Bundessozialgericht Urteil, 15. Dez. 2015 - B 10 EG 2/15 R

bei uns veröffentlicht am15.12.2015

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Betreuungsgeld für seinen am 21.4.2012 geborenen Sohn.

2

Mit Art 1 Nr 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15.2.2013 (BGBl I 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat der Gesetzgeber in den §§ 4a bis 4d BEEG ab dem 1.8.2013 einen Anspruch auf Betreuungsgeld des Inhalts geschaffen, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 Euro pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm den §§ 22 bis 23 SGB VIII, also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden.

3

Der 1980 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland und seit September 2012 mit der Mutter seines am 21.4.2012 geborenen Sohnes verheiratet, machte mit Antrag vom 25.10.2013 erfolglos einen Anspruch auf Betreuungsgeld ab dem 1.8.2013 für seinen Sohn geltend (Bescheid vom 29.10.2013; Widerspruchsbescheid vom 7.11.2013). Das anschließende Klage- und Berufungsverfahren ist gleichfalls ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Karlsruhe vom 17.3.2013; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.10.2014). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Betreuungsgeld bestehe nicht, weil der Sohn des Klägers vor dem 1.8.2012 geboren sei. Nach § 27 Abs 3 S 1 BEEG in der ab 1.8.2013 geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 Buchst b des Betreuungsgeldgesetzes werde Betreuungsgeld nicht für vor dem 1.8.2012 geborene Kinder gezahlt. Während des Revisionsverfahrens, in welchem der Kläger die Verfassungswidrigkeit dieser Stichtagsregelung rügt, hat das BVerfG am 21.7.2015 (1 BvF 2/13 - NJW 2015, 2399 bis 2405) entschieden, dass die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.2.2013 mit dem GG unvereinbar und nichtig sind.

4

Der Kläger hat von einer weiteren Stellungnahme zum Urteil des BVerfG abgesehen und beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 2014 sowie des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. März 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. August 2013 Betreuungsgeld in gesetzlicher Höhe und Dauer für seinen am 21. April 2012 geborenen Sohn zu bewilligen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Nach der Entscheidung des BVerfG gebe es für das klägerische Begehren keine ersichtliche Anspruchsgrundlage mehr.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.

8

Das LSG hat im Ergebnis die Berufung zu Recht zurückgewiesen, weil die Klage nach der Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2015 (1 BvF 2/13) keinen Erfolg mehr haben kann. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf die Gewährung von Betreuungsgeld für sein am 21.4.2012 geborenes Kind, sodass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung in § 27 Abs 3 S 1 BEEG nicht mehr ankommt.

9

Gegenstand des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens ist die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm Abs 4 SGG), mit der sich der Kläger gegen die Ablehnung einer Betreuungsgeldgewährung für seinen Sohn für die Zeit ab 1.8.2013 wendet und dessen Leistung begehrt (Bescheid vom 29.10.2013; Widerspruchsbescheid vom 7.11.2013).

10

Im Ergebnis haben die Vorinstanzen zutreffend die Gewährung von Betreuungsgeld für das am 21.4.2012 geborene Kind des Klägers verneint, weil es für einen solchen Anspruch bereits an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehlt.

11

Das BVerfG hat die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom 15.2.2013 (BGBl I 254) mit Art 72 Abs 2 GG für unvereinbar und nichtig erklärt, weil die Voraussetzungen, unter denen der Bund nach Art 72 Abs 2 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung befugt ist, fehlen. Die Frage der Vereinbarkeit des Betreuungsgeldes nach §§ 4a bis 4d BEEG mit den Grundrechten brauche vor diesem Hintergrund nicht beantwortet werden und eine Übergangsregelung nach § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) erscheine nicht notwendig. Vertrauensschutzgesichtspunkten lasse sich nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X Rechnung tragen(Urteil vom 21.7.2015 - 1 BvF 2/13 - NJW 2015, 2399; siehe hierzu auch Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1). Diese Entscheidung hat am 24.8.2015 gemäß § 31 Abs 2 BVerfGG Gesetzeskraft erlangt(BGBl I 1565).

12

Danach kann der Kläger bereits aufgrund der Nichtigkeit des Gesetzes zur Einführung des Betreuungsgeldes vom 15.2.2013 (BGBl I 254) keinen Anspruch mehr geltend machen (1.). Ein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigendes Vertrauen liegt auf Seiten des Klägers ebenfalls nicht vor (2.).

13

1. Die Unvereinbarkeit des Betreuungsgeldgesetzes mit dem GG hat dessen Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit zur Folge. Regelungen die gegen höhere Normen - wie das GG - verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da die Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (vgl BSG vom 4.12.2014 - B 2 U 11/13 R - SozR 4-2700 § 161 Nr 1 = in BSGE vorgesehen, RdNr 28 mwN; BVerfG vom 3.11.1982 - 1 BvR 620/78 ua - BVerfGE 61, 319, Juris RdNr 101 mwN). Verstößt ein Gesetz gegen das GG, so ist es grundsätzlich von Anfang an nichtig und unwirksam (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 20 RdNr 33 mwN zur Rechtsprechung). Damit ist das vom BVerfG mit Gesetzeskraft für nichtig erklärte Betreuungsgeldgesetz von Anfang an unwirksam und aus diesem Gesetz können nicht bewilligte Ansprüche - wie im Falle des Klägers - nicht mehr hergeleitet werden.

14

2. Nichts anderes gilt für die Frage der Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes aufgrund eines eventuellen Vertrauens in die Leistungsbewilligung im Zeitpunkt vor der Nichtigkeitsfeststellung. Das BVerfG hat den Verzicht auf die Schaffung einer Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG damit begründet, dass genügend Vertrauensschutz der betroffenen Antragsteller gemäß § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X bestehe. Nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG bleiben indes grundsätzlich nur nicht mehr anfechtbare Bewilligungsbescheide über Betreuungsgeld als begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung von der Nichtigkeit unberührt unter Konkretisierung durch das SGB X(siehe hierzu insgesamt: Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1 zu C). Der Kläger kann von dieser Ausnahmevorschrift aber nicht profitieren, da er schon keine positive bescheidmäßige Betreuungsgeldgewährung erhalten hat, die hätte in Bestandskraft erwachsen können. Somit kann er keinerlei begründetes Vertrauen in eine Betreuungsgeldgewährung geltend machen. Etwas anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall auch nicht aus der Ankündigung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wonach Eltern, die Betreuungsgeld erhalten haben, "umfassender Vertrauensschutz" zuteil werden solle (vgl Dau, aaO, zu D mit Hinweis auf www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles). Selbst wenn diese Äußerung Vertrauen von Leistungsempfängern über die Regelung von § 79 BVerfGG hinaus begründen sollte, bezog sie sich eindeutig nur auf Inhaber eines positiven Bewilligungsbescheids. Zu dieser Gruppe zählt der Kläger nicht, weil der Beklagte seinen Antrag von Anfang an abgelehnt hat.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

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(1) Übt ein Elternteil eine systemrelevante Tätigkeit aus, so kann sein Bezug von Elterngeld auf Antrag für die Zeit vom 1. März 2020 bis 31. Dezember 2020 aufgeschoben werden. Der Bezug der verschobenen Lebensmonate ist spätestens bis zum 30. Juni 2021 anzutreten. Wird von der Möglichkeit des Aufschubs Gebrauch gemacht, so kann das Basiselterngeld abweichend von § 4 Absatz 1 Satz 2 und 3 auch noch nach Vollendung des 14. Lebensmonats bezogen werden. In der Zeit vom 1. März 2020 bis 30. Juni 2021 entstehende Lücken im Elterngeldbezug sind abweichend von § 4 Absatz 1 Satz 4 unschädlich.

(2) Für ein Verschieben des Partnerschaftsbonus genügt es, wenn nur ein Elternteil einen systemrelevanten Beruf ausübt. Hat der Bezug des Partnerschaftsbonus bereits begonnen, so gelten allein die Bestimmungen des Absatzes 3.

(3) Liegt der Bezug des Partnerschaftsbonus ganz oder teilweise vor dem Ablauf des 23. September 2022 und kann die berechtigte Person die Voraussetzungen des Bezugs aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht einhalten, gelten die Angaben zur Höhe des Einkommens und zum Umfang der Arbeitszeit, die bei der Beantragung des Partnerschaftsbonus glaubhaft gemacht worden sind.

(4) (weggefallen)

Tenor

§§ 4a bis 4d Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 254) sind mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

Gründe

A.

1

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die mit Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) eingefügten Bestimmungen der §§ 4a bis 4d BEEG, welche einen Anspruch auf Betreuungsgeld regeln.

I.

2

1. Die Regelungen zum Betreuungsgeld sehen im Wesentlichen vor, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 € pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs. 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII), also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Betreuungsgeld besteht unabhängig davon, ob der die Leistung beanspruchende Elternteil auf Erwerbstätigkeit verzichtet oder nicht.

3

Die zur Prüfung gestellten Bestimmungen lauten:

§ 4a

Berechtigte

(1) Anspruch auf Betreuungsgeld hat, wer

1. die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3, Absatz 2 bis 5, 7 und 8 erfüllt und

2. für das Kind keine Leistungen nach § 24 Absatz 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt.

(2) Können die Eltern ihr Kind wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod der Eltern nicht betreuen, haben Berechtigte im Sinne von Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 4 einen Anspruch auf Betreuungsgeld abweichend von Absatz 1 Nummer 2, wenn für das Kind nicht mehr als 20 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats Leistungen nach § 24 Absatz 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch genommen werden.

§ 4b

Höhe des Betreuungsgeldes

Das Betreuungsgeld beträgt für jedes Kind 150 Euro pro Monat.

§ 4c

Anrechnung von anderen Leistungen

Dem Betreuungsgeld oder dem Elterngeld vergleichbare Leistungen, auf die eine nach § 4a berechtigte Person außerhalb Deutschlands oder gegenüber einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung Anspruch hat, werden auf das Betreuungsgeld angerechnet, soweit sie den Betrag übersteigen, der für denselben Zeitraum nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 auf das Elterngeld anzurechnen ist. Stehen der berechtigten Person die Leistungen nur für einen Teil des Lebensmonats des Kindes zu, sind sie nur auf den entsprechenden Teil des Betreuungsgeldes anzurechnen. Solange kein Antrag auf die in Satz 1 genannten vergleichbaren Leistungen gestellt wird, ruht der Anspruch auf Betreuungsgeld bis zur möglichen Höhe der vergleichbaren Leistung.

§ 4d

Bezugszeitraum

(1) Betreuungsgeld kann in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Vor dem 15. Lebensmonat wird Betreuungsgeld nur gewährt, wenn die Eltern die Monatsbeträge des Elterngeldes, die ihnen für ihr Kind nach § 4 Absatz 2 und 3 zustehen, bereits bezogen haben. Für jedes Kind wird höchstens für 22 Lebensmonate Betreuungsgeld gezahlt.

(2) Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 kann Betreuungsgeld ab dem ersten Tag des 15. Monats nach Aufnahme bei der berechtigten Person längstens bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes bezogen werden. Absatz 1 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für einen Lebensmonat eines Kindes kann nur ein Elternteil Betreuungsgeld beziehen. Lebensmonate des Kindes, in denen einem Elternteil nach § 4c anzurechnende Leistungen zustehen, gelten als Monate, für die dieser Elternteil Betreuungsgeld bezieht.

(4) Der Anspruch endet mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist.

(5) Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 gelten in den Fällen des § 4a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 3 und 4 entsprechend. Nicht sorgeberechtigte Elternteile und Personen, die nach § 4a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 Betreuungsgeld beziehen können, bedürfen der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils.

4

2. Die Einführung des Betreuungsgeldes des Bundes mit Wirkung vom 1. August 2013 steht im Zusammenhang mit der Gesetzgebung des Bundes zum Ausbau öffentlich geförderter Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder unter drei Jahren und der Schaffung eines einklagbaren Anspruchs auf einen solchen Betreuungsplatz.

5

Im Jahr 2008 wurden mit dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz vom 10. Dezember 2008, BGBl I S. 2403) die Möglichkeiten verbessert, ein Kleinkind in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreuen zu lassen. Zum einen wurde geregelt, dass ab dem 1. August 2013 vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes ein unbedingter Anspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege besteht (§ 24 Abs. 2 SGB VIII). Zum anderen wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundes der Ausbau der öffentlich geförderten Kinderbetreuung vorangetrieben (vgl. Artikel 3 KiföG, BGBl I 2008, S. 2403 <2407 f.>). Ausweislich der Begründung des Entwurfs zum Kinderförderungsgesetz sollte sich der Bund in der Ausbauphase bis 2013 an der Ausbaufinanzierung mit insgesamt bis zu 4 Mrd. € und ab 2014 an den Betriebskosten mit 770 Mio. € pro Jahr beteiligen (BTDrucks 16/9299, S. 10). Dieser Bundesbeteiligung diente das auf Art. 104b GG gestützte Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens "Kinderbetreuungsausbau" und zur Entfristung des Kinderzuschlags vom 18. Dezember 2007 (Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz , BGBl I S. 3022).

6

In dem durch das Kinderförderungsgesetz neu eingefügten - im Zuge der Einführung des Betreuungsgeldes aufgehobenen - § 16 Abs. 4 (später Abs. 5) SGB VIII hieß es, dass ab 2013 "für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden" soll. Ein über diese Ankündigung hinausgehender, rechtlich verbindlicher Anspruch auf Betreuungsgeld wurde allerdings erst durch das hier angegriffene Betreuungsgeldgesetz geschaffen und näher ausgestaltet, das am 1. August 2013 in Kraft getreten ist. Zeitgleich mit dem Betreuungsgeldgesetz wurde das Gesetz zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 250) ausgefertigt, durch das insbesondere das mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz bereitgestellte Sondervermögen des Bundes um 580,5 Mio. € aufgestockt wurde.

7

3. a) Zum Zweck der Einführung eines Betreuungsgeldes finden sich in der Begründung des Gesetzentwurfs unter anderem folgende Erwägungen (BTDrucks 17/9917, S. 7):

"Das Betreuungsgeld ist durch den Zweck der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern und durch die Schaffung von größeren Gestaltungsfreiräumen für die familiäre Kinderbetreuung gekennzeichnet. Es verbessert die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern und schließt die verbliebene Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. ...

Eltern treffen verantwortungsvolle Entscheidungen mit Blick auf die Betreuung ihrer Kinder. Mütter und Väter wählen die Betreuung, die für ihr Kind am besten ist. Auf die Frage nach dem richtigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot gibt es keine einheitliche Antwort für jedes Kind. Ob externe oder familieninterne Betreuung, ob Tageseinrichtung, Kindertagespflege, Elterninitiative, Betreuung bei Vater oder Mutter, durch Großeltern oder Au pair, ob Ganztagsangebot oder stundenweise Inanspruchnahme, alle diese Optionen sollen sich im Interesse von Vielfalt und Wahlfreiheit idealerweise ergänzen. Deshalb ist es die Aufgabe staatlicher Familienförderung, alle Formen der Kleinkindbetreuung zu unterstützen, Barrieren abzubauen und Übergänge zu ermöglichen.

Für die öffentliche Förderung in Tageseinrichtungen sind im Kinderförderungsgesetz jährliche Bruttobetriebskosten von 12 000 Euro pro Platz in Ansatz gebracht worden; für einen Platz in der Kindertagespflege sind dies 9 450 Euro (Bundestagsdrucksache 16/9299 S. 22). Diese Förderung erhalten alle Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation, da die Beiträge der Eltern nicht kostendeckend sind. Die staatliche Förderung kann im Einzelfall bei einer Gebührenfreistellung bis zu 100 Prozent betragen. Dementsprechend wird jeder Betreuungsplatz mit einem erheblichen staatlichen Anteil gefördert. Dies belegt zum Beispiel eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, das eine bundesweite Erhebung für das Kindergartenjahr 2009/2010 durchgeführt hat (Kindergarten-Monitor 2009/2010). So reichten die Beiträge für Familien mit mittleren Einkommen für einen Betreuungsplatz von 0 Euro bis zu 1 752 Euro im Jahr. Angesichts von Kosten von 12 000 Euro in Tageseinrichtungen und von 9 450 Euro in der Tagespflege ist selbst dieser Höchstbetrag weit davon entfernt, kostendeckend zu sein. Dies gilt selbst bei einem jährlichen Höchstbetrag von 2 520 Euro für Familien mit hohen Einkommen.

Diejenigen Eltern, die diese öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung nicht in Anspruch nehmen, erhalten demgegenüber bislang keine Förderung. Diese verbliebene Förderlücke für Eltern, die keinen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, schließt der Bundesgesetzgeber mit der Einführung eines Betreuungsgeldes, die er bereits mit der Einfügung des § 16 Absatz 5 SGB VIII im Jahr 2008 aufgezeigt hat. …"

8

b) Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes findet sich in der Begründung des Gesetzentwurfs Folgendes (BTDrucks 17/9917, S. 8 f.):

"Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeld folgt - entsprechend der Gesetzgebungskompetenz für Elterngeld und Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 7 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). ... Bei Familien mit kleinen Kindern ist eine entsprechende Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit anzunehmen. Diese Auslegung wird auch durch den staatlichen Schutz- und Förderauftrag des Artikels 6 Absatz 1 GG gestützt und konkretisiert. Die Fürsorge kann nicht auf die Bereitstellung von Hilfe in staatlichen oder staatlich geförderten Kinderbetreuungsangeboten beschränkt werden, sondern muss der Gestaltungsfreiheit der Eltern Rechnung tragen. Daher fallen auch finanzielle Leistungen, die direkt Familien zugutekommen, in den Bereich der präventiven Maßnahmen der öffentlichen Fürsorge.

Die Einführung eines Betreuungsgeldes steht in Einklang mit Artikel 72 Absatz 2 GG, wonach der Bund das Gesetzgebungsrecht hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. ...

Bis heute bestehen zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung, die nicht zuletzt auch auf eine jeweils unterschiedliche Bewertung der Tagesbetreuung für Kleinkinder zurückzuführen sind. ... Zugleich wird von Bund und Ländern seit Jahren der Ausbau der Kindertagesbetreuung gefördert und damit eine bestimmte Form der frühkindlichen Betreuung unterstützt. Diese Form öffentlicher Betreuung wird bei der Inanspruchnahme unter Berücksichtigung von sozial gestaffelten Kostenbeiträgen der Eltern staatlich subventioniert, während Eltern, die sich für eine individuelle Betreuung innerhalb der Familie entscheiden, bislang keine entsprechende finanzielle Unterstützung erhalten.

Daher ist es zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, als flächendeckende und deshalb notwendig bundesgesetzlich zu regelnde Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte auch eine individuelle Betreuung innerhalb der Familie zu fördern und damit eine echte Wahlfreiheit für Eltern zwischen der Betreuung innerhalb der Familie und der Betreuung in öffentlichen oder privat organisierten Betreuungsangeboten zu schaffen. Mit dem Betreuungsgeld strebt der Gesetzgeber im Interesse der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eine Förderung an, die im Ergebnis allen Eltern im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen zugutekommt. Einige Eltern erhalten eine Förderung, indem sie staatlich geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, während die anderen Eltern Förderung durch das Betreuungsgeld erhalten.

Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Artikels 6 Absatz 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. ..."

II.

9

1. Die Anzahl der Bezüge von Betreuungsgeld ist seit Einführung des Betreuungsgeldanspruchs nach Angaben des Statistischen Bundesamts kontinuierlich gestiegen. In den alten Bundesländern wurden zuletzt 425.865 gegenüber 29.456 Leistungsbezügen in den neuen Bundesländern (einschließlich Berlin) registriert. Die durchschnittliche Bezugsdauer in Deutschland lag bei 19,7 (von 22 möglichen) Monaten, wobei in den neuen Ländern einschließlich Berlin eine Bezugsdauer von lediglich durchschnittlich 15,5 Monaten zu verzeichnen war. Das Betreuungsgeld wurde überwiegend von Müttern und nur zu sehr geringem Anteil von Vätern in Anspruch genommen. 94,6 % der Leistungsbezüge erfolgten durch Mütter.

10

2. Auch das Betreuungsplatzangebot und dessen Nutzung sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Hierüber gibt der jüngste Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes Aufschluss (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, März 2015, Kurzfassung S. 1 f.). Danach lag die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren in Betreuungseinrichtungen im Jahr 2014 bei 32,3 %. Im Jahr 2008 hatte sie noch 17,6 % betragen. Dabei war die Betreuungsquote in den neuen Bundesländern im Jahr 2014, wie auch in den Vorjahren, höher als in den alten Bundesländern (neue Bundesländer mit Berlin 52 %, alte Bundesländer 27,4 %).

11

3. Eine von der Technischen Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut durchgeführte Studie hat unter anderem den Einfluss des Betreuungsgeldes auf Betreuungsentscheidungen von Eltern analysiert (vgl. Fuchs-Rechlin, in: Fuchs-Rechlin/Kaufhold/Thuilot/Webs, Bericht des Forschungsverbunds der TU Dortmund sowie des Deutschen Jugendinstituts, August 2014, Der U3-Ausbau im Endspurt - Analysen zu kommunalen Betreuungsbedarfen und Betreuungswünschen von Eltern, Kapitel 8, S. 132 ff.). Danach hätten von jenen Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind wünschten, rund 13 % angegeben, dass für diese Entscheidung das Betreuungsgeld eine Rolle gespielt habe. Allerdings variiere der Einfluss des Betreuungsgeldes in Abhängigkeit von bestimmten Merkmalen, vor allem vom Migrations- und Bildungsstatus: Je höher das Bildungsniveau in der Familie sei, desto geringer erscheine der monetäre Anreiz des Betreuungsgeldes. So stimmten von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt, 31 % derjenigen, die keinen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind wünschten, der Aussage zu, das Betreuungsgeld sei Grund für die Entscheidung gewesen, keinen Betreuungsplatz in Anspruch zu nehmen. Bei Eltern mit einem Hauptschulabschluss seien es 23 %. Bei den Familien mit einer mittleren Reife als höchstem Bildungsabschluss liege dieser Anteil bei 14 % und bei Familien mit Hochschulreife beziehungsweise mit Hochschulabschluss reduziere sich dieser Anteil weiter auf 10 % beziehungsweise auf 8 %. Von den Familien mit Migrationshintergrund, die sich keine außerhäusliche Betreuung wünschten, gaben 25 % an, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür gewesen (vgl. Fuchs-Rechlin, in: Fuchs-Rechlin/Kaufhold/Thuilot/Webs, a.a.O., S. 134).

III.

12

Der Antragsteller hält die durch das Betreuungsgeldgesetz eingeführten Kernregelungen zum Betreuungsgeld (§§ 4a bis 4d BEEG) für verfassungswidrig.

13

1. Die Bestimmungen seien formell verfassungswidrig, weil dem Bund hierfür keine Gesetzgebungskompetenz zustehe.

14

Die Zahlung für die Nichtinanspruchnahme bestimmter öffentlich geförderter Maßnahmen stelle keine Regelung der öffentlichen Fürsorge dar und falle daher nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG.

15

Das Betreuungsgeld sei zudem nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich. Der Bund stütze die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung auf den landesspezifisch unterschiedlichen Grad der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder. Zu einer Verringerung der angeführten Diskrepanz trage das Betreuungsgeld aber nichts bei. Zudem sei das Betreuungsgeld nicht mit den Aktivitäten der Länder und Kommunen abgestimmt, sondern gefährde deren Möglichkeit, eine bedarfsgerechte, regional und örtlich angepasste Gesamtschau von Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern umzusetzen. Damit greife es schwerwiegend in die Länderzuständigkeiten ein. Das gehe so weit, dass Bemühungen, ein bestimmtes Förderangebot beitragsfrei anzubieten, konterkariert würden.

16

2. Das Betreuungsgeldgesetz sei zudem sachlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 sowie gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

IV.

17

1. Zu dem Normenkontrollantrag haben sich die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung, die Niedersächsische Landesregierung sowie folgende sachkundige Dritte schriftlich geäußert: das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund, der Bundesverband für Kindertagespflege, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband, die Diakonie Deutschland, der Deutsche Caritasverband, der Deutsche Familienverband sowie das Deutsche Jugendinstitut.

18

2. a) Die Bundesregierung hält das Betreuungsgeldgesetz für kompetenzgemäß. Die Voraussetzungen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 und des Art. 72 Abs. 2 GG seien erfüllt. Das Erfordernis der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sei gegeben. Objektiv bestehe weiterhin ein Unterschied zwischen den einzelnen Ländern bei der Ausstattung mit Kinderbetreuungsangeboten. Das Betreuungsgeld könne zwar diese Unterschiede nicht beseitigen. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Familien mit kleinen Kindern sei aber nach Einschätzung des Gesetzentwurfs auch dadurch gefährdet, dass Familien, die sich gegen eine externe Betreuung entschieden, aufgrund divergierender Werthaltungen verbreitet mit fehlender Akzeptanz ihrer Entscheidung konfrontiert seien. Das Fehlen sozialer Akzeptanz werde durch die mit der Zahlung von Betreuungsgeld verbundene öffentliche Anerkennung der familieninternen Betreuung abgemildert.

19

Das Betreuungsgeld sei außerdem Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung. Daher könne das Betreuungsgeld - als wäre es bereits im Jahr 2008 mit dem Kinderförderungsgesetz geregelt worden - grundsätzlich auf die Erforderlichkeit des Kinderförderungsgesetzes insgesamt gestützt werden. Das vom Bundesgesetzgeber mit dem Kinderförderungsgesetz verfolgte Gesamtkonzept sehe vor, die Möglichkeiten, ein Kleinkind in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreuen zu lassen, zu erweitern, ohne dieses aufzwingen zu wollen. Dies wäre nach Einschätzung des Bundesgesetzgebers ohne eine das Betreuungsgeld einschließende bundeseinheitliche Regelung nicht zu erreichen gewesen.

20

Die Bestimmungen seien materiell verfassungsgemäß. Letztlich gehe es um eine zusätzliche Sozialleistung, bezüglich derer der Gesetzgeber über einen weiten Spielraum verfüge.

21

b) Auch die Bayerische Staatsregierung ist der Ansicht, dass dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zustehe. Der fürsorgeauslösende Sachverhalt im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG bestehe darin, dass Kleinkinder permanent Hilfe und Unterstützung benötigten, um überleben zu können. Im Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG sei dem Charakter des Betreuungsgeldes als Teilelement der Aufgabe der "Tagesbetreuung von Kleinkindern" im Gesamtkontext der Familienförderung Rechnung zu tragen. Nach der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung sei umso intensiver zu fragen, je tiefer in die Kompetenzräume der Länder eingedrungen werde und je stärker diesen "partikular-differenzierte Regelungen" verwehrt würden. Die durch das Betreuungsgeld als reinem Geldleistungsanspruch bewirkte Sperrwirkung zu Lasten des Kompetenzrahmens der Länder sei aber gering. Der Verzicht auf eine bundesgesetzliche Regelung hätte außerdem zur Folge, dass die Eltern in der Ausübung ihres durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Wahlrechts in finanziell deutlich unterschiedlicher Weise unterstützt würden.

22

Bezüglich des Kinderförderungsgesetzes habe der Bundesgesetzgeber seine Zuständigkeit unter anderem auf das Erfordernis der Wahrung der Wirtschaftseinheit gestützt. Diese Überlegungen trügen auch die Kompetenz für das Betreuungsgeld, denn dieses vervollständige die Basisnormen zur staatlich geförderten Betreuung. Es leiste einen Beitrag dazu, dass Eltern "darauf vertrauen" könnten, in allen Ländern finanziell in der Lage zu sein, "qualitätsorientierte" private Betreuungsangebote in Anspruch zu nehmen oder ihre private Betreuung nach den eigenen Erfordernissen zu organisieren. Mit dem Betreuungsgeld werde zudem ein Beitrag für die Mobilisierung des Beschäftigungspotenzials von Frauen geleistet.

23

Das Betreuungsgeldgesetz sei grundrechtskonform.

24

c) Die Niedersächsische Landesregierung teilt vor allem die kompetenzrechtlichen Bedenken des Antragstellers. Eine passgenaue Regelungsstruktur für die Bevölkerung der einzelnen Bundesländer zu finden, sei gemäß Art. 70 GG Sache der Länder, die zum Teil bewusst mit Blick auf die Vorteile einer qualifizierten Fremdbetreuung gerade für sozial schwache Familien keine Erziehungsgeldregelung vorgesehen hätten. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG seien nicht gegeben: Die Lebensverhältnisse hätten sich nicht in einer das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigenden Weise. Trotz der bestehenden Unterschiede in der Fremdbetreuungsquote sei es nicht etwa zu Wanderbewegungen hin zu Ländern gekommen, die ähnliche Regelungen wie das Betreuungsgeld vorhielten. Soweit das Gesetz eine flächendeckende Wahlfreiheit zwischen öffentlich geförderter und privater Betreuung schaffen wolle, strebe es lediglich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse an, was für Art. 72 Abs. 2 GG nicht genüge. Das Betreuungsgeld sei auch nicht zwingender Bestandteil eines einheitlichen Rechtskonzepts aus Bundeselterngeldgesetz und Kinderförderungsgesetz. Rein politische Verknüpfungen reichten hierfür nicht aus. Das Kriterium der Wahrung der Wirtschaftseinheit sei ebenso wenig erfüllt: Das Fehlen von Betreuungsgeldgesetzen in einigen Bundesländern habe schon deshalb keine gesamtwirtschaftlichen Folgen, weil es eher Anreize dafür setze, von einer Erwerbstätigkeit abzusehen. Umgekehrt sei der Lenkungseffekt bei 150 € zu gering, um Abwanderungsbewegungen hervorzurufen.

25

3. Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund, der Bundesverband für Kindertagespflege, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband und die Diakonie Deutschland verneinen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und halten die Regelungen für grundrechtswidrig. Der Deutsche Caritasverband nimmt nur zur materiellen Verfassungsmäßigkeit Stellung, die er ebenfalls verneint. Hingegen hält der Deutsche Familienverband, der ebenfalls nur hierzu Stellung nimmt, das Betreuungsgeld für materiell verfassungsmäßig. Das Deutsche Jugendinstitut hat empirische Daten und Analysen zur Wirkung des Betreuungsgeldes vorgelegt und schließt daraus auf der Grundlage einer Schätzung, dass das Betreuungsgeld geschlechtsspezifisch und schichtspezifisch wirke.

V.

26

In der mündlichen Verhandlung haben der Antragsteller, die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung und die Niedersächsische Landesregierung ihre Rechtsstandpunkte erläutert und vertieft. Als sachkundige Dritte gemäß § 27a BVerfGG haben die Diakonie Deutschland, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband, der Deutsche Familienverband, der Deutsche Caritasverband, das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht sowie der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen.

B.

27

Der nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 2a GG und § 76 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BVerfGG zulässige Normenkontrollantrag führt zur Feststellung, dass die §§ 4a bis 4d BEEG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) mit Art. 72 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig sind, weil der Bund für die Einführung eines Betreuungsgeldes nicht die erforderliche Gesetzgebungskompetenz besitzt. Zwar können die angegriffenen Regelungen der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zugeordnet werden, auf die sich die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt (I). Die in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch den Bund liegen jedoch nicht vor (II).

I.

28

Die Regelungen zum Betreuungsgeld sind dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen. Ein anderer Kompetenztitel kommt nicht in Betracht.

29

Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <341>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2014 - 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 135). Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine - sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <342>; 106, 62 <134>) - Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.

30

Die angegriffenen Regelungen erfüllen diese Voraussetzungen. Mit der Schaffung eines Betreuungsgeldanspruchs wollte der Gesetzgeber auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit reagieren (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte). Dabei durfte er von einem typischerweise in dieser Altersphase auftretenden besonderen Aufwand bei der Betreuung von Kleinkindern ausgehen, ohne hinsichtlich seiner Gesetzgebungskompetenz etwa danach differenzieren zu müssen, ob Bezieher der Leistung im Einzelfall wirtschaftlich bedürftig sind.

II.

31

Die in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der hier allein in Betracht kommenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) liegen hingegen nicht vor. Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf den dort genannten Gebieten das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Dies ist hier nicht der Fall (1). Auch die von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung im Rahmen dieses Normenkontrollverfahrens eingebrachte Überlegung, das Betreuungsgeld sei im Verbund mit dem Kinderförderungsgesetz kompetenzrechtlich als Ausdruck eines Gesamtkonzepts zu betrachten, vermag die Erforderlichkeit der angegriffenen Regelungen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht zu begründen (2).

32

1. Die angegriffenen Regelungen sind unter keinem der drei in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Gesichtspunkte erforderlich.

33

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird allein auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verwiesen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte). Die dazu angeführten Erwägungen vermögen die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung im Ergebnis nicht zu belegen. Zwar ist es für sich genommen regelmäßig unschädlich, wenn nicht bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien eine das Gesetz verfassungsrechtlich tragende Begründung erkennbar ist. Vielmehr genügt es für die Gesetzgebungskompetenz wie auch für die sonstigen Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes in der Regel, dass deren Vorliegen im verfassungsgerichtlichen Verfahren erkennbar wird. Das Grundgesetz schreibt grundsätzlich nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen ist. Es lässt Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Entscheidend ist, dass im Ergebnis die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt werden (vgl. BVerfGE 132, 134 <162 Rn. 70>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 11 BvL 12/12, 1 BvR 11 BvR 1691/13 -, juris, Rn. 77; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Mai 2015 - 1 BvR 1501/13, 1 BvR 11 BvR 1682/13 -, juris, Rn. 61; für den Fall der Höhe der Besoldung anders BVerfGE 130, 263 <301 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 u.a. -, juris, Rn. 129 f.). Hier haben sich indessen auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Gründe ergeben, welche die Annahme trügen, dass die angegriffenen Regelungen zur Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder der Wirtschaftseinheit erforderlich wären.

34

a) Die Regelungen sind nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich.

35

aa) Eine Bestimmung ist zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" nicht schon dann erforderlich, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse geht. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bedroht und der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 <144>; 111, 226 <253>; 112, 226 <244>). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>).

36

bb) Diesen Anforderungen genügen die zur Prüfung gestellten Bestimmungen über ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld nicht. Gründe, welche die Annahme tragen könnten, die Regelungen seien zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich, sind nicht erkennbar. Insbesondere bilden die in der Begründung des Gesetzentwurfs niedergelegten Erwägungen hierfür keine tragfähige Grundlage.

37

(1) Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte) mit der Zielformulierung, eine "flächendeckende" Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte zu schaffen und eine Förderung zu gewähren, die im Ergebnis allen Eltern "im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen" zugutekommt, der Gesichtspunkt der bundesweit einheitlichen Leistungsgewährung anklingt, begründet dies für sich genommen nicht die Erforderlichkeit der Regelungen zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse". Das bloße Ziel, bundeseinheitliche Regelungen in Kraft zu setzen oder eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu erreichen, genügen hierfür nicht (oben B II 1 a aa). Dass sich aber durch Unterschiede in der Bereitstellung von Landeserziehungsgeldern die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt hätten oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnete und deshalb zur Kompensierung solcher Divergenzen ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld erforderlich wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Zwar gibt es gegenwärtig nach den Landeserziehungsgeldgesetzen in Bayern (Gesetz zur Neuordnung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes vom 9. Juli 2007 , zuletzt geändert durch § 1 Nr. 196 der Verordnung vom 22. Juli 2014 ), in Sachsen (Gesetz über die Gewährung von Landeserziehungsgeld im Freistaat Sachsen vom 7. Januar 2008 , zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 29. April 2015 ) und noch in Thüringen (Thüringer Erziehungsgeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2006 , zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 4. Mai 2010 ), nicht aber in anderen Ländern dem Betreuungsgeld ähnliche staatliche Leistungen. Diese Konsequenz föderal vielfältiger Gestaltungen führt jedoch nicht zu einer erheblichen Schlechterstellung von Eltern in jenen Ländern, die solche Leistungen nicht gewähren. Ohnehin könnte das Bundesbetreuungsgeld ein bundesweit gleichwertiges Förderungsniveau von Familien mit Kleinkindern schon deshalb nicht herbeiführen, weil keine Anrechnungsvorschrift bezüglich bereits bestehender Landesregelungen existiert, so dass Eltern neben dem Bundesbetreuungsgeld in den drei genannten Ländern bei Erfüllen der jeweiligen Bezugsvoraussetzungen weiterhin zusätzlich das Landeserziehungsgeld beziehen können.

38

(2) Die Gewährung von Betreuungsgeld ist nicht deshalb nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, weil der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert und damit diese Form der frühkindlichen Betreuung bereits durch finanzielle Leistung unterstützt wird, so dass es einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte (vgl. aber BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielt auf den Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelner Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>) zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten. Wenn die Kleinkindertagesbetreuung durch Dritte stärker gefördert wird als die Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld, so liegt darin jedenfalls kein spezifisch föderaler Nachteil.

39

(3) Aus den Grundrechten ergibt sich nicht, dass die Gewährung von Betreuungsgeld zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich wäre. In der Begründung des Gesetzentwurfs wurden die schutzrechtliche Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG und die Verpflichtung des Staates hervorgehoben, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 f.). Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich jedoch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, die Pflege- und Erziehungsleistung der Eltern zu unterstützen, nicht herleiten. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren (vgl. BVerfGE 130, 240 <252> zum Landeserziehungsgeld). Auch Gleichheitsgründe gebieten weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung von die Betreuung eigenständig durchführenden Eltern gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen Eltern dies nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste. Auf die Frage, ob sich aus den Grundrechten im Hinblick auf das Kriterium gleichwertiger Lebensverhältnisse überhaupt ein Gesetzgebungsrecht des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG ergeben kann, kommt es folglich nicht an.

40

(4) Der in der Begründung des Gesetzentwurfs angeführte Umstand, dass bis heute zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung bestehen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte), vermag die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ebenfalls nicht zu begründen.

41

(a) Zwar bestehen - in abnehmendem Maße - bis heute zwischen den neuen und den alten Ländern Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsquote. Deren Bedeutung relativiert sich allerdings, wenn sie ins Verhältnis zum insofern ebenfalls differierenden Betreuungsbedarf gesetzt werden (vgl. zum Ganzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, März 2015, Kurzfassung S. 1 - 2; Langfassung S. 6 ff.). Ungeachtet der Frage, ob damit hinsichtlich der Verfügbarkeit von öffentlich geförderten Betreuungsplätzen überhaupt eine nach Art. 72 Abs. 2 GG relevante Schlechterstellung der Einwohner bestimmter Länder vorliegt, bezweckt das Betreuungsgeld aber nicht, etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kleinkinder zu beheben. Es ist dafür auch weder geeignet noch erforderlich.

42

Das Betreuungsgeld ist nicht als Ersatzleistung für den Fall ausgestaltet, dass ein Kleinkind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung erhält. Der Anspruch auf Betreuungsgeld setzt nach § 4a BEEG nicht voraus, dass kein öffentlich geförderter Betreuungsplatz verfügbar ist; vielmehr genügt die Nichtinanspruchnahme auch dann, wenn ein Betreuungsplatz vorhanden ist. Das Betreuungsgeld könnte etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen auch nicht beheben, da es nicht den gewünschten Betreuungsplatz schafft, sondern eine alternative Förderung bietet, die zudem angesichts der Höhe des Betreuungsgeldes zur Finanzierung eines privaten Betreuungsplatzes bei Weitem nicht ausreichte. Entsprechend hat auch die Bundesregierung schriftlich ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung nochmals betont, dass das Betreuungsgeld weder geeignet noch darauf angelegt sei, Unterschiede bei der Verfügbarkeit der Betreuungsplatzangebote im Bereich der frühkindlichen Bildung zu beseitigen. Das Betreuungsgeld habe vielmehr Anerkennungsfunktion.

43

Vor allem aber ist der Zugang zu öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder seit dem Jahr 2013 rechtlich so ausgestaltet, dass jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden muss. Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist. Danach kann das Betreuungsgeld von vornherein nicht auf die Schließung einer Verfügbarkeitslücke gerichtet sein. Dieses Ziel wird vielmehr unmittelbar und effektiv mit der Durchsetzung des Leistungsanspruchs der Eltern verfolgt (zu einem Aufwendungsersatzanspruch bei Nichterfüllung analog § 36a Abs. 3 SGB VIII vgl. BVerwGE 148, 13 <20 Rn. 26 ff.>).

44

(b) Denkbar bliebe indessen, dass der Bundesgesetzgeber mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz für Familien mit Kleinkindern schaffen wollte, den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII eingeräumten Anspruch auf einen Betreuungsplatz gar nicht erst geltend zu machen, um so dem wachsenden Betreuungsbedarf entgegenzuwirken und zu verhindern, dass eine Situation entsteht, in der die gesetzlichen Ansprüche auf einen Betreuungsplatz nicht mehr im geltend gemachten Umfang erfüllbar sind und möglicherweise Ersatz in Form entsprechender Geldzahlung geleistet werden müsste. Einem bei unzureichendem Ausbau eintretenden Verfügbarkeitsproblem würde so über eine Bedarfssteuerung entgegengewirkt.

45

Im Ergebnis lässt sich die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse aber auch auf diese Weise nicht begründen. Ob eine Reduktion der Geltendmachung eines Betreuungsbedarfs unter dem Gesichtspunkt der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 GG) überhaupt als Behebung einer etwaigen länderspezifischen Schlechterstellung beim Zugang zu Betreuungsplätzen angesehen werden könnte, kann dahinstehen. Denn wenn das Gesetz dieses Lenkungsziel verfolgte, müsste der Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein (vgl. BVerfGE 118, 79 <101 m.w.N.>). Dies ist hier nicht der Fall. Weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Normenkontrollverfahren wurde erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen Lenkungszweck verfolgen wollte. Die Bundesregierung wie auch die Bayerische Staatsregierung haben im Normenkontrollverfahren vielmehr die Einschätzung geäußert, dass es dem Bundesgesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung gerade nicht um Anreize gegen die Inanspruchnahme des Betreuungsangebots gegangen sei. Wiederholt wurde betont, Zweck des Betreuungsgeldes sei die Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern, die Schaffung größerer Freiräume für die familiäre Kinderbetreuung, die Verbesserung der Wahlfreiheit von Vätern und Müttern und die Schließung der Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kleinkinder (vgl. bereits BTDrucks 17/9917, S. 7 linke Spalte).

46

(5) In der Begründung des Gesetzentwurfs wird als weiteres Ziel die Herstellung einer "echten Wahlfreiheit" für alle Eltern zwischen der Betreuung innerhalb der Familie und der Betreuung in öffentlichen oder privat organisierten Betreuungsangeboten genannt (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Auch dieses gesetzgeberische Bestreben reicht jedoch nicht aus, um die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu begründen. Der gesellschaftspolitische Wunsch, die Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung innerhalb der Familie oder aber in einer Betreuungseinrichtung zu verbessern, vermag für sich genommen nicht die Erforderlichkeit einer Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG zu begründen. Auf die Frage, ob das Betreuungsgeld überhaupt geeignet ist, dieses Ziel zu fördern, kommt es daher nicht an.

47

(6) In der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte unten) wird auch auf eine von Land zu Land unterschiedliche Bewertung der Tagesbetreuung für Kleinkinder abgestellt. Die Bundesregierung hat dies dahingehend interpretiert und erläutert, Eltern, die sich gegen eine Betreuung ihrer kleinen Kinder in einer öffentlich geförderten Einrichtung entschieden, seien nach Einschätzung des Gesetzgebers in manchen Bereichen des Bundesgebiets aufgrund der dort verbreiteten Werthaltungen mit fehlender sozialer Akzeptanz konfrontiert. Das Fehlen sozialer Akzeptanz, das diese Eltern teilweise verstärkt erführen, werde durch die offizielle Anerkennung, die mit der Zahlung von Betreuungsgeld verbunden sei, jedenfalls abgemildert. Ungeachtet der Frage, ob finanzielle Leistungen wie das Betreuungsgeld überhaupt geeignet sind, etwaige Probleme sozialer Akzeptanz zu mildern, ist jedoch weder dargetan noch erscheint es praktisch vorstellbar, dass in einigen Ländern so gravierende Probleme der sozialen Akzeptanz eigener Kinderbetreuung bestünden, dass es zu einer nach Art. 72 Abs. 2 GG relevanten Schlechterstellung dort lebender Eltern gegenüber Eltern in anderen Ländern käme. In der Begründung des Gesetzentwurfs (a.a.O.) werden die unterschiedlichen Bewertungen der Tagesbetreuung lediglich als Erklärung für zwischen den Ländern bestehende Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aufgeführt.

48

b) Die angegriffenen Regelungen sind nicht zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich.Das hat auch der Gesetzgeber nicht angenommen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird die Erforderlichkeit der Bundesregelung allein bezüglich der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, nicht aber hinsichtlich der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit geltend gemacht (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte unten).

49

aa) Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 <155>). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 112, 226 <248 f.>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 <146>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer das Zusammenleben erheblich erschwerenden Rechtszersplitterung zielt (vgl. BVerfGE 106, 62 <145>), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 125, 141 <155 f.>). Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das "gesamtstaatliche Interesse" in besonderer Weise geprägt. Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit erwarten darf (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109 f.).

50

bb) Es ist nicht ersichtlich, dass ohne Einführung des Betreuungsgeldes nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit zu erwarten gewesen wären, die mit dem Betreuungsgeld hätten verhindert werden sollen.

51

(1) Der Annahme, die angegriffene Bundesregelung sei zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, steht bereits entgegen, dass sie zusätzliche vergleichbare Leistungen in einzelnen Ländern bestehen lässt, so dass eine Rechtsvereinheitlichung ohnehin nicht herbeigeführt wird (oben B II 1 a bb (1)). Die bundesgesetzliche Bereitstellung von Betreuungsgeld ist auch nicht zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich. Die Einführung eines Bundesbetreuungsgeldes war nicht Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik. Unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder haben keine erkennbaren erheblichen Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich gebracht. Auch der Gesetzgeber hat einen solchen Wirkzusammenhang nicht behauptet. Die Bundesregierung hat in diesem Verfahren ausdrücklich geäußert, dass Unterschiede zwischen den Ländern im Hinblick auf die Gewährung von Betreuungs- beziehungsweise Erziehungsgeld als solche die Anforderungen an das Merkmal der Wahrung der Rechtseinheit nicht erfüllen dürften und hat auch hinsichtlich der Erforderlichkeit zur Wahrung der Wirtschaftseinheit lediglich das Kinderförderungsgesetz, nicht aber das Betreuungsgeld erwähnt.

52

(2) Die Erwägungen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Kinderförderungsgesetz zu den Erfordernissen der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit angestellt wurden, sind auf das Betreuungsgeld nicht übertragbar. In der Begründung des Gesetzentwurfs zum Kinderförderungsgesetz heißt es:

"Die aus dieser Vielfalt der unterschiedlichen Regelungen resultierende Rechtszersplitterung kann sowohl im Interesse des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden. Angesichts der von Land zu Land unterschiedlichen Zugangskriterien zu den Tageseinrichtungen können Eltern, die eine Erwerbstätigkeit mit Pflichten in der Familie vereinbaren wollen und angesichts der Anforderungen der Wirtschaft ein hohes Maß an Mobilität aufbringen müssen, nicht darauf vertrauen, in allen Ländern ein im Wesentlichen gleiches Angebot an qualitätsorientierter Tagesbetreuung vorzufinden. Aus demselben Grunde können auch überregional agierende Unternehmen nicht damit rechnen, in allen Ländern auf ein Potenzial qualifizierter weiblicher Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, da sie örtlich und regional fehlende Betreuungsmöglichkeiten an einer Erwerbstätigkeit hindern" (BTDrucks 16/9299, S. 11 f.). (…) "Nur einheitliche Basisnormen im Bundesgebiet schaffen die Voraussetzungen für die Mobilität, die von den Eltern heute im Arbeitsleben erwartet wird. Deshalb ist ein bedarfsgerechtes Angebot an qualifizierter Tagesbetreuung in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland heute eine zentrale Voraussetzung für die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort in einer globalisierten Wirtschaftsordnung. Engpässe in der Versorgung mit Betreuungsplätzen in einzelnen Regionen haben unmittelbare Folgen für die Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte und damit für die Wettbewerbsfähigkeit dieser Region" (BTDrucks 16/9299, S. 12 linke Spalte).

53

Während beim Kinderförderungsgesetz unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit maßgeblich auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuungsmöglichkeit und Möglichkeiten der Beteiligung von Eltern am Arbeitsleben abgestellt und damit an die Bedeutung der Regelungen als Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfaktor angeknüpft wurde, fördert das hier zu beurteilende Betreuungsgeld die Erwerbsbeteiligung von Eltern nicht. Insbesondere ist das Betreuungsgeld weder dazu bestimmt noch ist es angesichts seiner Höhe dazu geeignet, eine private, nicht öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu finanzieren.

54

(3) Vor Erlass des Kinderförderungsgesetzes war bereits die Erforderlichkeit (Art. 72 Abs. 2 GG) des Elterngeldes nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz auf den Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit gestützt worden. Auch die damals angestellten Erwägungen sind nicht auf das Betreuungsgeld übertragbar. In der Begründung des Entwurfs dieses Gesetzes hieß es:

"Das die Leistungen nach diesem Gesetz übergreifende Ziel der Unterstützung betreuender Eltern bezieht sich auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Die Ausgestaltung der Elternzeit und der damit eng zusammenhängenden Elterngeldleistungen haben unmittelbaren Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Eltern und die damit korrespondierenden Anforderungen insbesondere an die Arbeitgeber, sich auf diese Auszeiten einzustellen. Hiervon ist der gesamte deutsche Arbeitsmarkt betroffen. Eine andernfalls zu erwartende Regelungsvielfalt auf Länderebene und die damit verbundene Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen können im Hinblick auf die gewünschten positiven Wirkungen für Familien nicht hingenommen werden" (BTDrucks 16/1889, S. 16 f.).

55

Anders als beim Kinderförderungsgesetz wurde das bundesstaatliche Regelungsinteresse hier also vor allem auf die Arbeitsmarkteffekte elternschaftsbedingter Auszeiten gestützt (s. dazu auch BSGE 103, 291 <298 Rn. 42>). Auch insoweit ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich, dass das Betreuungsgeld auch nur annähernd ähnliche Effekte zeitigte wie das Elterngeld. Das Elterngeld ist als Einkommensersatzleistung ausgestaltet, mit der die persönliche Betreuung des Kindes im ersten Lebensjahr ohne erhebliche finanzielle Einbußen ermöglicht werden sollte (vgl. BTDrucks 16/1889, S. 1 f., 14 ff., 19 f.). Das Elterngeld stellt mit einer Höhe von 67 % des vorherigen Einkommens einen für die Frage einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit erheblichen Faktor dar, der zudem aufgrund der sogenannten Partnermonate (§ 4 Abs. 4 BEEG) einen weiteren arbeitsmarktrelevanten Anreiz schafft, weil danach auch Väter die Erwerbstätigkeit vermehrt unterbrechen. Dass das Betreuungsgeld mit einer monatlichen Zahlung von 150 € geeignet ist, einen auch nur annähernd ähnlichen Unterbrechungseffekt zu entfalten, ist nicht erkennbar und wurde weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Normenkontrollverfahren behauptet.

56

2. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen über das Betreuungsgeld kann nicht, wie die Bundesregierung und ähnlich auch die Bayerische Staatsregierung in diesem Verfahren ausgeführt haben, darauf gestützt werden, dass die Regelungen "als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung" mit dem "Kinderförderungsgesetz insgesamt" nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich wären.

57

a) Zwar wird mit guten Gründen angenommen, dass die bundesrechtlichen Regelungen des Kinderförderungsgesetzes nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sind (oben B II 1 b bb (2)). Auch kann der Einschätzung der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung darin gefolgt werden, dass nach dem Willen des damaligen Gesetzgebers eine gewisse Verbindung bestehen sollte zwischen dem Ausbau der vielgestaltigen Kindertagesbetreuung und der Schaffung des Betreuungsanspruchs für Kleinkinder durch das Kinderförderungsgesetz auf der einen Seite und der Absicht auf der anderen Seite, jenen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen, ein Betreuungsgeld zu gewähren. Darauf weist insbesondere hin, dass der Gesetzgeber bereits mit dem Kinderförderungsgesetz im inzwischen entfallenen § 16 Abs. 4 (später Abs. 5) SGB VIII seine Absicht erklärt hat, für Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel ein Betreuungsgeld) einzuführen.

58

b) Wenn der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 2 GG für die nach dem Kinderförderungsgesetz gewährten Leistungen von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der öffentlichen Fürsorge Gebrauch machen durfte, begründet dies jedoch nicht auch die Zulässigkeit des Kompetenzgebrauchs hinsichtlich des Betreuungsgeldes. Will der Bundesgesetzgeber verschiedene Arten von Leistungen der öffentlichen Fürsorge begründen, muss grundsätzlich jede Fürsorgeleistung für sich genommen den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügen. Allein die Verbindung mit einer Bestimmung, die bundesrechtlicher Regelung unterliegt, schafft demnach noch nicht den bundesrechtlichen Regelungsbedarf für eine Bestimmung, die für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teile eines Gesamtkonzepts begreift, teilen diese nicht allein wegen dieses Verknüpfungswillens das kompetenzrechtliche Schicksal. Grundsätzlich ist der Bundesgesetzgeber bei der Realisierung legislativer Gesamtförderungskonzepte vielmehr auf jene Fürsorgeinstrumente beschränkt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen. Im Übrigen verbleibt ihm die Möglichkeit, eine übergreifende Konzeption in Kooperation mit den Ländern und in Abstimmung mit deren Gesetzgebung zu verfolgen.

59

c) Der hier zu entscheidende Fall lässt davon keine Ausnahme zu. Die angegriffenen Regelungen genügen nicht deshalb den Anforderungen des Art. 72 Abs 2 GG, weil sie in solch untrennbarem Zusammenhang zu anderen bundesrechtlich geregelten Förderinstrumenten stünden, dass sich deren Erforderlichkeit ausnahmsweise auf die angegriffenen Regelungen erstreckte.

60

aa) Ob bei der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge überhaupt Fälle auftreten können, in denen zwei Förderinstrumente kompetenzrechtlich als in solcher Weise zusammengehörig zu betrachten sind, dass sich die Erforderlichkeit der Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG hinsichtlich des einen Instruments auch auf jenes Förderinstrument erstreckt, das für sich genommen keiner bundesrechtlichen Regelung bedarf, kann hier offen bleiben. Jedenfalls müssten die Instrumente dafür objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen, so dass das für sich genommen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht erforderliche Instrument integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts wäre und sein Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährdete (vgl. BVerfGE 106, 62 <149 f.>; 113, 167 <197 f., 199>). Insofern kann mit Blick auf die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG nichts anderes gelten als für die ungeschriebene Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs. Auch für diese geht das Bundesverfassungsgericht seit jeher davon aus, dass die bloße Erwägung, es sei zweckmäßig, mit einer dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Materie gleichzeitig auch eine verwandte Materie zu regeln, nicht zur Begründung einer Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ausreicht. Ein sogenannter Sachzusammenhang vermöchte vielmehr eine Zuständigkeit nur dann zu stützen, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerlässliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie (BVerfGE 3, 407 <421>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Januar 2015 - 1 BvR 931/12 -, juris, Rn. 30). Dass sich die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG auf eine Regelung der öffentlichen Fürsorge erstreckt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt, wäre danach allenfalls dann denkbar, wenn diese unabtrennbarer Bestandteil einer Regelung wäre, die ihrerseits die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt.

61

bb) Zwischen der Regelung des Betreuungsgeldes und den Regelungen des Kinderförderungsgesetzes, insbesondere der Schaffung des Betreuungsplatzanspruchs, besteht ein solcher Zusammenhang nicht.

62

Die Regelungen des Kinderförderungsgesetzes verlören nichts von ihrer Tragfähigkeit, wenn das anderweitig geregelte Betreuungsgeld entfiele. Insbesondere veränderte sich dadurch nicht der Charakter der Leistungen und Regelungen des Bundes zur Kinderbetreuung in öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen. Entfiele das Betreuungsgeld, blieben die Regelungen und Ziele des Kinderförderungsgesetzes, namentlich der Ausbau der Betreuung von Kleinkindern sowie die Einführung eines entsprechenden Betreuungsanspruchs, unberührt. Die Regelung der Förderinstrumente des Kinderförderungsgesetzes wäre ohne gleichzeitige Schaffung eines Betreuungsgeldanspruchs auch nicht grundrechtswidrig (oben B II 1 a bb (3)). Auch wenn der Gesetzgeber ein Gesamtkonzept der frühkindlichen Betreuung schaffen wollte, sind das Kinderförderungsgesetz und die Regelungen über das Betreuungsgeld in kompetenzrechtlicher Hinsicht selbständige Teile dieses Gesamtkonzepts, von denen einer entfallen könnte, ohne dass der andere seinen Sinn verlöre oder auch bloß seinen Gehalt veränderte.

63

Auf die Frage, ob der Umstand der Erwähnung des Betreuungsgeldes bereits im Kinderförderungsgesetz (§ 16 Abs. 4 SGB VIII) belegt, dass schon dort ein Gesamtkonzept zur Förderung der Betreuung von Kleinkindern angelegt war, kommt es danach nicht an. Mit dieser Absichtserklärung des Gesetzgebers wird zwar eine konzeptionelle Verbindung der Regelungen dokumentiert. Maßgeblich ist aber nicht die konzeptionelle Verbindung, sondern die objektive Untrennbarkeit der Regelungen, an der es hier fehlt.

64

cc) Die Berücksichtigung der dem Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zukommenden Einschätzungsprärogative gestattet keine andere Bewertung der kompetenzrechtlichen Bedeutung der konzeptionellen Verbindung von Betreuungsgeld und öffentlicher Förderung des Betreuungsangebots.

65

(1) Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind, hat das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Insoweit besteht kein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum (vgl. BVerfGE 110, 141 <175>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 111). Im Rahmen der danach eröffneten verfassungsgerichtlichen Kontrolle steht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die allein zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG allerdings eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 111, 226 <255>; 125, 141 <154>; 128, 1 <34>; 135, 155 <204 Rn. 115>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 111). Diese Prärogative des Bundesgesetzgebers bezieht sich insbesondere auf die Einschätzung und Bewertung tatsächlicher Entwicklungen, von denen die Erforderlichkeit bundesrechtlicher Regelung hinsichtlich der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke abhängt. Indessen reicht die Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers nicht so weit, dass die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen, ganz in seine Hand gegeben wäre.

66

Dies gilt auch für die Beurteilung der - in diesem Verfahren von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung geltend gemachten - Erforderlichkeit einer Regelung im Rahmen eines regulatorischen Gesamtkonzepts des Bundesgesetzgebers. Ungeachtet der Frage, inwieweit die Zugehörigkeit verschiedener Bestimmungen zu einem Gesamtkonzept überhaupt die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG auch für jene Regelungsteile begründen könnte, die diese Anforderungen für sich genommen nicht erfüllen (oben B II 2 c aa), ist jedenfalls die Handhabung einer solchen potenziell kompetenzerweiternden Verknüpfungsmöglichkeit durch den Bundesgesetzgeber nicht von verfassungsrechtlicher Kontrolle freigestellt. Zwar verbleibt dem Gesetzgeber regelmäßig eine Prärogative für Konzept und Ausgestaltung von Gesetzen, was einschließt, eine politische Verbindung zwischen eigenständigen Instrumenten der Fürsorge herzustellen. Ob einzelne Bestandteile des politischen Gesamtkonzepts im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sind, weil sie nicht entfallen könnten, ohne das Gesamtkonzept zu gefährden, ist jedoch eine Frage des Verfassungsrechts, die gerichtlicher Kontrolle nicht vollständig entzogen ist (vgl. BVerfGE 106, 62 <149 f.>).

67

(2) Dem Bundesgesetzgeber hier eine nicht justiziable Verknüpfungskompetenz zu überlassen, verbietet sich nicht zuletzt angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG. In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 war Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung noch als sogenannte Bedürfnisklausel ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage, ob ein Bedürfnis im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, als eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers bezeichnet, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei (vgl. BVerfGE 2, 213 <224>; 78, 249 <270> m.w.N.). Durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) wurde die Bedürfnisklausel durch die heute geltende Erforderlichkeitsklausel ersetzt. Ziel der Neufassung war es, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren, um die "als unzureichend empfundene Justiziabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern" (vgl. BTDrucks 12/6633, S. 8 rechte Spalte). Nach dieser Maßgabe hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen der Bundesgesetzgebungskompetenzen aus Art. 74 GG und aus Art. 75 GG a.F. auf der Grundlage der neuen Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG heutiger Fassung strengerer Prüfung unterzogen als zuvor (s. insbesondere BVerfGE 106, 62 <135 ff.>; 110, 141 <175 ff.>; 111, 10 <28 f.>; 111, 226 <265 ff.>; 112, 226 <243 ff.>). In der Folgezeit sah sich der verfassungsändernde Gesetzgeber zwar zu einer weiteren, dieses Mal gegenläufigen Änderung veranlasst. Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) hat er den Anwendungsbereich der im Jahr 1994 in den Kriterien enger gefassten Erforderlichkeitsklausel auf bestimmte Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG beschränkt, nicht aber die Erforderlichkeitsklausel selbst gelockert. Die hier relevante Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG war von dieser letzten Änderung jedoch nicht betroffen. Bei der Bundesgesetzgebung im Bereich der öffentlichen Fürsorge kommt also weiterhin die seit der Verfassungsreform von 1994 geltende Erforderlichkeitsklausel zur Anwendung. Weil aber der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 2006 die neue Erforderlichkeitsklausel in Kenntnis der dazu ergangenen, im Vergleich zu früher nunmehr strengeren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich unverändert lassen wollte (vgl. BTDrucks 16/813, S. 11 linke Spalte), ist der verfassungsgerichtlichen Prüfung weiterhin ein Verständnis des Art. 72 Abs. 2 GG zugrunde zu legen, das die darin vom verfassungsändernden Gesetzgeber im Jahr 1994 gezielt errichtete Grenze für die Bundesgesetzgebung nicht leerlaufen lässt.

68

Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund kann es nicht der einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers überlassen bleiben, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge selbständige Förderinstrumente mit der Folge zu einem politischen Konzept zu verbinden, dass bereits hierdurch die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung umfassend zu bejahen wäre. Könnte der Bundesgesetzgeber kraft politisch gewollter Verklammerung verschiedener Fürsorgeinstrumente auch für jene Instrumente die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes begründen, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllen, hätte der Bund die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nach wie vor selbst in der Hand. Dies wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1994 durch die Reform des Art. 72 Abs. 2 GG gerade ausschließen (vgl. BVerfGE 106, 62 <148>). Art. 72 Abs. 2 GG büßte so die ihm in der Neufassung zusammen mit dem ebenfalls neuen verfassungsgerichtlichen Verfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG zugedachte Funktion ein, die Position der Länder zu stärken und zugleich eine effektive verfassungsgerichtliche Überprüfung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 106, 62 <136 ff.>).

69

Aus Sicht des Bundesgesetzgebers mag es, wie die Bundesregierung in diesem Verfahren vorgetragen hat, erstrebenswert sein, Fürsorgeleistungen im Bereich der Familienförderung insgesamt bundeseinheitlich regeln zu können. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich indessen zweimal gegen eine so weitreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes entschieden, indem er zunächst im Jahr 1994 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme konkurrierender Kompetenzen durch den Bund in Art. 72 Abs. 2 GG verschärft und sodann im Jahr 2006 den Bundesgesetzgeber bei der Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge anders als bei anderen Kompetenzen nicht von den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG freigestellt hat.

70

(3) Eine der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogene Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers für kompetenzbegründende Verknüpfungen verschiedener Fürsorgeleistungen im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ergibt sich nicht - wie die Bayerische Staatsregierung in der mündlichen Verhandlung erwogen hat - daraus, dass es sich bei dem Betreuungsgeld "lediglich" um einen Geldleistungsanspruch handele, der den Kompetenzraum der Länder nicht spezifisch beeinträchtige.

71

Eine Vermutung, dass Regelungen des Bundes über staatliche Geldleistungen die Gesetzgebungskompetenz der Länder weniger intensiv berührten als andere Regelungen, ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Dass bundesrechtliche Regelungen über die Gewährung von Geldleistungen die landespolitischen Gestaltungsspielräume nicht notwendig erweitern, sondern je nach Lage der Dinge vielmehr beeinträchtigen können, hat der Antragsteller auch im vorliegenden Verfahren nachvollziehbar dargelegt; die Landesregierung Niedersachsens hat sich ähnlich geäußert. Der Antragsteller hat in das Zentrum seiner schriftlichen und mündlichen Ausführungen die Feststellung gerückt, das Betreuungsgeld konterkariere die von den Ländern und Kommunen in eigener politischer Verantwortung entwickelten Angebote. Der Bund setze mit seiner Regelung einen Anreiz für einkommensschwache und bildungsferne Familien, als den besonders wichtigen Zielgruppen der Betreuungs- und Förderangebote, die von den Ländern und Kommunen bereitgestellten Kinderbetreuungs- und Förderangebote auszuschlagen. Die bislang gewonnen Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass das Betreuungsgeld in einigen Ländern - sicherlich in Abhängigkeit von der konkreten Bevölkerungszusammensetzung - die Gestaltungsmöglichkeiten für die Förderung der Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren berührt (oben A II 3) und damit keine in kompetenzrechtlicher Hinsicht neutrale Regelung ist.

C.

72

Danach verstoßen die §§ 4a bis 4d BEEG in der durch das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) erlangten Fassung gegen Art. 72 Abs. 2 GG und sind nichtig (§ 78 Satz 1 BVerfGG).

73

Die Anordnung einer Übergangsregelung durch den Senat (§ 35 BVerfGG) erscheint nicht notwendig. Etwaigen Erfordernissen des Vertrauensschutzes kann gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gegebenenfalls in Verbindung mit § 45 Abs. 2 SGB X Rechnung getragen werden.

74

Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die angegriffenen Vorschriften mit den Grundrechten vereinbar sind, bedarf keiner Antwort, weil die Bestimmungen wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz nichtig sind.

75

Dieses Urteil ist einstimmig ergangen.

(1) Übt ein Elternteil eine systemrelevante Tätigkeit aus, so kann sein Bezug von Elterngeld auf Antrag für die Zeit vom 1. März 2020 bis 31. Dezember 2020 aufgeschoben werden. Der Bezug der verschobenen Lebensmonate ist spätestens bis zum 30. Juni 2021 anzutreten. Wird von der Möglichkeit des Aufschubs Gebrauch gemacht, so kann das Basiselterngeld abweichend von § 4 Absatz 1 Satz 2 und 3 auch noch nach Vollendung des 14. Lebensmonats bezogen werden. In der Zeit vom 1. März 2020 bis 30. Juni 2021 entstehende Lücken im Elterngeldbezug sind abweichend von § 4 Absatz 1 Satz 4 unschädlich.

(2) Für ein Verschieben des Partnerschaftsbonus genügt es, wenn nur ein Elternteil einen systemrelevanten Beruf ausübt. Hat der Bezug des Partnerschaftsbonus bereits begonnen, so gelten allein die Bestimmungen des Absatzes 3.

(3) Liegt der Bezug des Partnerschaftsbonus ganz oder teilweise vor dem Ablauf des 23. September 2022 und kann die berechtigte Person die Voraussetzungen des Bezugs aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht einhalten, gelten die Angaben zur Höhe des Einkommens und zum Umfang der Arbeitszeit, die bei der Beantragung des Partnerschaftsbonus glaubhaft gemacht worden sind.

(4) (weggefallen)

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

Tenor

§§ 4a bis 4d Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 254) sind mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

Gründe

A.

1

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die mit Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) eingefügten Bestimmungen der §§ 4a bis 4d BEEG, welche einen Anspruch auf Betreuungsgeld regeln.

I.

2

1. Die Regelungen zum Betreuungsgeld sehen im Wesentlichen vor, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 € pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs. 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII), also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Betreuungsgeld besteht unabhängig davon, ob der die Leistung beanspruchende Elternteil auf Erwerbstätigkeit verzichtet oder nicht.

3

Die zur Prüfung gestellten Bestimmungen lauten:

§ 4a

Berechtigte

(1) Anspruch auf Betreuungsgeld hat, wer

1. die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3, Absatz 2 bis 5, 7 und 8 erfüllt und

2. für das Kind keine Leistungen nach § 24 Absatz 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt.

(2) Können die Eltern ihr Kind wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod der Eltern nicht betreuen, haben Berechtigte im Sinne von Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 4 einen Anspruch auf Betreuungsgeld abweichend von Absatz 1 Nummer 2, wenn für das Kind nicht mehr als 20 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats Leistungen nach § 24 Absatz 2 in Verbindung mit den §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch genommen werden.

§ 4b

Höhe des Betreuungsgeldes

Das Betreuungsgeld beträgt für jedes Kind 150 Euro pro Monat.

§ 4c

Anrechnung von anderen Leistungen

Dem Betreuungsgeld oder dem Elterngeld vergleichbare Leistungen, auf die eine nach § 4a berechtigte Person außerhalb Deutschlands oder gegenüber einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung Anspruch hat, werden auf das Betreuungsgeld angerechnet, soweit sie den Betrag übersteigen, der für denselben Zeitraum nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 auf das Elterngeld anzurechnen ist. Stehen der berechtigten Person die Leistungen nur für einen Teil des Lebensmonats des Kindes zu, sind sie nur auf den entsprechenden Teil des Betreuungsgeldes anzurechnen. Solange kein Antrag auf die in Satz 1 genannten vergleichbaren Leistungen gestellt wird, ruht der Anspruch auf Betreuungsgeld bis zur möglichen Höhe der vergleichbaren Leistung.

§ 4d

Bezugszeitraum

(1) Betreuungsgeld kann in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Vor dem 15. Lebensmonat wird Betreuungsgeld nur gewährt, wenn die Eltern die Monatsbeträge des Elterngeldes, die ihnen für ihr Kind nach § 4 Absatz 2 und 3 zustehen, bereits bezogen haben. Für jedes Kind wird höchstens für 22 Lebensmonate Betreuungsgeld gezahlt.

(2) Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 kann Betreuungsgeld ab dem ersten Tag des 15. Monats nach Aufnahme bei der berechtigten Person längstens bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes bezogen werden. Absatz 1 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für einen Lebensmonat eines Kindes kann nur ein Elternteil Betreuungsgeld beziehen. Lebensmonate des Kindes, in denen einem Elternteil nach § 4c anzurechnende Leistungen zustehen, gelten als Monate, für die dieser Elternteil Betreuungsgeld bezieht.

(4) Der Anspruch endet mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist.

(5) Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 gelten in den Fällen des § 4a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 3 und 4 entsprechend. Nicht sorgeberechtigte Elternteile und Personen, die nach § 4a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 Betreuungsgeld beziehen können, bedürfen der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils.

4

2. Die Einführung des Betreuungsgeldes des Bundes mit Wirkung vom 1. August 2013 steht im Zusammenhang mit der Gesetzgebung des Bundes zum Ausbau öffentlich geförderter Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder unter drei Jahren und der Schaffung eines einklagbaren Anspruchs auf einen solchen Betreuungsplatz.

5

Im Jahr 2008 wurden mit dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz vom 10. Dezember 2008, BGBl I S. 2403) die Möglichkeiten verbessert, ein Kleinkind in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreuen zu lassen. Zum einen wurde geregelt, dass ab dem 1. August 2013 vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes ein unbedingter Anspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege besteht (§ 24 Abs. 2 SGB VIII). Zum anderen wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundes der Ausbau der öffentlich geförderten Kinderbetreuung vorangetrieben (vgl. Artikel 3 KiföG, BGBl I 2008, S. 2403 <2407 f.>). Ausweislich der Begründung des Entwurfs zum Kinderförderungsgesetz sollte sich der Bund in der Ausbauphase bis 2013 an der Ausbaufinanzierung mit insgesamt bis zu 4 Mrd. € und ab 2014 an den Betriebskosten mit 770 Mio. € pro Jahr beteiligen (BTDrucks 16/9299, S. 10). Dieser Bundesbeteiligung diente das auf Art. 104b GG gestützte Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens "Kinderbetreuungsausbau" und zur Entfristung des Kinderzuschlags vom 18. Dezember 2007 (Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz , BGBl I S. 3022).

6

In dem durch das Kinderförderungsgesetz neu eingefügten - im Zuge der Einführung des Betreuungsgeldes aufgehobenen - § 16 Abs. 4 (später Abs. 5) SGB VIII hieß es, dass ab 2013 "für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden" soll. Ein über diese Ankündigung hinausgehender, rechtlich verbindlicher Anspruch auf Betreuungsgeld wurde allerdings erst durch das hier angegriffene Betreuungsgeldgesetz geschaffen und näher ausgestaltet, das am 1. August 2013 in Kraft getreten ist. Zeitgleich mit dem Betreuungsgeldgesetz wurde das Gesetz zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 250) ausgefertigt, durch das insbesondere das mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz bereitgestellte Sondervermögen des Bundes um 580,5 Mio. € aufgestockt wurde.

7

3. a) Zum Zweck der Einführung eines Betreuungsgeldes finden sich in der Begründung des Gesetzentwurfs unter anderem folgende Erwägungen (BTDrucks 17/9917, S. 7):

"Das Betreuungsgeld ist durch den Zweck der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern und durch die Schaffung von größeren Gestaltungsfreiräumen für die familiäre Kinderbetreuung gekennzeichnet. Es verbessert die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern und schließt die verbliebene Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. ...

Eltern treffen verantwortungsvolle Entscheidungen mit Blick auf die Betreuung ihrer Kinder. Mütter und Väter wählen die Betreuung, die für ihr Kind am besten ist. Auf die Frage nach dem richtigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot gibt es keine einheitliche Antwort für jedes Kind. Ob externe oder familieninterne Betreuung, ob Tageseinrichtung, Kindertagespflege, Elterninitiative, Betreuung bei Vater oder Mutter, durch Großeltern oder Au pair, ob Ganztagsangebot oder stundenweise Inanspruchnahme, alle diese Optionen sollen sich im Interesse von Vielfalt und Wahlfreiheit idealerweise ergänzen. Deshalb ist es die Aufgabe staatlicher Familienförderung, alle Formen der Kleinkindbetreuung zu unterstützen, Barrieren abzubauen und Übergänge zu ermöglichen.

Für die öffentliche Förderung in Tageseinrichtungen sind im Kinderförderungsgesetz jährliche Bruttobetriebskosten von 12 000 Euro pro Platz in Ansatz gebracht worden; für einen Platz in der Kindertagespflege sind dies 9 450 Euro (Bundestagsdrucksache 16/9299 S. 22). Diese Förderung erhalten alle Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation, da die Beiträge der Eltern nicht kostendeckend sind. Die staatliche Förderung kann im Einzelfall bei einer Gebührenfreistellung bis zu 100 Prozent betragen. Dementsprechend wird jeder Betreuungsplatz mit einem erheblichen staatlichen Anteil gefördert. Dies belegt zum Beispiel eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, das eine bundesweite Erhebung für das Kindergartenjahr 2009/2010 durchgeführt hat (Kindergarten-Monitor 2009/2010). So reichten die Beiträge für Familien mit mittleren Einkommen für einen Betreuungsplatz von 0 Euro bis zu 1 752 Euro im Jahr. Angesichts von Kosten von 12 000 Euro in Tageseinrichtungen und von 9 450 Euro in der Tagespflege ist selbst dieser Höchstbetrag weit davon entfernt, kostendeckend zu sein. Dies gilt selbst bei einem jährlichen Höchstbetrag von 2 520 Euro für Familien mit hohen Einkommen.

Diejenigen Eltern, die diese öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung nicht in Anspruch nehmen, erhalten demgegenüber bislang keine Förderung. Diese verbliebene Förderlücke für Eltern, die keinen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, schließt der Bundesgesetzgeber mit der Einführung eines Betreuungsgeldes, die er bereits mit der Einfügung des § 16 Absatz 5 SGB VIII im Jahr 2008 aufgezeigt hat. …"

8

b) Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes findet sich in der Begründung des Gesetzentwurfs Folgendes (BTDrucks 17/9917, S. 8 f.):

"Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeld folgt - entsprechend der Gesetzgebungskompetenz für Elterngeld und Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 7 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). ... Bei Familien mit kleinen Kindern ist eine entsprechende Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit anzunehmen. Diese Auslegung wird auch durch den staatlichen Schutz- und Förderauftrag des Artikels 6 Absatz 1 GG gestützt und konkretisiert. Die Fürsorge kann nicht auf die Bereitstellung von Hilfe in staatlichen oder staatlich geförderten Kinderbetreuungsangeboten beschränkt werden, sondern muss der Gestaltungsfreiheit der Eltern Rechnung tragen. Daher fallen auch finanzielle Leistungen, die direkt Familien zugutekommen, in den Bereich der präventiven Maßnahmen der öffentlichen Fürsorge.

Die Einführung eines Betreuungsgeldes steht in Einklang mit Artikel 72 Absatz 2 GG, wonach der Bund das Gesetzgebungsrecht hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. ...

Bis heute bestehen zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung, die nicht zuletzt auch auf eine jeweils unterschiedliche Bewertung der Tagesbetreuung für Kleinkinder zurückzuführen sind. ... Zugleich wird von Bund und Ländern seit Jahren der Ausbau der Kindertagesbetreuung gefördert und damit eine bestimmte Form der frühkindlichen Betreuung unterstützt. Diese Form öffentlicher Betreuung wird bei der Inanspruchnahme unter Berücksichtigung von sozial gestaffelten Kostenbeiträgen der Eltern staatlich subventioniert, während Eltern, die sich für eine individuelle Betreuung innerhalb der Familie entscheiden, bislang keine entsprechende finanzielle Unterstützung erhalten.

Daher ist es zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, als flächendeckende und deshalb notwendig bundesgesetzlich zu regelnde Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte auch eine individuelle Betreuung innerhalb der Familie zu fördern und damit eine echte Wahlfreiheit für Eltern zwischen der Betreuung innerhalb der Familie und der Betreuung in öffentlichen oder privat organisierten Betreuungsangeboten zu schaffen. Mit dem Betreuungsgeld strebt der Gesetzgeber im Interesse der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eine Förderung an, die im Ergebnis allen Eltern im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen zugutekommt. Einige Eltern erhalten eine Förderung, indem sie staatlich geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, während die anderen Eltern Förderung durch das Betreuungsgeld erhalten.

Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Artikels 6 Absatz 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. ..."

II.

9

1. Die Anzahl der Bezüge von Betreuungsgeld ist seit Einführung des Betreuungsgeldanspruchs nach Angaben des Statistischen Bundesamts kontinuierlich gestiegen. In den alten Bundesländern wurden zuletzt 425.865 gegenüber 29.456 Leistungsbezügen in den neuen Bundesländern (einschließlich Berlin) registriert. Die durchschnittliche Bezugsdauer in Deutschland lag bei 19,7 (von 22 möglichen) Monaten, wobei in den neuen Ländern einschließlich Berlin eine Bezugsdauer von lediglich durchschnittlich 15,5 Monaten zu verzeichnen war. Das Betreuungsgeld wurde überwiegend von Müttern und nur zu sehr geringem Anteil von Vätern in Anspruch genommen. 94,6 % der Leistungsbezüge erfolgten durch Mütter.

10

2. Auch das Betreuungsplatzangebot und dessen Nutzung sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Hierüber gibt der jüngste Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes Aufschluss (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, März 2015, Kurzfassung S. 1 f.). Danach lag die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren in Betreuungseinrichtungen im Jahr 2014 bei 32,3 %. Im Jahr 2008 hatte sie noch 17,6 % betragen. Dabei war die Betreuungsquote in den neuen Bundesländern im Jahr 2014, wie auch in den Vorjahren, höher als in den alten Bundesländern (neue Bundesländer mit Berlin 52 %, alte Bundesländer 27,4 %).

11

3. Eine von der Technischen Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut durchgeführte Studie hat unter anderem den Einfluss des Betreuungsgeldes auf Betreuungsentscheidungen von Eltern analysiert (vgl. Fuchs-Rechlin, in: Fuchs-Rechlin/Kaufhold/Thuilot/Webs, Bericht des Forschungsverbunds der TU Dortmund sowie des Deutschen Jugendinstituts, August 2014, Der U3-Ausbau im Endspurt - Analysen zu kommunalen Betreuungsbedarfen und Betreuungswünschen von Eltern, Kapitel 8, S. 132 ff.). Danach hätten von jenen Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind wünschten, rund 13 % angegeben, dass für diese Entscheidung das Betreuungsgeld eine Rolle gespielt habe. Allerdings variiere der Einfluss des Betreuungsgeldes in Abhängigkeit von bestimmten Merkmalen, vor allem vom Migrations- und Bildungsstatus: Je höher das Bildungsniveau in der Familie sei, desto geringer erscheine der monetäre Anreiz des Betreuungsgeldes. So stimmten von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt, 31 % derjenigen, die keinen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind wünschten, der Aussage zu, das Betreuungsgeld sei Grund für die Entscheidung gewesen, keinen Betreuungsplatz in Anspruch zu nehmen. Bei Eltern mit einem Hauptschulabschluss seien es 23 %. Bei den Familien mit einer mittleren Reife als höchstem Bildungsabschluss liege dieser Anteil bei 14 % und bei Familien mit Hochschulreife beziehungsweise mit Hochschulabschluss reduziere sich dieser Anteil weiter auf 10 % beziehungsweise auf 8 %. Von den Familien mit Migrationshintergrund, die sich keine außerhäusliche Betreuung wünschten, gaben 25 % an, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür gewesen (vgl. Fuchs-Rechlin, in: Fuchs-Rechlin/Kaufhold/Thuilot/Webs, a.a.O., S. 134).

III.

12

Der Antragsteller hält die durch das Betreuungsgeldgesetz eingeführten Kernregelungen zum Betreuungsgeld (§§ 4a bis 4d BEEG) für verfassungswidrig.

13

1. Die Bestimmungen seien formell verfassungswidrig, weil dem Bund hierfür keine Gesetzgebungskompetenz zustehe.

14

Die Zahlung für die Nichtinanspruchnahme bestimmter öffentlich geförderter Maßnahmen stelle keine Regelung der öffentlichen Fürsorge dar und falle daher nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG.

15

Das Betreuungsgeld sei zudem nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich. Der Bund stütze die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung auf den landesspezifisch unterschiedlichen Grad der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder. Zu einer Verringerung der angeführten Diskrepanz trage das Betreuungsgeld aber nichts bei. Zudem sei das Betreuungsgeld nicht mit den Aktivitäten der Länder und Kommunen abgestimmt, sondern gefährde deren Möglichkeit, eine bedarfsgerechte, regional und örtlich angepasste Gesamtschau von Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern umzusetzen. Damit greife es schwerwiegend in die Länderzuständigkeiten ein. Das gehe so weit, dass Bemühungen, ein bestimmtes Förderangebot beitragsfrei anzubieten, konterkariert würden.

16

2. Das Betreuungsgeldgesetz sei zudem sachlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 sowie gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

IV.

17

1. Zu dem Normenkontrollantrag haben sich die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung, die Niedersächsische Landesregierung sowie folgende sachkundige Dritte schriftlich geäußert: das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund, der Bundesverband für Kindertagespflege, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband, die Diakonie Deutschland, der Deutsche Caritasverband, der Deutsche Familienverband sowie das Deutsche Jugendinstitut.

18

2. a) Die Bundesregierung hält das Betreuungsgeldgesetz für kompetenzgemäß. Die Voraussetzungen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 und des Art. 72 Abs. 2 GG seien erfüllt. Das Erfordernis der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sei gegeben. Objektiv bestehe weiterhin ein Unterschied zwischen den einzelnen Ländern bei der Ausstattung mit Kinderbetreuungsangeboten. Das Betreuungsgeld könne zwar diese Unterschiede nicht beseitigen. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Familien mit kleinen Kindern sei aber nach Einschätzung des Gesetzentwurfs auch dadurch gefährdet, dass Familien, die sich gegen eine externe Betreuung entschieden, aufgrund divergierender Werthaltungen verbreitet mit fehlender Akzeptanz ihrer Entscheidung konfrontiert seien. Das Fehlen sozialer Akzeptanz werde durch die mit der Zahlung von Betreuungsgeld verbundene öffentliche Anerkennung der familieninternen Betreuung abgemildert.

19

Das Betreuungsgeld sei außerdem Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung. Daher könne das Betreuungsgeld - als wäre es bereits im Jahr 2008 mit dem Kinderförderungsgesetz geregelt worden - grundsätzlich auf die Erforderlichkeit des Kinderförderungsgesetzes insgesamt gestützt werden. Das vom Bundesgesetzgeber mit dem Kinderförderungsgesetz verfolgte Gesamtkonzept sehe vor, die Möglichkeiten, ein Kleinkind in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreuen zu lassen, zu erweitern, ohne dieses aufzwingen zu wollen. Dies wäre nach Einschätzung des Bundesgesetzgebers ohne eine das Betreuungsgeld einschließende bundeseinheitliche Regelung nicht zu erreichen gewesen.

20

Die Bestimmungen seien materiell verfassungsgemäß. Letztlich gehe es um eine zusätzliche Sozialleistung, bezüglich derer der Gesetzgeber über einen weiten Spielraum verfüge.

21

b) Auch die Bayerische Staatsregierung ist der Ansicht, dass dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zustehe. Der fürsorgeauslösende Sachverhalt im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG bestehe darin, dass Kleinkinder permanent Hilfe und Unterstützung benötigten, um überleben zu können. Im Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG sei dem Charakter des Betreuungsgeldes als Teilelement der Aufgabe der "Tagesbetreuung von Kleinkindern" im Gesamtkontext der Familienförderung Rechnung zu tragen. Nach der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung sei umso intensiver zu fragen, je tiefer in die Kompetenzräume der Länder eingedrungen werde und je stärker diesen "partikular-differenzierte Regelungen" verwehrt würden. Die durch das Betreuungsgeld als reinem Geldleistungsanspruch bewirkte Sperrwirkung zu Lasten des Kompetenzrahmens der Länder sei aber gering. Der Verzicht auf eine bundesgesetzliche Regelung hätte außerdem zur Folge, dass die Eltern in der Ausübung ihres durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Wahlrechts in finanziell deutlich unterschiedlicher Weise unterstützt würden.

22

Bezüglich des Kinderförderungsgesetzes habe der Bundesgesetzgeber seine Zuständigkeit unter anderem auf das Erfordernis der Wahrung der Wirtschaftseinheit gestützt. Diese Überlegungen trügen auch die Kompetenz für das Betreuungsgeld, denn dieses vervollständige die Basisnormen zur staatlich geförderten Betreuung. Es leiste einen Beitrag dazu, dass Eltern "darauf vertrauen" könnten, in allen Ländern finanziell in der Lage zu sein, "qualitätsorientierte" private Betreuungsangebote in Anspruch zu nehmen oder ihre private Betreuung nach den eigenen Erfordernissen zu organisieren. Mit dem Betreuungsgeld werde zudem ein Beitrag für die Mobilisierung des Beschäftigungspotenzials von Frauen geleistet.

23

Das Betreuungsgeldgesetz sei grundrechtskonform.

24

c) Die Niedersächsische Landesregierung teilt vor allem die kompetenzrechtlichen Bedenken des Antragstellers. Eine passgenaue Regelungsstruktur für die Bevölkerung der einzelnen Bundesländer zu finden, sei gemäß Art. 70 GG Sache der Länder, die zum Teil bewusst mit Blick auf die Vorteile einer qualifizierten Fremdbetreuung gerade für sozial schwache Familien keine Erziehungsgeldregelung vorgesehen hätten. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG seien nicht gegeben: Die Lebensverhältnisse hätten sich nicht in einer das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigenden Weise. Trotz der bestehenden Unterschiede in der Fremdbetreuungsquote sei es nicht etwa zu Wanderbewegungen hin zu Ländern gekommen, die ähnliche Regelungen wie das Betreuungsgeld vorhielten. Soweit das Gesetz eine flächendeckende Wahlfreiheit zwischen öffentlich geförderter und privater Betreuung schaffen wolle, strebe es lediglich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse an, was für Art. 72 Abs. 2 GG nicht genüge. Das Betreuungsgeld sei auch nicht zwingender Bestandteil eines einheitlichen Rechtskonzepts aus Bundeselterngeldgesetz und Kinderförderungsgesetz. Rein politische Verknüpfungen reichten hierfür nicht aus. Das Kriterium der Wahrung der Wirtschaftseinheit sei ebenso wenig erfüllt: Das Fehlen von Betreuungsgeldgesetzen in einigen Bundesländern habe schon deshalb keine gesamtwirtschaftlichen Folgen, weil es eher Anreize dafür setze, von einer Erwerbstätigkeit abzusehen. Umgekehrt sei der Lenkungseffekt bei 150 € zu gering, um Abwanderungsbewegungen hervorzurufen.

25

3. Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund, der Bundesverband für Kindertagespflege, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband und die Diakonie Deutschland verneinen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und halten die Regelungen für grundrechtswidrig. Der Deutsche Caritasverband nimmt nur zur materiellen Verfassungsmäßigkeit Stellung, die er ebenfalls verneint. Hingegen hält der Deutsche Familienverband, der ebenfalls nur hierzu Stellung nimmt, das Betreuungsgeld für materiell verfassungsmäßig. Das Deutsche Jugendinstitut hat empirische Daten und Analysen zur Wirkung des Betreuungsgeldes vorgelegt und schließt daraus auf der Grundlage einer Schätzung, dass das Betreuungsgeld geschlechtsspezifisch und schichtspezifisch wirke.

V.

26

In der mündlichen Verhandlung haben der Antragsteller, die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregierung und die Niedersächsische Landesregierung ihre Rechtsstandpunkte erläutert und vertieft. Als sachkundige Dritte gemäß § 27a BVerfGG haben die Diakonie Deutschland, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - Bundesverband, der Deutsche Familienverband, der Deutsche Caritasverband, das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht sowie der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen.

B.

27

Der nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 2a GG und § 76 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BVerfGG zulässige Normenkontrollantrag führt zur Feststellung, dass die §§ 4a bis 4d BEEG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) mit Art. 72 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig sind, weil der Bund für die Einführung eines Betreuungsgeldes nicht die erforderliche Gesetzgebungskompetenz besitzt. Zwar können die angegriffenen Regelungen der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zugeordnet werden, auf die sich die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt (I). Die in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch den Bund liegen jedoch nicht vor (II).

I.

28

Die Regelungen zum Betreuungsgeld sind dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen. Ein anderer Kompetenztitel kommt nicht in Betracht.

29

Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <341>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2014 - 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 135). Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine - sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <342>; 106, 62 <134>) - Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.

30

Die angegriffenen Regelungen erfüllen diese Voraussetzungen. Mit der Schaffung eines Betreuungsgeldanspruchs wollte der Gesetzgeber auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit reagieren (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte). Dabei durfte er von einem typischerweise in dieser Altersphase auftretenden besonderen Aufwand bei der Betreuung von Kleinkindern ausgehen, ohne hinsichtlich seiner Gesetzgebungskompetenz etwa danach differenzieren zu müssen, ob Bezieher der Leistung im Einzelfall wirtschaftlich bedürftig sind.

II.

31

Die in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der hier allein in Betracht kommenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) liegen hingegen nicht vor. Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf den dort genannten Gebieten das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Dies ist hier nicht der Fall (1). Auch die von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung im Rahmen dieses Normenkontrollverfahrens eingebrachte Überlegung, das Betreuungsgeld sei im Verbund mit dem Kinderförderungsgesetz kompetenzrechtlich als Ausdruck eines Gesamtkonzepts zu betrachten, vermag die Erforderlichkeit der angegriffenen Regelungen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht zu begründen (2).

32

1. Die angegriffenen Regelungen sind unter keinem der drei in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Gesichtspunkte erforderlich.

33

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird allein auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verwiesen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte). Die dazu angeführten Erwägungen vermögen die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung im Ergebnis nicht zu belegen. Zwar ist es für sich genommen regelmäßig unschädlich, wenn nicht bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien eine das Gesetz verfassungsrechtlich tragende Begründung erkennbar ist. Vielmehr genügt es für die Gesetzgebungskompetenz wie auch für die sonstigen Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes in der Regel, dass deren Vorliegen im verfassungsgerichtlichen Verfahren erkennbar wird. Das Grundgesetz schreibt grundsätzlich nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen ist. Es lässt Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Entscheidend ist, dass im Ergebnis die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt werden (vgl. BVerfGE 132, 134 <162 Rn. 70>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 11 BvL 12/12, 1 BvR 11 BvR 1691/13 -, juris, Rn. 77; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Mai 2015 - 1 BvR 1501/13, 1 BvR 11 BvR 1682/13 -, juris, Rn. 61; für den Fall der Höhe der Besoldung anders BVerfGE 130, 263 <301 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 u.a. -, juris, Rn. 129 f.). Hier haben sich indessen auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Gründe ergeben, welche die Annahme trügen, dass die angegriffenen Regelungen zur Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder der Wirtschaftseinheit erforderlich wären.

34

a) Die Regelungen sind nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich.

35

aa) Eine Bestimmung ist zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" nicht schon dann erforderlich, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse geht. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bedroht und der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 <144>; 111, 226 <253>; 112, 226 <244>). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>).

36

bb) Diesen Anforderungen genügen die zur Prüfung gestellten Bestimmungen über ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld nicht. Gründe, welche die Annahme tragen könnten, die Regelungen seien zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich, sind nicht erkennbar. Insbesondere bilden die in der Begründung des Gesetzentwurfs niedergelegten Erwägungen hierfür keine tragfähige Grundlage.

37

(1) Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte) mit der Zielformulierung, eine "flächendeckende" Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte zu schaffen und eine Förderung zu gewähren, die im Ergebnis allen Eltern "im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen" zugutekommt, der Gesichtspunkt der bundesweit einheitlichen Leistungsgewährung anklingt, begründet dies für sich genommen nicht die Erforderlichkeit der Regelungen zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse". Das bloße Ziel, bundeseinheitliche Regelungen in Kraft zu setzen oder eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu erreichen, genügen hierfür nicht (oben B II 1 a aa). Dass sich aber durch Unterschiede in der Bereitstellung von Landeserziehungsgeldern die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt hätten oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnete und deshalb zur Kompensierung solcher Divergenzen ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld erforderlich wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Zwar gibt es gegenwärtig nach den Landeserziehungsgeldgesetzen in Bayern (Gesetz zur Neuordnung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes vom 9. Juli 2007 , zuletzt geändert durch § 1 Nr. 196 der Verordnung vom 22. Juli 2014 ), in Sachsen (Gesetz über die Gewährung von Landeserziehungsgeld im Freistaat Sachsen vom 7. Januar 2008 , zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 29. April 2015 ) und noch in Thüringen (Thüringer Erziehungsgeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2006 , zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 4. Mai 2010 ), nicht aber in anderen Ländern dem Betreuungsgeld ähnliche staatliche Leistungen. Diese Konsequenz föderal vielfältiger Gestaltungen führt jedoch nicht zu einer erheblichen Schlechterstellung von Eltern in jenen Ländern, die solche Leistungen nicht gewähren. Ohnehin könnte das Bundesbetreuungsgeld ein bundesweit gleichwertiges Förderungsniveau von Familien mit Kleinkindern schon deshalb nicht herbeiführen, weil keine Anrechnungsvorschrift bezüglich bereits bestehender Landesregelungen existiert, so dass Eltern neben dem Bundesbetreuungsgeld in den drei genannten Ländern bei Erfüllen der jeweiligen Bezugsvoraussetzungen weiterhin zusätzlich das Landeserziehungsgeld beziehen können.

38

(2) Die Gewährung von Betreuungsgeld ist nicht deshalb nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, weil der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert und damit diese Form der frühkindlichen Betreuung bereits durch finanzielle Leistung unterstützt wird, so dass es einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte (vgl. aber BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielt auf den Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelner Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>) zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten. Wenn die Kleinkindertagesbetreuung durch Dritte stärker gefördert wird als die Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld, so liegt darin jedenfalls kein spezifisch föderaler Nachteil.

39

(3) Aus den Grundrechten ergibt sich nicht, dass die Gewährung von Betreuungsgeld zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich wäre. In der Begründung des Gesetzentwurfs wurden die schutzrechtliche Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG und die Verpflichtung des Staates hervorgehoben, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 f.). Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich jedoch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, die Pflege- und Erziehungsleistung der Eltern zu unterstützen, nicht herleiten. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren (vgl. BVerfGE 130, 240 <252> zum Landeserziehungsgeld). Auch Gleichheitsgründe gebieten weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung von die Betreuung eigenständig durchführenden Eltern gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen Eltern dies nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste. Auf die Frage, ob sich aus den Grundrechten im Hinblick auf das Kriterium gleichwertiger Lebensverhältnisse überhaupt ein Gesetzgebungsrecht des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG ergeben kann, kommt es folglich nicht an.

40

(4) Der in der Begründung des Gesetzentwurfs angeführte Umstand, dass bis heute zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung bestehen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte), vermag die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ebenfalls nicht zu begründen.

41

(a) Zwar bestehen - in abnehmendem Maße - bis heute zwischen den neuen und den alten Ländern Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsquote. Deren Bedeutung relativiert sich allerdings, wenn sie ins Verhältnis zum insofern ebenfalls differierenden Betreuungsbedarf gesetzt werden (vgl. zum Ganzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, März 2015, Kurzfassung S. 1 - 2; Langfassung S. 6 ff.). Ungeachtet der Frage, ob damit hinsichtlich der Verfügbarkeit von öffentlich geförderten Betreuungsplätzen überhaupt eine nach Art. 72 Abs. 2 GG relevante Schlechterstellung der Einwohner bestimmter Länder vorliegt, bezweckt das Betreuungsgeld aber nicht, etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kleinkinder zu beheben. Es ist dafür auch weder geeignet noch erforderlich.

42

Das Betreuungsgeld ist nicht als Ersatzleistung für den Fall ausgestaltet, dass ein Kleinkind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung erhält. Der Anspruch auf Betreuungsgeld setzt nach § 4a BEEG nicht voraus, dass kein öffentlich geförderter Betreuungsplatz verfügbar ist; vielmehr genügt die Nichtinanspruchnahme auch dann, wenn ein Betreuungsplatz vorhanden ist. Das Betreuungsgeld könnte etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen auch nicht beheben, da es nicht den gewünschten Betreuungsplatz schafft, sondern eine alternative Förderung bietet, die zudem angesichts der Höhe des Betreuungsgeldes zur Finanzierung eines privaten Betreuungsplatzes bei Weitem nicht ausreichte. Entsprechend hat auch die Bundesregierung schriftlich ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung nochmals betont, dass das Betreuungsgeld weder geeignet noch darauf angelegt sei, Unterschiede bei der Verfügbarkeit der Betreuungsplatzangebote im Bereich der frühkindlichen Bildung zu beseitigen. Das Betreuungsgeld habe vielmehr Anerkennungsfunktion.

43

Vor allem aber ist der Zugang zu öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder seit dem Jahr 2013 rechtlich so ausgestaltet, dass jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden muss. Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist. Danach kann das Betreuungsgeld von vornherein nicht auf die Schließung einer Verfügbarkeitslücke gerichtet sein. Dieses Ziel wird vielmehr unmittelbar und effektiv mit der Durchsetzung des Leistungsanspruchs der Eltern verfolgt (zu einem Aufwendungsersatzanspruch bei Nichterfüllung analog § 36a Abs. 3 SGB VIII vgl. BVerwGE 148, 13 <20 Rn. 26 ff.>).

44

(b) Denkbar bliebe indessen, dass der Bundesgesetzgeber mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz für Familien mit Kleinkindern schaffen wollte, den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII eingeräumten Anspruch auf einen Betreuungsplatz gar nicht erst geltend zu machen, um so dem wachsenden Betreuungsbedarf entgegenzuwirken und zu verhindern, dass eine Situation entsteht, in der die gesetzlichen Ansprüche auf einen Betreuungsplatz nicht mehr im geltend gemachten Umfang erfüllbar sind und möglicherweise Ersatz in Form entsprechender Geldzahlung geleistet werden müsste. Einem bei unzureichendem Ausbau eintretenden Verfügbarkeitsproblem würde so über eine Bedarfssteuerung entgegengewirkt.

45

Im Ergebnis lässt sich die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse aber auch auf diese Weise nicht begründen. Ob eine Reduktion der Geltendmachung eines Betreuungsbedarfs unter dem Gesichtspunkt der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 GG) überhaupt als Behebung einer etwaigen länderspezifischen Schlechterstellung beim Zugang zu Betreuungsplätzen angesehen werden könnte, kann dahinstehen. Denn wenn das Gesetz dieses Lenkungsziel verfolgte, müsste der Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein (vgl. BVerfGE 118, 79 <101 m.w.N.>). Dies ist hier nicht der Fall. Weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Normenkontrollverfahren wurde erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen Lenkungszweck verfolgen wollte. Die Bundesregierung wie auch die Bayerische Staatsregierung haben im Normenkontrollverfahren vielmehr die Einschätzung geäußert, dass es dem Bundesgesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung gerade nicht um Anreize gegen die Inanspruchnahme des Betreuungsangebots gegangen sei. Wiederholt wurde betont, Zweck des Betreuungsgeldes sei die Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern, die Schaffung größerer Freiräume für die familiäre Kinderbetreuung, die Verbesserung der Wahlfreiheit von Vätern und Müttern und die Schließung der Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kleinkinder (vgl. bereits BTDrucks 17/9917, S. 7 linke Spalte).

46

(5) In der Begründung des Gesetzentwurfs wird als weiteres Ziel die Herstellung einer "echten Wahlfreiheit" für alle Eltern zwischen der Betreuung innerhalb der Familie und der Betreuung in öffentlichen oder privat organisierten Betreuungsangeboten genannt (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Auch dieses gesetzgeberische Bestreben reicht jedoch nicht aus, um die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu begründen. Der gesellschaftspolitische Wunsch, die Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung innerhalb der Familie oder aber in einer Betreuungseinrichtung zu verbessern, vermag für sich genommen nicht die Erforderlichkeit einer Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG zu begründen. Auf die Frage, ob das Betreuungsgeld überhaupt geeignet ist, dieses Ziel zu fördern, kommt es daher nicht an.

47

(6) In der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte unten) wird auch auf eine von Land zu Land unterschiedliche Bewertung der Tagesbetreuung für Kleinkinder abgestellt. Die Bundesregierung hat dies dahingehend interpretiert und erläutert, Eltern, die sich gegen eine Betreuung ihrer kleinen Kinder in einer öffentlich geförderten Einrichtung entschieden, seien nach Einschätzung des Gesetzgebers in manchen Bereichen des Bundesgebiets aufgrund der dort verbreiteten Werthaltungen mit fehlender sozialer Akzeptanz konfrontiert. Das Fehlen sozialer Akzeptanz, das diese Eltern teilweise verstärkt erführen, werde durch die offizielle Anerkennung, die mit der Zahlung von Betreuungsgeld verbunden sei, jedenfalls abgemildert. Ungeachtet der Frage, ob finanzielle Leistungen wie das Betreuungsgeld überhaupt geeignet sind, etwaige Probleme sozialer Akzeptanz zu mildern, ist jedoch weder dargetan noch erscheint es praktisch vorstellbar, dass in einigen Ländern so gravierende Probleme der sozialen Akzeptanz eigener Kinderbetreuung bestünden, dass es zu einer nach Art. 72 Abs. 2 GG relevanten Schlechterstellung dort lebender Eltern gegenüber Eltern in anderen Ländern käme. In der Begründung des Gesetzentwurfs (a.a.O.) werden die unterschiedlichen Bewertungen der Tagesbetreuung lediglich als Erklärung für zwischen den Ländern bestehende Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aufgeführt.

48

b) Die angegriffenen Regelungen sind nicht zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich.Das hat auch der Gesetzgeber nicht angenommen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird die Erforderlichkeit der Bundesregelung allein bezüglich der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, nicht aber hinsichtlich der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit geltend gemacht (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte unten).

49

aa) Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 <155>). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 112, 226 <248 f.>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 <146>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer das Zusammenleben erheblich erschwerenden Rechtszersplitterung zielt (vgl. BVerfGE 106, 62 <145>), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 125, 141 <155 f.>). Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das "gesamtstaatliche Interesse" in besonderer Weise geprägt. Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit erwarten darf (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109 f.).

50

bb) Es ist nicht ersichtlich, dass ohne Einführung des Betreuungsgeldes nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit zu erwarten gewesen wären, die mit dem Betreuungsgeld hätten verhindert werden sollen.

51

(1) Der Annahme, die angegriffene Bundesregelung sei zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, steht bereits entgegen, dass sie zusätzliche vergleichbare Leistungen in einzelnen Ländern bestehen lässt, so dass eine Rechtsvereinheitlichung ohnehin nicht herbeigeführt wird (oben B II 1 a bb (1)). Die bundesgesetzliche Bereitstellung von Betreuungsgeld ist auch nicht zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich. Die Einführung eines Bundesbetreuungsgeldes war nicht Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik. Unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder haben keine erkennbaren erheblichen Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich gebracht. Auch der Gesetzgeber hat einen solchen Wirkzusammenhang nicht behauptet. Die Bundesregierung hat in diesem Verfahren ausdrücklich geäußert, dass Unterschiede zwischen den Ländern im Hinblick auf die Gewährung von Betreuungs- beziehungsweise Erziehungsgeld als solche die Anforderungen an das Merkmal der Wahrung der Rechtseinheit nicht erfüllen dürften und hat auch hinsichtlich der Erforderlichkeit zur Wahrung der Wirtschaftseinheit lediglich das Kinderförderungsgesetz, nicht aber das Betreuungsgeld erwähnt.

52

(2) Die Erwägungen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Kinderförderungsgesetz zu den Erfordernissen der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit angestellt wurden, sind auf das Betreuungsgeld nicht übertragbar. In der Begründung des Gesetzentwurfs zum Kinderförderungsgesetz heißt es:

"Die aus dieser Vielfalt der unterschiedlichen Regelungen resultierende Rechtszersplitterung kann sowohl im Interesse des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden. Angesichts der von Land zu Land unterschiedlichen Zugangskriterien zu den Tageseinrichtungen können Eltern, die eine Erwerbstätigkeit mit Pflichten in der Familie vereinbaren wollen und angesichts der Anforderungen der Wirtschaft ein hohes Maß an Mobilität aufbringen müssen, nicht darauf vertrauen, in allen Ländern ein im Wesentlichen gleiches Angebot an qualitätsorientierter Tagesbetreuung vorzufinden. Aus demselben Grunde können auch überregional agierende Unternehmen nicht damit rechnen, in allen Ländern auf ein Potenzial qualifizierter weiblicher Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, da sie örtlich und regional fehlende Betreuungsmöglichkeiten an einer Erwerbstätigkeit hindern" (BTDrucks 16/9299, S. 11 f.). (…) "Nur einheitliche Basisnormen im Bundesgebiet schaffen die Voraussetzungen für die Mobilität, die von den Eltern heute im Arbeitsleben erwartet wird. Deshalb ist ein bedarfsgerechtes Angebot an qualifizierter Tagesbetreuung in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland heute eine zentrale Voraussetzung für die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort in einer globalisierten Wirtschaftsordnung. Engpässe in der Versorgung mit Betreuungsplätzen in einzelnen Regionen haben unmittelbare Folgen für die Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte und damit für die Wettbewerbsfähigkeit dieser Region" (BTDrucks 16/9299, S. 12 linke Spalte).

53

Während beim Kinderförderungsgesetz unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit maßgeblich auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuungsmöglichkeit und Möglichkeiten der Beteiligung von Eltern am Arbeitsleben abgestellt und damit an die Bedeutung der Regelungen als Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfaktor angeknüpft wurde, fördert das hier zu beurteilende Betreuungsgeld die Erwerbsbeteiligung von Eltern nicht. Insbesondere ist das Betreuungsgeld weder dazu bestimmt noch ist es angesichts seiner Höhe dazu geeignet, eine private, nicht öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu finanzieren.

54

(3) Vor Erlass des Kinderförderungsgesetzes war bereits die Erforderlichkeit (Art. 72 Abs. 2 GG) des Elterngeldes nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz auf den Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit gestützt worden. Auch die damals angestellten Erwägungen sind nicht auf das Betreuungsgeld übertragbar. In der Begründung des Entwurfs dieses Gesetzes hieß es:

"Das die Leistungen nach diesem Gesetz übergreifende Ziel der Unterstützung betreuender Eltern bezieht sich auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Die Ausgestaltung der Elternzeit und der damit eng zusammenhängenden Elterngeldleistungen haben unmittelbaren Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Eltern und die damit korrespondierenden Anforderungen insbesondere an die Arbeitgeber, sich auf diese Auszeiten einzustellen. Hiervon ist der gesamte deutsche Arbeitsmarkt betroffen. Eine andernfalls zu erwartende Regelungsvielfalt auf Länderebene und die damit verbundene Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen können im Hinblick auf die gewünschten positiven Wirkungen für Familien nicht hingenommen werden" (BTDrucks 16/1889, S. 16 f.).

55

Anders als beim Kinderförderungsgesetz wurde das bundesstaatliche Regelungsinteresse hier also vor allem auf die Arbeitsmarkteffekte elternschaftsbedingter Auszeiten gestützt (s. dazu auch BSGE 103, 291 <298 Rn. 42>). Auch insoweit ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich, dass das Betreuungsgeld auch nur annähernd ähnliche Effekte zeitigte wie das Elterngeld. Das Elterngeld ist als Einkommensersatzleistung ausgestaltet, mit der die persönliche Betreuung des Kindes im ersten Lebensjahr ohne erhebliche finanzielle Einbußen ermöglicht werden sollte (vgl. BTDrucks 16/1889, S. 1 f., 14 ff., 19 f.). Das Elterngeld stellt mit einer Höhe von 67 % des vorherigen Einkommens einen für die Frage einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit erheblichen Faktor dar, der zudem aufgrund der sogenannten Partnermonate (§ 4 Abs. 4 BEEG) einen weiteren arbeitsmarktrelevanten Anreiz schafft, weil danach auch Väter die Erwerbstätigkeit vermehrt unterbrechen. Dass das Betreuungsgeld mit einer monatlichen Zahlung von 150 € geeignet ist, einen auch nur annähernd ähnlichen Unterbrechungseffekt zu entfalten, ist nicht erkennbar und wurde weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Normenkontrollverfahren behauptet.

56

2. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen über das Betreuungsgeld kann nicht, wie die Bundesregierung und ähnlich auch die Bayerische Staatsregierung in diesem Verfahren ausgeführt haben, darauf gestützt werden, dass die Regelungen "als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung" mit dem "Kinderförderungsgesetz insgesamt" nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich wären.

57

a) Zwar wird mit guten Gründen angenommen, dass die bundesrechtlichen Regelungen des Kinderförderungsgesetzes nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sind (oben B II 1 b bb (2)). Auch kann der Einschätzung der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung darin gefolgt werden, dass nach dem Willen des damaligen Gesetzgebers eine gewisse Verbindung bestehen sollte zwischen dem Ausbau der vielgestaltigen Kindertagesbetreuung und der Schaffung des Betreuungsanspruchs für Kleinkinder durch das Kinderförderungsgesetz auf der einen Seite und der Absicht auf der anderen Seite, jenen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen, ein Betreuungsgeld zu gewähren. Darauf weist insbesondere hin, dass der Gesetzgeber bereits mit dem Kinderförderungsgesetz im inzwischen entfallenen § 16 Abs. 4 (später Abs. 5) SGB VIII seine Absicht erklärt hat, für Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel ein Betreuungsgeld) einzuführen.

58

b) Wenn der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 2 GG für die nach dem Kinderförderungsgesetz gewährten Leistungen von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der öffentlichen Fürsorge Gebrauch machen durfte, begründet dies jedoch nicht auch die Zulässigkeit des Kompetenzgebrauchs hinsichtlich des Betreuungsgeldes. Will der Bundesgesetzgeber verschiedene Arten von Leistungen der öffentlichen Fürsorge begründen, muss grundsätzlich jede Fürsorgeleistung für sich genommen den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügen. Allein die Verbindung mit einer Bestimmung, die bundesrechtlicher Regelung unterliegt, schafft demnach noch nicht den bundesrechtlichen Regelungsbedarf für eine Bestimmung, die für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teile eines Gesamtkonzepts begreift, teilen diese nicht allein wegen dieses Verknüpfungswillens das kompetenzrechtliche Schicksal. Grundsätzlich ist der Bundesgesetzgeber bei der Realisierung legislativer Gesamtförderungskonzepte vielmehr auf jene Fürsorgeinstrumente beschränkt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen. Im Übrigen verbleibt ihm die Möglichkeit, eine übergreifende Konzeption in Kooperation mit den Ländern und in Abstimmung mit deren Gesetzgebung zu verfolgen.

59

c) Der hier zu entscheidende Fall lässt davon keine Ausnahme zu. Die angegriffenen Regelungen genügen nicht deshalb den Anforderungen des Art. 72 Abs 2 GG, weil sie in solch untrennbarem Zusammenhang zu anderen bundesrechtlich geregelten Förderinstrumenten stünden, dass sich deren Erforderlichkeit ausnahmsweise auf die angegriffenen Regelungen erstreckte.

60

aa) Ob bei der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge überhaupt Fälle auftreten können, in denen zwei Förderinstrumente kompetenzrechtlich als in solcher Weise zusammengehörig zu betrachten sind, dass sich die Erforderlichkeit der Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG hinsichtlich des einen Instruments auch auf jenes Förderinstrument erstreckt, das für sich genommen keiner bundesrechtlichen Regelung bedarf, kann hier offen bleiben. Jedenfalls müssten die Instrumente dafür objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen, so dass das für sich genommen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht erforderliche Instrument integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts wäre und sein Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährdete (vgl. BVerfGE 106, 62 <149 f.>; 113, 167 <197 f., 199>). Insofern kann mit Blick auf die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG nichts anderes gelten als für die ungeschriebene Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs. Auch für diese geht das Bundesverfassungsgericht seit jeher davon aus, dass die bloße Erwägung, es sei zweckmäßig, mit einer dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Materie gleichzeitig auch eine verwandte Materie zu regeln, nicht zur Begründung einer Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ausreicht. Ein sogenannter Sachzusammenhang vermöchte vielmehr eine Zuständigkeit nur dann zu stützen, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerlässliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie (BVerfGE 3, 407 <421>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Januar 2015 - 1 BvR 931/12 -, juris, Rn. 30). Dass sich die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG auf eine Regelung der öffentlichen Fürsorge erstreckt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt, wäre danach allenfalls dann denkbar, wenn diese unabtrennbarer Bestandteil einer Regelung wäre, die ihrerseits die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt.

61

bb) Zwischen der Regelung des Betreuungsgeldes und den Regelungen des Kinderförderungsgesetzes, insbesondere der Schaffung des Betreuungsplatzanspruchs, besteht ein solcher Zusammenhang nicht.

62

Die Regelungen des Kinderförderungsgesetzes verlören nichts von ihrer Tragfähigkeit, wenn das anderweitig geregelte Betreuungsgeld entfiele. Insbesondere veränderte sich dadurch nicht der Charakter der Leistungen und Regelungen des Bundes zur Kinderbetreuung in öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen. Entfiele das Betreuungsgeld, blieben die Regelungen und Ziele des Kinderförderungsgesetzes, namentlich der Ausbau der Betreuung von Kleinkindern sowie die Einführung eines entsprechenden Betreuungsanspruchs, unberührt. Die Regelung der Förderinstrumente des Kinderförderungsgesetzes wäre ohne gleichzeitige Schaffung eines Betreuungsgeldanspruchs auch nicht grundrechtswidrig (oben B II 1 a bb (3)). Auch wenn der Gesetzgeber ein Gesamtkonzept der frühkindlichen Betreuung schaffen wollte, sind das Kinderförderungsgesetz und die Regelungen über das Betreuungsgeld in kompetenzrechtlicher Hinsicht selbständige Teile dieses Gesamtkonzepts, von denen einer entfallen könnte, ohne dass der andere seinen Sinn verlöre oder auch bloß seinen Gehalt veränderte.

63

Auf die Frage, ob der Umstand der Erwähnung des Betreuungsgeldes bereits im Kinderförderungsgesetz (§ 16 Abs. 4 SGB VIII) belegt, dass schon dort ein Gesamtkonzept zur Förderung der Betreuung von Kleinkindern angelegt war, kommt es danach nicht an. Mit dieser Absichtserklärung des Gesetzgebers wird zwar eine konzeptionelle Verbindung der Regelungen dokumentiert. Maßgeblich ist aber nicht die konzeptionelle Verbindung, sondern die objektive Untrennbarkeit der Regelungen, an der es hier fehlt.

64

cc) Die Berücksichtigung der dem Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zukommenden Einschätzungsprärogative gestattet keine andere Bewertung der kompetenzrechtlichen Bedeutung der konzeptionellen Verbindung von Betreuungsgeld und öffentlicher Förderung des Betreuungsangebots.

65

(1) Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind, hat das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Insoweit besteht kein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum (vgl. BVerfGE 110, 141 <175>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 111). Im Rahmen der danach eröffneten verfassungsgerichtlichen Kontrolle steht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die allein zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG allerdings eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 111, 226 <255>; 125, 141 <154>; 128, 1 <34>; 135, 155 <204 Rn. 115>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 111). Diese Prärogative des Bundesgesetzgebers bezieht sich insbesondere auf die Einschätzung und Bewertung tatsächlicher Entwicklungen, von denen die Erforderlichkeit bundesrechtlicher Regelung hinsichtlich der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke abhängt. Indessen reicht die Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers nicht so weit, dass die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen, ganz in seine Hand gegeben wäre.

66

Dies gilt auch für die Beurteilung der - in diesem Verfahren von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung geltend gemachten - Erforderlichkeit einer Regelung im Rahmen eines regulatorischen Gesamtkonzepts des Bundesgesetzgebers. Ungeachtet der Frage, inwieweit die Zugehörigkeit verschiedener Bestimmungen zu einem Gesamtkonzept überhaupt die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG auch für jene Regelungsteile begründen könnte, die diese Anforderungen für sich genommen nicht erfüllen (oben B II 2 c aa), ist jedenfalls die Handhabung einer solchen potenziell kompetenzerweiternden Verknüpfungsmöglichkeit durch den Bundesgesetzgeber nicht von verfassungsrechtlicher Kontrolle freigestellt. Zwar verbleibt dem Gesetzgeber regelmäßig eine Prärogative für Konzept und Ausgestaltung von Gesetzen, was einschließt, eine politische Verbindung zwischen eigenständigen Instrumenten der Fürsorge herzustellen. Ob einzelne Bestandteile des politischen Gesamtkonzepts im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sind, weil sie nicht entfallen könnten, ohne das Gesamtkonzept zu gefährden, ist jedoch eine Frage des Verfassungsrechts, die gerichtlicher Kontrolle nicht vollständig entzogen ist (vgl. BVerfGE 106, 62 <149 f.>).

67

(2) Dem Bundesgesetzgeber hier eine nicht justiziable Verknüpfungskompetenz zu überlassen, verbietet sich nicht zuletzt angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG. In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 war Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung noch als sogenannte Bedürfnisklausel ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage, ob ein Bedürfnis im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, als eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers bezeichnet, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei (vgl. BVerfGE 2, 213 <224>; 78, 249 <270> m.w.N.). Durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) wurde die Bedürfnisklausel durch die heute geltende Erforderlichkeitsklausel ersetzt. Ziel der Neufassung war es, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren, um die "als unzureichend empfundene Justiziabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern" (vgl. BTDrucks 12/6633, S. 8 rechte Spalte). Nach dieser Maßgabe hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen der Bundesgesetzgebungskompetenzen aus Art. 74 GG und aus Art. 75 GG a.F. auf der Grundlage der neuen Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG heutiger Fassung strengerer Prüfung unterzogen als zuvor (s. insbesondere BVerfGE 106, 62 <135 ff.>; 110, 141 <175 ff.>; 111, 10 <28 f.>; 111, 226 <265 ff.>; 112, 226 <243 ff.>). In der Folgezeit sah sich der verfassungsändernde Gesetzgeber zwar zu einer weiteren, dieses Mal gegenläufigen Änderung veranlasst. Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) hat er den Anwendungsbereich der im Jahr 1994 in den Kriterien enger gefassten Erforderlichkeitsklausel auf bestimmte Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG beschränkt, nicht aber die Erforderlichkeitsklausel selbst gelockert. Die hier relevante Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG war von dieser letzten Änderung jedoch nicht betroffen. Bei der Bundesgesetzgebung im Bereich der öffentlichen Fürsorge kommt also weiterhin die seit der Verfassungsreform von 1994 geltende Erforderlichkeitsklausel zur Anwendung. Weil aber der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 2006 die neue Erforderlichkeitsklausel in Kenntnis der dazu ergangenen, im Vergleich zu früher nunmehr strengeren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich unverändert lassen wollte (vgl. BTDrucks 16/813, S. 11 linke Spalte), ist der verfassungsgerichtlichen Prüfung weiterhin ein Verständnis des Art. 72 Abs. 2 GG zugrunde zu legen, das die darin vom verfassungsändernden Gesetzgeber im Jahr 1994 gezielt errichtete Grenze für die Bundesgesetzgebung nicht leerlaufen lässt.

68

Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund kann es nicht der einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers überlassen bleiben, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge selbständige Förderinstrumente mit der Folge zu einem politischen Konzept zu verbinden, dass bereits hierdurch die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung umfassend zu bejahen wäre. Könnte der Bundesgesetzgeber kraft politisch gewollter Verklammerung verschiedener Fürsorgeinstrumente auch für jene Instrumente die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes begründen, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllen, hätte der Bund die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nach wie vor selbst in der Hand. Dies wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1994 durch die Reform des Art. 72 Abs. 2 GG gerade ausschließen (vgl. BVerfGE 106, 62 <148>). Art. 72 Abs. 2 GG büßte so die ihm in der Neufassung zusammen mit dem ebenfalls neuen verfassungsgerichtlichen Verfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG zugedachte Funktion ein, die Position der Länder zu stärken und zugleich eine effektive verfassungsgerichtliche Überprüfung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 106, 62 <136 ff.>).

69

Aus Sicht des Bundesgesetzgebers mag es, wie die Bundesregierung in diesem Verfahren vorgetragen hat, erstrebenswert sein, Fürsorgeleistungen im Bereich der Familienförderung insgesamt bundeseinheitlich regeln zu können. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich indessen zweimal gegen eine so weitreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes entschieden, indem er zunächst im Jahr 1994 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme konkurrierender Kompetenzen durch den Bund in Art. 72 Abs. 2 GG verschärft und sodann im Jahr 2006 den Bundesgesetzgeber bei der Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge anders als bei anderen Kompetenzen nicht von den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG freigestellt hat.

70

(3) Eine der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogene Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers für kompetenzbegründende Verknüpfungen verschiedener Fürsorgeleistungen im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ergibt sich nicht - wie die Bayerische Staatsregierung in der mündlichen Verhandlung erwogen hat - daraus, dass es sich bei dem Betreuungsgeld "lediglich" um einen Geldleistungsanspruch handele, der den Kompetenzraum der Länder nicht spezifisch beeinträchtige.

71

Eine Vermutung, dass Regelungen des Bundes über staatliche Geldleistungen die Gesetzgebungskompetenz der Länder weniger intensiv berührten als andere Regelungen, ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Dass bundesrechtliche Regelungen über die Gewährung von Geldleistungen die landespolitischen Gestaltungsspielräume nicht notwendig erweitern, sondern je nach Lage der Dinge vielmehr beeinträchtigen können, hat der Antragsteller auch im vorliegenden Verfahren nachvollziehbar dargelegt; die Landesregierung Niedersachsens hat sich ähnlich geäußert. Der Antragsteller hat in das Zentrum seiner schriftlichen und mündlichen Ausführungen die Feststellung gerückt, das Betreuungsgeld konterkariere die von den Ländern und Kommunen in eigener politischer Verantwortung entwickelten Angebote. Der Bund setze mit seiner Regelung einen Anreiz für einkommensschwache und bildungsferne Familien, als den besonders wichtigen Zielgruppen der Betreuungs- und Förderangebote, die von den Ländern und Kommunen bereitgestellten Kinderbetreuungs- und Förderangebote auszuschlagen. Die bislang gewonnen Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass das Betreuungsgeld in einigen Ländern - sicherlich in Abhängigkeit von der konkreten Bevölkerungszusammensetzung - die Gestaltungsmöglichkeiten für die Förderung der Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren berührt (oben A II 3) und damit keine in kompetenzrechtlicher Hinsicht neutrale Regelung ist.

C.

72

Danach verstoßen die §§ 4a bis 4d BEEG in der durch das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl I S. 254) erlangten Fassung gegen Art. 72 Abs. 2 GG und sind nichtig (§ 78 Satz 1 BVerfGG).

73

Die Anordnung einer Übergangsregelung durch den Senat (§ 35 BVerfGG) erscheint nicht notwendig. Etwaigen Erfordernissen des Vertrauensschutzes kann gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gegebenenfalls in Verbindung mit § 45 Abs. 2 SGB X Rechnung getragen werden.

74

Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die angegriffenen Vorschriften mit den Grundrechten vereinbar sind, bedarf keiner Antwort, weil die Bestimmungen wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz nichtig sind.

75

Dieses Urteil ist einstimmig ergangen.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Festsetzung eines Mindestbeitrags zur gesetzlichen Unfallversicherung streitig.

2

Der Kläger betreibt seit 5.9.2006 ein Unternehmen für Hausreinigung und Hauswartung. Durch Aufnahmebescheid vom 13.11.2006 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit für dieses Unternehmen fest. Mit Bescheid vom 24.4.2009 setzte sie für das Jahr 2008 Beiträge für das Insolvenzgeld in Höhe von 0,44 Euro und für den Betriebsarzt/Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) in Höhe von 0,55 Euro sowie auf der Grundlage der vom Kläger gemeldeten Arbeitsentgelte von 420 Euro einen Umlagebeitrag in Höhe von 8,94 Euro fest, den sie um einen Zuschlag von 91,06 Euro auf den Mindestbetrag von 100 Euro erhöhte (Gesamtbeitrag 100,99 Euro). Mit weiterem Bescheid vom selben Tag forderte die Beklagte für das Jahr 2009 einen um 90,74 Euro erhöhten Vorschuss auf die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe des Mindestbeitrags von 100 Euro. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Beklagte zurück, weil der vom Vorstand rechtmäßig beschlossene Mindestbeitrag weder überhöht noch unverhältnismäßig oder gar sittenwidrig sei (Widerspruchsbescheid vom 21.8.2009).

3

Der Kläger hat hiergegen Klage zum SG Berlin erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 23.4.2010 für das Jahr 2009 den aufgrund der gemeldeten Arbeitsentgelte von 1950 Euro errechneten Umlagebeitrag in Höhe von 42,71 Euro um 57,29 Euro auf den Mindestbeitrag von 100 Euro erhöht sowie Beiträge für den Betriebsarzt/AMD in Höhe von 2,54 Euro und für den Technischen Beratungsdienst/Sicherheitstechnischen Dienst in Höhe von 0,51 Euro festgesetzt (Gesamtbeitrag 103,05 Euro).

4

Das SG Berlin hat die Beitragsfestsetzung aufgehoben, soweit sie den Gesamtbeitrag von 9,93 Euro für das Jahr 2008 und von 45,76 Euro für das Jahr 2009 übersteigt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die der Festsetzung des Mindestbeitrags zugrunde liegenden Satzungsregelungen der Beklagten seien wegen Verstoßes gegen § 161 SGB VII nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Satzungsgeber habe die Bestimmung des Mindestbeitrags nicht dem Ermessen des Vorstands überlassen dürfen. Zwar lasse der Wortlaut dieser Vorschrift offen, wer die Höhe des Mindestbeitrags festzusetzen habe. Die zur Erhebung eines Grundbeitrags in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ergangene Rechtsprechung des BSG lasse sich aber auf die allgemeine Unfallversicherung übertragen. Danach müsse wegen der im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätze des Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots die Satzung selbst die Höhe des Mindestbeitrags oder zumindest die Kriterien zu deren Bestimmung regeln. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise mögliche vorübergehende Fortgeltung gesetzeswidriger Satzungsbestimmungen seien nicht erfüllt (Urteil vom 20.6.2013).

5

Durch Beschluss vom 22.7.2013 hat das SG die Rechtsmittelbelehrung des Urteils berichtigt.

6

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung des § 161 SGB VII iVm § 19 Satz 2 Nr 12 und § 26 Abs 6 ihrer Satzung. Die Festsetzung des Mindestbeitrags durch den Vorstand verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Während der den Besonderheiten der landwirtschaftlichen Unfallversicherung Rechnung tragende § 182 Abs 2 Satz 3 SGB VII aF regele, dass die Satzung zusätzlich zu anderen Berechnungsgrundlagen Mindestbeiträge bestimmen könne, sehe § 161 SGB VII für die gewerbliche Unfallversicherung nur eine durch Satzung zu treffende Grundsatzentscheidung darüber vor, "ob" ein Mindestbeitrag erhoben werde. Damit dürfe die Entscheidung über die Höhe des Mindestbeitrags dem Vorstand zugewiesen werden. Eine Kombination von mehreren Berechnungsmöglichkeiten sei in der landwirtschaftlichen, nicht aber in der gewerblichen Unfallversicherung möglich. Auch das LSG Sachsen-Anhalt habe die Übertragung der Festsetzungsbefugnis auf den Vorstand für zulässig erachtet (Urteil vom 11.9.2013 - L 6 U 81/12).

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2013 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das SG hat den Klagen zu Recht stattgegeben. Die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit der festgesetzte Umlagebeitrag für das Jahr 2008 den Betrag von 8,94 Euro und für das Jahr 2009 den Betrag von 42,71 Euro übersteigt.

11

Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens sind die zulässig erhobenen Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), mit denen der Kläger die teilweise Aufhebung der Beitragsfestsetzung für das Jahr 2008 im Bescheid vom 24.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.9.2009 sowie für das Jahr 2009 im Bescheid vom 23.4.2010 begehrt. Nicht angegriffen ist hingegen der auf andere Weise erledigte (§ 39 Abs 2 SGB X) einstweilige Verwaltungsakt vom 24.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2009, mit dem die Beklagte einen Beitragsvorschuss nach § 164 Abs 1 SGB VII auf die voraussichtlich zu zahlenden Beiträge gefordert hat. Ebenso wie einstweilige Regelungen über Vorschüsse nach § 42 Abs 1 Satz 1 SGB I(vgl hierzu BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 26/11 R - SozR 4-2700 § 50 Nr 1 RdNr 11 ff = SGb 2013, 484 = SGb 2014, 39, 40 mwN) entfalten auch Festsetzungen von Beitragsvorschüssen nach § 164 Abs 1 SGB VII nur vorläufig Rechtswirkungen. Sie sind von vornherein bis zur Beendigung des die endgültige Beitragsforderung betreffenden Verwaltungsverfahrens begrenzt. Ergeht die endgültige Entscheidung, so erledigt sich dadurch der vorläufige Verwaltungsakt auf andere Weise iS des § 39 Abs 2 SGB X.

12

Der die Beitragsforderung für das Jahr 2009 endgültig festsetzende Verwaltungsakt vom 23.4.2010 hat den einstweiligen Verwaltungsakt im Vorschussbescheid vom 24.4.2009 ersetzt und ist damit Gegenstand des Klageverfahrens geworden (§ 96 Abs 1 SGG; vgl BSG vom 29.8.1962 - 7 RKg 7/60 - juris RdNr 14). Dass das SG den "Vorschussbescheid der Beklagten für das Jahr 2009 vom 24. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2009" als streitgegenständlich angesehen und geändert hat, steht dem nicht entgegen. Auch das SG hat nicht über die Rechtmäßigkeit des Beitragsvorschusses, sondern der endgültigen Festsetzung des Umlagebeitrags für das Jahr 2009 befunden.

13

In der Sache hat die Vorinstanz zutreffend die Festsetzung des Umlagebeitrags für die Jahre 2008 und 2009 im angefochtenen Umfang aufgehoben. Die Beklagte ist zwar aufgrund ihres bestandskräftigen und damit bindenden (§ 78 Abs 1, § 77 SGG)Aufnahmebescheids vom 13.11.2006 der für den Kläger zuständige Unfallversicherungsträger (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 20/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 5 RdNr 27 ff = SGb 2010, 177, 179 = NZS 2010, 342, 343). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit dieses Verwaltungsakts (§ 40 Abs 1 und 2 SGB X)sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Für die Erhöhung des Umlagebeitrags auf den Mindestbeitrag von 100 Euro fehlt es aber an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die Regelungen in §§ 19 Nr 12 und 26 Abs 6 der Satzung der Beklagten verstoßen gegen höherrangiges Recht(dazu 1.). Die damit nichtigen Bestimmungen der Satzung können auch nicht ausnahmsweise vorübergehend weitergelten (dazu 2.).

14

1. Die Beklagte war nicht befugt, die Festlegung der Höhe des Mindestbeitrags durch Satzung auf den Vorstand zu übertragen.

15

In der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Unternehmer beitragspflichtig, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind (§ 150 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB VII). Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind nach § 153 Abs 1 SGB VII, soweit sich aus den nachfolgenden Vorschriften nicht etwas anderes ergibt, der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die Gefahrklassen. Aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß ergeben sich die vom Unfallversicherungsträger schriftlich durch Bescheid mitzuteilenden einzelnen Beiträge (§ 167 Abs 1, § 168 Abs 1 SGB VII).

16

Der Senat hat hierzu zwar in ständiger Rechtsprechung betont (zuletzt mit zahlreichen Nachweisen BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 8/12 R - BSGE 113, 192 = SozR 4-2700 § 157 Nr 5),dass bei der Erfüllung der Rechtspflicht, einen Gefahrtarif festzusetzen und Gefahrklassen zu bilden, der Vertreterversammlung als Organ der Beklagten ein autonom auszufüllendes Rechtsetzungsrecht zusteht. Den Unfallversicherungsträgern als ihre Angelegenheiten selbst regelnde öffentlich-rechtliche Körperschaften ist hierbei ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung autonomes Recht setzen (BSG vom 13.12.1960 - 2 RU 67/58 - BSGE 13, 189 = SozR Nr 2 zu § 915 RVO; BSG vom 14.12.1967 - 2 RU 60/65 - BSGE 27, 237, 240 = SozR Nr 1 zu § 730 RVO; BSG vom 29.11.1973 - 8/2 RU 33/70 - SozR Nr 4 zu § 725 RVO; BSG vom 22.3.1983 - 2 RU 27/81 - BSGE 55, 26, 27 = SozR 2200 § 734 Nr 3; BSG vom 18.10.1984 - 2 RU 31/83 - SozR 2200 § 725 Nr 10; BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 49/84 - SozR 2200 § 734 Nr 5; BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85 - SozR 2200 § 731 Nr 2; BSG vom 21.8.1991 - 2 RU 54/90 - NZA 1992, 335; BSG vom 18.10.1994 - 2 RU 6/94 - SGb 1995, 253, 255; grundlegend gebilligt durch BVerfG vom 3.7.2007 - 1 BvR 1696/03 - SozR 4-2700 § 157 Nr 3; zur Satzungsautonomie und der Nichtanwendbarkeit der Kriterien des Art 80 Abs 1 Satz 2 GG vgl auch den sog Facharztbeschluss vom 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 - BVerfGE 33, 125, 155 ff; weiterhin BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 12 mwN; "weiter inhaltl Regelungsspielraum", vgl auch Ricke in KassKomm, Stand Dezember 2011, § 157 SGB VII RdNr 5; Spellbrink, SR 2012, 17, 20 mwN; für das Kassenarztrecht: BSG vom 14.12.2011 - B 6 KA 6/11 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 68 RdNr 27).

17

Die Beklagte hat jedoch die Grenzen des soeben aufgezeigten Gestaltungsspielraums überschritten, indem sie die Festsetzung der Höhe der Mindestbeiträge durch Satzung auf den Vorstand übertragen hat. Nach § 161 SGB VII kann die Satzung bestimmen, dass ein einheitlicher Mindestbeitrag erhoben wird. § 26 Abs 6 iVm § 19 Satz 2 Nr 12 der Satzung der Beklagten in den hier maßgebenden, zum 1.5.2005 und 4.12.2008 (Dritter Nachtrag vom 3.12.2008) in Kraft getretenen Fassungen ordnet insoweit an, dass ein einheitlicher Mindestbeitrag erhoben wird, "dessen Höhe der Vorstand festsetzt". Auch ist der Mindestbeitrag durch Beschluss des Vorstands der Beklagten vom 2.5.2005 auf 100 Euro festgesetzt worden. Die genannten Satzungsbestimmungen der Beklagten, die revisibles Recht darstellen, weil sie sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstrecken (vgl § 4 der Satzung) und damit über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus gelten (§ 162 SGG), sind aber unwirksam, weil sie von der Ermächtigung in § 161 SGB VII nicht erfasst werden. Die durch diese Vorschrift vorgegebenen Grenzen der autonomen Rechtsetzungsbefugnis hat die Beklagte überschritten. Sie hätte den Mindestbeitrag selbst durch Satzung bestimmen müssen und war nicht befugt, die Beitragsfestsetzung dem Vorstand zu überlassen.

18

Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB IV beschließt die Vertreterversammlung die Satzung und sonstiges autonomes Recht des Versicherungsträgers sowie in den übrigen durch Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht vorgesehenen Fällen. Die Vorschrift verleiht damit der Vertreterversammlung unmittelbar die Rechtsetzungsmacht, die Ausfluss des durch Gesetz eingeräumten Rechts auf Selbstverwaltung ist (vgl §§ 29, 31 Abs 1 SGB IV). Hieraus folgt, dass die mit der Normsetzung zusammenhängende Willensbildung ebenfalls durch die Vertreterversammlung zu vollziehen ist und nicht an ein anderes Organ delegiert werden kann (Freund in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand X/10, K § 33 RdNr 5). § 66 Abs 1 Satz 1 SGB IV verbietet den Selbstverwaltungsorganen, die Rechtsetzung auf Ausschüsse zu übertragen. Der Vorstand ist gemäß § 35 Abs 1 Satz 1 SGB IV lediglich dazu berufen, den Versicherungsträger zu verwalten und ihn gerichtlich sowie außergerichtlich zu vertreten, soweit Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts Abweichendes bestimmen. Diese Aufgabenzuweisung schließt zwar die Mitwirkung des Vorstands an der autonomen Rechtsetzung nicht aus (vgl BT-Drucks 7/4122 S 35 zu § 34), die auch in einem Vorschlagsrecht des Vorstands seinen Ausdruck finden kann. Das für die Rechtsetzung verantwortliche Organ ist aber allein die Vertreterversammlung (Freund aaO).

19

Das von der Vertreterversammlung erlassene autonome Satzungsrecht muss auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruhen. Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden. Der Gesetzgeber begibt sich mit der Verleihung dieser Autonomie innerhalb eines von vornherein durch Wesen und Aufgabenstellung der Körperschaft begrenzten Bereichs seiner Regelungsbefugnis und ermächtigt Dritte, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Er darf sich aber seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluss auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen völlig preisgeben. Der Gesetzesvorbehalt in Art 20 Abs 3 GG verlangt, dass staatliches Handeln durch förmliches Gesetz legitimiert ist. Grundsätzliche Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, sind durch Gesetz zu regeln (BSG vom 3.4.2014 - B 5 R 5/13 R - SozR 4-2600 § 137b Nr 1 RdNr 21 mit Hinweisen auf BVerfG).

20

Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 17.5.2011 (B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194, 200 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 37 f)eingehend begründet, dass über den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes hinaus in § 31 SGB I bestimmt ist, dass in den Sozialleistungsbereichen des SGB I einschließlich der gesetzlichen Unfallversicherung(vgl § 22 SGB I) Rechte und Pflichten nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit es ein Gesetz vorschreibt oder zulässt. Ohne Ermächtigung durch Parlamentsgesetz ist dem Sozialversicherungsträger die Regelung von Rechten oder Pflichten des Bürgers verwehrt. Insoweit bedürfen untergesetzliche Normen wie Satzungen einer Inhalt und Umfang bestimmenden Ermächtigungsgrundlage in einem formellen Gesetz (BSG vom 3.4.2014 - B 5 R 5/13 R - SozR 4-2600 § 137b Nr 1 RdNr 22 mwN; vgl auch Rüfner in Wannagat, SGB I, Stand Juli 2000, § 31 RdNr 7; Klose in Jahn, SGB I, Stand Februar 2011, § 31 RdNr 11 f; Seewald in KassKomm, Stand September 2007, § 31 SGB I RdNr 8 und 13). Die Unfallversicherungsträger als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts gemäß § 29 SGB IV, denen das GG keine Aufgaben mittels Generalklausel zuweist(anders Art 28 Abs 2 GG für örtliche Angelegenheiten der Gemeinden, Allzuständigkeit), haben nur Satzungs- und Regelungskompetenz mit Wirkung gegenüber dem Bürger, wenn und soweit ihnen Aufgaben ausdrücklich vom Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl Schlegel in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - UV-Recht , 1996, § 19 RdNr 5; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB IV, K § 34 RdNr 5; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl 2011, § 23 RdNr 42). Ein solch formelles Gesetz ist für § 26 Abs 6 iVm § 19 Satz 2 Nr 12 der Satzung der Beklagten und den Beschluss ihres Vorstands vom 2.5.2005 nicht in § 161 SGB VII zu erblicken.

21

Der Senat hat bereits entschieden, dass § 49 Abs 6 der Satzung der früheren Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) Rheinland-Pfalz, wonach die Vertretersammlung den Grundbeitrag festzulegen hatte, diese Befugnis aber auf den Vorstand übertragen konnte, und § 38 Abs 2 der Satzung der früheren LBG Württemberg über die Zuständigkeit des Vorstands für die Beitragsfestsetzung mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts und der Bestimmtheit von Gesetzen nicht vereinbar sind. Danach bedürfen Eingriffsakte der Verwaltung einer normativen Grundlage, die so formuliert ist, dass die Folgen der Regelung für den Normadressaten erkennbar und berechenbar sind. Der Beitragsschuldner muss aus den die Beitragspflicht regelnden Rechtsvorschriften ersehen können, wie sich der Beitrag zusammensetzt und welche Belastung ihn persönlich erwartet, soweit dies im Rahmen eines Umlageverfahrens mit nachfolgender Bedarfsdeckung möglich ist (§ 152 Abs 1 SGB VII). Die Merkmale, nach denen sich der Beitrag bemisst, müssen im Rahmen des Möglichen in der Satzung so genau bestimmt werden, dass die Beitragslast vorausberechnet werden kann. Von dieser Verpflichtung konnte der weite Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, den das Gesetz der Selbstverwaltung hinsichtlich der Beitragsgestaltung in § 182 Abs 2 SGB VII aF einräumte, nicht entbinden. Haben die Unfallversicherungsträger die Möglichkeit, unter zahlreichen Beitragsmaßstäben zu wählen und diese nach ihrem Ermessen mit einem Grundbeitrag oder einem Mindestbeitrag zu kombinieren, besteht die Notwendigkeit, die jeweils maßgebenden Berechnungsgrundlagen in der Satzung hinreichend klar festzulegen, damit die Beitragserhebung für die Betroffenen transparent und nachvollziehbar ist. Delegieren darf der Satzungsgeber solche Festlegungen, die er selbst nicht treffen kann, weil zB eine für die Beitragsberechnung benötigte Rechengröße im Vorhinein nicht bekannt ist und daran anknüpfende Entscheidungen deshalb erst am Ende des Umlagejahres getroffen werden können. Auch insoweit müssen aber die Berechnungsmodalitäten aus der Satzung ersichtlich sein und nur die Umsetzung darf der Vertreterversammlung oder, sofern es sich um eine reine Rechenoperation handelt, auch dem Vorstand überlassen werden. Diesen Maßstäben genügten die beanstandeten Satzungsnormen nicht, weil sie dem Vorstand weit über bloße Rechenoperationen hinausreichende Entscheidungsbefugnisse einräumten, ohne dass dies aus sachlichen Gründen geboten war (BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 25 ff und vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 11 ff).

22

Die für die landwirtschaftliche Unfallversicherung maßgebenden Anforderungen an eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Mindestbeitragsfestsetzung gelten auch für die gewerbliche Unfallversicherung. Dem stehen weder der von § 182 Abs 2 Satz 3 SGB VII aF(jetzt § 182 Abs 2 Satz 4 SGB VII idF des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 12.4.2012, BGBl I 579) abweichende Wortlaut des § 161 SGB VII noch die in den jeweiligen Zweigen der gesetzlichen Unfallversicherung differenziert ausgestaltete Beitragsbemessung entgegen.

23

Der Beklagten ist einzuräumen, dass nach § 182 Abs 2 Satz 3 SGB VII in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) die Satzung zusätzlich zu den Berechnungsgrundlagen nach den Sätzen 1 und 2 einen Mindestbeitrag oder einen Grundbeitrag "bestimmen" kann. Der Wortlaut der Vorschrift macht deutlich, dass die Höhe des Mindest- oder Grundbeitrags in der Satzung selbst festzulegen ist und lässt keinen Raum für die Annahme, der Satzungsgeber könne sich auf die Anordnung beschränken, dass überhaupt ein Mindest- oder Grundbeitrag erhoben wird, und die näheren Festlegungen auf den Vorstand übertragen (BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 26). Demgegenüber kann zwar nach § 161 SGB VII die Satzung "bestimmen", dass ein einheitlicher Mindestbeitrag "erhoben" wird. Auch die Formulierung dieser Vorschrift bedeutet aber nach allgemeinem Sprachverständnis, dass die Höhe des Mindestbeitrags durch die Satzung selbst zu regeln ist, weil es an jeglichem Bezug zu einem ansonsten zur Beitragsbestimmung berufenen Organ fehlt.

24

Diese Wortlautinterpretation wird durch eine systematische Auslegung der Regelungen des SGB VII über das Beitragsrecht gestützt. Der in § 161 SGB VII gewählte Wortlaut findet sich in verschiedenen Vorschriften des für die gewerbliche Unfallversicherung geltenden Beitragsrechts(§§ 150 SGB VII ff). Danach kann die Satzung auch "bestimmen", dass Aufwendungen für bestimmte Versicherte in besonderer Weise umgelegt werden (§ 152 Abs 3 SGB VII), der Beitragsberechnung mindestens das Arbeitsentgelt in Höhe des Mindestjahresarbeitsverdienstes für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 153 Abs 3 Satz 1 SGB VII), oder der Jahresarbeitsverdienst von Versicherten, die nicht als Besatzungsmitglied tätig sind, nur zum Teil zugrunde gelegt wird (§ 154 Abs 2 Satz 2 SGB VII), die Beiträge nicht nach Arbeitsentgelten, sondern nach der Zahl der Versicherten unter Berücksichtigung der Gefährdungsrisiken berechnet werden (§ 155 Abs 1 Satz 1 SGB VII), das für die Berechnung der Beiträge maßgebende Arbeitsentgelt nach der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden oder den für die jeweiligen Arbeiten nach allgemeinen Erfahrungswerten durchschnittlich aufzuwendenden Arbeitsstunden berechnet wird (§ 156 Halbs 1 SGB VII), und die Unternehmer weitere zur Berechnung der Umlage notwendige Angaben zu machen (§ 165 Abs 1 Satz 3 SGB VII) und ihren Beitrag selbst zu errechnen haben (§ 168 Abs 3 Halbs 1 SGB VII). Damit hat der Gesetzgeber spezifische Satzungsregelungen durch den Satzungsgeber ermöglicht, ohne ihm entgegen § 33 Abs 1 Satz 1 und § 35 Abs 1 Satz 1 SGB IV zugleich die Befugnis einzuräumen, seine Regelungshoheit jeweils auf den Vorstand zu übertragen. Mit der jeweiligen Ermächtigung, dass die Satzung konkrete Vorgaben "bestimmen" kann, ist keine Verlagerung der Regelungsbefugnis verbunden. Indem das vom Gesetzgeber in den einzelnen beitragsrechtlichen Vorschriften formulierte Tätigwerden durch Satzung bestimmt werden kann, wird lediglich die Rechtsetzungsbefugnis des Satzungsgebers inhaltlich beschrieben.

25

Das hier gefundene Ergebnis widerspricht weder der Regelungsintention des Gesetzgebers noch der Rechtsprechung des Senats. Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber eine Festsetzung des Mindestbeitrags der Höhe nach außerhalb der Satzung des Unfallversicherungsträgers durch den Vorstand ermöglichen wollte, finden sich nicht in den Gesetzesmaterialien zu §§ 161 und 182 SGB VII(vgl BT-Drucks 13/2204 S 112 und 114 f zu §§ 161 und 182) sowie deren Vorläuferbestimmungen des § 734 Abs 1 Satz 2, § 994 Abs 1, § 728 Abs 1 und § 803 Abs 2 Satz 2 RVO(vgl BT-Drucks IV/120 S 67 und 71 zu § 725 Abs 1 und § 801 bis § 813 sowie RT-Drucks III/691 S 5 und 35 zu Art 32 und 50). In seinem Urteil vom 27.1.1994 (2 RU 9/93 - BSGE 74, 54 = SozR 3-2200 § 728 Nr 1) hat der Senat zwar die Beitragserhebung auf der Grundlage eines Vorstandsbeschlusses unbeanstandet gelassen. Der Senat hat jedoch in seinem Urteil vom 7.12.2004 an dieser Billigung der Beitragsfestsetzung durch den Vorstand ausdrücklich nicht mehr festgehalten (B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 28),abgesehen davon, dass sich die frühere Entscheidung auf Ausführungsbestimmungen des Reichsversicherungsamts vom 25.11.1925 zu § 734 und § 994 Abs 1 RVO aF über die Erhebung von einheitlichen Mindestbeiträgen (AN 1925, 360) stützte, wonach die Höhe eines nach der Satzung zu erhebenden Mindestbeitrags vom Vorstand festzusetzen war.

26

Dass die Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung anders geregelt ist als in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Es ist rechtlich nicht nachvollziehbar und von der Beklagten auch nicht begründet worden, weshalb die materiell-rechtlich unterschiedlich ausgestaltete Beitragsbemessung zu einer unterschiedlichen formalen Rechtsetzungskompetenz führen soll. Auch wenn die Berechnungsgrundlagen für die Beitragserhebung und das Umlageverfahren in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung abweichend von §§ 152 SGB VII ff in den besonderen Bestimmungen der §§ 182 und 183 SGB VII normiert sind, erfordert die in der gesetzlichen Unfallversicherung insgesamt zu beachtende Beitragstransparenz als Ausfluss des wegen des mit der Beitragsbelastung verbundenen Eingriffs in die Rechtsposition des Beitragsschuldners zu berücksichtigenden Gesetzesvorbehalts eine durch das zur Rechtsetzung befugte Selbstverwaltungsorgan getroffene Festlegung der Mindestbeitragshöhe. Hierzu ist der Satzungsgeber der Beklagten auch in der Lage. Der Mindestbeitrag hat allgemein die Funktion, einen finanziellen Basisaufwand, der durch die Zugehörigkeit des Unternehmens zum Unfallversicherungsträger bedingt ist, durch einen einheitlichen Sockelbetrag abzudecken. Dieser kann, da er keinen Bezug zum versicherten Risiko aufweist und daher nicht von wechselnden Berechnungsfaktoren abhängig ist, ohne Weiteres in der Satzung selbst betragsmäßig festgelegt werden (BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 28). Ob sich der Satzungsgeber gleichwohl darauf beschränken kann, die Kriterien für die Bemessung des Mindestbeitrags zu benennen und dem Vorstand allein die Beitragsberechnung auf der Grundlage der vorgegebenen Bemessungskriterien zu überlassen, kann hier dahinstehen. § 26 Abs 6 iVm § 19 Satz 2 Nr 12 der Satzung der Beklagten weist auch solche Kriterien nicht aus.

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2. Die aus den vorstehenden Gründen mit § 161 SGB VII unvereinbare Aufgabenzuweisung an den Vorstand in § 26 Abs 6 iVm § 19 Satz 2 Nr 12 der Satzung der Beklagten ist wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam. Diese Regelungen in Verbindung mit dem Vorstandsbeschluss vom 2.5.2005 bilden daher keine Rechtsgrundlage für die hier angegriffene Festsetzung des Mindestbeitrags.

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Die Unvereinbarkeit der Satzungsbestimmungen hat deren Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit zur Folge. Regelungen, die gegen höhere Normen verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 53 unter Hinweis auf BVerfG vom 3.11.1982 - 1 BvR 620/78 - BVerfGE 61, 319 - juris RdNr 101 mwN). Der Senat hat es zwar aus zwingenden Gründen ausnahmsweise zugelassen, gesetzes- oder verfassungswidrige Vorschriften einer Satzung für eine Übergangszeit weiter anzuwenden, wenn die Nichtanwendung der Norm, insbesondere auf in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Sachverhalte, zu untragbaren Ergebnissen führen würde, die von der gesetzes- und verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt sind als ein Zustand, bei dem es dem Betroffenen zugemutet wird, die Anwendung einer rechtswidrigen Norm für eine begrenzte Zeit hinzunehmen. Dabei waren im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung sowie eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs allein haushaltsrechtlich bedeutsame Normen im Blick, bei denen eine Rückabwicklung aller betroffenen Rechtsverhältnisse faktisch unmöglich ist und unkalkulierbare Haushaltsrisiken bis hin zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsträgers vermieden werden mussten (BSG aaO RdNr 54; BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 19 f und vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1, RdNr 30).

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Eine solche Konstellation liegt in dem hier zu beurteilenden Fall aber nicht vor. Daher bedarf es vorliegend auch keiner Entscheidung, ob der Senat sich weiterhin generell für befugt hält, in Anlehnung an § 31 Abs 2 BVerfGG die zeitweilige Aufrechterhaltung gesetzeswidriger Satzungsbestimmungen zu erlauben. Denn jedenfalls liegt ein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigender Ausnahmefall nicht vor. Die Nichtigkeit des § 26 Abs 6 iVm § 19 Satz 2 Nr 12 der Satzung der Beklagten führt zunächst nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Die nichtige Norm beschränkt sich vielmehr auf die Aufgabenzuweisung an den Vorstand und stellt damit einen isolierten, rechtlich abtrennbaren Teil der Gesamtsatzung dar (vgl BSG vom 13.12.2011 - B 1 KR 7/11 R - SozR 4-7862 § 9 Nr 3 RdNr 23 f mwN). Die gesetzeswidrigen Satzungsbestimmungen stehen nicht in einer derart engen Beziehung zu anderen Satzungsregelungen, dass auch diese wegen der Nichtigkeit bedeutungslos würden. Damit ist auch die Funktionsfähigkeit der Beklagten weiterhin gewahrt, weil jedenfalls an dem Fortbestand der Satzung im Übrigen kein Zweifel besteht.

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Die Unwirksamkeit der Aufgabenzuweisung an den Vorstand und damit auch des von ihm erlassenen Mindestbeitragsfestsetzungsbeschlusses geht auch nicht mit einer herausragenden, der Beklagten nicht zumutbaren haushaltswirtschaftlichen Belastung einher. Die Nichtigkeit der Satzungsbestimmungen führt zwar zur Rechtswidrigkeit aller darauf gestützten Beitragsbescheide, die von beitragspflichtigen Unternehmen auch in bindend abgeschlossenen Verfahren auch noch nachträglich unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X geltend gemacht werden könnte. Sowohl der damit verbundene nicht unverhältnismäßige Verwaltungsaufwand als auch entstehende Beitragseinbußen für zurückliegende Jahre sind aber wie auch in anderen Fällen der nach § 44 SGB X erforderlichen Rücknahme von Verwaltungsakten das Ergebnis gesetzes- und damit rechtswidrigen Verwaltungshandelns und von der Beklagten hinzunehmen. Unabhängig davon, dass der Senat bereits in früheren Entscheidungen in den Jahren 2004 und 2007 - wie oben ausgeführt wurde - die Beitragsfestsetzungszuweisung an den Vorstand in Bezug auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung beanstandet hat und deshalb bei der Beklagten auch kein schützenswertes Vertrauen mehr bestehen konnte, gefährdet allein der vorübergehende Ausfall von Mindestbeiträgen bis zum Erlass einer gesetzeskonformen Satzung offenkundig nicht die Existenz der Beklagten. Eine dadurch drohende Zahlungsunfähigkeit ist ebenso wenig wie ein unkalkulierbares Haushaltsrisiko dargetan und auch nicht im Ansatz zu erkennen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln.

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.