Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B

bei uns veröffentlicht am02.11.2015

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. April 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über eine Rentennachzahlung.

2

Der Kläger lebte mit seiner Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern in einem Haushalt und erhielt seit 1.6.2005 Leistungen nach dem SGB II. Nach Einschätzung der als SGB II-Leistungsträger beigeladenen Stadt war er am 1.8.2009 "für länger als sechs Monate nicht mehr erwerbsfähig".

3

Aufgrund eines Antrags vom September 2009 bewilligte der beklagte Rentenversicherungsträger dem Kläger mit Bescheid vom 27.11.2009 unter Zugrundelegung des Eintritts des Versicherungsfalls am 5.3.2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.9.2009 bis 28.2.2011. Den für den Zeitraum vom 1.9. bis 31.12.2009 errechneten Nachzahlungsbetrag iHv 2536,36 Euro behielt die Beklagte unter Hinweis auf mögliche Erstattungsansprüche ein.

4

Die Beigeladene bezifferte ihren bereits im Oktober 2009 gegen die Beklagte geltend gemachten Erstattungsanspruch auf 3200,91 Euro. Unter dem 27.1.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass wegen des Erstattungsanspruchs der Beigeladenen keine Rentennachzahlung erfolge. Seinen Widerspruch wies die Beklagte als unzulässig zurück, weil das Schreiben vom 27.1.2010 kein Verwaltungsakt sei.

5

Mit seiner Klage hat der Kläger die Auszahlung der Rentennachzahlung von 2536,36 Euro geltend gemacht. Hilfsweise hat er einen Betrag von 120 Euro gefordert. Denn insoweit bestehe ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen schon deshalb nicht, weil sein Renteneinkommen bei der SGB II-Leistungsbemessung um die Versicherungspauschale hätte bereinigt werden müssen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.1.2014 abgewiesen. Dem vom Kläger erhobenen Anspruch auf Auszahlung der Rentennachzahlung stehe die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X entgegen. Die Beigeladene habe einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X. In Anbetracht der Höhe der von der Beigeladenen erbrachten SGB II-Leistungen und der Höhe der streitigen Rentennachzahlung komme es im Ergebnis nicht darauf an, ob das fiktive Einkommen in Form der gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung um die Versicherungspauschale hätte bereinigt werden müssen.

6

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, diese jedoch zunächst nicht begründet. Daraufhin hat das LSG die Beteiligten mit Schreiben vom 1.12.2014 zu einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG angehört. Innerhalb der zugleich gesetzten Frist zur Stellungnahme hat der Kläger die Berufung mit Schriftsatz vom 30.1.2015 begründet und ua vorgetragen, dass er im Hinblick auf die Urteile des BSG vom 31.10.2012 (B 13 R 11/11 R - SozR 4-1300 § 106 Nr 1 und B 13 R 9/12 R - SozR 4-1300 § 104 Nr 5) davon ausgehe, dass ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen nicht bestehe. Für den Fall, dass hierzu wider Erwarten eine andere Auffassung vertreten werde, sei in der Sache bei der Frage des Bestehens des Erstattungsanspruchs der Beigeladenen die personelle, sachliche und zeitliche Kongruenz nicht beachtet worden. Die Ausführungen des SG zur personellen Kongruenz und der Hinweis auf § 104 Abs 2 SGB X seien im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 6.8.2014 (B 11 AL 2/13 R - SozR 4-4200 § 34a Nr 1)unzutreffend. Zudem fehle es an der sachlichen und zeitlichen Kongruenz hinsichtlich der in Abzug zu bringenden Versicherungspauschale, sodass ihm "in jedem Falle" noch ein Betrag von 120 Euro nebst Zinsen aus der Rentennachzahlung zustehe. Des Weiteren hat der Kläger um Beiziehung einer Akte des Hessischen LSG (Az L 2 R 136/10) zu einer durch Vergleich beendeten Sache mit einer "ähnlichen (Erstattungs-)Problematik" gebeten.

7

Nachdem das LSG mit Beschluss vom 23.3.2015 die vom Kläger beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) wegen fehlender Erfolgsaussicht der Berufung (erneut) abgelehnt hatte, hat es mit Beschluss vom 14.4.2015 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG durch Entscheidung der Berufsrichter nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen. Der Auszahlung der begehrten Rentennachzahlung stehe die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X entgegen. Der Kläger habe bei Erlass des Rentenbescheids vom 27.11.2009 gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Nachzahlung der Rente für die Zeit vom 1.9. bis 31.12.2009 gehabt. Denn er habe in dieser Zeit von der Beigeladenen Sozialleistungen nach dem SGB II bezogen, die die vorgenannte Rentennachzahlung überstiegen hätten. Dadurch seien die Rentenansprüche des Klägers für den vorgenannten Zeitraum bis zur Höhe der bezogenen SGB II-Leistungen als erfüllt anzusehen. Der Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte ergebe sich aus § 104 SGB X. Hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Versicherungspauschale hat das Berufungsgericht auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

8

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel. Er macht ua eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG mit der Folge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs geltend. Es fehle an einer erneuten Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG. Denn nach Vorlage der Berufungsbegründung habe sich die Prozesssituation wesentlich geändert.

9

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Er hat mit der von ihm gerügten Verletzung der (erneuten) Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schlüssig bezeichnet(§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Dieser Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor (dazu unter 1.). Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (dazu unter 2.).

10

1. Der angefochtene Beschluss des LSG ist unter Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG ergangen. Damit ist auch der Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

11

Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 S 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Formale Voraussetzung für eine solche Vorgehensweise des LSG ist die vorherige Anhörung der Beteiligten (§ 153 Abs 4 S 2 SGG). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer ordnungsgemäßen erneuten Anhörung.

12

Die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das auch bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verletzt werden darf(BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5 mwN). Dies beinhaltet nach stRspr des BSG, dass eine neue Anhörungsmitteilung erfolgen muss, wenn sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hat (zB BSG Beschluss vom 28.2.2013 - B 8 SO 33/12 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 12.12.2011 - B 7 AL 29/11 BH - Juris RdNr 7; vgl auch ua BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 10 mwN). Das ist etwa der Fall, wenn nach Zugang der Anhörungsmitteilung von einem Beteiligten neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen oder Beweisanträge gestellt werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 14 f) oder wenn die Berufung erst dann substantiiert begründet wird (BSG Beschluss vom 17.12.2013 - B 11 AL 82/13 B - Juris RdNr 10; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 20a, jeweils mwN).

13

Im Berufungsverfahren hat sich mit der Vorlage der Berufungsbegründung durch den Kläger eine wesentliche Änderung der prozessualen Situation ergeben. Zum Zeitpunkt der Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG durch das LSG am 1.12.2014 war nicht erkennbar, warum der Kläger das Urteil des SG für unzutreffend hält. Dagegen enthält die Berufungsbegründung substantiierte Angriffe gegen das erstinstanzliche Urteil unter Hinweis auf Rechtsprechung des BSG. Des Weiteren hatte der Kläger um Beiziehung einer Gerichtsakte zu einer Sache mit einer "ähnlichen (Erstattungs-)Problematik" gebeten, welche "leider" seinerzeit durch Vergleich und nicht durch Urteil beendet worden sei, damit sich das Gericht "ein besseres Bild von der Rechtslage" im Hinblick auf die von ihm gerügte fehlende sachliche, zeitliche und personelle Kongruenz machen könne.

14

Unter diesen Umständen durfte der Kläger davon ausgehen, dass das LSG ihm entweder Gelegenheit geben würde, seinen Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung zu vertiefen, oder ihm durch eine erneute Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG bekanntgeben würde, dass der LSG-Senat sein Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der Berufungsbegründung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Dies hätte dem Kläger etwa ermöglicht, vor der Entscheidung des LSG weiter vertiefend vorzutragen oder gegebenenfalls auch konkrete Beweisanträge zu stellen, um eine weitere Sachverhaltsaufklärung in seinem Sinne zu erreichen (siehe zu dieser Funktion der Anhörungsmitteilung BSG Beschluss vom 6.6.2001 - B 2 U 117/01 B - Juris RdNr 2). Indem das Berufungsgericht dies unterlassen und am 14.4.2015 die Berufung des Klägers durch Beschluss nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zurückgewiesen hat, hat es die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG und den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Daran ändert auch nichts, dass das LSG nach Eingang der Berufungsbegründung vom 30.1.2015 den dort gestellten PKH-Antrag des Klägers mit Beschluss vom 23.3.2015 wegen fehlender Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt hat. Denn das LSG hat den Beteiligten in diesem Beschluss nicht mitgeteilt, dass es (auch) weiterhin beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung (und damit ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter) zurückzuweisen.

15

2. Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfahrensmangel. Anders als die Verletzung von § 153 Abs 4 S 1 SGG ist diejenige von S 2 zwar nicht ohne Weiteres wie ein absoluter Revisionsgrund(gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) zu behandeln, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht. Hat das LSG aus sachfremden Erwägungen oder aufgrund grober Fehleinschätzung die Voraussetzungen von § 153 Abs 4 S 1 SGG bejaht, sodass der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist, bedarf es keiner Prüfung, ob die Entscheidung ohne den Fehler hätte anders ausfallen können(vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13). Demgegenüber ist die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung nicht ohne Weiteres zu unterstellen ist(vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 9). Fallkonstellationen, in denen eine erforderliche Anhörung überhaupt nicht durchgeführt wurde (bzw deren Durchführung nicht nachweisbar ist), sodass die Beteiligten keinerlei Veranlassung hatten, sich gegenüber dem Gericht noch innerhalb der gesetzten Frist Gehör zu verschaffen, können dabei einer unzulänglich erfolgten Anhörung nicht gleichgestellt werden. Insoweit fehlt vielmehr von vornherein eine wesentliche Voraussetzung, die das Gesetz für eine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren nur durch die Berufsrichter verlangt (insoweit noch offengelassen in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19). Dasselbe gilt, wenn - wie hier - eine erste Anhörung aufgrund einer neuen prozessualen Situation keinerlei Wirkung mehr entfaltet und eine deshalb erforderliche erneute Anhörung unterblieben ist. In diesen Fallgestaltungen eines völligen Ausfalls der vorgeschriebenen Anhörung führt der Verfahrensmangel jedenfalls auch zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und damit zu der unwiderleglichen Vermutung dafür, dass die angegriffene Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung beruht. Soweit der bisherigen Rspr des Senats Gegenteiliges entnommen werden kann (vgl Beschluss vom 17.12.2012 - B 13 R 371/11 B - Juris RdNr 5 f; s auch Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 9 f), hält er hieran nach erneuter Prüfung nicht fest (der Beschluss vom 8.1.2013 - B 13 R 300/11 B - Juris RdNr 14 ff betrifft dagegen den hiervon nicht erfassten Fall einer zu kurzen Anhörungsfrist bzw einer inhaltlich unzureichenden Anhörungsmitteilung, mithin die Rüge einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Anhörung).

16

3. Da somit die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen(§ 160a Abs 5 SGG).

17

4. Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B

Referenzen - Gesetze

Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B zitiert 11 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Zivilprozessordnung - ZPO | § 547 Absolute Revisionsgründe


Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,1.wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;2.wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Ges

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 105


(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 104 Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers


(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 107 Erfüllung


(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt. (2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B zitiert 8 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 06. Aug. 2014 - B 11 AL 2/13 R

bei uns veröffentlicht am 06.08.2014

Tenor Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2012 werden zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Beschluss, 17. Dez. 2013 - B 11 AL 82/13 B

bei uns veröffentlicht am 17.12.2013

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Mai 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Lande

Bundessozialgericht Beschluss, 28. Feb. 2013 - B 8 SO 33/12 B

bei uns veröffentlicht am 28.02.2013

Tenor Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. Februar 2012 - L 7 SO 169/11 - aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Ents

Bundessozialgericht Beschluss, 17. Dez. 2012 - B 13 R 371/11 B

bei uns veröffentlicht am 17.12.2012

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. September 2011 wird als unzulässig verworfen.

Bundessozialgericht Urteil, 31. Okt. 2012 - B 13 R 9/12 R

bei uns veröffentlicht am 31.10.2012

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu zahlen.

Bundessozialgericht Urteil, 31. Okt. 2012 - B 13 R 11/11 R

bei uns veröffentlicht am 31.10.2012

Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufgehoben

Bundessozialgericht Beschluss, 17. Apr. 2012 - B 13 R 61/12 B

bei uns veröffentlicht am 17.04.2012

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Januar 2012 aufgehoben.

Bundessozialgericht Beschluss, 12. Dez. 2011 - B 7 AL 29/11 BH

bei uns veröffentlicht am 12.12.2011

Tenor Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1.7.2011 Prozessko
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Beschluss, 02. Nov. 2015 - B 13 R 203/15 B.

Bundessozialgericht Beschluss, 19. Okt. 2016 - B 14 AS 156/16 B

bei uns veröffentlicht am 19.10.2016

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Oktober 2015 - L 9 AS 12/14 - aufgehoben.

Bundessozialgericht Beschluss, 24. Feb. 2016 - B 13 R 341/15 B

bei uns veröffentlicht am 24.02.2016

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. August 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesso

Bundessozialgericht Beschluss, 17. Nov. 2015 - B 1 KR 65/15 B

bei uns veröffentlicht am 17.11.2015

Tenor Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Juni 2015 aufgehoben.

Referenzen

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

(3) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(4) Sind mehrere Leistungsträger vorrangig verpflichtet, kann der Leistungsträger, der die Sozialleistung erbracht hat, Erstattung nur von dem Leistungsträger verlangen, für den er nach § 107 Abs. 2 mit befreiender Wirkung geleistet hat.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 54,55 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens aller Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 54,55 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rangfolge von Erstattungsansprüchen in der Zeit vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005.

2

Die im Jahre 1963 geborene Leistungsempfängerin bezog von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund; im Folgenden: Beklagte) eine vom 1.12.2003 bis zum 31.5.2005 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 21.10.2003). Den Antrag von September 2004 auf Weitergewährung der Rente lehnte diese ab (Bescheid vom 10.5.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005). Im Klageverfahren vor dem SG Lübeck (S 18 R 820/05) erkannte die Beklagte über den Monat Mai 2005 hinaus bis zum 30.9.2008 Leistungen wegen voller Erwerbsminderung an (Teilanerkenntnis vom 27.9.2006; entsprechender Ausführungsbescheid vom 30.10.2006). Die monatliche Rentenzahlung begann am 1.12.2006 (591,55 Euro zzgl Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung = insgesamt 657,64 Euro). Die für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 errechnete Rentennachzahlung iHv 9800,01 Euro behielt sie vorläufig ein (täglicher Leistungsbetrag im Juli 2005: 19,17 Euro; im November 2005: 19,81 Euro).

3

Auf ihre Arbeitslosmeldung im Mai 2005 bezog die Leistungsempfängerin von der Bundesagentur für Arbeit (BA; im Folgenden: Klägerin) im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 Arbeitslosengeld (Alg; täglicher Leistungsbetrag 17,37 Euro). Vom 13.7.2005 bis zum 2.11.2005 erhielt sie Krankengeld. Am 2.11.2005 meldete sie sich erneut arbeitslos und bezog Alg vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 (täglicher Leistungsbetrag 23,77 Euro). Jeweils aufstockend zum Alg und zum Krankengeld bezog sie im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (für Unterkunft und Heizung) von der Arbeitsgemeinschaft Lübeck (Rechtsvorgängerin des Jobcenters Lübeck, im Folgenden: Beigeladener).

4

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 9.11.2006 und 23.2.2007 bei der Beklagten Erstattungsansprüche wegen des Alg iHv 3124,15 Euro für die Zeiträume vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 geltend (unter Einschluss nicht streitgegenständlicher Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt 3710,18 Euro). Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 13.12.2006, 17.1. und 29.1.2007 eine Erstattungsforderung iHv 364,84 Euro gegen die Beklagte für die im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 an die Leistungsempfängerin aufstockend gezahlten Leistungen nach dem SGB II geltend.

5

Mit Schreiben vom 19.2. und 10.4.2007 bezifferte die Beklagte die Höhe des Erstattungsanspruchs der Klägerin wegen des Alg auf nur 3069,60 Euro. Der Rentennachzahlbetrag reiche nicht für die vollständige Befriedigung beider Erstattungsansprüche. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen ein gleichrangiger Erstattungsanspruch für dieselben Zeiträume zustehe. Entsprechend erstatte die Beklagte dem Beigeladenen nur 358,96 Euro.

6

Im Verhältnis zum Beigeladenen hielt sich die Klägerin jedoch weiterhin für vorrangig erstattungsberechtigt. Das auf die Erstattung des Restbetrags von 54,55 Euro gerichtete Klage- und Berufungsverfahren blieb erfolglos (Urteile SG Lübeck vom 26.5.2009; Schleswig-Holsteinisches LSG vom 10.9.2010). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass kein weiterer Erstattungsanspruch bestehe, weil sich die Ansprüche der Klägerin und des Beigeladenen gleichrangig - jeweils gestützt auf § 103 SGB X - gegenüberstünden. Deshalb habe die Beklagte die Erstattungsforderungen zutreffend nach § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig beglichen. Die Ansicht der Klägerin, wonach der Erstattungsanspruch des Beigeladenen auf § 104 SGB X beruhe und deshalb nachrangig sei, könne nicht auf Rechtsprechung des BSG zu Erstattungsansprüchen des Sozialhilfeträgers alten Rechts gestützt werden(Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12). Wegen fehlender Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe kein Anspruch auf Leistungen des Beigeladenen bestanden (§ 8 Abs 1 SGB II). Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung führe bei einer Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft - wie hier - dazu, dass der Anspruch nach dem SGB II nachträglich entfalle, sodass sich der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X richte, anders bei bloßer Anrechnung der Rente auf die Leistungen nach dem SGB II(dann § 104 SGB X). Im Übrigen scheide ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X auch deshalb aus, weil der Beigeladene weder institutionell nachrangig noch hier im Einzelfall subsidiär zur Leistung verpflichtet gewesen sei. Schließlich folge aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) kein anderslautendes Ergebnis. Der in dieser Vorschrift normierte Erstattungsanspruch setze eine Entscheidung der Einigungsstelle darüber voraus, dass ein Grundsicherungsanspruch nicht bestehe. Ein Kompetenzkonflikt um die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe hier nicht vorgelegen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 103, 104, 106 Abs 1 Nr 3 und 4, Abs 2 S 1 SGB X). Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe (Hinweis auf BSGE 82, 143 = SozR 3-2600 § 13 Nr 1; BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr 7). Der Grundsatz der Nachrangigkeit folge aus § 5 Abs 1 SGB II(Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15)und klarstellend aus § 12a SGB II. Deshalb sei nicht zu prüfen, ob das materielle Recht die Subsidiarität der konkreten Leistung im Einzelfall bestimme. Zwar schließe Erwerbsunfähigkeit Leistungen nach dem SGB II aus (§§ 7, 8 SGB II). Für die grundsätzliche Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II könne es jedoch keinen Unterschied machen, ob der Leistungsanspruch wegen fehlender Erwerbsfähigkeit voll oder wegen Einkommensanrechnung nur teilweise entfalle. Die zur Nachrangigkeit der Sozialhilfe ergangene Rechtsprechung (Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12; BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 1) stehe dem nicht entgegen. Auch aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) könne der Beigeladene keinen Erstattungsanspruch herleiten, weil kein Konflikt über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin im Sinne dieser Vorschrift bestanden habe.

8

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 54,55 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, dass die Nachrangigkeit von Leistungen des SGB II gegenüber denen des SGB III nicht von vornherein die Rangfolge der Erstattungsansprüche im Verhältnis des Beigeladenen zur Beklagten bestimme. Jedenfalls kenne das SGB II keinen Nachrang "sui generis". Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor.

11

Der Beigeladene hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt und sich in der Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für dieselben Zeiträume rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (1). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen gegen die Beklagte kein gleichrangiger Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung) zusteht (2). Für eine richterliche Rechtsfortbildung besteht kein Grund (3). Einer Beiladung der Leistungsempfängerin bedurfte es nicht (4).

13

Die von der BA erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Erhebung besteht; insbesondere steht der Klage nicht die Bagatellgrenze von 50 Euro (§ 110 S 2 SGB X) entgegen, für die keine Erstattung erfolgt. Diese bezieht sich nicht auf den geltend gemachten Einzelbetrag, sondern auf den Gesamtbetrag pro Erstattungsfall (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 4 S 6), der hier weit überschritten ist.

14

Ob und wieweit Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zu befriedigen sind, bestimmt § 106 SGB X. Während §§ 102 bis 105 SGB X die Erstattungsansprüche für Sozialleistungen im Verhältnis zweier Sozialleistungsträger normieren, regelt § 106 SGB X den Fall, dass ein Leistungsträger mehreren Leistungsträgern zur Erstattung verpflichtet ist. Gemäß § 106 Abs 1 SGB X sind die Ansprüche nach der in den Nr 1 bis 5 genannten Rangfolge wie folgt zu befriedigen: Zunächst der Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers nach § 102(§ 106 Abs 1 Nr 2 SGB X), dann der Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, nach § 103(§ 106 Abs 1 Nr 3 SGB X), dann der Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104(§ 106 Abs 1 Nr 4 SGB X) und zuletzt der Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers nach § 105(§ 106 Abs 1 Nr 5 SGB X). Die im Rahmen des § 106 Abs 1 SGB X angeordnete Rangfolge ist von Bedeutung, wenn - wie hier - die Erstattung eines Leistungsträgers nicht zur Erfüllung der Ansprüche aller Erstattungsberechtigten ausreicht(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 f zu § 112). Treffen ranggleiche Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zusammen, sind sie nach der Grundregel des § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig zu befriedigen, sofern es sich nicht um solche nach § 104 SGB X handelt(§ 106 Abs 2 S 2 SGB X). Die Erstattungspflicht ist nach § 106 Abs 3 SGB X begrenzt, so dass nicht mehr zu leisten ist, als der Erstattungspflichtige nach den für ihn geltenden Erstattungsvorschriften einzeln zu erbringen hätte.

15

Die in § 106 Abs 1 SGB X normierte Rangfolge ergibt sich mithin aus der Einordnung des jeweiligen Erstattungsanspruchs nach §§ 102 ff SGB X und richtet sich damit nach den entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen("sachlogische Hierarchie", vgl Kater in Kasseler Komm, Stand März 2001, SGB X, § 106 RdNr 6; Becker in Hauck/Noftz, Stand 2012, SGB X, K § 106 RdNr 10). Bestehen außerhalb des Normenkomplexes von §§ 102 ff SGB X Erstattungsregelungen in den anderen Büchern des SGB, sind diese speziellen Regelungen vorrangig anzuwenden, wenn sie Abweichendes regeln(§ 37 S 1 SGB I).

16

Daher kommt es für die Rangfolge der hier streitigen Erstattungsansprüche - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht darauf an, ob Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II generell nachrangig (systemsubsidiär) gegenüber anderen Leistungen wie dem Alg nach dem SGB III sind. Denn es ist nicht etwa über einen Erstattungsanspruch der klagenden BA gegen das beigeladene Jobcenter zu entscheiden. Vielmehr ist zu klären, welcher Erstattungsanspruch im Verhältnis der klagenden BA zum beklagten Rentenversicherungsträger besteht (1) und welcher im Verhältnis des beigeladenen Jobcenters zum beklagten Rentenversicherungsträger (2); etwaige Erstattungsansprüche sind dann in die in § 106 SGB X vorgesehene Rangfolge einzuordnen. Hieraus folgt ihre Vor-, Gleich- oder Nachrangigkeit und mit ihr deren volle oder nur anteilsmäßige Befriedigung.

17

1. Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

18

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

19

a) Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827 mWv 1.1.2001, als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630, S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern(vgl dazu noch unten 2a) - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

20

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch im Sinne der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19). Die Klägerin hat die Bewilligung des Alg in den streitigen Zeiträumen auch nicht nachträglich gegenüber der Leistungsempfängerin aufgehoben.

21

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind erfüllt. Die Klägerin hat in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2005 ist der Leistungsempfängerin nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 vorläufig einbehalten.

22

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist auch nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

23

b) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 (täglich 19,17 Euro) reichte aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (täglich 17,37 Euro) zu erstatten. Für die Zeit vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005, in dem das Alg (täglich 23,77 Euro) den Rentenzahlbetrag (täglich 19,81 Euro) überstieg, hat die Klägerin zutreffend den Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht.

24

2. Dem Beigeladenen steht kein gleichrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

25

Das beigeladene Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war von Amts wegen durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

26

Der Beigeladene hat für die Zeiträume vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 in Wahrnehmungszuständigkeit für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II, § 44b Abs 3 S 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung, § 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen für den kommunalen Träger zu verlangen.

27

a) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410, S 27).

28

Der Senat kann offen lassen, ob hier § 44a SGB II in der Fassung 2004 oder Fassung 2006 gilt. Selbst bei Anwendbarkeit der Fassung 2006 lägen deren Voraussetzungen nicht vor.

29

Die Vorschrift des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden, und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

30

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von der Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

31

b) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I geleistet worden sind. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben a).

32

c) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, SGB X, § 103 RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

33

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder dem § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende bzw das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird.

34

Hingegen regelt § 103 SGB X nicht den Fall, dass ein Leistungsträger Leistungen zu Unrecht erbracht hat(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 zu § 109; vgl Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 27; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2012, K §§ 102 - 114 RdNr 9a, c). Denn dann entfällt ein Anspruch auf Sozialleistungen nicht "nachträglich", wie Abs 1 der Vorschrift verlangt; vielmehr bestand ein solcher von vornherein nicht. So liegt der Fall hier. Die Leistungen nach dem SGB II sind zu Unrecht gezahlt worden, weil die allein lebende Leistungsempfängerin die Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II von Anfang an nicht erfüllt hat und auch andere Leistungsansprüche nach dem SGB II für sie nicht in Betracht kamen. Die Leistungsempfängerin war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG ab Beginn der SGB II-Leistungen wegen Krankheit auf absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, mithin nicht erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II. Dass das Fehlen der Erwerbsfähigkeit erst später festgestellt wurde, steht dem nicht entgegen.

35

d) Hat das beigeladene Jobcenter im Ergebnis weder einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X noch einen Erstattungsanspruch nach §§ 102, 103 SGB X gegen den beklagten Rentenversicherungsträger, folgt daraus, dass ihm im Verhältnis zur klagenden BA kein (zumindest) gleichrangiger Erstattungsanspruch zusteht, der anteilsmäßig zu befriedigen wäre(§ 106 Abs 2 S 1 SGB X).

36

Der Senat kann daher offen lassen, ob das beigeladene Jobcenter für den nachrangig verpflichteten Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Rentenversicherungsträger auf § 104 Abs 1 S 1 SGB X stützen könnte. Dieser Erstattungsanspruch wäre nach der in § 106 Abs 1 SGB X normierten Rangfolge(dort Nr 4) immer nachrangig gegenüber dem auf § 103 SGB X (in entsprechender Anwendung) gestützten Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte (§ 106 Abs 1 Nr 3 vor Nr 4 SGB X). Ebenso wenig muss der Senat entscheiden, ob sich die Klägerin für ihre Rechtsmeinung auf einen aus § 5 bzw § 12a SGB II folgenden Grundsatz der generellen Nachrangigkeit von Leistungen nach dem SGB II - wie für die Sozialhilfe nach § 2 Abs 1 SGB XII(vormals § 2 Abs 2 BSHG)- berufen kann(zur "Systemsubsidiarität" des SGB II: vgl BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15 RdNr 14 ff, 16 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB V; vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB III, dort wohl nicht tragend; s aber BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 14 und BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18).

37

3. Der Senat sieht sich ferner nicht veranlasst, dem Beigeladenen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen Erstattungsanspruch in der hier vorliegenden Fallkonstellation zuzubilligen.

38

Dies gilt selbst dann, wenn den SGB II-Trägern bei nachträglicher Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (die Fälle einer sog "Arbeitsmarkt-Rente" ausgenommen) auch ohne konkurrierenden Erstattungsanspruch der BA eine Erstattung vom Rentenversicherungsträger nach § 104 oder § 105 SGB X verwehrt bliebe. Ein solches Ergebnis ließe sich damit begründen, dass auch im Rahmen dieser Vorschriften die konkreten Leistungen des nachrangig verpflichteten bzw unzuständigen Leistungsträgers materiell rechtmäßig erbracht worden sein müssten ("ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X", BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 12 S 38; vgl auch BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 21; BSGE 70, 186, 195 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 26; BSGE 74, 36, 39 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 S 18; BSG BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 7; aA BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 12 ff, 15; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 12 S 109 f mwN; zu § 105 SGB X zB BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 4 S 21). Einer näheren Überprüfung dieser Argumentation bedarf es hier nicht. Selbst wenn sie zuträfe, schiede eine richterliche Rechtsfortbildung aus.

39

Ein derartiges Vorgehen ist allenfalls dort angebracht, wo Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst werden müssen oder besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist (BVerfG - Kammerbeschluss vom 26.9.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 42 BvR 469/07 - NJW 2012, 669 RdNr 45; BVerfGE 126, 286, 306). Das lässt sich hier nicht feststellen.

40

Denn der Gesetzgeber hat Erstattungsansprüche bei Erbringung von Leistungen an nicht Erwerbsfähige durch die - hierfür an sich nicht leistungsverpflichteten - SGB II-Träger geregelt. Er hat, wie bereits oben (bei 2 a) ausgeführt, im Jahre 2006 den speziellen Erstattungstatbestand des § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II (Fassung 2006) geschaffen. Diese ausdrückliche Erstattungsregelung erfasst erkennbar nur einen engen Teilbereich der Fälle, in denen SGB II-Leistungen rechtsgrundlos an nicht Erwerbsfähige gezahlt werden. Damit sieht sich der Senat aber daran gehindert, sie im Wege der Rechtsfortbildung auf jene Fälle zu erweitern, in denen die SGB II-Träger ohne nähere Prüfung fälschlicherweise von der Erwerbsfähigkeit eines Antragstellers ausgehen.

41

4. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass das LSG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84) als notwendig erachtet worden. Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 96, 190 f = SozR 4-4300 § 421g Nr 1 RdNr 20). Eine mögliche Benachteiligung der Leistungsempfängerin ist hier nicht ersichtlich.

42

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 1872,44 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist, in welchem Umfang der Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw für Leistungen nach dem SGB II dem Jobcenter Erstattungsansprüche gegen den Rentenversicherungsträger aufgrund einer rückwirkend bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung zustehen.

2

Die beklagte Trägerin der Rentenversicherung bewilligte der im Jahr 1956 geborenen Versicherten (Leistungsempfängerin) mit Bescheid vom 9.1.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (unter dreistündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.3.2008. Die laufende Rentenzahlung iHv monatlich 362,72 Euro begann am 1.3.2007. Die Beklagte behielt die Nachzahlung für den Zeitraum von Juni 2006 bis Februar 2007 iHv 3264,48 Euro bis zur Klärung der Ansprüche anderer Stellen zunächst ein.

3

Zuvor hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann aufgrund eines Antrags vom September 2004, in dem beide angegeben hatten, noch mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können, seit Januar 2005 vom Beigeladenen (Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II, dessen Rechtsnachfolge später das Jobcenter team.arbeit.hamburg antrat - im Folgenden einheitlich als Beigeladener bezeichnet) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bezogen. Zudem hatte die Leistungsempfängerin vom 22.7.2004 bis zum 7.12.2005 Krankengeld erhalten, das der Beigeladene, nachdem er hiervon im Februar 2006 Kenntnis erlangt hatte, als Einkommen auf das Alg II zur Anrechnung gebracht hat. Außerdem hatte ihr die klagende BA aufgrund einer Anfang April 2006 vorgenommenen (erneuten) Arbeitslosmeldung, in der die Leistungsempfängerin angab, aus gesundheitlichen Gründen höchstens noch 20 Stunden in der Woche erwerbstätig sein zu können, gemäß der Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 SGB III) ab dem 3.4.2006 bis zum 15.8.2007 Alg iHv kalendertäglich 12,36 Euro bzw monatlich 370,80 Euro gezahlt (Bescheid vom 10.4.2006).

4

Ebenfalls im April 2006 hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann einen Antrag auf Fortzahlung der SGB II-Leistungen gestellt, wobei sie als einzige gegenüber früheren Anträgen eingetretene Änderung der maßgeblichen Verhältnisse den Bezug von Alg ab 3.4.2006 erwähnten. Der Beigeladene hatte daraufhin den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zunächst für den Zeitraum vom 1.5. bis zum 30.9.2006 und sodann unverändert auch für die daran anschließende Zeit bis zum 31.3.2007 "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)" iHv monatlich 716,82 Euro bewilligt; hiervon entfielen auf die Leistungsempfängerin nach anteiliger Anrechnung des Alg 341,30 Euro (Bescheid vom 2.5.2006 idF des Änderungsbescheids vom 5.7.2006 sowie Bescheid vom 12.9.2006: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 134,32 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 206,98 Euro). Zuvor hatten der Beigeladene und die Leistungsempfängerin am 20.3.2006 eine "Eingliederungsvereinbarung" geschlossen, in der sich diese zur Beantragung einer Rente und der Beigeladene zum Abwarten der Entscheidung der Rentenstelle verpflichtete.

5

Aufgrund der Rentenbewilligung hob die Klägerin in zwei Bescheiden vom 6.3.2007 die gegenüber der Leistungsempfängerin ausgesprochene Bewilligung des Alg für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 sowie gesondert für den Zeitraum ab 1.3.2007 auf. Zugleich stellte sie fest, dass bis zum 28.2.2007 eine Überzahlung iHv 3264,48 Euro eingetreten sei; eine Rückzahlung dieses Betrags durch die Leistungsempfängerin sei aber nur erforderlich, wenn und soweit der Rentenversicherungsträger den Erstattungsanspruch nicht erfülle. Die Leistungsempfängerin focht die Bescheide vom 6.3.2007 nicht an.

6

Der Beigeladene erließ nach Kenntnis der Rentenbewilligung zunächst am 23.2.2007 einen Änderungsbescheid mit der Feststellung, dass die Leistungsempfängerin aufgrund des Bezugs von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2007 lediglich Anspruch auf Sozialgeld habe; zugleich erfolgte für den Monat März 2007 eine Anrechnung sowohl des bislang gezahlten Alg als auch des Rentenzahlbetrags als Einkommen. Nach Widerspruch nahm der Beigeladene im Änderungsbescheid vom 16.3.2007 eine Korrektur dahingehend vor, dass - wie bisher - nur der (höhere) Zahlbetrag des (ab März 2007 nicht mehr gezahlten) Alg Anrechnung fand. Zugleich kündigte der Beigeladene an, er werde den Rentenzahlbetrag ab April 2007 mit monatlich 332,72 Euro berücksichtigen, sofern ein Fortzahlungsantrag gestellt werde.

7

Der Beigeladene meldete mit Schreiben vom 22.1.2007 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch für die von ihm im Zeitraum März 2005 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Beträge (Regelleistung, KdU, Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) iHv insgesamt 11 524,30 Euro an (davon Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv zuletzt monatlich 132,15 Euro). Die Klägerin forderte im Schreiben vom 6.3.2007 von der Beklagten für das im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 an die Leistungsempfängerin gezahlte Alg die Erstattung des gesamten Rentennachzahlungsbetrags iHv 3264,48 Euro zuzüglich der in diesem Zeitraum von ihr entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (monatlich 71,22 Euro, insgesamt 640,98 Euro).

8

Die Beklagte teilte den zur Verfügung stehenden Nachzahlungsbetrag zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen auf. Sie bestimmte den maßgeblichen Anteil nach dem Verhältnis der für den Nachzahlungszeitraum jeweils angeforderten Erstattungsbeträge (Klägerin: monatlich 362,72 Euro an Stelle des monatlich gezahlten Alg iHv 370,40 Euro; Beigeladener: monatlich 341,30 Euro für gezahlte Regelleistung und KdU) zu der insgesamt geforderten Erstattungssumme (monatlich 362,72 Euro + 341,30 Euro = 704,02 Euro); dies ergab für die Klägerin einen Anteil von 51,52 % (monatlich 186,88 Euro, insgesamt 1681,82 Euro) und für den Beigeladenen von 48,48 % (monatlich 175,84 Euro, insgesamt 1582,56 Euro). Hingegen kehrte die Beklagte die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die sie für den Nachzahlungszeitraum zu entrichten gehabt hätte (monatlich 64,42 Euro, insgesamt 579,78 Euro), ohne Berücksichtigung des Umfangs der von diesen tatsächlich geleisteten Beitragszahlungen je zur Hälfte (iHv 289,88 Euro - statt zutreffend 289,89 Euro) an die Klägerin und den Beigeladenen aus. Mit Schreiben vom 23.4.2007 teilte sie der Klägerin und dem Beigeladenen mit, dass wegen des Vorliegens gleichrangiger Erstattungsansprüche der BA bzw des Jobcenters nach § 103 SGB X nur eine anteilige Erstattung gemäß § 106 Abs 2 S 1 SGB X erfolgen könne; zugleich informierte sie die Leistungsempfängerin, dass der Rentennachzahlungsbetrag aufgrund der Erstattungen erschöpft sei.

9

Die Klägerin hat ihre zunächst zum ArbG Berlin erhobene Klage gegen die Beklagte zurückgenommen. Auf die sodann erhobene sozialgerichtliche Leistungsklage hat das SG das Jobcenter gemäß § 75 Abs 1 SGG beigeladen und die zuletzt auf Zahlung weiterer 1872,44 Euro gerichtete Klage abgewiesen(Urteil vom 30.1.2012).

10

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein weitergehender Erstattungsanspruch zu, weil die Beklagte zu Recht ihren Erstattungsanspruch und den des Beigeladenen iS von § 106 Abs 2 S 1 SGB X als ranggleich behandelt habe. Beide Ansprüche hätten ihre Rechtsgrundlage in § 103 SGB X. Für die Zuordnung zu dieser Vorschrift oder zu § 104 SGB X sei nicht das Verhältnis der Leistungen der Klägerin und des Beigeladenen untereinander maßgeblich; vielmehr komme es entscheidend auf das Verhältnis der Leistung des Erstattungsberechtigten zu der Leistung des erstattungspflichtigen Sozialleistungsträgers an. Insoweit bestehe zwischen der Leistung des Beigeladenen (Grundsicherung) und derjenigen der Beklagten (Rente) weder ein institutionelles Nachrang-Vorrang-Verhältnis noch eine Einzelanspruchssubsidiarität (Hinweis auf Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.9.2010 - L 3 AL 43/09 - s hierzu das Urteil im Parallelverfahren B 13 R 11/11 R vom heutigen Tage). Abzustellen sei auf den jeweiligen Einzelfall. Dieser sei hier durch ein Ausschlussverhältnis gekennzeichnet, da der Anspruch auf Alg II entfalle, wenn - wie hier - die Voraussetzungen einer vollen Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen vorlägen. Das gelte auch dann, wenn der Leistungsempfänger in einer Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaft lebe. Auf die Besonderheit des vorliegenden Falles, die darin bestehe, dass der Leistungsempfängerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem erwerbsfähigen Ehemann bei nachträglicher Betrachtung ein Anspruch auf Sozialgeld in gleicher Höhe wie das gezahlte Alg II zugestanden habe, komme es hingegen nicht an. Denn es sei nur auf die konkreten ursprünglichen Leistungsansprüche - hier Alg und aufstockend Alg II - abzustellen. Das verhindere, dass der Erstattungspflichtige alle denkbaren Ansprüche des Leistungsempfängers prüfen müsse und die einschlägige Erstattungsnorm von den Zufälligkeiten der Familienkonstellation bzw von der Größe und Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft abhänge. Da hiernach infolge der Feststellung einer vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin aus medizinischen Gründen mit Wirkung für die Vergangenheit sowohl ihr Anspruch auf Alg als auch derjenige auf Alg II aus dem gleichen Grund nachträglich entfallen sei, beruhten die Erstattungsansprüche der Klägerin und des Beigeladenen jeweils auf § 103 SGB X und seien deshalb von der Beklagten zu Recht anteilsmäßig befriedigt worden. Ebenfalls nicht zu beanstanden sei die hälftige Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

11

Die Klägerin rügt mit ihrer Sprungrevision, die das SG in seinem Urteil zugelassen und deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, eine Verletzung der §§ 103, 104 und 106 SGB X. Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe. Dies folge aus § 5 Abs 1 SGB II und den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zu dieser Vorschrift sowie klarstellend aus § 12a SGB II(idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 - BGBl I 681). Die Erbringung der Grundsicherung als Aufstockungsleistung zum Alg nach Maßgabe des § 22 Abs 4 SGB III(idF des GSiFoG vom 20.7.2006 - BGBl I 1706) ändere daran ebenso wenig wie der Umstand, dass die Leistungsempfängerin bei Erwerbsunfähigkeit an Stelle des Anspruchs auf Alg II einen solchen auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs 1 S 2 SGB II(in den bis zum 31.12.2010 geltenden Fassungen) gehabt habe. Das SG habe dagegen im Ergebnis eine Einzelfallsubsidiarität der Leistung des Beigeladenen im Verhältnis zu der von ihr - der Klägerin - erbrachten Leistung bejaht, obwohl das bei bestehender Systemsubsidiarität ausgeschlossen sei. Ihrem danach vorrangig zu befriedigenden Erstattungsanspruch stehe auch nicht entgegen, dass sie - die Klägerin - die Bewilligung von Alg gegenüber der Leistungsempfängerin rückwirkend aufgehoben habe.

12

Die Klägerin ist zudem der Meinung, dass auch hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung die Rangfolge des § 106 SGB X maßgeblich sei. Danach sei - wie hier - beim Zusammentreffen eines vorrangigen Erstattungsanspruchs (§ 103 SGB X) mit einem nachrangigen Erstattungsanspruch des Jobcenters (§ 104 SGB X) zuerst der Beitragserstattungsanspruch des Trägers zu befriedigen, der sich auf § 103 SGB X berufen könne.

13

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1872,44 Euro zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

15

Sie macht geltend, dass es aus dem Blickwinkel der finanziellen Belastung für sie unerheblich sei, ob sie die Rentennachzahlung nur an die Klägerin auskehre oder aber zwischen dieser und dem Beigeladenen aufteile. Für beide Lösungen sprächen vertretbare Gründe. Sie habe sich in ihrer Verwaltungspraxis für eine dieser Lösungen entscheiden müssen und wolle lediglich geklärt wissen, ob der von ihr beschrittene Weg der richtige sei. Die Beklagte weist allerdings darauf hin, dass im Sozialrecht ein genereller Nachrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Verhältnis zu anderen Sozialleistungen nicht normiert sei. Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor.

16

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

17

Die (Sprung-)Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu erstatten, denn ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen, der den Anspruch der Klägerin begrenzen könnte, besteht nicht. Das anderslautende Urteil des SG ist daher aufzuheben (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

18

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.

19

a) Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache nicht aufgrund des Umstands verwehrt, dass die Klägerin ihre Leistungsklage gegen die Beklagte zunächst beim ArbG erhoben, anschließend aber den Rechtsbehelf dort zurückgenommen und sodann beim SG angebracht hat. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG zu § 102 SGG jedenfalls bei einer nicht fristgebundenen Klage nach deren Rücknahme eine erneute Klage in derselben Sache grundsätzlich unzulässig(BSG SozR 1500 § 102 Nr 5 S 10 mwN; BSGE 57, 184, 185 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; Senatsurteil vom 31.3.1993 - 13 RJ 33/91 - Juris RdNr 17; s aber Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 102 RdNr 11). Dieser Grundsatz kann jedoch keine Anwendung finden, wenn - wie hier - die Klagerücknahme nach den Regeln einer Prozessordnung erfolgte, die eine solche Rechtsfolge nicht vorsieht (§ 46 Abs 2 S 1 ArbGG iVm § 269 Abs 6 ZPO). Nichts anderes gilt, wenn die Klagerücknahme auf eine entsprechende Anregung des Gerichts hin erklärt wurde, um - wie ebenfalls hier - eine an sich gebotene Rechtswegverweisung (§ 17a Abs 2 GVG, hier iVm § 48 ArbGG) zu vermeiden (vgl BSGE 57, 184, 185 f = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; BSG SozR 4-4200 § 16 Nr 8 RdNr 13).

20

b) Einer Sachentscheidung steht als Hindernis auch nicht entgegen, dass das SG die Beiladung des Jobcenters auf § 75 Abs 1 SGG (sog einfache Beiladung) gestützt hat.

21

Das Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II hat das SG zutreffend durch Berichtigung des Rubrums Rechnung getragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

22

Allerdings spricht viel dafür, dass bei einem Streit zwischen der BA und dem Rentenversicherungsträger um die Rangfolge und den Umfang konkurrierender Erstattungsansprüche von Trägern nach dem SGB III bzw SGB II das Jobcenter iS des § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist. Denn dieses ist aufgrund der den Erstattungsumfang begrenzenden Regelung in § 106 Abs 3 SGB X an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung letztlich auch ihm gegenüber nur einheitlich getroffen werden kann(Böttiger in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 106 RdNr 20; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 106 RdNr 34, Stand Einzelkommentierung April 2012; Breitkreuz in Breitkreuz/ Fichte, SGG, 2009, § 75 RdNr 10; zur Notwendigkeit einer Beiladung in Konstellationen eng miteinander zusammenhängender, aus demselben Bestand an Mitteln zu befriedigender Ansprüche s auch Loytved, SGb 1984, 510, 512; Hänlein, SGb 1989, 337, 338; Zeihe, SGG, Stand November 2010, § 75 Anm 15b aa) bzw ee)).

23

Der Senat ist jedoch nicht gehalten, insoweit eine notwendige Beiladung nachzuholen (§ 168 S 2 letzte Alt SGG). Die Angabe einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in dem Beiladungsbeschluss ändert nichts daran, dass die prozessual erforderliche Beteiligung des Jobcenters an dem Verfahren durch Einräumung der Rechtsstellung eines Beigeladenen tatsächlich erfolgt ist (s Zeihe, SGb 1994, 363, 364; Ulmer in Hennig, SGG, § 75 RdNr 15, Stand Einzelkommentierung November 2006, RdNr 15, 20). Soweit der 6. Senat (BSGE 67, 256, 259 = SozR 3-2500 § 92 Nr 1 S 4)und der 5. Senat (BSGE 108, 158 = SozR 4-3250 § 17 Nr 1, RdNr 20) des BSG im Hinblick auf § 75 Abs 4 S 2 SGG darauf abstellen, ob der Beigeladene in der Vorinstanz möglicherweise abweichende Sachanträge gestellt hätte, kommt es darauf hier nicht an. Denn der Beigeladene hat sich bereits vor dem SG dem Sachantrag der Beklagten angeschlossen und überdies zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, er hätte dies anders gehandhabt, wäre er vom SG ausdrücklich unter Berufung auf § 75 Abs 2 SGG beigeladen worden.

24

c) Eine Sachentscheidung ist aber auch nicht aufgrund des Umstands ausgeschlossen, dass das SG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit als notwendig erachtet worden (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7 S 20; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84). Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (stRspr, vgl BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSGE 96, 190 = SozR 4-4300 § 421g Nr 1, RdNr 20; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f). So verhält es sich auf der Grundlage der vom Senat getroffenen Sachentscheidung hier. Denn der Beigeladene kann die von ihm gezahlten SGB II-Leistungen, die von der Beklagten nicht zu erstatten sind, auch von der Leistungsempfängerin nicht zurückfordern, da er sie zu Recht erbracht hat (dazu sogleich).

25

d) Für die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) besteht auch ein uneingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch aufgrund des erbrachten Alg ist nicht - teilweise - bereits durch die Zahlung der Beklagten an den Beigeladenen erfüllt. Zwar hatte die Leistungsempfängerin auch solche Leistungen nach dem SGB II (zB zur Sicherung des Lebensunterhalts) erhalten, für die die Klägerin zuständiger Träger war (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II); für die hier abgedeckten Bedarfe war nicht lediglich der kommunale Träger (aaO Nr 2) zuständig. Soweit jedoch die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erbringt, trägt der Bund die Aufwendungen (§ 46 Abs 1 S 1 SGB II, § 251 Abs 4 SGB V, § 59 Abs 1 S 1 SGB XI). Ihm haben damit auch die entsprechenden Erstattungsleistungen zugutezukommen. Dagegen bestreitet die BA die Leistungen nach dem SGB III, für die sie eine höhere Erstattung begehrt, aus den ihr als Selbstverwaltungskörperschaft (§ 367 Abs 1 SGB III) zustehenden eigenen Mitteln (§ 340 SGB III; s auch § 251 Abs 4a SGB V).

26

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für denselben Zeitraum rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (dazu nachfolgend unter a). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, denn dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung) zu (b). Aus diesem Grund ist der Beigeladene auch nicht an den von der Beklagten zu ersetzenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu beteiligen (c).

27

a) Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

28

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

29

Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827, mWv 1.1.2001 - als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630 S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

30

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch iS der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19).

31

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind hier erfüllt. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2006 ist dieser nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 vorläufig einbehalten.

32

Für den speziellen Erstattungsanspruch nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF ist unschädlich, dass die Klägerin nach Kenntnis der mit Bescheid vom 9.1.2007 erfolgten Rentenbewilligung gegenüber der Leistungsempfängerin im Bescheid vom 6.3.2007 die Zuerkennung des Alg rückwirkend ab 1.6.2006 aufgehoben hat. Ob diese Aufhebung rechtmäßig war (vgl BSG Urteil vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 10/06 R - Juris RdNr 18; BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18 f), ist hier nicht zu beurteilen, zumal die Leistungsempfängerin selbst dagegen keinen Rechtsbehelf erhoben hat. Der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung - somit vor Erlass des Aufhebungsbescheids vom 6.3.2007 - entstanden. Die später zusätzlich vorgenommene Aufhebung der Leistungsbewilligung lässt ihn unberührt, weil dem erstattungsberechtigten Träger kein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegen den leistungsverpflichteten Träger oder einem Vorgehen gegen den Leistungsempfänger (Versicherten) nach den §§ 45, 48, 50 SGB X zusteht(BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 13 f).

33

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist schließlich nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

34

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 (monatlich 362,72 Euro) reicht nicht aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (je vollem Kalendermonat 370,80 Euro, vgl § 134 S 2 SGB III aF) in voller Höhe zu erstatten. Die Klägerin hat daher zutreffend ihren Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht (zu Einzelheiten sowie zum Ersatz der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge s nachfolgend unter d)).

35

b) Dem Beigeladenen steht nach den hier maßgeblichen Umständen kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

36

Der Beigeladene hat für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 in Wahrnehmungszuständigkeit sowohl für die BA als auch für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2, § 44b Abs 3 S 1 und 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung, §§ 20, 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen zu verlangen.

37

aa) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des GSiFoG vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des KomOptG vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) liegen hier jedoch nicht vor.

38

Die genannte Vorschrift ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

39

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von einer noch bestehenden Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Der Beigeladene hat selbst ab dem Zeitpunkt, als er - im März 2006 - die Leistungsempfängerin im Rahmen einer "Eingliederungsvereinbarung" zur Beantragung einer Rente anhielt, seine Pflicht zur Zahlung von Alg II nicht in Frage gestellt. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) mithin nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

40

bb) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil er die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I erbracht hat. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben aa)).

41

cc) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

42

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Entgegen der Rechtsmeinung des SG liegt ein nachträgliches "Entfallen" eines Anspruchs auf Sozialleistungen nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Alg II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.

43

dd) Der Beigeladene kann in der hier zu beurteilenden Konstellation aber auch keinen Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X geltend machen. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs 1 S 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dementsprechend ist für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift kein Raum, soweit ein Träger seine Leistungen auch bei (rechtzeitiger) Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs 1 S 3 SGB X - s allgemein zu den Grundvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs auch BSGE 106, 206 = SozR 4-1300 § 103 Nr 3, RdNr 9 f).

44

So verhält es sich hier. Der Beigeladene war zur Erbringung von SGB II-Leistungen an die Leistungsempfängerin auch dann verpflichtet, wenn diese nicht zu dem Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) gehörte, da bei ihr nach den Feststellungen der Beklagten eine volle Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen bestand. In diesem Fall stand der Leistungsempfängerin, wie es sowohl der Beigeladene (Änderungsbescheide vom 23.2. bzw 16.3.2007) als auch das SG zugrunde gelegt haben, an Stelle des gezahlten Alg II ein Anspruch auf Sozialgeld (§ 28 SGB II aF; ab 1.1.2011: § 19 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) zumindest in derselben Höhe zu. Denn sie lebte mit ihrem (erwerbsfähigen) Ehemann in Bedarfsgemeinschaft, hatte aber noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), weil sie aufgrund der lediglich befristet - für knapp zwei Jahre - zuerkannten Rente wegen (unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage) voller Erwerbsminderung (vgl § 102 Abs 2 S 5 SGB VI)die Voraussetzungen einer "dauerhaften vollen Erwerbsminderung" iS des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB XII(hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2005 geltenden aF; ab 1.1.2008: § 41 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB XII idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554) noch nicht erfüllte.

45

Hat aber der Beigeladene die von ihm in den Bescheiden vom 2.5., 5.7. und 12.9.2006 bewilligten aufstockenden "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II" (vgl die Überschrift des Abschn 2 in Kap 3 SGB II aF, der sowohl das Alg II als auch das Sozialgeld umfasste) unabhängig von der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in jedem Fall gegenüber der Leistungsempfängerin erbringen müssen (hat er sie also endgültig zu Recht erbracht), so fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch sowohl nach § 104 SGB X(vgl Störmann in Jahn/Jansen, SGB für die Praxis, Stand September 2012, § 106 SGB X RdNr 7) als auch nach § 105 SGB X. Unter diesen Voraussetzungen würde die vom SG für zutreffend erachtete Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs an den Beigeladenen nur zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen.

46

Ein solches Ergebnis kann nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, dass der Erstattungspflichtige davor zu schützen sei, alle Ansprüche des Leistungsempfängers - auch solche subsidiärer oder alternativer Art - prüfen zu müssen. Der um Erstattung angegangene (Rentenversicherungs-)Träger bedarf insoweit keines besonderen Schutzes. Denn er hat die Möglichkeit, von dem Erstattung begehrenden Träger eine Spezifizierung seiner Forderungen und auch Auskunft darüber zu verlangen, ob der Leistungsempfänger bei rechtzeitiger Rentenzahlung weiterhin Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, sofern ihm entsprechende Erkenntnisse nicht bereits aufgrund einer Zuziehung des Leistungsempfängers zum Erstattungsverfahren (vgl § 12 Abs 1 Nr 4, Abs 2 iVm § 107 sowie § 24 Abs 1 SGB X)bekannt sind. Im Übrigen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine zum Schutz der erstattungsverpflichteten Behörde befürwortete pauschale Bejahung von Erstattungsansprüchen anderer Träger wegen der in § 107 SGB X angeordneten Erfüllungswirkung dem Leistungsempfänger auch zum Nachteil gereichen könnte.

47

c) Der Beigeladene hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihm im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsempfängerin.

48

Spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen (§ 37 S 1 SGB I)hierfür sind die Regelungen in § 335 Abs 2 S 1 bzw Abs 5 iVm Abs 2 S 1 SGB III (in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954), die im Bereich des SGB II gemäß § 40 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II(ebenfalls idF des genannten Gesetzes vom 24.12.2003; ab 1.4.2011: § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) entsprechend anzuwenden sind. Nach den genannten Vorschriften hat der Rentenversicherungsträger die für einen Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V bzw § 20 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB XI (dh für Personen, die Alg II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind) entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV: § 251 Abs 4 iVm § 252 S 2 SGB V in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung; PV: § 59 Abs 1 S 1 iVm § 60 Abs 1 S 2 SGB XI)zu ersetzen, sofern dem Versicherungspflichtigen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt worden ist (s hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 81 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 40 RdNr 567, 637 ff, Stand Einzelkommentierung Juni 2012).

49

Ein Ersatzanspruch für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge besteht allerdings gemäß § 335 Abs 2 S 1 Teils 2 SGB III nur, "wenn und soweit" dem betreffenden Träger auch ein Erstattungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung "wegen der Gewährung" von Alg II zusteht. Es handelt sich somit hinsichtlich erbrachter Nebenleistungen zum Alg II um die Ergänzung (Annex) eines nach den §§ 102 ff SGB X bestehenden Erstattungsanspruchs(Eicher, aaO RdNr 98; s auch Conradis in Münder, LPK SGB II, 4. Aufl 2011, § 40 RdNr 21 f). Wenn daher - wie hier (s oben unter 2. b) - dem Jobcenter schon kein Erstattungsanspruch für die von ihm erbrachte Hauptleistung nach dem SGB II zusteht, kann es auch keinen Ersatz hinsichtlich der (vom Bund getragenen) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen. Danach ist über die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als vordringlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage nach der zutreffenden Aufteilung der vom Rentenversicherungsträger gemäß § 335 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB III zu ersetzenden Beträge auf die BA und das Jobcenter (hälftig oder im Verhältnis der jeweils gezahlten Beiträge) hier nicht zu entscheiden.

50

d) Im Ergebnis kann somit nur die Klägerin von der Beklagten die Erstattung des von ihr im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Alg und zusätzlich gemäß § 335 Abs 2 S 1, Abs 5 SGB III Ersatz der für diese entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen; dem Beigeladenen steht weder ein Erstattungs- noch ein Ersatzanspruch zu. Damit ist hier über die Rangfolge bei mehreren Erstattungsberechtigten iS des § 106 SGB X nicht zu befinden(s dazu näher die Senatsentscheidung vom heutigen Tage im Verfahren B 13 R 11/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

51

Wie bereits ausgeführt (s oben unter 2. a) am Ende), kann die Klägerin das von ihr an die Leistungsempfängerin vom 1.6.2006 bis 28.2.2007 gezahlte Alg nur im Umfang des geringeren Rentenzahlbetrags von der Beklagten erstattet erhalten, also iHv (9 x 362,72 Euro =) 3264,48 Euro. Hinzu kommen als Ersatz für die von der Klägerin entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Abs 2 S 1, S 3 Nr 1 SGB III diejenigen Beitragsanteile, die der Rentenversicherungsträger (die Beklagte) und der versicherte Rentner (die Leistungsempfängerin) für diesen Zeitraum aus der Rente zu entrichten gehabt hätten; das sind hier (9 x =) 579,78 Euro. Mithin stehen der Klägerin insgesamt (3264,48 + 579,78 =) 3844,26 Euro als Erstattung bzw Ersatz zu; die Beklagte, die bereits einen Betrag iHv 1971,80 Euro an die Klägerin gezahlt hat, schuldet ihr noch weitere 1872,46 Euro. Weil die Klägerin aber mit ihrer Revision nur die Zahlung von 1872,44 Euro geltend gemacht hat, war die Beklagte nach dem Grundsatz "ne ultra petita" (§ 123 SGG) lediglich zur Zahlung dieses Betrags zu verurteilen (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

52

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

(3) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(4) Sind mehrere Leistungsträger vorrangig verpflichtet, kann der Leistungsträger, der die Sozialleistung erbracht hat, Erstattung nur von dem Leistungsträger verlangen, für den er nach § 107 Abs. 2 mit befreiender Wirkung geleistet hat.

Tenor

Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2012 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und der Beigeladene haben jeweils zur Hälfte dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) auszuzahlen ist, das die Beklagte wegen eines angemeldeten Erstattungsanspruchs des Beigeladenen einbehalten hat.

2

Der Kläger lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter, deren Vater er nicht ist, in einem Haushalt. Für Januar 2010 gewährte der Beigeladene dem Kläger, der Lebensgefährtin und deren Tochter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ausgehend vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft errechnete der Beigeladene einen monatlichen Gesamtbedarf von 445,95 Euro, wovon dem Kläger 215,52 Euro, seiner Lebensgefährtin 215,53 Euro und deren Tochter 14,90 Euro ausgezahlt wurden.

3

Die Beklagte bewilligte dem Kläger, der sich im Dezember 2009 arbeitslos gemeldet hatte, Alg ab 5.12.2009 für die Dauer von 360 Tagen. Gleichzeitig teilte sie dem Kläger mit, die Leistung werde für die Zeit vom 5.12.2009 bis 31.1.2010 auf 0,00 Euro festgesetzt, sodass eine Zahlung erst ab 1.2.2010 in Höhe von täglich 32,27 Euro erfolgen könne; die an ihn, seine Lebensgefährtin und deren Tochter für Januar 2010 erbrachten Grundsicherungsleistungen von insgesamt 445,95 Euro seien einzubehalten und zur Erstattung an den Beigeladenen auszuzahlen (Bescheid vom 7.1.2010).

4

Der Kläger erhob Widerspruch hinsichtlich der Einbeziehung der an seine Lebensgefährtin und deren Tochter gezahlten Beträge (insgesamt 230,43 Euro). Daraufhin änderte die Beklagte ihre Entscheidung und teilte dem Kläger mit, es seien für die Zeit vom 5.12.2009 bis 18.12.2009 von einem täglichen Leistungsbetrag von jeweils 36,03 Euro verschiedene Einbehalte wegen eines Erstattungsanspruchs des Beigeladenen bis zur Gesamthöhe von 445,95 Euro abzuziehen (Änderungsbescheid vom 19.1.2010).

5

Die Beklagte wies den Widerspruch, den der Kläger auch auf den Änderungsbescheid erstreckt hatte, als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 7.6.2010). Zur Begründung führte sie ua aus, eine Absetzung für Tage im Dezember 2009 sei lediglich aus technischen Gründen erfolgt und die für Ehepartner und Kinder geltende Ausgleichsregelung sei entsprechend auch auf die Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter anzuwenden.

6

Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weiteres Alg in Höhe von 230,43 Euro zu zahlten (Urteil vom 29.9.2011). Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassenen Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zurückgewiesen (Urteil vom 29.11.2012). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Ein Bezieher von Alg habe gemäß § 34a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der im Jahre 2010 geltenden Fassung nur eine Berücksichtigung der Leistungen an seinen nicht getrennt lebenden Ehe- oder Lebenspartner sowie seine Kinder hinzunehmen, nicht aber einen Ausgleich mit an eine Lebensgefährtin und deren Kinder erbrachten Leistungen. Eine entsprechende Anwendung des § 34a SGB II sei nicht möglich; der Gesetzgeber habe sehenden Auges darauf verzichtet, eine diesbezügliche Rechtsänderung vorzunehmen.

7

Die vom LSG zugelassene Revision haben jeweils die Beklagte und der Beigeladene eingelegt. Beide Revisionsführer rügen eine Verletzung des § 34a SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (aF). Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus: Die Ehe dürfe gegenüber einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in ungerechtfertigter Weise schlechter gestellt werden. § 34a SGB II aF sei deshalb so auszulegen, dass er auch eine nichteheliche Lebensgefährtin erfasse. Der in § 34a SGB II aF verwendete Begriff des "Lebenspartners" sei nicht im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) zu verstehen, sondern im Sinne eines allgemeinen Partnerbegriffs. Zumindest sei eine analoge Anwendung geboten.

8

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29.11.2012 und das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29.9.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen,

10

Er hält die Urteile des LSG und des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die Revisionen sind unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

12

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler liegen nicht vor.

13

Die Revisionen wie auch die Berufungen sind jeweils kraft Zulassung statthaft; daran ist der Senat gebunden. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die materielle Beschwer und damit die Rechtsmittelberechtigung des Beigeladenen (vgl etwa BSGE 81, 207, 208 = SozR 3-2500 § 101 Nr 2 mwN). Denn die Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch wirkt sich auch auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen aus und dieser sieht sich bei Erfolg der Klage einer Rückerstattungsforderung hinsichtlich der bereits erstatteten 230,43 Euro ausgesetzt (§ 112 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch).

14

Das LSG ist auch zu Recht von der Zulässigkeit der Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) ausgegangen. Die angefochtenen Bescheide vom 7.1.2010 bzw 19.1.2010, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.6.2010, enthalten in Bezug auf die vorgenommenen Einbehaltungen von den kalendertäglichen Leistungsbeträgen, die Nichtauszahlung in bestimmter Höhe und die Ankündigung der Auszahlung in gleicher Höhe an den Beigeladenen eigenständige Verfügungssätze. Zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf Auszahlung von Alg ist der Kläger gehalten, gegen die ihn belastenden Regelungen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vorzugehen.

15

2. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit die Beklagte in ihnen verfügt hat, von den Leistungsansprüchen des Klägers auch jene 230,43 Euro einzubehalten und an den Beigeladenen zu erstatten, die zuvor an die Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter gezahlt worden sind. Insoweit hat das SG die Bescheide zu Recht aufgehoben und das LSG diese Entscheidung zu Recht bestätigt. Klarzustellen ist, dass sich die Aufhebung der Bescheide durch das SG - wie sich auch aus den Gründen der vorinstanzlichen Entscheidungen unzweifelhaft ergibt - nur auf die vom Kläger angefochtenen Verfügungssätze bezieht und die ebenfalls den Bescheiden zu entnehmende Bewilligung bzw Auszahlung von Alg für die übrigen Zeiten ab 5.12.2009 unberührt lässt.

16

a) Offenlassen kann der Senat, ob sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide bereits daraus ergibt, dass die Ausgangsbescheide zunächst Verfügungen über Einbehaltungen für Teile des Monats Dezember 2009 enthalten, obwohl der Beigeladene Leistungen an den Kläger, seine Lebensgefährtin und deren Tochter erst für den Monat Januar 2010 erbracht hat. Dass damit dem Erfordernis einer zeitlichen Kongruenz zwischen zu erstattender und ersetzender Leistung (vgl hierzu Urteil des Senats vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4) nicht Rechnung getragen ist, hat die Beklagte später erkannt und insoweit im Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Regelungen der Ausgangsbescheide beruhten lediglich auf technischen Gründen, beträfen aber der Sache nach den Ausgleich von im Januar 2010 erbrachten Leistungen. Ob ein solches Vorgehen rechtmäßig ist, ist im Hinblick auf §§ 33, 41 SGB X sowie das Fehlen einer formellen Abhilfeentscheidung zweifelhaft. Die Frage kann aber auf sich beruhen, weil der Kläger jedenfalls aus anderen Gründen Anspruch auf Auszahlung der streitgegenständlichen einbehaltenen Beträge hat.

17

b) Dass dem Kläger in der streitgegenständlichen Höhe Alg zusteht, folgt bereits aus der nicht angegriffenen Bewilligungsentscheidung der Beklagten und ist auch sonst zwischen den Beteiligten nicht streitig. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen kann dem Anspruch des Klägers auch nicht der Einwand der Erfüllung entgegengehalten werden.

18

Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Ein solcher Erstattungsanspruch ergibt sich unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht aus § 104 Abs 1 S 1 SGB X, weil es bereits an der erforderlichen Personenidentität zwischen den von der zur Erstattung angemeldeten Leistung Begünstigten - hier der Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter - und dem Leistungsberechtigten - hier dem Kläger - mangelt(vgl zum Erfordernis der Personenidentität Urteile des Senats vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3, und vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4).

19

c) Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 34a SGB II in der hier anzuwendenden aF, die durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) eingeführt worden ist. Die Vorschrift bestimmt - ähnlich wie seit 1.4.2011 § 34b SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) - für den Fall eines Rechts des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Ersatz seiner Aufwendungen von einem anderen zu verlangen, gegen den Leistungsberechtigte einen Anspruch haben, dass als Aufwendungen auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gelten, die an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen erbracht wurden sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Die Vorschrift kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, weil die Tatbestandsvoraussetzungen - Ehegatte, Lebenspartner, Kind - nicht erfüllt sind.

20

Gegen eine unmittelbare Anwendung des § 34a SGB II aF auf die Lebensgefährtin des Klägers als sonstige Lebenspartnerin spricht der eindeutige Wortlaut der Norm. Nach dem für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs (SGB) geltenden § 33b Erstes Buch Sozialgesetzbuch ist die Lebenspartnerschaft im Sinne des SGB eine solche nach dem LPartG, also eine Verbindung gleichgeschlechtlicher Personen(§ 1 Abs 1 LPartG). Dementsprechend ist mit dem Lebenspartner iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst b SGB II in Abgrenzung zum Ehegatten nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II und sonstigen die Lebensführung gemeinsam bestreitenden Personen nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c, Abs 3a SGB II nur eine Person gemeint, die eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nach dem LPartG begründet hat. Dem Vorbringen der Revisionsführer, der Begriff des Lebenspartners sei im Sinne eines allgemeinen Partnerbegriffs zu verstehen, vermag der Senat nicht zu folgen.

21

Eine unmittelbare Anwendung des § 34a SGB II aF auf die Tochter der Lebensgefährtin des Klägers ist deswegen nicht möglich, weil diese kein leibliches Kind des Klägers ist. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 34a SGB II aF erfasst die Vorschrift nur Kinder des Leistungsberechtigten. Dies folgt sinngemäß auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 114 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), dem § 34a SGB II nachgebildet ist(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27; vgl auch früher § 140 Bundessozialhilfegesetz). Soweit zu § 34b SGB II, der seit 1.4.2011 an die Stelle des § 34a SGB II aF getreten ist und im Wortlaut gegenüber § 34a SGB II aF geringfügig abweicht, die Auffassung vertreten wird, die Vorschrift erfasse auch Kinder von Ehegatten oder Lebenspartnern(vgl Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 34b RdNr 30, Stand Februar 2012), kann offenbleiben, ob dem zu folgen ist. Der Senat vermag aus der Formulierung in § 34b SGB II ("deren oder dessen unverheiratete Kinder") nicht zweifelsfrei zu erkennen, ob damit eine Änderung im Vergleich zu § 34a SGB II ("dessen unverheiratete Kinder") beabsichtigt war, zumal den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für eine Änderungsabsicht des Gesetzgebers zu entnehmen sind. Im vorliegenden Fall ist jedoch allein § 34a SGB II aF anzuwenden und dessen Fassung lässt keinerlei Zweifel aufkommen, dass er sich nur auf Kinder des Leistungsberechtigten selbst bezieht.

22

Entgegen dem Vorbringen der Revisionsführer ist es nicht möglich, § 34a SGB II aF auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden. Soweit im Schrifttum eine analoge Anwendung mit Hinweisen auf den Zweck der Entlastung des Grundsicherungsträgers und die Annahme des wechselseitigen Einstehens innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs 2 SGB II befürwortet worden ist(vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 34b RdNr 22; zustimmend Maul-Sartori, BB 2010, 3021, 3023), ist zunächst klarzustellen, dass es sich bei der Bestimmung des Personenkreises, der bei Ersatzansprüchen des Grundsicherungsträgers im Sinne einer Modifizierung des Grundsatzes der Personenidentität zu berücksichtigen ist, um eine bewusste Begrenzung des Gesetzgebers handelt, sodass bereits aus diesem Grund keine ungewollte Regelungslücke zu erkennen und damit eine Analogie als ausgeschlossen anzusehen ist (in diesem Sinne etwa: Schellhorn in Hohm, GK-SGB II, § 34a RdNr 5, Stand Januar 2008; Hölzer in Estelmann, SGB II, § 34a RdNr 26, Stand Mai 2009; Cantzler in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 34b RdNr 4; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 34b RdNr 16; S. Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 34b SGB II).

23

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen steht einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF aber insbesondere dessen Ausnahmecharakter entgegen. Die der Vorschrift zu entnehmende Abweichung vom Erfordernis der Personenidentität, die bei einem nachträglich zutage tretenden vorrangigen Leistungsanspruch eines Berechtigten auch die Berücksichtigung von Grundsicherungsleistungen zulässt, die nicht an den Berechtigten selbst, sondern an Dritte aus dessen Umfeld erbracht worden sind, enthält eine gesetzliche Fiktion und insoweit einen nicht unerheblichen Eingriff in den Rechtskreis des Berechtigten, der einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Zu bedenken ist dabei, dass der Anspruch auf Alg durch die Eigentumsgarantie des Art 14 Grundgesetz (GG) geschützt ist (vgl BVerfGE 72, 9 = SozR 4100 § 104 Nr 13). Der Eingriff in die Rechtsposition des Inhabers des Anspruchs auf Alg kann als gerechtfertigt angesehen werden, weil er diesen so stellt, wie er stünde, wenn er sich pflichtgemäß verhielte, wenn er also sein Einkommen zur Bedarfsdeckung jener Personen mit einsetzen würde, denen er familienrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist. Insofern antizipiert § 34a SGB II aF in zulässiger Weise eine Form der Selbsthilfe, die in einer durch unterhaltsrechtliche Beziehungen geprägten Bedarfsgemeinschaft geboten ist. Dadurch schützt § 34a SGB II aF zugleich den Familienfrieden, indem er Aufhebungen bzw Rückforderungen nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X iVm § 50 SGB X und damit unter Umständen Streitigkeiten um die Verteilung zugeflossenen Einkommens aus der vorrangigen Sozialleistung verhindert.

24

Von einer vergleichbaren Rechtfertigung kann dagegen bei einer Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 34a SGB II aF auf Lebensgefährten und deren Kinder keine Rede sein. Zwar wird auch zwischen diesen Personen und dem Inhaber des Anspruchs auf die vorrangige Leistung von einem gemeinsamen Wirtschaften und einem Einstehen füreinander ausgegangen (§ 2 Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1, § 7 Abs 3 und Abs 3a, § 9 Abs 2 SGB II). Gleichwohl hat es der Gesetzgeber - bewusst - unterlassen, für den genannten Personenkreis gegenseitige unterhaltsrechtliche Ansprüche zu formulieren, falls entgegen der Vermutung des Einstehens füreinander das einer Bedarfsgemeinschaftsmitglied zufließende Einkommen nicht zur gemeinsamen Bedarfsdeckung verwendet wird. Damit kann bei nicht ehelichen bzw nicht lebenspartnerschaftlichen Lebensgefährten und bei Kindern anderer Personen als der des Berechtigten der von § 34a SGB II aF bezweckte Erfolg, ein pflichtgemäßes Verhalten normativ vorwegzunehmen, nicht erreicht werden. Zudem bleibt es dem Träger der Grundsicherung unbenommen, auf den Zufluss von Einkommen gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft jeweils einzeln nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3, § 50 SGB X zu reagieren. Einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF auf die vorliegende Fallgestaltung steht somit kein legitimer Zweck und keine der gesetzlichen Regelung vergleichbare Interessenlage zur Seite.

25

Soweit der Senat zum früheren Recht entschieden hat, dass bei Erstattungsansprüchen infolge des sich überschneidenden Bezugs von Sozialhilfe und vorrangiger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in analoger Anwendung des § 140 BSHG auch Lebensgefährten zu erfassen sind(Urteil vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3), berührt dies die vorliegende Entscheidung nicht. Denn die Alhi beruhte als steuerfinanzierte Leistung vorwiegend auf staatlicher Gewährung und nahm nicht am grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art 14 GG teil (BVerfGE 128, 90 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23). Die genannte frühere Rechtsprechung kann somit nicht auf eine Fallgestaltung übertragen werden, in der es um einen Eingriff in die vom GG geschützte Rechtsstellung des Inhabers des Anspruchs auf Alg geht.

26

Der Senat vermag schließlich nicht zu erkennen, dass durch die Verneinung einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF auf die vorliegende Fallgestaltung das durch Art 6 Abs 1 GG institutionell geschützte Lebensmodell der Familie(vgl Badura in Maunz/Dürig, GG, Art 6 RdNr 69 ff mwN, Stand April 2012) in abwertender Weise diskriminiert würde. Denn die für eine eheliche bzw unterhaltsrechtlich geprägte Gemeinschaft über § 34a SGB II aF mögliche Korrektur eines "voreiligen" Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann bei anderen Gemeinschaften in anderer Weise durch § 48 Abs 1 S 2 Nr 3, § 50 SGB X ebenfalls erreicht werden.

27

Die Revisionen sind somit zurückzuweisen.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

(3) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(4) Sind mehrere Leistungsträger vorrangig verpflichtet, kann der Leistungsträger, der die Sozialleistung erbracht hat, Erstattung nur von dem Leistungsträger verlangen, für den er nach § 107 Abs. 2 mit befreiender Wirkung geleistet hat.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. Februar 2012 - L 7 SO 169/11 - aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Beschwerden der Kläger gegen die weiteren Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. Februar 2012 - L 7 SO 170/11 und L 7 SO 173/11 - werden als unzulässig verworfen.

Gründe

1

I. Die Kläger machen als Rechtsnachfolger in drei vom Senat verbundenen Verfahren Leistungen ihrer während des Berufungsverfahrens verstorbenen Mutter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) geltend.

2

Ein Antrag für einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei der Beklagten und die Klage zum Sozialgericht Frankfurt blieben ohne Erfolg (Bescheid vom 19.11.2009; Widerspruchsbescheid vom 26.3.2010; Urteil vom 11.8.2010 - S 30 SO 51/10), ebenso ein Antrag und die Klage auf Übernahme einer höheren Telefongrundgebühr als Hilfe zur Pflege (Bescheid vom 18.11.2009; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2010; Urteil vom 11.8.2010 - S 30 SO 53/10) sowie ein Antrag und die Klage auf einen höheren Mehrbedarf wegen Alters und Nachweises des Merkzeichens G zu einem früheren Zeitpunkt (Bescheid vom 6.1.2010; Widerspruchsbescheid vom 12.4.2010; Urteil vom 11.8.2010 - S 30 SO 96/10).

3

Nach dem Tod der Mutter am 16.10.2011 haben die Kläger als Rechtsnachfolger die vorliegenden Verfahren (und weitere 16 Berufungsverfahren) fortgeführt. Mit Schreiben vom 5.12.2011, den Klägern zugestellt am 7.12.2011, hat das Landessozialgericht (LSG) - verbunden mit einer Anhörung zur vorgesehenen Entscheidung der Berufung durch Beschluss - darauf hingewiesen, Sozialhilfeansprüche seien grundsätzlich höchstpersönliche Ansprüche, die beim Tode des Berechtigten erlöschten. Dies könne einem Erfolg im Klageverfahren entgegenstehen. Es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23.12.2011. Mit Telefax, gerichtet an das LSG, datiert vom 7.12.2011, das einen gerichtlichen Eingangsstempel nicht trägt und nach der Fußzeile des Empfangsgeräts am 20.12.2011, 13.59 Uhr, eingegangen ist, haben die Kläger vorgetragen, es gebe selbstverständlich vorleistende Dritte bezüglich der geltend gemachten Bedarfe, sodass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von der Vererblichkeit der Ansprüche auszugehen sei. Mit einem an das LSG gerichteten Telefax, datiert vom 12.1.2012, das einen Eingangsstempel nicht trägt und nach der Fußzeile des Empfangsgeräts am 1.2.2012, 23.23 Uhr, eingegangen ist, haben die Kläger ein weiteres Schreiben vom 12.12.2011 übersandt, in dem sie ausführen, dass sie im Vertrauen auf die spätere Bewilligung Hilfe geleistet hätten und den Bedarf auf kostenaufwändige Ernährung gedeckt hätten.

4

Das LSG hat die Berufung der Kläger betreffend den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung als unbegründet zurückgewiesen (Beschluss vom 1.2.2012 - L 7 SO 169/11). Der geltend gemachte Anspruch sei jedenfalls mit dem Tode der Hilfesuchenden untergegangen. Die Rechtsnachfolger hätten zwar behauptet, es gebe selbstverständlich vorleistende Dritte, dieser Vortrag sei jedoch so unkonkret, dass er keinen Ansatz für weitere Ermittlungen biete. Auch die Berufung wegen der höheren Telefongrundgebühr hat das LSG zurückgewiesen (Beschluss vom 1.2.2012 - L 7 SO 170/11). Es könne offen bleiben, ob der Anspruch mit dem Tode der Hilfesuchenden untergegangen sei; jedenfalls bestehe kein Anspruch in der Sache, weil der hier zum 1.5.2009 vorgenommene Tarifwechsel, der zusätzlich Internetkosten beinhalte, mit unverhältnismäßigen Mehrkosten iS des § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII verbunden gewesen sei, die der Beklagte nicht zu übernehmen habe. Schließlich wurde die Berufung betreffend den Mehrbedarf wegen Alters und des Nachweises des Merkzeichens G ebenfalls zurückgewiesen (Beschluss vom 1.2.2012 - L 7 SO 173/11). Es könne offen bleiben, ob der Anspruch mit dem Tode der Hilfesuchenden untergegangen sei. Jedenfalls bestehe ein Anspruch in der Sache nicht; denn die Entscheidung des Beklagten, den Mehrbedarf erst mit dem "Besitz" eines entsprechenden Ausweises anzuerkennen, sei nicht zu beanstanden. Auch die Höhe entspreche mit 17 % des maßgeblichen Regelsatzes den gesetzlichen Regelungen. Die Beschlüsse des LSG sind am 9.2.2012 abgesandt und den Klägern am 11.2.2012, der Beklagten am 13.2.2012 zugestellt worden.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in den bezeichneten Beschlüssen wenden sich die Kläger mit ihren Beschwerden zum Bundessozialgericht (BSG). Sie rügen jeweils Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG habe unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit § 153 Abs 4, § 62 SGG verletzt. Es habe ferner seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 SGG) nicht genügt.

6

II. Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 1.2.2012 - L 7 SO 169/11 - sind zulässig. Sie sind nach Gewährung von Prozesskostenhilfe fristgerecht erhoben und genügen hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Mit der Rüge der Verletzung des § 153 Abs 4 SGG ist regelmäßig, auch ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, zugleich die Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufsrichtern und damit ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung gerügt(BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13). Nähere Ausführungen zur Kausalität sind deshalb entbehrlich (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 10 mwN). Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG konnte daher der Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

7

Das LSG hat mit seinem Vorgehen § 153 Abs 4 SGG verletzt. Es hätte nach dem von den Klägern in der Begründung der Beschwerde zutreffend dargestellten Sachstand nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen. Nach § 153 Abs 4 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zwar steht diese Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13; SozR 4-1500 § 153 Nr 7). Die Entscheidung des LSG beruht hier aber deshalb auf einer groben Fehleinschätzung, weil es aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen hat. Die Kläger haben auf den mit der Anhörung zur Entscheidung durch Beschluss verbundenen Hinweis des Gerichts hin vorgetragen, dass sie selbst im Vertrauen auf die spätere Bewilligung Hilfe vorgeleistet hätten. Diesen Vortrag hat das LSG, das lediglich den Vortrag im vorangegangenen Schreiben als nicht hinreichend substantiiert angesehen hat, nicht weiter zur Kenntnis genommen. Auf den Vortrag, wer als Dritter vorgeleistet hat, kam es nach der Rechtsauffassung des LSG aber an, denn es ist, der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 96, 18, 20) folgend, davon ausgegangen, Sozialhilfeansprüche seien nach Maßgabe der §§ 58, 59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ausnahmsweise (nur dann) vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt habe, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt habe.

8

Das LSG hat mit seinem Vorgehen die Kläger überdies nicht vor seiner Entscheidung ordnungsgemäß angehört, sodass auch von daher die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG nicht vorlagen. Auch die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verkürzt werden darf(BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5 mwN). Es hätte nach dem neuen Tatsachenvortrag der Kläger, der nach Ansicht des LSG entscheidungserheblich gewesen wäre, eine neue Anhörungsmitteilung erfolgen müssen, weil sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hatte (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 20 mwN zur stRspr des BSG).

9

Dies wäre auch nach Beschlussfassung erforderlich gewesen. Denn bei Eingang des weiteren Vorbringens war der Beschluss noch nicht wirksam geworden. Gemäß § 142 Abs 1 iVm § 133 SGG werden Beschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, erst mit der Zustellung wirksam. Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf, aber vor der Herausgabe der Entscheidung bei Gericht eingeht, ist von diesem also zu berücksichtigen. Auf Grundlage der Aktenführung kann der Tag des Eingangs des Schreibens der Kläger vom 12.12.2011 zwar nicht mit letzter Gewissheit festgestellt werden, weil ein Eingangsstempel auf jedem der bei Gericht per Telefax eingegangenen Schreiben der Kläger (wie auch schon auf den per Telefax übersandten Schreiben ihrer Mutter) fehlt. Aus der Fußzeile des Telefax, die offensichtlich von einem der Empfangsgeräte des LSG stammt, und der Paginierung der Akte ergibt sich aber, dass dem Gericht das Schreiben jedenfalls vor Absendung des Beschlusses am 9.2.2012 vorlag. Das LSG hätte aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht die Vorbereitung der Zustellung des Beschlusses abbrechen, die Sache wieder an sich ziehen und das Vorbringen der Kläger noch einbeziehen müssen (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 9 und SozR 4-1500 § 153 Nr 6 RdNr 8) und ggf eine erneute Anhörung durchführen müssen.

10

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen des LSG - L 7 SO 170/11 und L 7 SO 173/11 - sind dagegen nicht zulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.

11

Die Kläger bezeichnen mit ihrem Vorbringen zu den beiden genannten Verfahren keine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes in der gebotenen Weise. Sie beziehen sich entgegen den dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen nicht auf einen Beweisantrag, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wegen der Entscheidung des LSG im Hinblick auf den geltend gemachten Mehrbedarf nach § 30 Abs 1 SGB XII tragen sie im Übrigen nicht vor, vor dem Hintergrund der Rechtsauffassung des LSG hätten weitere Tatfragen als klärungsbedürftig erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen. Sie wenden sich insoweit allein gegen die der Würdigung des LSG zugrunde gelegte Rechtsauffassung, was einen Verfahrensmangel nicht begründet kann.

12

Auch soweit sie rügen, ihr Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) und § 62 SGG sei verletzt, weil das LSG sie nicht persönlich angehört habe, ist dieser Verstoß bezogen auf beide Verfahren nicht schlüssig dargetan. Die Beschwerdebegründung zeigt bereits nicht auf, weshalb die Möglichkeit des schriftlichen Vortrags nicht ausreichend gewesen sein sollte. Hierauf kann nicht allein aus der nach Auffassung der Kläger unzutreffenden Sachverhaltsfeststellung aufgrund einer abweichenden, von ihnen als fehlerhaft angesehenen Sachverhaltsaufklärung durch das LSG geschlossen werden. Die in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geregelte Beschränkung von Verfahrensrügen kann über den Umweg des § 62 SGG nicht erweitert werden(vgl BSG, Beschluss vom 28.7.1992 - 2 BU 37/92 -, HV-INFO 1993, 1406).

13

Soweit die Kläger schließlich als Verfahrensmangel geltend machen, das LSG habe zu Unrecht durch Beschlüsse ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 4 SGG entschieden, werden diese Verfahrensfehler ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Wie bereits ausgeführt, kann im (hier angestrebten) Revisionsverfahren insoweit nur überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen, nach § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden, erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat. Solche Umstände legt die Begründung der Beschwerden nicht dar. Da die Verfahrensmängel der Verstöße gegen § 103 SGG sowie gegen Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG nicht hinreichend substantiiert worden sind, kann das diesbezügliche Vorbringen bereits aus diesem Grund einen Verstoß gegen § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht schlüssig darlegen. Anders als im Verfahren L 7 SO 169/11 ist die Entscheidung des LSG nicht auf fehlende Rechtsnachfolge gestützt.

14

Das LSG wird über die Kosten aller drei Beschwerdeverfahren zu entscheiden haben.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1.7.2011 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1

Im Streit ist ein Anspruch auf Übergangsgeld (Übg) für den Zeitraum vom 17.10.2008 bis 16.1.2009.

2

Der Kläger besuchte ab 1.2.2008 eine zunächst bis 30.9.2008 dauernde Maßnahme zur beruflichen Integration, für deren Dauer ihm Übg bewilligt worden war. Nachdem er die die Maßnahme abschließende Sachkundeprüfung nicht bestanden hatte und am 16.10.2008 einen weiteren Prüfungsversuch unternehmen wollte, bewilligte die Beklagte Übg bis 16.10.2008. Die Prüfung am 16.10.2008, die der Kläger trotz Arbeitsunfähigkeit absolvierte, bestand er ebenfalls nicht. Seinen Antrag auf Anschluss-Übg lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.10.2008; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2008).

3

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.11.2010; Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1.7.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, ein Anspruch auf Anschluss-Übg setze den erfolgreichen Abschluss einer Maßnahme voraus. Hieran fehle es. Eine Fortzahlung des Übg wegen einer gesundheitsbedingten Unterbrechung scheide ebenfalls aus. Die Maßnahme sei am 16.10.2008 beendet und nicht nur unterbrochen worden. Dementsprechend scheide auch originäres Übg aus, weil sich der Kläger ab dem 17.10.2008 nicht mehr in einer von der Beklagten bewilligten bzw geförderten Maßnahme der beruflichen Rehabilitation befunden habe. Ein Anspruch auf so genanntes Zwischen-ÜbG (zwischen verschiedenen Maßnahmen) scheide jedenfalls aus, weil weitere Teilhabeleistungen für einen späteren Zeitraum nicht bewilligt worden seien und die Beklagte sie nicht ins Auge gefasst habe.

4

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

5

Hinreichende Erfolgsaussicht böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Keiner dieser Zulassungsgründe ist hier ersichtlich.

6

Der Rechtssache kommt ersichtlich keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Rechtssache wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. So hat das BSG insbesondere bereits mehrfach entschieden, dass Anschluss-Übg nach § 51 Abs 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), der gemäß § 160 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung- (SGB III) anwendbar ist, einen erfolgreichen Abschluss der Maßnahme voraussetzt(BSG, Urteil vom 23.2.2000 - B 5 RJ 38/98 R; BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 18). Der Auffassung des Klägers, er habe die Maßnahme nur "unterbrochen", sodass ihm ein Anspruch nach § 51 Abs 3 SGB IX zustehe, eröffnet schon deshalb keine Frage grundsätzlicher Bedeutung, weil nach den Feststellungen des LSG die Maßnahme am 16.10.2008 beendet worden ist. Dies gilt auch für das Zwischen-Übg zwischen zwei Maßnahmen nach § 51 Abs 1 und 2 SGB IX, weil keine weitere Maßnahme beabsichtigt war. Originäres Übg scheidet ohnehin mangels Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation im streitbefangenen Zeitraum aus. Ob die Entscheidung des LSG, insbesondere die von ihm getroffenen Feststellungen richtig sind, kann offen bleiben, weil die Richtigkeit einer Entscheidung im Rahmen einer durchzuführenden Nichtzulassungsbeschwerde nicht Gegenstand der grundsätzlichen Bedeutung sein kann.

7

Die Entscheidung des LSG weicht des Weiteren nicht von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG ab, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Schließlich kann nach Aktenlage auch kein Verfahrensmangel des LSG geltend gemacht werden, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Insbesondere durfte das LSG durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entscheiden, nachdem die Beteiligten vorher gehört wurden. Das LSG war nach der auf die Ankündigung einer Entscheidung durch Beschluss übersandten Stellungnahme des Klägers nicht gehalten, den Kläger erneut anzuhören. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur dann erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert. Eine neue Anhörung ist dann erforderlich, wenn ein Beteiligter nach der Anhörungsmitteilung substantiiert neue Tatsachen vorträgt, die eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen erfordern, bzw wenn er einen Beweisantrag stellt oder die Erhebung weiterer Beweise anregt, sofern diese entscheidungserheblich sind (vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 25.5.2011 - B 12 KR 81/10 B). Die nach der Anhörungsmitteilung gemachten Ausführungen des Klägers beinhalten jedoch nur Rechtsausführungen zu § 51 Abs 3 SGB IX.

8

Da dem Kläger keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a SGG, § 121 ZPO nicht in Betracht.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Mai 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Stundung einer Erstattungsforderung der Beklagten.

2

Den Stundungsantrag des Klägers lehnte die Beklagte wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ab(Bescheid vom 9.2.2011, Widerspruchsbescheid vom 27.10.2011). Die sofortige Einziehung der Rückforderung stelle keine erhebliche Härte dar; zudem werde durch eine Stundung der Anspruch gefährdet.

3

Das Sozialgericht (SG) hat nach mündlicher Verhandlung die auf Aufhebung der Bescheide der Beklagten sowie auf Neubescheidung des Stundungsantrags gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 7.12.2012). Die ursprünglich erlassene Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers ist im Termin aufgehoben worden, weil der Kläger am Verhandlungstag arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Das SG ist davon ausgegangen, der Kläger werde auch nach einer Stundung nicht eher in der Lage sein, die Forderung der Beklagten zu erfüllen.

4

Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt, diese jedoch zunächst nicht innerhalb der hierfür vom Landessozialgericht (LSG) gesetzten Frist begründet. Daraufhin hat das LSG die Beteiligten zu einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Innerhalb der zugleich gesetzten Frist zur Stellungnahme hat der Kläger die Berufung begründet und ua vorgetragen, durch eine Stundung werde der Anspruch der Beklagten nicht gefährdet. Zwar blieben seine Einnahmen tatsächlich voraussichtlich konstant; seine Belastungen würden aber stetig geringer. Die Restschuld des Wohnungsbeschaffungsdarlehens schwinde durch stetige Tilgung, die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn ende in absehbarer Zeit und seine Ehefrau könne in Kürze die Rückzahlung eines Sparbriefs erwarten.

5

Mit Beschluss vom 21.5.2013 hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG durch Entscheidung der Berufsrichter nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen. Eine mündliche Verhandlung sei auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung des Klägers nicht erforderlich. Dessen Hinweis auf die stetige Darlehenstilgung zeige, dass er bereits gegenwärtig leistungsfähig sei. Unerheblich sei der Verweis auf Vermögenswerte seiner Ehefrau, weil diese offenbar nicht gewillt sei, sich an der Tilgung der Erstattungsforderung der Beklagten zu beteiligen. Auch auf den bevorstehenden Wegfall der Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn komme es nicht an.

6

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG mit der Folge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Mit der Vorgehensweise, durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden, habe das LSG ihm die Möglichkeit der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung genommen, in der er die - aus Sicht des LSG entscheidungserheblichen, aber nicht vollständig geklärten - Tatsachenfragen hätte beantworten können. Der Auffassung des LSG, es könne ohne mündliche Verhandlung entscheiden, liege eine grobe Fehleinschätzung zugrunde. Es fehle zumindest an einer erneuten Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG, die erforderlich geworden sei, nachdem sich die Prozesssituation seit der erfolgten Anhörung durch die Vorlage der Berufungsbegründung wesentlich geändert habe.

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Der Beschwerdeführer hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schlüssig bezeichnet(§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Dieser Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor.

8

Der angefochtene Beschluss des LSG ist unter Verletzung des § 153 Abs 4 SGG ergangen. Damit ist auch der Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

9

Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 S 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Formale Voraussetzung für eine solche Vorgehensweise des LSG ist die vorherige Anhörung der Beteiligten (§ 153 Abs 4 S 2 SGG). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung.

10

Die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das auch bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verletzt werden darf(BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5 mwN). Dies beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass eine neue Anhörungsmitteilung erfolgen muss, wenn sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hat (zuletzt BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 33/12 B - Juris RdNr 8; vgl auch ua BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 10 mwN). Dies ist etwa der Fall, wenn nach Zugang der Anhörungsmitteilung von einem Beteiligten neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 14 f) oder wenn die Berufung erst dann (substantiiert) begründet wird (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 20a unter Hinweis auf BVerwG Buchholz 312 EntlG Nr 32, 50).

11

Im Berufungsverfahren hat sich mit der Vorlage der Berufungsbegründung durch den Kläger eine wesentliche Änderung der prozessualen Situation ergeben. Zum Zeitpunkt der Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG durch das LSG war nicht erkennbar, warum der Kläger das Urteil des SG für unzutreffend hält. Dagegen enthält die Berufungsbegründung substantiierte Angriffe auf die das erstinstanzliche Urteil tragende Erwägung, der Anspruch der Beklagten werde durch eine Stundung gefährdet. Dazu hat der Kläger (nach der Anhörungsmitteilung des LSG) auch neuen Tatsachenvortrag in das Verfahren eingeführt, der - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - entscheidungserheblich war. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger behauptete Verbesserung seiner Zahlungsfähigkeit in naher Zukunft.

12

Unter diesen Umständen durfte der Kläger davon ausgehen, dass das LSG ihm entweder Gelegenheit geben würde, seinen Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung zu vertiefen, oder ihm durch eine erneute Anhörungsmitteilung bekanntgeben würde, dass der LSG-Senat sein Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Dies hätte dem Kläger etwa Gelegenheit gegeben, vor der Entscheidung des LSG konkrete Beweisanträge zu stellen, um eine weitere Sachverhaltsaufklärung in seinem Sinne zu erreichen (siehe zu dieser Funktion der Anhörungsmitteilung BSG vom 6.6.2001 - B 2 U 117/01 B - Juris RdNr 2). Indem das LSG dies unterlassen und am 21.5.2013 die Berufung des Klägers im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zurückgewiesen hat, hat es die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG und den Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör verletzt.

13

Die angefochtene Entscheidung kann auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nicht auszuschließen ist, dass das LSG infolge des nach einer weiteren Anhörungsmitteilung zu erwartenden vertieften Sachvortrags des Klägers zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

14

Bei dem derzeitigen Verfahrensstand erscheint es dem Senat untunlich, sich zu den Voraussetzungen der begehrten Stundung zu äußern. Hingewiesen sei nur darauf, dass zunächst das Vorliegen oder Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB IV zu beurteilen ist, ehe es auf eine eventuelle Ermessensentscheidung der Beklagten ankommen kann.

15

Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen(§ 160a Abs 5 SGG).

16

Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Januar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der im Jahre 1951 geborene Kläger war bis zum Jahre 2002 im erlernten Beruf tätig. Auf den im Oktober 2005 gestellten Rentenantrag bewilligte ihm die Beklagte ab 1.11.2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit; einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinte sie, weil der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden arbeitstäglich leichte Erwerbstätigkeit verrichten könne (Bescheid vom 17.3.2006). Der auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.8.2006). Das SG hat die Klage nach Durchführung von medizinischen Sachverhaltsermittlungen abgewiesen (Urteil vom 13.5.2011).

3

Das LSG hat auf die in der Berufungsbegründung vorgetragenen Einwendungen gegen das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des Kardiologen Dr. M. dessen Stellungnahme (vom 7.11.2011) eingeholt. Mit deren Übersendung hat der Berichterstatter die Beteiligten unter dem 17.11.2011 darauf hingewiesen, dass eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts von Amts wegen nicht beabsichtigt sei, und hat zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG angehört. Er hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.1.2012 eingeräumt. Dem Kläger ist das Anhörungsschreiben am 21.11.2011 zugegangen.

4

Das LSG hat mit Beschluss vom 3.1.2012, dem Kläger am 9.1.2012 zugestellt, die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger nicht voll erwerbsgemindert sei (§ 43 Abs 2 SGB VI). Er könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens noch sechs Stunden arbeitstäglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies stehe zur Überzeugung des Senats nach Überprüfung sämtlicher vorliegenden medizinischen Unterlagen fest.

5

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Das LSG habe vor Ablauf der Anhörungsfrist (bis zum 15.1.2012) durch Beschluss am 3.1.2012 entschieden. Wäre fristgemäß rechtliches Gehör gewährt worden, hätte er den Antrag gestellt, Dr. C. zur mündlichen Verhandlung zu laden und ihn zu seiner Aussage im Zusatzgutachten vom 4.2.2010 zu befragen, wonach aus kardiologischer Sicht bei dem Kläger keine ausreichende Belastbarkeit mehr vorliege, die eine - auch nur eingeschränkte - Teilnahme am Berufsleben erlaube. Hätte das LSG diesen Vortrag beachtet, hätte es nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden und wäre nach Anhörung des Dr. C. zu einer anderen Entscheidung gekommen.

6

II. Auf die Beschwerde des Klägers war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

7

Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 S 2 SGG) gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

8

Das LSG hat § 153 Abs 4 S 2 SGG verletzt, wonach die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zu hören sind. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen diese Verfahrensvorschrift liegt darin begründet, dass es dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme (bis zum 15.1.2012) im Anhörungsschreiben vom 17.11.2011 eingeräumt und diese selbst nicht beachtet hat (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12 mwN).

9

Die Entscheidung des LSG kann auch auf der Verletzung von § 153 Abs 4 S 2 SGG beruhen. Die nach dieser Vorschrift nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung ist in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung auch in anderen Fällen nicht ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl BSG aaO RdNr 19).

10

Hierzu hat der Kläger in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (S 2) aber vorgetragen, dass er bei Ausschöpfung der Frist einen Antrag auf Befragung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. C. in der mündlichen Verhandlung zu der in seinem Zusatzgutachten vom 4.2.2010 getroffenen Aussage der unzureichenden Belastbarkeit des Klägers für eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestellt hätte. Dieser Vortrag ist ausreichend im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, wonach die Revision nur dann zuzulassen ist, wenn die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger noch innerhalb der bis zum Sonntag, 15.1.2012 (also nach § 64 Abs 3 SGG bis zum 16.1.2012) laufenden Frist den von ihm behaupteten Antrag ordnungsgemäß gestellt und das LSG daraufhin Dr. C. zu der aufgeworfenen Frage angehört hätte (§ 116 S 2 SGG).

11

Der beantragten Anhörung des Sachverständigen im Berufungsverfahren steht auch nicht von vornherein entgegen, dass das Fragerecht (§ 116 S 2 SGG) grundsätzlich nur innerhalb desselben Rechtszugs besteht, in dem das Gutachten eingeholt worden ist. Eine Anhörung des Sachverständigen Dr. C. in der nächsten Instanz kann jedoch verlangt werden, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens nach § 411 Abs 3 ZPO vorliegen und die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch die nunmehr tätige Instanz ermessenswidrig ist(Senatsbeschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BSG vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - SGb 2000, 269 - Juris RdNr 6). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, wird das LSG zu prüfen haben.

12

Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.

13

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. September 2011 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das Hessische LSG hat im Beschluss vom 6.9.2011 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten LSG-Beschluss ausschließlich Verfahrensmängel geltend.

3

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 30.11.2011 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat einen Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Wird die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, ist in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau zu benennen. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und darüber hinaus muss insbesondere dargestellt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 202 ff). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.

5

Dieser rügt zunächst eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG den Beschluss vom 6.9.2011 überraschend ohne vorherige Mitteilung erlassen habe. Nach der Anhörungsmitteilung des LSG vom 11.2.2010 hinsichtlich eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 S 1 SGG habe er mit Schreiben vom 18.7.2011 durch seinen Prozessbevollmächtigten "kurz die Klage mit dem Hinweis auf das Gutachten des Dr. S." begründet. Aufgrund der ihm anschließend vom Gericht übersandten Erklärung zur Entbindung von der Geheimhaltungspflicht und der ärztlichen Schweigepflicht habe er davon ausgehen dürfen, dass eine weitere Sachaufklärung stattfinden solle. Dr. S. habe unter dem 26.7.2011 eine Stellungnahme zu den Akten des LSG gereicht; diese enthalte auch eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 26.5.2010 zu berufs- und wirtschaftskundlichen Fragen. Die hierzu getroffenen richterlichen Verfügungen seien auf Bl 291 und Bl 295 (jeweils Rückseite) der Gerichtsakte dokumentiert, doch liege in der Akte eine Ausführung ebenso wenig vor wie eine Weiterleitung der Stellungnahme des Gutachters oder der berufs- und wirtschaftskundlichen Auskunft an seinen Prozessbevollmächtigten. Bei ordnungsgemäßer Aktenführung und Information der Beteiligten hätte die Möglichkeit bestanden, "weitere Argumente" vorzutragen.

6

Mit diesen Darlegungen ist eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht schlüssig aufgezeigt. Es fehlt bereits an Darlegungen, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Gehörsverletzung beruhen kann. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, welche konkreten Argumente von ihm vorgetragen worden wären und inwiefern diese eine abweichende Entscheidung hätten bewirken können. Dies gilt auch für die sinngemäß geltend gemachte Verletzung der Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG, denn eine solche stellt keinen absoluten Revisionsgrund dar(BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; Senatsbeschluss vom 23.2.2011 - B 13 R 19/10 BH - BeckRS 2011, 69538 RdNr 10; Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 9; soweit dem Senatsbeschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 15, 17, noch eine abweichende Aussage entnommen werden kann, hält der Senat daran nicht fest. S hierzu auch Bienert, NZS 2012, 885, 891).

7

Soweit der Kläger ferner beanstandet, dass in der Gerichtsakte weder eine Benachrichtigung der Beklagten über die Bevollmächtigung seines Prozessbevollmächtigten dokumentiert noch die Weiterleitung seiner "Klagebegründung" an diese durch ein Schreiben belegt sei, macht er schon nicht die Verletzung eigener Verfahrensrechte geltend. Er zeigt zudem auch insoweit nicht in nachvollziehbarer Weise auf, inwiefern hierauf die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann.

8

Entsprechendes gilt auch für die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Der Kläger sieht diesen Grundsatz dadurch verletzt, dass die Entscheidung nur 10 Tage nach dem Tod des Mitarbeiters A. (am 26.8.2011) des von ihm bevollmächtigten Sozialverbands ergangen sei, obwohl der Präsident des LSG am 29.8.2011 von der Geschäftsstelle des Verbands über diesen Umstand unterrichtet worden sei. Selbst wenn hierin ein Verfahrensmangel läge, ist auch insoweit nicht hinreichend dargetan, in welcher Weise dieser hätte entscheidungserheblich sein können.

9

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

10

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.