Bundessozialgericht Urteil, 14. Juni 2018 - B 9 SB 2/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:140618UB9SB216R0
bei uns veröffentlicht am14.06.2018

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Das Sozialgericht Berlin hat abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

2

Mit Antrag vom 5.9.2013 hat die 1959 geborene Klägerin bei dem beklagten Land zunächst erfolglos die Feststellung des bei ihr bestehenden GdB geltend gemacht (Bescheid vom 29.11.2013; Widerspruchsbescheid vom 6.3.2014). Im anschließenden Klageverfahren vor dem SG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, den GdB mit "mindestens 20" festzustellen und hierzu ausgeführt, dass bei der Klägerin "aufgrund der Trümmerbrüche im unteren Sprunggelenk und der darauf beruhenden Bewegungsbeeinträchtigung zuzüglich der erheblichen Schmerzen ein GdB von 30 festzustellen" sei. Sie habe einen Anspruch, sich einem schwerbehinderten Menschen gleichstellen zu lassen. Nach Einholung eines Befundberichts hat der Beklagte mit Teilanerkenntnis vom 2.10.2014 den GdB ab September 2013 mit 20 festgestellt und beantragt, die weitergehende Klage abzuweisen. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis nicht angenommen und die Klage aufrechterhalten. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG sodann die Klage abgewiesen, weil diese wegen des Klageantrags mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei (Gerichtsbescheid vom 4.1.2016).

3

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Sache an das SG zurückverwiesen. Das SG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, ohne eine Sachentscheidung zu treffen. Die Klägerin habe von Anfang an mit ihrer auf Feststellung eines GdB von "mindestens 20" gerichteten Klage - nunmehr auch gegen den Ausführungsbescheid vom 11.1.2016 - einen GdB von 30 erreichen wollen. Nach den allgemeinen Auslegungsregeln sei bei Prozesserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen und hier nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz im Zweifel davon auszugehen, dass das Begehren entsprechend der Klagebegründung nicht auf einen GdB von 20 beschränkt sei. Die Sache sei an das SG zurückzuverweisen, weil vorliegend dem Erhalt des Instanzenzuges der Vorrang gegenüber dem Interesse an einer möglichst schnellen Sachentscheidung einzuräumen sei (Urteil vom 12.5.2016).

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Auslegung der Prozesserklärung der Klägerin iS von § 133 BGB. Zu Unrecht weiche das LSG von den Grundsätzen des BSG im Urteil vom 9.8.1995 (9 RVs 7/94) ab. Das konkrete Begehren eines Klägers sei das, "was er mindestens beantragt" habe. Ein Kläger sei nicht mehr beschwert, wenn er einen gewissen Mindestbetrag verlange und ihm dieser zugesprochen werde.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2016 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 2016 zurückzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Entscheidung des LSG für rechtmäßig.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Aufhebung der Entscheidung des SG und die Zurückverweisung der Sache dorthin durch das LSG sind nicht zu beanstanden.

9

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Berufungsurteil, mit dem das LSG den Gerichtsbescheid des SG vom 4.1.2016 aufgehoben und die Sache nach § 159 Abs 1 Nr 1 SGG an das SG zurückverwiesen hat. Nach dieser Vorschrift kann das LSG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage zu Unrecht abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (Adolf in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGG, 1. Aufl 2017, § 159 SGG RdNr 14). Dies ist der Fall, da das SG das Begehren der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 30 verkannt, seiner Prozessentscheidung unzutreffend einen auf einen GdB von höchstens 20 gerichteten Antrag zugrunde gelegt und ihrer Klage deshalb zu Unrecht das Rechtsschutzbedürfnis angesprochen hat.

10

a) Dem Klagebegehren ist nicht in vollem Umfang entsprochen worden. Das SG durfte die weitergehende Klage der Klägerin nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abweisen, sondern hätte darüber in der Sache entscheiden müssen.

11

Das Klagebegehren ist nach § 92 Abs 1 S 1 SGG mit der Klage zu bezeichnen; demzufolge "soll" die Klage einen bestimmten Antrag enthalten (§ 92 Abs 1 S 3 SGG). Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die damit erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht nach § 92 Abs 2 S 1 SGG mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden(§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 SB 48/11 B - Juris RdNr 17 mwN). Zwar ist bei der Auslegung von Anträgen, die ein Rechtsanwalt oder ein vergleichbar qualifizierter Prozessbevollmächtigter gestellt hat, in der Regel davon auszugehen, dass dieser das Gewollte auch richtig wiedergibt (vgl BSG Beschluss vom 5.6.2014 - B 10 ÜG 29/13 B - Juris RdNr 12). Bleibt indes der Erklärungsinhalt des Antrags trotzdem mehrdeutig, dann ist nach den dargelegten Grundsätzen ebenfalls meistbegünstigend auszulegen (so auch BVerwG Urteil vom 22.2.1985 - 8 C 107/83 - Juris RdNr 25; Aussprung in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 123 RdNr 24).

12

Das Gewollte, also das mit der Klage verfolgte Prozessziel, ist im Wege der Auslegung festzustellen (vgl zB BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; BSG Urteil vom 8.12.2010 - B 6 KA 38/09 R - Juris). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - aaO). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16). Diese Auslegung ist unter Berücksichtigung aller Umstände auch vom Revisionsgericht vorzunehmen, ohne an die von den Tatsachengerichten vorgenommene Auslegung gebunden zu sein (vgl BSG Urteil vom 16.5.1995 - 9 RVs 11/94 - Juris RdNr 13 mwN; Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 92 RdNr 45 mwN).

13

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann das Begehren der Klägerin - trotz ihrer anwaltlichen Vertretung - nur so verstanden werden, dass sie die Feststellung der Voraussetzungen eines GdB von 30 ab dem 5.9.2013 erreichen will. Vor dem SG hat die Klägerin schriftsätzlich beantragt, bei ihr einen GdB von "mindestens 20" festzustellen und zur Begründung ausgeführt, dass bei ihr ein GdB von 30 vorliege und sie aus diesem Grund einen Anspruch habe, sich einem schwerbehinderten Menschen gleichstellen zu lassen. Aufgrund der bestehenden Gesundheitsstörungen sei bei ihr ein GdB von 30 festzustellen. Diese tatsächliche Zielrichtung ist auch nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten vom 2.10.2014 unverändert geblieben, da die Klägerin die Klage aufrechterhalten hat. Dass die Klägerin mit ihrer Klage tatsächlich einen über 20 liegenden GdB erreichen will, hat auch das beklagte Land erkannt und zu erkennen gegeben, indem es ein "Teilanerkenntnis" abgegeben und in diesem Zusammenhang beantragt hat, die weitergehende Klage abzuweisen. Bei evtl bestehenden Unklarheiten hätte das SG darüber hinaus auf eine Klärung des Klageantrags hinwirken müssen (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG).

14

Die von der Revision benannte und vom Berufungsgericht kritisierte Rechtsprechung des Senats in seinem Urteil vom 9.8.1995 (9 RVs 7/94 - SozR 3-1930 § 116 Nr 7 S 24 = Juris RdNr 16)zur Auslegung von Klageanträgen in Schwerbehindertenverfahren, die auf die Feststellung eines Mindest-GdB gerichtet sind, steht der vorgenommenen Auslegung nicht entgegen und widerspricht insbesondere nicht der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung von Prozesserklärungen im Allgemeinen (BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180). Der Senat hat mit Urteil vom 9.8.1995 (aaO) zur Höhe der Rahmengebühr eines Bevollmächtigten im isolierten Vorverfahren ua ausgeführt, "daß im Schwerbehindertenverfahren um Festsetzung eines höheren GdB zumeist unbestimmte und nach oben offene Anträge gestellt werden, weil sich der (Gesamt-)GdB nicht errechnen läßt, sondern Ergebnis einer Bewertung unter Würdigung sämtlicher Einzelbehinderungen und ihrer wechselseitigen Beziehungen ist. Die Lage ist ähnlich wie bei einem unbezifferten Antrag auf Schmerzensgeld. Ein Behinderter ist nach Anhebung des GdB auf den von ihm genannten Mindestwert ebenso wenig beschwert wie ein Kläger, dem die in seinem Antrag geforderte Mindestsumme an Schmerzensgeld zugesprochen wird (BGH VersR 1970, 83; 1977, 861). Es fehlt dann eine - weitergehende - Forderung …".

15

Hieran hält der Senat fest, weist aber klarstellend darauf hin, dass diese Entscheidung für die Auslegung von Klageanträgen in Schwerbehindertenverfahren nur insoweit von Bedeutung ist, als es ausschließlich um einen auf einen Mindest-GdB gerichteten Antrag geht, bei dem sich aus den weiteren Umständen des Falles kein höheres Klagebegehren erkennen lässt. Mit der genannten Rechtsprechung wollte der Senat ursprünglich zusätzlichen anwaltlichen Erfolgsgebühren die Grundlage entziehen. Aus dem Umstand eines Antrags auf Feststellung eines Mindest-GdB sollte kein gebührenerhöhendes Entgegenkommen abgeleitet werden können, wenn das Verfahren sich auf der Grundlage des Mindest-GdB erledigte. Die Begründung, das Verfahren hätte mit dem Ziel einer über den Mindest-GdB hinausgehenden Forderung fortgesetzt werden können, sollte ins Leere laufen (vgl hierzu auch: Hellstab, AGS 1997, 32). Folgerichtig wird diese Entscheidung von den Instanzgerichten insbesondere zur Begründung in Kostenstreitigkeiten herangezogen (vgl zB LSG Berlin Urteil vom 29.10.2002 - L 13 SB 59/01 - Juris RdNr 23; SG Köln Beschluss vom 27.1.2015 - S 16 SB 1593/13 - Juris RdNr 13) und ihre begrenzte Bedeutung bei der Auslegung von Anträgen auf Feststellung eines Mindest-GdB im Übrigen auch in der tatrichterlichen Spruchpraxis erkannt (vgl zB Bayerisches LSG Urteil vom 25.3.1999 - L 15 SB 47/97 - Juris RdNr 17). Keinesfalls darf das Tatsachengericht die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht dadurch verkürzen, dass es die gebotene Auslegung des Klageantrags unterlässt und sich entgegen § 123 SGG an die Fassung der Anträge gebunden sieht, obwohl diese Anlass und Raum für eine Auslegung bieten.

16

Selbst im Zivilrecht wird die Rechtslage bei der Bewertung von unbezifferten Prozessanträgen auf Schmerzensgeld differenziert betrachtet. Zwar muss im Zivilprozess die Klage entgegen § 92 Abs 1 S 3 SGG einen bestimmten Antrag enthalten(§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO)und ist das Gericht entgegen § 123 SGG an die Parteianträge gebunden(§ 308 Abs 1 S 1 ZPO). Für die Geltendmachung von Schmerzensgeld gelten aber seit jeher Besonderheiten, die dem Umstand Rechnung tragen, dass der Tatrichter über die Höhe des Schmerzensgelds unter Würdigung aller Umstände nach seiner freien Überzeugung entscheidet (§ 287 Abs 1 S 1 ZPO). Der Kläger darf deshalb ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung (Größenordnung) verlangen. Nach der auch vom Senat in seiner Entscheidung vom 9.8.1995 (aaO) zitierten Rechtsprechung des BGH gilt dann aber auch, dass ein Kläger regelmäßig nicht mehr beschwert ist, wenn er ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt und das Gericht ihm ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkennt (BGH Beschluss vom 4.11.1969 - VI ZB 14/69 - Juris; BGH Beschluss vom 21.6.1977 - VI ZA 3/75 - VersR 1977, 861). Der BGH hat in seiner Rechtsprechung die Angabe einer Betragsvorstellung, nach der sich die Beschwer bestimmt, jedenfalls dann als notwendig erachtet, wenn der Kläger sich die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung erhalten will (vgl zB BGH Urteil vom 30.4.1996 - VI ZR 55/95 - BGHZ 132, 341, 352; BGH Urteil vom 2.2.1999 - VI ZR 25/98 - BGHZ 140, 335, 340). Diese Entscheidungen dienten vornehmlich der Verdeutlichung von Grundsätzen zur Feststellung einer durch das Rechtsmittelverfahren zu beseitigenden Beschwer (vgl BGH Versäumnisurteil vom 10.10.2002 - III ZR 205/01 - Juris RdNr 14). Zugleich hat der BGH auch verdeutlicht, dass die Ausübung des richterlichen Ermessens durch die Angabe eines Mindestbetrags nach oben nicht begrenzt werde; die Überschreitung einer angegebenen Größenordnung sei mit der Bindung an die Anträge (§ 308 Abs 1 ZPO) vereinbar, solange der Kläger für sein Begehren keine Obergrenze (etwa im Sinne von "nicht mehr als …") angebe (vgl BGH Urteil vom 30.4.1996 - VI ZR 55/95 - BGHZ 132, 341, 350, 351 f; BGH Versäumnisurteil vom 2.2.1999 - VI ZR 25/98 - BGHZ 140, 335, 340; BGH Versäumnisurteil vom 10.10.2002 - III ZR 205/01 - Juris RdNr 12; BGH Urteil vom 30.3.2004 - VI ZR 25/03 - Juris RdNr 6 mwN). Selbst unter den engeren formalen Anforderungen des Zivilprozesses kann das Klagebegehren Hinweise auf eine abweichende Bedeutung der von ihm angegebenen Größenvorstellung des Schmerzensgelds für die Beschwer erkennen lassen (s insbesondere BGH Versäumnisurteil vom 10.10.2002 - III ZR 205/01 - Juris RdNr 12 ff).

17

Zusammenfassend ist - wie oben ausgeführt - auch im Schwerbehindertenrecht bei der Auslegung eines Prozessantrags nach den allgemeinen Auslegungsregeln der wirkliche Wille des Prozessführenden maßgebend, soweit er sich aus den Umständen ergibt, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind (vgl BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180). Dies hat der Senat gerade auch für die Feststellung des GdB klargestellt (Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 SB 48/11 B - Juris RdNr 16 f mwN unter Hinweis auf BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16).

18

Im Ergebnis ist die rechtliche Würdigung des Klageantrags durch das LSG iS von § 123 SGG iVm § 133 BGB nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Unrecht unter Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne in der Sache selbst eine Entscheidung zu treffen. Die Klägerin verfolgt ihr prozessuales Ziel, einen GdB von 30 zu erreichen, zulässigerweise weiter mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG - s zur statthaften Klageart etwa BSG Urteil vom 27.2.2002 - B 9 SB 6/01 R - Juris RdNr 40). Durch das Teilanerkenntnis vom 2.10.2014 und den Ausführungsbescheid vom 11.1.2016 ist diesem Begehren lediglich bis zur Feststellung eines GdB von 20 entsprochen worden, sodass eine weitergehende Beschwer verbleibt, über die bisher nicht entschieden ist.

19

b) Ob das LSG berechtigt war unter Aufhebung des Gerichtsbescheids die Sache an das SG zurückzuverweisen anstatt selbst eine Entscheidung in der Sache zu treffen, kann der Senat mangels Verfahrensrüge durch den Beklagten nicht entscheiden. Nach § 159 Abs 1 SGG "kann" das LSG die Sache an das SG zurückverweisen, hat also eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob es in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will(s hierzu zB BSG Beschluss vom 19.9.2013 - B 3 KR 3/13 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 9 V 58/16 B - Juris RdNr 15 mwN; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 159 RdNr 15 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 159 RdNr 5 mwN). Eine fehlerhafte Zurückverweisung kann als Verfahrensfehler gerügt werden, ist aber im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen zu prüfen (BSG Urteil vom 31.7.1991 - 6 RKa 18/90 - BSGE 69, 147, 153 = SozR 3-2500 § 106 Nr 7 S 37; Sommer, aaO, RdNr 18 mwN), weil durch den vollständigen Erhalt des Instanzenzugs die Grundordnung des Verfahrens nicht berührt ist (vgl hierzu BFH Urteil vom 30.8.1995 - I R 162/94 - BFHE 178, 538 = BStBl II 1996, 139; Keller, aaO, RdNr 5c mwN).

20

Zur Rüge einer mangelhaften Zurückverweisung wäre es erforderlich gewesen, Fehler des LSG in der Ermessensausübung aufzuzeigen. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung des Beklagten nicht. Eine Auseinandersetzung mit der vom LSG getroffenen und nach § 159 Abs 1 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung, ob in der Sache selbst entschieden oder zurückverwiesen wird, fehlt vollständig. Eine solche konkrete Auseinandersetzung ist auch nicht sinngemäß in der Antragstellung und dem Begehren zu sehen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Der Beklagte stellt weder dar, welche Rechtsansicht das LSG zu der zu treffenden Ermessensentscheidung nach § 159 Abs 1 SGG konkret vertreten hat noch führt er aus, weshalb diese Rechtsansicht (zur Ermessensentscheidung) von ihm nicht geteilt wird.

21

Damit bleibt der Revision der Erfolg versagt. Die Entscheidung des LSG zur Zurückverweisung an das SG hat Bestand. Das SG wird das Verfahren in erster Instanz erneut zu eröffnen und unter Zugrundelegung der rechtlichen Beurteilung des LSG eine Entscheidung in der Sache zu treffen haben (§ 159 Abs 2 SGG).

22

2. Das SG wird nach Entscheidung in der Sache gemäß § 193 SGG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. Aufgrund der Zurückverweisung an das SG ist noch keine Entscheidung über den endgültigen Erfolg der Klage getroffen worden (vgl BSG Urteil vom 31.7.1991 - 6 RKa 18/90 - BSGE 69, 147, 154 = SozR 3-2500 § 106 Nr 7 S 37). Hierbei wird zu beachten sein, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens das prozessuale Ziel über den Antrag hinaus auf Zuerkennung eines GdB von 30 gerichtet ist.

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(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

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(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,2. das Verfahren an einem wesent

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(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts. (2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Be

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Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

(2) Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt § 67 entsprechend.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

(2) Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt § 67 entsprechend.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts.

(2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern und dahin zu wirken, daß sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche Anträge stellen.

(3) Die Anträge können ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 geändert werden.

(4) Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, sachdienliche Fragen zu stellen. Wird eine Frage von einem Beteiligten beanstandet, so entscheidet das Gericht endgültig.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2011 aufgehoben, soweit es die Feststellung des Grades der Behinderung und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die 1962 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache die (rückwirkende) Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 sowie die (rückwirkende) Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H.

2

Mit Bescheid vom 15.9.2005 wurde bei der Klägerin für die Zeit ab 4.7.2005 ein GdB von 30 bestandskräftig festgestellt.

3

Am 29.6.2006 beantragte die Klägerin die rückwirkende Feststellung eines höheren GdB sowie die rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H. Daraufhin wurde der Bescheid vom 15.9.2005 abgeändert und ein GdB von 60 ab Antragstellung (29.6.2006) festgestellt. Die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H wurde abgelehnt (Bescheid des Versorgungsamtes Duisburg vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 6.2.2008).

4

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg (S 24 SB 43/08) erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit deren Einverständnis, der "Nachteilsausgleich H" sei nicht mehr streitbefangen. Der Bevollmächtigte der beklagten Stadt gab ein Teilanerkenntnis (GdB von 80 ab Antragstellung <29.6.2006>) ab, das der Prozessbevollmächtigte der Klägerin annahm. Im Übrigen beantragte dieser, bei der Klägerin unter Änderung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidung ab dem Jahre 2000 einen GdB von 80 sowie den Nachteilsausgleich G festzustellen. Das SG hat die beklagte Stadt entsprechend ihrem Teilanerkenntnis verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil diese insoweit unzulässig sei. Hinsichtlich des Begehrens der Feststellung eines höheren GdB für die Zeit vor der Antragstellung fehle es in den angefochtenen Bescheiden an einer ausdrücklichen Entscheidung der Beklagten (Urteil vom 27.4.2010).

5

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin persönlich (nicht vertreten durch ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten) Berufung eingelegt, mit der sie zunächst begehrt hat, unter Abänderung des Urteils des SG ihre Behinderung "wenn möglich seit dem Jahr 2000" zu bestätigen (hilfsweise "wenigstens ab dem Jahr 2002"), die "in dem Antrag vom Jahr 2005 nicht anerkannten, aber durch die behandelnden Ärzte bescheinigten gesundheitlichen Störungen" sowie "die Nachteilsausgleiche G und H anzuerkennen".

6

Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der 10. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Berufung unzulässig sei, wenn sie sich gegen einen Bescheid aus dem Jahr 2005 und nicht gegen die im erstinstanzlichen Verfahren streitigen Bescheide aus 2007 wende. Er hat der Klägerin geraten, den Berufungsantrag zu stellen, das Urteil des SG vom 27.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 zu verurteilen, bei ihr den Nachteilsausgleich G sowie einen GdB von 80 bereits ab dem Jahr 2000 festzustellen.

7

           

Die Klägerin hat daraufhin erklärt: "Ich möchte den Antrag so stellen, wie er in meiner schriftlichen Berufungsbegründung anklingt". Nach nochmaligen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berufung hat die als Vorsitzende handelnde Richterin folgenden Antrag zu Protokoll diktiert:

"Die Klägerin beantragt gleichwohl,

        

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15.9.2005 zu verurteilen, bei ihr die Nachteilsausgleiche G und H, einen GdB von 80 bereits seit dem Jahr 2000, hilfsweise seit dem Jahr 2002, sowie weitere gesundheitliche Störungen festzustellen,
hilfsweise den Rechtsstreit zu vertagen und die im Rentenverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg noch einzuholenden Gutachten beizuziehen, sobald diese vorliegen."

8

Nach nochmaligem Vorspielen hat die Klägerin dazu erklärt: "Das ist jedenfalls insoweit richtig, als dass hier heute vertagt werden müsste. Im Übrigen kann ich mich nicht äußern."

9

Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen (Urteil vom 23.2.2011). Diese Entscheidung hat es im Wesentlichen darauf gestützt, dass keine berufungsfähige Entscheidung des SG zu dem im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Bescheid vorliege. Der nunmehr angegriffene Bescheid vom 15.9.2005 sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens gewesen. Das jetzige Vorbringen der Klägerin stelle sich der Sache nach als Klageänderung dar. Diese setze eine zulässige Berufung voraus, an welcher es vorliegend mangele. Dem Berufungsantrag der Klägerin könne auch nicht durch Auslegung ein zulässiger Inhalt beigemessen werden. Nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin sei auszuschließen, dass sich diese gegen die im Klageverfahren angegriffenen Bescheide von 2007 wende.

10

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet: Sie habe sich von Anfang an gegen den Bescheid vom 15.9.2005 gewandt. Ihr Antrag sei dahingehend auszulegen gewesen, dass sie eine Neufeststellung ihres GdB und der Nachteilsausgleiche G und H wegen Rechtswidrigkeit des bislang maßgeblichen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit begehre, denn sie habe sich auf Umstände berufen, die bereits bei Erlass des Bescheides vom 15.9.2005 vorgelegen hätten. Das LSG hätte deshalb entsprechend ihrem Begehren den Antrag wie folgt formulieren müssen: "Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.2.2011 (richtig 27.4.2010) sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 (richtig 6.2.2008) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15.9.2005, die Nachteilsausgleiche G und H, einen GdB von 80 bereits seit dem Jahr 2000, hilfsweise seit dem Jahr 2002, sowie weitere gesundheitliche Störungen festzustellen."

Entscheidungsgründe

11

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist nur zum Teil zulässig.

12

Nach § 160a Abs 2 S 3 SGG muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht (vgl § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), oder der Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) bezeichnet werden. Betrifft der Rechtsstreit mehrere prozessuale Ansprüche - wie hier die Feststellung des GdB, weiterer gesundheitlicher Störungen sowie der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H - muss die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich jedes einzelnen prozessualen Anspruchs, über den das LSG entschieden hat, den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügen.

13

In Bezug auf die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens H hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung weder die einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan noch hinreichend dargelegt, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann. Sie trägt selbst vor, dass ihr damaliger Prozessbevollmächtigter mit ihrem Einverständnis vor dem SG zu Protokoll erklärt hat: "Der Nachteilsausgleich H ist nicht mehr streitbefangen." Dass das LSG diese protokollierte Prozesserklärung verfahrensfehlerhaft als (teilweise) Klagerücknahme ausgelegt hat, hat die Klägerin nicht dargelegt. Die bloße Behauptung, dass diese Erklärung "ihr aufgezwungen" worden sei, reicht - schon im Hinblick auf das Handeln des von der Klägerin bevollmächtigten Rechtsanwalts - für die Darlegung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme nicht aus.

14

Auch soweit es die von der Klägerin begehrte Feststellung weiterer gesundheitlicher Störungen betrifft, hat die Klägerin einen berufungsgerichtlichen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Der Umstand, dass die Vorinstanzen der Klägerin zu diesem Punkt eine Sachentscheidung verweigert haben, kann nur dann als Mangel des Verfahrens angesehen werden, wenn es sich dabei überhaupt um eine zulässige Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw (ab 1.7.2001) nach dem SGB IX handelt. Dazu hat das BSG entschieden, dass die zuständige Behörde im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs 1 S 1 SchwbG das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den GdB festzustellen hat(vgl BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind danach lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung hätte es näherer Darlegungen bedurft, warum hier ein diesbezüglicher Verfahrensmangel vorliegen soll. Daran fehlt es.

15

Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügt, ihr Antrag sei dahingehend auszulegen gewesen, dass sie eine Neufeststellung wegen Rechtswidrigkeit des bislang maßgeblichen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit begehre, macht sie sinngemäß eine Verletzung des § 123 SGG geltend. Damit hat sie, soweit das Urteil des LSG die Feststellung des GdB und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft, formgerecht einen mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügbaren Verfahrensmangel bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

16

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, soweit das angefochtene Urteil des LSG vom 23.2.2011 die Feststellung des GdB und der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft. In diesem Umfang beruht das Berufungsurteil auf einem ordnungsgemäß bezeichneten Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der gerügte Verstoß gegen § 123 SGG liegt auch vor, denn das LSG hat das Berufungsbegehren der Klägerin verkannt.

17

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die von dem jeweiligen Kläger bzw der jeweiligen Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; Keller bzw Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3, § 112 RdNr 8). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen (vgl etwa BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; BSG Urteil vom 8.12.2010 - B 6 KA 38/09 R -, MedR 2011, 823; Keller aaO). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl BSG aaO). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger/der Klägerin aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16).

18

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte das LSG das Begehren der im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertretenen Klägerin nur so verstehen, dass diese unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung des SG für die Zeit ab dem Jahre 2000 eine Korrektur der bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung vom 15.9.2005 erreichen will. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits im Juli 2005 Feststellungen nach § 69 SGB IX "möglichst ab 2001" beantragt hatte, das Versorgungsamt D. mit Bescheid vom 15.9.2005 jedoch nur einen GdB von 30 ab Antragstellung zuerkannte. Da dieser Verwaltungsakt den Antrag der Klägerin erkennbar vollständig bescheiden sollte, liegt darin zugleich auch eine Ablehnung für die Zeit vor der Antragstellung. Ihr Ziel rückwirkender Feststellungen machte die Klägerin sodann erneut mit ihrem "Änderungsantrag" vom 29.6.2006 deutlich: Sie beantragte die Ausstellung eines Ausweises mit Rückwirkung "ab Geburt". In Ihrem Begleitschreiben vom 22.6.2006 wies sie auf ihren Antrag aus dem "letzten Jahr" hin und bat um Information, "welche Behinderung mit wie vielen Prozenten" berücksichtigt wurde. In einem weiteren Schreiben vom 25.1.2007 bat sie um Überprüfung, "seit wann" sie tatsächlich behindert sei.

19

Das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Versorgungsamt konnte diesen Antrag der Klägerin nach seinem objektiven Erklärungswert und der Interessenlage nur so verstehen, dass diese unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihr aufgrund des von ihr geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht, also dass sie nicht nur eine Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 SGB X beansprucht, sondern auch eine Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts nach § 44 Abs 2 SGB X erreichen will (vgl hierzu auch BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16).

20

Dieses Begehren hat das Versorgungsamt zwar nicht ausdrücklich beschieden, denn der angefochtene Bescheid vom 24.5.2007 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2008) nennt als Rechtsgrundlage lediglich § 48 SGB X. Nach dem Inhalt des Verwaltungsakts sollte der Antrag der Klägerin jedoch - soweit er über die Neufeststellung eines GdB von 60 ab 29.6.2006 hinausgeht - in vollem Umfang abgelehnt werden (vgl hierzu auch BSG aaO RdNr 17).

21

Entgegen der Auffassung des SG in seinem Urteil vom 27.4.2010 fehlt demnach keine (ablehnende) Entscheidung der Verwaltung über den Antrag der Klägerin auf Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 15.9.2005 nach § 44 Abs 2 SGB X. Diesen Überprüfungsantrag hat die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 SGG (zur Klageart bei Klagen wegen Ansprüchen nach § 44 SGB X: vgl allgemein BSG<4. Senat> SozR 3-1300 § 44 Nr 8 S 19; BSG <7. Senat>, BSGE 76, 156, 157 f; BSG <9. Senat>, BSGE 81, 150, 152 = SozR 3-3100 § 30 Nr 18 S 43; BSG <2. Senat>, BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 9)insoweit weiterverfolgt, als sie - nach teilweiser Klagerücknahme (Merkzeichen H) - über das von ihr angenommene Teilanerkenntnis der beklagten Stadt (GdB von 80 ab 29.6.2006) hinaus begehrt, "die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 (richtig 6.2.2008) zu verurteilen, bei ihr ab dem Jahre 2000 bereits einen GdB von 80 und den Nachteilsausgleich G festzustellen." Mit dem im Tenor des Urteils vom 27.4.2010 enthaltenen Ausspruch "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen" hat das SG insoweit die ablehnende Entscheidung der Verwaltung bestätigt. Entgegen der Auffassung des LSG liegt mithin jedenfalls zu den Streitgegenständen "Feststellung des GdB" und "Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G" eine berufungsfähige Entscheidung vor, die sich auch auf die von der Klägerin begehrte Überprüfung des Bescheides vom 15.9.2005 bezieht.

22

Das LSG hätte deshalb im Rahmen seiner gemäß § 123 SGG gebotenen Auslegung des Klage- und Berufungsbegehrens der Klägerin die den Überprüfungsantrag nach § 44 Abs 2 SGB X ablehnende Verwaltungsentscheidung, die vom SG mit der Klageabweisung bestätigt worden ist, in seine Prüfung und Entscheidung mit einbeziehen müssen. Eine derartige Auslegung war auch deshalb geboten, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung weder dem vom LSG als sachdienlich angesehenen Berufungsantrag zugestimmt noch den von der als Vorsitzende handelnden Richterin des LSG zu Protokoll diktierten Antrag trotz mehrmaligem Vorspielen ausdrücklich genehmigt hat.

23

Auf dem insoweit verfahrensfehlerhaften Verkennen des Berufungsbegehrens kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das LSG bei richtiger Erfassung dieses Begehrens möglicherweise zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

24

3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles von dieser Möglichkeit insoweit Gebrauch, als er das angefochtene Urteil des LSG aufhebt, soweit es die Feststellung des GdB und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

25

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht noch ein Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden Arzneimittels Polyglobin im Quartal IV/2000.

2

Der vom Berufungsgericht als "Beigeladener zu 4." geführte Dr. K., der als Arzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin teilnimmt, betreibt eine onkologische Schwerpunktpraxis. In der Zeit vom 1.7.2000 bis zum 31.12.2004 übte er die vertragsärztliche Tätigkeit mit der als "Beigeladene zu 5." geführten Dr. D., einer Ärztin für Allgemeinmedizin, gemeinschaftlich aus. Im Quartal I/2000 verordnete Dr. K. sowie im Quartal IV/2000 ein Mitglied dieser Gemeinschaftspraxis der Patientin H., die bei der Klägerin - einer gesetzlichen Krankenkasse - versichert war, das Arzneimittel Polyglobin.

3

Aufgrund eines gegen die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. gerichteten Antrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin setzte der Prüfungsausschuss wegen dieser Verordnungen einen Regress in Höhe von 36 821,34 DM (18 826,45 Euro) gegen Dr. K. und Dr. D. fest. Auf den Widerspruch von Dr. K. und Dr. D. reduzierte der beklagte Beschwerdeausschuss mit seinem an die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. gerichteten Bescheid vom 25.3.2003 die Schadensersatzverpflichtung auf 15 162,56 DM (7752,49 Euro) mit der Begründung, dass Polyglobin im Quartal IV/2000 indikationsgerecht verordnet worden sei; im Übrigen (bezüglich des Quartals I/2000) wies er den Widerspruch zurück.

4

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und mit Schriftsatz vom 18.8.2003 beantragt, "den Widerspruchsbescheid des Beklagten … aufzuheben und eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K. in Höhe von 18 826,45 Euro festzusetzen". Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, der Beklagte habe in seiner Entscheidung vom 25.3.2003 die zuvor vom Prüfungsausschuss festgesetzte Schadensersatzverpflichtung "gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. M. K." reduziert. Das SG hat die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkassenverbände (nachfolgend beschränkt auf den BKK-Landesverband) sowie - zu 3. - die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. beigeladen. In der öffentlichen Sitzung des SG hat die Klägerin zu Protokoll beantragt, den Bescheid des Beklagten aufzuheben, soweit für das Quartal IV/2000 die indikationsgerechte Verordnung von Polyglobin festgestellt worden ist, und den Beklagten zu verpflichten, eine Schadensersatzverpflichtung "gegenüber Dr. K. und Dr. D." in Höhe von 11 073,96 Euro festzusetzen. Das SG hat dem Antrag mit Urteil vom 1.11.2006 entsprochen. Das Urteil wurde den Rechtsanwälten D. + B., die ausweislich der mit der Unterschrift von Dr. K. und dem Stempel der Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. versehenen Prozessvollmacht zur Vertretung der Beigeladenen zu 3. bevollmächtigt waren, am 18.4.2007 zugestellt.

5

Dagegen haben Dr. K. am 14.5.2007 und Dr. D. am 30.5.2007 Berufung eingelegt. Das LSG hat mit Urteil vom 26.11.2008, in dessen Rubrum es die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. als Beigeladene zu 3., Dr. K. als "Beigeladenen zu 4." sowie als Berufungskläger und Dr. D. als "Beigeladene zu 5." sowie als Berufungsklägerin aufführt, das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da sich die Ansprüche gegen die (frühere) Gemeinschaftspraxis richteten, sodass ein Regress bzw eine Schadensersatzverpflichtung nur zu Lasten der Beigeladenen zu 3. habe festgesetzt werden dürfen. Einen diesbezüglichen Verpflichtungsantrag habe die Klägerin jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellt, während er zuvor darauf gerichtet gewesen sei, eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber Dr. K. festzusetzen. Durch diese (zulässige) Klageänderung dürften keine Sachurteilsvoraussetzungen umgangen werden; dies sei jedoch vorliegend der Fall. Denn entweder sei der Verpflichtungsantrag auf die Festsetzung eines Schadensersatzes gegenüber beiden Ärzten als Einzelpersonen gerichtet - dann fehle es an einem hierauf gerichteten Verfahren vor dem Beklagten - oder der Verpflichtungsantrag sei auf die Festsetzung eines Schadensersatzes gegenüber der Gemeinschaftspraxis gerichtet - dann fehle es an einer fristgerechten Klageerhebung, weil der erstmals in der mündlichen Verhandlung am 1.11.2006 gestellte Antrag die Klagefrist nicht wahre.

6

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, dass sich die Regressverpflichtung nur gegen die Gemeinschaftspraxis habe richten dürfen. Insbesondere habe es übersehen, dass sich die Haftung der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber Dritten nach den Grundsätzen der Offenen Handelsgesellschaft richte (§§ 128 bis 130 Handelsgesetzbuch). Nach § 128 HGB hafteten alle Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft - auch nach deren Beendigung - persönlich. Zulässigerweise richte sich ein Regressbescheid nicht nur gegen die Gemeinschaftspraxis, sondern auch bzw stattdessen gegen die einzelnen Gesellschafter. Im Übrigen habe das LSG ihren in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag zu Unrecht als Klageänderung angesehen. Vor der Annahme einer Klageänderung hätte es zunächst eine Auslegung des Antrags vornehmen müssen, insbesondere deswegen, weil allen Beteiligten klar gewesen sei, dass es um eine Regressverpflichtung der Gemeinschaftspraxis gegangen sei. Dass dennoch eine Schadensersatzverpflichtung gegen Dr. K. und Dr. D. festgesetzt worden sei, dürfe dem Umstand geschuldet sein, dass dem SG möglicherweise aus einem Parallelverfahren bekannt gewesen sei, dass die Gemeinschaftspraxis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr existiert habe, und es mangels Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis versucht habe, das Problem durch Heranziehung der ehemaligen Gemeinschaftspraxispartner zu lösen. Das LSG habe auch die Voraussetzungen für eine fristgerecht erhobene Klage verkannt, denn nach der Rechtsprechung des BVerwG (Beschluss vom 20.1.1993 - 7 B 158/92 -) sei eine geänderte Klage selbst dann nicht unzulässig, wenn ein neuer Beklagter erst nach Ablauf der Klagefrist in das Verfahren einbezogen worden sei.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu(ver)weisen.

8

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und von einer Äußerung abgesehen.

9

           

Die Beigeladene zu 3. beantragt, wie sich aus den Ausführungen ihrer ehemaligen Mitglieder ergibt

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Dr. K. hält das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Ziel der Klage habe es nur sein können, eine Entscheidung zu Lasten des Adressaten der Entscheidung des Beklagten - also der Gemeinschaftspraxis -, nicht aber eine Entscheidung zu Lasten eines Dritten herbeizuführen. Bezüglich seiner - Dr. K. Inanspruchnahme fehle es bereits an der Durchführung eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens. Ein Verwaltungsakt, der eine Regressverpflichtung zum Inhalt habe, richte sich nur gegen die Gemeinschaftspraxis, nicht jedoch auch bzw stattdessen gegen die einzelnen Gesellschafter. Insoweit helfe auch § 128 HGB nicht weiter, denn es könne nur gegen die jeweils gerichtlich in Anspruch genommene Partei - also entweder die Gesellschaft oder die Gesellschafter - vollstreckt werden. Eine im Zivilprozess mögliche Klageerweiterung hinsichtlich einzelner Gesellschafter verbiete sich im Sozialgerichtsprozess, da dadurch das notwendige Verwaltungs- und Klageverfahren umgangen werde. Eine Auslegung des eindeutig formulierten Klageantrags sei ausgeschlossen. Die "Beigeladene zu 5." habe bis zur mündlichen Verhandlung nicht gewusst, dass ein Regress auch gegen sie als Gesellschafterin festgesetzt werden könnte; sie habe daher auf die Bestandskraft des Bescheides vertrauen können.

11

Dr. D. hält ebenfalls das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Im Laufe eines streitigen Sozialverfahrens könne nicht beliebig zwischen völlig verschiedenen Rechtssubjekten als Verfahrensbeteiligte hin und her gewechselt werden. Für die Klägerin habe die Pflicht bestanden, den Regressantrag hinreichend zu bestimmen. Zwischen einem Gesellschaftsprozess und einem Gesellschafterprozess sei streng zu unterscheiden. Zudem habe es bereits im erstinstanzlichen Verfahren an der notwendigen Beiladung der einzelnen Gesellschafter als nunmehr neue Regressadressaten gefehlt; diese könne insbesondere nicht durch eine Rubrumsberichtigung ersetzt werden.

12

Die übrigen Beigeladenen haben sich weder geäußert noch Anträge gestellt.

13

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 iVm § 124 Abs 2 SGG)einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Klägerin ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Das LSG hat die Klage der Klägerin zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.

15

1. Der Senat hat das Rubrum dahin gehend berichtigt, dass allein die (ehemalige) Gemeinschaftspraxis als Beigeladene (zu 3.) geführt und diese durch ihre früheren Mitglieder vertreten wird. Eine förmliche Beiladung von Dr. K. bzw Dr. D. ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt; eine konkludente Beiladung ist nicht möglich (BFHE 90, 428, 429 = BStBl II 1968, 122; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 75 RdNr 14a).

16

2. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG ist deshalb geboten, weil es den Streitgegenstand verkannt und damit § 123 SGG verletzt hat. Der Auffassung des LSG, die Klägerin habe ihren ursprünglich auf Festsetzung einer Schadensersatzverpflichtung gegenüber Dr. K. gerichteten Verpflichtungsantrag in der mündlichen Verhandlung in einen solchen auf Verpflichtung der Gemeinschaftspraxis geändert, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ergibt sich im Wege der Auslegung, dass von Anfang an eine Verpflichtung der Gemeinschaftspraxis gewollt war.

17

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, das sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist (BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; Keller aaO). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, welcher sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen - etwa dem Inhalt der Verwaltungsakten - ergeben kann. Allerdings können nur solche Umstände bei der Ermittlung des wirklichen Willens berücksichtigt werden, die für das Gericht und die anderen Prozessbeteiligten erkennbar sind (BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180 unter Hinweis auf BVerfGE 54, 1, 7).

18

Bei der Auslegung geht das Gericht davon aus, was der Kläger mit der Klage erreichen möchte (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3). Im Zweifel wird dieser den Antrag stellen wollen, der ihm am Besten zum Ziel verhilft, wobei anzunehmen ist, dass er alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (Keller aaO mwN). Zur Auslegung ist auch ein Revisionsgericht berufen, ohne dabei an die durch das Tatsachengericht vorgenommene Auslegung gebunden zu sein (BSG Urteil vom 16.5.1995 - 9 RVs 11/94 - juris RdNr 13, unter Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 145 Nr 2 und auf BGHZ 4, 328, 334 mwN).

19

Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 18.8.2003 gewählte Formulierung des Antrags, "eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K. … festzusetzen", ganz offensichtlich auf einem Irrtum beruhte. Dies wird aus der nachfolgenden Begründung der Klage deutlich. Dort wird vorgetragen, der Beklagte habe die zuvor vom Prüfungsausschuss festgesetzte Schadensersatzverpflichtung "gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K." reduziert; diese Aussage ist jedoch erkennbar unzutreffend, da sich sowohl der Prüfantrag der Klägerin als auch der Widerspruchsbescheid des Beklagten gegen die Gemeinschaftspraxis richteten, und die - allein noch streitgegenständliche - Stattgabe des Widerspruches das Quartal IV/2000 und somit eine gegen die Gemeinschaftspraxis gerichtete Forderung betraf.

20

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihren Anspruch nunmehr allein gegenüber Dr. K. geltend machen wollte, lassen sich demgegenüber weder aus dem Schriftsatz noch aus weiteren Umständen entnehmen. Zu einer Inanspruchnahme lediglich einzelner Mitglieder der Gemeinschaftspraxis bestand für die Klägerin keine Veranlassung. Insbesondere verbietet sich die Annahme, dass die Klägerin etwa ein Ausscheiden von Dr. D. aus der Gemeinschaftspraxis berücksichtigen wollte, denn zu dem Zeitpunkt, als der Schriftsatz vom 18.8.2003 verfasst wurde, bestand die von der umstrittenen Regressfestsetzung betroffene Gemeinschaftspraxis noch. Umgekehrt könnte der Umstand, dass die Gemeinschaftspraxis erst Mitte 2000 gegründet wurde und seinerzeit Verordnungsregresse betreffende Verfahren sowohl gegen die zuvor bestehende Einzelpraxis Dr. K. als auch gegen die Gemeinschaftspraxis anhängig waren, dafür sprechen, dass es hierdurch zu einer Verwechslung gekommen ist. Die für eine bloße Falschbezeichnung sprechenden Umstände waren auch für alle Beteiligten ohne weiteres erkennbar.

21

Ist somit davon auszugehen, dass die Klägerin eine Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung eines Regresses gegen die Gemeinschaftspraxis begehrte, so hat sich daran auch nichts dadurch geändert, dass in das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem SG - vermutlich auf Anregung des Gerichts - ein etwas anders formulierter Antrag aufgenommen worden ist, da nur ein auf Inanspruchnahme der Gemeinschaftspraxis gerichteter Antrag dem Interesse der Klägerin entsprach.

22

3. Im Übrigen ist das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel nur zu Lasten der Gemeinschaftspraxis hätte festgesetzt werden dürfen. Vielmehr kommt eine Regressfestsetzung sowohl gegen die Gemeinschaftspraxis als auch gegen deren Mitglieder in Betracht.

23

Zutreffend ist allerdings, dass im Regelfall die Gemeinschaftspraxis Regresse wie auch etwaige Honorarkürzungen zu tragen hat (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; BSG Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 21/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15; s auch BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17 sowie BSG SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 15). Der Senat hat dies damit begründet, dass die Gemeinschaftspraxis durch die gemeinsame Ausübung der (zahn)ärztlichen Tätigkeit geprägt ist und rechtlich gesehen eine Praxis darstellt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21; s auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15). So wird die Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise einer Gemeinschaftspraxis nicht bezogen auf den einzelnen Arzt, sondern bezogen auf die Gemeinschaftspraxis als Einheit geprüft (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 aaO); ebenso treffen sie die wirtschaftlichen Folgen von Falschabrechnungen bzw rechtswidrigen Verordnungen (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22). Die Behandlungen, Abrechnungen und Verordnungen eines Vertragsarztes im Rechtssinne sind solche der Gemeinschaftspraxis, solange er seine Tätigkeit im Status einer Gemeinschaftspraxis ausübt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 aaO; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16). Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinschaftspraxis zwischenzeitlich beendet wurde, weil sie in vertragsarztrechtlicher Hinsicht für nicht erfüllte Pflichten und Forderungen als fortbestehend gilt ( zum fiktiven Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis für schwebende Auseinandersetzungen um Forderungen und Verbindlichkeiten s § 730 Abs 2 Satz 1 BGB und BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 14; BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 11 ).

24

Jedoch tritt neben die Verpflichtung (bzw Haftung) der Gemeinschaftspraxis eine solche ihrer Gesellschafter. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass für Regressansprüche der Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung nicht nur die Gemeinschaftspraxis selbst einzustehen hat, sondern auch jedes ihrer Mitglieder (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; BSG Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 21/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15). Sie sind persönlich haftende Schuldner für Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis, die sich zB im Falle rechtswidrigen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens von Praxispartnern ergeben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 mwN). Als Gesellschafter müssen sie für solche Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis auch in eigener Person einstehen (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 unter Hinweis auf zB Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 714 RdNr 10 ff mwN; vgl auch zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22); sie können jeder für sich in Anspruch genommen werden (BSGE 89, 90, 93 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22). Dementsprechend sind Regress- bzw Rückforderungsbescheide, die nur gegen einen Partner der Gemeinschaftspraxis gerichtet sind, nicht zu beanstanden (BSGE 89, 90, 93 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6; BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - RdNr 30, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

25

Umgekehrt hat der Senat dem einzelnen Praxispartner das Recht eingeräumt, Forderungen, die gegenüber der Gemeinschaftspraxis geltend gemacht werden, wahlweise zusammen mit seinen Praxispartnern gemeinschaftlich abzuwehren, oder sie - sowohl wenn sie nur gegenüber der Gemeinschaftspraxis als auch wenn sie auch ihm selbst gegenüber geltend gemacht werden - allein abzuwehren (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 unter Hinweis auf BSGE 89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5 und BSG, MedR 2004, 172). Darauf, ob die Gemeinschaftspraxis noch fortbesteht oder bereits aufgelöst ist, kommt es auch insoweit nicht an (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; s auch BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

26

4. In der Sache selbst weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin zu Recht die Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung eines Regresses begehrt hat. Der Senat hat bereits mit Urteilen vom 5.5.2010 (- B 6 KA 6/09 R - BSGE 106, 111 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27 und - B 6 KA 20/09 R -) in Verfahren, die ebenfalls Regresse wegen der Verordnung von Polyglobin durch Mitglieder der früheren Gemeinschaftspraxis betrafen, bestätigt, dass in derartigen Fällen ein Ersatzanspruch der Klägerin besteht.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts.

(2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern und dahin zu wirken, daß sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche Anträge stellen.

(3) Die Anträge können ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 geändert werden.

(4) Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, sachdienliche Fragen zu stellen. Wird eine Frage von einem Beteiligten beanstandet, so entscheidet das Gericht endgültig.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

(2) Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt § 67 entsprechend.

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen.

(2) Über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, hat das Gericht auch ohne Antrag zu erkennen.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen.

(2) Über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, hat das Gericht auch ohne Antrag zu erkennen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2011 aufgehoben, soweit es die Feststellung des Grades der Behinderung und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die 1962 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache die (rückwirkende) Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 sowie die (rückwirkende) Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H.

2

Mit Bescheid vom 15.9.2005 wurde bei der Klägerin für die Zeit ab 4.7.2005 ein GdB von 30 bestandskräftig festgestellt.

3

Am 29.6.2006 beantragte die Klägerin die rückwirkende Feststellung eines höheren GdB sowie die rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H. Daraufhin wurde der Bescheid vom 15.9.2005 abgeändert und ein GdB von 60 ab Antragstellung (29.6.2006) festgestellt. Die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H wurde abgelehnt (Bescheid des Versorgungsamtes Duisburg vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 6.2.2008).

4

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg (S 24 SB 43/08) erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit deren Einverständnis, der "Nachteilsausgleich H" sei nicht mehr streitbefangen. Der Bevollmächtigte der beklagten Stadt gab ein Teilanerkenntnis (GdB von 80 ab Antragstellung <29.6.2006>) ab, das der Prozessbevollmächtigte der Klägerin annahm. Im Übrigen beantragte dieser, bei der Klägerin unter Änderung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidung ab dem Jahre 2000 einen GdB von 80 sowie den Nachteilsausgleich G festzustellen. Das SG hat die beklagte Stadt entsprechend ihrem Teilanerkenntnis verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil diese insoweit unzulässig sei. Hinsichtlich des Begehrens der Feststellung eines höheren GdB für die Zeit vor der Antragstellung fehle es in den angefochtenen Bescheiden an einer ausdrücklichen Entscheidung der Beklagten (Urteil vom 27.4.2010).

5

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin persönlich (nicht vertreten durch ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten) Berufung eingelegt, mit der sie zunächst begehrt hat, unter Abänderung des Urteils des SG ihre Behinderung "wenn möglich seit dem Jahr 2000" zu bestätigen (hilfsweise "wenigstens ab dem Jahr 2002"), die "in dem Antrag vom Jahr 2005 nicht anerkannten, aber durch die behandelnden Ärzte bescheinigten gesundheitlichen Störungen" sowie "die Nachteilsausgleiche G und H anzuerkennen".

6

Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der 10. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Berufung unzulässig sei, wenn sie sich gegen einen Bescheid aus dem Jahr 2005 und nicht gegen die im erstinstanzlichen Verfahren streitigen Bescheide aus 2007 wende. Er hat der Klägerin geraten, den Berufungsantrag zu stellen, das Urteil des SG vom 27.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 zu verurteilen, bei ihr den Nachteilsausgleich G sowie einen GdB von 80 bereits ab dem Jahr 2000 festzustellen.

7

           

Die Klägerin hat daraufhin erklärt: "Ich möchte den Antrag so stellen, wie er in meiner schriftlichen Berufungsbegründung anklingt". Nach nochmaligen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berufung hat die als Vorsitzende handelnde Richterin folgenden Antrag zu Protokoll diktiert:

"Die Klägerin beantragt gleichwohl,

        

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15.9.2005 zu verurteilen, bei ihr die Nachteilsausgleiche G und H, einen GdB von 80 bereits seit dem Jahr 2000, hilfsweise seit dem Jahr 2002, sowie weitere gesundheitliche Störungen festzustellen,
hilfsweise den Rechtsstreit zu vertagen und die im Rentenverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg noch einzuholenden Gutachten beizuziehen, sobald diese vorliegen."

8

Nach nochmaligem Vorspielen hat die Klägerin dazu erklärt: "Das ist jedenfalls insoweit richtig, als dass hier heute vertagt werden müsste. Im Übrigen kann ich mich nicht äußern."

9

Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen (Urteil vom 23.2.2011). Diese Entscheidung hat es im Wesentlichen darauf gestützt, dass keine berufungsfähige Entscheidung des SG zu dem im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Bescheid vorliege. Der nunmehr angegriffene Bescheid vom 15.9.2005 sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens gewesen. Das jetzige Vorbringen der Klägerin stelle sich der Sache nach als Klageänderung dar. Diese setze eine zulässige Berufung voraus, an welcher es vorliegend mangele. Dem Berufungsantrag der Klägerin könne auch nicht durch Auslegung ein zulässiger Inhalt beigemessen werden. Nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin sei auszuschließen, dass sich diese gegen die im Klageverfahren angegriffenen Bescheide von 2007 wende.

10

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet: Sie habe sich von Anfang an gegen den Bescheid vom 15.9.2005 gewandt. Ihr Antrag sei dahingehend auszulegen gewesen, dass sie eine Neufeststellung ihres GdB und der Nachteilsausgleiche G und H wegen Rechtswidrigkeit des bislang maßgeblichen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit begehre, denn sie habe sich auf Umstände berufen, die bereits bei Erlass des Bescheides vom 15.9.2005 vorgelegen hätten. Das LSG hätte deshalb entsprechend ihrem Begehren den Antrag wie folgt formulieren müssen: "Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.2.2011 (richtig 27.4.2010) sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 (richtig 6.2.2008) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15.9.2005, die Nachteilsausgleiche G und H, einen GdB von 80 bereits seit dem Jahr 2000, hilfsweise seit dem Jahr 2002, sowie weitere gesundheitliche Störungen festzustellen."

Entscheidungsgründe

11

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist nur zum Teil zulässig.

12

Nach § 160a Abs 2 S 3 SGG muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht (vgl § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), oder der Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) bezeichnet werden. Betrifft der Rechtsstreit mehrere prozessuale Ansprüche - wie hier die Feststellung des GdB, weiterer gesundheitlicher Störungen sowie der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H - muss die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich jedes einzelnen prozessualen Anspruchs, über den das LSG entschieden hat, den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügen.

13

In Bezug auf die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens H hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung weder die einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan noch hinreichend dargelegt, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann. Sie trägt selbst vor, dass ihr damaliger Prozessbevollmächtigter mit ihrem Einverständnis vor dem SG zu Protokoll erklärt hat: "Der Nachteilsausgleich H ist nicht mehr streitbefangen." Dass das LSG diese protokollierte Prozesserklärung verfahrensfehlerhaft als (teilweise) Klagerücknahme ausgelegt hat, hat die Klägerin nicht dargelegt. Die bloße Behauptung, dass diese Erklärung "ihr aufgezwungen" worden sei, reicht - schon im Hinblick auf das Handeln des von der Klägerin bevollmächtigten Rechtsanwalts - für die Darlegung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme nicht aus.

14

Auch soweit es die von der Klägerin begehrte Feststellung weiterer gesundheitlicher Störungen betrifft, hat die Klägerin einen berufungsgerichtlichen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Der Umstand, dass die Vorinstanzen der Klägerin zu diesem Punkt eine Sachentscheidung verweigert haben, kann nur dann als Mangel des Verfahrens angesehen werden, wenn es sich dabei überhaupt um eine zulässige Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw (ab 1.7.2001) nach dem SGB IX handelt. Dazu hat das BSG entschieden, dass die zuständige Behörde im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs 1 S 1 SchwbG das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den GdB festzustellen hat(vgl BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind danach lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung hätte es näherer Darlegungen bedurft, warum hier ein diesbezüglicher Verfahrensmangel vorliegen soll. Daran fehlt es.

15

Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügt, ihr Antrag sei dahingehend auszulegen gewesen, dass sie eine Neufeststellung wegen Rechtswidrigkeit des bislang maßgeblichen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit begehre, macht sie sinngemäß eine Verletzung des § 123 SGG geltend. Damit hat sie, soweit das Urteil des LSG die Feststellung des GdB und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft, formgerecht einen mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügbaren Verfahrensmangel bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

16

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, soweit das angefochtene Urteil des LSG vom 23.2.2011 die Feststellung des GdB und der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft. In diesem Umfang beruht das Berufungsurteil auf einem ordnungsgemäß bezeichneten Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der gerügte Verstoß gegen § 123 SGG liegt auch vor, denn das LSG hat das Berufungsbegehren der Klägerin verkannt.

17

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die von dem jeweiligen Kläger bzw der jeweiligen Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; Keller bzw Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3, § 112 RdNr 8). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen (vgl etwa BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; BSG Urteil vom 8.12.2010 - B 6 KA 38/09 R -, MedR 2011, 823; Keller aaO). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl BSG aaO). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger/der Klägerin aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16).

18

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte das LSG das Begehren der im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertretenen Klägerin nur so verstehen, dass diese unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung des SG für die Zeit ab dem Jahre 2000 eine Korrektur der bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung vom 15.9.2005 erreichen will. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits im Juli 2005 Feststellungen nach § 69 SGB IX "möglichst ab 2001" beantragt hatte, das Versorgungsamt D. mit Bescheid vom 15.9.2005 jedoch nur einen GdB von 30 ab Antragstellung zuerkannte. Da dieser Verwaltungsakt den Antrag der Klägerin erkennbar vollständig bescheiden sollte, liegt darin zugleich auch eine Ablehnung für die Zeit vor der Antragstellung. Ihr Ziel rückwirkender Feststellungen machte die Klägerin sodann erneut mit ihrem "Änderungsantrag" vom 29.6.2006 deutlich: Sie beantragte die Ausstellung eines Ausweises mit Rückwirkung "ab Geburt". In Ihrem Begleitschreiben vom 22.6.2006 wies sie auf ihren Antrag aus dem "letzten Jahr" hin und bat um Information, "welche Behinderung mit wie vielen Prozenten" berücksichtigt wurde. In einem weiteren Schreiben vom 25.1.2007 bat sie um Überprüfung, "seit wann" sie tatsächlich behindert sei.

19

Das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Versorgungsamt konnte diesen Antrag der Klägerin nach seinem objektiven Erklärungswert und der Interessenlage nur so verstehen, dass diese unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihr aufgrund des von ihr geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht, also dass sie nicht nur eine Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 SGB X beansprucht, sondern auch eine Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts nach § 44 Abs 2 SGB X erreichen will (vgl hierzu auch BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16).

20

Dieses Begehren hat das Versorgungsamt zwar nicht ausdrücklich beschieden, denn der angefochtene Bescheid vom 24.5.2007 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2008) nennt als Rechtsgrundlage lediglich § 48 SGB X. Nach dem Inhalt des Verwaltungsakts sollte der Antrag der Klägerin jedoch - soweit er über die Neufeststellung eines GdB von 60 ab 29.6.2006 hinausgeht - in vollem Umfang abgelehnt werden (vgl hierzu auch BSG aaO RdNr 17).

21

Entgegen der Auffassung des SG in seinem Urteil vom 27.4.2010 fehlt demnach keine (ablehnende) Entscheidung der Verwaltung über den Antrag der Klägerin auf Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 15.9.2005 nach § 44 Abs 2 SGB X. Diesen Überprüfungsantrag hat die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 SGG (zur Klageart bei Klagen wegen Ansprüchen nach § 44 SGB X: vgl allgemein BSG<4. Senat> SozR 3-1300 § 44 Nr 8 S 19; BSG <7. Senat>, BSGE 76, 156, 157 f; BSG <9. Senat>, BSGE 81, 150, 152 = SozR 3-3100 § 30 Nr 18 S 43; BSG <2. Senat>, BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 9)insoweit weiterverfolgt, als sie - nach teilweiser Klagerücknahme (Merkzeichen H) - über das von ihr angenommene Teilanerkenntnis der beklagten Stadt (GdB von 80 ab 29.6.2006) hinaus begehrt, "die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2007 (richtig 6.2.2008) zu verurteilen, bei ihr ab dem Jahre 2000 bereits einen GdB von 80 und den Nachteilsausgleich G festzustellen." Mit dem im Tenor des Urteils vom 27.4.2010 enthaltenen Ausspruch "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen" hat das SG insoweit die ablehnende Entscheidung der Verwaltung bestätigt. Entgegen der Auffassung des LSG liegt mithin jedenfalls zu den Streitgegenständen "Feststellung des GdB" und "Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G" eine berufungsfähige Entscheidung vor, die sich auch auf die von der Klägerin begehrte Überprüfung des Bescheides vom 15.9.2005 bezieht.

22

Das LSG hätte deshalb im Rahmen seiner gemäß § 123 SGG gebotenen Auslegung des Klage- und Berufungsbegehrens der Klägerin die den Überprüfungsantrag nach § 44 Abs 2 SGB X ablehnende Verwaltungsentscheidung, die vom SG mit der Klageabweisung bestätigt worden ist, in seine Prüfung und Entscheidung mit einbeziehen müssen. Eine derartige Auslegung war auch deshalb geboten, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung weder dem vom LSG als sachdienlich angesehenen Berufungsantrag zugestimmt noch den von der als Vorsitzende handelnden Richterin des LSG zu Protokoll diktierten Antrag trotz mehrmaligem Vorspielen ausdrücklich genehmigt hat.

23

Auf dem insoweit verfahrensfehlerhaften Verkennen des Berufungsbegehrens kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das LSG bei richtiger Erfassung dieses Begehrens möglicherweise zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

24

3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles von dieser Möglichkeit insoweit Gebrauch, als er das angefochtene Urteil des LSG aufhebt, soweit es die Feststellung des GdB und die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

25

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juni 2016 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung in dem genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Nach seinem späteren Vorbringen wurde der 1978 im Kosovo geborene Kläger am 18.12.2006 bei einer Auseinandersetzung in einem kosovo-albanischen Vereinsheim durch den Vereinsvorsitzenden B. erheblich verletzt. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen B. wurde nach längeren Ermittlungen eingestellt, weil der Kläger keine Erinnerungen an den Vorfall und lediglich einer der vernommenen Zeugen den Vorfall bestätigt habe.

3

Daraufhin lehnte der Beklagte den vom Kläger gestellten Antrag ab, wegen der bei dem Vorfall erlittenen Verletzungen Schädigungsfolgen nach dem OEG festzustellen und eine Rente zu gewähren (Bescheid vom 16.4.2010, Widerspruchsbescheid vom 1.9.2010).

4

Das vom Kläger angerufene SG hat den Kläger angehört, mehrere Zeugen vernommen und sodann den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger eine Rente nach dem OEG zu gewähren (Urteil vom 5.8.2015).

5

Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, nachdem es unter anderem den angeblichen Schädiger als Zeugen vernommen hatte. Der Erlass eines Grundurteils durch das SG dürfte verfahrensfehlerhaft gewesen sein. Trotzdem sehe das Gericht im Rahmen seines Ermessens nach selbst durchgeführter Beweisaufnahme von einer Zurückverweisung ab, um eine weitere Verfahrensverzögerung zu vermeiden. Die Voraussetzungen eines Versorgungsanspruchs nach dem OEG lägen nicht vor. Es stehe nicht fest, dass der Kläger bei der angeschuldigten Auseinandersetzung durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe (Urteil vom 23.6.2016).

6

Mit seiner Beschwerde, für die er zugleich PKH beantragt, wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, weil dieses Verfahrensrecht verletzt habe und von der Rechtsprechung des BSG abgewichen sei.

7

II. Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensfehler (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

8

1. a) Den behaupteten Verstoß gegen § 159 Abs 1 Nr 2 SGG hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

9

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Die Schilderung der maßgeblichen Tatsachen muss so detailliert und vollständig sein, dass das BSG bereits anhand der Beschwerdebegründung beurteilen kann, ob dem LSG der gerügte Verfahrensmangel unterlaufen ist, wenn der bezeichnete Sachverhalt zuträfe (BSG Beschluss vom 28.8.1991 - 7 BAr 50/91 - BeckRS 1991, 30419674 und vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 = BeckRS 1975, 00524 RdNr 3).

10

An diesen Darlegungen fehlt es hier. Nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG kann das LSG die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweiserhebung notwendig ist.

11

Die Beschwerde hat bereits nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass und warum das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel leiden sollte. Weder hat sie den Gang des Verwaltungsverfahrens noch den Verfahrensgang beim SG nachvollziehbar und vollständig geschildert. Insbesondere fehlt es an der genauen Wiedergabe der jeweils vom Kläger gestellten Anträge. Damit lässt sich allein anhand der Beschwerdebegründung schon nicht beurteilen, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils entgegen der Ansicht des SG fehlten, wie das LSG angenommen hat.

12

Selbst unterstellt, das SG hätte zu Unrecht durch Grundurteil entschieden, fehlt es an der Darlegung, warum darin ein wesentlicher Mangel des Verfahrens liegen könnte, der eine umfangreiche und aufwendige Beweiserhebung notwendig gemacht hätte. Zu der streitentscheidenden Frage, ob ein Angriff iS von § 1 OEG auf den Kläger erfolgt ist, hat das SG umfangreich Beweis durch Zeugenvernehmung erhoben. Warum seine möglicherweise fehlerhafte Entscheidung für ein Grundurteil gleichwohl eine weitere umfangreiche und aufwendige Beweiserhebung verursacht hat, hat die Beschwerde nicht ausgeführt. Die Entscheidung des LSG, die Beweiserhebung durch das SG zu wiederholen bzw zu vervollständigen, stand nicht in erkennbarem ursächlichen Zusammenhang gerade mit dem Erlass eines Grundurteils durch das SG.

13

Unabhängig davon hat die Beschwerde nicht dargelegt, warum das von § 159 Abs 1 Nr 2 SGG eröffnete Ermessen des LSG auf Null reduziert gewesen und alles andere als eine Zurückverweisung an das SG ermessensfehlerhaft gewesen sein sollte.

14

Zum einen fehlt es bereits an Vortrag, dass der Kläger in der Berufungsinstanz die Zurückverweisung der Sache an das SG beantragt habe (vgl zu diesem Erfordernis BSG vom 21.12.1987 - 7 BAr 61/84 - Juris RdNr 4; vom 9.9.1998 - B 6 KA 34/98 B - Juris RdNr 6; vom 14.2.2006 - B 9a SB 22/05 B - Juris RdNr 6 mwN). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eine Gehörsverletzung in Form einer Überraschungsentscheidung rügt, fehlt es, wie ausgeführt, bereits an der vollständigen Darlegung des Verfahrensgangs in der Verwaltung, vor dem SG und dem LSG, die es erlauben würde zu beurteilen, ob auch ein gewissenhafter und informierter Prozessbeteiligter in dieser Prozesslage nicht mit den Erwägungen des LSG zur Zurückverweisung zu rechnen brauchte.

15

Unabhängig davon steht es im Ermessen des Gerichts, ob es von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch machen will, wenn die Voraussetzungen von § 159 Abs 1 SGG gegeben sind. Dabei ist es nicht ermessensfehlerhaft, eine Zurückverweisung als Ausnahme anzusehen und bei Entscheidungsreife hiervon Abstand zu nehmen (vgl BSG Beschluss vom 16.12.2003 - B 13 RJ 194/03 B - Juris RdNr 9; BSG SozR 3-1300 § 16 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57; BSGE 88, 274 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1; BSG Beschluss vom 14.2.2006 - B 9a SB 22/05 B - Juris RdNr 7 mwN). Denn der Gesetzgeber des § 159 SGG hat durch die dort gewählte Formulierung den Grundsatz normiert, dass die Entscheidung in der Sache durch das Berufungsgericht selbst erfolgen soll, weil die Zurückverweisung regelmäßig den Abschluss des Verfahrens verzögert(Fichte, SGb 1987, S 271, 274). Warum von diesem Grundsatz im Fall des Klägers eine Ausnahme geboten sein sollte, hat die Beschwerde mit ihrem knappen Hinweis auf die Ortsnähe des SG nicht substantiiert dargelegt.

16

b) Ebenso wenig hinreichend substantiiert dargelegt hat die Beschwerde die behaupteten Verfahrensmängel bei der Zeugenvernehmung, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 394 ff ZPO.

17

Die Beschwerde rügt, der Zeuge S. sei trotz der Gegenwart zweier Polizeibeamter durch die zeitweise Anwesenheit des Zeugen B., von dem er angeblich Repressalien befürchtete, im Wartebereich vor dem Sitzungssaal erheblich verunsichert gewesen. Dadurch habe das Gericht seine prozessuale Fürsorgepflicht verletzt. Insoweit fehlt es aber zum einen bereits an den hinreichend substantiierten Angaben nachvollziehbarer Tatsachen, welche die geäußerten Befürchtungen rechtfertigen könnten. Das LSG hat die Angaben des Zeugen S. zu einer angeblichen Bedrohungssituation und seine deutlich dargestellte Angst als nicht ganz nachvollziehbar bezeichnet. Schon angesichts dessen hätte die Beschwerde stichhaltig und mit nachvollziehbaren Gründen darlegen müssen, woraus sich gleichwohl eine Gefahr für den Zeugen ergeben und weshalb er deshalb weniger detailgenau und ausführlich hätte aussagen sollen. Allein der Hinweis auf im Berufungsverfahren übersandte Schriftsätze und eine gerichtliche Verfügung genügt insoweit nicht, zumal die Beschwerde deren Inhalt nicht mitteilt.

18

Die unterbliebenen Darlegungen wären umso mehr erforderlich gewesen, weil das LSG glaubhafte eigene Erinnerungen des Zeugen gerade wegen eines von ihm - trotz der angeblichen Bedrohungssituation - geschilderten Details verneint hat. Nach seinen Feststellungen hat es das LSG als fernliegend und als Indiz gegen glaubhafte Eigenerinnerungen angesehen, dass der Zeuge S. angesichts der vorherrschenden Lichtverhältnisse aus einer Entfernung von 10 m Tatspuren an einem Finger eines anderen Zeugen wahrnehmen konnte. Damit und mit den zahlreichen weiteren Argumenten des LSG gegen die fehlende Überzeugungskraft der Aussage des Zeugen S. - etwa zum Zustandekommen des Kontakts mit dem Kläger - hat sich die Beschwerdebegründung ebenso wenig auseinandergesetzt wie mit den weiteren Zweifeln, zu denen die Angaben aller Zeugen dem LSG Anlass gegeben haben, unabhängig von den Aussagen vor dem Senat.

19

c) Soweit der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 61 Abs 1 SGG iVm § 185 GVG rügt, weil das LSG den Zeugen B. ohne Dolmetscher vernommen hat, hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt, warum die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt gewesen sein sollten. Nach § 185 Abs 1 S 1 GVG ist ein Dolmetscher heranzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. An die rechtsfehlerfreie Feststellung des Tatrichters, dass der ausländische Betroffene ausreichend Deutsch kann, ist das Revisionsgericht gebunden (Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl 2013, § 185 GVG RdNr 13 mwN; vgl auch BSG Urteil vom 26.8.1965 - 9 RV 734/62 - SozR Nr 2 zu § 19 BVG). Das LSG hat sich erkennbar davon überzeugt, dass eine für die Vernehmung ausreichende Verständigung mit dem Zeugen möglich war. Es hat im angefochtenen Urteil dazu ausgeführt, einige der Aussageschwierigkeiten könnten womöglich auf sprachliche Probleme zurückgeführt werden, aber im Ganzen hätten die Deutschkenntnisse des nicht ungebildeten Zeugen für die Vernehmung ausgereicht. Warum das LSG gleichwohl zu Unrecht von ausreichenden Sprachkenntnissen des Zeugen ausgegangen sein sollte, hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Ihre Behauptung, offenkundig habe das Gericht die Angaben des Zeugen als zu weitschweifig angesehen, was wiederum auf sprachliche Verständnisschwierigkeiten zurückzuführen sei, erscheint spekulativ.

20

2. Ebenso wenig hinreichend substantiiert dargelegt hat die Beschwerde die behauptete Divergenz.

21

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

22

Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Sie will dem Urteil des LSG den abstrakten Rechtssatz entnehmen, konkrete Leistungsansprüche nach dem OEG könnten erst dann formal geltend gemacht werden, wenn das Verwaltungsverfahren über die Anerkennung der Opferfolgen dem Grunde nach rechtskräftig abgeschlossen sei. Antragsteller nach dem OEG müssten daher zunächst immer eine bloße Feststellungsklage erheben, selbst wenn sie von vornherein nur einen bestimmten Leistungsanspruch begehrten.

23

Diese Ausführungen lassen bereits die Angabe des genauen Tatbestandsmerkmals einer verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorschrift vermissen, die das LSG anders als das BSG ausgelegt haben soll. Zudem gibt die Beschwerde nicht an, aus welcher Passage des Urteils sich ein abstrakter, über den Einzelfall hinaus weisender Rechtssatz des LSG ergeben sollte. Das LSG hat auf S 12 f seines Urteils ersichtlich auf den Einzelfall des Klägers abgestellt und ist davon ausgegangen, dieser habe im Verwaltungsverfahren keine konkreten Leistungsansprüche geltend gemacht. Aus diesem Umstand des Einzelfalls hat das LSG auf die Unzulässigkeit einer Leistungsklage geschlossen. Ob die Rechtsansicht des LSG hier zutrifft, kann der Senat schon wegen der - wie unter 1. a) ausgeführt - unvollständigen Wiedergabe des entscheidungsrelevanten Sachverhalts durch die Beschwerde nicht entscheiden. Ohnehin ist die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

24

Unabhängig davon hat die Beschwerde nicht dargelegt, warum es auf die von ihr behauptete Divergenz hinsichtlich der Frage, mit welcher Klageart der Kläger seinen behaupteten Anspruch auf Opferentschädigung zulässigerweise geltend machen konnte, überhaupt entscheidungserheblich ankommen und diese deshalb in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Denn das LSG hat lediglich die Voraussetzungen für ein Grundurteil in Frage gestellt und im Übrigen bereits die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers aus § 1 OEG verneint, weil es sich nicht vom Vorliegen eines rechtswidrigen, tätlichen Angriffs im Sinne dieser Vorschrift überzeugen konnte. Daran ist der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen des Klägers nach § 163 SGG gebunden.

25

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

26

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.