Bundessozialgericht Beschluss, 24. Sept. 2012 - B 14 AS 36/12 B

24.09.2012

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Januar 2012 werden verworfen.

Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Kläger, die in Bedarfsgemeinschaft leben, machen einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Zeit vom 22.2.2006 bis zum 3.9.2006 geltend. Sie tragen vor, die erste Antragstellung bei der Beklagten - einer Optionskommune - sei zwar erst am 4.9.2006 erfolgt, bereits am 22.2.2006 sei aber bei Bearbeitung des Wohngeldantrages der Klägerin zu 1 beim Wohnungsamt der Beklagten erkennbar geworden, dass die Bedarfsgemeinschaft nicht über ausreichendes Einkommen verfüge und der Lebensunterhalt aus Schonvermögen (vgl § 12 Abs 2 SGB II) bestritten werde. Es sei vom Wohnungsamt lediglich Wohngeld bewilligt worden; weitergehende Hinweise seien nicht erfolgt. Die fehlende Antragstellung beim Träger der Grundsicherung sei entweder nach § 28 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) oder im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu ersetzen. Antrag, Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 14.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.5.2008; Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8.7.2010). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die dagegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 23.11.2011).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wenden sich die Kläger mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden zum Bundessozialgericht (BSG) und machen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig, denn die Kläger haben den von ihnen allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet bzw dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerden waren daher ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG).

4

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Es muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angegeben werden, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt.

5

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, die sich vorliegend aus dem Anwendungsbereich des § 28 SGB X ergeben könnten, nicht ausreichend dargelegt. Wegen der zunächst gestellten Frage,

        

 ob die Vorschrift des § 28 Satz 2 SGB X ebenso wie die Vorschrift des § 28 Satz 1 SGB X erfordert, dass die zunächst beantragte Sozialleistung abgelehnt wurde oder zu erstatten ist,

fehlt es an einer ausreichenden Darlegung, weshalb die aufgestellte Rechtsfrage klärungsbedürftig sein sollte. Ihre Beantwortung ergibt sich aus dem Gesetz. Der Wortlaut des § 28 Satz 2 SGB X setzt voraus, dass die zunächst beantragte ("erste") Leistung (hier das Wohngeld) tatsächlich nicht erbracht worden ist ("wenn diese erbracht worden wäre"). Dieses Ergebnis ist in der Literatur und Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, wie auch die Kläger einräumen. Weitergehende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit sind nicht erfolgt.

6

Zudem setzen sich die Beschwerden nicht ausreichend mit der Rechtsprechung des Senats zu § 28 SGB X auseinander. § 28 Satz 2 SGB X gilt danach - wie sich ebenfalls aus dem Wortlaut ergibt - nur in den Fällen des Nachranges der zweiten Leistung(BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3 RdNr 27). Nach § 1 Abs 2 Nr 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der zum Antragszeitpunkt geltenden Fassung(nunmehr § 7 WoGG) ergibt sich aber ein Nachrang von Leistungen nach dem WoGG gegenüber Leistungen nach dem SGB II. Es fehlt an einer Auseinandersetzung mit diesen Vorschriften sowie der zitierten Entscheidung des Senats und ausführlichen Darlegungen dazu, weshalb sich vor diesem Hintergrund gleichwohl noch die Rechtsfrage stellt, ob § 28 Satz 2 SGB X auch in anderen Fällen Anwendung finden könnte.

7

Auch hinsichtlich der zu den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs formulierten Rechtsfrage,

        

 ob und unter welchen Voraussetzungen eine Wohngeldbehörde bei erkennbarer Bedarfsunterschreitung beim Einkommen und erkennbarer Bestreitung des Lebensunterhalts aus Schonvermögen im Rahmen der Spontanberatung verpflichtet ist, einen Antragsteller auf die Möglichkeit von Leistungen nach dem SGB II trotz bestehendem Schonvermögens im Hinblick auf die Vermögensfreibeträge hinzuweisen,

sind die Darlegungen zur grundsätzlichen Bedeutung nicht ausreichend. Zwar führen die Beschwerden aus, es sei nach der Rechtsprechung des BSG unklar, ob die Wohngeldstelle auch hinsichtlich klar zu Tage tretender Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf Ansprüche nach dem SGB II beraten müsse und auf einem entsprechenden Beratungsmangel ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch beruhen könne. Dies genügt angesichts der zu dieser Problematik bislang ergangenen Rechtsprechung des BSG aber nicht. Diese Rechtsprechung des BSG ist zwar in der Beschwerdebegründung - zumindest teilweise - zitiert. Die Beschwerden zeigen jedoch nicht auf, weshalb die dort aufgestellten Grundsätze zur Beantwortung der von den Klägern aufgeworfenen Frage nicht ausreichen und welche weitergehenden Fragen sich stellen. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung (vgl insbesondere BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 17), wonach eine Pflicht zu einer sog "Spontanberatung" durch eine andere Stelle zumindest voraussetzt, dass ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der sinnvollerweise zu beantragenden Leistung und der eigentlich bearbeiteten Angelegenheit (hier also der Bearbeitung der Wohngeldangelegenheiten) besteht, hätte aufgezeigt werden müssen, aus welchen Vorschriften des WoGG im Einzelnen sich eine solche enge Verbundenheit mit den Angelegenheiten nach dem SGB II ergeben könnte, und welche weitergehenden Rechtsfragen sich in diesem Zusammenhang stellen.

8

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Anlass zur Spontanberatung nur dann vorliegt, wenn sich klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (vgl etwa BSG aaO RdNr 16 unter Hinweis auf BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 110 Nr 2; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 6). Soweit sich die Kläger dagegen wenden, dass das LSG davon ausgegangen ist, bei der Klägerin zu 1 habe kein für die Wohngeldstelle erkennbarer Beratungsbedarf bestanden, weil sie nicht deutlich gemacht habe, ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten zu können, wenden sie sich gegen die Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall, die allein die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht zu begründen vermag. Welche weitergehenden Fragen grundsätzlicher Bedeutung sich in diesem Zusammenhang stellen könnten, wird nicht ersichtlich.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

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Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfu

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(1) Alle verwertbaren Vermögensgegenstände sind vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind

1.
angemessener Hausrat; für die Beurteilung der Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs von Bürgergeld maßgebend,
2.
ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person; die Angemessenheit wird vermutet, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt,
3.
für die Altersvorsorge bestimmte Versicherungsverträge; zudem andere Formen der Altersvorsorge, wenn sie nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert werden,
4.
weitere Vermögensgegenstände, die unabhängig von der Anlageform als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet werden; hierbei ist für jedes angefangene Jahr einer hauptberuflich selbständigen Tätigkeit, in dem keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung, an eine öffentlich-rechtliche Versicherungseinrichtung oder an eine Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe entrichtet wurden, höchstens der Betrag nicht zu berücksichtigen, der sich ergibt, wenn der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung nach § 158 des Sechsten Buches mit dem zuletzt festgestellten endgültigen Durchschnittsentgelt gemäß Anlage 1 des Sechsten Buches multipliziert und anschließend auf den nächsten durch 500 teilbaren Betrag aufgerundet wird,
5.
ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern; bewohnen mehr als vier Personen das Hausgrundstück beziehungsweise die Eigentumswohnung, erhöht sich die maßgebende Wohnfläche um jeweils 20 Quadratmeter für jede weitere Person; höhere Wohnflächen sind anzuerkennen, sofern die Berücksichtigung als Vermögen eine besondere Härte bedeuten würde,
6.
Vermögen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung von angemessener Größe bestimmt ist, und das Hausgrundstück oder die Eigentumswohnung Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftigen Menschen zu Wohnzwecken dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde sowie
7.
Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung für die betroffene Person eine besondere Härte bedeuten würde.

(2) Von dem zu berücksichtigenden Vermögen ist für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag in Höhe von 15 000 Euro abzusetzen. Übersteigt das Vermögen einer Person in der Bedarfsgemeinschaft den Betrag nach Satz 1, sind nicht ausgeschöpfte Freibeträge der anderen Personen in der Bedarfsgemeinschaft auf diese Person zu übertragen.

(3) Für die Berücksichtigung von Vermögen gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind.

(4) Vermögen ist im Sinne von Absatz 3 Satz 2 erheblich, wenn es in der Summe 40 000 Euro für die leistungsberechtigte Person sowie 15 000 Euro für jede weitere mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebende Person übersteigt; Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. Bei der Berechnung des erheblichen Vermögens ist ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung abweichend von Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 nicht zu berücksichtigen. Es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Liegt erhebliches Vermögen vor, sind während der Karenzzeit Beträge nach Satz 1 an Stelle der Freibeträge nach Absatz 2 abzusetzen. Der Erklärung ist eine Selbstauskunft beizufügen; Nachweise zum vorhandenen Vermögen sind nur auf Aufforderung des Jobcenters vorzulegen.

(5) Das Vermögen ist mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs.

(6) Ist Bürgergeld unter Berücksichtigung des Einkommens nur für einen Monat zu erbringen, gilt keine Karenzzeit. Es wird vermutet, dass kein zu berücksichtigendes Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. Absatz 4 Satz 4 gilt entsprechend.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Satz 1 gilt auch dann, wenn der Antrag auf die zunächst geltend gemachte Sozialleistung zurückgenommen wird.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. März 2008 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 28.1. bis zum 5.5.2005.

2

Der 1965 geborene Kläger wehrte sich vor dem Arbeitsgericht (ArbG) gegen eine seitens seines ehemaligen Arbeitgebers zum 2.2.2004 ausgesprochene Kündigung. Er meldete sich aber gleichwohl am 3.2.2004 bei der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Ab dem 3.2.2004 bewilligte die Beigeladene dem Kläger Alg für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen.

3

Mit Urteil vom 12.10.2004 stellte das vom Kläger eingeschaltete ArbG fest, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 2.2.2004 aufgelöst worden sei. Hiergegen legte der ehemalige Arbeitgeber des Klägers Berufung ein.

4

Mit Schreiben vom 17.12.2004 teilte die Beigeladene dem Kläger mit, sein Anspruch auf Alg ende voraussichtlich am 27.1.2005. Zugleich enthielt das Schreiben den Hinweis, dass die bisherige Arbeitslosenhilfe (Alhi) zum 1.1.2005 wegfalle und durch das Arbeitslosengeld II (Alg II) ersetzt werde, dessen Gewährung von einem Antrag abhänge. Es folgten Angaben darüber, wo der Antrag zu stellen sei und der Hinweis, dass weitere Informationen auf Anfrage von der Agentur für Arbeit zu erhalten seien. Mit Änderungsbescheid vom 2.1.2005 setzte die Beigeladene das Alg des Klägers ab dem 1.1.2005 hinsichtlich der Höhe neu fest, hinsichtlich der Anspruchsdauer verblieb es bei der früheren Bewilligungsentscheidung.

5

Am 28.1.2005, dem Tag nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs, wurde der Kläger bei der Beigeladenen vorstellig. Dort fand ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Beigeladenen statt, das sich allein auf die Frage der Dauer des Alg-Anspruchs bezog. Ein evtl bestehender Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war nicht Gegenstand des Gesprächs.

6

Am 31.1.2005 stellte der Kläger wegen der Frage der Dauer seines Alg-Anspruchs einen Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Änderung des bestandskräftigen Bewilligungsbescheids vom 1.4.2004. Diesen Antrag lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 24.3.2005 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde am 23.5.2005 zurückgenommen.

7

Mit Urteil vom 12.4.2005 hob in dem parallel laufenden Arbeitsgerichtsprozess das Landesarbeitsgericht das Urteil des ArbG wieder auf und wies die Kündigungsschutzklage des Klägers ab.

8

Am 6.5.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, diese wurden ihm mit Bescheid vom 6.6.2005 ab dem 6.5.2005 bewilligt. Gegen den Bescheid vom 6.6.2005 legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.7.2005 zurückwies. Die dagegen erhobene Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) ohne Erfolg geblieben (Urteile vom 31.1.2007 und vom 18.3.2008). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger könnten vor Antragstellung am 6.5.2005 keine Leistungen gewährt werden. Auch könne er nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt werden, als hätte er seinen Antrag bereits am 28.1.2005 gestellt. Ein Beratungsfehler liege nicht vor. Vorliegend habe über das Informationsschreiben der Beigeladenen vom 17.12.2004 hinaus kein Anlass bestanden, den Kläger erneut über die Notwendigkeit einer Antragstellung zur Gewährung von Alg II zu unterrichten.

9

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt, das LSG habe die zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht beachtet. Er ist der Ansicht, die Beigeladene habe im Rahmen der persönlichen Vorsprache die Pflicht gehabt, ihn über die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch Leistungen nach dem SGB II zu beraten. Die Beigeladene treffe vor dem Hintergrund des engen Sachzusammenhangs zwischen Alg und Leistungen nach dem SGB II eine erweiterte Beratungspflicht.

10

Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 31. Januar 2007 und das Berufungsurteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 18. März 2008 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2005 zu ändern und ihm auch für die Zeit vom 28. Januar bis zum 5. Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

13

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

15

Der Senat konnte auf Grund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden, ob der Kläger im Zeitraum vom 28.1. bis zum 5.5.2005 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatte. Zwar haben SG und LSG zutreffend entschieden, dass der Kläger vor dem 6.5.2005 keinen Antrag auf solche Leistungen gestellt hat (dazu unter 1.). Sie haben aber nicht geprüft, ob der am 6.5.2005 gestellte Antrag nach § 28 SGB X zurückwirkt(dazu unter 2.). Dies bedarf der abschließenden Klärung, bevor auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zurückgegriffen werden kann (dazu unter 3.).

16

1. Der Kläger hat vor dem 6.5.2005 weder bei der Beklagten noch bei der Beigeladenen einen Antrag gestellt. Die Antragstellung wird aber neben den sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für alle Leistungen nach dem SGB II vorausgesetzt.

17

Nach § 37 Abs 1 SGB II werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht, nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II aber nicht für Zeiten vor der Antragstellung. Nach § 16 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.

18

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger auch bei der Beigeladenen, etwa anlässlich seines dortigen Vorsprechens am 28.1.2005, keinen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gestellt hat. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl Urteile des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - und vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistungen begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 37 RdNr 21; Kretschmer in GK-SGB I, 3. Aufl 1996, § 16 RdNr 17). Dabei kann in einem Antrag auf Gewährung von Alg nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von Alg II liegen. Ob dies bereits dann gilt, wenn der Betroffene nur deutlich macht, er begehre Leistungen bei Arbeitslosigkeit (so zB Oberverwaltungsgericht Bremen Urteil vom 8.6.2010 - S 2 A 492/07 - im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Alhi, vgl etwa BSGE 44, 164, 166 f = SozR 4100 § 134 Nr 3)oder ob - wie das SG meint - zusätzlich erforderlich ist, dass der Antragsteller zumindest zu erkennen gibt, er sei wegen fehlenden Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen im angegriffenen Urteil beschränkte sich der Kläger zunächst allein auf die Beanspruchung von Alg nach dem SGB III. Dies wird - wie das LSG hervorhebt - insbesondere vor dem Hintergrund des Überprüfungsantrags vom 31.1.2005 deutlich, mit dem er eine Weitergewährung des Alg erreichen wollte, weil sein Anspruch noch nicht erschöpft sei. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger vor dem 6.5.2005 bei der Beigeladenen als unzuständigem Leistungsträger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gestellt hat.

19

2. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Antrag des Klägers vom 6.5.2005 nach § 28 SGB X zurückwirkt, insofern bedarf es weiterer Feststellungen durch das LSG.

20

§ 28 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Antrag auf eine Sozialleistung bis zu einem Jahr zurückwirkt, wenn der Leistungsberechtigte von der Stellung eines Antrags auf diese Sozialleistung deshalb abgesehen hat, weil er einen Antrag auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht hat, die ihm "versagt"(im Sinne von "abgelehnt", vgl Eicher in Eicher/Spellbrink, aaO, § 40 RdNr 106f) wurde oder die er zu erstatten hat. Dies gilt allerdings grundsätzlich nur, wenn der nachgeholte Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Zu einer solchen Rückwirkung nach § 28 Satz 1 SGB X kommt es gemäß § 28 Satz 2 SGB X auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzungen unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre.

21

§ 28 SGB X ist auch im Rahmen des SGB II anwendbar(dazu unter a). Der Kläger hat auch durch seinen Überprüfungsantrag einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht (dazu unter b) und innerhalb der sich aus § 28 SGB X ergebenden Frist den Antrag auf die von ihm nunmehr beanspruchte Sozialleistung nachgeholt(dazu unter c). Es fehlen jedoch Feststellungen des LSG hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 28 SGB X und die Prüfung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 28.1. bis zum 5.5.2005 (dazu unter d).

22

a) Die Vorschrift des § 28 SGB X über die Zurückwirkung eines Antrags findet auch auf das Antragserfordernis nach § 37 Abs 1 SGB II Anwendung(vgl § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II). Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 40 Abs 3 SGB II entnehmen lässt(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27). Der dort eingefügten Einschränkung hätte es nicht bedurft, wenn § 28 SGB X ohnehin keine Anwendung im SGB II fände. Dagegen spricht nicht, dass der Antrag auf Leistungen nach § 37 Abs 1 SGB II konstitutive Wirkung hat(BT-Drucks 15/1516 S 62) und deshalb Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB II, vgl oben). § 28 SGB X befreit nämlich nicht von dem Antragserfordernis als solchem, sondern lässt nur den nachgeholten Antrag zurückwirken. Die Anwendung des § 28 SGB X führt demnach nicht dazu, dass Leistungenvor Antragstellung erbracht werden.

23

b) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 28 SGB X auch insofern, als er zunächst einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung, nämlich auf Alg gemäß §§ 117 ff SGB III geltend gemacht hat. Dagegen spricht nicht, dass der Kläger für den Zeitraum ab dem 28.1.2005 keinen (Neu-)Antrag auf Gewährung von Alg gestellt hat, der sodann abgelehnt wurde, sondern seinen Leistungsanspruch ab dem genannten Zeitpunkt im Wege eines Antrags auf Überprüfung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids gemäß § 44 SGB X im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Anspruchsdauer verfolgt hat. Ein solcher Fall, in dem im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Bewilligung einer laufenden Sozialleistung begehrt wird, ist jedenfalls von § 28 SGB X mit umfasst.

24

Für diese Auslegung spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, die hinsichtlich der Anforderungen an die Geltendmachung der zunächst beanspruchten Sozialleistungen offen formuliert ist und weder einen Antrag iS von § 16 Abs 1 Satz 1 SGB I noch Personenidentität zwischen den Antragstellern der beiden Sozialleistungen voraussetzt(vgl dazu Schneider-Danwitz, SGB X, § 28 Anm 12; Eicher, aaO, § 40 RdNr 106d). Soweit die Überschrift zu § 28 SGB X in scheinbarem Widerspruch dazu von einer "wiederholten" (und nicht nur von einer "nachgeholten") Antragstellung ausgeht, ist dies irreführend formuliert(vgl Eicher, aaO, § 40 RdNr 106c; Schneider-Danwitz, aaO, Anm 5a).

25

Für die Anwendbarkeit des § 28 SGB X im vorliegenden Fall spricht auch die Regelungsabsicht des damaligen Gesetzgebers. In dem Abschlussbericht zur Einfügung der Vorschrift heißt es, in Zukunft sollten dann Rechtsnachteile vermieden werden, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheides einen Antrag auf andere Sozialleistungen nicht gestellt habe (BT-Drucks 8/4022 S 81 f). Der Wunsch, Mehrfachprüfungen zu vermeiden sowie den Leistungsberechtigten in einem gegliederten Sozialleistungssystem insoweit zu schützen, als seinem Anspruch auf eine weitere Sozialleistung ein erst später gestellter Antrag nicht entgegengehalten wird, zeigt, dass § 28 SGB X auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten soll. Hierfür spricht auch, dass es oftmals von Zufälligkeiten abhängt, ob bei Beanspruchung einer laufenden Sozialleistung diese zunächst bewilligt und dann eingestellt wird, sodass die Weitergewährung durch einen Überprüfungsantrag geltend gemacht werden muss, oder ob ein neuer Antrag gestellt werden kann. Vor dem Hintergrund des offenen Wortlauts der Vorschrift kann zwischen beiden Fällen im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 28 SGB X nicht differenziert werden.

26

c) Der Kläger hat auch den erforderlichen Antrag nach § 37 Abs 1 SGB II innerhalb der in § 28 Satz 1 SGB X genannten Frist nachgeholt. Danach ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats zu stellen, in dem die Ablehnung der anderen Leistung bindend geworden ist. § 40 Abs 3 SGB II, der diese Frist insoweit einschränkt, als nur noch der unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung bindend geworden ist, nachgeholte Antrag ausreicht, greift hier nicht, denn die genannte Vorschrift wurde erst mit Wirkung vom 1.8.2006 durch das Fortentwicklungsgesetz vom 20.7.2006 (BGBl I 1706, 1712) eingefügt und ist daher auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Im Übrigen hat der Kläger hier am 6.5.2005 und damit vor der am 23.5.2005 eingetretenen Bestandskraft des ablehnenden Überprüfungsbescheids, auf den hier konsequenterweise abzustellen ist, den Antrag auf Gewährung von Alg II gestellt.

27

d) Nach dem Wortlaut des § 28 Satz 1 SGB X ("weil") muss der Leistungsempfänger aber deshalb von der Stellung eines Antrags abgesehen haben, weil er sich die Gewährung einer anderen Sozialleistung versprochen hat. Dies setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte bewusst von einer Antragstellung abgesehen hat und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtbeantragung der einen und der Geltendmachung der anderen Sozialleistung bestand (vgl Schneider-Danwitz, aaO, Anm 9). Allerdings kann nach § 28 Satz 2 SGB X auch Unkenntnis zu einer Antragsrückwirkung führen, wenn beide Sozialleistungen in einem Vor- und Nachrangverhältnis zueinander stehen, was beim Alg und der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Fall ist(vgl § 3 Abs 3, § 9 Abs 1, § 11 Abs 1 Satz 1, § 12a Satz 1 SGB II).

28

Aus den Feststellungen des LSG kann nicht nachvollzogen werden, ob eine und ggf welche der genannten Varianten vorliegend tatsächlich eingreift, insoweit wird das LSG weitere Ermittlungen zu tätigen haben. Sollten diese - wofür viel spricht - zu einer Bejahung der Voraussetzungen des § 28 SGB X führen, so wäre Rechtsfolge der nachgeholten Antragstellung vom 6.5.2005 ihre Rückwirkung bis zum 28.1.2005. § 28 Satz 1 SGB X begrenzt die maximale Rückwirkung des nachgeholten Antrags auf ein Jahr. Die Rückwirkung erfolgt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die abgelehnte oder zu erstattende Sozialleistung begehrt wurde. Dies ist in der Regel die erste Antragstellung, wobei es im Rahmen von § 28 Satz 1 SGB X ausreicht, dass eine Sozialleistung - auf welche Weise auch immer - geltend gemacht wird(vgl oben). Im vorliegenden Fall, in dem durch den Überprüfungsantrag vom 31.1.2005 die nahtlose Weiterbewilligung des Alg ab dem 28.1.2005 begehrt wurde, kommt eine Rückwirkung bis zu diesem Tag in Betracht, denn insoweit besteht die der genannten Norm zu Grunde liegende Deckungsgleichheit in zeitlicher Hinsicht zwischen der zunächst geltend gemachten und der später beantragten Sozialleistung.

29

Kann nach den genannten Maßgaben der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom 6.5.2005 auf den 28.1.2005 zurückwirken, so besagt dies aber noch nichts bezüglich des Bestehens eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 28.1.2005 bis zum 5.5.2005, denn § 28 SGB X ersetzt nicht die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eines Leistungsanspruchs(vgl BSG Urteil vom 19.3.1986 - 7 RAr 17/84 - SozR 1300 § 28 Nr 1; Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R -). Vorliegend fehlt es bislang insbesondere an Feststellungen hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit des Klägers gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II sowie §§ 9, 11 und 12 SGB II zum oben genannten maßgeblichen Zeitpunkt.

30

3. Ob neben der möglichen Anwendung des § 28 SGB X die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorliegen, kann nicht entschieden werden, solange die Anwendbarkeit des § 28 SGB X nicht geklärt ist. Das folgt daraus, dass das (richterrechtlich entwickelte) Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs subsidiär ist und eine Regelungslücke voraussetzt (vgl BSG Urteil vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 - SozR 3-2600 § 58 Nr 2; BSG Urteil vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158 ff = SozR 1300 § 44 Nr 23; BVerwG Urteil vom 18.4.1997 - 8 C 38/95 - Buchholz 454.71 § 27 WoGG Nr 2; speziell zu § 28 SGB X Werhahn in Estelmann, SGB II, Stand September 2010, § 40 RdNr 140).

31

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Vom Wohngeld ausgeschlossen sind Empfänger und Empfängerinnen von

1.
Bürgergeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, auch in den Fällen des § 25 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
2.
Leistungen für Auszubildende nach § 27 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die als Zuschuss erbracht werden,
3.
(weggefallen)
4.
Verletztengeld in Höhe des Betrages des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nach § 47 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch,
6.
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch,
7.
a)
ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt oder
b)
anderen Hilfen in einer stationären Einrichtung, die den Lebensunterhalt umfassen,
nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, das dieses für anwendbar erklärt,
8.
Leistungen in besonderen Fällen und Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder
9.
Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch in Haushalten, zu denen ausschließlich Personen gehören, die diese Leistungen empfangen,
wenn bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind (Leistungen). Der Ausschluss besteht im Fall des Satzes 1 Nummer 4, wenn bei der Berechnung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Der Ausschluss besteht nicht, wenn
1.
die Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ausschließlich als Darlehen gewährt werden oder
2.
durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, des § 19 Abs. 1 und 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder des § 27a des Bundesversorgungsgesetzes vermieden oder beseitigt werden kann und
a)
die Leistungen nach Satz 1 Nr. 1 bis 7 während der Dauer des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung von Grund und Höhe dieser Leistungen noch nicht erbracht worden sind oder
b)
der zuständige Träger eine der in Satz 1 Nr. 1 bis 7 genannten Leistungen als nachrangig verpflichteter Leistungsträger nach § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch erbringt.

(2) Ausgeschlossen sind auch Haushaltsmitglieder, die keine Empfänger der in Absatz 1 Satz 1 genannten Leistungen sind und

1.
die in § 7 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, auch in den Fällen des Übergangs- oder Verletztengeldes nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannt und deren Einkommen und Vermögen bei der Ermittlung der Leistungen eines anderen Haushaltsmitglieds nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 berücksichtigt worden sind,
2.
deren Einkommen und Vermögen nach § 43 Absatz 1 Satz 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bei der Ermittlung der Leistung eines anderen Haushaltsmitglieds nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 berücksichtigt worden sind,
3.
deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 Satz 2 oder 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bei der Ermittlung der Leistung eines anderen Haushaltsmitglieds nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 berücksichtigt worden sind,
4.
deren Einkommen und Vermögen nach § 27a Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes in Verbindung mit § 27 Absatz 2 Satz 2 oder 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bei der Ermittlung der Leistung eines anderen Haushaltsmitglieds nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 berücksichtigt worden sind, oder
5.
deren Einkommen und Vermögen nach § 7 Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes bei der Ermittlung der Leistung eines anderen Haushaltsmitglieds nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 berücksichtigt worden sind.
Der Ausschluss besteht nicht, wenn
1.
die Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 ausschließlich als Darlehen gewährt werden oder
2.
die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 3 Nr. 2 vorliegen.

(3) (weggefallen)

(1) Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Satz 1 gilt auch dann, wenn der Antrag auf die zunächst geltend gemachte Sozialleistung zurückgenommen wird.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.