Finanzgericht Hamburg Beschluss, 17. Nov. 2015 - 4 V 121/15

bei uns veröffentlicht am17.11.2015

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrabgabenbescheids, mit dem Antidumpingzölle nacherhoben wurden.

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In der Zeit vom 14.-20.01.2015 meldete der Antragsteller, vertreten durch die A Internationale Speditionsgesellschaft mbH, in 39 Fällen Fahrräder zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr mit Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer bei innergemeinschaftlicher Weiterleitung unter Verwendung der TARIC-Warennummer 76120030 10 0 und dem Zusatzcode XXYY an. Dieser Code steht für das nach der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013 von einem Antidumpingzoll ausgenommene Unternehmen B ... (im Folgenden: B) aus Sri Lanka. Für die Aufstellung der einzelnen Einfuhrvorgänge wird auf Bl. 850 der Sachakte verwiesen.

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Den Einfuhren lagen vier Handelsrechnungen vom 21. bzw. 29.12.2014 des Herstellers B vom 21.12.2014 zugrunde (Bl. 854 bis 857 der Sachakte), die bei der Einfuhrabfertigung vorlagen. Sie enthalten den folgenden Zusatz:
I, the undersigned, [3654, 3596, 3368 bzw. 2954] Sets of bicycles, sold for export to the European Union covered by this invoice was manufactured by B, No. ..., X-Straße, C, D (Tariff Code 8712003010) in Sri Lanka.
I declare that the information provided in this invoice is complete and correct.
Die Rechnungen sind unterschrieben, enthalten aber außer dem im Rechnungskopf angegebenen Datum keine weitere Datumsangabe.

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Mit einer Ausnahme wurde in allen Fällen lediglich der anwendbare Drittlandszollsatz festgesetzt. Bei Prüfung der Einfuhranmeldung Nr. AT/C/42/...-1 vom 19.01.2015 stellte das Zollamt E jedoch fest, dass die vorgelegte Handelsrechnung nicht den Vorgaben von Art. 1 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013 entsprach, weil sie nicht den TARIC-Zusatzcode XXYY enthielt und bei der Unterschrift das Datum fehlte. Da somit nach Auffassung des Antragsgegners die Voraussetzungen für die Befreiung vom Antidumpingzoll nicht gegeben seien, setzte er mit Einfuhrabgabenbescheid Nr. AT/C/42/...-1 vom 19.01.2015 neben Drittlandszoll Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 %, mithin 7.688,99 Euro, fest. Hinsichtlich dieser Einfuhrabgaben stellte der Antragsteller mit Schreiben vom 20.01.2015 einen Erstattungsantrag. Bei dessen Prüfung bemerkte der Antragsgegner, dass bei den weiteren 38 Einfuhren des Antragstellers von Fahrrädern desselben Herstellers die eingereichten Handelsrechnungen dieselben Fehler aufwiesen.

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Daher lehnte der Antragsgegner nicht nur mit Bescheid Nr. AT/S/00/...-2 vom 26.01.2015 (Bl. 858 der Sachakte) die Erstattung des mit Bescheid vom 19.01.2015 erhobenen Antidumpingzolls ab, sondern erhob mit Bescheid Nr. AT/S/00/...-3 vom 17.02.2015 für die weiteren 38 Einfuhren Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 %, mithin insgesamt € 300.306,48, nach. Da die Voraussetzungen für die Befreiung vom Antidumpingzoll nicht vorlägen, sei der für alle übrigen Unternehmen geltende Antidumpingzollsatz anzuwenden. Die Erstattung der Einfuhrabgaben nach Art. 236 ZK sei nicht vorgesehen, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Begünstigung bereits im Zeitpunkt der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorliegen müssten.

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Mit Schreiben vom 20.02.2015 legte der Antragsteller Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Er beruft sich auf das Drohen eines unersetzbaren Schadens gem. Artikel 244 Unterabs. 2, 2. Alt. ZK. Wenn den Zollbeamten gleich bei der ersten Einfuhr aufgefallen wäre, dass die Handelsrechnung nicht korrekt ausgestellt worden sei, hätte er entsprechend reagieren können. Durch die Nacherhebung sei seine geschäftliche und private Existenz bedroht.

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Mit Schreiben vom 22.03.2015 legte der Antragsteller seine wirtschaftlichen Umstände dar. Gegenwärtig beziehe er Arbeitslosengeld II und erwarte ab dem 01.12.2015 eine Altersrente in Höhe von ca. 820 €. Seine privaten Schulden bei zehn Inkassounternehmen beliefen sich auf ca. 380.000 €. Mit seiner freiberuflichen Tätigkeit habe er im Jahr 2013 noch Verluste erwirtschaftet. Im Folgejahr habe er einen Überschuss vor Steuern in Höhe von ca. 15.500 € erzielt.

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Mit Bescheid vom 21.04.2015 (...) lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheides Nr. AT/S/00/...-3 vom 17.02.2015 ab. Es lägen keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vor. Der Antragsteller habe auch nicht dargelegt, dass ein unersetzbarer Schaden drohe, wenn der Bescheid vollzogen werde. Vorliegend sei Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 501/2013 anwendbar, mit dem der endgültige Antidumpingzoll "für alle übrigen Unternehmen" gem. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 990/2011 auf Einfuhren von Fahrrädern insbesondere aus Sri Lanka ausgedehnt worden sei. Dieser Antidumpingzoll sei anzuwenden, weil die Ausnahme gem. Art. 1 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 501/2013 nicht erfüllt sei. Die Handelsrechnungen, die der Antragsteller vorgelegt habe, erfüllten nämlich nicht die unter Ziff. 2 des Anhangs dieser Verordnung genannte Anforderung, dass der TARIC-Zusatzcode für den Hersteller B (XXYY) angegeben werden müsse. Die Angabe dieses Zusatzcodes in der elektronischen Einfuhranmeldung sei nicht ausreichend. Außerdem fehle das in Ziff. 3 des Anhangs genannte Datum. Nach ständiger Rechtsprechung müssten diese Anforderungen bei Annahme der Zollanmeldung vorliegen. Art. 220 ZK stehe der Nacherhebung nicht entgegen. Die Voraussetzungen von Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b, Unterabs. 1 ZK lägen nicht vor. Selbst wenn der Antragsgegner einem aktiven Irrtum unterlegen wäre, hätte dies dem Antragsteller vernünftigerweise auffallen müssen. Im Anhang der Verordnung (EU) Nr. 501/2013 sei nämlich klar geregelt, wie eine Handelsrechnung ausgestaltet sein müsse. Dem Antragsteller drohe auch kein unersetzbarer Schaden, der gerade durch die angefochtene Entscheidung verursacht würde. An einer solchen Kausalität zwischen sofortiger Vollziehung und dem Schaden fehle es, wenn die Insolvenz des Abgabenschuldners ohnehin eintrete oder sicher zu erwarten sei. Die dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse ließen nicht erkennen, dass der Antragsteller seine Schulden in absehbarer und vertretbarer Zeit werde tilgen können. Es liege ohnehin eine hohe Verschuldung vor, die zu einer eventuellen Insolvenz führe.

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Mit Schreiben vom 28.04.2015 legte der Antragsteller Einspruch gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung ein. Er sei gutgläubig und ihn treffe kein Verschulden an der möglicherweise ursprünglich fehlerhaften Festsetzung der Einfuhrabgaben. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach Art. 8 ZK lägen nicht vor. Wegen seiner finanziellen Lage könne der geltend gemachte Anspruch nicht realisiert werden. Alle Bemühungen zum Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz würden bei Vollstreckung des Bescheids endgültig zerschlagen werden.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 19.08.2015 wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück. Er vertieft die Begründung des angefochtenen Bescheids. Im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes nach Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b ZK habe jeder Wirtschaftsteilnehmer, auch der rechtlich unerfahrene, die Pflicht, sich über das geltende Recht zu informieren. Im Übrigen sei die rechtliche Grundlage nicht kompliziert. Aus der Verordnung (EU) Nr. 501/2013 gehe eindeutig hervor, was mit dem firmenspezifischen Zusatzcode gemeint sei.

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Mit dem am 22.08.2015 gestellten gerichtlichen Eilantrag verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Änderung der bereits bestandskräftig festgesetzten 38 Einfuhrabgabenbescheide. Der Antragsgegner habe durch die beanstandungslose Abfertigung von 38 nämlichen Einfuhren einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Auf § 89 Abs. 1 AO werde hingewiesen. Den Antragsgegner treffe ein überwiegendes Mitverschulden und es stelle sich die Frage der Amtshaftung. Es sei zynisch zu behaupten, die Rechtslage sei einfach gewesen, obwohl 38 Einfuhren zunächst beanstandungslos abgefertigt worden seien.

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Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids Nr. AT/S/00/...-3 vom 17.02.2015 auszusetzen.

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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

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Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor: Lediglich in vier von 39 Fällen seien die Voraussetzungen für die Befreiung des Antidumpingzolls geprüft worden (Zollanmeldungen Nr. AT/C/42/...-4, ...-1, ...-5 und ...-6). In einem dieser Fälle sei schließlich aufgefallen, dass die Handelsrechnung nicht ordnungsgemäß ausgestellt gewesen sei. In den übrigen Fällen seien die Unterlagen lediglich hinsichtlich der einfuhrumsatzsteuerfreien Lieferung geprüft worden. Die Angabe des Zusatzcodes auf der Handelsrechnung sei keine bloße Formalie. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe darauf hingewiesen, dass Befreiungen von Antidumpingzöllen als Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien. Eine Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz sei bei dem Antragsteller, der Einzelkaufmann sei, schon deshalb nicht möglich, weil er sich auf die Pfändungsschutzvorschriften der Abgabenordnung berufen könne.

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Bei der Entscheidung hat die Rechtsbehelfsakte vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Nacherhebungsbescheids vom 17.02.2015 bleibt ohne Erfolg.

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In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist geklärt, dass im Geltungsbereich des Zollkodex auch im finanzgerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO die Vorschriften des Art. 244 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG L 302/1; Zollkodex - ZK) über die Aussetzung der Vollziehung im Verwaltungsverfahren anzuwenden sind (vgl. BFH, Beschluss vom 11.07.2000, VII B 41/00). Art. 244 Unterabs. 2 Zollkodex bestimmt, dass die Zollbehörden die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aussetzen, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Begründete Zweifel in diesem Sinne bestehen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH, Beschluss vom 22.11.1994, VII B 140/94).

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Nach dem vorstehend aufgezeigten Prüfungsmaßstab vermag der Senat nicht festzustellen, dass begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides bestehen (dazu 1.). Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die sofortige Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht (dazu 2.).

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1. Die Nacherhebung der mit Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 geltend gemachten Antidumpingzölle dürfte zu Recht erfolgt sein. Der entstandene Antidumpingzoll wurde bisher nicht erhoben (dazu 1.1). Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er sich auf Vertrauensschutz berufen kann (dazu 1.2).

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1.1 Der nacherhobene Antidumpingzoll dürfte entstanden sein. Ermächtigungsgrundlage für die Nacherhebung von Antidumpingzoll ist Art. 220 Abs. 1 S. 1 ZK. Danach hat die buchmäßige Erfassung einer Zollschuld zu erfolgen, die nicht buchmäßig erfasst worden ist. Diese Vorschrift ist lex specialis zu dem vom Antragsteller genannten Art. 8 ZK, der die Rücknahme begünstigender Entscheidungen nur unter bestimmten Umständen zulässt. Als unmittelbar anwendbares Unionsrechts geht Art. 220 ZK dem nationalen Abgabenrecht vor (Alexander, in: Witte, Zollkodex, 6. Aufl. 2013, vor Art. 220, Rn. 11), so dass der Antragsteller auch aus § 89 AO Nichts für sich ableiten kann.

21

Nicht erhoben wurde Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 % gemäß Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013 vom 29.05.2013 zur Ausweitung des mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 990/2011 eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China auf aus Indonesien, Malaysia, Sri Lanka und Tunesien versandte Einfuhren von Fahrrädern, ob als Ursprungserzeugnisse Indonesiens, Malaysias, Sri Lankas oder Tunesiens angemeldet oder nicht (ABl. EU L 153/1 vom 05.06.2013; im Folgenden: Verordnung Nr. 501/2013) in Verbindung mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 990/2011 vom 03.10.2011 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China im Anschluss an eine Auslaufüberprüfung nach Artikel 11 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 (ABl. EU L 261/2 vom 06.10.2011; im Folgenden: Verordnung Nr. 990/2011).

22

Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 990/2011 wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt auf die Einfuhren von Zweirädern, ohne Motor, mit Ursprung in der VR China, die derzeit insbesondere in die Unterposition 8712 0030 KN eingereiht werden. Nach Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung beträgt der endgültige Antidumpingzollsatz auf den Nettopreis frei Grenze unverzollt 48,5 %. Durch Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 wird dieser endgültige Antidumpingzoll grundsätzlich ausgeweitet "für alle übrigen Unternehmen", die derartige Waren insbesondere aus Sri Lanka in die Union versenden. Eine Ausnahme gilt für diejenigen Zweiräder, die von den im Einzelnen aufgeführten Unternehmen hergestellt werden (Art. 1 Abs. 1 a. E. der Verordnung Nr. 501/2013). Nach Art. 1 Abs. 2 S. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 setzt die Befreiung vom Antidumpingzoll für die im einzelnen aufgeführten Hersteller voraus, dass den Zollbehörden der Mitgliedstaaten eine gültige Handelsrechnung vorgelegt wird, die den im Anhang der Verordnung festgelegten Anforderungen entspricht. Danach muss die gültige Handelsrechnung die folgenden Angaben enthalten:
1. Name und Funktion der im Unternehmen für die Ausstellung von Handelsrechnungen zuständigen Person.
2. Folgende Erklärung: "Der/Die Unterzeichnete versichert, dass die auf dieser Rechnung aufgeführten und zur Ausfuhr in die Europäische Union verkauften [Mengenangabe] [betroffene Ware] von [Name und Anschrift des Unternehmens] [TARIC-Zusatzcode] in [betroffenes Land] hergestellt wurden und dass die Angaben auf dieser Rechnung vollständig und richtig sind".
3. Datum und Unterschrift.
Die englische Fassung von Nr. 2 des Anhangs lautet:
The following declaration: 'I, the undersigned, certify that the (volume) of (product concerned) sold for export to the European Union covered by this invoice was manufactured by (company name and address) (TARIC additional code) in (country concerned). I declare that the information provided in this invoice is complete and correct';
Wird eine Handelsrechnung, die diesen Anforderungen nicht genügt, vorgelegt, ist der gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 990/2011 geltende Antidumpingzoll zu erheben (Art. 1 Abs. 2 S. 2 der Verordnung Nr. 501/2013).

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Die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 liegen vor. Der maßgebliche Zeitpunkt hierfür ist die Annahme der Zollanmeldung (Art. 67 ZK i. V. m. Art. 1 Abs. 4 Verordnung Nr. 501/2013; siehe auch FG Hamburg, Urteil vom 20.06.2006 - 4 K 193/03 -, Rn. 26, juris). Die hier erfolgte Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr umfasst auch die Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen (Art. 79 Unterabs. 2 ZK), zu denen Antidumpingzollmaßnahmen gehören (Art. 20 Abs. 3 Buchst. g) ZK).

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1.1.1 Die Verordnung Nr. 501/2013 ist zeitlich ab dem 06.06.2013 anwendbar (Art. 4 der Verordnung). Die hier in Rede stehenden Einfuhren fanden vom 14.-20.01.2015 statt.

25

1.1.2 Im vorliegenden Fall wurden Fahrräder der TARIC-Warennummer 78712 0030 10 0 eingeführt, die vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 990/2011 erfasst sind (siehe Art. 1 Abs. 1 der Verordnung). Diese Waren wurden aus Sri Lanka versandt, so dass der Ausdehnungstatbestand gemäß Art. 1 Abs. 1 Verordnung Nr. 501/2013, der für derartige Fahrräder gilt, erfüllt ist.

26

1.1.3 Die Voraussetzungen für eine unternehmensspezifische Befreiung von dem danach grundsätzlich zu erhebenden Antidumpingzoll sind im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Einfuhren nicht gegeben. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 S. 1 Verordnung Nr. 501/2013 erfüllt sind. Die vorgelegten Handelsrechnungen des Herstellers B (Bl. 854 ff. der Sachakte) erfüllen nämlich nicht die formalen Voraussetzungen, die im Anhang der Verordnung Nr. 501/2013 genannt sind. Zwar ist fraglich, ob es im Hinblick auf das Erfordernis, dass ein Datum angegeben werden muss (Nr. 3 des Anhangs), ausreichend ist, dass die Rechnung selbst - wie hier - ein Datum trägt. Dies kann jedoch dahinstehen, weil die Handelsrechnung nicht den von Nr. 2 des Anhangs geforderten TARIC-Zusatzcode (in der englischen Fassung: "TARIC additional code") enthält, der für das Unternehmen B nach der Liste in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 "XXYY" lautet. Auf den Handelsrechnungen ist vielmehr lediglich "Tariff Code: 8712003010" vermerkt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um den unternehmensspezifischen Zusatzcode, sondern die zehnstellige Tarifnummer des Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) gemäß Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der Verordnung ist es nicht ausreichend, dass der Zusatzcode in der elektronischen Einfuhranmeldung angegeben wurde. Anders als der Antragsteller meint, handelt es sich bei der Verpflichtung zur Angabe dieses Zusatzcodes in der Handelsrechnung nicht um eine bloße Förmelei (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall: FG Hamburg, Urteil vom 20.06.2006 - 4 K 193/03 -, Rn. 30, juris). Die Befreiung von dem Antidumpingzoll stellt eine Ausnahmeregelung dar, die nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 17.09.2014, Rs. C-3/13, Rn. 24 m. w. N.). Eine Handelsrechnung muss also den im Anhang zur Verordnung Nr. 501/2013 genannten Voraussetzungen genau entsprechen (vergleiche zu einer Verpflichtungserklärung mit ähnlichem Inhalt: EuGH, Urteil vom 17.09.2014, Rs. C-3/13, Rn. 27). Im Übrigen ordnet Art. 1 Abs. 2 S. 2 der Verordnung Nr. 501/2013 ausdrücklich an, was geschieht, wenn eine Handelsrechnung vorgelegt wird, die nicht den Anforderungen des Anhangs der Verordnung entspricht. In diesem Fall soll nämlich der mit Art. 1 Abs. 1 der Verordnung ausgedehnte Antidumpingzoll gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 990/2011 zur Anwendung kommen.

27

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Auslassung der Wörter "certify that" in den Handelsrechnungen eine weitere beachtliche Abweichung von dem Erklärungstext nach Nr. 2 des Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 darstellt.

28

1.2 Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er Vertrauensschutz beanspruchen kann. Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 1 ZK erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen über die Zollerklärung eingehalten hat.

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1.2.1 Bei einem Irrtum im Sinne von Art. 220 Abs. 2 ZK bedarf es eines so genannten "aktiven Irrtums", also eines Irrtums, der auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist. Nicht ausreichend ist ein Irrtum, dem die Zollbehörde im Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständiger Angaben des Abgabenschuldners unterlag (BFH, Urteil vom 07.06.2011 - VII R 36/10 -, BFHE 234, 77, Rn. 9; FG Hamburg, Urteil vom 18.02.2014 - 4 K 6/13 -, Rn. 26, juris). Ein solcher aktiver Irrtum lag allenfalls in den drei Fällen vor, in denen der Antragsgegner geprüft hat, ob die vorgelegten Einfuhrunterlagen die Befreiung von dem Antidumpingzoll rechtfertigen. Anders als in den übrigen Fällen, in denen keine Unterlagenprüfung durchgeführt wurde, ist die buchmäßige Erfassung der Antidumpingzölle in diesen Fällen unterblieben, weil der Antragsgegner den fehlenden unternehmensspezifischen TARIC-Zusatzcode auf der Handelsrechnung nicht entdeckt hat.

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1.2.2 Ob ein aktiver Irrtum vorliegt, kann jedoch dahinstehen, da das irrtümliche Unterlassen der buchmäßigen Erfassung vernünftigerweise vom Antragsteller als Zollschuldner hätte erkannt werden können.

31

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Irrtum vom Zollschuldner hätte erkannt werden können, kommt es auf eine konkrete Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls an, wobei namentlich (nicht nur) die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind. Allein der Umstand, dass die Zollbehörden sich geirrt haben, bedeutet nicht, dass der Irrtum für den Wirtschaftsbeteiligten nicht erkennbar war. Der Beteiligte muss sich über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften informieren (BFH, Beschluss vom 23.03.2000 - VII B 299/99 -, Rn. 13, juris, m. w. N.). Bedient sich der Einführer - wie hier - bei der Abfertigung eines Vertreters, so kommt es für die Erkennbarkeit des Irrtums auf dessen Verhalten und Kenntnisse an (Alexander, in: Witte, Zollkodex, 6. Aufl. 2013, Art. 220, Rn. 26; Gellert, in: Dorsch, Zollrecht, 135. EL, März 2012, Art. 220 ZK, Rn. 62 m. w. N. aus der Rspr.; siehe auch BFH, Urteil vom 02.04.1987 - VII R 60/84 -, BFHE 150, 93, Rn. 9).

32

Gemessen an diesen Maßstäben, war es jedenfalls für die vom Antragsteller als Vertreterin eingeschaltete Spedition, die im F ... e. V. organisiert ist (...), erkennbar, dass die bei der Abfertigung vorgelegten Handelsrechnungen nicht den Vorgaben der Verordnung Nr. 501/2013 entsprachen. Sämtliche Anforderungen an die Handelsrechnung und die Rechtsfolge, die eintritt, wenn diese Anforderungen nicht erfüllt sind, ergeben sich aus dieser Verordnung. So bestimmt Art. 1 Abs. 2 S. 1 Verordnung Nr. 501/2013 unmissverständlich, dass eine Befreiung vom Antidumpingzoll nur möglich ist, wenn eine Handelsrechnung vorgelegt wird, die den im Anhang festgelegten Anforderungen entspricht. In diesem Anhang ist im Einzelnen aufgelistet, welche formalen Anforderungen zu erfüllen sind. Es ist auch leicht möglich festzustellen, dass die vorgelegten Handelsrechnungen diese Anforderung nicht erfüllen. Der dort angegebene, zehnstellige numerische "Tariff code" ist nicht der vierstellige alphanumerische TARIC-Zusatzcode "XXYY" für das Unternehmen B. Die Spedition muss sich den Anforderungen, die die Verordnung Nr. 501/2013 stellt, auch bewusst gewesen sein. Sie hat nämlich bei der Zollanmeldung den Zusatzcode XXYY eingegeben, hierbei jedoch übersehen, dass dieser Code auch auf der Handelsrechnung genannt sein muss. Der Antragsteller kann sich nicht dadurch exkulpieren, dass der Antragsgegner in drei von vier geprüften Fällen die fehlende Übereinstimmung der Handelsrechnung mit den Anforderungen des Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 nicht moniert hat. Allein daraus, dass Zollbeamte im Rahmen der Massenabfertigung eine ungenaue Prüfung vornehmen, kann der Wirtschaftsbeteiligter nicht folgern, dass ein solche Irrtum, der bei einem schlichten Abgleich des Inhalts der Handelsrechnung mit den Vorgaben des Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 möglich gewesen wäre, vernünftigerweise von ihm nicht hätte erkannt werden können.

33

2. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die sofortige Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids vom 17.02.2015 ein unersetzbarer Schaden droht. Bei der Auslegung des Begriffs "unersetzbarer Schaden" ist an den Begriff "nicht wiedergutzumachender Schaden" anzuknüpfen, der zu den Voraussetzungen für die in Art. 278 AEUV vorgesehene Aussetzung der Durchführung einer Handlung gehört. Ein durch die Vollziehung der Entscheidung der Zollbehörde drohender finanzieller Schaden ist nur dann als unersetzbarer Schaden i. S. d. Art. 244 Unterabs. 2 ZK anzusehen, wenn er im Fall des Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte, so etwa im Fall der Insolvenz des Abgabenschuldners. Ein unersetzbarer Schaden in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprung des EuGH nur dann vor, wenn dieser schwer und nicht wiedergutzumachen ist. Letzteres soll nur dann der Fall sein, wenn der Schaden im Falle des Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte, weil etwa die Existenzgefährdung des Unternehmens droht (FG Hamburg, Beschluss vom 28.05.2014 - 4 V 63/14 -, Rn. 21, juris, m. w. N.).

34

Dass ihm ein solcher Schaden droht, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. In Anbetracht seiner privaten Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 380.000 €, der geringen Altersrente, die durch seine selbständigen Tätigkeit bisher nur geringfügig aufgestockt wird, sowie seines bereits fortgeschrittenen Lebensalters ist nicht zu erwarten, dass er die mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 geltend gemachte Forderung wird erfüllen können. Da der Antragsteller auch nicht das Bestehen weiterer Vermögenswerte vorgetragen hat, ist unter Berücksichtigung von Schuldnerschutzvorschriften (insbesondere § 295 S. 1 AO i. V. m. §§ 811-812, 813 Abs. 1-3 ZPO, § 319 AO i. V. m. §§ 850-852 ZPO) nicht zu erwarten, dass Vollstreckungsversuche Erfolg haben werden. Da die Vollziehung des Bescheids vermutlich weitgehend ins Leere laufen wird, kann sie nicht zu einem Schaden führen, der - bei unterstellter Rechtswidrigkeit des Bescheids - nicht wieder gutgemacht werden könnte.

35

Ferner hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die sofortige Vollziehung kausal für einen unersetzbaren Schaden wäre (zu diesem Erfordernis: Alexander, in: Witte, Zollkodex, 6. Aufl. 2013, Art. 244, Rn. 26). Die Vollziehung ist dann nicht auszusetzen, wenn die Vollziehung als solche und nicht gerade die sofortige Vollziehung den Schaden herbeiführte (Dorsch/Rüsken, 144. EL, November 2013, Art. 244 ZK, Rn. 52). Die bereits dargelegte finanzielle Situation des Antragstellers lässt diese Kausalität entfallen. Da nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine übrigen Verbindlichkeiten erfüllen kann, führte eine Vollstreckung wegen der Antidumpingzölle nicht zu einer weiteren Verschlechterung seiner finanziellen Situation.

36

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i. V. m. 115 Abs. 2 FGO.

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Finanzgericht Hamburg Beschluss, 17. Nov. 2015 - 4 V 121/15 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 28. Mai 2014 - 4 V 63/14

bei uns veröffentlicht am 28.05.2014

Tatbestand 1 I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einfuhrabgabenbescheides, mit dem Drittlandszoll (ZollEU) und Antidumpingzoll nacherhoben wird. 2 1. Die Antragstellerin meldete in der Zeit vom 30.07.2012

Finanzgericht Hamburg Urteil, 18. Feb. 2014 - 4 K 6/13

bei uns veröffentlicht am 18.02.2014

Tatbestand 1 Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Antidumpingzoll für die Einfuhr von Schuhen. 2 Im Zeitraum vom 06.01.1998 bis zum 19.02.2003 überführte die Klägerin aus Asien importierte Schuhe aus Textil bzw. Kunststoff der.

Bundesfinanzhof Urteil, 07. Juni 2011 - VII R 36/10

bei uns veröffentlicht am 07.06.2011

Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete im Juli und August 2003 mit ergänzender Zollanmeldung Gemüsekonserven aus China zur Überführung in

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(1) Die Finanzbehörde soll die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Sie erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten.

(2) Die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern können auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist die Finanzbehörde, die bei Verwirklichung des dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalts örtlich zuständig sein würde. Bei Antragstellern, für die im Zeitpunkt der Antragstellung nach den §§ 18 bis 21 keine Finanzbehörde zuständig ist, ist auf dem Gebiet der Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, abweichend von Satz 2 das Bundeszentralamt für Steuern zuständig; in diesem Fall bindet die verbindliche Auskunft auch die Finanzbehörde, die bei der Verwirklichung des der Auskunft zugrunde liegenden Sachverhalts zuständig ist. Über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft soll innerhalb von sechs Monaten ab Eingang des Antrags bei der zuständigen Finanzbehörde entschieden werden; kann die Finanzbehörde nicht innerhalb dieser Frist über den Antrag entscheiden, ist dies dem Antragsteller unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen zu Form, Inhalt und Voraussetzungen des Antrages auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft und zur Reichweite der Bindungswirkung zu treffen. In der Rechtsverordnung kann auch bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich zu erteilen ist und welche Finanzbehörde in diesem Fall für die Erteilung der verbindlichen Auskunft zuständig ist. Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates, soweit sie die Versicherungsteuer betrifft.

(3) Für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach Absatz 2 wird eine Gebühr erhoben. Wird eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Antragstellern einheitlich erteilt, ist nur eine Gebühr zu erheben; in diesem Fall sind alle Antragsteller Gesamtschuldner der Gebühr. Die Gebühr ist vom Antragsteller innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe ihrer Festsetzung zu entrichten. Die Finanzbehörde kann die Entscheidung über den Antrag bis zur Entrichtung der Gebühr zurückstellen.

(4) Die Gebühr wird nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert). Der Antragsteller soll den Gegenstandswert und die für seine Bestimmung erheblichen Umstände in seinem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft darlegen. Die Finanzbehörde soll der Gebührenfestsetzung den vom Antragsteller erklärten Gegenstandswert zugrunde legen, soweit dies nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

(5) Die Gebühr wird in entsprechender Anwendung des § 34 des Gerichtskostengesetzes mit einem Gebührensatz von 1,0 erhoben. § 39 Absatz 2 des Gerichtskostengesetzes ist entsprechend anzuwenden. Beträgt der Gegenstandswert weniger als 10 000 Euro, wird keine Gebühr erhoben.

(6) Ist ein Gegenstandswert nicht bestimmbar und kann er auch nicht durch Schätzung bestimmt werden, ist eine Zeitgebühr zu berechnen; sie beträgt 50 Euro je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit. Beträgt die Bearbeitungszeit weniger als zwei Stunden, wird keine Gebühr erhoben.

(7) Auf die Gebühr kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Gebühr kann insbesondere ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Die Finanzbehörde soll die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Sie erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten.

(2) Die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern können auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist die Finanzbehörde, die bei Verwirklichung des dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalts örtlich zuständig sein würde. Bei Antragstellern, für die im Zeitpunkt der Antragstellung nach den §§ 18 bis 21 keine Finanzbehörde zuständig ist, ist auf dem Gebiet der Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, abweichend von Satz 2 das Bundeszentralamt für Steuern zuständig; in diesem Fall bindet die verbindliche Auskunft auch die Finanzbehörde, die bei der Verwirklichung des der Auskunft zugrunde liegenden Sachverhalts zuständig ist. Über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft soll innerhalb von sechs Monaten ab Eingang des Antrags bei der zuständigen Finanzbehörde entschieden werden; kann die Finanzbehörde nicht innerhalb dieser Frist über den Antrag entscheiden, ist dies dem Antragsteller unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen zu Form, Inhalt und Voraussetzungen des Antrages auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft und zur Reichweite der Bindungswirkung zu treffen. In der Rechtsverordnung kann auch bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich zu erteilen ist und welche Finanzbehörde in diesem Fall für die Erteilung der verbindlichen Auskunft zuständig ist. Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates, soweit sie die Versicherungsteuer betrifft.

(3) Für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach Absatz 2 wird eine Gebühr erhoben. Wird eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Antragstellern einheitlich erteilt, ist nur eine Gebühr zu erheben; in diesem Fall sind alle Antragsteller Gesamtschuldner der Gebühr. Die Gebühr ist vom Antragsteller innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe ihrer Festsetzung zu entrichten. Die Finanzbehörde kann die Entscheidung über den Antrag bis zur Entrichtung der Gebühr zurückstellen.

(4) Die Gebühr wird nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert). Der Antragsteller soll den Gegenstandswert und die für seine Bestimmung erheblichen Umstände in seinem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft darlegen. Die Finanzbehörde soll der Gebührenfestsetzung den vom Antragsteller erklärten Gegenstandswert zugrunde legen, soweit dies nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

(5) Die Gebühr wird in entsprechender Anwendung des § 34 des Gerichtskostengesetzes mit einem Gebührensatz von 1,0 erhoben. § 39 Absatz 2 des Gerichtskostengesetzes ist entsprechend anzuwenden. Beträgt der Gegenstandswert weniger als 10 000 Euro, wird keine Gebühr erhoben.

(6) Ist ein Gegenstandswert nicht bestimmbar und kann er auch nicht durch Schätzung bestimmt werden, ist eine Zeitgebühr zu berechnen; sie beträgt 50 Euro je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit. Beträgt die Bearbeitungszeit weniger als zwei Stunden, wird keine Gebühr erhoben.

(7) Auf die Gebühr kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Gebühr kann insbesondere ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete im Juli und August 2003 mit ergänzender Zollanmeldung Gemüsekonserven aus China zur Überführung in den freien Verkehr an. Dabei legte sie als Zollwert den vom chinesischen Hersteller in Rechnung gestellten Kaufpreis zugrunde, ohne die Kosten für die Behältnisse (Gläser und Metalldrehverschlüsse) hinzuzurechnen, die sie zuvor aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft erworben und dem chinesischen Hersteller der Konserven unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Diese Art der Zollwertermittlung war in der Vergangenheit auch anlässlich bei der Klägerin durchgeführter Betriebsprüfungen unbeanstandet geblieben, weil es der früheren Dienstanweisung (DA) für die deutsche Zollverwaltung entsprach, Kosten für vom Käufer zur Verfügung gestellte Umschließungen aus dem freien Verkehr des Zollgebiets der Union dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis nicht hinzuzurechnen (Abs. 7 Buchst. b Unterabs. 1 DA, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- Z 53 14), um zum Zweck der abgabenfreien Wiedereinfuhr der Umschließungen zu bewilligende passive Veredelungsverkehre zu vermeiden. Diese Regelung enthält die im Dezember 2002 in den VSF-Nachrichten bekannt gegebene Neufassung der Dienstvorschrift Zollwertrecht (DV) jedoch nicht mehr (vgl. jetzt: Abs. 42 DV, VSF Z 51 01). Dementsprechend wurde in den VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass wegen der geänderten zollwertrechtlichen Behandlung von Umschließungen auch eine entsprechende Änderung der Dienstvorschrift zur passiven Veredelung erforderlich sei.

2

Wegen der geänderten Zollpraxis erließ die Zollverwaltung aufgrund eines Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Januar 2005 Steueränderungsbescheide für nach dem 27. Februar 2002, aber vor dem Wirksamwerden rückwirkend bewilligter passiver Veredelungen ausgeführte und nach dem 27. Februar 2003 wieder eingeführte Umschließungen. Hiervon betroffen war auch die o.g. im August 2003 in den freien Verkehr übergeführte Einfuhrsendung der Klägerin, da ihr für die bereits nach China ausgeführten Behältnisse eine passive Veredelung erst mit Rückwirkung ab dem 1. September 2002 bewilligt worden war, weshalb der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) die im Zeitraum 28. Februar bis 31. August 2002 ausgeführten Behältnisse als abgabenpflichtig ansah. Das HZA erhob die Einfuhrabgaben unter Zugrundelegung des erhöhten Zollwerts nach.

3

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das dem FG-Urteil entsprechende in einem Parallelverfahren ergangene Urteil ist in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) 2010, Beilage 1, 4 veröffentlicht.

4

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) abzusehen sei. Wegen der langjährigen und anlässlich von Betriebsprüfungen immer wieder bestätigten damaligen Verwaltungspraxis sei von einem Irrtum des HZA im Sinne vorgenannter Vorschrift auszugehen. Von der Änderung dieser Praxis aufgrund geänderter Dienstvorschriften der Zollverwaltung habe sie (die Klägerin) keine Kenntnis gehabt. Sie habe den Irrtum des HZA auch nicht erkennen können; vielmehr habe für sie die Zulässigkeit der bisherigen Verwaltungspraxis außer Frage gestanden, zumal das BMF noch mit Schreiben an den Waren-Verein der Hamburger Börse vom 16. August 2000 diese Praxis bestätigt habe.

5

Das HZA ist der Ansicht, dass die unterbliebene Abgabenerhebung nicht auf einen Irrtum der Zollbehörden zurückzuführen sei. Dies ergebe sich insbesondere aus dem BMF-Schreiben vom 16. August 2000, in welchem die damalige DA als eine rein nationale Vorgehensweise, die auf einer Duldungsabsprache mit der Europäischen Kommission beruhe, beschrieben werde. Wäre das BMF von einem rechtmäßigen Handeln ausgegangen, ergäbe das Wort "Duldung" keinen Sinn. Im Übrigen hätte die Klägerin als erfahrener Importeur jederzeit damit rechnen müssen, dass die vereinfachte Verfahrensweise nach der alten DA aufgehoben würde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein erfahrener Importeur von Konserven bei Abfassung seiner Zollanmeldungen den in den VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 bekannt gegebenen Erlass des BMF außer Acht lasse. Bei Lektüre der VSF-Nachrichten hätte die Klägerin von der Möglichkeit Kenntnis erhalten, für bereits ausgeführte Umschließungen eine rückwirkende Bewilligung der passiven Veredelung beantragen zu können. Die streitigen Abgaben wären dann nicht entstanden.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheids vom 17. Mai 2006 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

7

Ob die Kosten der dem chinesischen Hersteller zur Verfügung gestellten Behältnisse gemäß Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii ZK in den Zollwert der Einfuhrwaren einzubeziehen sind --was zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist-- oder ob diese Behältnisse nicht eher als Beistellungen anzusehen sind, deren Wert gemäß Art. 32 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZK dem Transaktionswert hinzuzurechnen ist, kann offenbleiben. Der Nacherhebung der daraus resultierenden höheren Einfuhrabgaben steht jedenfalls Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK entgegen.

8

Nach der vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in ständiger Rechtsprechung verwendeten Zusammenfassung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift hat die Zollbehörde von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Die Nichterhebung muss auf einem Irrtum der zuständigen Behörden beruhen; es muss sich um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkennbar war, und dieser muss alle geltenden Vorschriften über seine Zollerklärung eingehalten haben (vgl. EuGH-Urteil vom 3. März 2005 C-499/03 P --Biegi Nahrungsmittel, Commonfood--, Slg. 2005, I-1751, ZfZ 2005, 228, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

9

1. Anders als das FG meint, ist die zutreffende buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben aufgrund eines Irrtums des HZA unterblieben. Zwar begründet nur ein solcher Irrtum, der auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist (sog. aktiver Irrtum), einen Anspruch auf Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben, nicht jedoch ein Irrtum, dem die Zollbehörde im Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständiger Angaben des Abgabenschuldners unterlag (EuGH-Urteile vom 27. Juni 1991 C-348/89 --Mecanarte--, Slg. 1991, I-3277, ZfZ 1992, 388; vom 14. November 2002 C-251/00 --Ilumitrónica--, Slg. 2002, I-10433, ZfZ 2003, 46). Gleichwohl lässt sich im Streitfall das Vorliegen eines aktiven Irrtums des HZA bei der Einfuhrabfertigung nicht mit der Begründung verneinen, dass die im Juli und August 2003 abgegebenen Zollanmeldungen der Klägerin insoweit unvollständig waren, als sie keinen Hinweis auf die dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnisse enthielten.

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Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK verlangt lediglich eine Kausalität zwischen dem behördlichen Irrtum und der unterbliebenen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben, nicht aber, dass der Irrtum im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der betreffenden Zollanmeldung unterlaufen sein muss. Dementsprechend hat der EuGH mit Urteil vom 19. Oktober 2000 C-15/99 --Sommer-- (Slg. 2000, I-8989, ZfZ 2001, 13) einen Irrtum i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK auch in einem Fall angenommen, in dem anlässlich einer früheren Außenprüfung die Nichteinbeziehung bestimmter Kosten in den Zollwert von der Zollbehörde nicht beanstandet worden war und diese Kosten dementsprechend bei späteren, gleichartige Kaufgeschäfte betreffenden Einfuhren mit der Zollwertanmeldung des Einführers nicht angegeben wurden (vgl. zum Sachverhalt den vorangegangenen Vorlagebeschluss des FG Bremen vom 4. August 1998  296052K 2, ZfZ 1999, 93). Des Weiteren hat der EuGH mit Urteil in Slg. 1991, I-3277, Rz 25, ZfZ 1992, 388 ausgeführt, dass Vertrauensschutz gewährt werden kann, wenn die Unrichtigkeit der Erklärungen des Abgabenschuldners nur die Folge falscher Auskünfte ist, die von den zuständigen Behörden erteilt wurden und diese Behörden binden, und hat in ähnlicher Weise das Vorliegen eines Irrtums der zuständigen Behörde bejaht, wenn diese irrige Auskünfte erteilt hat, auf die der Zollbeteiligte vertrauen durfte (EuGH-Urteil vom 26. November 1998 C-370/96 --Covita AVE--, Slg. 1998, I-7711, ZfZ 1999, 86).

11

Danach beruht die im Streitfall unterbliebene Abgabenerhebung auf einem Irrtum des HZA, da nach den Feststellungen des FG die der früheren DA entsprechenden Zollwertanmeldungen bzw. -berechnungen der Klägerin anlässlich früherer Betriebsprüfungen nicht beanstandet wurden und diese damalige Praxis somit als ursächlich dafür angesehen werden kann, dass die Klägerin mit ihren Zollanmeldungen für die hier streitigen Einfuhrsendungen keine Angaben zu dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnissen machte und die Kosten für diese Behältnisse somit nicht in den Zollwert einbezogen wurden.

12

Anders als das HZA offenbar meint, kann das Vorliegen eines behördlichen Irrtums auch nicht mit der Begründung verneint werden, die deutsche Zollverwaltung habe nicht etwa irrtümlich angenommen, dass die Umschließungskosten nicht zum Zollwert gehörten, sondern sei vielmehr bewusst --allerdings mit Duldung der Kommission-- von den rechtlichen Vorgaben abgewichen. Zweifelhaft ist insoweit bereits, ob die deutsche Zollverwaltung seinerzeit das Unionsrecht tatsächlich vorsätzlich verletzen wollte oder sie nicht vielmehr geglaubt hat, aus einem als übergeordnet angesehenen Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung die Hinzurechnungsvorschriften des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK einschränkend im Wege der in die DA aufgenommenen Ausnahme auslegen zu dürfen, um nicht allein wegen der bezüglich des Zollwerts der Gemüsekonserven relativ unbedeutenden Kosten der Umschließungen passive Veredelungsverkehre in großer Anzahl abwickeln zu müssen. Jedenfalls erfasst aber der Begriff des Irrtums i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK jedwede unrichtige Auslegung oder Anwendung der anwendbaren Rechtsvorschriften (EuGH-Urteil in Slg. 1991, I-3277, Rz 20, ZfZ 1992, 388). Der Irrtums-Begriff dient in der Rechtsprechung des EuGH der Unterscheidung zwischen einer die Abgabenerhebung betreffenden unzutreffenden Rechtsanwendung oder -auslegung, die auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist, und einer solchen, deren Ursache in der Sphäre des Zollbeteiligten liegt und deshalb nicht vor einer Nacherhebung schützt. Im Streitfall liegt es aber auf der Hand, dass die jahrelange den Hinzurechnungsvorschriften des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK nicht entsprechende Praxis der deutschen Zollverwaltung keinesfalls der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist, unabhängig davon, ob die Zollverwaltung ihre Praxis für rechtlich vertretbar hielt oder nicht.

13

2. Ausgehend von seiner Ansicht, dass ein behördlicher Irrtum i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nicht vorliege, hat das FG nicht geprüft, ob die Klägerin gutgläubig gehandelt hat. Seinen Feststellungen lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Klägerin bei Abgabe der Zollanmeldungen von der Neufassung der DV und der darin nicht mehr enthaltenen Ausnahmeregelung Kenntnis hatte und somit wusste, dass sie Angaben zu den dem chinesischen Verkäufer unentgeltlich überlassenen Behältnissen hätte machen müssen. Auch das HZA behauptet dies nicht. Der Senat sieht deshalb keinen Anlass, die Sache zur Klärung dieser zwischen den Beteiligten nicht streitigen Frage an das FG zurückzuverweisen, und geht von der Gutgläubigkeit der Klägerin aus.

14

3. Der Irrtum konnte von der gutgläubigen Klägerin vernünftigerweise auch nicht erkannt werden. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass ein behördlicher Irrtum nicht vorliege, hat zwar das FG auch diese Voraussetzung ungeprüft gelassen; die vom FG getroffenen Feststellungen erlauben jedoch eine entsprechende Prüfung durch den erkennenden Senat.

15

Die Erkennbarkeit des Irrtums ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (und des erkennenden Senats) unter Berücksichtigung seiner Art, d.h. unter Berücksichtigung der Komplexität der betreffenden Regelung, sowie der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen. Von Bedeutung ist insoweit allerdings auch die Länge des Zeitraums, in dem die Behörden in ihrem Irrtum verharrten (EuGH-Urteil in Slg. 2002, I-10433, Rz 54-56, ZfZ 2003, 46). Hinsichtlich der zollwertrechtlichen Behandlung vom Käufer zur Verfügung gestellter Umschließungen darf daher nicht außer Betracht bleiben, dass die deutsche Praxis, Umschließungen aus dem freien Verkehr der Union von der eigentlich gebotenen Einbeziehung in den Zollwert auszunehmen, auf die bereits in der VSF Z 53 14 vom 15. März 1993 enthaltene DA zur damaligen Zollwertverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 134/1) zurückgeht, diese zollwertrechtliche Ausnahme mithin bis zu ihrer Streichung fast zehn Jahre lang Grundlage für die deutsche Verwaltungspraxis war, wobei es sich überdies nicht allein um die Praxis des beklagten HZA handelte, sondern aufgrund der vom BMF erlassenen DA die Praxis aller deutschen Zollstellen war. Sie wurde nicht nur bei Betriebsprüfungen stets bestätigt, sondern zudem vom BMF mit Schreiben an den Waren-Verein der Hamburger Börse vom 16. August 2000 bekräftigt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die deutsche Rechtspraxis auf einer Duldungsabsprache mit der Europäischen Kommission beruhe.

16

Auch wenn die Klägerin --wie das HZA meint-- als ein erfahrener Importeur anzusehen sein mag, durfte sie doch in Anbetracht der seitens der Zollverwaltung --sogar von deren oberster Bundesbehörde-- immer wieder bestätigten Auffassung vernünftigerweise annehmen, dass es sich bei der der DA zu entnehmenden einschränkenden Auslegung des Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii bzw. Buchst. b Ziff. i ZK um eine allseits als vertretbar gebilligte Auslegung handelte, und ihr weiteres Handeln danach ausrichten. Es hieße zu viel von der Klägerin zu verlangen, wenn man ihr vorhielte, sie hätte sich seinerzeit gegen die gängige Praxis der Zollwertermittlung wenden und die Einbeziehung der Umschließungskosten in den Zollwert durch die Eröffnung passiver Veredelungsverkehre vermeiden müssen. Ob das HZA unter der Geltung der alten DA, der zufolge die Anmeldung von Umschließungen zum passiven Veredelungsverkehr nicht erforderlich war, die Bewilligungsvoraussetzungen des Art. 86 Anstrich 2 ZK als erfüllt angesehen hätte, darf bezweifelt werden.

17

Der Ansicht des HZA, die Klägerin hätte bei Lektüre der VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 die Möglichkeit der rückwirkenden Bewilligung passiver Veredelungsverkehre für die Umschließungen erkennen und nutzen müssen, ist nicht zu folgen. Zwar kann sich ein Wirtschaftsbeteiligter nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats nicht auf die Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen; eine Pflicht zur Kenntnis von Verwaltungsvorschriften, deren Adressat allein die Verwaltung ist, besteht indes grundsätzlich nicht. Es bestand für die Zollbeteiligten auch kein Grund, der es nahe gelegt hätte, den VSF-Nachrichten dieser Zeit eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Im Übrigen ist in den VSF-Nachrichten vom 27. Februar 2003 von der Möglichkeit einer rückwirkenden Bewilligung der passiven Veredelung für bereits ausgeführte Umschließungen nicht die Rede.

18

4. Nach alledem scheitert der der Klägerin zu gewährende Vertrauensschutz auch nicht daran, dass sie in ihren Zollanmeldungen für die streitigen Einfuhrwaren die unentgeltliche Lieferung der Behältnisse an den chinesischen Hersteller nicht erwähnte. Soweit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK für ein Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben auch fordert, dass der Zollschuldner alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat, genügt er dieser Forderung auch bei gegenüber den zuständigen Behörden angegebenen unrichtigen oder unvollständigen Daten, sofern er diese in gutem Glauben abgegeben hat und vernünftigerweise nur diese Daten kennen oder sich beschaffen konnte (EuGH-Urteile in Slg. 1991, I-3277, Rz 29, ZfZ 1992, 388; und vom 14. Mai 1996 C-153/94 und C-204/94 --Faroe Seafood--, Slg. 1996, I-2465, Rz 109, ZfZ 1997, 12). Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, war die Klägerin gutgläubig und durfte in Anbetracht der bisherigen Verwaltungspraxis vernünftigerweise annehmen, dass Angaben in den Zollanmeldungen zu den dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellten Behältnissen entbehrlich waren.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Antidumpingzoll für die Einfuhr von Schuhen.

2

Im Zeitraum vom 06.01.1998 bis zum 19.02.2003 überführte die Klägerin aus Asien importierte Schuhe aus Textil bzw. Kunststoff der Warenlistennummer 6404 1990 90 0 in den freien Verkehr. In den streitgegenständlichen 6 Fällen, die Einfuhren im Zeitraum vom 17.01.2002 bis zum 27.02.2002 betreffen (Fälle Nr. XX-3 und XX5-XX9), gab die Klägerin in den Zollanmeldungen als Ursprungsland jeweils Nordkorea an. Als Ausführer war jeweils die Firma S Import and Export mit Sitz in B angegeben. Verschifft wurden die Schuhe vom Hafen C, China, direkt nach Hamburg. In den Sachakten finden sich Akkreditiveröffnungen, in denen die Firma S begünstigt wird. Die vorliegenden Handelsrechnungen, Packlisten und Proforma-Rechnungen, wurden von der Firma S ge- bzw. erstellt. Weiter finden sich in den Sachakten für die Einfuhren von einer Behörde in Pjöngjang, Nordkorea, ausgestellte Ursprungszeugnisse Form A, in denen der nordkoreanische Ursprung bescheinigt wird. Darin ist als Transportweg die Verschiffung von "F Port via China Port to Hamburg, Germany by sea" angegeben. In Feld 10 der Ursprungsnachweise wird auf die von der Firma S gestellte Handelsrechnung Bezug genommen. Die Bill of Lading, die sich in den Sachakten befinden, sind über die Verschiffung von C nach Hamburg ausgestellt. Aus einem Vermerk des Zollfahndungsamts Hamburg vom 16.09.2002 (Sachakte Heft I Bl. 32) ergibt sich, dass Nordkorea laut Auskunft der Zentralstelle Ursprungsnachprüfungen nicht dem GSP (Generalized System of Preferences) angeschlossen sei. In allen 6 Fällen seien die Container am 11.12.2001 bzw. 31.01.2002 leer im Depot dem Verlader in C, China, zur Verfügung gestellt und jeweils einen Tag später bereits voll in C auf die beiden Seefrachtschiffe verladen worden. Die Container hätten sich demzufolge nie in Nordkorea befunden.

3

Anlässlich von im Rahmen einer Außenprüfung im Sommer 2000 gemachten Feststellungen nahm das Zollfahndungsamt E Ermittlungen auf. In den vorläufigen Ermittlungsberichten heißt es unter anderem, die Klägerin habe Schuhe aus China eingeführt und falsche Ursprungszeugnisse mit den Ursprungsangaben Vietnam, Bangladesch, Malaysia, Kambodscha oder Nordkorea vorgelegt. Damit habe der bei der Einfuhr von Schuhen chinesischen Ursprungs zu erhebende Antidumpingzoll vermieden werden sollen. Teilweise seien unzutreffende Warenlistennummern und unterfakturierte Rechnungen vorgelegt worden. Nordkorea sei dem Allgemeinen Präferenzsystem für Entwicklungsländer (APS) nicht angeschlossen, könne also kein Formblatt A ausstellen. Die angeblich aus Nordkorea stammenden Schuhe seien ausweislich der Frachtpapiere in C, China, verladen worden. Eine unbekannte Firma aus Hongkong habe die Klägerin beschuldigt, chinesische Schuhe mit gefälschten nordkoreanischen Ursprungszeugnissen nach Deutschland einzuführen (anonyme Anzeige, Ermittlungsakte Bl. 362).

4

Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 19.09.2006 erhob der Beklagte Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 606.793,55 € (83.695,66 € Einfuhrumsatzsteuer und 523.097,89 € Antidumpingzoll) nach. Ermittlungen hätten ergeben, dass die Klägerin Schuhe aus China eingeführt und unter Vorlage falscher Ursprungszeugnisse Form A in den zollrechtlich freien Verkehr überführt habe. Der Bescheid bezieht sich auf 52 Einfuhrfälle, darunter befinden sich die 6 streitgegenständlichen Einfuhren, für die Antidumpingzoll in Höhe von 94.913,62 € erhoben wurde. Wegen der Berechnung wird auf den Bescheid nebst Anlage verwiesen.

5

Am 25.09.2006 legte die Klägerin Einspruch ein. In Bezug auf die streitigen Einfuhrfälle trug sie vor, sie habe die Schuhe bei der Firma S, einem großen staatlichen chinesischen Handelsunternehmen, mit dem ihr Geschäftsführer 2001 auf einer Messe in China in Kontakt gekommen sei, bestellt. Ihm seien dort in Nordkorea produzierte Schuhe zum Verkauf angeboten worden. Die Schuhe seien nur deshalb von China aus verschifft worden, weil es in Nordkorea keinen für eine Überseeverschiffung geeigneten Hafen gegeben habe. Die Ware sei mit Zubringerschiffen vom Hafen F in Nordkorea nach C in China, dem nächstgelegenen Überseehafen, verbracht worden. Die Container seien dann in C beladen worden. Wären die Schuhe in China produziert worden, wären die Container bereits am Produktionsstandort beladen und dann voll per Lkw zum Überseehafen verbracht worden. Ein nordkoreanisches Ursprungszeugnis habe sie vorgelegt. Die Firma S verfüge über Produktionsstätten in B und G. Hätte sie die Schuhe selbst produziert, wären sie über den Hafen B ausgeführt worden. Die anonyme Anzeige sei nicht zu verwerten. Niemand könne alle Schuhproduktionsstätten im Fernen Osten kennen. Der anonymen Anzeige sei ein Ursprungszeugnis vom 05.03.2003 beigefügt gewesen. Da der Antidumpingzoll für Einfuhren aus China jedoch bereits im November 2002 aufgehoben worden sei, hätte sie überhaupt keinen Anlass gehabt, noch im März 2003 für chinesische Waren einen unzutreffenden Ursprung anzugeben. Zudem seien die Schuhe entgegen der Anmeldung in die Warennummer 6404 1100 einzureihen. Schließlich berief sie sich auf Verjährung.

6

Mit seit dem ... 2007 rechtskräftigen Urteil (..., Sachakte Bl. 159) verurteilte das Landgericht E die Geschäftsführer der Klägerin, Herrn H und Herrn J, wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§§ 373 Abs. 1, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) in 59 Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil bezieht sich nicht auf die streitgegenständlichen, sondern auf andere Einfuhren im Zeitraum von Januar 1999 bis Februar 2003. Aus den Feststellungen des Landgerichts E ergibt sich, dass die Geschäftsführer der Klägerin in den abgeurteilten Fällen Schuhe chinesischen Ursprungs einführten und, um u. a. den für derartige Schuhe zu erhebenden Antidumpingzoll zu umgehen, in den Zollanmeldungen angaben, das Ursprungsland sei Kambodscha, Bangladesch bzw. Malaysia. Das Urteil beruht auf umfangreichen Geständnissen der Geschäftsführer.

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 11.12.2012 wurden die Einsprüche - sofern sie nicht zwischenzeitlich zurückgenommen worden waren - zurückgewiesen. Zunächst führte der Beklagte aus, die Abgabenerhebung sei nicht verjährt. Gem. Art. 221 Abs. 4 ZK verlängere sich die Verjährungsfrist, da die Zollschuld aufgrund einer strafbaren Handlung - einer Steuerhinterziehung gem. § 370 AO - entstanden sei. Die Festsetzungsfrist betrage daher gem. § 169 Abs. 2 AO 10 Jahre. In Bezug auf die streitgegenständlichen Fälle begründete er die Einspruchsentscheidung damit, dass Nordkorea dem Allgemeinen Präferenzsystem im Jahr 2002 noch nicht angeschlossen gewesen sei und es sich daher bei den Präferenzpapieren nicht um ordnungsgemäß erstellte Ursprungszeugnisse gehandelt habe. Ihnen komme daher keine Nachweiskraft zu. Ausweislich der Aktenlage habe die Klägerin die in den falschen Ursprungszeugnissen benannte nordkoreanische Firma nie kontaktiert. In einer E-Mail vom 11.10.2002 sei der Geschäftsführer der Klägerin, Herr J, von der Firma S darauf hingewiesen worden, dass sich der Kaufpreis um 0,10 US-Dollar je Schuhpaar erhöhe, sofern nordkoreanische Ursprungszeugnisse Form A benötigt würden. Im regulären Geschäftsverkehr wirke sich die Einholung eines Präferenznachweises nicht dergestalt auf den Einkaufspreis aus. Zweifel an der angemeldeten Warennummer bestünden nicht.

8

Mit ihrer am 11.01.2013 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholt im Wesentlichen die Einspruchsbegründung und betont, die Firma S handele mit Schuhen aus chinesischer Produktion, aber auch aus anderen Produktionsländern. Im Oktober 2001 sei ihr im Rahmen einer Messe angeboten worden, in Nordkorea produzierte Schuhe zu verkaufen. Die Schuhe seien nur deshalb in China verladen und verschifft worden, weil es in Nordkorea keinen für eine Überseeverschiffung geeigneten Hafen gegeben habe. Daher hätten die Schuhe mit einem Zubringerschiff überwiegend vom nordkoreanischen Hafen F zum nächsten Überseehafen verbracht werden müssen. Der nächstgelegene Überseehafen sei C in China gewesen. Da sich die Produktionsstandorte der Firma S in B und G befänden, wären die Schuhe - wären sie dort produziert worden - über B verschifft worden. Der betreffende Container habe am 11.12.2001 leer im Hafen von C gestanden und sei am 12.12.2001 beladen und auf das Schiff verbracht worden. Er müsse also im Hafen C beladen worden sein. Wären die Schuhe in China produziert worden, wäre der Container nicht erst im Hafen von C, sondern bereits am Produktionsort beladen und dann zum Überseehafen verbracht worden. Dies belege, dass die Schuhe aus Nordkorea stammten. Vertragliche Beziehungen der Klägerin hätten ausschließlich zur Firma S bestanden, daher sei auch nur mit dieser und nicht mit nordkoreanischen Firmen korrespondiert worden. Die anonyme Anzeige beweise nichts. Ob in Nordkorea Schuhe hergestellt würden, könne der Verfasser nicht beurteilen. 2003 habe es keinen Antidumpingzoll für Schuhe aus China mehr gegeben. Das der anonymen Anzeige beigelegte Ursprungszeugnis vom 05.03.2003 mache für die Umgehung von Antidumpingzoll daher keinen Sinn.

9

Die Klägerin beantragt,

10

den Einfuhrabgabenbescheid vom 19.09.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2012 aufzuheben, soweit mit diesen Bescheiden in Bezug auf die Zollanmeldungen A-1 vom 17.01.2002 (Nr. XX3), A-2 vom 25.02.2002 (Nr. XX5), A-3 vom 25.02.2002 (Nr. XX6), A-4 vom 26.02.2002 (Nr. XX7), A-5 vom 26.02.2013 (Nr. XX8) und A-6 vom 27.02.2002 (Nr. XX9) Antidumpingzoll nacherhoben worden ist.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und betont, dass anhand der Frachtbriefe (Bill of Lading) dokumentiert sei, dass die Waren in C, China, auf ein Seeschiff verladen und von dort nach Europa befördert worden seien. Ein Vortransport aus Nordkorea sei in den Bill of Lading nicht beurkundet. Sonstige Frachtunterlagen über die Beförderung von Nordkorea nach C seien nicht vorgelegt worden. Allein die Nähe dieses Hafens zu Nordkorea und die Tatsache, dass sich die Produktionsstandorte der Firma S im Süden Chinas befänden, lasse einen Rückschluss auf eine Produktion in Nordkorea nicht zu. Es sei gängige Praxis, dass antidumpingzollpflichtige Waren über Häfen anderer Länder nach Europa verschifft würden, um einen Warenursprung in diesen Ländern vorzutäuschen. Das Vorbringen der Klägerin sei auch nicht glaubhaft. Die Messe, auf der sie Kontakt zur Firma S aufgenommen haben wolle, habe vom 15. bis zum 30.10.2001 stattgefunden. Die Waren seien am 31.10.2001 bzw. 24.10.2001 bestellt worden. Beide Bestellungen bezögen sich auf vorliegende Warenmuster. In den Bestellungen seien als Lieferdaten der 08.12.2001 bzw. der 10.01.2002 festgelegt. Nach den Angaben in den Akkreditiven seien die Schuhe spätestens am 16.12.2001 bzw. am 31.01.2002 zu versenden gewesen. Es sei daher auszuschließen, dass sie in einer der erst 2002 errichteten Sonderwirtschaftszonen hergestellt worden seien. Es habe sich um Schuhe in unterschiedlichen Ausführungen gehandelt und Musterschuhe hätten nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin drei Wochen vor dem festgelegten Verschiffungstermin - also etwa Mitte November 2001 - übersandt werden müssen. Dies sei angesichts der planwirtschaftlichen Strukturen in Nordkorea nicht möglich. Es sei nicht zutreffend, dass es in Nordkorea keine für die Überseeverschiffung geeigneten Häfen gebe. Den Nachweis des nordkoreanischen Ursprungs könnten die Ursprungszeugnisse nicht erbringen, weil Nordkorea dem Allgemeinen Präferenzsystem nicht angeschlossen gewesen sei. Gegen ein in Nordkorea ausgestelltes Präferenzpapier spreche auch, dass die Ursprungszeugnisse in Feld 10 auf die chinesischen Rechnungen Bezug nähmen.

14

Die Beteiligten haben schriftsätzlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakten und Ermittlungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.

17

Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg.

18

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.

I.

19

Der Beklagte hat zu Recht für die streitgegenständlichen Einfuhren von Schuhen Antidumpingzoll nacherhoben. Ermächtigungsgrundlage für die Nacherhebung ist Art. 220 Abs. 1 ZK. Danach hat eine buchmäßige Erfassung des nachzuerhebenden Betrages zu erfolgen, wenn der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Artikeln 218 und 219 ZK buchmäßig erfasst worden ist. Die Voraussetzungen für die Nacherhebung eines Antidumpingzolls liegen vor.

20

Die vom Beklagten vorgenommene Nacherhebung von Antidumpingzoll stützt sich auf die Verordnung (EG) Nr. 2155/97 des Rates vom 29.10.1997 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Spinnstoffen mit Ursprung in der Volksrepublik China und Indonesien und zur endgültigen Vereinnahmung der Sicherheitsleistungen für den vorläufigen Zoll (VO Nr. 2155/97). In Art 1 VO Nr. 2155/97 wurde für Schuhe des KN-Codes 6404 1990 mit Ursprung in der Volksrepublik China und Indonesien ein endgültiger Antidumpingzoll in Höhe von 49,2 % festgesetzt.

21

Zunächst geht der Senat davon aus, dass es sich bei den streitgegenständlichen Schuhen um solche der Warennummer 6404 1990 90 gehandelt hat. Anlass, an der Richtigkeit der in den Zollanmeldungen angegeben und im Abgabenbescheid vom 19.06.2006 zugrunde gelegten Warennummer 6404 1990 90 zu zweifeln, hat der Senat nicht. Die Klägerin hat diese Einreihung zwar im Einspruchsverfahren beanstandet, dies jedoch im Klageverfahren nicht erkennbar aufrechterhalten. In ihrer Klagebegründung nimmt sie auf die Einspruchsbegründung nicht Bezug und der in der Klageerwiderung vom Beklagten geäußerten Feststellung, die Klägerin mache keine abweichende Einreihungsauffassung mehr geltend, hat sie nicht widersprochen.

22

Hinsichtlich der Nacherhebungsvoraussetzungen, hier also des Ursprungs der Schuhe, ist der Beklagte beweispflichtig, wobei es ausreicht, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass die Waren einen Ursprung haben, der zur Erhebung von Antidumpingzoll führt (vgl. FG Hamburg, Urteile vom 07.10.2008, 4 K 137/05 und vom 02.03.2011, 4 K 25/10). Im Lichte dieser Beweislastverteilung und nach Gesamtwürdigung des Sachverhalts geht der Senat weiter davon aus, dass die Schuhe nicht nordkoreanischen, sondern chinesischen Ursprungs waren.

23

Zunächst ist auszuschließen, dass die Schuhe tatsächlich ihren Ursprung in Nordkorea hatten, da es dafür keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt. Die Klägerin stützt sich ausschließlich auf angebliche, nicht weiter belegte Angaben der chinesischen Firma S anlässlich einer Messe in China und - insbesondere - auf die vorgelegten nordkoreanischen Ursprungszeugnisse Form A. Diesen Ursprungszeugnissen kommt kein Beweiswert zu. Der Beklagte hat zutreffend dargelegt, dass Nordkorea dem allgemeinen Präferenzsystem 2001/2002 nicht angeschlossen war und daher keine Ursprungszeugnisse Form A ausstellen konnte. Die Gewährung von Zollpräferenzen gemäß Art. 20 Abs. 3 ZK setzt ein Abkommen mit den betreffenden Ländern bzw. einen Erlass der Union über die Gewährung der Präferenz voraus. Fehlt es an der Gewährung von Zollpräferenzen i. S. v. Art. 67 ZK-DVO, handelt es sich mithin nicht um ein begünstigtes Land, kommt auch die Ausstellung von Ursprungszeugnissen Form A nicht in Betracht, Art. 81 Abs. 2 ZK-DVO. Die Europäische Union gewährt bestimmten Entwicklungsländern allgemeine Zollpräferenzen. Mit der Verordnung (EG) Nr. 2501/2001 des Rates vom 10.12.2001 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 31.12.2004 (VO Nr. 2501/2001) wird, wie sich aus deren Art. 1 ergibt, das gemeinschaftliche System allgemeiner Zollpräferenzen fortgeschrieben. Das Präferenzsystem gilt für die Einfuhr im Einzelnen genannter Waren, Art. 5 Abs. 1 VO Nr. 2501/2001. In der Anlage I zur VO Nr. 2005/2001 sind die Entwicklungsländer aufgelistet, für die das allgemeine Präferenzschema der Union gilt. Zu diesen Ländern gehörte im Jahre 2002 Nordkorea nicht. Abgesehen davon spricht gegen die Richtigkeit der Ursprungszeugnisse auch der Umstand, dass sie zwar einen nordkoreanischen Ausführer erwähnen, aber nicht auf dessen Rechnung, sondern auf die der Klägerin seitens der chinesischen Firma S gestellte Handelsrechnung verweisen. Dieser Umstand, auf den der Beklagte hingewiesen hat, ist jedenfalls erklärungsbedürftig. Die Klägerin hat sich dazu nicht eingelassen. Weder aus der Aktenlage noch aus dem Vorbringen der Beteiligten lassen sich ansonsten Anhaltspunkte für einen nordkoreanischen Warenursprung entnehmen. Es gibt keinerlei Hinweis auf eine Beförderung der Waren von Nordkorea nach China, es gibt keinerlei Korrespondenz mit einer nordkoreanischen Firma und es findet sich keine Bestätigung der Firma S über die Bestellung der Schuhe in Nordkorea. Die Ausführungen der Klägerin zu Seehäfen in Nordkorea, zur Nutzung chinesischer Häfen für Ausfuhren von in Südchina hergestellten Waren und zu der Frage, wo die Transportcontainer typischerweise befüllt werden, sind letztlich spekulativ und nicht belegt. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass - wie bereits dargelegt - nicht die Klägerin, sondern der Beklagte für die Nacherhebungsvoraussetzungen beweispflichtig ist, sieht der Senat den nordkoreanischen Warenursprung aufgrund der Gesamtumstände als widerlegt an.

24

Nach den Gesamtumständen ist vielmehr mit dem Beklagten davon auszugehen, dass die Schuhe tatsächlich chinesischen Ursprungs sind. Abgesehen von den nicht beweiskräftigen Ursprungszeugnissen sprechen alle Anhaltspunkte, die sich im Streitfall zum möglichen Warenursprung finden, dafür. In sämtlichen Fällen liegen Handelsrechnungen der chinesischen Firma S vor. Die Packlisten wurden ebenfalls von der chinesischen Firma S erstellt. Die Verschiffung nach Hamburg erfolgte vom chinesischen Hafen C und die Bill of Lading sind über den Transportweg von C nach Hamburg ausgestellt worden. In keinem der genannten Dokumente findet sich ein Anhaltspunkt, der daran zweifeln lassen könnte, dass die Schuhe in China produziert wurden. Dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum tatsächlich Schuhe mit chinesischem Ursprung eingeführt, durch unrichtige Ursprungsangaben in den Zollanmeldungen jedoch versucht hat, den Antidumpingzoll zu umgehen, zeigt das Strafurteil des Landgerichts E (...), in dem dieser Sachverhalt auch nach Geständnissen der Geschäftsführer der Klägerin festgestellt worden ist. Auch wenn dieses Urteil nicht die streitgegenständlichen Einfuhren betrifft, belegt es doch die grundsätzlichen Geschäftspraktiken der Klägerin und weckt erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens. Auch wenn der chinesische Warenursprung durch die vorliegenden Unterlagen und sonstigen Anhaltspunkte nicht bewiesen ist, kann - zumal nichts erkennbar für einen Warenursprung in einem anderen Land spricht - doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Schuhe tatsächlich ihren Ursprung in China haben. Möglichkeiten, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, sieht der Senat nicht.

25

Es ist auch keine Verjährung eingetreten. Art. 221 Abs. 3 ZK sieht für die Nacherhebung eine Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld vor. In den streitigen Einfuhrfällen ist die Zollschuld mit der Einfuhr im Januar bzw. Februar 2002 entstanden, im Zeitpunkt der Nacherhebung mit Bescheid vom 19.09.2006 wäre die Frist mithin abgelaufen. Allerdings kann die Mitteilung gem. Art. 221 Abs. 4 ZK, wenn die Zollschuld aufgrund einer Handlung entstanden ist, die zu dem Zeitpunkt, als sie begangen wurde, strafbar war, unter den Voraussetzungen, die im geltenden Recht festgelegt sind, noch nach Ablauf der Dreijahresfrist erfolgen. Diese Norm verweist auf die Verjährungsvorschriften des nationalen Rechts, also auf die §§ 169 ff. AO. Gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist 10 Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Indem bei den Zollanmeldungen der nordkoreanische Warenursprung angegeben und so die Erhebung des Antidumpingzolls umgangen wurde, wurden dem Beklagten i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt. Insofern wurde der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Davon, dass die Vertreter der Klägerin vorsätzlich handelten, ist auszugehen. Die Vortäuschung eines anderen Warenursprungs lässt sich nur mit dem Bemühen erklären, den Antidumpingzoll zu umgehen. Dass die Voraussetzungen der Steuerhinterziehung vorliegen, bestreitet die Klägerin selbst nicht substantiiert. Sie hat sich zwar auf Verjährung berufen, sie hat dies jedoch in keiner Weise begründet, insbesondere hat sie nichts zu den Voraussetzungen des § 169 Abs. 2 S. 1 AO vorgetragen.

26

Schließlich greift kein Nacherhebungsverbot gem. Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK. Danach erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldungen eingehalten hat. Im Streitfall fehlt es - neben der erheblich zweifelhaften Gutgläubigkeit der Klägerin - an einem Irrtum des Beklagten. Einen Anspruch auf Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben begründet nur ein Irrtum, der auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist (sog. aktiver Irrtum), nicht jedoch ein Irrtum, dem die Zollbehörde im Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständig Angaben des Abgabenschuldners unterlag (BFH, Urteil vom 07.06.2011, VII R 36/10). In den streitigen Einfuhrfällen ist die Abgabenfestsetzung auf die unzutreffende Ursprungsangabe zurückzuführen, so dass ein aktiver Irrtum ausscheidet.

27

Zweifel an der Höhe des festgesetzten Antidumpingzolls bestehen nicht, auch die Klägerin äußert insoweit keine Bedenken. Weiterer Ausführungen des Senats bedarf es daher nicht.

II.

28

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben sind.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einfuhrabgabenbescheides, mit dem Drittlandszoll (ZollEU) und Antidumpingzoll nacherhoben wird.

2

1. Die Antragstellerin meldete in der Zeit vom 30.07.2012 bis 05.10.2012 mit insgesamt sechs Zollanmeldungen Waren unter der Warencodenummer 7616 9910 91 0 mit einem Gesamtzollwert von rund EUR 950.000 zur Abfertigung in den zollrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung an. Unter Hinweis auf Ursprungszeugnisse nach Formblatt A, die vom malaysischen Ministry of International Trade and Industrie (im Folgenden: malaysisches Ministerium) ausgestellt worden waren und einen Ursprung der Ware in Malaysia bescheinigen, beantragte die Antragstellerin die Anwendung eines Präferenzzollsatzes. Die Ursprungszeugnisse enthalten in Feld 12 eine Erklärung des Ausführers, dass die Ware in Malaysia produziert worden sei, und in Feld 11 die Erklärung des malaysischen Ministeriums, dass - "on the basis of control carried out" - bestätigt werde, dass die Erklärung des Ausführers zutreffend sei.

3

Das Zollamt nahm die Zollanmeldungen an und erteilte anmeldungsgemäße Einfuhrabgabenbescheide unter Anwendung des Zollsatzes von 2,5% für Waren mit Ursprung aus Malaysia. Die Abgaben wurden über ein Aufschubkonto entrichtet.

4

2. Der Antragsgegner erhob mit einem Abgabenbescheid vom 04.11.2013 Einfuhrabgaben mit der Begründung nach, die Waren hätten ihren Ursprung in der Volksrepublik China, von wo aus sie nach Malaysia verschifft und von dort nach Umladung ohne weitere Be- oder Verarbeitung nach Deutschland verbracht worden seien. Die vorgelegten Ursprungszeugnisse könnten nicht anerkannt werden. Der Bescheid setzt die Differenz zwischen dem Drittlandszollsatz von 6% und dem Präferenzzollsatz von 2,5% in Höhe von rund EUR 30.000 EUZoll fest und Antidumpingzoll von 61,4% in Höhe von rund EUR 580.000.

5

Den Einspruch der Antragstellerin wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 26.02.2014 als unbegründet zurück.

6

Zu den von der Antragstellerin ebenfalls gestellten Anträgen auf Erlass der Abgaben ist noch keine Entscheidung ergangen (Antrag nach Art. 239 Zollkodex -ZK -) bzw. sind nach Ablehnung der Anträge (nach Art. 236 und Art. 238 ZK) Einsprüche eingelegt worden, über die noch nicht entschieden worden ist.

7

3. Den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.02.2014 ab. Es bestünden keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (im Folgenden: OLAF) habe in Zusammenarbeit mit verschiedenen malaysischen Behörden ermittelt, dass Ursprungsland der Waren die Volksrepublik China sei. Von dort seien sie in die Freihandelszone A in Malaysia verschifft worden, in der jede Form von Produktionstätigkeit streng verboten sei. Die Ware sei weder be- noch verarbeitet, sondern lediglich umgeladen und dann nach Deutschland verbracht worden. Der für solche Waren aus der VR China geltende Einfuhrzoll und Antidumpingzoll sei nach Art. 220 Abs. 1 ZK ohne Fristenverstoß nacherhoben worden. Die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände des Art. 220 Abs. 2 ZK seien nicht gegeben. Ein die Nacherhebung von Antidumpingzoll ausschließender Irrtum der deutschen Zollbehörden liege nicht vor. Ein Irrtum der malaysischen Behörden - der allerdings ohnehin nur für den nacherhobenen Drittlandszoll beachtlich wäre - liege gleichfalls nicht vor, weil die malaysische Ausstellerbehörde durch nachgewiesen unrichtige Angaben des Ausführers zur Ausstellung der falschen Bescheinigungen veranlasst worden sei. Der Umstand, dass die Behörde die Bescheinigungen unter der Angabe "on the basis of control carried out" erteilt habe, lasse weder Rückschlüsse auf die tatsächlichen Umstände der Ausstellung und das für einen Vertrauensschutz vorausgesetzte aktive Verhalten der Behörden zu noch begründe er, dass die Behörde von der Unrichtigkeit der Ursprungsangabe des Ausführers gewusst habe oder hätte wissen müssen. Wegen der Einzelheiten seines Inhalts wird auf den Ablehnungsbescheid Bezug genommen.

8

4. Die Antragstellerin hat sich mit Schriftsatz vom 26.03.2014 wegen Aussetzung der Vollziehung an das Finanzgericht gewandt.

9

Die Antragstellerin trägt vor, die Voraussetzungen des maßgeblichen Art. 244 ZK lägen in beiden Alternativen vor, denn es bestünden sowohl begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nacherhebungsbescheide als auch die Gefahr eines unersetzbaren Schadens für die Antragstellerin.

10

a) Die Antragstellerin hält die Nacherhebungsbescheide für rechtswidrig, weil der Vertrauenstatbestand des Art. 220 Abs. 2 Buchst b) ZK einer Nacherhebung entgegenstehe. Das malaysische Ministerium sei eine Zollbehörde im Sinne der Vorschrift. Ihm sei beim Ausstellen der Ursprungszeugnisse gegebenenfalls ein sogenannter aktiver Irrtum unterlaufen, denn es habe offensichtlich nicht bloß die Angaben des Ausführers übernommen, sondern den Ursprung der Waren selbst ermittelt. Das ergebe sich aus der verwendeten Formulierung "on the basis of control carried out". Es könne dahinstehen, ob der Ausführer unrichtige Angaben gemacht habe, denn unrichtige Angaben des Ausführers führten nicht zur Versagung des Vertrauensschutzes, wenn die Behörde von den unrichtigen Angaben gewusst habe oder hätte wissen müssen, wovon vorliegend auszugehen sei, weil das malaysische Ministerium eigene Untersuchungen vorgenommen habe. Im Übrigen trage der Antragsgegner die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, der Ausführer habe unrichtige Angaben gemacht. Die Antragstellerin sei wegen der Erklärungen des Ausführers, dass die Waren in Malaysia ursprungsbegründend verarbeitet bzw. hergestellt worden seien, gutgläubig gewesen. Zu Zweifeln an der Richtigkeit der Erklärungen habe sie keinen Anlass gehabt. Ihre Gutgläubigkeit ergebe sich nach Art. 220 Abs. 2 Buchst b) Unterabs. 2 ZK bereits aus dem Umstand, dass das malaysische Ministerium die Präferenznachweise ausgestellt habe.

11

b) Der Antragstellerin, die seit 30 Jahren bestehe und derzeit knapp 300 Mitarbeiter beschäftige, drohe ein unersetzbarer Schaden. Da die ihr von den Banken gewährte Kreditlinie nahezu vollständig ausgeschöpft sei, würde die Bezahlung des Abgabenbetrags oder die Leistung einer entsprechenden Sicherheit zur Kündigung der Kreditverträge durch die Banken führen, was unausweichlich die Insolvenz der Antragstellerin zur Folge hätte. Allein der drohende Abgabenbetrag würde die Insolvenz der Antragstellerin verursachen.

12

Zur Verdeutlichung der behaupteten Insolvenzgefahr hat die Antragstellerin verschiedene betriebswirtschaftliche Unterlagen und eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

13

Die Antragstellerin meint, der Antragsgegner habe die Ablehnung ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung zu Unrecht unter Bezugnahme auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 08.03.1995 (4 V 3012/94 A) damit begründet, dass Deutschland angefochtene Abgabenbescheide aufgrund des Beitreibungsrechts nicht in Polen vollstrecke. In der aktuellen Fassung des deutschen EU-Beitreibungsgesetzes bestehe das Beitreibungsverbot nicht mehr ausnahmslos, sondern gewähre den Behörden in § 10 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EUBeitrG insoweit einen Beurteilungsspielraum. Außerdem komme es für den Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung nicht auf die Vollstreckbarkeit an. Denn die Antragstellerin habe sich grundsätzlich rechtstreu zu verhalten und habe dem ihr gegenüber ergangenen Zahlungsbefehl unabhängig von dem Bestehen einer Möglichkeit, im Falle der Nichtzahlung bei ihr zu vollstrecken, zu folgen. Der ihr drohende unersetzbare Schaden - die Insolvenz - sei durch das dafür vorgesehene rechtsstaatliche Instrument, die Aussetzung der Vollziehung, zu vermeiden. Die Antragstellerin habe sich nicht auf eine rechtswidrige Missachtung hoheitlicher Anordnungen, hier der Zahlungsaufforderung, verweisen zu lassen.

14

c) Die Antragstellerin macht weiterhin geltend, der Antragsgegner verstoße gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, das es verbiete, eine Leistung zu fordern, die sofort wieder herausgegeben werden müsste. Im vorliegenden Fall sei es nicht ausgeschlossen, dass der vom Antragsgegner geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der streitigen Nacherhebungsbeträge wieder erlöschen werde aufgrund des Erlasses der Abgaben nach Art. 238 oder Art. 239 ZK oder infolge Aufhebung des Bescheids durch das Gericht.

15

5. Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids vom 04.11.2013 (AT/...) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.02.2014 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

16

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

17

6. Der Antragsgegner nimmt zur Begründung seines Antrags Bezug auf seine Ablehnungsentscheidung vom 25.02.2014.

18

7. Dem Gericht lag außer den Schriftsätzen der Beteiligten nebst Anlagen der Verwaltungsvorgang des Antragsgegners (332 Blatt) vor.

Entscheidungsgründe

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II. Der gemäß § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Art 244 Zollkodex (ZK) zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat in der Sache keinen Erfolg.

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1. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes geklärt, dass im Geltungsbereich des Zollkodex auch im finanzgerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO die Vorschriften des Art. 244 Unterabs. 2 ZK über die Aussetzung der Vollziehung im Verwaltungsverfahren anzuwenden sind (vgl. nur BFH, Beschluss vom 11.07.2000, VII B 41/00). In Art. 244 Unterabs. 2 ZK ist bestimmt, dass die Zollbehörden die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aussetzen, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Für die zweite Alternative kommt es nicht darauf an, ob die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zweifelhaft ist.

21

Begründete Zweifel im Sinne des Art. 244 Unterabs. 2 ZK bestehen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (BFH, Beschluss vom 11.08.2005, VII B 292/04). Bei der Auslegung des Begriffs "unersetzbarer Schaden" ist an den Begriff "nicht wiedergutzumachender Schaden" anzuknüpfen, der zu den Voraussetzungen für die in Art. 278 AEUV vorgesehene Aussetzung der Durchführung einer Handlung gehört. Ein durch die Vollziehung der Entscheidung der Zollbehörde drohender finanzieller Schaden ist nur dann als unersetzbarer Schaden i. S. des Art. 244 Unterabs. 2 ZK anzusehen, wenn er im Fall des Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte, so etwa im Fall der Insolvenz des Abgabenschuldners (vgl. EuGH-Urteil vom 17.07.1997, C-130/95; BFH, Beschluss vom 11.08.2005, VII B 292/04). Ein unersetzbarer Schaden in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprung des Gerichtshofs der Europäischen Union nur dann vor, wenn dieser schwer und nicht wiedergutzumachen ist. Letzteres soll nur dann der Fall sein, wenn der Schaden im Falle des Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte, weil etwa die Existenzgefährdung des Unternehmens droht (vgl. Nachweise bei Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 244 Rdnr. 29). Die Zollbehörden dürfen die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung auch dann von einer Sicherheitsleistung abhängig machen, wenn dem Beteiligten bei sofortiger Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht. Denn die Gefahr eines unersetzbaren Schadens rechtfertigt zwar nach Artikel 244 Unterabs. 2 ZK die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung, spielt aber im Hinblick auf das Erfordernis einer Sicherheitsleistung keine Rolle. Soweit jedoch die Forderung einer Sicherheitsleistung aufgrund der Lage des Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen kann, brauchen die Zollbehörden keine Sicherheitsleistung zu fordern. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner nicht über ausreichende Mittel für eine Sicherheitsleistung verfügt (vgl. EuGH, Urteil vom 17.07.1997, C-130/95).

22

2. Begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheides sind nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Antragsgegner zu Recht ZollEU und Antidumpingzoll nacherhoben hat.

23

a) Rechtsgrundlage für die Nacherhebung ist Art. 220 Abs. 1 ZK. Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt. Bei der Einfuhr der Waren wurden die Einfuhrabgaben zunächst unter Zugrundelegung einer Präferenz für Waren aus Malaysia unzutreffend festgesetzt. Die Abgaben waren zu niedrig festgesetzt worden, denn bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass Ursprungsland der eingeführten Waren China gewesen ist und daher die Zollsätze und der Antidumpingzoll für chinesische Waren gelten.

24

Nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung hatten die von der Antragstellerin in die Union eingeführten Waren ihren Ursprung nicht in Malaysia. Der Senat geht davon aus, dass sie in China hergestellt und in Malaysia nicht mehr ursprungsbegründend weiterverarbeitet wurden. Es ist durch die Unterlagen in der Akte des Antragsgegners belegt, dass die Waren in dem Zollfreigebiet A in Malaysia keine ursprungsbegründende Bearbeitung erfahren haben. Dem Bericht von OLAF (über die Gemeinschaftsmission vom 14.-18.01.2013 wegen Glasfasergewebe) ist zu entnehmen, dass sämtliche Waren, die von außerhalb in das Zollfreigebiet eingeführt werden, mit einer sog. ZB1-Anmeldung unter Angabe auch des Herkunftslandes angemeldet werden, und von dort, ohne weitere Bearbeitung, mit einer sog. ZB2-Anmeldung, die auch die Nummer der ZB1-Anmeldung nennt, wieder ausgeführt werden. Die Mitteilung von OLAF vom 07.05.2013 enthält als Anlage 3c (Bl. 27 der Verfahrensakte des Antragsgegners) eine Liste der ZB2-Anmeldungen, mit denen die Waren, die die Antragstellerin mit den streitgegenständlichen Zollanmeldungen in die Union eingeführt hatte, aus Malaysia ausgeführt wurden. In der Anlage ist den ZB2-Anmeldungen jeweils eine ZB1-Anmeldung zugeordnet, die China als Herkunftsland ausweist.

25

Auch die Antragstellerin, der das Schreiben von OLAF vom 07.05.2013 nebst erwähnter Anlage in Kopie zur Verfügung gestellt worden ist, hat die auf dieser Grundlage vom Antragsgegner getroffene Sachverhaltsfeststellung, dass die Waren aus China stammen und in Malaysia nicht ursprungsbegründend behandelt wurden, nicht wirklich in Zweifel gezogen.

26

b) Der Nacherhebung des Zolls steht die Vertrauensschutznorm des Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b) ZK nicht entgegen. Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 1 ZK erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat.

27

aa) Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 2 ZK gilt im Rahmen eines Systems der administrativen Zusammenarbeit unter Beteiligung einer drittländischen Behörde die Ausstellung einer Präferenzbescheinigung durch diese Behörde, falls sich die Bescheinigung später als unrichtig erweist, als ein Irrtum, der vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte (vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2010, VII R 31/09).

28

Die zu niedrige oder unterlassene buchmäßige Erfassung muss jedenfalls auf einem Irrtum der Zollbehörden beruhen. In ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Irrtum im Sinne der Vorschrift jeder Irrtum bei der Auslegung oder Anwendung der Vorschriften über Eingangs- oder Ausfuhrabgaben, falls er auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen ist (vgl. Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 14 m. w. N.). Danach müssen die Zollbehörden selbst die Grundlage, auf der das Vertrauen des Abgabepflichtigen beruht, geschaffen haben (Alexander a. a. O.). Dem entspricht das Konzept des so genannten aktiven Irrtums, wie er in der deutschen Rechtsprechung als Voraussetzung des Vertrauensschutzes gemäß Art. 220 Abs. 2 ZK gesehen wird. Ein sog. aktiver Irrtum, wie ihn Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK voraussetzt, liegt vor, wenn die Zollbehörde den Irrtum aktiv begangen hat und ihm nicht lediglich unterlegen ist, etwa weil sie ungeprüft die Angaben in der Zollanmeldung übernommen hat. Vielmehr muss der Irrtum auf ein Handeln der Zollbehörde zurückzuführen sein (vgl. BFH, Beschluss vom 28.11.2005, VII B 116/05; FG Hamburg, Urteil vom 24.01.2008, 4 K 274/07). Liegen der zu niedrigen buchmäßigen Erfassung unrichtig angemeldete Tatsachen zugrunde, setzt der nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK erhebliche Irrtum tatsächliche Feststellungen der Zollbehörde voraus, die sie der Festsetzung zugrunde gelegt haben muss (vgl. Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 18 m. w. N.). Insoweit genügt die bloße Annahme der Zollanmeldung nicht, wie sie beispielsweise im Vermerk "wie angemeldet angenommen" zum Ausdruck kommt. In diesen Fällen trägt allein der Zollschuldner das Risiko der Erklärung und kann sich bei einer Unrichtigkeit nicht auf einen Irrtum der Zollbehörden berufen (Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 18 m. w. N.).

29

bb) Ausnahmsweise kann auch jede andere Behörde, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesichtspunkte beiträgt, die bei der Zollerhebung zu berücksichtigen sind und so beim Abgabenschuldner ein berechtigtes Vertrauen entstehen lassen können, einen beachtlichen Irrtum begehen (Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 22).

30

Ein beachtlicher Irrtum kann auch mit Maßnahmen drittländischer Zollbehörden begründet werden, wenn bindende Gemeinschaftsregelungen auf deren Tätigkeit abstellen, so etwa bei dem gesetzlichen Erfordernis der Vorlage von Präferenznachweisen (vgl. Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 23 m. w. N.). Allerdings bezieht sich dieser Vertrauensschutz nur auf einen Rechtsirrtum der drittländischen Zollbehörde, nicht aber auf die bloße Hinnahme von Erklärungen über die tatsächlichen Verhältnisse (FG Hamburg, Urteil vom 19.04.2011, 4 K 293/09; vgl. Alexander in Witte, Zollkodex, Art. 220 Rdnr. 23).

31

cc) Wenn sich bei einer nachträglichen Prüfung keine Bestätigung für die im Ursprungszeugnis nach Formblatt A enthaltene Angabe über den Warenursprung finden lässt, ist daraus zu schließen, dass die Ware unbekannten Ursprungs ist und dass das Zeugnis demnach zu Unrecht ausgestellt und der Vorzugstarif zu Unrecht gewährt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 08.11.2012, C-438/11, m. w. N.). Haben die Behörden des Ausfuhrstaats unrichtige Ursprungszeugnisse nach Formblatt A ausgestellt, ist diese Ausstellung nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 und 3 ZK daher als Irrtum dieser Behörden anzusehen, es sei denn, es stellt sich heraus, dass diese Zeugnisse auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten durch den Ausführer beruhen. Wurden die genannten Zeugnisse auf der Grundlage falscher Erklärungen des Ausführers ausgestellt, müssen die Einfuhrabgaben nacherhoben werden, sofern insbesondere nicht offensichtlich ist, dass die Behörden, die die Zeugnisse ausgestellt haben, wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten (EuGH, Urteil vom 08.11.2012, C-438/11 m. w. N.).

32

Beruht - wie bei Einfuhren aus Malaysia - die Präferenzgewährung auf dem Allgemeinen Präferenzsystem (APS), nicht jedoch auf einem zwischenstaatlichen Abkommen, trägt im Fall einer - wie hier - zu Unrecht erteilten Präferenzbescheinigung der Zollschuldner die Feststellungslast, dass die drittländische Ausstellungsbehörde einen Irrtum begangen hat, und muss beweisen, dass der Ausführer gegenüber dieser Behörde zutreffende Angaben gemacht hat (Krüger, ZfZ 2014, 2, 7; vgl. EuGH, Urteil vom 08.11.2012, C-438/11; vgl. auch EuGH, Urteil vom 15.12.2011, C-409/10).

33

dd) Auf dieser Grundlage kann die Antragstellerin keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen.

34

Es steht fest, dass der Ausführer unzutreffende Angaben gegenüber der malaysischen Behörde gemacht hat. Denn in Feld 12 der Präferenznachweise findet sich jeweils eine "declaration by the exporter", in der versichert wird, dass die Waren malaysischen Ursprungs sind, was, wie dargelegt, als nicht zutreffend anzusehen ist.

35

Davon, dass das malaysische Ministerium von der Unrichtigkeit der Erklärung des Ausführers wusste oder hätte wissen müssen, kann nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin argumentiert mit dem Wortlaut der erstellten Bescheinigung - "It is hereby certified, on the basis of control carried out, that the declaration by the exporter ist correct." - und meint, weil das malaysische Ministerium den Ursprung der Waren offensichtlich aktiv untersucht habe, hätte es gegebenenfalls erkennen müssen, wenn die Ursprungsangaben des Ausführers nicht korrekt gewesen wären. Die zitierte Erklärung trägt die Schlussfolgerung der Antragstellerin nicht. Denn es ist zumindest ebenso möglich, dass mit "Kontrolle" eine bloße Schlüssigkeitsprüfung der Angaben zur Ausfuhrware sowie der Erklärung des Ausführers gemeint ist, bei der nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass sie eine inhaltliche Unrichtigkeit der Ausführererklärung aufdeckt. Andere Anhaltspunkte für das behauptete Kennen müssen hat offenbar auch die Antragstellerin nicht.

36

Da somit kein gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 1, 2, 3 ZK vertrauensschutzbegründender Irrtum einer Behörde festzustellen ist, kommt es auf die Frage der Gutgläubigkeit der Antragstellerin nicht mehr an; der gute Glaube des Anmelders bezüglich der Ursprungseigenschaften allein begründet keinen Vertrauensschutz.

37

3. Im Rahmen der summarischen Prüfung kann auch nicht erkannt werden, dass der Antragstellerin durch die Vollziehung ein unersetzbarer Schaden im Sinne von Art. 244 Unterabs. 2 2. Fall ZK entstehen könnte, der unabhängig von den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs eine Aussetzung der Vollziehung des streitigen Nacherhebungsbescheides rechtfertigt.

38

Die Antragstellerin behauptet, durch eine drohende Insolvenz in ihrer Existenz gefährdet zu sein. Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind nach polnischem Recht - ebenso wie in Deutschland - die Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen.

39

Dass eine Insolvenz infolge der Vollziehbarkeit der Abgabennachforderung eintritt, hat die Antragstellerin indes nicht hinreichend glaubhaft gemacht und zwar weder im Hinblick auf eine Überschuldung oder eine Zahlungsunfähigkeit noch in Folge einer Kreditkündigung ihrer Banken. Außerdem ist eine Existenzgefährdung auch wegen der Wirkung des Gesetzes über die Durchführung der Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EUBeitrG) nicht zu erwarten.

40

a) Überschuldung
Der Senat kann nicht feststellen, dass, wie die Antragstellerin vorträgt, allein der drohende Abgabenbetrag bereits ihre Insolvenz verursacht.

41

Von einer Überschuldung ist im Allgemeinen immer dann auszugehen, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, wobei für die Bewertung des Vermögens von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Die Feststellung der Überschuldung ist insofern das Ergebnis einer Bilanz, die an dem alleinigen Zweck ausgerichtet ist, das Schuldendeckungspotential zu ermitteln. Eine solche Bilanz hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen genügen insoweit nicht, denn sie weisen insbesondere die hierfür zu berücksichtigenden stillen Reserven nicht aus. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei kursorischer Prüfung der von der Antragstellerin vorgelegten Buchhaltungsunterlagen zum dort aktuellsten Stand, dem 30.11.2013, die Sorge der Überschuldung auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. Denn der Summe der Aktiva von ... PLN stehen Verbindlichkeiten von zusammen nur ... PLN gegenüber; das ausgewiesene Eigenkapital von rund ... PLN übersteigt den streitgegenständlichen Abgabenbetrag von rund ... PLN bei Weitem.

42

Außerdem ist Folgendes anzumerken: Der Senat versteht den Vortrag der Antragstellerin, allein der drohende Abgabenbetrag verursache ihre Insolvenz, in dem Sinne, dass schon aufgrund der bilanziellen Berücksichtigung der streitigen Nachforderung die Überschuldung der Antragstellerin und damit ihre Insolvenz eintrete. Selbst wenn dieser Vortrag zutreffend wäre - was der Senat, wie dargelegt, nicht zu erkennen vermag - läge die Voraussetzung für die begehrte Aussetzung der Vollziehung nicht vor. Denn in diesem Falle hätte der in ihrer Insolvenz liegende Schaden der Antragstellerin seine Ursache nicht in der Vollziehbarkeit des angefochtenen Abgabenbescheids. Denn Abgabenverbindlichkeiten sind grundsätzlich spätestens mit ihrer Festsetzung zu bilanzieren und zwar unabhängig von einer Zahlung oder der Vollziehbarkeit des Bescheids. Sie sind auch im Rahmen einer Überschuldungsbilanz unabhängig von einer etwaigen Anfechtung des Bescheids zu passivieren, sofern ein hinreichendes Risiko besteht, dass die Festsetzung Bestand haben wird. Das ist hier der Fall, weil, wie oben dargelegt, keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen.

43

b) Zahlungsunfähigkeit
Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass mit der Entrichtung der streitgegenständlichen Abgabennachforderung Zahlungsunfähigkeit der Antragstellerin eintreten wird.

44

Die Antragstellerin trägt vor, die ihr von den Banken gewährte Kreditlinie sei nahezu vollständig ausgeschöpft, so dass die Bezahlung des Abgabenbetrags oder die Leistung einer entsprechenden Sicherheit dazu führen werde, dass die Banken die Kreditverträge kündigten. Dieser Vortrag ist nach Ansicht des Senats nicht anders zu verstehen, als dass es der Antragstellerin eben nicht unmöglich ist, Zahlung des streitigen Betrags zu leisten.

45

Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin in ihrer Antragsbegründung darauf hinweist, dass ihre liquiden Mittel zum 30.11.2013 mit einem Minusbetrag von ... PLN zu beziffern seien und im 1. Quartal noch ein Fehlbetrag von ... PLN zu prognostizieren sei.

46

Die Behauptung, über keine liquiden Mittel zu verfügen, steht bereits im Widerspruch zu dem zitierten Vortrag der Antragstellerin, wenn sie Zahlung leiste, sei eine Kündigung ihrer Kredite zu erwarten. Außerdem weisen die vorgelegten Buchführungsunterlagen und der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin einen Betrag liquider Mittel zum 30.11.2013 von ... PLN aus. Der Senat verkennt nicht, dass dieser Betrag deutlich hinter den streitgegenständlichen Abgaben ... zurückbleibt. Doch so wie der Geschäftsführer der Antragstellerin in seiner eidesstattlichen Versicherung bei der Angabe der liquiden Mittel die kurzfristigen Verbindlichkeiten der Antragstellerin berücksichtigt wissen will - und sich erst dadurch der in der Antragsbegründung genannte Minuswert "liquider Mittel" erklärt -, darf bei der Prüfung einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit auch der Bestand an Forderungen der Antragstellerin aus Lieferungen und Leistungen nicht unbeachtet bleiben, der zum 30.11.2013 über ein Vielfaches der streitgegenständlichen Abgaben betrug. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass in der Zwischenzeit von diesen Forderungen kein für die Zahlung hinreichender Teil erfüllt worden ist bzw. dass ein Teil der Forderungen in der benötigen Höhe nicht liquidiert werden kann. Es ist für den Senat jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass ein Versuch der Antragstellerin, die streitgegenständlichen Abgaben zu zahlen, unmittelbar zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führen würde. Gegebenenfalls müsste die Antragstellerin auch dartun, dass keine Zahlungserleichterungen erreicht werden können.

47

c) Kreditkündigung
Soweit sich aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt, dass sie sich im Fall einer Zahlung der streitgegenständlichen Abgabe jedenfalls mittelbar in ihrer Existenz bedroht sieht, weil ihr die Banken die Kreditverträge kündigen werden, fehlt es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung. Die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin genügt insoweit schon deswegen nicht, weil diese Erklärung keine Darlegung enthält, dass die Banken bei Abgabenzahlung durch die Antragstellerin ihre Kreditverträge tatsächlich kündigen werden, sondern nur, dass die Banken nach erfolgter Zahlung das Recht hätten, zu kündigen. Diese bloße Möglichkeit der Kündigung reicht jedenfalls nicht aus, um die von Art. 244 ZK vorausgesetzte Erwartung eines unersetzbaren Schadens zu begründen.

48

d) Dass der Antragstellerin ein unersetzbarer Schaden infolge der Vollziehung des angefochtenen Abgabenbescheids droht, ist auch deswegen nicht zu erwarten, weil Sitz der Antragstellerin in Polen ist und sie dort ihr Unternehmen betreibt. Denn der Antragsgegner ist zur Stellung eines Beitreibungsersuchens gegenüber Polen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EUBeitrG solange nicht berechtigt, wie der Abgabenbescheid wegen Rechtsmitteleinlegung noch nicht rechtskräftig ist. Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass in § 10 Abs. 1 Satz 2, 3 EUBeitrG auch Ausnahmen vom Beitreibungsgebot vorgesehen sind. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch vorliegend nicht gegeben. Eine der Voraussetzungen ist, dass der Einspruch lediglich der Verzögerung der Vollstreckung dient. Umstände, die für eine Verzögerungsabsicht der Antragstellerin sprechen, hat keiner der Beteiligten aufgezeigt und sind dem Senat auch ansonsten nicht ersichtlich. Da es sich bei der Verzögerungsabsicht um eine Voraussetzung handelt, die neben einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit erfüllt sein muss, könnte die Behauptung einer Verzögerungsabsicht der Antragstellerin auch nicht bloß mit mangelnder Erfolgsaussicht ihres Einspruchs begründet werden.

49

4. Die Aussetzung der Vollziehung kann auch nicht deswegen beansprucht werden, weil der Antragsgegner den Abgabenbetrag im Falle seiner Zahlung wieder zurück zu gewähren hat. Es steht nicht fest, dass der Antragstellerin der Abgabenbetrag zu erlassen oder zu erstatten ist.

50

Es ist auch im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Erlass oder eine Erstattung vorliegen. Ob etwas anderes gilt, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen offensichtlich ist, kann dahinstehen. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Selbst die Antragstellerin spricht nur von der Möglichkeit eines Erlasses.

51

5. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Die §§ 811 bis 811c, 813 Absatz 1 bis 3 und § 882a Absatz 4 der Zivilprozessordnung sowie die Beschränkungen und Verbote, die nach anderen gesetzlichen Vorschriften für die Pfändung von Sachen bestehen, gelten entsprechend. An die Stelle des Vollstreckungsgerichts tritt die Vollstreckungsbehörde.

(1) Die gepfändeten Sachen sollen bei der Pfändung auf ihren gewöhnlichen Verkaufswert geschätzt werden. Die Schätzung des Wertes von Kostbarkeiten soll einem Sachverständigen übertragen werden. In anderen Fällen kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers oder des Schuldners die Schätzung durch einen Sachverständigen anordnen.

(2) Ist die Schätzung des Wertes bei der Pfändung nicht möglich, so soll sie unverzüglich nachgeholt und ihr Ergebnis nachträglich in dem Pfändungsprotokoll vermerkt werden. Werden die Akten des Gerichtsvollziehers elektronisch geführt, so ist das Ergebnis der Schätzung in einem gesonderten elektronischen Dokument zu vermerken. Das Dokument ist mit dem Pfändungsprotokoll untrennbar zu verbinden.

(3) Sollen bei Personen, die Landwirtschaft betreiben,

1.
Früchte, die vom Boden noch nicht getrennt sind,
2.
Sachen nach § 811 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b,
3.
Tiere nach § 811 Absatz 1 Nummer 8 Buchstabe b oder
4.
landwirtschaftliche Erzeugnisse
gepfändet werden, so soll ein landwirtschaftlicher Sachverständiger herangezogen werden, sofern anzunehmen ist, dass der Wert dieser Sachen und Tiere insgesamt den Betrag von 2 000 Euro übersteigt.

(4) Die Landesjustizverwaltung kann bestimmen, dass auch in anderen Fällen ein Sachverständiger zugezogen werden soll.

Beschränkungen und Verbote, die nach den §§ 850 bis 852 und 899 bis 907 der Zivilprozessordnung und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, gelten sinngemäß.