Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 30. Aug. 2016 - 10 K 1897/16 U,F,AO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Zu entscheiden ist vorrangig, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren ist.
3Der Kläger wohnt in A und betrieb bis mindestens August 2015 eine Rechtsanwaltskanzlei in B. A gehört zum Zuständigkeitsbereich des Finanzamts C und B zum Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
4Mangels Abgabe von Erklärungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2015 für das Jahr 2013 Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.H.v. 25.000 € im Schätzwege gesondert fest. Zudem wurde die Umsatzsteuer (USt) 2013 mit Bescheid vom 15.05.2015 auf 12.806 € geschätzt. Dies führte zu einer USt-Nachzahlung von 3.520,05 €. Zugleich wurden Zinsen zur USt i.H.v. 17 € und ein Verspätungszuschlag zur USt i.H.v. 700 € festgesetzt. Die beiden Bescheide wurden einzeln versendet und dem Kläger jeweils am 18.05.2015 unter seiner Privatadresse mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
5Der Kläger legte gegen diese Bescheide mit Schreiben vom 28.06.2015 Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Zur Begründung gab er an, dass er seit März 2015 arbeitsunfähig erkrankt sei. Er leide unter einem akuten Erschöpfungssyndrom mit psychosomatischer Symptomatik. Hinzu komme, dass er seit November 2014 kein Personal mehr in seiner Anwaltskanzlei beschäftige und aus diesem Grund die anwaltliche Tätigkeit seit März 2015 aus gesundheitlichen Gründen vollständig zum Erliegen gekommen sei. Dem Einspruchsschreiben lagen die Umsatzsteuererklärung sowie eine Einnahmenüberschussrechnung für das Jahr 2013 bei. Darin hat der Kläger einen Gewinn von 13.309,67 € sowie festzusetzende USt von 10.870,21 € (Nachzahlung 1.584,26 €) berechnet.
6Nach Hinweis des Beklagten, dass der Kläger nicht hinreichend dargelegt habe, aus gesundheitlichen Gründen an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert gewesen zu sein, trug der Kläger mit Schreiben vom 17.07.2015 ergänzend vor, dass er seine Kanzlei seit dem 09.03.2015 nur noch an einzelnen Tagen in der Woche aufgesucht und diese mit einem „Notbetrieb“ aufrechterhalten habe. Und zwar habe sich seine ehemalige Bürogemeinschaftskollegin, Frau Rechtsanwältin D, bereit erklärt, die in der Kanzlei eingegangene Post nach Wichtigkeit zu sortieren und Fristsachen zu vermerken. Während seiner Erkrankung an der Privatanschrift eingehende Post für die Kanzlei sei von seiner Ehefrau in die Kanzlei verbracht worden, so auch die beiden Bescheide vom 15.05.2015. Offensichtlich seien die Bescheide dort von Frau D nicht als fristgebundene Angelegenheiten behandelt worden. Jedenfalls sei keine Frist im Fristenkalender vermerkt worden und es würden auch entsprechende handschriftliche Fristanmerkungen auf den Bescheiden fehlen. Am Samstag, dem 27.06.2015 habe er seine Kanzlei aufgesucht, um dort die vorsortierte Post zu bearbeiten. Im Fach für den „normalen“, nicht fristgebundenen Posteingang habe er die Bescheide vom 15.05.2015 vorgefunden. Er habe sich dann telefonisch mit Frau D in Verbindung gesetzt. Frau D habe mitgeteilt, dass ihr offensichtlich ein Fehler unterlaufen sein müsse. Sie habe sich daraufhin angeboten, ihn am 28.06.2015 bei der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung und der Gewinnermittlung zu unterstützen. Frau D sei ihm als gewissenhaft arbeitende Person bekannt, die als Rechtsanwältin die Bedeutung von fristgebundenen Angelegenheiten kenne. Aus diesem Grund habe er die angebotene unterstützende Hilfe angenommen. Warum ausgerechnet die beiden Bescheide vom 15.05.2015 fehlerhaft von Frau D bearbeitet worden seien und Fristabläufe nicht notiert worden seien, sei nicht aufklärbar. Er - der Kläger - sei jedenfalls ohne eigenes Verschulden daran gehindert gewesen, die Einspruchsfrist einzuhalten.
7Dem Schreiben vom 17.07.2015 lagen eidesstattliche Versicherungen von Frau D und der Ehefrau des Klägers bei. Die Ehefrau des Klägers, Frau E, gab an, dass im Mai 2015 ein Schreiben des Finanzamts B mit Postzustellungsurkunde unter der Privatanschrift angekommen sei. Sie habe dieses Schreiben nach einigen Tagen in die Kanzlei nach B gebracht. Das müsse um den 22./23.05.2015 gewesen sein. Daran, ob der Umschlag des Schreibens noch vorhanden gewesen sei und sie das Schreiben mit dem Umschlag oder nur das Schreiben alleine in die Kanzlei gebracht habe, könne sie sich nicht erinnern. In der Kanzlei habe sie das Schreiben auf den Schreibtisch der ehemaligen Mitarbeiterin gelegt.
8Frau D gab in ihrer eidesstattlichen Versicherung an, dass sie zweimal pro Woche in die Kanzlei des Klägers gefahren sei und dort die eingegangene Post gesichtet und nach Wichtigkeit sortiert habe. Bei fristgebundenen Angelegenheiten habe sie die Fristen im Fristenkalender notiert. Dabei habe sie offensichtlich den Bescheid des Finanzamts B über Umsatzsteuer 2013 falsch sortiert. Der Kläger habe die Kanzlei seit März 2015 nur noch sporadisch aufgesucht und ausschließlich unaufschiebbare Aufgaben erledigt. Sie habe ihn telefonisch darüber informiert, welche anwaltlichen Angelegenheiten dringend zu bearbeiten seien und welche Angelegenheiten mit Fristen verbunden seien. Bei seinen Besuchen in der Kanzlei habe der Kläger dann die von ihr vorgegebenen Fristabläufe bearbeitet. Am Samstag, dem 27.06.2015, habe sie der Kläger aufgeregt angerufen und mitgeteilt, dass er in dem Fach für den „normalen“ Posteingang den Bescheid über die Jahresumsatzsteuer 2013 vorgefunden habe, für den kein Fristablauf vermerkt gewesen sei. Am 17.08.2015 (Bl. 15 der Akte 10 V 2545/15 A(U,AO)) teilte Frau D in Ergänzung ihrer eidesstattlichen Versicherung mit, dass der Grund dafür, dass sie lediglich den USt-Bescheid erwähnt habe, darin liege, dass sie dem Kläger am 28.06.2015 lediglich bei der Erstellung der USt-Erklärung geholfen habe. Von ihrem Fehler seien zwei Bescheide betroffen gewesen.
9Der Beklagte lehnte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 24.07.2015 ab. Zur Begründung führte er aus, dass der Gesichtspunkt „Krankheit“ für eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist schon deshalb nicht ausreiche, weil der Kläger keine Angaben zu Art und Schwere der Erkrankung und zum Umfang der Beeinträchtigung gemacht habe und er nach eigenen Angaben in der Lage gewesen sei, die Kanzleipost zumindest in gewissem Umfang zu bearbeiten. Der Gesichtspunkt „Fehlsortierung durch Frau D“ führe zu keinem anderen Ergebnis, da es sich hierbei nicht nur um ein bloßes Büroversehen handele, sondern um einen offenkundigen Fehler einer fachkundigen Person.
10Mit Schreiben vom 06.08.2015 beantragte der Kläger erneut Aussetzung der Vollziehung. Er stellte dabei klar, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht damit begründet werde, dass er arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Diese Information habe ausschließlich dem Verständnis gedient. Nicht die Erkrankung sei der Grund der Fristversäumnisse, sondern ausschließlich die fehlerhafte Bearbeitung durch Frau D. Frau D sei weder seine Vertreterin noch seine Bevollmächtigte noch eine mit ihm zusammenarbeitende Kollegin gewesen, sondern ausschließlich als unselbständige Hilfskraft tätig gewesen. Fehler von Hilfspersonen seien ihm nicht zuzurechnen. Ihn treffe auch kein Organisationsverschulden, zumal er mit Frau D eine gewissenhafte Person ausgewählt habe. Diese sei sich der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Fristenverwaltung bewusst und habe die übrigen Fristen ordnungsgemäß notiert. Insbesondere seien die im fraglichen Zeitraum eingegangenen monatlichen Umsatzsteuerbescheide ordnungsgemäß mit Fristen versehen und im Fristenbuch eingetragen worden. Lediglich der Gewinnfeststellungsbescheid 2013 sowie der Umsatzsteuerbescheid 2013 seien fehlerhaft dem „normalen“, nicht fristgebundenen Posteingang zugeordnet worden, der räumlich getrennt in speziellen Posteingangskästen abgelegt werde. Die Bearbeitung der fristgebundenen Angelegenheiten habe ihm persönlich oblegen. Aus diesem Grund habe er die Kanzlei an ein bis zwei Tagen pro Woche aufgesucht und dort die wichtigen, sprich fristgebundenen Angelegenheiten bearbeitet. Am 27.06.2015 habe er den normalen Posteingang durchgeschaut und dabei den Fehler entdeckt.
11Mit Schriftsatz vom 17.08.2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht. In Ergänzung seines bisherigen Vortrags trug er vor, dass er die unter seiner Privatanschrift eingegangene betrieblich veranlasste Post (die ausschließlich vom Finanzamt B gestammt habe) manchmal auch selbst in die Kanzlei nach B gebracht habe. Die Schriftsätze, die von Frau D in die Posteingangsbox für „normale“ Post gelegt worden seien, habe er „einen längeren Zeitraum“ nicht bearbeitet, was angesichts des Umstands, dass es sich dabei nicht um Fristangelegenheiten und damit nicht um eilige Angelegenheiten gehandelt habe, auch nicht erforderlich gewesen sei. Am 27.06.2015 habe er die Posteingangsbox für die normale Post zufällig durchgesehen, da keine aktuellen und eiligen Dinge von ihm zu bearbeiten gewesen seien. Dabei habe er zwischen einer Vielzahl von Anschreiben und Schriftsätzen auch die beiden Bescheide vom 15.05.2015 gefunden, verbunden mit einer Büroklammer. Dazwischen hätten sich die Zustellungsurkunden für beide Bescheide befunden. Durch die Zusendung von betrieblich veranlassten Schreiben oder Bescheiden - wie hier der beiden Bescheide vom 15.05.2015 - an seine private Wohnanschrift würden diese keine Privatangelegenheit, sondern es handele sich weiterhin um betrieblich veranlasste Angelegenheiten, die auch eine Bearbeitung im Betrieb nach sich ziehen würden. Diesbezüglich habe er die organisatorische Maßnahme veranlasst, dass alle beruflich bedingten Schreiben, die an seine private Wohnanschrift zugestellt würden, von seiner Ehefrau unverzüglich in sein Büro verbracht würden. Im Übrigen sei keine Vorschrift existent, die einem Steuerpflichtigen den Ort oder die Art und Weise der Bearbeitung seiner Steuerangelegenheiten vorschreibe.
12Ebenfalls am 17.08.2015 setzte der Beklagte den Gewinnfeststellungsbescheid ganz und den USt-Bescheid teilweise von der Vollziehung aus. Der bei Gericht gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde daraufhin bezüglich der Gewinnfeststellung übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und die Kosten des insoweit abgetrennten Verfahrens wurden mit Beschluss vom 03.10.2015 – 10 V 3414/15 (F) dem Kläger auferlegt. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des USt-Bescheids 2013 wurde mit Beschluss vom 03.11.2015 - 10 V 2545/15 A (U, F, AO) als unbegründet abgelehnt. Das Gericht vertrat dabei die Auffassung, dass eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nicht in Betracht komme. U.a. heißt es in dem Beschluss wie folgt:
13„Im Streitfall liegt kein bloßes Büroversehen vor, sondern vielmehr trifft den Antragsteller ein Organisationsverschulden dergestalt, dass in keiner Weise kontrolliert wurde, ob tatsächlich alle Fristen erfasst sind. Nach eigenem Vortrag hat der Antragsteller die Posteingangsbox mit der „normalen“, nicht fristgebundenen Post nicht regelmäßig durchgesehen, sondern eher „zufällig“ und z.T. sogar nur mit Abständen von mehr als einem Monat. Letzteres ergibt sich daraus, dass der Antragsteller den Bescheid erst am 27.06.2015 „entdeckt“ hat, obwohl der Bescheid schon in der Woche nach dem 18.05.2015 in die Kanzlei verbracht worden sein soll. Offensichtlich wurde die „normale“ Post also in der Zeit von Mitte/Ende Mai bis Ende Juni nicht durchgesehen. Allein dies begründet schon den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens und damit den Ausschluss einer Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Denn es war systemimmanent, dass etwaige Fehlsortierungen möglicherweise nicht rechtzeitig erkannt werden würden.
14Darüber hinaus scheidet eine Wiedereinsetzung auch deshalb aus, weil nicht erkennbar ist, dass der Antragsteller Frau D überhaupt kontrolliert hat. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag darauf gestützt, dass einer Hilfsperson ein Fehler unterlaufen sei, muss im Rahmen der Wiedereinsetzungsfrist auch dargelegt werden, dass die Hilfsperson ordnungsgemäß ausgewählt, unterwiesen und überwacht wurde. An letzterem fehlt es hier. Denn es ist nicht ersichtlich, dass - und falls ja wie - der Antragsteller Frau D, die nicht mit der selbständigen Bearbeitung der Angelegenheiten des Antragstellers, sondern nur mit der Postsortierung und Fristenerfassung betraut und damit nur als Hilfskraft eingesetzt wurde, tatsächlich überwacht hat. Der Antragsteller hat diesbezüglich nichts vorgetragen. Allein schon der Umstand, dass die Posteingangsbox mit der „normalen“ Post nicht regelmäßig durchgesehen wurde, spricht gegen eine Überwachung.“
15Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den vorgenannten Beschluss vom 03.11.2015 - 10 V 2545/15 A(U, F, AO) Bezug genommen.
16Der Kläger erhob daraufhin zwei Anhörungsrügen und legte u.a. eine von ihm selbst abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 09.11.2015 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau D vom 12.11.2015 vor, in denen Einzelheiten zur Fristenkontrolle geschildert wurden. Die Anhörungsrügen blieben erfolglos (Beschlüsse vom 24.11.2005 – 10 V 3537/15 A (F) und 10 V 3521/15 A (U, AO). Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde 1 BvR 184/16 wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
17Nach Aktenlage hat der Kläger seine Kanzlei Ende 2015 von B nach C verlegt. Das Finanzamt C erklärte sich mit Schreiben vom 19.01.2016 damit einverstanden, dass das Verfahren betreffend USt 2013 vom Beklagten gem. § 26 Satz 2 AO fortgeführt wird.
18Der Beklagte verwarf die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 01.06.2016 unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Finanzgerichts als unzulässig wegen Verfristung.
19Der Kläger hat sodann Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist vorliegen würden und die Einsprüche mithin nicht verfristet seien.
20Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürften bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben müsse, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden. Dies habe das Finanzgericht in seinem Beschluss betreffend die Aussetzung der Vollziehung nicht beachtet. Insbesondere überspanne es die Anforderungen bezüglich der Auswahl, Unterweisung und Überwachung von Frau D , da nicht hinreichend berücksichtigt werde, dass Frau D selbst Rechtsanwältin sei. Auch habe das Finanzgericht im vorgenannten Beschluss frei erfunden, „dass in keiner Weise kontrolliert wurde, ob tatsächlich alle Fristen erfasst sind“.
21Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht wegen Versäumung der Antragsfrist ausgeschlossen. Der BGH habe mit Beschluss vom 09.12.2009 - IV ZB 30/09 ausgeführt, dass erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, auch noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden dürfen. So verhalte es sich auch im Streitfall in Bezug auf den Vortrag zur Fristenkontrolle.
22Wie die Fristenkontrolle erfolgt sei, sei bereits durch die beiden eidesstattlichen Versicherungen vom 09.11.2015 und 12.11.2015 dargelegt und glaubhaft gemacht worden. Und zwar es sei so gewesen, dass wöchentlich ca. 20 bis 30 beruflich veranlasste Schreiben in der Kanzlei eingehen würden. Darin enthalten seien ca. 10 bis 20 Schreiben, die keiner anwaltlichen Bearbeitung bedürften hätten und für die die Postbox „normale Post“ eingerichtet worden sei. Für die übrigen 10 bis 20 Schreiben wöchentlich sei die Postbox „Fristsachen“ aufgestellt worden, in die nicht nur Notfrist-Angelegenheiten gekommen seien, sondern vielmehr alle Post, die eine zeitnahe Bearbeitung erfordert habe. Zu Frau D Aufgaben habe es gehört, den Kanzleibriefkasten sowie das Gerichtsfach beim Landgericht B zu leeren, die Post einschließlich etwaiger auf dem Schreibtisch oder im Faxgerät liegender Eingänge zu sichten, Fristen im Fristenkalender sowie auf dem jeweiligen Schreiben einzutragen, Gerichts- und andere Termine im Terminkalender einzutragen und die bearbeiteten Posteingänge auf die zwei Posteingangsboxen zu sortieren. Diese organisatorischen Maßnahmen hätten er und Frau D bereits am 09.03.2015 zusammen entwickelt und sie hätten sich in den zweieinhalb Monaten bis zum Eingang der streitgegenständlichen Bescheide bewährt. Insbesondere habe er - der Kläger - unmittelbar nach Einführung der organisatorischen Maßnahmen im März 2015 bei jedem Aufenthalt in der Kanzlei beide Posteingangsboxen durchgesehen und zum Teil abgearbeitet. Am 27.03.2015 habe zudem ein Gespräch mit Frau D stattgefunden, in dem die Effizienz und Praktikabilität der eingeführten Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Bereich Posteingang geprüft und für effizient befunden worden seien. Im April habe er den gesamten Posteingang an zwei Tagen durchgesehen und auch diesmal keine fehlerhaften Zuordnungen festgestellt, weshalb keine Veranlassung bestanden habe, die Posteingangsbox für normale Posteingänge auch weiterhin in zeitlich engen Abständen zu kontrollieren. Alle übertragenen Aufgaben seien von Frau D vollständig fehlerfrei erledigt worden. Aus diesem Grund habe ab dem 16.05.2015 keine wöchentliche oder 14-tägige Durchsicht des normalen Posteingangs mehr stattgefunden.
23Die Klage richtet sich zudem gegen die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Gewinnfeststellung. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
24Mit Bescheid vom 15.05.2015, der mit einfachem Brief zur Post aufgegeben wurde, wurde wegen Nichtabgabe einer Erklärung zur gesonderten Feststellung des Gewinns für das Kalenderjahr 2013 ein Verspätungszuschlag i.H.v. 300 € festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 26.08.2015 behauptete der Kläger, diesen Bescheid nicht erhalten zu haben. Beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung des Klägers, in der es heißt, dass ihm lediglich am 18.05.2015 der Gewinnfeststellungsbescheid 2013 und der Umsatzsteuerbescheid 2013 förmlich zugestellt worden seien; diese Bescheide seien dann „ein oder zwei Tage später“ von seiner Ehefrau in die Kanzlei verbracht worden. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags wurde daraufhin mit Bescheid vom 09.09.2015 aufgehoben. Mit Bescheid vom 01.06.2016 wurde sodann ein Verspätungszuschlag i.H.v. 375 € festgesetzt. Der Kläger hat hiergegen mit Schreiben vom 21.06.2016 Einspruch eingelegt.
25Mit seiner am 30.06.2016 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Verspätungszuschlags. Dazu, warum er die Klage trotz des gerade erst eröffneten Einspruchsverfahrens für zulässig hält, hat er sich nicht geäußert.
26Der Kläger beantragt sinngemäß,
271. die Bescheide betreffend die Gewinnfeststellung 2013 und Umsatzsteuer 2013 vom 15.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2016 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn auf 13.309 € festgestellt wird, die Umsatzsteuer auf 10.870,21 € festgesetzt wird und der Verspätungszuschlag und die Zinsen zur USt auf 0,00 € herabgesetzt werden
28sowie den Bescheid vom 01.06.2016 betreffend die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Gewinnfeststellung 2013 aufzuheben,
292. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
30Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Er hält daran fest, dass eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nicht in Betracht komme.
33Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die übersandten Steuerakten und die Schriftsätze der Beteiligten – auch soweit sie zu den Verfahren 10 V 2545/15 A (U, F, AO), 10 V 3414/15 (F), 10 V 3537/15 A (F) und 10 V 3521/15 A (U, AO) ergangen sind – Bezug genommen.
34Entscheidungsgründe
35I. Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Gewinnfeststellung 2013 richtet.
36Gem. § 44 Abs. 1 FGO ist eine Klage in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Im Streitfall war gegen den Bescheid vom 01.06.2016 ein Einspruch statthaft, über den im Zeitpunkt der Klageerhebung jedoch noch nicht entschieden war.
37Angesichts des Umstands, dass der Kläger mit Schreiben mit 21.06.2016 ausdrücklich Einspruch eingelegt hat, kann es sich bei der Klage vom 30.06.2016 nicht um eine Sprungklage i.S.d. § 45 FGO handeln.
38Auch liegen die Voraussetzungen des § 46 FGO (Untätigkeitsklage) offensichtlich nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann gem. § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO allerdings grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden. Im Streitfall waren seit der Einspruchseinlegung jedoch bloß 9 Tage vergangen.
39Auch war der Senat nicht verpflichtet, das Verfahren nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO auszusetzen. Wird eine Untätigkeitsklage zu früh erhoben, hat das Finanzgericht nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob es das Verfahren mit Fristsetzung aussetzt oder eine Untätigkeitsklage durch Prozessurteil abweist (BFH, Beschluss vom 30.09.2015 – V B 135/14, BFH/NV 2016, 51). Im Streitfall ist eine Abweisung durch Prozessurteil geboten, da die Erhebung einer Klage nur 9 Tage nach Einspruchseinlegung rechtsmissbräuchlich war. Der Kläger hat dem Beklagten noch nicht einmal eine reelle Chance gegeben, über seinen Einspruch zu entscheiden.
40II. Im Übrigen ist die Klage zulässig, jedoch nicht begründet.
41Die Bescheide betreffend die Gewinnfeststellung 2013 und Umsatzsteuer 2013 vom 15.05.2015 sind bestandskräftig und können deshalb vom Gericht nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
42Der Kläger hat nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt. Die Bescheide vom 15.05.2015 sind ausweislich der Postzustellungsurkunden am 18.05.2015 zugestellt worden, so dass die einmonatigen Einspruchsfristen am Donnerstag, dem 18.06.2015 abliefen. Einspruch wurde jedoch erst am 29.06.2015 und damit verspätet eingelegt.
43Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 110 AO nur dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gem. § 110 Abs. 2 AO ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Handlung nachzuholen, der Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und durch Vortrag der entsprechenden Tatsachen zu begründen. Die Tatsachen sind im Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen.
44Jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Allgemein gilt, dass jemand nicht ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (BFH, Beschluss vom 17.02.2010 – I R 38/09, BFH/NV 2010, 1283 m.w.N.).
45Dabei sind an die Sorgfaltspflichten eines Anwalts oder eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe besonders hohe Anforderungen zu stellen, nämlich eine äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 17.03.2010 – X R 57/08, BFH/NV 2010, 1780 m.w.N.). Steuerberater und Rechtsanwälte müssen deshalb in Mandantenangelegenheiten für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (u.a. BFH-Beschluss vom 27.07.2011 - IV B 131/10, BFH/NV 2011, 1909 m.w.N.). Unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation ist dabei ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung, in der der Ablauf sämtlicher Fristen vermerkt und eine Frist erst nach Vornahme der zu ihrer Einhaltung erforderlichen Handlung gestrichen wird (vgl. BFH, Beschluss vom 14.12.2011 – X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Dabei muss durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, dass tatsächlich alle Fristen erfasst sind bzw. Fehler rechtzeitig aufgedeckt werden.
46Für die eigenen Steuerangelegenheiten eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters gelten die o.g. Grundsätze zumindest dann, wenn er sich seiner Büroorganisation bedient. Übergibt ein Rechtsanwalt oder Steuerberater seinem Büro eine eigene Sache zur Bearbeitung, so gelten hinsichtlich der Fristüberwachung die gleichen strengen Grundsätze wie bei Angelegenheiten von Mandanten (BFH, Urteil vom 02.03.1993 – IX R 75/89, BFH/NV 1993, 578).
47Unter Beachtung der o.g. Grundsätze war im Streitfall keine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren.
481. Und zwar war bereits nicht mit hinreichender Gewissheit feststellbar, dass sich der Sachverhalt tatsächlich so abgespielt hat wie es vorgetragen wurde. Letztlich handelt es sich bei dem Vortrag des Klägers, dass die beiden streitgegenständlichen Bescheide in dem Postkorb für nicht fristgebundene Post gelegen haben sollen, um eine bloße Behauptung. Ob die Bescheide dort tatsächlich gelegen haben, ist durch das Gericht nicht nachprüfbar und kann insbesondere auch nicht durch Frau D bestätigt werden, da diese nicht dabei war, als der Kläger die Bescheide gefunden haben will. Dass Frau D auf den Vorwurf des Klägers hin, dass keine Frist eingetragen sei, die Ansicht äußerte, den Bescheid wohl falsch sortiert zu haben, ist durchaus verständlich, bedeutet aber nicht, dass sie sich daran erinnert, die Bescheide tatsächlich falsch abgelegt zu haben, zumal eine Rechtsanwältin, die, wie der Kläger behauptet, stets zuverlässig arbeitet, fristgebundene Bescheide wohl kaum bewusst falsch ablegt und unbewusstes Verhalten nicht erinnerlich ist.
49Zudem ist unklar, wann die Bescheide überhaupt in die Kanzlei gelangt sind. Die Ehefrau des Klägers spricht in ihrer eidesstattlichen Versicherung ausdrücklich nur von einem Schreiben des Finanzamts B, das im Mai 2015 zugestellt worden sei und das sie am 22. oder 23. Mai in die Kanzlei verbracht habe. Dieser Vortrag passt jedoch nicht zum hiesigen Sachverhalt, denn es wurden am 18.05.2015 zwei Schreiben gleichzeitig zugestellt. Außerdem hatte der Kläger mit eidesstattlicher Versicherung vom 26.08.2015 behauptet, dass seine Ehefrau die beiden Bescheide bereits „ein oder zwei Tage später“ zur Kanzlei gebracht hat, was dem 19. oder 20. Mai entspräche. Aufgrund des widersprüchlichen Vortrags und aufgrund fehlender Aufzeichnungen ist es letztlich völlig ungewiss, wann die Bescheide überhaupt in der Kanzlei angekommen sind und was mit ihnen dort weiter geschehen ist.
502. Aber selbst dann, wenn sich der Sachverhalt tatsächlich so zugetragen haben sollte, wie dies der Kläger behauptet, scheidet eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist aus. Denn es liegt kein bloßes – dem Kläger nicht zuzurechnendes - Büroversehen vor, sondern vielmehr trifft den Kläger ein eigenes Organisationsverschulden.
51Insoweit ist zunächst zu beachten, dass es sich bei dem Gewinnfeststellungsbescheid 2013 und dem Umsatzsteuerbescheid 2013 entgegen der Auffassung des Klägers nicht um eine „Angelegenheit der Kanzlei“ handelte, sondern um seine persönlichen Steuerangelegenheiten. Dass den Bescheiden der Gewinn bzw. die Umsätze aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt zugrunde lagen, ändert daran nichts.
52Zwar ist ein Steuerpflichtiger auch in eigenen Angelegenheiten grundsätzlich berechtigt, sich zwecks Überwachung von Fristen Hilfspersonen zu bedienen. Vor diesem Hintergrund kann es dem Kläger nicht generell zum Vorwurf gemacht werden, dass er den Bescheid in die Kanzlei hat verbringen lassen, um von dem dortigen Fristenkontrollsystem Gebrauch machen zu können, das er für die Zeit seiner Erkrankung für seine beruflichen Angelegenheiten eingerichtet hat.
53Vorzuwerfen ist dem Kläger jedoch, dass das von ihm diesbezüglich eingerichtete System, bei dem mehrere Hilfspersonen nacheinander tätig werden sollten, in hohem Grade fehleranfällig war und eine effektive Kontrolle, ob tatsächlich alle Fristen erfasst sind, von vornherein nicht ermöglichte. Denn der Kläger hatte keine Möglichkeit zu erkennen, ob alle Bescheide, die bei ihm zu Hause eingegangen waren, auch tatsächlich die Kanzlei erreicht haben. Dass er selbst oder seine Ehefrau darüber Aufzeichnungen geführt haben, welche Steuerbescheide unter der Privatanschrift eingegangen sind und wann diese von wem zur Kanzlei gebracht worden sind, wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht anderweitig ersichtlich. Ohne derartige Aufzeichnungen war es dem Kläger jedoch unmöglich festzustellen, ob seine Ehefrau auch tatsächlich alle Bescheide zur Kanzlei gebracht hat und die Bescheide nicht etwa unterwegs (oder gar schon zu Hause) vergessen, verlegt oder verloren wurden. Ebenso wenig war es dem Kläger ohne Aufzeichnungen der Ehefrau dazu, wann diese welchen Bescheid in der Kanzlei abgegeben hat, nicht möglich zu kontrollieren, ob die entsprechenden Einspruchsfristen von der nächsten Hilfsperson - d.h. von Frau D - auch ordnungsgemäß eingetragen worden waren.
54Zu beachten ist insoweit auch, dass Kenntnisse darüber, wie ein Bescheid versendet wurde (mit Postzustellungsurkunde oder mit einfachem Brief) und wann der Bescheid bei einer Versendung mit einfachem Brief zur Post aufgegeben wurde, für eine ordnungsgemäße Fristberechnung unerlässlich sind. Der Kläger hätte seine Ehefrau daher anweisen müssen, alle Schreiben mit Briefumschlag zur Kanzlei zu bringen. Dass eine derartige Anweisung erteilt wurde, hat der Kläger nicht vorgetragen. Zudem spricht gegen das Vorliegen einer derartigen Anweisung, dass die Ehefrau in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 09.07.2015 angegeben hat, sich schon nach nur 1,5 Monaten nicht mehr daran erinnern zu können, ob sie ein um den 22./23. Mai in die Kanzlei verbrachtes Schreiben dort mit oder ohne Umschlag zurückgelassen habe. Hätte sie die Anweisung gehabt, alle Schreiben mit Umschlag abzuliefern, und hätte sie sich hieran typischerweise gehalten, hätte sie gar keinen Zweifel daran haben dürfen, dass das Schreiben natürlich - so wie dann immer - mit Umschlag abgeliefert wurde.
55Zudem ist zu beachten, dass die von einer Rechtsanwaltskanzlei zwecks Fristenkontrolle zu treffenden organisatorischen Maßnahmen nach der Rechtsprechung des BGH so beschaffen sein müssen, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist - zumindest durch ein rechtzeitiges Fristverlängerungsgesuch - gewährleistet ist. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 05.02.2003 – VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815). Diesen Anforderungen halten die vom Kläger getroffenen Organisationsmaßnahmen schon deshalb nicht stand, weil die Fristen nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt notiert wurden. Vielmehr konnten abhängig davon, wann die Ehefrau das nächste Mal zur Kanzlei fahren würde und wann Frau D das nächste Mal die Post durchsehen würde, viele Tage bis zur erstmaligen Fristerfassung vergehen. Dass der Kläger seine Ehefrau angewiesen hat, eingehende Post unverzüglich – d.h. noch am gleichen Tag – zur Kanzlei zu bringen, hat er nicht vorgetragen. Zwar wurde auf Seite 2 der Antragsschrift vom 17.08.2015 behauptet, dass die Ehefrau die unter seiner Privatanschrift eingegangene betrieblich veranlasste Post „unverzüglich“ in die Kanzlei gebracht habe. Diese Behauptung ersetzt jedoch keinen substantiierten Vortrag dazu, welche Anweisungen die Ehefrau konkret hatte. Außerdem wird sie durch die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau widerlegt. Denn diese gibt an, „den“ Mitte Mai 2015 zugestellten Bescheid, bei dem es sich nach Vortrag des Klägers um die streitgegenständlichen, am 18.05.2015 zugestellten Bescheide handeln soll, erst am 22. oder 23. Mai - und damit gerade nicht unverzüglich - in die Kanzlei gebracht zu haben.
563. Zudem scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon aus formellen Gründen aus.
57Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb der Antragsfrist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Wird --wie im Streitfall-- ein nicht zuzurechnendes reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des "Kerns" der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen. Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Steuerberater/Rechtsanwalt alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind. Hierzu gehört auch der Vortrag, dass die eingesetzten Hilfspersonen ordnungsgemäß ausgewählt, unterwiesen und überwacht wurden (vgl. BFH, Beschluss vom 24.01.2005 - III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; BFH, Beschluss vom 28.07.2015 – II B 150/14, BFH/NV 2015, 1434 m.w.N.).
58Daran fehlt es hier. Aus dem innerhalb der Antragsfrist des § 110 AO erfolgten Vortrag ging nicht hervor, dass und wie der Kläger Frau D kontrolliert hat.
59Zwar kann in den Fällen, in denen es sich bei der mit der Fristenerfassung befassten Hilfsperson um einen Rechtsanwalt handelt, regelmäßig unterstellt werden, dass die Hilfsperson ordnungsgemäß ausgewählt wurde. Auch bedarf ein Rechtsanwalt typischerweise keiner besonderen Unterweisung, um Fristen eigenständig berechnen und eintragen zu können. Jedoch müssen auch fachlich hochqualifizierte Hilfspersonen zumindest in gewissem Umfang überwacht werden. Hierzu hat der Kläger innerhalb der einmonatigen Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO, die mit der Entdeckung der Fristversäumnis am 27.06.2015 begann und am 27.07.2015 endete, jedoch nichts vorgetragen.
60Der Hinweis des Klägers auf den Beschluss des BGH vom 09.12.2009 - IV ZB 30/09 führt zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit ist zu beachten, dass der BGH in der o.g. Entscheidung selbst darauf hinweist, dass alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden müssen. Vor diesem Hintergrund kann sich der Rechtssatz, dass erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, auch noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden dürfen, nur auf solche Fälle beziehen, in denen die zur Begründung erforderlichen Tatsachen innerhalb der Antragsfrist zumindest im Kern dargelegt wurden. Sachvortrag zu einem Punkt, der bislang gar nicht angesprochen wurde, kann dagegen nicht nachgeholt werden, da der Grundsatz, dass der Sachvortrag zu den Wiedereinsetzungsgründen innerhalb der Antragsfrist erfolgen muss, ansonsten ins Gegenteil verkehrt würde.
61Im Streitfall ist zu dem Gesichtspunkt, dass und wie der Kläger die Rechtsanwältin D überwacht hat, innerhalb der Antragsfrist keinerlei Vortrag erfolgt, weshalb es sich bei dem mit Schriftsätzen vom 13.11.2015 zwecks Begründung der Anhörungsrügen erfolgten Vortrag zur Überwachung von Frau D nicht um die bloße Ergänzung eines schon im Kern angelegten Vortrags, sondern um neuen Vortrag handelt.
62Insoweit ist auch zu beachten, dass der Kläger den Posteingangskorb für die normale Post in dem Zeitraum 23.05.2015 bis 27.06.2015 offensichtlich nicht durchgesehen hat. Denn ansonsten hätte der Kläger schon früher bemerken müssen, dass die Bescheide in der falschen Posteingangsbox lagen. Damit stand bei Ablauf der Antragsfrist lediglich fest, dass jedenfalls die Posteingangsbox für die normale Post und damit auch die diesbezügliche Arbeit von Frau D über eine Zeitspanne von mehr als einem Monat gerade nicht kontrolliert worden ist, was bei etwaigen fehlsortierten Steuerbescheiden aufgrund der bloß einmonatigen Einspruchsfrist zwangsläufig zu Fristversäumnissen führen musste. Bei dieser Ausgangslage wäre es erst recht erforderlich gewesen, noch innerhalb der Antragsfrist darzulegen, dass Frau D überhaupt kontrolliert wurde und wie diese Kontrollmaßnahmen im Einzelnen ausgestaltet waren.
63III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wurde nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich war.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 30. Aug. 2016 - 10 K 1897/16 U,F,AO
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Urteil einreichenFinanzgericht Düsseldorf Urteil, 30. Aug. 2016 - 10 K 1897/16 U,F,AO zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt. Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Ein Zuständigkeitswechsel nach Satz 1 tritt so lange nicht ein, wie
- 1.
über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde, - 2.
ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder - 3.
sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) In den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, ist die Klage vorbehaltlich der §§ 45 und 46 nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
(2) Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat.
(1) Die Klage ist ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Hat von mehreren Berechtigten einer einen außergerichtlichen Rechtsbehelf eingelegt, ein anderer unmittelbar Klage erhoben, ist zunächst über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden.
(2) Das Gericht kann eine Klage, die nach Absatz 1 ohne Vorverfahren erhoben worden ist, innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung, durch Beschluss an die zuständige Behörde zur Durchführung des Vorverfahrens abgeben, wenn eine weitere Sachaufklärung notwendig ist, die nach Art oder Umfang erhebliche Ermittlungen erfordert, und die Abgabe auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Der Beschluss ist unanfechtbar.
(3) Stimmt die Behörde im Falle des Absatzes 1 nicht zu oder gibt das Gericht die Klage nach Absatz 2 ab, ist die Klage als außergerichtlicher Rechtsbehelf zu behandeln.
(4) Die Klage ist außerdem ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Rechtswidrigkeit der Anordnung eines dinglichen Arrests geltend gemacht wird.*
(1) Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Das Gericht kann das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen; wird dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen.
(2) Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt für die Fälle sinngemäß, in denen geltend gemacht wird, dass eine der in § 348 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung genannten Stellen über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.
(1) Die Klage ist ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Hat von mehreren Berechtigten einer einen außergerichtlichen Rechtsbehelf eingelegt, ein anderer unmittelbar Klage erhoben, ist zunächst über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden.
(2) Das Gericht kann eine Klage, die nach Absatz 1 ohne Vorverfahren erhoben worden ist, innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung, durch Beschluss an die zuständige Behörde zur Durchführung des Vorverfahrens abgeben, wenn eine weitere Sachaufklärung notwendig ist, die nach Art oder Umfang erhebliche Ermittlungen erfordert, und die Abgabe auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Der Beschluss ist unanfechtbar.
(3) Stimmt die Behörde im Falle des Absatzes 1 nicht zu oder gibt das Gericht die Klage nach Absatz 2 ab, ist die Klage als außergerichtlicher Rechtsbehelf zu behandeln.
(4) Die Klage ist außerdem ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Rechtswidrigkeit der Anordnung eines dinglichen Arrests geltend gemacht wird.*
(1) Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Das Gericht kann das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen; wird dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen.
(2) Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt für die Fälle sinngemäß, in denen geltend gemacht wird, dass eine der in § 348 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung genannten Stellen über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.
(1) In den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, ist die Klage vorbehaltlich der §§ 45 und 46 nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
(2) Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat.
(1) Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Das Gericht kann das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen; wird dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen.
(2) Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt für die Fälle sinngemäß, in denen geltend gemacht wird, dass eine der in § 348 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung genannten Stellen über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.
Tenor
-
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 29. September 2014 6 K 346/14 (Kg) aufgehoben.
-
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
-
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
- 1
-
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist polnische Staatsangehörige, die im Streitzeitraum (April bis August 2012) --ohne einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland zu haben-- eine Arbeitnehmertätigkeit im Inland ausübte. Für diesen Zeitraum beantragte sie die Festsetzung von Kindergeld für ihre vier in Polen lebenden Kinder.
- 2
-
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 16. November 2012 ab. Ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehe nicht, weil weder eine Antragstellung noch eine Behandlung als fiktiv unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG feststellbar seien.
- 3
-
Nachdem die Familienkasse über den dagegen gerichteten Einspruch vom 6. Dezember 2012 nicht entschieden hat, erhob die Klägerin am 10. März 2014 Klage mit dem Ziel, die Familienkasse zur Festsetzung des beantragten Kindergelds für den Streitzeitraum zu verpflichten.
- 4
-
Mit Urteil vom 29. September 2014 wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unzulässig ab, weil die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage nicht vorlägen. Die Familienkasse habe über den Anspruch auf Kindergeld wegen weiterer Sachaufklärung sachlich noch nicht entscheiden können. Aus dem --erst im Klageverfahren an das FG und die Familienkasse übergebenen-- Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 9. April 2013 sei nicht erkennbar, ob die Klägerin beim zuständigen Finanzamt (FA) einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt und es diesem entsprochen habe. Diesem Bescheid könnte auch eine Veranlagung --möglicherweise abweichend von einem eventuellen Antrag-- als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 EStG zu Grunde liegen. Nachdem die Klägerin hierzu keine weiteren Angaben gemacht habe, sei eine weitere Sachaufklärung durch die Familienkasse notwendig. Darüber hinaus handle es sich um einen --besondere Schwierigkeiten aufweisenden-- Sachverhalt mit Auslandsbezug, der "eine gewisse Einarbeitungszeit" rechtfertige.
- 5
-
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision, mit der sie einen Verfahrensmangel rügt.
Entscheidungsgründe
- 6
-
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
- 7
-
Indem das FG die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens ermessensfehlerhaft verneint hat, hat es die Grundordnung des Verfahrens verletzt.
- 8
-
1. Die Ermessenserwägungen des FG genügen nicht, um --anstelle das Klageverfahren auszusetzen-- über die vermeintlich verfrüht erhobene (Untätigkeits-)Klage durch Prozessurteil zu entscheiden. Hierin liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. März 2006 VI B 78/04, BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, Rz 16).
- 9
-
a) Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine (Verpflichtungs-)Klage --abweichend von § 44 FGO-- ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (Untätigkeitsklage). Die Klage kann grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kann das Verfahren bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist, die verlängert werden kann, ausgesetzt werden.
- 10
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b) Die Aussetzung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kommt nicht nur bei einer zulässigen Untätigkeitsklage, die die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO erfüllt, sondern auch bei einer unzulässigen (z.B. verfrüht erhobenen) Untätigkeitsklage in Betracht. Denn auch diese kann --während der Aussetzung des Verfahrens-- in die Zulässigkeit hineinwachsen (BFH-Beschluss in BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, unter 3. und 4., m.w.N.).
- 11
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aa) Indes besteht keine Aussetzungspflicht. Vielmehr hat das FG im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob es das Verfahren mit (ggf. wiederholt verlängerbarer) Fristsetzung aussetzt oder eine --verfrüht erhobene-- Untätigkeitsklage abweist (BFH-Beschluss in BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, unter 3. und 4., m.w.N.). Bei seinen Ermessensüberlegungen hat das FG aber zu beachten, dass ein Kläger grundsätzlich nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen kann, ob die erhobene Untätigkeitsklage (möglicherweise) verfrüht erhoben worden ist und zu welchem Zeitpunkt sie gegebenenfalls in die Zulässigkeit hineinwächst. Eine zulässige Klageerhebung wird insoweit durch die tatbestandliche Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (u.a. "in angemessener Frist", "zureichender Grund") beeinträchtigt. Unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) wird deshalb eine Aussetzung des Klageverfahrens als Korrektiv hierzu regelmäßig geboten sein. Abgesehen von prozessökonomischen Gründen wird dem Grundrecht auf wirkungsvollen, insbesondere zeitnahen Rechtsschutz überdies eher entsprochen, wenn eine Klage nicht als unzulässig abgewiesen und der Kläger auf eine erneute Klageerhebung verwiesen wird (BFH-Beschluss in BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, unter 4., m.w.N.).
- 12
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bb) Nach diesen Maßstäben rechtfertigen die dargelegten Ermessenserwägungen des FG keine Entscheidung durch Prozessurteil gegenüber der Aussetzung des Verfahrens.
- 13
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(1) Leitende Erwägung des FG das Verfahren nicht auszusetzen, sondern die Klage --kostenpflichtig-- durch Prozessurteil abzuweisen, sei der Verursachungsbeitrag der Klägerin für die Verzögerung des Verfahrens. Insbesondere sei sie ihren Mitwirkungspflichten --im Zusammenhang mit der Behauptung einer Antragstellung nach § 1 Abs. 3 EStG und mit einer möglichen Konkurrenzsituation mit polnischen Familienleistungen-- nicht nachgekommen. Insofern sei es sachgerecht, der Familienkasse --außerhalb eines Klageverfahrens-- Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Ermittlungen (Anfrage beim FA zur Antragstellung nach § 1 Abs. 3 EStG und bei der zuständigen polnischen Behörde wegen etwaiger kinderbezogener Leistungen) durchzuführen.
- 14
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(2) Diese durch das FG dargelegten Ermessenserwägungen sind im Streitfall nicht verhältnismäßig. Dies gilt ungeachtet dessen, dass das FG die Sache im Erörterungstermin vom 22. September 2014 in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert hat und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte, zu keiner weiteren Mitwirkung verpflichtet zu sein.
- 15
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Das FG hätte bei seiner Ermessensüberlegung nämlich den Umstand berücksichtigen müssen, dass die Familienkasse die Klägerin erstmals --während des Klageverfahrens-- mit Schreiben vom 8. Mai 2014 auf ihre --möglicherweise bestehenden-- Mitwirkungspflichten wegen des Antrags nach § 1 Abs. 3 EStG und der möglichen Konkurrenzsituation zu polnischen Familienleistungen konkret hingewiesen hatte. Nachdem die Familienkasse --mit Kenntnis des FG während des Klageverfahrens-- mit diesbezüglichen Ermittlungen bei den zuständigen Behörden begonnen hat, ist eine Entscheidung durch Prozessurteil --anstelle der Verfahrensaussetzung-- nicht (mehr) erforderlich. Zwar könnte eine (vermeintlich) fehlende Mitwirkung der Klägerin die --wie vom FG angenommen-- Verzögerung der Bearbeitung verursacht haben; nachdem die Familienkasse die Tatsachen --bei deren Aufklärung die Klägerin nicht mitgewirkt haben soll-- durch eigene Ermittlungen überlagert, ist aber nicht mehr nachvollziehbar, warum eine kostenpflichtige Entscheidung gegenüber der Aussetzung des Verfahrens sachgerechter sein soll. Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass eine gleichgerichtete Mitwirkung der Klägerin zu einem früheren Abschluss des (Einspruchs- oder Klage-)Verfahrens führen könnte, insbesondere sind solche Mitwirkungen nicht geeignet, das Verfahren zu beschleunigen. Soweit die fehlende Mitwirkung zu einer Verzögerung des Verfahrens beigetragen haben sollte, hatte diese aber im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung keine Auswirkungen mehr, da die Familienkasse mit entsprechenden Ermittlungen bereits begonnen hatte.
- 16
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Zudem stützt das FG seine Ermessenserwägung fehlerhaft auf die Behauptung, die Klägerin habe das Verfahren verzögert, ohne zu berücksichtigen, dass die Familienkasse erstmals im Klageverfahren --mit Schreiben vom 8. Mai 2014-- die Mitwirkung der Klägerin konkretisiert hat. Auch legt das FG nicht dar, warum es sachgerecht sein soll, etwaige Erkenntnisse aus den Anfragen bei den Behörden, unabhängig von einem bereits laufenden Klageverfahren zu prüfen. Die Überprüfungsmöglichkeit durch die Familienkasse wird ebenso erreicht, wenn das Verfahren ausgesetzt wird.
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2. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das angefochtene Urteil wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
- 18
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a) Der Senat braucht indes nicht darüber zu entscheiden, ob ein Verfahrensmangel möglicherweise auch deshalb vorliegt, weil das FG über die Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden hat (vgl. BFH-Beschluss vom 9. September 2014 VIII B 133/13, BFH/NV 2015, 45, Rz 7, m.w.N.).
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b) Auch hat der Senat nicht darüber entschieden, ob die Klage verfrüht erhoben worden ist und die vom FG vorgenommene Güterabwägung eine Verlängerung der sechsmonatigen Regelbearbeitungsfrist rechtfertigen könnte (vgl. zur Güterabwägung, z.B. BFH-Urteile vom 27. April 2006 IV R 18/04, BFH/NV 2006, 2017, unter II.1.a und b, m.w.N.; vom 7. Oktober 2010 V R 43/08, BFH/NV 2011, 989, Rz 20, und vom 6. Oktober 2005 V B 140/05, BFH/NV 2006, 473, unter II.1.a, Rz 23). Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass die --erstmalige-- Aufforderung der Familienkasse vom 8. Mai 2014, eine Bescheinigung des FA einzureichen, "die die Entscheidung zur steuerlichen Behandlung [der Klägerin] nach § 1 Abs. 1 oder 3 EStG enthält und die eine Aussage zur Grundlage für diese Entscheidung beinhaltet" im Rahmen des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO unbeachtlich ist. Die Mitteilung zureichender Gründe, warum in angemessener Frist sachlich nicht über den Einspruch entschieden werden kann, muss vor Klageerhebung erfolgen (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2017, II.1.b bb).
- 20
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c) Zusätzlich weist der Senat --ohne Bindungswirkung-- darauf hin, dass das FG zu Recht davon ausgeht, dass eine Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG --anders als die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 EStG-- von der bindenden einkommensteuerrechtlichen Behandlung abhängig ist (BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897, Leitsatz, Rz 13). Lässt sich dem Einkommensteuerbescheid indes nicht entnehmen, ob die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig aufgrund eines Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthalts (§ 1 Abs. 1 EStG) oder aufgrund eines Antrags (§ 1 Abs. 3 EStG) erfolgt, ist dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln, wobei außerhalb des Bescheids liegende Umstände zu berücksichtigen sind. Bei Auslegungszweifeln ist Rückgriff auf die --der Einkommensteuerveranlagung-- begleitenden Unterlagen zu nehmen, ggf. sind die Einkommensteuerakten beizuziehen (BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 59/11, BFHE 242, 228, BStBl II 2014, 843, Rz 48 f.).
- 21
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
(1) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.
(2) Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Finanzbehörde, die über die versäumte Handlung zu befinden hat.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am 3. Dezember 2010 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts München, das ihm am 4. November 2010 zugestellt worden war. Am 16. Dezember 2010 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um einen Monat vom 4. Januar 2011 bis zum 4. Februar 2011 zu verlängern. Diesem Antrag entsprach der Vorsitzende des erkennenden Senats, wie die Geschäftsstelle den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 mitteilte. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ging am 18. Februar 2011 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
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Gleichzeitig mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragten die Prozessbevollmächtigten am 18. Februar 2011, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist zu gewähren.
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Sie tragen vor, der Ablauf der Begründungsfrist am 4. Februar 2011 sei ordnungsgemäß in den elektronischen Fristenkalender eingetragen worden. Dieser werde seit Januar 2004 über ein zertifiziertes Datev-Programm geführt, das von X geprüft worden sei und den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Fristenüberwachung entspreche; es habe bisher ordnungsgemäß funktioniert. Die elektronische Fristenüberwachung sei so eingestellt, dass das Programm sowohl unmittelbar nach dem Starten des Rechners als auch anschließend alle vier Stunden über den aktuellen Fristenstand informiere. An Tagen, an denen keine Fristen abliefen, erfolge keine Meldung durch das Programm.
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Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten lege sämtliche Schreiben, die eine Frist beinhalteten, dem Partner in der Sozietät Herrn Steuerberater A vor. Dieser sei seit Gründung der Kanzlei sowohl für die Kontrolle der Eintragung der Fristen als auch für die Einrichtung von Rechnern und die Installation von Software zuständig.
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Am 3. Februar 2011 abends nach Arbeitsende sei von A und dem Mitarbeiter der Kanzlei B auf den Rechnern der Kanzlei ein neues Betriebssystem (Windows 7) installiert worden. Die Installation des Betriebssystems habe auch die Neuinstallation der Datev-Software erfordert. Da A am nächsten Tag einen Auswärtstermin gehabt habe, habe er noch am Abend des 3. Februar 2011 B beauftragt, die individuellen Datev-Einrichtungen, zu denen auch die Aktivierung der elektronischen Fristenüberwachung gehöre, gleich am Morgen des 4. Februar 2011 zu Arbeitsbeginn wieder herzustellen. Denn diese Einrichtungen seien nur unter dem Datev-Login des jeweiligen Users möglich, dessen Anwesenheit somit erforderlich sei.
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Die Streitsache des Klägers werde von dem Partner in der Sozietät der Prozessbevollmächtigten Herrn Steuerberater C bearbeitet. Dieser habe keine Kenntnis von Ablauf und Auswirkungen der Installationsarbeiten gehabt. Als er seinen Rechner am 4. Februar 2011 morgens eingeschaltet habe, habe sich gezeigt, dass Windows 7 installiert worden sei. Er sei davon ausgegangen, dass damit die Installation abgeschlossen gewesen sei. An diesem Tag habe er keine Fristenmitteilungen über den Rechner erhalten. Dies sei jedoch nicht ungewöhnlich, da er an Tagen, an denen keine Fristen abliefen, ohnehin keine Mitteilungen erhalte. Erst als C am 7. Februar 2011, am zweiten Tag in Folge, wieder keine Fristenmitteilung erhalten habe, habe er sich gewundert und A gefragt, ob es gegebenenfalls Probleme mit der Fristenbenachrichtigung geben könne. Daraufhin habe der hinzugerufene B mitgeteilt, dass er es versäumt habe, die individuellen Datev-Einrichtungen am Rechner des C vorzunehmen. Das sei umgehend nachgeholt worden, wobei auch die am 4. Februar 2011 abgelaufene Begründungsfrist angezeigt worden sei.
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B sei seit 2001 Steuerfachangestellter und arbeite in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten seit März 2003. Neben seiner steuerrechtlichen Tätigkeit richte B von Beginn an zusammen mit A Rechner ein und installiere Software. Er arbeite stets zuverlässig und habe sich seit Beginn seiner Tätigkeit für die Prozessbevollmächtigten keine Verfehlungen zu Schulden kommen lassen. Unregelmäßigkeiten seien nicht bekannt. Deshalb habe A davon ausgehen dürfen, dass B seinem Auftrag vom 3. Februar 2011 nachkomme, die Datev-Einrichtungen am Rechner des C und damit auch die Aktivierung der elektronischen Fristenkontrolle vorzunehmen.
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Die Revision sei --wie weiter ausgeführt wird-- wegen Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des BFH sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
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Der Kläger beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren und die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
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Es macht u.a. geltend, der Computer sei im vorliegenden Fall nicht spontan "abgestürzt", vielmehr sei vorhersehbar gewesen, dass ein neues Betriebssystem installiert werden würde. Als Vorsichtsmaßnahme hätten folglich die in diesem Zeitraum abgelaufenen Fristen mithilfe eines Ausdrucks kontrolliert werden müssen. Der BFH habe entschieden, dass es ein anwaltliches Organisationsverschulden darstelle, wenn bei einem Rechtsanwalt, der einen elektronischen Fristenkalender führe, die Eingaben in den EDV-Kalender nicht jeweils mithilfe eines Ausdrucks kontrolliert würden (BFH-Beschluss vom 6. August 2001 II R 77/99, BFH/NV 2002, 44).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet wurde.
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1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist kann nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
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2. Vorliegend ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde verspätet beim BFH eingegangen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Das angefochtene Urteil wurde am 4. November 2010 zugestellt. Die vom Vorsitzenden verlängerte Begründungsfrist ist am 4. Februar 2011 abgelaufen. Die Begründung ist jedoch erst am 18. Februar 2011 eingegangen.
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3. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist war nicht zu gewähren.
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a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zu seiner Begründung sind glaubhaft zu machen und die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 56 Abs. 2 FGO). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zuzurechnen.
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b) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (u.a. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2003 X B 118/02, BFH/NV 2003, 645). Wird das Verfahren der Fristenkontrolle geändert und/oder zeitweise außer Kraft gesetzt, muss deshalb durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Fristen eingehalten werden. Dem entsprechend hat der BFH entschieden, dass ein Wechsel in der Person des mit der Fristenkontrolle betrauten Büropersonals eine besondere Sorgfalt und Kontrolle der im Zeitpunkt des Wechsels laufenden Fristen durch den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe selbst erfordert (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 645, und vom 13. Juli 1989 VIII R 55/88, BFH/NV 1990, 248).
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c) Bei einer elektronischen Fristenkontrolle können keine geringeren Anforderungen gelten (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 12. Oktober 1998 II ZB 11/98, Deutsches Steuerrecht 1999, 251). Wird die elektronische Fristenkontrolle --wie z.B. im Streitfall im Zuge einer Neuinstallation des Rechners-- außer Funktion gesetzt, muss sich der Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe entweder selbst rechtzeitig vergewissern, dass die Fristenkontrolle wieder funktioniert, oder die Einhaltung der laufenden Fristen in anderer Form sicherstellen (zu den Sorgfaltspflichten bei elektronischer Fristenkontrolle s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 44; BGH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 II ZB 33/04, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2006, 500).
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d) Im Streitfall war zwar der Prozessbevollmächtigte A über die im Zuge der Installation des neuen Betriebssystems unvermeidliche Neuinstallation (auch) des elektronischen Fristenkontrollprogramms informiert. Er hat diese jedoch weder selbst überwacht noch sichergestellt, dass der mit der Bearbeitung des Streitfalls befasste Prozessbevollmächtigte C die erforderliche Kontrolle vornahm oder zumindest (rechtzeitig) in anderer Form über den Fristablauf informiert wurde. Dass die erforderliche erneute Aktivierung der elektronischen Fristenüberwachung auf dem Rechner des Prozessbevollmächtigten C einem vertrauenswürdigen und ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter übertragen worden war, genügt nicht. Das Verschulden des A ist dem Kläger zuzurechnen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht zu gewähren.
Gründe
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Die Beschwerde ist unzulässig. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die Beschwerde zwar fristgerecht erhoben, aber nicht innerhalb der Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) begründet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO kann nicht gewährt werden.
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1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils des Finanzgerichts (FG) zu begründen. Diese Voraussetzung haben die Kläger nicht erfüllt.
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a) Das Urteil des FG wurde den Klägern nach dem von der Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Empfangsbekenntnis am 21. März 2011 zugestellt. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde lief mit Ablauf des 23. Mai 2011 --einem Montag-- ab (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
- 4
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b) Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 22. Juni 2011 (beim Bundesfinanzhof --BFH-- eingegangen am selben Tag) die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nachgereicht. Diese war verspätet, da eine Verlängerung der Begründungsfrist nicht beantragt war (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO).
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2. Die mit selbigem Schriftsatz beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen sind nicht glaubhaft gemacht worden.
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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Die Kläger müssen sich ein Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
- 7
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Wenn --wie im Streitfall-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795; vom 24. Juni 2002 IX R 38/01, BFH/NV 2002, 1467, und vom 14. Mai 2007 VIII B 47/07, BFH/NV 2007, 1684). Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss hiernach vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 795; in BFH/NV 2007, 1684, und vom 8. Februar 2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Dazu gehört auch der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 795; in BFH/NV 2007, 1684, und in BFH/NV 2008, 969). Unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation ist dabei ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung, in der der Ablauf sämtlicher Fristen vermerkt und eine Frist erst nach Vornahme der zu ihrer Einhaltung erforderlichen Handlung gestrichen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Februar 1992 III R 57/91, BFH/NV 1992, 615; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20, Stichwort "Fristenkontrolle", m.w.N.).
- 8
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Es genügt nicht, wenn ein Prozessbevollmächtigter lediglich Wiedervorlagefristen für die Bearbeitung einer Sache in einen dafür bestimmten Fristenkalender einträgt. Bei einer solchen Verfahrensweise ist eine korrekte Kontrolle, wann die Frist abläuft und ob die Beschwerdebegründungsschrift rechtzeitig abgesandt wurde, nämlich nicht möglich (BFH-Entscheidungen vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169; in BFH/NV 1992, 615, und vom 31. Juli 2002 VI B 17/02, BFH/NV 2002, 1490; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20, Stichwort "Fristenkontrolle").
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b) Diesen Maßstäben genügt der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht.
- 10
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aa) Nach ihrem eigenen Vortrag wurde die Versendung der Nichtzulassungsbeschwerde im Fristenkontrollbuch eingetragen, wobei neben dem Kürzel Nichtzulassungsbeschwerde, dem Datum und dem Namenszeichen lediglich vermerkt wurde, dass die Begründung nachzureichen sei, und als Wiedervorlage der 15. Mai 2011 notiert werden sollte. Bei Austrag aus dem Fristenkontrollbuch sei der Vermerk betreffend die Wiedervorlage unbeachtet geblieben. Daraus ist zu schließen, dass lediglich eine Wiedervorlagefrist eingetragen werden sollte, nicht dagegen der Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist selbst. Auf diese Weise wäre --selbst bei Beachtung des Vermerks, die Wiedervorlagefrist zu notieren-- aus dem Fristenkontrollsystem nicht ersichtlich gewesen, wann die Begründungsfrist ablief und ob die Beschwerdebegründung rechtzeitig abgesandt wurde. Wie oben dargestellt, ist dies organisatorisch unzureichend.
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bb) Ferner fehlt jeglicher Vortrag zur Belehrung und Überprüfung des Personals bei der Einhaltung der Fristen. Die Prozessbevollmächtigte hat zu diesem Punkt lediglich ausgeführt, die für die Fristenkontrolle zuständige Mitarbeiterin, Frau X, sei seit 1992 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten angestellt und führe seit vielen Jahren das Fristenkontrollbuch ohne Beanstandungen. Aus dem Vortrag ergibt sich nicht, auf welche Weise und in welchen Zeitabständen die Belehrung und insbesondere die Überprüfung im Einzelnen durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen.
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c) Zudem sind die behaupteten Tatsachen nicht glaubhaft gemacht. Es fehlen präsente Beweismittel i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO, etwa eine Ablichtung der entsprechenden Seite des Fristenkontrollbuchs oder eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin Frau X zur Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung (Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 969).
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. November 2014 3 K 3154/14 wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Das Finanzgericht (FG) wies die einen Grundsteuermessbescheid und einen Einheitswertbescheid betreffende Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) durch Urteil vom 19. November 2014 ab und ließ die Revision nicht zu. Das Urteil wurde dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am 29. November 2014 zugestellt.
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Der Kläger legte am 29. Dezember 2014 Nichtzulassungsbeschwerde ein, ohne diese zunächst zu begründen.
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Der Senatsvorsitzende wies den Kläger mit Schreiben vom 9. Februar 2015 darauf hin, dass die Begründung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision dem Bundesfinanzhof (BFH) noch nicht vorliege. Daraufhin begründete der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten, eines Rechtsanwalts (P), vom 26. Februar 2015 und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte er aus, P habe die Beschwerdebegründung am 29. Januar 2015 unterzeichnet. Die mit der Übermittlung der Beschwerdebegründung an den BFH per Telefax und mit der Post beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte (R) habe die Beschwerdebegründung weisungswidrig nicht an den BFH übersandt, sondern zur Akte genommen, ohne dass dies durch einen konkreten Umstand erklärt werden könne. Die Beschwerdebegründung sei dort erst nach dem Hinweis des BFH vom 9. Februar 2015 vorgefunden worden. Möglicherweise sei R momentan durch andere Umstände abgelenkt gewesen. R habe das Versäumnis auch nicht bei der abendlichen Kontrolle des Terminkalenders bemerkt. In der Kanzlei des P bestehe eine ausdrückliche Anweisung gegenüber den Rechtsanwaltsfachangestellten, täglich anhand des vorliegenden Fristenkalenders zu kontrollieren, ob alle dort eingetragenen Fristen abgearbeitet sind, und die abgearbeiteten Fristsachen am selben Tag per Post und ggf. vorab per Fax zu übermitteln. Dieser ausdrücklichen Arbeitsanweisung sei R im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. R sei eine ausgesprochen zuverlässige Mitarbeiterin, deren Tätigkeit von P regelmäßig stichprobenartig kontrolliert werde und in der Vergangenheit zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben habe.
- 4
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Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens legte der Kläger Versicherungen an Eides statt des P und der R vor. R führte darin u.a. aus, sie sei davon ausgegangen, dass sie die ihr aufgetragene Übermittlung des Schriftsatzes an den BFH vorgenommen habe, und habe daraufhin die Frist im Kalender gestrichen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unzulässig und war daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat die in § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bestimmte Frist von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils des FG versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
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1. Die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde begann mit der Zustellung der Vorentscheidung am 29. November 2014 und lief gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 29. Januar 2015 ab. Die Beschwerdebegründung ging erst am 27. Februar 2015 beim BFH ein.
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2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist kann nicht gewährt werden.
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a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 2014 X R 14/13, BFH/NV 2014, 567, Rz 11; vom 26. Februar 2014 IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881, Rz 10, und vom 16. September 2014 II B 46/14, BFH/NV 2015, 49, Rz 4). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
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b) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13, 19; in BFH/NV 2014, 881, Rz 10; vom 28. März 2014 IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896, Rz 4; in BFH/NV 2015, 49, Rz 6, und vom 2. Dezember 2014 III B 36/14, BFH/NV 2015, 505, Rz 13), soweit sie für das Gericht nicht offenkundig oder amtsbekannt sind (BFH-Urteil vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 17). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
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c) Hinsichtlich einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zwischen Organisationsmängeln, die als solche einem Rechtsanwalt oder Steuerberater und den von ihm Vertretenen als Verschulden zuzurechnen sind, einerseits und nicht zurechenbarem Büroversehen andererseits unterschieden. Wird --wie im Streitfall-- ein dem Prozessbevollmächtigten und dem von ihm Vertretenen nicht zuzurechnendes reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des "Kerns" der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen (BFH-Urteil in BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 18). Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440; vom 30. April 2013 IV R 38/11, BFH/NV 2013, 1117, Rz 19, und in BFH/NV 2014, 567, Rz 12). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (BFH-Beschluss vom 13. September 2012 XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212, Rz 13, m.w.N.).
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d) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 4. November 2014 VIII ZB 38/14, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2015, 253, Rz 9, m.w.N.). Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH-Beschluss vom 26. Februar 2015 III ZB 55/14, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 2015, 782, Rz 8).
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Die ordnungsgemäße, zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Büroorganisation setzt u.a. voraus, dass der Ausgang eines Schriftstücks, das eine gesetzliche Frist wahren soll, nicht dokumentiert wird, solange die zur Absendung erforderlichen Arbeitsschritte nicht vollständig getan sind, und eine Frist nicht vorher gelöscht wird. Bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax darf demgemäß die betreffende Frist erst gelöscht werden, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt. Werden diese Anforderungen nicht beachtet, weist dies auf einen Organisationsmangel hin (BFH-Urteil in BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 20, m.w.N.).
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Zu einer wirksamen Fristenkontrolle gehört auch eine Anordnung, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbständig überprüft wird (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8 f., und in WM 2015, 782, Rz 8, je m.w.N.). Diese Kontrolle muss gewährleisten, dass am Ende eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen (BGH-Beschluss in NJW 2015, 253, Rz 9, m.w.N.).
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Die Erforderlichkeit einer derartigen abschließenden Kontrolle ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8, und in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.). Die allabendliche Kontrolle dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Sie soll vielmehr auch feststellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Frist die fristwahrende Handlung noch aussteht (BGH-Beschluss in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.).
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e) Diese Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach dem Vorbringen des Klägers kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich ein Organisationsverschulden des P mitgewirkt hat. Der Kläger hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei des P so organisiert war, dass sie den erforderlichen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bot. Er hat nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei angeordnet gewesen sei, dass eine Frist erst gelöscht wird, wenn die zur Absendung des Schriftstücks erforderlichen Arbeitsschritte vollständig getan sind und bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt. Er hat auch nicht ausgeführt, dass die für die Fristenkontrolle zuständige Bürokraft angewiesen gewesen sei, Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist, und dass hinsichtlich fristgebundener Sachen eine allabendliche Kontrolle mit einer nochmaligen, selbständigen Prüfung angeordnet war. Individuelle Bearbeitungsfehler, wie sie selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen auftreten können, konnten, wie auch der Streitfall zeigt, aufgrund der unzureichenden Büroorganisation allenfalls zufällig entdeckt werden. Dies genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
(1) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.
(2) Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Finanzbehörde, die über die versäumte Handlung zu befinden hat.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.