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Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 07.03.1975 als offene Handelsgesellschaft (OHG) vom Photolithographen aA und dem Maschinenschlosser bB gegründet. Unternehmensgegenstand war die Herstellung und der Vertrieb von Druckerzeugnissen im Siebdruckverfahren sowie von Reproduktionen und verwandten Produkten. Mit Wirkung ab 01.07.1982 nahm die Gesellschaft einen Kommanditisten auf und wurde unter der Firma A Siebdruck-Werbung KG weitergeführt.
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Am 31.10.1990 erfolgte die Gründung der A Siebdruck-Werbung GmbH (im Weiteren GmbH). Das Stammkapital betrug zunächst xxx.xxx DM, das je zur Hälfte von den Gründungsgesellschaftern und alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern aA und bB gehalten wurde. Nach einer Kapitalerhöhung zeichneten zuletzt aA 150.300 DM, bB xxx.xxx DM und cC xxx.xxx DM der Geschäftsanteile.
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Mit Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrag vom 29.12.1990 übernahm die GmbH mit Wirkung ab 01.01.1991 das von der Klägerin bisher betriebene Unternehmen und pachtete auf unbestimmte Zeit das gesamte bewegliche und unbewegliche Anlagevermögen bestehend aus Betriebsgrundstücken nebst aufstehenden Gebäuden, technischen Anlagen und Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung. Die Vorräte erwarb sie entgeltlich. Der Pachtzins betrug zuletzt 38.000 DM. Jedoch liefen ab 1996 erhebliche Pachtrückstände auf.
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Bereits im November 1990 hatte die Klägerin ihre Firma in A Handels- und Verwaltungs KG geändert. Nach Ausscheiden des alleinigen Kommanditisten am 06.08.1998 führten die persönlich haftenden Gesellschafter aA und bB die Klägerin unter unveränderter Firma als OHG fort.
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Die Beteiligten gingen nach Gründung der GmbH und Abschluss des Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrags einvernehmlich vom Bestehen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes -UStG) aus, mit der Klägerin als Organträgerin und der GmbH als Organgesellschaft.
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Am 04.03.1999 beantragte die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Noch am selben Tag bestellte das Amtsgericht X Rechtsanwalt iI zum vorläufigen Insolvenzverwalter und traf u. a. folgende Anordnungen:
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„Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens sind nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO).
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Den Schuldnern der Schuldnerin (Drittschuldnern) wird verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen.“
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Der Betrieb der GmbH lief unverändert weiter. Die beiden Geschäftsführer blieben im Unternehmen und gingen weiterhin ihrer Tätigkeit nach. Bis 30.04.1999 flossen ihnen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter Gehaltszahlungen in Höhe von jeweils xx.xxx DM zu. Im Zeitraum 04.03. bis 30.04.1999 wickelte die GmbH xxx Aufträge ab und erzielte Umsatzerlöse in Höhe von xxx.xxx DM. Außenstände aus Lieferungen und Leistungen per Stichtag der Insolvenzantragsstellung realisierte sie in Höhe von xxx.xxx DM, die jedoch dem Absonderungsrecht der Bank AG aufgrund einer ihr am 16.08.1996 eingeräumten Globalzession unterlagen. Die Bank erklärte sich jedoch bereit, der Schuldnerin einen Anteil von 15 % zu belassen.
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Am 01.05.1999 eröffnete das Amtsgericht X das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Schon mit Kauf- und Übernahmevertrag vom 10.05.1999 erwarb die Klägerin jedoch von der insolventen GmbH deren Geschäftsbetrieb einschließlich des beweglichen Anlagevermögens, der Vorräte, des Auftragsbestandes und der immateriellen Wirtschaftsgüter zum Gesamtkaufpreis von xxx.xxx DM. Durch Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrag vom 28.08.2003 übertrug die Klägerin mit Wirkung ab 01.09.2003 ihren gesamten Betrieb mit allen dazugehörigen Verträgen, Konzessionen etc. auf die am 29.07.2003 gegründete B Sieb- und Digitaldruck GmbH (im Weiteren B GmbH), an die sie auch ihr bewegliches und unbewegliches Anlagevermögen verpachtete. Alleiniger Geschäftsführer und zu 98 % (ab 2009 100 %) Inhaber der Geschäftsanteile der B GmbH ist d D. 2009 verkaufte die Klägerin auch ihr gesamtes bewegliches und unbewegliches Anlagevermögen an die B GmbH. Im Handelsregister erfolgte am 09.07.2009 der Eintrag, die Klägerin sei aufgelöst und ohne Liquidation beendet.
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Nach Vollziehung der Schlussverteilung hob das Amtsgericht X mit Beschluss vom 13.03.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH auf. Auf die nicht bevorrechtigten Gläubiger entfiel eine Quote von 19,37 %.
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Am 26.05.1999 begann bei der Klägerin eine Umsatzsteuer(USt)-Außenprüfung, die sich auf die USt-Vorauszahlungszeiträume 01.01. bis 30.04.1999 erstreckte. Der Prüfer vertrat im Bericht vom 09.08.1999 die Auffassung, das Organschaftsverhältnis habe erst am 01.05.1999 geendet.
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Die Klägerin legte gegen die USt-Vorauszahlungsbescheide Februar bis April 1999 am 09.07.2001 Einspruch ein, nachdem sie schon zuvor mit Schreiben vom 23.03.2001 geltend gemacht hatte, seit 04.03.1999 bestehe keine Organschaft mehr. Die von ihr am 17.08.2001 abgegebene USt-Jahreserklärung 1999 weist daher auch nur eine USt-Schuld von xxx.xxx DM aus und enthält keine umsatzsteuerrelevanten Vorgänge der GmbH. Der Beklagte übernahm demgegenüber in der Jahresfestsetzung die Feststellungen der USt-Außenprüfung und erließ am 04.03.2002 einen erstmaligen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden USt-Bescheid für 1999 mit einer USt-Schuld in Höhe von xxx.xxx DM.
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Der am 07.03.2002 eingelegte Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Die gegen die Einspruchsentscheidung vom 27.07.2004 erhobene Klage wurde am 05.08.2009 zurückgenommen.
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Bereits am 13.03.2002 stellte die Klägerin einen Antrag nach § 163 der Abgabenordnung (AO). Die USt sei wegen sachlicher und persönlicher Unbilligkeit herabzusetzen, soweit sie auf Lieferungen und Leistungen der GmbH beruhe, die in der Zeit vom 01.01. bis 30.04.1999 ausgeführt worden seien. Die Erhebung der USt sei nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen. Die Billigkeitsprüfung verlange eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des konkreten Steueranspruchs maßgeblich seien. Nur auf diese Weise ließen sich Wertungswidersprüche aufdecken, die bei bloß isolierter Betrachtung hinnehmbar erschienen. Berücksichtigt werden müsse daher die umsatzsteuerliche als auch die insolvenzrechtliche Situation.
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Aus umsatzsteuerlicher Sicht könne die Organschaft als überflüssig bezeichnet werden. Bei ihrer Einführung, die auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zurückgehe, sei die USt noch auf allen Wirtschaftsstufen ohne die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs erhoben worden. Dies habe einen wirtschaftspolitisch ungewollten Fusionsanreiz ausgelöst, der nicht mehr bestehe.
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Vor allem jedoch führe die heutige insolvenzrechtliche Seite zu untragbaren Ergebnissen. Die umsatzsteuerlichen Regelungen seien mit den insolvenzrechtlichen Bestimmungen nicht abgestimmt. Aus zwingenden insolvenzrechtlichen Gründen sei es dem Organträger verwehrt, über Mittel zu verfügen, die zur Begleichung der USt benötigt würden. Ebenso wie der Sicherungszweck es dem vorläufigen Insolvenzverwalter verbiete, USt-Zahlungen an das Finanzamt zu leisten, seien ihm auch keine Zahlungen an den Organträger zum Zwecke der Weiterleitung an die Finanzbehörde gestattet. Der Organträger müsse somit die USt-Verbindlichkeiten aus seinem sonstigen Vermögen begleichen. Dies widerspreche dem grundlegenden umsatzsteuerlichen Prinzip, dass wirtschaftlich der Kunde die USt zu tragen habe. Eine abwälzbare Steuer wie die USt könne nicht abgewälzt werden. Die Konsequenz, die aus diesem Systemfehler zu ziehen sei, könne nur sein, die USt wegen sachlicher Unbilligkeit niedriger festzusetzen.
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Hinzu komme in Fällen wie dem vorliegenden, dass die Rechtsfolgen der Organschaft zu untragbaren Ergebnissen führten. Der Organträger habe nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters weder die Kenntnisse noch die finanziellen Mittel, um die umsatzsteuerlichen Pflichten zu erfüllen. So lägen im vorliegenden Streitfall die Buchführungsunterlagen der GmbH bei dem vom vorläufigen Insolvenzverwalter hinzugezogenen Steuerberatungsbüro. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei vom Amtsgericht X ermächtigt worden, die Forderungen der Organgesellschaft einzuziehen. Auf das von ihm eingerichtete Treuhandkonto habe die Klägerin jedoch keinerlei Zugriff gehabt. Nach dem Schlussbericht des Insolvenzverwalters habe sich die Summe seiner Einnahmen zum 27.04.2000 auf xxx.xxx DM belaufen. Hierin und in den zukünftigen Zahlungen für frühere Lieferungen und Leistungen der Klägerin sei die ihr gegenüber festgesetzte USt enthalten.
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Auch persönliche Billigkeitsgründe sprächen vorliegend für eine Niedrigerfestsetzung der USt. Die Gesellschafter der Klägerin hätten im Rahmen der Insolvenz der Organgesellschaft ganz erhebliche finanzielle Einbußen erlitten. Wegen persönlicher Bürgschaften hätten ca. xxx.xxx DM aus dem Privatvermögen aufgebracht werden müssen. Zum Großteil sei dabei die Altersversorgung verlorengegangen. Dennoch sei es den Gesellschaftern der Klägerin gelungen, einen Nachfolgebetrieb aufrechtzuerhalten. Die Eigenkapitaldecke dieses Nachfolgeunternehmens sei dünn und Reserven aus dem Privatvermögen stünden wegen der vorangegangenen Insolvenz nicht mehr zur Verfügung. Die Existenz des Unternehmens sei gefährdet, wenn die vom Beklagten festgesetzte USt zu begleichen wäre.
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Der Beklagte lehnte den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen mit Bescheid vom 10.12.2002 ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe ab.
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Mit dem rechtzeitig eingelegten Einspruch betonte die Klägerin nochmals, die Steuerfestsetzung laufe den Wertungen des Gesetzgebers zuwider. Das UStG (z. B. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) gehe davon aus, dass dem Unternehmer die Entgelte für umsatzsteuerpflichtige Lieferungen und Leistungen tatsächlich zuflössen und er aus diesen Mitteln die USt-Zahllast begleichen könne.
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Der Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2004 führte die Behörde u. a. aus, es bestehe kein Systemfehler. Der aus dem Organträger und der Organgesellschaft bestehende Organkreis sei als umsatzsteuerliche Einheit zu sehen. Dieser habe die Zahlungen der Kunden in voller Höhe erhalten. Forderungsausfälle zwischen den am Organkreis beteiligten Unternehmen seien unbeachtlich. Das Umsatzsteuerrecht kenne auch andere Sachverhaltsgestaltungen, wie z. B. Diebstahl oder Unterschlagung, bei denen die USt an das Finanzamt abgeführt werden müsse, obwohl die von den Kunden entrichtete USt nicht mehr zur Verfügung stehe.
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Auch fehlende Kenntnis von den Besteuerungsgrundlagen lasse keine abweichende Steuerfestsetzung zu. Diese seien zunächst einmal zu schätzen. Zudem hätte sich die Klägerin die erforderlichen Kenntnisse vom Insolvenzverwalter verschaffen können und müssen.
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Die persönlichen Billigkeitsgründe könnten im Verfahren der Klägerin nicht geklärt werden. Sie beträfen die Gesellschafter und seien bei der Ausübung des Entschließungsermessens über ihre Inhaftungnahme zu prüfen.
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Die Klägerin erhob fristgerecht Klage und trägt ergänzend vor, der Beklagte habe die Niedrigerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu Unrecht abgelehnt. Im Rahmen der Billigkeitsprüfung müsse bei der erforderlichen Gesamtbeurteilung aller für die Verwirklichung des Steueranspruchs maßgebenden Normen sowohl die umsatzsteuerliche als auch die insolvenzrechtliche Situation berücksichtigt werden. Diese führe zu einer systemwidrigen wirtschaftlichen Belastung des Unternehmers mit USt. Der vorläufige Insolvenzverwalter und nicht der Organträger vereinnahme die Mittel, die nach der Systematik des UStG zur Bezahlungen der USt-Schuld dienen sollen. Einerseits könnten die Schuldner der GmbH mit befreiender Wirkung nur noch an den Insolvenzverwalter leisten, andererseits seien diesem aufgrund des Sicherungszwecks des Insolvenzeröffnungsverfahrens sowohl Zahlungen an den Fiskus als auch an den Organträger untersagt.
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Nach dem der heutigen USt zugrunde liegenden Prinzip sei es jedoch der Verbraucher, der die USt trage. Für den Unternehmer sei die USt neutral. Wirtschaftlich betrachtet stelle sie für ihn einen durchlaufenden Posten dar. Die Realisierung dieses grundlegenden Prinzips werde durch das Zusammenspiel der insolvenzrechtlichen Regelungen und der umsatzsteuerlichen Organschaftsregelungen vereitelt. Die insolvenzrechtlichen Regelungen führten dazu, dass der Organträger nicht die Mittel vereinnahmen könne, die nach der Systematik des UStG zur Begleichung der USt vorgesehen seien. Der Organträger müsse daher die USt aus seinem sonstigen Vermögen begleichen bzw. vorliegend müssten die persönlich haftenden Gesellschafter der Klägerin, die bereits vom Beklagten als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden seien, die USt aus ihrem Privatvermögen bezahlen. Ein derartiges Ergebnis stehe mit dem heutigen USt-System nicht im Einklang.
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Auch § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sei Ausdruck dieses grundlegenden Prinzips. Komme es zu einem Forderungsausfall, sei die USt entsprechend zu vermindern, da sie ansonsten wirtschaftlich vom Unternehmer zu tragen wäre. Bei wirtschaftlicher Betrachtung sei die im Streitfall zu beurteilende Konstellation gleich gelagert. Aufgrund der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters müsse sie als Organträgerin einen Einnahmeausfall hinnehmen. Auch hier sei daher die systemwidrige USt-Belastung zu korrigieren und zwar im Billigkeitsverfahren gemäß § 163 AO.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung komme auch dem Umstand Bedeutung zu, dass sie keine effektiven und wirtschaftlich vernünftigen Gestaltungsmöglichkeiten besessen habe, um die umsatzsteuerliche Organschaft zu beenden und der drohenden Inhaftungnahme zu entgehen.
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Eine GmbH-Anteilsveräußerung zur Beendigung der finanziellen Eingliederung sei bereits aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht gekommen. Für eine insolvenzgefährdete GmbH gäbe es keine Kaufinteressenten. Eine alternativ denkbare GmbH-Anteilsveräußerung an nahestehende Personen hätte den Vorwurf eines Strohmann-Geschäftes ausgelöst. Auch widerspreche ein derartiges Vorgehen dem Verantwortungsbewusstsein seriöser Kaufleute und wecke bei den Beschäftigten der GmbH sowie bei den Kunden und Lieferanten den Eindruck, die Gesellschafter wollten sich davonstehlen. Auch eine Beendigung der Vermietung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zwecks Beseitigung der wirtschaftlichen Eingliederung sei problematisch gewesen. Falls eine Möglichkeit zur Kündigung des Mietvertrages überhaupt bestanden hätte, wäre die Ausübung der Kündigungsmöglichkeit sicherlich nicht im Sinne der Gläubiger gewesen, da den Gläubigerinteressen regelmäßig am besten gedient sei, wenn es im Insolvenzeröffnungsverfahren zu einer vorläufigen Betriebsfortführung komme. Schließlich seien keine erfolgversprechenden Maßnahmen zur Beendigung der organisatorischen Eingliederung erkennbar gewesen. Die Geschäftsführer hätten zwar ihre Ämter niederlegen können. In ihrer Eigenschaft als Mehrheitsgesellschafter hätten sie jedoch die Weisungsbefugnis behalten.
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Der Einwand des Beklagten, ein Forderungsausfall innerhalb des Organkreises sei umsatzsteuerlich unbeachtlich, überzeuge nicht. Das Argument von der umsatzsteuerlichen Einheit des Organkreises sei vordergründig und greife ersichtlich zu kurz. Entscheidend sei nicht der Gesetzeswortlaut und die herkömmliche Gesetzesauslegung. Die Billigkeitsentscheidung ziele gerade auf eine Steuer ab, die von der gesetzlichen Steuer notwendigerweise abweiche. Zu fragen sei vielmehr nach den Wertungen des Gesetzgebers und danach, ob das Ergebnis dem Postulat der Einzelfallgerechtigkeit entspreche. Die zivilrechtliche Eigenständigkeit des Organträgers dürfe hierbei ebenso wenig unberücksichtigt bleiben wie der Umstand, dass der Organträger in systemwidriger Weise mit USt belastet werde.
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Die Fälle des Diebstahls oder der Unterschlagung seien mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar. Sie beruhten auf dem rechtswidrigen Eingriff eines Dritten und nicht darauf, dass das Ineinandergreifen verschiedener rechtlicher Regelungen zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führe.
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Die Billigkeitsmaßnahme könne auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, sie führe im Ergebnis zu einer Korrektur der Steuerfestsetzung. Diese Korrektur sei der Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich immanent. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.01.2006 XI R 31/04 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2006, 943) zeige, in welch weitgehendem Umfang die Rechtsprechung Billigkeitsmaßnahmen gemäß § 163 AO zulasse. Dieses Urteil sei deshalb bemerkenswert, weil die Frage naheliege, ob die ausgesprochene Billigkeitsmaßnahme nicht die eigentlich geboten gewesene Auslegung der Norm, die ggf. in einer am Gesetzeszweck orientierten teleologischen Reduktion hätte liegen könne, ersetze.
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Eine Billigkeitsmaßnahme könne ebenso wenig mit dem Argument verworfen werden, die Gesetzesauslegung des BFH treffe nicht zu und eigentlich hätte keine Billigkeitsmaßnahme, sondern eine Änderung der Steuerfestsetzung erfolgen müssen. Der BFH entscheide als höchstes deutsches Steuergericht letztlich verbindlich über die Auslegung der steuerlichen Normen. Wegen dieser Verbindlichkeit müsse das Auslegungsergebnis des BFH als richtig hingenommen werden, auch wenn man insoweit eine andere Rechtsauffassung vertrete.
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Im Streitfall liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor, da der USt-Bescheid 1999 insoweit den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufe, als sie USt zu entrichten habe, obwohl sie die entsprechenden Umsatzerlöse aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht habe vereinnahmen können.
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Die vorzunehmende Niedrigerfestsetzung betreffe die USt auf alle Umsätze, die in der Zeit vom 01.01. bis 30.04.1999 durch die GmbH ausgeführt wurden. Aufgrund der Dauerfristverlängerung (§ 46 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -UStDV) sei die USt-Voranmeldung für Januar 1999 erst am 10.03.1999 einzureichen und die entsprechende USt-Vorauszahlung zu leisten gewesen. Bereits am 04.03.1999 erfolgte jedoch bereits die Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Ab diesem Zeitpunkt habe die GmbH keine Zahlungen mehr an sie zur Begleichung der USt geleistet. Da der Beklagte bei der Festsetzung der USt auch die Vorsteuern zum Abzug zugelassen habe, die auf Lieferungen und Leistungen an die GmbH beruhten, dürften diese nicht berücksichtigt werden, um die Klägerin nicht in den Genuss ungerechtfertigter Vorteile gelangen zu lassen. Soweit wegen der Insolvenz der GmbH Vorsteuerberichtigungen gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG vorzunehmen gewesen seien, könnten diese gegenüber ihr, der Klägerin, nur insoweit geltend gemacht werden, als sie bei wirtschaftlicher Betrachtung einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe. Vorsteuerbeträge, die aus den an die GmbH im Zeitraum vom 01.01. bis 30.04.1999 ausgeführten Lieferungen und Leistungen resultierten, seien jedoch bereits bei der Ermittlung des Betrages der Niedrigerfestsetzung herausgerechnet worden. Vorsteuerberichtigungen seien gegenüber ihr also nur insoweit gerechtfertigt, als sie sich auf Lieferungen und Leistungen bezögen, die vor dem 01.01.1999 an die GmbH ausgeführt wurden.
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Die Klägerin beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 27.07.2004 und die ablehnende Verfügung vom 10.12.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die durch den USt-Bescheid 1999 vom 04.03.2002 festgesetzte USt aus Billigkeitsgründen um xxx.xxx DM auf xxx.xxx DM zu ermäßigen, hilfsweise die Revision zuzulassen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Behörde nimmt Bezug auf die ergangene Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, umsatzsteuerlich gebe es keine Trennung zwischen der Klägerin und der GmbH, sondern als einziges steuerliches Subjekt nur den aus beiden Gesellschaften bestehenden Organkreis. Dieser habe jedoch die USt in voller Höhe vereinnahmt. Eine dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes oder den Wertungen des Steuergesetzgebers zuwiderlaufende Besteuerung liege damit offensichtlich nicht vor.
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Am 08.07. und 05.08.2009 fanden vor dem Berichterstatter Erörterungstermine statt, hinsichtlich deren jeweiligem Ergebnis auf die beiden Niederschriften verwiesen wird.
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Die Beteiligten erklärten sich mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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