Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 06. Feb. 2013 - 1 BvR 2366/12

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20130206.1bvr236612
06.02.2013

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG hierfür (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 <24 ff.>) nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu; ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Insbesondere verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

2

1. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Dies gilt gleichfalls für Anfechtungs- wie für Vornahmesachen. Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfGE 126, 1 <27 f.> m.w.N.).

3

Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 <75>). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt.

4

2. Legt man diesen Maßstab zugrunde, so ist die Entscheidung des Landessozialgerichts über die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Sozialgericht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

5

Da die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes den Beschwerdeführer faktisch zwingt, in die vom Antragsgegner vorgeschlagene Einrichtung umzuziehen, und damit die Entscheidung in der Hauptsache in erheblicher Weise vorwegnimmt, und da die dem Beschwerdeführer - jedenfalls nach seinem nicht unsubstantiierten Vortrag - dabei drohenden Nachteile durchaus gravierend, wenn auch nicht lebensbedrohend sind (vgl. dazu den Beschluss nach § 32 BVerfGG der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2012 in dieser Sache), lag zwar nicht ein Fall einer ausnahmsweise verfassungsrechtlich gebotenen Vollprüfung vor; das Landessozialgericht musste die Sach- und Rechtslage aber eingehend prüfen. Dem ist es gerecht geworden. Dass es den Ausgang des Hauptsacheverfahrens gleichwohl als offen einschätzt und die von ihm vorgenommene Prüfung selbst als summarisch bezeichnet, ist nach den vorstehenden Grundsätzen unschädlich. Eine gemessen am Gewicht der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen genügend intensive Durchdringung der Sach- und Rechtslage ist erfolgt.

6

Zwar leitet das Landessozialgericht seine Ausführungen zu der Frage, ob eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar ist, mit der Bemerkung ein, es könne nach einer Gesamtabwägung aller entscheidungserheblichen Umstände nach gebotener summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht beurteilt werden, ob die Klage in der Hauptsache begründet sei oder nicht; vielmehr werde im Hauptsacheverfahren zunächst zu klären sein, ob dem Beschwerdeführer dem Grunde nach ein Anspruch auf Hilfeleistung in Form eines persönlichen Budgets zustehe.

7

Bei der anschließenden Prüfung dieser Frage gibt das Landessozialgericht dann aber an keiner Stelle zu erkennen, dass es den Ausgang des Hauptsacheverfahrens auf der Grundlage der vorliegenden Stellungnahmen nicht schon weitgehend zuverlässig prognostizieren könnte. Vielmehr stellt es ausdrücklich fest, es sei nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer die von der Behörde vorgesehene stationäre Unterbringung nicht zumutbar wäre.

8

Das Landessozialgericht setzt sich sodann ausführlich mit den - vom Beschwerdeführer vorgelegten - Stellungnahmen auseinander. Ob dies in jeder Hinsicht überzeugend ist, ist keine an Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu messende Frage; denn dieses Grundrecht gewährt kein Recht auf materiell richtige Entscheidungen. Den verfassungsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutz gewährt das Landessozialgericht dem Beschwerdeführer jedenfalls. Seine Begründung ist nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es sieht insbesondere die Notwendigkeit einer aufwändigen "psychologisch-heilpädagogischen Fachbegleitung" eines Umzugs des Beschwerdeführers, um die mit ihm verbundenen Belastungen für den Beschwerdeführer auf ein Minimum zu reduzieren. Mit einer solchen unterstützenden Begleitung hält das Landessozialgericht die dem Beschwerdeführer bei einem Umzug in die angebotene stationäre Einrichtung drohenden Belastungen für aller Voraussicht nach beherrschbar. Dabei übersieht es auch nicht, dass ein solcher Umzug - anders als der in die Wohngemeinschaft - zusätzlich auch "mit einem Wechsel der Tagesförderstätte verbunden wäre".

9

Seine abschließende Einschätzung, dass dem Beschwerdeführer ein Wechsel zumutbar sei, trifft das Landessozialgericht danach auf der Grundlage einer weitgehenden Durchdringung der Sach- und Rechtslage, bei der es alle vorliegenden tatsächlichen Erkenntnisse auswertet, ohne erkennen zu geben, dass seine Erkenntnis wesentlich unter dem Vorbehalt weiterer im Hauptsacheverfahren einzuholender Auskünfte und Gutachten stünde.

10

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93a


(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung. (2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angez

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 32


(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dring

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(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.

(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,

a)
soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.