Finanzgericht Hamburg Beschluss, 05. Dez. 2016 - 3 V 290/16

05.12.2016

Gründe

1

Der als Antrag auf einstweilige Anordnung zu verstehende Antrag ist gemäß § 114 FGO statthaft; und zwar auch soweit eine (sogenannte ex parte) Entscheidung ohne (gemeint: vorherige) Anhörung des Antragsgegners, das heißt des Finanzamts (FA), beantragt wird.

2

1. Der Grundsatz der (vorherigen) Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) kann ausnahmsweise eine Einschränkung erfahren (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 81); und zwar bei besonderer Eilbedürftigkeit (Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 99) aus der Natur der Sache (vgl. Stapperfeind in Gräber, FGO, 8. Aufl., § 114 Rz 76; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 112).

3

Anders als im Arrestverfahren, in dem es häufig auf einen Überraschungseffekt ankommt, besteht in Abgabenstreitigkeiten in der Regel kein Grund, ohne Behördenakten und ohne Stellungnahme des Antragsgegners zu entscheiden. Nur in extremen Ausnahmefällen, in denen der vorläufige Rechtsschutz auch bei fernmündlicher Anhörung des Antragsgegners nicht mehr gewährleistet wäre, ist ein Absehen von der vorherigen Anhörung denkbar (Haarmann in Ziemer/Haarmann/Loose/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen Rz. 4699/2 m. w. N.) und ist das Gericht gehalten, dem betroffenen Antragsgegner nach Erlass der einstweiligen Anordnung rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.03.1965, BVerfGE 18, 399); nötigenfalls im Wege der Anhörungsrüge (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2010 1 BvR 2157/10, FamRZ 2010, 1970; Juris).

4

2. Im Streitfall ist weder für die einstweilige Anordnung noch für deren Erlass ohne vorherige Anhörung des FA eine hinreichende Eilbedürftigkeit und Beschwer dargelegt und glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

5

Insbesondere ist aus dem Antrag nicht ohne weiteres konkret ersichtlich,
a) wann welche wie bezeichneten Originalordner bei welchem Anlass zu welchem Zweck oder Verfahren beim FA auf welchem Wege bzw. durch wen an welcher Stelle oder an welche Person eingereicht worden sein sollen;
b) welche Schritte die Antragsteller bisher zwecks Auffindung oder Herausgabe der Ordner oder zwecks Einsichtnahme oder Herstellung von Kopien beim FA mit welchem Ergebnis wann zuletzt unternommen haben und warum es bisher nicht zu der in der Antragsbegründung angesprochenen Akteneinsicht gekommen ist.

6

3. Weiterhin sind keine Anhaltspunkte dafür dargetan, sonst ersichtlich oder vorstellbar, dass ein Mitarbeiter des FA in den Ordnern der Antragsteller enthaltene Belege "beiseite geschafft" habe oder "beseitigen" werde.

7

4. Im Übrigen hat eine heutige telefonische Rückfrage bei dem zuständigen Rechtsbehelfs-Sachgebietsleiter V des FA nach dessen vorläufiger amtsinterner Erkundigung und hiesigem Rückruf ergeben, dass Ordner vorhanden sein dürften und nach genauerer Feststellung nur noch die Frage der Herstellung von Kopien oder der Herausgabe zeitlich abzustimmen sei.

8

5. Die Entscheidungen über die Kosten und die Nichtzulassung der Beschwerde folgen aus § 135 Abs. 1, § 128 Abs. 3 FGO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Beschluss, 05. Dez. 2016 - 3 V 290/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Hamburg Beschluss, 05. Dez. 2016 - 3 V 290/16

Referenzen - Gesetze

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 05. Dez. 2016 - 3 V 290/16 zitiert 9 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 96


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 294 Glaubhaftmachung


(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. (2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 128


(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 114


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des An

Referenzen

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(3) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozessordnung sinngemäß.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle des § 69.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(3) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozessordnung sinngemäß.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle des § 69.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.