die Angabe enthalte, dass auch über die ausdrücklich ausgeschlossenen Verwertungsmöglichkeiten hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen bestehe, und der zuständige Sachbearbeiter den Sonderausgabenabzug deshalb möglicherweise aus Rechtsgründen oder aufgrund einer unterlassenen bzw. fehlerhaften Sachverhaltsaufklärung abgelehnt habe, so verkenne er, dass ihm, dem Kläger, in diesem Fall gemäß § 126 Abs. 3 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren wäre, weil die Finanzverwaltung ohne Erläuterung von dem Inhalt der Erklärung abgewichen sei.
11Schließlich stelle sich die Frage, ob die Rechtsbehelfsfrist gegen den Einkommensteuerbescheid vom 22.6.2009 deshalb gemäß § 356 Abs. 2 S. 1 AO ein Jahr betrage und deshalb der in einen zulässigen Einspruch umzudeutende Änderungsantrag vom 24.4.2010 innerhalb dieser Frist eingegangen sei, weil in der von dem Beklagten erteilten Rechtsbehelfsbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form hingewiesen worden sei. Hierzu werde das unter dem Az. X R 2/12 anhängige Revisionsverfahren Bezug genommen.
12Der Kläger beantragt,
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1. unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 5.5.2010 und der Einspruchsentscheidung vom 10.6.2011 den Beklagten zu verpflichten, den Kläger hinsichtlich der Berücksichtigung der geleisteten Beiträge für die Basisrenten-Versicherung i.H.v. 2460 € als Sonderausgaben im Wege der Änderung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 22.6.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden,,
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2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Eine Berichtigung nach § 129 AO sei ausgeschlossen, weil die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bestehe.
19Zwar sei es möglich, dass die Bescheinigung der B-Versicherung vom 17.2.2009 schlicht übersehen worden sei. Andernfalls hätte aber die Übernahme bzw. die Nichtübernahme der Angaben des Klägers nicht ohne rechtliche Würdigung erfolgen können, da bei den streitbefangenen Versicherungsbeiträgen zu prüfen sei, ob der zu Grunde liegende Versicherungsvertrag die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfülle. Voraussetzung sei u.a., dass die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag nicht vererblich, übertragbar, beleihbar, veräußerbar und kapitalisierbar seien und darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen bestehe. Zu der letzteren Voraussetzung enthalte die Bescheinigung der B-Versicherung vom 17.2.2009 keine Angaben. Es hätte daher einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurft, da für das Finanzamt nicht zweifelsfrei erkennbar gewesen sei, dass die fraglichen Versicherungsbeiträge die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug erfüllten. Diese Sachaufklärung sei möglicherweise unterlassen worden oder fehlerhaft erfolgt. Es könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Versicherungsbeiträge aufgrund der fehlenden Angabe nicht als Sonderausgaben berücksichtigt worden seien, weil der Bearbeiter die Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen und dies lediglich versehentlich nicht im Steuerbescheid erläutert habe.
20Im Übrigen habe der Kläger keinen Nachweis darüber erbracht, zu welchem Zeitpunkt die Bescheinigung vom 17.2.2009 erstmalig bei dem Finanzamt vorgelegt worden sei. Damit fehle es bereits an der Grundlage für die von dem Kläger angenommene Möglichkeit eines Übertragungsfehlers aufgrund schlichten Übersehens der Bescheinigung.
21Mit Urteil vom 20.11.2013 X R 2/12 habe der BFH entschieden, dass eine fehlerfreie Rechtsbehelfsbelehrung nicht den Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form erfordere. Demnach betrage die Rechtsbehelfsfrist einen Monat und habe am 27.7.2009 geendet. Der Änderungsantrag des Klägers vom 24.4.2010 könne daher nicht in einen zulässigen Einspruch umgedeutet werden.
22Entscheidungsgründe
23Die Klage ist begründet.
24Die Ablehnung der Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2008 in Bezug auf die Berücksichtigung der Beiträge für die Basisrenten-Versicherung i.H.v. 2460 € als Sonderausgaben ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit der Beklagte diese Ablehnung darauf gestützt hat, dass insoweit eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO nicht vorliege. Allerdings ist der begehrte Sonderausgabenabzug von dem dem Kläger obliegenden ergänzenden Nachweis abhängig, dass kein Anspruch auf Auszahlungen aus dieser Versicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht. Da es insoweit noch an der Spruchreife der Sache fehlt, wird der Beklagte verpflichtet, den Kläger hinsichtlich des Anspruchs auf Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2008 in Bezug auf die Berücksichtigung der Beiträge für die Basisrenten-Versicherung i.H.v. 2460 € als Sonderausgaben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 101 S. 2 FGO).
251. Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist.
26Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann (BFH-Urteile vom 12. April 1994 IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1, und vom 29. März 1990 V R 27/85, BFH/NV 1992, 711, m.w.N.).
27Eine offenbare Unrichtigkeit kann auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das Finanzamt erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (BFH-Urteile vom 20. Januar 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946, und vom 4. Juni 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801, m.w.N.). Eine offenbare Unrichtigkeit bei der Übernahme von Angaben des Steuerpflichtigen als eigene ist gegeben, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergibt, weil der Fehler auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (BFH-Urteil vom 20. Januar 2009, a.a.O., und BFH-Beschluss vom 27. Februar 2014 X B 157/13, BFH/NV 2014, 825).
28Ist jedoch die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535). Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter - ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht - jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22, m.w.N.; vom 23. Januar 1991 I R 26/90, BFH/NV 1992, 359; BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 1998 IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452; vom 12. April 1994, a.a.O., und vom 14. Februar 1995 IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (BFH-Entscheidungen vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3; vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277; vom 5. Februar 1998, a.a.O., und vom 27. Mai 1998, a.a.O.).
292. Nach diesen Grundsätzen, denen der erkennende Senat folgt, handelt es sich bei der Nichtberücksichtigung der zwar nicht im Mantelbogen, aber in der beiliegenden Bescheinigung der B-Versicherung vom 17.2.2009 ausgewiesenen Beiträge für die Basisrenten-Versicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.H.v. 2460 € bei der Einkommensteuerfestsetzung 2008 – vorbehaltlich der noch ausstehenden Klärung des Ausschlusses eines Anspruches auf Auszahlungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG – um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO.
30a. Die durch die eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten und dessen ergänzende Ausführungen in der mündlichen Verhandlung gestützte Darstellung des Klägers zur Vorlage der Bescheinigung vom 17.2.2009 mit der Steuererklärung bei dem Finanzamt A erscheint glaubhaft. Der Prozessbevollmächtigte hat in detaillierter Darstellung der Einzelumstände bekundet, dass sich die Bescheinigung der B‑Versicherung noch in dem geöffneten Umschlag befunden hat, mit dem die nicht mehr benötigten Belege – entsprechend dem aktenkundigen Sachbearbeitervermerk vom 10.6.2009 – von dem Finanzamt zurückgesandt worden sind. Soweit der Inhalt dieses DIN A5 Briefumschlages vor seiner Übersendung an den Prozessbevollmächtigten unverändert geblieben ist, muss die Versicherungsbescheinigung vom 17.2.2009 also dem Finanzamt A zusammen mit der Steuererklärung vorgelegt worden sein. Eine solche Veränderung des Inhaltes des von dem Finanzamt zur Belegrücksendung verwendeten Briefumschlages hat nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht stattgefunden. Diese Beweiswürdigung gründet darauf, dass die die Einkommensteuerveranlagung 2008 betreffenden Unterlagen dem Prozessbevollmächtigten nach dessen glaubhafter Bekundung nicht zur Überprüfung der Richtigkeit der Festsetzung des nämlichen Veranlagungszeitraums, sondern anlässlich dessen Mandatierung mit der Wahrnehmung der Steuerangelegenheiten des Klägers für das Veranlagungsjahr 2009 übersandt worden sind. Ein Anlass, aus dem heraus der Kläger vor dieser Übersendung an seinen Bevollmächtigten diese Unterlagen nochmals einer eingehenden Überprüfung unterziehen und dabei deren bisherige Sortierung ändern sollte, erscheint bei diesem Geschehensablauf fernliegend. Der Vortrag der Vorlage der Versicherungsbescheinigung bei dem Finanzamt mit der Steuererklärung 2008 wird weiterhin durch den vorgelegten handschriftlichen Entwurf der Steuererklärung des Klägers gestützt, in dem dieser die Beiträge zu der Basisrenten-Versicherung eingetragen hatte. Auch dieser Erklärungsentwurf war zum Zweck der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2009 zusammen mit den übrigen Unterlagen des Jahres 2008 dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden. Der Inhalt dieses Erklärungsentwurfs zu diesem Zeitpunkt wird daher von der Beweiskraft der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten erfasst. Hierzu hat der Bevollmächtigte bekundet, dass er aufgrund dieses Erklärungsentwurfs zunächst davon ausgegangen sei, dass ein tatsächlich eingetragener Wert in der Steuererklärung von dem Finanzamt versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Dies alles stimmt mit den aktenkundigen Abläufen und der Darstellung des Klägers zum Inhalt des Erklärungsentwurfs plausibel überein. Letztlich war bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, dass zumindest angesichts der lediglich im unteren dreistelligen Bereich liegenden Höhe der steuerlichen Auswirkung des streitigen Sonderausgabenabzugs die hypothetische Möglichkeit, dass der Kläger die seinem Bevollmächtigten übersandten Unterlagen zur Einkommensteuerveranlagung 2008 zu Zwecken der Beweismanipulation verändert haben könnte, um damit seinen Bevollmächtigten als mittelbares undoloses Werkzeug der Täuschung des Beklagten einzusetzen, bei lebensnaher Betrachtung außerhalb hinreichender Wahrscheinlichkeit anzusiedeln ist.
31b. Da sich nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung ein von dem Finanzamt übernommener offenbarer Fehler der Steuererklärung auch aus den dieser beigefügten Anlagen sowie aus den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben kann, begründeten die in der – dem Finanzamt mit der Steuererklärung vorgelegten – Bescheinigung der B-Versicherung ausgewiesenen Beiträge der Basisrenten-Versicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG einen offensichtlichen Widerspruch zu den Eintragungen in der Steuererklärung. Die nur theoretische Möglichkeit der Nichterfassung dieser Beiträge als Sonderausgaben aufgrund eines Rechtsirrtums oder einer unterlassenen Sachverhaltsermittlung reicht nicht aus. Das Verteidigungsvorbringen des Beklagten erschöpft sich indessen in dem Hinweis auf derartige bloße theoretische Möglichkeiten zur Ursache der Nichtberücksichtigung der streitigen Sonderausgaben. Bei lebensnaher Betrachtung der Verhältnisse des Einzelfalls muss indessen davon ausgegangen werden, dass der zuständige Bearbeiter des Finanzamts die vorliegende Bescheinigung der B-Versicherung bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen 2008 schlicht übersehen hat. Wäre es anders gewesen, erschiene nicht erklärlich, warum der Sachbearbeiter dem Kläger die Bescheinigung der B-Versicherung zurückgesandt und nicht zur Rechtfertigung der Abweichung von der Steuererklärung zum Aktenvorgang dieses Veranlagungszeitraums genommen hat. Weiterhin wird die Annahme eines schlichten Übersehens der Versicherungsbescheinigung auch dadurch gestützt, dass der Sachbearbeiter in den Erläuterungen des Bescheids nicht auf eine bewusste Abweichung von den erklärten Werten hingewiesen hat. Letztlich weist der hier zu beurteilende Sachverhalt Parallelen mit dem dem Beschluss des BFH vom 27. Februar 2014, a.a.O., zu Grunde liegenden Fall auf, in dem der BFH die nachträgliche Erfassung nicht erklärter, aber durch einen aktenkundigen Rentenbescheid belegter Renteneinkünfte nach § 129 AO u.a. deshalb gebilligt hatte, weil aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten ausgeschlossen werden könne, dass die steuerliche Erfassung der Rente infolge eines Rechtsirrtums unterblieben sei.
323. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 709 ZPO.
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Urteil einreichenFinanzgericht Köln Urteil, 03. Juli 2014 - 4 K 2025/11 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Verwaltungsakt erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird, - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird, - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird, - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Ergeht ein Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch, so beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Einspruchs nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei. § 110 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt sinngemäß.
Tatbestand
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I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schätzte den gesondert festzustellenden Gewinn des Gewerbetriebs "P" des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für die Streitjahre 2006 und 2007. Diese Schätzungsbescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem der Kläger im Dezember 2010 seine Gewinnermittlungen für alle Streitjahre eingereicht hatte, hob das FA mit Bescheiden vom 30. März 2011 die Vorbehalte der Nachprüfung für die Streitjahre 2006 und 2007 auf. Am gleichen Tag erließ das FA einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2008. Alle drei Bescheide waren mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen, die hinsichtlich der Form der Einspruchseinlegung den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) wiederholten. Daneben enthielten diese Bescheide die E-Mail-Adresse des FA. Infolge der bereits am 14. Januar 2011 ergangenen Aufforderung, Nachweise hinsichtlich der Gewinnermittlungen zu übersenden, bat der Kläger am 20. Mai 2011, die Schätzungen zurückzunehmen. Er habe krankheitsbedingt erst verspätet antworten können. Auf einen Hinweis des FA auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reagierte der Kläger nicht. Das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 wertete das FA als Einspruch gegen die Bescheide vom 30. März 2011, die es durch Entscheidung vom 26. Juli 2011 als unzulässig verwarf.
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Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hob mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 292 veröffentlichten Urteil die Einspruchsentscheidung auf. Der Einspruch sei fristgerecht eingegangen, da aufgrund des fehlenden Hinweises in den Rechtsbehelfsbelehrungen auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail die Jahresfrist aus § 356 Abs. 2 AO zum Tragen komme.
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Das FA begründet seine Revision damit, dass die Einlegung eines Einspruchs per E-Mail ein Unterfall der schriftlichen Einspruchseinlegung sei und eine Erweiterung der Rechtsbehelfsbelehrung zur Unübersichtlichkeit führe. Die Nichterwähnung der E-Mail führe nicht zu einer Erschwerung oder gar Gefährdung der Rechtsverfolgung und Fristwahrung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.
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Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 unvollständig seien, da ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail fehle. Das zutreffend als Einspruch zu wertende Schreiben des Klägers (unten 1.) hat die einmonatige Einspruchsfrist nicht gewahrt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren (unten 2.). Die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar, da die Rechtsbehelfsbelehrungen richtig und vollständig sind (unten 3.).
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1. Zutreffend haben FA und FG das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 als Einspruch gewertet. Auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen --wie dieses Schreiben-- sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359). Im vorliegenden Fall liegt in der Bitte des Klägers, die Schätzungen zurückzunehmen, ein Begehren i.S. des § 350 AO, das als Einspruch anzusehen ist.
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Der Einspruch ist schriftlich und damit jedenfalls formgerecht i.S. des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt worden.
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2. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Einspruch nicht innerhalb der Monatsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt wurde. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO war --auch von Amts wegen-- nicht zu gewähren, da der Kläger Tatsachen zur Begründung eines solchen Antrags trotz eines Hinweises des FA nicht dargelegt hat. Die bloße Erwähnung einer Krankheit im Einspruchsschreiben zwingt das FA nicht zu einer Prüfung der Wiedereinsetzung von Amts wegen. Da Krankheit nur ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen kann (vgl. statt vieler: Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz 147; Klein/ Rätke, AO, 11. Aufl., § 110 Rz 9, jeweils m.w.N.), hätte der Kläger weitere Tatsachen darlegen und --spätestens im Klageverfahren (vgl. Klein/Rätke, a.a.O., § 110 Rz 46; Pahlke/ Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 110 Rz 89, jeweils m.w.N.)-- gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO auch glaubhaft machen müssen. Für Amtsermittlungen ist in einem solchen Verfahren grundsätzlich kein Raum (BFH-Beschluss vom 23. Januar 2008 I B 101/07, BFH/NV 2008, 1290).
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO wäre auch dann nicht zu gewähren, wenn man den Vortrag der Klägerseite so verstünde, dass dem Kläger die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail nicht bekannt gewesen sei und er sich deshalb im Rechtsirrtum befunden habe. Es fehlt insoweit bereits an der Darlegung entsprechender Tatsachen innerhalb der in § 110 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzten Monatsfrist. Ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf dieser Antragsfrist ist unzulässig (BFH-Beschluss vom 26. Februar 2004 VI B 101/01, nicht veröffentlicht).
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3. Die Einspruchsfrist ist nicht gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe der Bescheide verlängert worden, da die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 vollständig und richtig erteilt worden sind. Hinsichtlich der Anforderungen an die Form der Einspruchseinlegung reicht es insoweit aus, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergeben.
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a) Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--; Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen, soll aber auch so einfach und klar wie möglich sein (Senatsurteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).
- 14
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Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch --bei objektiver Betrachtung-- die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (Senatsurteil vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; auch BFH-Beschluss vom 9. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448, jeweils m.w.N.).
- 15
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b) Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann noch vollständig und richtig ist, wenn sie hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes --im Fall der Einlegung des Einspruchs also den des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO-- wiederholt, und zwar auch in Bezug auf die Einlegung des Rechtsbehelfs per E-Mail. So stellte der III. Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Februar 2010 III B 20/09 (BFH/NV 2010, 830) klar, dass die Rechtsbehelfsbelehrung richtig und vollständig sei, wenn sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergebe. Auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form brauche die Behörde auch dann nicht hinzuweisen, wenn in der Erwähnung der Internetseite in der Fußzeile des Bescheides die konkludente Eröffnung eines "Zugangs" i.S. von § 87a Abs. 1 Satz 1 AO zu sehen sein sollte. Diese Rechtsprechung hat der III. Senat in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2012 III B 66/12 (BFH/NV 2013, 177) bestätigt.
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In seinem Beschluss vom 12. Dezember 2012 I B 127/12 (BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272) hat sich der I. Senat des BFH dieser Rechtsprechung angeschlossen. Nach dem maßgebenden objektiven Verständnishorizont sei bei Wiederholung des Wortlautes des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO kein unrichtiger bzw. missverständlicher Hinweis zu den Formerfordernissen erteilt worden. Das FA sei weder gehalten, einen ergänzenden Hinweis auf § 87a AO (elektronische Form als Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten Schriftform) zu geben, ebenso wie es umgekehrt nicht gehalten sei, angesichts der ergänzenden Regelung des § 87a AO einen Hinweis, der sich auf § 357 Abs. 1 Satz 1 AO beschränke, zu unterlassen. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" entsprechend § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wirke weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Der Betroffene werde in die Lage versetzt, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" aufzufassen sei, angesichts der technischen Weiterentwicklungen zu modifizieren sei.
- 17
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c) Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des I. und III. Senats an und knüpft hierbei an seine Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 an, die es ausreichen lässt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Berechnung der Einspruchsfrist den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen wiedergibt.
- 18
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aa) Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form (schriftlich oder elektronisch) belehrt worden ist. Über die Form des Einspruchs selbst ist hiernach nicht (zwingend) zu belehren.
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Allerdings muss eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064, unter II.2.a, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Maßstäben, die der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 aufgestellt hat (s.o. unter 3.a).
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bb) Der Senat hat gerade mit Rücksicht auf die im Interesse des Steuerpflichtigen liegende Klarheit der Rechtsbehelfsbelehrung in dieser Entscheidung zu einem Fall, in dem die Frage des Fristbeginns in Rede stand, ausgeführt (unter II.2.c d), es sei ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergebe und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichte. Letzteres setze nach allgemeiner Meinung nicht voraus, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genüge eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung sei den Beteiligten überlassen. Auf sämtliche Modalitäten könne kaum hingewiesen werden.
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cc) Es besteht keine Veranlassung, bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
- 22
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Die Frist ist eine solche Pflichtangabe. Wenn es aber selbst zu der --im Einzelfall sehr komplizierten-- Berechnung der Frist ausreicht, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, so muss dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
- 23
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Das bedeutet für die Form der Einspruchseinlegung, dass es genügt, den Wortlaut der insoweit maßgeblichen Vorschrift, nämlich des § 357 Abs. 1 AO, wiederzugeben. Dies ist in den Bescheiden vom 30. März 2011 unstreitig geschehen.
Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.
Tatbestand
- 1
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I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schätzte den gesondert festzustellenden Gewinn des Gewerbetriebs "P" des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für die Streitjahre 2006 und 2007. Diese Schätzungsbescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem der Kläger im Dezember 2010 seine Gewinnermittlungen für alle Streitjahre eingereicht hatte, hob das FA mit Bescheiden vom 30. März 2011 die Vorbehalte der Nachprüfung für die Streitjahre 2006 und 2007 auf. Am gleichen Tag erließ das FA einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2008. Alle drei Bescheide waren mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen, die hinsichtlich der Form der Einspruchseinlegung den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) wiederholten. Daneben enthielten diese Bescheide die E-Mail-Adresse des FA. Infolge der bereits am 14. Januar 2011 ergangenen Aufforderung, Nachweise hinsichtlich der Gewinnermittlungen zu übersenden, bat der Kläger am 20. Mai 2011, die Schätzungen zurückzunehmen. Er habe krankheitsbedingt erst verspätet antworten können. Auf einen Hinweis des FA auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reagierte der Kläger nicht. Das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 wertete das FA als Einspruch gegen die Bescheide vom 30. März 2011, die es durch Entscheidung vom 26. Juli 2011 als unzulässig verwarf.
- 2
-
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hob mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 292 veröffentlichten Urteil die Einspruchsentscheidung auf. Der Einspruch sei fristgerecht eingegangen, da aufgrund des fehlenden Hinweises in den Rechtsbehelfsbelehrungen auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail die Jahresfrist aus § 356 Abs. 2 AO zum Tragen komme.
- 3
-
Das FA begründet seine Revision damit, dass die Einlegung eines Einspruchs per E-Mail ein Unterfall der schriftlichen Einspruchseinlegung sei und eine Erweiterung der Rechtsbehelfsbelehrung zur Unübersichtlichkeit führe. Die Nichterwähnung der E-Mail führe nicht zu einer Erschwerung oder gar Gefährdung der Rechtsverfolgung und Fristwahrung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.
- 4
-
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
- 6
-
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
- 7
-
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 unvollständig seien, da ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail fehle. Das zutreffend als Einspruch zu wertende Schreiben des Klägers (unten 1.) hat die einmonatige Einspruchsfrist nicht gewahrt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren (unten 2.). Die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar, da die Rechtsbehelfsbelehrungen richtig und vollständig sind (unten 3.).
- 8
-
1. Zutreffend haben FA und FG das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 als Einspruch gewertet. Auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen --wie dieses Schreiben-- sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359). Im vorliegenden Fall liegt in der Bitte des Klägers, die Schätzungen zurückzunehmen, ein Begehren i.S. des § 350 AO, das als Einspruch anzusehen ist.
- 9
-
Der Einspruch ist schriftlich und damit jedenfalls formgerecht i.S. des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt worden.
- 10
-
2. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Einspruch nicht innerhalb der Monatsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt wurde. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO war --auch von Amts wegen-- nicht zu gewähren, da der Kläger Tatsachen zur Begründung eines solchen Antrags trotz eines Hinweises des FA nicht dargelegt hat. Die bloße Erwähnung einer Krankheit im Einspruchsschreiben zwingt das FA nicht zu einer Prüfung der Wiedereinsetzung von Amts wegen. Da Krankheit nur ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen kann (vgl. statt vieler: Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz 147; Klein/ Rätke, AO, 11. Aufl., § 110 Rz 9, jeweils m.w.N.), hätte der Kläger weitere Tatsachen darlegen und --spätestens im Klageverfahren (vgl. Klein/Rätke, a.a.O., § 110 Rz 46; Pahlke/ Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 110 Rz 89, jeweils m.w.N.)-- gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO auch glaubhaft machen müssen. Für Amtsermittlungen ist in einem solchen Verfahren grundsätzlich kein Raum (BFH-Beschluss vom 23. Januar 2008 I B 101/07, BFH/NV 2008, 1290).
- 11
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO wäre auch dann nicht zu gewähren, wenn man den Vortrag der Klägerseite so verstünde, dass dem Kläger die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail nicht bekannt gewesen sei und er sich deshalb im Rechtsirrtum befunden habe. Es fehlt insoweit bereits an der Darlegung entsprechender Tatsachen innerhalb der in § 110 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzten Monatsfrist. Ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf dieser Antragsfrist ist unzulässig (BFH-Beschluss vom 26. Februar 2004 VI B 101/01, nicht veröffentlicht).
- 12
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3. Die Einspruchsfrist ist nicht gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe der Bescheide verlängert worden, da die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 vollständig und richtig erteilt worden sind. Hinsichtlich der Anforderungen an die Form der Einspruchseinlegung reicht es insoweit aus, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergeben.
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a) Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--; Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen, soll aber auch so einfach und klar wie möglich sein (Senatsurteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).
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Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch --bei objektiver Betrachtung-- die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (Senatsurteil vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; auch BFH-Beschluss vom 9. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448, jeweils m.w.N.).
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b) Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann noch vollständig und richtig ist, wenn sie hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes --im Fall der Einlegung des Einspruchs also den des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO-- wiederholt, und zwar auch in Bezug auf die Einlegung des Rechtsbehelfs per E-Mail. So stellte der III. Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Februar 2010 III B 20/09 (BFH/NV 2010, 830) klar, dass die Rechtsbehelfsbelehrung richtig und vollständig sei, wenn sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergebe. Auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form brauche die Behörde auch dann nicht hinzuweisen, wenn in der Erwähnung der Internetseite in der Fußzeile des Bescheides die konkludente Eröffnung eines "Zugangs" i.S. von § 87a Abs. 1 Satz 1 AO zu sehen sein sollte. Diese Rechtsprechung hat der III. Senat in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2012 III B 66/12 (BFH/NV 2013, 177) bestätigt.
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In seinem Beschluss vom 12. Dezember 2012 I B 127/12 (BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272) hat sich der I. Senat des BFH dieser Rechtsprechung angeschlossen. Nach dem maßgebenden objektiven Verständnishorizont sei bei Wiederholung des Wortlautes des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO kein unrichtiger bzw. missverständlicher Hinweis zu den Formerfordernissen erteilt worden. Das FA sei weder gehalten, einen ergänzenden Hinweis auf § 87a AO (elektronische Form als Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten Schriftform) zu geben, ebenso wie es umgekehrt nicht gehalten sei, angesichts der ergänzenden Regelung des § 87a AO einen Hinweis, der sich auf § 357 Abs. 1 Satz 1 AO beschränke, zu unterlassen. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" entsprechend § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wirke weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Der Betroffene werde in die Lage versetzt, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" aufzufassen sei, angesichts der technischen Weiterentwicklungen zu modifizieren sei.
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c) Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des I. und III. Senats an und knüpft hierbei an seine Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 an, die es ausreichen lässt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Berechnung der Einspruchsfrist den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen wiedergibt.
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aa) Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form (schriftlich oder elektronisch) belehrt worden ist. Über die Form des Einspruchs selbst ist hiernach nicht (zwingend) zu belehren.
- 19
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Allerdings muss eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064, unter II.2.a, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Maßstäben, die der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 aufgestellt hat (s.o. unter 3.a).
- 20
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bb) Der Senat hat gerade mit Rücksicht auf die im Interesse des Steuerpflichtigen liegende Klarheit der Rechtsbehelfsbelehrung in dieser Entscheidung zu einem Fall, in dem die Frage des Fristbeginns in Rede stand, ausgeführt (unter II.2.c d), es sei ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergebe und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichte. Letzteres setze nach allgemeiner Meinung nicht voraus, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genüge eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung sei den Beteiligten überlassen. Auf sämtliche Modalitäten könne kaum hingewiesen werden.
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cc) Es besteht keine Veranlassung, bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
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Die Frist ist eine solche Pflichtangabe. Wenn es aber selbst zu der --im Einzelfall sehr komplizierten-- Berechnung der Frist ausreicht, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, so muss dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
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Das bedeutet für die Form der Einspruchseinlegung, dass es genügt, den Wortlaut der insoweit maßgeblichen Vorschrift, nämlich des § 357 Abs. 1 AO, wiederzugeben. Dies ist in den Bescheiden vom 30. März 2011 unstreitig geschehen.
Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.
Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.
Tatbestand
- 1
-
I. Mit ihrer Klage wandten sich die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen die erstmalige Erfassung der von der Klägerin ab April 2005 bezogenen Regelaltersrente in einem Änderungsbescheid, den der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Anschluss an die elektronische Übermittlung der Rentenbezugsmitteilung im Oktober 2010 erlassen hatte. Das FA begründete die Änderung zunächst mit der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Nach dem Vortrag der Kläger im Einspruchsverfahren, im Mantelbogen der von ihren Prozessbevollmächtigten erstellten Einkommensteuererklärung sei nicht nur das Kästchen "Renten laut Anlage R" angekreuzt gewesen, der Erklärung seien vielmehr auch sowohl die entsprechende Anlage R sowie eine Ablichtung des Rentenbescheids beigefügt gewesen, stützte es die nachträgliche Erfassung der Renteneinkünfte alternativ auf § 129 AO.
- 2
-
Das Finanzgericht (FG) stellte fest, dass in der Einkommensteuerakte der Kläger weder eine Anlage R für die Klägerin noch ein entsprechender Rentenbescheid enthalten waren. Durch Vernehmung der Sachbearbeiterin als Zeugin konnte auch nicht geklärt werden, ob die Anlage R und/oder (zumindest) der Rentenbescheid im Zeitpunkt der Veranlagung vorgelegen hatten. Nach Ansicht des FG konnte dieser Umstand aber letztlich offen bleiben, da das FA unabhängig hiervon --entweder nach § 129 AO oder gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO-- zum Erlass des Änderungsbescheids berechtigt gewesen sei.
- 3
-
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) begehren.
Entscheidungsgründe
- 4
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
- 5
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1. Die Kläger sind der Ansicht, das FG weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. November 1970 V R 71/67 (BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220) ab, weil es bei der Prüfung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Verweis auf das BFH-Urteil vom 19. November 2008 II R 10/08 (BFH/NV 2009, 548) sowie den Senatsbeschluss vom 14. Mai 2013 X B 33/13 (BFHE 241, 9, BStBl II 2013, 997) davon ausgehe, hinsichtlich des Grades der erforderlichen Kenntnis sei zu differenzieren: Während der Inhalt, der in der zuständigen Dienststelle geführten Steuerakten als bekannt gelte, ohne dass es insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankomme, sei hingegen bei Tatsachen, die sich nicht aus den Akten ergäben, die positive Kenntnis des zuständigen Bearbeiters erforderlich. Demgegenüber habe der BFH in dem Urteil in BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220 entschieden, dass dem FA die Sachverhalte bekannt seien, die sich aus den gehefteten oder lose geführten Aktenvorgängen des Steuerpflichtigen ergäben, wozu auch der Inhalt solcher Schriftstücke gehöre, die den Akten zuwüchsen und die zuständige Dienststelle im normalen Geschäftsgang erreicht hätten, ohne dass der Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter die Akten oder Schriftstücke lesen und deren Inhalt in ihr Wissen aufnehmen müsse.
- 6
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a) Zwar spricht viel dafür, dass das FG insoweit tatsächlich von dem BFH-Urteil in BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220 abgewichen ist, als es im Rahmen der (alternativ) vorgenommenen Prüfung des Greifens des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO angenommen hat, diese Norm sei bereits dann erfüllt, wenn dem FA zwar der Rentenbescheid der Klägerin vorgelegen hätte, die Sachbearbeiterin diesen aber nicht positiv zur Kenntnis genommen habe. Diese Annahme des FG deutet darauf hin, dass das FG den der Steuererklärung lose beigefügten Rentenbescheid abweichend von dem vorstehend genannten BFH-Urteil nicht als Aktenbestandteil angesehen hat. Geht man hingegen entgegen der Ansicht des FG davon aus, dass der Rentenbescheid Bestandteil der Akten gewesen ist, dann steht dies der Annahme entgegen, dass der Inhalt dieses Bescheids eine neue Tatsache i.S. des § 173 AO ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Entscheidungen in BFH/NV 2009, 548 und in BFHE 241, 9, BStBl II 2013, 997. Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass es allein darauf ankommt, ob der Bescheid der Steuererklärung beigelegen hat, nicht aber, ob dieses Schriftstück --wie im Streitfall-- später nach wie vor Bestandteil der Akten ist.
- 7
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b) Die angefochtene Entscheidung des FG erweist sich jedoch im Ergebnis aus anderen Gründen entsprechend § 126 Abs. 4 FGO als richtig, was der Zulassung auch dann entgegensteht, wenn an sich eine der Zulassungsvoraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt (BFH-Beschluss vom 13. Juli 2007 VII B 105/07, BFH/NV 2007, 2300).
- 8
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Im Streitfall lässt sich zwar mittlerweile nicht mehr klären, ob der Ende Februar 2006 beim FA eingereichten Einkommensteuererklärung zumindest der Rentenbescheid und ggf. auch die Anlage R beilagen. Das FG hat sich jedoch durch die Zeugenvernehmung der Sachbearbeiterin W des FA davon überzeugen können, dass diese die Renteneinkünfte der Klägerin nicht bewusst außer Ansatz gelassen hat. Hiervon ausgehend waren in jedem der im Streitfall denkbaren Sachverhaltskonstellationen die Voraussetzungen einer Änderungsnorm erfüllt, die das FA zum Erlass des in Frage stehenden Änderungsbescheids berechtigten:
- 9
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aa) Hatte die Klägerin zu ihrer Regelaltersrente in der Steuererklärung 2005 keine Angaben gemacht und auch keine diese Rente betreffenden Unterlagen beigefügt, dann war das FA, nachdem es von diesen Renteneinkünften Kenntnis erlangt hat, zum Erlass des Änderungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt. Dies stellen die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung im Ergebnis auch nicht in Abrede.
- 10
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bb) Hatte hingegen dem FA der einschlägige Rentenbescheid vorgelegen, dann war dem FA zwar der Bezug dieser Renteneinkünfte bekannt und es waren daher die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht erfüllt. In diesem Fall war aber das FA berechtigt, den ursprünglichen Bescheid gemäß § 129 Satz 1 AO zu berichtigen. Ein Fehler ist nämlich im Sinne dieser Vorschrift offenbar, wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Entscheidend ist, ob sich das Vorliegen eines solchen Fehlers für einen unvoreingenommenen Dritten ohne weiteres aus der Steuererklärung, deren Anlagen sowie aus den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergibt (Senatsurteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946). Hat dem FA im Streitfall der Rentenbescheid vorgelegen und war dem FA daher bekannt, dass die Klägerin ab April 2005 eine Regelaltersrente bezog, dann kann aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten ausgeschlossen werden, dass die steuerliche Erfassung dieser Rente infolge eines Rechtsirrtums unterblieben ist, da von der Bundesanstalt für Angestellte geleistete Regelaltersrenten ab dem Jahr 2005 den klassischen Anwendungsbereich des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffen. Dies wird auch durch die Aussage der Zeugin W bestätigt, wonach die Nichterfassung der Renteneinkünfte trotz Vorliegens eines Rentenbescheids nur auf einem mechanischen Versehen beruhen konnte.
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2. Die weitere Rüge, die Entscheidung des FG weiche von dem BFH-Urteil vom 28. April 1998 IX R 49/96 (BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458) ab, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
- 12
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Der Senat kann bereits nicht erkennen, dass das FG einen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt hat, wonach ein Steuerpflichtiger, der der eingereichten Steuererklärung aus nicht aufklärbaren Gründen nicht die für diese Einkünfte maßgebliche Anlage beilegt, jedoch den Sachverhalt gegenüber dem FA im Rahmen seiner Steuererklärung voll umfänglich erklärt, nicht seiner Mitwirkungspflicht genügt.
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Das FG hat den Tatbestand des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit (d.h. in Abgrenzung zu § 129 AO) zutreffend unter der Annahme geprüft, der Einkommensteuererklärung habe weder die Anlage R noch der Rentenbescheid beigelegen. Von dieser Annahme ging es ersichtlich auch bei der Prüfung aus, ob ein die Änderung ausschließender Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht gegeben war. So leitete es seine Ausführungen ein: "Unter der alternativen Annahme, dass der von den Klägern eingereichten Steuererklärung nicht die Anlage R der Klägerin beigelegen hat, haben die Kläger unvollständige Angaben gemacht und haben insoweit ihrer Mitwirkungspflicht nicht genügt." Etwas anderes hat das FG insoweit nicht geprüft, wenngleich der Senat einräumt, dass es in Verbindung mit den vorangehenden Ausführungen des FG zum Vorliegen einer neuen Tatsache (insbesondere der Satz "Die Angaben der Zeugin sprechen dafür, dass die Rentenbescheide entweder nicht mit übersandt worden waren oder die Zeugin diese nicht positiv zu Kenntnis genommen hat.") durchaus zu Missverständnissen kommen kann.
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Den zitierten BFH-Urteilen vom 3. August 1967 IV 111/63 (BFHE 90, 6, BStBl III 1967, 766) und vom 28. August 1974 I R 18/73 (BFHE 114, 180, BStBl II 1975, 166) haben die Kläger schon keinen abstrakten Rechtssatz des FG gegenübergestellt.
Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.