Bundessozialgericht Beschluss, 28. Apr. 2017 - B 1 KR 15/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:280417BB1KR1517B0
bei uns veröffentlicht am28.04.2017

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2017 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr 220,92 Euro Kosten für das selbst beschaffte Arzneimittel Armour Thyroid zu erstatten und sie zukünftig mit diesem Medikament zu versorgen, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG ua ausgeführt, das begehrte Fertigarzneimittel sei zulassungspflichtig und weder in Deutschland noch EU-weit zugelassen. Ein Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheide aus. Eine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertige, liege ebenso wenig vor wie ein Seltenheitsfall (Beschluss vom 14.2.2017, zugestellt am 21.2.2017). Die Klägerin hat mit einem am 17.3.2017 beim LSG eingegangenen und an das BSG weitergeleiteten Schreiben selbst sinngemäß Beschwerde ("Widerspruch") gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 14.2.2017 eingelegt und unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (Erklärung) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Das Schreiben nebst Erklärung mit Anlagen ist am 23.3.2017 beim BSG eingegangen.

2

II. 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.

3

a) Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin nicht fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) beim BSG PKH beantragt hat (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 10.12.2014 - B 1 KR 11/14 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 12 mwN). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl BVerfGE 57, 250, 275; BVerfGE 60, 1, 6 f; BVerfGE 75, 183, 188 ff) und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl BVerfGE 38, 105, 111 ff; BVerfGE 40, 95, 98 f; BVerfGE 46, 202, 210; BVerfGE 78, 123, 126). Dementsprechend kann der verspätete Eingang des PKH-Gesuchs nicht einem Beteiligten vorgeworfen werden, wenn das Fristversäumnis (auch) auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (vgl BVerfGE 93, 99, 114 f, dort zur Weiterleitung einer beim LG eingegangenen Berufung an das OLG; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61 mwN).

4

So liegt der Fall hier. Denn das Fristversäumnis ist dem Organisationsbereich des LSG zuzuordnen. Gegen den ihr am 21.2.2017 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 17.3.2017 (Freitag) "Widerspruch" eingelegt und die Erklärung eingereicht. Das LSG hat erst am 20.3.2017 (Montag) die Weiterleitung des Schriftsatzes an das BSG verfügt. Die Verfügung wurde am 21.3.2017 ausgeführt. Das LSG hätte angesichts des drohenden Fristablaufs durch eine zeitnahe Weiterleitung des Schreibens der Klägerin für einen rechtzeitigen Zugang des PKH-Antrags beim BSG Sorge tragen müssen und auch können. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl BVerfGE 93, 99, 114 f; BSGE 38, 248, 261 f = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 11 f; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5). Zwar ist ein Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, jedes Schriftstück unmittelbar nach seinem Eingang daraufhin zu überprüfen, ob darin etwa eine Rechtsmittelschrift enthalten ist, die an das zuständige Gericht weitergeleitet werden muss (vgl BSGE 38, 248, 261 = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 10 f); insbesondere besteht keine Verpflichtung, ggf außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang der Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten (vgl BSG Beschluss vom 23.7.2012 - B 13 R 280/12 B - Juris RdNr 6 mwN). Hier ist der Charakter des Schreibens der Klägerin als Antrag auf Zulassung der Revision und Bewilligung von PKH für das Verfahren vor dem BSG aber deutlich zum Ausdruck gekommen. Der drohende Fristablauf ist unschwer und nicht nur erst bei eingehender Durcharbeitung zu erkennen gewesen. Der Antrag ist auch noch so früh beim LSG eingegangen, dass das LSG die hinreichende Möglichkeit hatte, es bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang rechtzeitig weiterzuleiten. Dass bei dieser Sachlage die Weiterleitung des Schreiben nicht schon am Freitag verfügt und die Verfügung am selben Tag ausgeführt wurde, kann der Klägerin nicht zugerechnet werden.

5

b) Nach Durchsicht der Akten fehlen aber auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin Anhaltspunkte dafür, dass sie einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

6

Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Insbesondere ist mit Blick auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats kein Klärungsbedarf zu Fragen im Zusammenhang mit dem Off-Label-Use (vgl nur BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR) oder der grundrechtsorientierten Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl nur BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR) erkennbar.

7

Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Ebenso fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach Durchsicht der Akten ist insbesondere ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht erkennbar. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat keinen Beweisantrag gestellt. Auch soweit das LSG nach dem Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG die Klägerin nicht erneut angehört hat, nachdem diese ihre Berufungsbegründung "ergänzt" hat, fehlen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Will ein Gericht durch Beschluss über eine zulässige Berufung entscheiden, muss es die Beteiligten nach ordnungsgemäßer Anhörung nur dann erneut anhören, wenn sich die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13). Die Ausführungen der Klägerin nach der Anhörungsmitteilung haben die Prozesssituation nicht (mehr) geändert. Sie sind für die Entscheidung des LSG nicht relevant gewesen.

8

2. Die von der Klägerin selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, da sie nicht von einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 SGG).

9

Die Verwerfung des Rechtsmittels der Klägerin erfolgt entsprechend § 169 S 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter(§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG).

10

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2013 wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bis zum 30.4.2007 bei der beklagten Krankenkasse versichert gewesene und seither bei der Beigeladenen versicherte Kläger erhielt am 19.9.2001 eine Lebendnierenspende. Die in der Charité in Berlin vorgenommene Transplantation verlief erfolgreich. Der Kläger muss sich seither in größeren zeitlichen Abständen Kontrolluntersuchungen in einem Transplantationszentrum, zunächst in der Charité in Berlin (einmal im Quartal) und sodann - aus Fahrkostengründen - in der Universitätsklinik in Halle (einmal im Halbjahr), sowie bei einem Nephrologen in Q (einmal im Monat) unterziehen. Seit 2004 übernahm die Beklagte die dabei entstehenden Fahrkosten für die Benutzung eines privaten PKW nicht mehr, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien. Der Kläger ist mit seinem Kostenerstattungsbegehren für stattgefundene und zukünftige Fahrten ab dem Jahr 2004 zu den Transplantationszentren nach Berlin und Halle beim SG erfolgreich gewesen. Im Übrigen hat das SG, soweit der Kläger Fahrkostenerstattung für Fahrten zum niedergelassenen Nephrologen begehrt hat, die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 23.1.2013).

2

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt G, hat Prozesskostenhilfe (PKH) für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beantragt und zugleich ausdrücklich erklärt, dass das Beschwerdeverfahren nur bei der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe durchzuführen sei. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 16.12.2013 PKH bewilligt und Rechtsanwalt G, B, beigeordnet (B 1 KR 5/13 BH). Der Prozessbevollmächtigte hat durch Empfangsbekenntnis bestätigt, dass er den Beschluss vom 16.12.2013 am 2.1.2014 erhalten hat. Mit Senatsschreiben vom 6.2.2014 ist der Prozessbevollmächtigte davon in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Beschwerde noch nicht vorliegt. Ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Kläger hat Beschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (Eingang am 11.2.2014).

3

II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen(dazu 1.). Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem LSG-Urteil ist abzulehnen (dazu 2.).

4

1. Die Beschwerde des Klägers ist wegen Verfristung unzulässig. Nach § 160a Abs 1 S 2 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils - hier: 8.3.2013 - einzulegen. Der Kläger hat die Beschwerde jedoch nicht innerhalb der am 8.4.2013 abgelaufenen Frist eingelegt, sondern erst am 11.2.2014.

5

2. Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren.

6

Zwar ist einem Antragsteller, der - wie hier der Kläger am 3.4.2013 - innerhalb der Rechtsmittelfrist ordnungsgemäß einen PKH-Antrag gestellt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Rechtsmittel binnen eines Monats nach Zustellung des PKH bewilligenden Beschlusses formgerecht eingelegt wird (BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 12 f mwN). Der Kläger hat jedoch nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung - hier die Beschwerdeeinlegung beim BSG - nachgeholt (§ 67 Abs 2 S 3 und 4 SGG). Wegfall des Hindernisses ist hier die Zustellung der Entscheidung über die Bewilligung von PKH (2.1.2014), worauf der Vorsitzende des erkennenden Senats den Prozessbevollmächtigten ausdrücklich hingewiesen hat (Hinweis vom 17.12.2013, zugestellt am 2.1.2014). Der Kläger hat erst am 11.2.2014 Beschwerde eingelegt. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) wegen Versäumung der innerhalb der einmonatigen Antragsfrist des § 67 Abs 2 S 1 SGG nachzuholenden Rechtshandlung(Wiedereinsetzung nach schuldlos versäumter Wiedereinsetzungsfrist) sind nicht erfüllt.

7

Der Kläger versäumte die Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung nicht schuldlos. Die Nichteinhaltung der einmonatigen Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung beruht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Er hat es nach seinem Vorbringen und den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen versäumt, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen, obwohl er verpflichtet ist, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen.

8

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und Abs 2 S 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl zB BSGE 1, 227, 232; BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 42; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 5 mwN; BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO; vgl BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 19 S 50 mwN und SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten ist dagegen nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BFH Beschluss vom 11.2.2003 - VII B 118/02 - BFH/NV 2003, 801, 802; BSG Beschluss vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - Juris RdNr 7; vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 24.1.2013 - B 1 KR 104/12 B - RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.5.2013 - B 1 KR 3/13 B - RdNr 5; s ferner Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, § 233 RdNr 23 mwN, Stichwort Büropersonal und -organisation).

9

Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts verlangt in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (vgl BGH Beschluss vom 13.7.2010 - VI ZB 1/10 - NJW 2011, 151 RdNr 6 mwN).

10

Die von einem Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die Wahrung von Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen zu verlangende äußerste Sorgfalt ist zudem nicht beachtet, wenn die Führung des Fristenkalenders im Anwaltsbüro nicht so geregelt ist, dass sich immer nur eine bestimmte Person für verpflichtet und befugt halten darf, Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen einzutragen (vgl BGH Beschluss vom 5.7.1960 - VI ZB 8/60 - VersR 1960, 945, 946). Von einem für die Fristversäumung ursächlichen anwaltlichen Organisationsverschulden ist danach auszugehen, wenn nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht festgestellt werden kann, dass nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es möglich ist, dass mehrere Personen hierfür zuständig sind (vgl BGH Beschluss vom 20.11.1980 - IVa ZB 12/80 - VersR 1981, 276, 277; BGH Beschluss vom 8.7.1992 - XII ZB 55/92 - NJW 1992, 3176; BGH Beschluss vom 6.5.1999 - VII ZR 396/98 - VersR 2000, 515, 516; BGH Beschluss vom 6.2.2006 - II ZB 1/05 - NJW 2006, 1520 RdNr 5; BGH Beschluss vom 17.1.2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 RdNr 12 f; BGH Beschluss vom 3.11.2010 - XII ZB 177/10 - NJW 2011, 385 RdNr 9; dem sich anschließend BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 9 S 25; s ferner Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 67 RdNr 8c; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 67 RdNr 32). Ist es nach dem Vorbringen des Rechtsanwalts möglich, dass mehrere oder alle Angestellten hierfür zuständig sind, eröffnet die dadurch bedingte Überschneidung von Kompetenzen Fehlerquellen, weil die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall einer auf den anderen verlässt (vgl BGH Beschluss vom 8.7.1992 - XII ZB 55/92 - NJW 1992, 3176; vgl auch BGH Beschluss vom 6.5.1999 - VII ZR 396/98 - VersR 2000, 515, 516, zum ein Organisationsverschulden nicht ausschließenden anwaltlichen Vortrag, dass zwei Mitarbeiter für die Fristnotierung im Kalender und die Überwachung der Fristen einschließlich ihrer Löschung verantwortlich seien). Zu einer einwandfreien Büroorganisation gehören danach auch Anweisungen des Rechtsanwalts, durch die der Aufgabenbereich der mit der Behandlung von Fristsachen befassten Angestellten abgegrenzt wird und durch die die Verantwortlichkeit klargestellt wird. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn die Zuständigkeit für die Fristenkontrolle - auch innerhalb eines Arbeitstages - wechselt, etwa nach Dienstschluss der zunächst zuständigen Fachkraft. Dann ist lediglich sicherzustellen, dass keine Unklarheiten - etwa durch zeitliche Überschneidung der Zuständigkeiten - darüber entstehen können, welcher Fachkraft die Fristenkontrolle zu einem gegebenen Zeitpunkt obliegt. Hierfür reicht eine formlose, aber eindeutige Übergabe des Aufgabenbereichs von der zunächst zuständigen Fachkraft auf die anschließend zu ihrer Vertretung berufene Fachkraft aus (vgl BGH Beschluss vom 17.1.2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 RdNr 11 ff).

11

Eine Büroorganisation, die diesen Voraussetzungen genügt, ist dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zu entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte legt schon nicht dar, dass er organisatorisch sichergestellt hat, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden. Er trägt vielmehr vor, dass ihm der PKH-Beschluss - nach Erhalt der Ausfertigung des PKH-Beschlusses vom 16.12.2013 und des Hinweisschreibens vom 17.12.2013 mittels Zustellung am 2.1.2014 - nicht am 7.1.2014 "wie sonst vorgelegt" worden sei. Er macht nicht glaubhaft, dass er Sorge dafür getragen hat, dass die gebotene Eintragung am Tag der Zustellung, hier also am 2.1.2014, erfolgte.

12

Auch im Übrigen legt er in der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags und mit den zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seiner Angestellten M
(ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte) und E (ausgebildete Justizfachangestellte) nicht schlüssig dar, dass er ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) einzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte verweist lediglich darauf, dass die Angestellten M und E sich bei der Behandlung von Zustellungen und Fristen sowie der Führung des Fristenkalenders als zuverlässig erwiesen hätten und regelmäßig von ihm überwacht würden. Hingegen benennt er keine von ihm vorgegebenen Regelungen über die Zuständigkeit für die Führung des Fristenkalenders im oben aufgezeigten Sinne. Er führt lediglich aus, er habe davon ausgehen dürfen, dass die Ermittlung und Notierung der zu beachtenden Frist durch seine Angestellten M und E im Fristenkalender vorgenommen worden seien. Auch aus den eidesstattlichen Versicherungen der beiden Angestellten ergibt sich, dass keine von beiden ausschließlich, und sei es alternierend, für die Führung des Fristenkalenders zuständig war. Frau M gibt an, dass die Fristwahrung in ihre Verantwortung übertragen worden sei. Frau E teilt mit, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe ihr die Führung des Fristenkalenders übertragen. Beide teilen übereinstimmend aber mit, dass sie im konkreten Fall wohl keine Absprache getroffen bzw Abstimmung vorgenommen hätten; mit anderen Worten: jede der beiden verließ sich auf die jeweils andere, sodass es auch deswegen zu einer Nichterfassung der Vorfrist und der Frist nach § 67 Abs 2 S 3 SGG kam. Bei einer vom Prozessbevollmächtigten klar angeordneten ausschließlichen Zuständigkeit wäre dieser Fehler vermeidbar gewesen.

13

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Das Bayerische LSG hat im Urteil vom 8.5.2012 einen Anspruch der Klägerin auf Altersrente unter Berücksichtigung fiktiver Beitragszeiten nach dem ZRBG im Hinblick auf ihren Arbeitseinsatz von Mai 1942 bis zum 28.8.1944 im Lager Sered verneint.

2

Das Urteil des LSG wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Deutschland am 29.5.2012 zugestellt. Diese haben mit einem an das Bayerische LSG adressierten Schriftsatz vom 26.6.2012, der dort per Telefax am 27.6.2012 eingegangen ist, Nichtzulassungsbeschwerde gegen das genannte, mit Datum und Aktenzeichen bezeichnete Urteil erhoben und zugleich die Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde um einen Monat beantragt. Das LSG hat dieses Schreiben samt Verfahrensakten am 5.7.2012 an das BSG übersandt, wo es am 9.7.2012 eingegangen ist; zugleich hat es den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Abgabenachricht erteilt.

3

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Telefax vom 11.7.2012 auf diesen Sachverhalt sowie die versäumte Beschwerdefrist hingewiesen und vor einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18.7.2012 gegeben. Weder die Klägerin noch die Beklagte haben sich geäußert.

4

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Denn sie ist nicht - wie § 160a Abs 1 S 2 SGG dies vorschreibt - innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils "bei dem Bundessozialgericht" eingelegt worden. Sie ist vielmehr erst am 9.7.2012 und damit nach Ablauf der am 29.6.2012 um 24 Uhr endenden einmonatigen Beschwerdefrist beim BSG eingegangen. Mithin hat die Klägerin die Beschwerdefrist versäumt.

5

Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist (§ 67 SGG) gewährt werden. Sie war nicht "ohne Verschulden" an der Einhaltung der Beschwerdeeinlegungsfrist verhindert. Die Fristversäumnis beruht hier ausschließlich darauf, dass ihre Prozessbevollmächtigten den Beschwerdeschriftsatz vom 26.6.2012 entgegen der Rechtslage und der klaren Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils nicht an das BSG, sondern an das Berufungsgericht adressiert und versandt haben. Umstände, die ein fehlendes Verschulden der Prozessbevollmächtigten an dieser Fehladressierung des Rechtsmittels begründen könnten, haben diese nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO).

6

Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten ist vorliegend auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil ein pflichtwidriges Verhalten des LSG für die Fristversäumung primär ursächlich war. Allerdings ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung auch dann zu gewähren ist, wenn eine fristwahrende Rechtsmittelschrift an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens dieses Gerichts erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht (BSG BSGE 38, 248, 258 ff = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 8 ff; BSG Beschlüsse vom 14.12.2010 - B 10 EG 4/10 R - Juris RdNr 13, und vom 20.12.2011 - B 4 AS 161/11 B - Juris RdNr 9, jeweils mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die Rechtsmittelschrift bei Behandlung durch das unzuständige Gericht im ordnungsgemäßen Geschäftsgang noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Rechtsmittelgericht eingegangen wäre (BSG vom 14.12.2010 - aaO; BGH vom 8.2.2012 - XII ZB 165/11 - NJW 2012, 1591 RdNr 21 f). Denn die Gerichte sind im Rahmen ihrer nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang einer vom Rechtsmittelführer falsch adressierten Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten (BSG vom 14.12.2010 - aaO; BVerwG vom 9.1.2008 - 6 B 51/07 - NJW 2008, 932 RdNr 5).

7

Hier ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeschrift der Klägerin bei einer Behandlung durch das LSG im ordentlichen Geschäftsgang zuverlässig noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist an das BSG gelangt wäre. Das Telefax mit der Beschwerdeschrift ist am Morgen des 27.6.2012 beim LSG eingegangen. In dem Schriftsatz war nicht angegeben, wann das LSG-Urteil den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden war; für die Mitarbeiter der Poststelle oder der Geschäftsstelle war mithin nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich um eine eilige Sache handelte, bei der der Fristablauf unmittelbar bevorstand. Unter diesen Umständen waren besondere beschleunigende Maßnahmen im Rahmen der nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht geboten (s aber BVerwG Beschluss vom 15.7.2003 - 4 B 83/02 - NJW-RR 2003, 901, Juris RdNr 12 f, das bei Erkennbarkeit des Fristablaufs aus dem Schriftsatz eine Weiterleitung noch am selben Tag verlangt hat). Eine Behandlung hätte demnach jedenfalls noch als ordnungsgemäß angesehen werden müssen, die dazu führt, dass das Schreiben am 28.6.2012 dem zuständigen Richter vorliegt und die Geschäftsstelle Gelegenheit hat, dessen Verfügung am 29.6.2012 umzusetzen (vgl OLG Köln Beschluss vom 25.2.2011 - 4 UF 26/11 - Juris RdNr 4; BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 161/11 B - Juris RdNr 10 hält im Ergebnis eine Bearbeitung jedenfalls am dritten Arbeitstag nach Eingang für geboten). Dann hätte aber eine Zuleitung an das BSG im ordentlichen Geschäftsgang - dh mit normaler Post, ohne Übermittlung als Telekopie - nicht mehr bewirkt, dass die falsch adressierte Beschwerdeschrift noch vor Fristablauf beim BSG eingegangen wäre. Ein möglicherweise hier pflichtwidrig zu langes Zuwarten des LSG mit der Weiterleitung der Beschwerdeschrift wäre somit für die Fristversäumung jedenfalls nicht kausal geworden; weiterer Ermittlungen beim LSG bedarf es daher nicht, zumal die Klägerin selbst zu alledem nichts vorgetragen hat.

8

Die mithin nicht fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 und des Sozialgerichts Mannheim vom 3. Februar 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf eine intravenöse Immunglobulin-Therapie (IVIG) mit dem Arzneimittel Intratect zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis.

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an einer Autoimmunerkrankung der Haut und der inneren Organe (systemischer Lupus erythematodes ). 2008 manifestierte sich eine Urtikariavaskulitis mit begleitender Zungenschwellung, welche ab September 2009 mit Rituximab therapiert wurde. Den Antrag der Klägerin (23.10.2009), die Kosten einer ambulanten Immunglobulin-Therapie mit 2 g Immunglobulin (beispielsweise Intratect) pro Kilogramm Körpergewicht (hier bei 80 kg Körpergewicht 160 g) über zwei Tage alle vier Wochen zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für einen sogenannten Off-Label-Use im Sinne des Einsatzes eines Arzneimittels außerhalb seiner Zulassung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seien nicht erfüllt. Systematische größere zulassungsrelevante Studien fehlten (Bescheid vom 15.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2010). Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (28.4.2010) und am selben Tag beim SG erfolgreich vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die Beklagte zur Übernahme der Kosten einer IVIG-Therapie zu verpflichten (Beschluss des SG vom 20.5.2010 - S 4 KR 1566/10 ER). Das SG hat den Bescheid vom 15.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2010 aufgehoben und die Beklagte "verurteilt, die Kosten für eine intravenöse Immunglobulintherapie zu übernehmen" (Urteil vom 3.2.2012). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Klage habe sich für die Vergangenheit durch die Gewährung der Sachleistung aufgrund der einstweiligen Anordnung des SG erledigt. Ein auf die Erstattung der Sachleistung in Geld gerichteter Anspruch scheide wegen der Vorwegnahme der Hauptsache aus. Die Klägerin habe auch für die Zukunft einen Anspruch auf Kostenübernahme für diese Behandlung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf ambulante vertragsärztliche Versorgung seien zwar nicht erfüllt. Intratect besitze keine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung der Erkrankung der Klägerin. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV seien ebenfalls nicht erfüllt. Es bestehe aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht, mit Intratect einen Behandlungserfolg zu erzielen. Es lägen keine randomisiert-kontrollierten klinischen Studien bezüglich der Wirksamkeit der IVIG-Therapie bei SLE mit Urtikaria-Vaskulitis vor. Mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf die streitige Behandlung mit Immunglobulinen unter dem Gesichtspunkt einer ambulanten Pharmakotherapie. Ein aus § 2 Abs 1a SGB V oder aus verfassungskonformer Auslegung des Leistungsrechts sich ergebender Leistungsanspruch bestehe ebenfalls nicht. Die Klägerin leide nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Der Anspruch auf die intravenöse Immunglobulintherapie ergebe sich für die Zeit ab Rechtskraft des Urteils des SG aber aus §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 SGB V iVm § 137c Abs 3 SGB V als Anspruch auf teilstationäre Krankenhausbehandlung. Zwar sei die Behandlungsmethode auch im stationären Bereich als "neu" anzusehen, das fehlende Urteil des GBA stehe dem Anspruch jedoch nicht entgegen. Die neue Behandlungsmethode der intravenösen Immunglobulintherapie biete das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative; ihre Anwendung erfolge nach den Regeln der ärztlichen Kunst (Urteil vom 17.11.2015).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 86b Abs 2 SGG sowie der §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 und 137c Abs 3 SGB V und macht eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes geltend.

4

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 und des Sozialgerichts Mannheim vom 3. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise

        

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist unbegründet (dazu 2.). Die Klägerin hatte und hat keinen Anspruch auf IVIG.

8

1. Die erhobene Klage ist zulässig. Statthafte Klageart für das Begehren der Klägerin ist für vergangene Zeiträume die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Ihr Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache. Vielmehr will sie den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der aufgrund einstweiliger Verfügung vorläufig erbrachten Sachleistungen feststellen lassen (vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 9; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - RdNr 9, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Entgegen der Auffassung des LSG hat sich die Klage nicht "erledigt". Denn die Klägerin erhielt aufgrund des SG-Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutz von der Beklagten vorläufig Sachleistungen. Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs 2 iVm § 50 Abs 1 S 2 SGB X und/oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO in Betracht(vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 86b RdNr 22, 49 mwN). Hieran ändert die "Vorwegnahme der Hauptsache" durch die im SG-Beschluss ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung der Sachleistung nichts. Eine "echte" Vorwegnahme der Hauptsache, die keiner Korrektur für die Vergangenheit mehr zugänglich ist und allenfalls Schadensersatzansprüche auslösen kann, enthält der SG-Beschluss nicht. Auch bei einer Verpflichtung zu einer Sachleistung ist die Maßnahme in der Regel für die Vergangenheit korrigierbar (Keller, aaO, RdNr 31). Dies ergibt sich schon aus § 50 Abs 1 S 2 SGB X, der bei Sachleistungen, die nicht herausgegeben werden können(Lang/Waschull in Lehr- und Praxiskommentar SGB X, 4. Aufl 2016, § 50 RdNr 27), eine Erstattung in Geld vorsieht. Dies begründet auch das Feststellungsinteresse der Klägerin. Ob eine Erstattung oder ein Schadensersatzanspruch im Einzelfall geltend gemacht wird, besteht und durchsetzbar ist, bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung.

9

Da die IVIG-Behandlung der Klägerin noch andauert, ist für die Zukunft eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG)richtige Klageart.

10

2. Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten einer ambulanten IVIG-Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Intratect im Rahmen ambulanter Behandlung der Urtikariavaskulitis bei SLE. Das Fertigarzneimittel Intratect besitzt weder die erforderliche Zulassung zur Behandlung der bei der Klägerin bestehenden Krankheit (dazu a) noch besteht Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu b). Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB V oder aus einem bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts sich ergebenden Leistungsanspruch(dazu c). Ein Seltenheitsfall liegt nicht vor (dazu d). Die Klägerin kann die IVIG-Therapie auch nicht als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode beanspruchen (dazu e). Ein Anspruch auf IVIG als teilstationäre Leistung scheidet schon wegen des Vorrangs ambulanter Leistungen aus; der Umstand, dass die Klägerin durch eine Hochschulambulanz behandelt wurde, erweitert ihren Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV nicht (dazu f).

11

a) Die Klägerin kann mangels indikationsbezogener Zulassung von der Beklagten die Behandlung der Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE mit dem Arzneimittel Intratect zu Lasten der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V nicht beanspruchen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche(§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 9 - restless legs/Cabaseril; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 21 - ADHS/Methylphenidat; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin). Das begehrte Fertigarzneimittel ist zulassungspflichtig. Weder in Deutschland noch EU-weit liegt die erforderliche Arzneimittelzulassung für eine intravenöse Immunglobulin-Therapie zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet vor, das die Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE mit umfasst. Das steht nach den unangegriffenen und deshalb den Senat bindenden Feststellungen des LSG fest (§ 163 SGG).

12

b) Die Klägerin kann eine Versorgung mit Intratect auch im Rahmen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des GBA und im Falle von klinischen Studien regelt(dazu aa), noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen (dazu bb).

13

aa) Bei der streitigen Immunglobulin-Therapie zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE handelt es sich um keinen durch § 35c Abs 1 SGB V und untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use. Nach § 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Nach § 91 Abs 6 SGB V sind die Beschlüsse des GBA mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137b SGB V für die Träger iS des § 91 Abs 1 S 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz 2009, Nr 49a , zuletzt geändert am 18.8.2016, BAnz AT 9.11.2016 B2, mWv 10.11.2016) enthalten Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" und führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage VI zum Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinie A) bzw als nicht verordnungsfähig (Anlage VI Teil B) auf. Die AM-RL nennt hierbei intravenös zu applizierende Immunglobuline bei Urtikariavaskulitis nicht. Es fehlt damit an der erforderlichen expliziten Regelung der Verordnungsfähigkeit für die von der Zulassung nicht abgedeckte Indikation. Auf die Frage einer verzögerten Bearbeitung kommt es insoweit nicht an (vgl § 35c Abs 1 SGB V gegenüber § 135 Abs 1 S 4 SGB V). Eine Verzögerung in der Bearbeitung könnte nur zur Anwendung der allgemeinen Regeln des Off-Label-Use führen (vgl dazu unten, bb), nicht aber zu einer Zulassungsfiktion (BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 15 - BTX/A; vgl ähnlich bereits BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 44).

14

Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 SGB V sind nicht erfüllt. Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs 1 Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, damit verbundene Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 SGB V teilnimmt, und der GBA der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Die Klägerin beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen einer klinischen Studie.

15

bb) Entsprechend der Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL bleiben die allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist. Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - Neuropsychologische Therapie).

16

An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Daran fehlt es. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kam es zu einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung der Klägerin bislang nicht. Es existieren ausschließlich Fallberichte, Fallserien, kleinere epidemiologische Untersuchungen und Übersichtsarbeiten.

17

c) Die Klägerin hat keinen bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts sich ergebenden Leistungsanspruch auf Versorgung mit IVIG (dazu aa). Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB V(in Kraft seit 1.1.2012; Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; dazu bb).

18

aa) Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bei der Klägerin vor.

19

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (vgl BVerfGE 140, 229, RdNr 18).

20

bb) Der Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl § 2 Abs 1a SGB V). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

21

Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht. § 2 Abs 1a SGB V enthält nach der Gesetzesbegründung eine Klarstellung zum Geltungsumfang des sog Nikolaus-Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) für das Leistungsrecht der GKV (BT-Drucks 17/6906 S 53). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris RdNr 23; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R - Juris RdNr 32). Nichts anderes gilt für wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen (BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32). Die Erkrankung der Klägerin wird nicht mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod führen. Nach den Feststellungen des LSG kann die Erkrankung der Klägerin zwar "potentiell lebensgefährlich" sein aufgrund von auftretenden Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden. Mit Hilfe der Medikamente eines von der Klägerin immer mitgeführten und in der Vergangenheit zwei Mal eingesetzten Notfallsets klingen die Beschwerden aber ab. Eine intensiv-medizinische Behandlung ist nicht erforderlich.

22

d) Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen Seltenheitsfall berufen. Hierzu darf das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (vgl auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 - Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Die Urtikariavaskulitis mit SLE ist zwar eine Krankheit, die nach den Feststellungen des LSG weltweit nur sehr selten auftritt - die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen des SLE beträgt nach den Feststellungen des LSG bis 25 pro 100 000 Einwohner, die Urtikariavaskulitis kann in 10 bis 15 % der Patienten mit SLE auftreten. Es ist aber ausgeschlossen, für die genannten Seltenheitsfälle allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen (vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 20). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann(vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass SLE systematisch erforscht ist. Bei der Urtikariavaskulitis erschweren die Seltenheit und unzureichende Definitionen und Klassifizierungen der Urtikariavaskulitis zwar deren systematische Erforschung, sie machen sie aber nicht unmöglich.

23

e) Die Klägerin kann die IVIG-Therapie auch nicht als neue Behandlungsmethode beanspruchen. Denn die Therapie ist im Rechtssinne keine neue Behandlungsmethode, sondern betrifft lediglich den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Eine Krankenbehandlung, bei der dem Versicherten ein Fertigarzneimittel bestimmungsgemäß in einem besonderen Verfahren verabreicht wird, darf auf Kosten der GKV grundsätzlich nur erfolgen, wenn das Medikament über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt und wenn der GBA - soweit erforderlich - in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode nach § 135 Abs 1 SGB V ausgesprochen hat(BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 10 ff). Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl zB BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 15 mwN). Eine Methode ist "neu", wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (vgl zum Merkmal "neu" BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Zudem gelten als "neue” Methoden oder Methodenteile solche Leistungen, die zwar als ärztliche Leistungen im EBM-Ä aufgeführt sind, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (vgl BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 20 mwN). Erschöpft sich dagegen eine Behandlungsmethode in der Anwendung eines für die betreffende Indikation arzneimittelrechtlich zugelassenen neuartigen Fertigarzneimittels, bedarf sie keiner Empfehlung des GBA, weil sie kraft der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Leistungsbestandteil der GKV gilt (vgl BSGE 86, 54, 60 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14). Therapieinnovationen, die durch die Ausgestaltung des EBM-Ä bereits erfasst sind, bedürfen nicht erst einer Empfehlung des GBA, sondern sind ohne weiteres Teil des Leistungskatalogs, soweit sie den Qualitätsanforderungen der GKV genügen. Dies gilt auch für Innovationen, die sich bei gleicher Applikationsform auf die Gabe neu zugelassener Fertigarzneimittel im Indikationsbereich beschränken (vgl zum Ganzen Hauck, NZS 2007, 461, 463).

24

So liegt es hier. Die intravenöse Applikation von Arzneimitteln durch Injektionen in den menschlichen Körper ist als wissenschaftliches Konzept schon lange bekannt und als solche im EBM-Ä abgebildet (vgl generell BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 21). Gleiches gilt für die Kombination einer Infusion mit einer vorangegangenen Blutabnahme, einer ärztlichen Beratung und der an die Infusion anschließenden Überwachung. Das Immunglobulin verfügt aber weder über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die betroffene Indikation, noch besteht - wie dargelegt - Anspruch auf seine Gabe außerhalb der Indikation, für die die arzneimittelrechtliche Zulassung besteht.

25

f) Ein Anspruch der Klägerin auf IVIG besteht schließlich auch nicht im Rahmen einer teilstationären Krankenhausbehandlung nach §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 SGB V iVm § 137c Abs 3 SGB V. Teilstationäre Behandlung unterscheidet sich nach der gesetzlichen Gesamtkonzeption von vollstationärer Behandlung im Krankenhaus im Wesentlichen dadurch, dass sie nicht auf eine Aufnahme rund um die Uhr ausgerichtet ist, sondern nur jeweils zumindest einen Teil eines Tages umfasst (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 12, auch für BSGE vorgesehen). Der Zugang zu teilstationärer Krankenhausversorgung erfolgt unter den üblichen Voraussetzungen der Krankenhauspflege (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 13, auch für BSGE vorgesehen). Teilstationäre Krankenhausversorgung dient aber weder dazu, arzneimittelrechtliche Grenzen - außerhalb der hier nicht betroffenen Sonderregelungen für Arzneimittelstudien - zu überspielen (dazu aa), noch bei ambulant möglicher Behandlung deren Zugangshürden durch ein Ausweichen auf diese Form der Krankenhausbehandlung zu umgehen (dazu bb).

26

aa) Die vom erkennenden Senat entwickelte Rechtsprechung zu den Grundlagen und Grenzen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung gilt nicht nur für den Bereich der vertragsärztlichen, sondern in gleicher Weise für den Bereich der stationären Versorgung. Wie oben dargelegt können Versicherte Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V)dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche(§ 21 Abs 1 AMG) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Der Schutz Versicherter durch das materielle Arzneimittelzulassungsrecht macht nicht vor dem Krankenhaus Halt. Die Patienten in stationärer Behandlung sind nicht weniger schutzbedürftig als jene in vertragsärztlicher Versorgung. Für die Arzneimittelversorgung gelten im Krankenhaus grundsätzlich keine von der vertragsärztlichen Versorgung abweichenden Maßstäbe (vgl zum Ganzen Hauck, MedR 2010, 226, 229 unter II. 1. c). Dementsprechend erlaubt auch teilstationäre Krankenhausbehandlung keine weitergehenden Ausnahmen für den Anspruch Versicherter auf betroffene Arzneimittelversorgung. Aus der Regelung des § 137c Abs 3 SGB V ergibt sich - ungeachtet deren Reichweite und ihres Anwendungsbereichs - vorliegend nichts Abweichendes. Denn - wie dargelegt - geht es im Kern um den Anspruch auf die zulassungsüberschreitende Arzneimittelversorgung, nicht um eine Arzneimittelapplikationsform im Sinne einer Behandlungsmethode.

27

bb) Auch bei teilstationärer Behandlung muss im Übrigen jede Aufnahme eines Versicherten nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sein, weil das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 19 ff, auch für BSGE vorgesehen). Nach § 39 Abs 1 S 2 SGB V besteht Anspruch auf vollstationäre Behandlung nur, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form der Krankenbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) dar. Der Nachrang gegenüber der ambulanten Versorgung - einschließlich der vor- und nachstationären Behandlung - gilt als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 39 Abs 1 S 2 SGB V für die teilstationäre Behandlung als im Vergleich zu vollstationärer Krankenhausbehandlung wesensgleiche Teilleistung(BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 14, auch für BSGE vorgesehen). Daher ist auch die teilstationäre Behandlung nachrangig gegenüber allen Formen der ambulanten Versorgung (BSG aaO). Dementsprechend regelt § 2 Abs 4 S 1 der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Krankenhausbehandlung(Krankenhauseinweisungs-Richtlinie/KE-RL, in der Neufassung vom 22.1.2015, BAnz AT 29.4.2015 B2 vom 29.4.2015), dass teilstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus zulässig ist, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch die zuständige Ärztin oder den zuständigen Arzt des Krankenhauses erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

28

Eine teilstationäre Behandlung war nicht in diesem Sinn erforderlich. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht (vgl BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 18 ff; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2, RdNr 16; BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4, RdNr 14). Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt (BSGE 59, 116, 117 = SozR 2200 § 184 Nr 27; BSG SozR 2200 § 184 Nr 28; BSGE 83, 254, 259 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 109 Nr 9). Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (vgl BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 18; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2, RdNr 16; BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4, RdNr 14). Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre oder teilstationäre Behandlung.

29

Ob einem Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich dabei allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 15; BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23). Die Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung ist nicht schon wegen des Fehlens einer positiven Empfehlung des GBA zu verneinen oder deshalb zu bejahen, weil der GBA kein Negativvotum nach § 137c SGB V ausgesprochen hat, die Behandlung das Potential einer Behandlungsalternative bietet und der GBA die Methode für die vertragsärztliche Behandlung nicht empfohlen hat(vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19; vgl zu Ausnahmefällen auch Hauck, NZS 2007, 461, 464, bei Fn 43 und 44 mwN). In jedem Fall bedarf es neben der generellen auch der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall (vgl BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 19 mwN; BSG Beschluss vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 28 und 37 f mwN).

30

Hieran fehlt es. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG kann IVIG ambulant erfolgen. Es handelt sich um eine Infusionsbehandlung mit den oben genannten Begleitmaßnahmen, die ein Vertragsarzt durchführen kann. Dementsprechend hat auch die Immunologische Ambulanz des Universitäts-Klinikums H. für die Klägerin eine ambulante Immunglobulin-Therapie beantragt und nach entsprechender einstweiliger Verpflichtung der Beklagten als solche in der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums durchgeführt und abgerechnet, wie der vom LSG in Bezug genommene Akteninhalt ergibt. Das LSG hat nicht etwa festgestellt, dass die Behandlung die besonderen Mittel eines Krankenhauses erfordere. Davon ist auch in keiner ärztlichen Stellungnahme die Rede. Der Rechtsauffassung des LSG, es könne die Therapie (dennoch) als teilstationäre Behandlung qualifizieren, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Die Behandlung der Klägerin erfolgte in einer Hochschulambulanz (§ 117 SGB V). § 117 SGB V eröffnet den Hochschulambulanzen den Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung, um die universitäre Forschung und Lehre zu unterstützen(vgl BSGE 82, 216, 221 = SozR 3-5520 § 31 Nr 9 S 37 f; zu § 117 Abs 2 SGB V: BSG SozR 4-2500 § 117 Nr 1 RdNr 35). Die von Ärzten in Hochschulambulanzen in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang erbrachten ambulanten Leistungen sind Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 26 - BTX/A). Sie sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Krankenhausbehandlung (vgl rechtsähnlich zu Leistungen ermächtigter Krankenhausärzte nach § 116 SGB V BSG SozR 4-2500 § 129a Nr 1 RdNr 20). Die Rüge der Beklagten, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt, geht insoweit ins Leere.

31

Die Behandlung der Klägerin durch Ärzte der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums kann auch nach allgemeinen Grundsätzen (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A)keinen anderen Versorgungsanspruch begründen als den, der ihr zugestanden hätte, wenn sie sich in die Behandlung eines Vertragsarztes begeben hätte.

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. März 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf eine Therapie mit Avastin (Bevacizumab).

2

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert gewesene, während des Berufungsverfahrens verstorbene Ehemann der Klägerin (im Folgenden: Versicherter) erkrankte an einem 2009 festgestellten aggressiven Hirntumor (Glioblastoma multiforme Grad IV). Er wurde nach dem Stupp-Schema behandelt (2009: Tumorresektion mit Radiochemotherapie und nachfolgender, wegen Leukopenie abgebrochener Chemotherapie). Nach wiederholten Tumorrezidiven mit Folgebehandlungen (ua Re-Resektion, Radiochemotherapie, isolierte Chemotherapie) in den Jahren 2010 bis 2013 beantragte der Versicherte auf Vorschlag des Universitätsklinikums E. (im Folgenden: Uni-Klinikum) die Übernahme der Kosten einer dort mit Avastin durchzuführenden Therapie (Schreiben vom 3.4.2013). Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 19.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 25.6.2013): Avastin verfüge für die Therapie eines rezidivierenden Glioblastoms über keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Beklagte das vom Versicherten angenommene Anerkenntnis abgegeben, die Kosten für ein Therapieintervall mit Avastin vorbehaltlich eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren vorläufig für ein Quartal zu übernehmen. Der Versicherte erhielt vom 24.6. bis 2.9.2013 im Uni-Klinikum sechs Mal Infusionen mit Avastin (insgesamt 20 222,52 Euro Kosten) durch die Hochschulambulanz. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Versicherten von diesen Kosten freizustellen (Gerichtsbescheid vom 11.3.2014). Die Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen: Der Versicherte habe Anspruch auf Versorgung mit Avastin nach § 2 Abs 1a SGB V gehabt. Es habe nach den beiden überzeugenden Sachverständigengutachten bei dem austherapierten Versicherten eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbar positive Entwicklung dahin bestanden, mit Avastin die Symptomatik zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die Gabe von Avastin habe beim Versicherten ein verlängertes progressionsfreies Überleben und eine verbesserte Lebensqualität bewirkt. Unerheblich sei, dass EMA (European Medicines Agency; früher European Agency for the Evaluation of Medicinal Products ) im November 2009 eine Erweiterung der Avastin-Zulassung auf die Rezidivbehandlung von Glioblastomen abgelehnt habe. Denn EMA habe dort keine Nutzen-Risiko-Prüfung durchgeführt (Urteil vom 14.7.2015).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 2, § 13 Abs 3 und § 27 SGB V. Der Anspruch des Versicherten scheitere daran, dass EMA eine vom Hersteller beantragte Erweiterung der Zulassung für den Indikationsbereich rezidivierendes Glioblastom abgelehnt habe.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist unbegründet (dazu 2.). Der Versicherte hatte keinen Anspruch auf Behandlung mit Avastin.

8

1. Die erhobene Klage ist statthaft und zulässig.

9

a) Statthafte Klageart für das Begehren der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten ist die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Ihr Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache, der Versagung des Anspruchs des Versicherten auf Versorgung mit Avastin. Vielmehr will sie den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" feststellen lassen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen handelt es sich - ausgehend vom SG-Tenor - nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage und auch nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Die Verpflichtungsklage ist unzulässig, weil es nicht um den Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts (vgl § 54 Abs 1 S 1 SGG), sondern um den Anspruch auf eine Leistung geht (§ 54 Abs 4 SGG). Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) wäre nicht zulässig. Die Beklagte leistete bereits vorläufig Avastin und kann deshalb nicht erneut zur Leistung, auch nicht im Sinne einer Kostenfreistellung verurteilt werden. Weder war der Versicherte noch ist die Klägerin einer Kostenbelastung durch eine etwaige Selbstbeschaffung bei einem Dritten ausgesetzt, von der die Beklagte die Klägerin jetzt noch freistellen könnte. Denn der Versicherte erhielt aufgrund des im einstweiligen Rechtsschutz von der Beklagten abgegebenen und vom Versicherten angenommenen Anerkenntnisses bereits vorläufig Avastin für ein Therapieintervall als Naturalleistung. Die Beklagte zahlte dem Uni-Klinikum hierfür 20 222,52 Euro. Sie kündigte an, deren Erstattung geltend zu machen, wenn ihre fehlende Leistungspflicht rechtskräftig festgestellt werde. Die Klägerin bedarf zur Abwehr der Feststellung (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG), dass die Beklagte die Leistungen zu Recht erbrachte. Das für eine Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist zu bejahen. Hat die Klage Erfolg, steht fest, dass die Beklagte Avastin zu Recht leistete. Eine Erstattung "zu Unrecht" erbrachter Leistungen nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO/ggf § 50 SGB X scheidet dann aus(vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 12; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - RdNr 8, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR).

10

b) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Klägerin durch die gegenüber dem Versicherten ergangene ablehnende Entscheidung weiterhin beschwert. Die die Behandlung mit Avastin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ablehnende Entscheidung hat sich durch den Tod des Versicherten nicht erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Erwächst die Ablehnung in Bestandskraft, steht ohne weitere Prüfung fest, dass der Versicherte die Versorgung mit Avastin zu Unrecht erhalten hat. Hat der Versicherte zu Unrecht Avastin auf Kosten der Beklagten erhalten, ist die Klägerin einem Schadensersatzanspruch oder einem Erstattungsanspruch der Beklagten ausgesetzt. Die Beklagte geht gegen die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin vor (§ 57 Abs 2 S 1 SGB I). Es bedarf keiner Vertiefung, dass die Klägerin ohne Sonderrechtsnachfolge als durch Erbeinsetzung (§ 2087 Abs 1 BGB) bestimmte Alleinerbin des Verstorbenen für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB)haftet. Die Klägerin ist dann nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO/ggf § 50 SGB X einem Anspruch auf Rückzahlung von 20 222,52 Euro ausgesetzt. § 945 ZPO bestimmt: "Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken." Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass das SG im dortigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 8 KR 215/13 ER) nicht selbst eine einstweilige Verfügung erlassen hat. Dies folgt für § 86b Abs 2 S 4 SGG, der lediglich die entsprechende Anwendung des § 945 ZPO anordnet, schon daraus, dass nach § 101 Abs 2 SGG das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs(ausführlich zur Rechtsnatur des Anerkenntnisses vgl BSGE 119, 293 = SozR 4-1500 § 101 Nr 2) insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache - hier das Begehren im einstweiligen Rechtsschutz - erledigt. Dabei bildet das angenommene Anerkenntnis selbst eine ausreichende Vollstreckungsgrundlage (§ 199 Abs 1 Nr 3 SGG). Der Verurteilung eines Beteiligten im Wege des Anerkenntnisurteils (§ 202 S 1 SGG iVm § 307 S 1 ZPO), der den gegen ihn geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil anerkennt, bedarf es im Falle des angenommenen Anerkenntnisses nicht mehr. Hier hat der Versicherte das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis über die Übernahme der Kosten für ein Therapieintervall mit Avastin (Schriftsatz vom 27.5.2013) angenommen (Schriftsatz vom 31.5.2013). Die Beklagte hat dort auch für den Versicherten unmissverständlich deutlich gemacht, dass das Anerkenntnis nur zur Erledigung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dienen und die Leistung von der Beklagten "vorbehaltlich eines Obsiegens im Hauptverfahren - vorläufig für ein Quartal übernommen" werden soll. Unerheblich ist dann auch, dass das Uni-Klinikum im Kontext der Erfüllung dieses Anerkenntnisses ggf Avastin nicht durch Privat-, sondern durch Kassenrezept verordnet hat. Denn das Uni-Klinikum wollte damit für die Beklagte erkennbar nicht ihrerseits die Haftung für eine eventuell rechtswidrige Versorgung des Versicherten übernehmen.

11

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten der Behandlung des Versicherten mit Avastin zu übernehmen. Die Versorgung Versicherter mit dem Arzneimittel Avastin zur (kurativen oder palliativen) Therapie von Glioblastomen nach Rezidiv ist nicht vom GKV-Leistungskatalog umfasst, weder nach allgemeinen Grundsätzen (dazu a) noch nach denen des Off-Label-Use (dazu b) noch nach § 2 Abs 1a SGB V(dazu c). Auch der Umstand, dass der Versicherte durch eine Hochschulambulanz behandelt wurde, erweitert seinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV nicht (dazu d).

12

a) Der Versicherte konnte mangels indikationsbezogener Zulassung von der Beklagten die Behandlung seines Glioblastoms mit Avastin zu Lasten der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V nicht verlangen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt(stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 9 - restless legs/Cabaseril; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 21 - ADHS/Methylphenidat; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin). Sie kann sich aus nationalem Recht (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) oder aus dem Recht der Europäischen Union ergeben, nicht aber aus ausländischem Recht.

13

Die hier bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland (insbesondere in den USA, vgl U.S. Food and Drug Administration News Release for immediate Release, May 8, 2009: FDA "recently approved Avastin to treat patients with glioblastoma multiforme when this form of brain cancer continues to progress following standard therapy"; abrufbar unter http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm152295.htm; s ferner FDA Briefing Document Oncology Drug Advisory Committee Meeting, March 31, 2009, BLA STN 125085/169 Avastin ; abrufbar über Suchmaschine google mit Stichworten "Avastin FDA Glioblastom", Stand 23.11.2016) entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Recht der Europä-ischen Union sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils Leitsatz und RdNr 11 ff - Immucothel; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 16 - Tomudex; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 14 - Idebenone; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol). Das Recht der Europäischen Union verbietet ausdrücklich ein Inverkehrbringen von Avastin in Deutschland ohne erfolgreich abgeschlossenes zentralisiertes Zulassungsverfahren nach Maßgabe der VO (EG) 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl L 136 vom 30.4.2004 S 1, zuletzt geändert durch VO Nr 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Änderung der VO Nr 726/2004 hinsichtlich der Pharmakovigilanz, ABl L 316 vom 14.11.2012 S 38). Nach Art 3 Abs 1 VO (EG) Nr 726/2004 besteht eine Pflicht zur Beantragung einer Zulassung im Rahmen eines zentralisierten Verfahrens, in dem für die Erteilung der Zulassung zwingend die EMA zuständig ist. Diese Pflicht betrifft die unter den Anhang dieser Verordnung fallenden technologisch hochwertigen Arzneimittel, insbesondere die Arzneimittel, die mit Hilfe eines der drei in Nr 1 des Anhangs aufgezählten biotechnologischen Verfahren "hergestellt" werden (EuGH Urteil vom 11.4.2013 - C-535/11 - Juris RdNr 37 = PharmR 2013, 367). Art 3 Abs 1 iVm Nr 1 Anhang VO (EG) Nr 726/2004 bestimmt: "Arzneimittel, die mit Hilfe eines der folgenden biotechnologischen Verfahren hergestellt werden: (…) Verfahren auf der Basis von (…) monoklonalen Antikörpern" dürfen innerhalb der Gemeinschaft nur nach Erteilung einer Genehmigung gemäß VO (EG) 726/2004 in den Verkehr gebracht werden. Der in Avastin enthaltene Wirkstoff Bevacizumab unterfällt als ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der mittels DNA-Technologie aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) gewonnen wird (vgl Anhang I Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124), ausschließlich dem Zuständigkeitsbereich der VO (EG) 726/2004 (zur Zulassung von Avastin nach Art 3 EG 726/2004 vgl auch EuGH Urteil vom 11.4.2013 - C-535/11 - Juris RdNr 21 = PharmR 2013, 367; zur Befugnis des Revisionsgerichts generelle Tatsachen festzustellen vgl auch BSGE 84, 90, 94 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16 f; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 31; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 - jeweils zur Frage, ob eine medizinische Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht; s ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7; Zeihe, SGG, Stand August 2016, § 163 Anm 2d cc).

14

Avastin verfügt nicht über eine solche von Art 3 Abs 1 VO (EG) 726/2004 geforderte Genehmigung - auch nicht nach den Feststellungen des LSG - für die hier maßgebliche Indikation. Das Fertigarzneimittel Avastin ist gemeinschaftsrechtlich nach Maßgabe der VO (EG) Nr 726/2004 für die Behandlung von Glioblastomen nicht zugelassen (vgl dazu nur EMA/487896/2016 und EMEA/H/C/000582: Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsberichts für Avastin, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl= pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid =WC0b01ac058001d124, und Anhang I Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124, sowie "Authorisationdetails", abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124, und die Übersicht über "Avastin Procedural steps taken and scientific information after the authorisation", abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124; s ferner zu den Einzelheiten der nicht erteilten Genehmigung für die Indikation des rezidivierenden Glioblastoms unten 2. c).

15

b) Der Versicherte konnte eine Versorgung mit Avastin auch im Rahmen eines Off-Label-Use zur Behandlung seines Glioblastoms auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses und im Falle von klinischen Studien regelt, noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen. Für einen Anspruch aus § 35c SGB V liegt nichts vor. Entsprechend dem Rechtsgedanken der heute geltenden Anmerkung zu Abschnitt K Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) vom 18.12.2008/22.1.2009 (BAnz 2009, Nr 49a , zuletzt vor Beginn der Behandlung des Versicherten geändert am 20.6.2013, BAnz AT 18.7.2013 B1 und BAnz AT 1.8.2013 B4, jeweils in Kraft getreten am 20.6.2013) bleiben die allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 16 - BTX/A).

16

Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - Neuropsychologische Therapie).

17

An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten im dargelegten Sinne ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kam es bis zum Abschluss des von der Beklagten vorläufig finanzierten Therapieintervalls (24.6. bis zum 2.9.2013) nicht zu einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung des Versicherten.

18

c) Die Klägerin kann aus den Grundsätzen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung nichts für sich herleiten, hier aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V, die zum 1.1.2012 in Kraft trat (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Sie begründet keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach VO (EG) Nr 726/2004 abzulehnen war. Dazu genügt es, dass der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel - wie hier bei Avastin für die Indikation des rezidivierenden Glioblastoms - ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellte, ohne dass der Antragsteller das Verfahren weiterverfolgt. Das gilt, obwohl der Versicherte nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)an einer regelmäßig tödlichen Erkrankung litt, einem Glioblastom IV. Grades mit einer sehr niedrigen 5-Jahres-Überlebensrate im unteren einstelligen Prozentbereich. Hierfür stand im Juni 2013 nach vorangegangener zweimaliger Operation und Radiochemotherapie sowie isolierter Chemotherapie keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung mit der Möglichkeit einer spürbar positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zur Verfügung. Die Auslegung folgt aus Entwicklungsgeschichte (dazu aa), Regelungssystem von Arzneimittelzulassungsrecht und SGB V (dazu bb) sowie dem Regelungszweck (dazu cc), ohne dass der Wortlaut des § 2 Abs 1a SGB V(dazu dd) entgegensteht.

19

aa) Schon nach der Entwicklungsgeschichte der Gesetzesregelung darf sie den Schutzzweck des Arzneimittelzulassungsrechts nicht konterkarieren. Die Regelung führt in der Sache die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort, anknüpfend an jene des BVerfG (vgl hierzu BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose; einschränkend jetzt BVerfGE 140, 229 RdNr 18 = NJW 2016, 1505 RdNr 18). Der erkennende Senat hat bereits bei der Konkretisierung des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 nicht außer Acht gelassen, dass die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten (BVerfGE 115, 25 RdNr 65 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 34) nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten bestimmen. Diese Schutzpflichten sollen die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Der erkennende Senat hat darauf hingewiesen, dass ebenso wenig die Rechtsprechung des BVerfG dazu führen darf, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet werden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebeln, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet hat (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 25 - Tomudex).

20

Speziell mit Blick auf das Arzneimittelrecht hat der erkennende Senat hervorgehoben, dass das allgemein geltende, dem Gesundheitsschutz dienende innerstaatliche arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis durch eine vermeintlich "großzügige", im Interesse des einzelnen Versicherten erfolgende richterrechtliche Zuerkennung von Ansprüchen auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel nicht faktisch systematisch unterlaufen und umgangen werden darf. Ein solches Vorgehen wäre nämlich sowohl mit einem inakzeptablen unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden für den betroffenen Versicherten behaftet als auch mit einer nicht gerechtfertigten Ausweitung der Leistungspflicht zu Lasten der übrigen Versicherten verbunden. Solche Auswirkungen dürfen einer Versichertengemeinschaft nicht aufgebürdet werden, die die Behandlung - typischerweise unter Anwendung des Instruments der Versicherungspflicht, also zwangsweise - finanziert (vgl schon BSGE 89, 184, 190 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 34; BSGE 95, 132 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3, RdNr 25 - Wobe-Mugos E). Eine Ausweitung der Ansprüche der Versicherten der GKV auf Arzneimittel, die deutschen arzneimittelrechtlichen Zulassungsstandards nicht genügen, muss auf eng umgrenzte Sachverhalte mit notstandsähnlichem Charakter begrenzt bleiben (vgl BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 27 - Visudyne; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35 - Tomudex).

21

Um den gesetzlich geregelten Schutzmechanismus von Leben und Gesundheit der Versicherten nicht auszuhebeln, hat der erkennende Senat bei der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts für Arzneimittel deshalb gefordert, dass die zuständige Behörde für das betroffene Mittel arzneimittelrechtlich weder die Zulassung förmlich abgelehnt noch gemäß § 30 AMG zurückgenommen, widerrufen oder ruhend gestellt hatte. Zudem durfte etwa der Import weder dem Gesetz widersprechen noch einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllen (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 36 - Tomudex). Für die dem zentralen europäischen Zulassungssystem unterfallenden Arzneimittel konnte in der Sache nichts anderes gelten. Einer förmlichen Ablehnung eines Zulassungsantrags steht es gleich, wenn der Antragsteller seinen Antrag wegen des ablehnenden Berichts des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel - hier vom LSG als ablehnende Entscheidung der EMA bezeichnet - nicht weiterverfolgt (vgl auch Art 11 VO Nr 726/2004). Diesen Weg ist der Hersteller von Avastin gegangen. Er zog damit die Konsequenzen aus der drohenden Antragsablehnung wegen Nichterfüllung der Zulassungsvoraussetzungen.

22

Der Gesetzgeber des GKV-VStG baute bei Einfügung des Abs 1a in § 2 SGB V auf dieser Rechtsprechung des erkennenden Senats auf. Er verwies in seiner Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich darauf, dass die Rechtsprechung des BSG zur Leistungspflicht der GKV für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel durch die Einfügung eines Abs 1a unberührt bleiben solle und nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungskonform sei (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 53). Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung iS von § 12 Abs 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist(BVerfG Beschluss vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels mit ein (§ 1 AMG - entsprechend auch die Erwägungsgründe Nr 14, 17, 19 der VO Nr 726/2004). Vor Art 2 Abs 1 GG ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn das BSG die Leistungspflicht der GKV für einen zulassungsübergreifenden Einsatz von Arzneimitteln an engere Voraussetzungen etwa in Bezug auf die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg knüpft (vgl BVerfGK 14, 46, 48 f = SozR 4-2500 § 31 Nr 17 RdNr 10 f).

23

bb) Die Gesamtrechtssystematik unterstreicht, dass die grundrechtsorientierte Auslegung die externen institutionellen Sicherungen der Arzneimittelzulassungsverfahren nach innerstaatlichem Recht und nach Gemeinschaftsrecht nicht aushebeln soll. Sie dienen - wie oben dargelegt - dazu, Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel zu gewährleisten. Im Falle zulassungspflichtiger Arzneimittel wird die Arzneimittelsicherheit dadurch gewährleistet, dass das Inverkehrbringen von näher qualifizierten Arzneimitteln unter einem strikten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt steht. Dies gilt sowohl für das innerstaatliche Recht nach § 21 Abs 1 AMG als auch für das Gemeinschaftsrecht nach Art 3 Abs 1 VO (EG) 726/2004 und nach Art 6 Abs 1 RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl L 311 vom 28.11.2001, S 67, RL zuletzt geändert durch RL 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz, ABl L 299 vom 27.10.2012, S 1). Nicht nur die Hersteller, sondern alle Rechtssubjekte einschließlich der GKV-Versicherten haben die mangelnde Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels zu beachten. Der aufgezeigte Systemzweck gilt, obwohl die VO (EG) 726/2004 die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der Festsetzung der Preise für Arzneimittel sowie in Bezug auf die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungssysteme aufgrund von gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen unberührt lässt und die Mitgliedstaaten insbesondere aus den Angaben in der Genehmigung für das Inverkehrbringen diejenigen therapeutischen Indikationen und Packungsgrößen auswählen können, die von ihren Sozialversicherungsträgern abgedeckt werden (vgl Art 1 S 3 VO > 726/2004).

24

Das europäische Recht untersagt die Genehmigung für das Inverkehrbringen im zentralisierten Verfahren, wenn sich nach Prüfung der gemäß Art 6 VO (EG) Nr 726/2004 vorgelegten Angaben und Unterlagen ergibt, dass der Antragsteller die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Arzneimittels nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen hat (Art 12 Abs 1 VO Nr 726/2004). Ließe man dies wie auch die Zulassungsregelungen deutschen Rechts unbeachtet, könnten KKn gestützt auf die Prinzipien der grundrechtsorientierten Auslegung auch außerhalb klinischer Studien den Schutz von Leben und Gesundheit durch die genannten zwingenden Sicherungen des Arzneimittelrechts faktisch überspielen.

25

cc) Der Vorrang des Arzneimittelzulassungsrechts entspricht auch dem Zweck des SGB V als System der kollektiven Versorgung seiner Versicherten ua mit qualitativ hochwertigen, sicheren und wirksamen Arzneimitteln. Das allgemein geltende, dem Gesundheitsschutz dienende - hier allein maßgebliche - arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis des Gemeinschaftsrechts darf - wie dargelegt - durch eine vermeintlich "großzügige", im Interesse des einzelnen Versicherten erfolgende richterrechtliche Zuerkennung von Ansprüchen auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel nicht faktisch systematisch unterlaufen und umgangen werden.

26

dd) Der Wortlaut der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V lässt die gebotene einschränkende Auslegung zu. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Abs 1 S 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

27

d) Die Begrenzung des Anspruchs des Versicherten auf die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln wird abgesehen von den dargestellten und hier verneinten Ausnahmen nicht dadurch aufgehoben oder geändert, dass eine Hochschulambulanz nach § 117 SGB V behandelt oder zur Behandlung in Betracht kommt(vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - RdNr 31). Hiernach vermag die Behandlung des Versicherten durch Ärzte der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums keinen anderen Versorgungsanspruch zu begründen als den, der ihm zugestanden hätte, wenn er sich in die Behandlung eines Vertragsarztes begeben hätte. Auch diese Ärzte durften dem Versicherten nur für die jeweilige Indikation zugelassene Fertigarzneimittel verordnen, es sei denn, dass eine gesetzliche oder richterrechtliche Ausnahme eingreift. Das ist indes - wie oben dargestellt - hier nicht der Fall.

28

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 und des Sozialgerichts Mannheim vom 3. Februar 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf eine intravenöse Immunglobulin-Therapie (IVIG) mit dem Arzneimittel Intratect zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis.

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an einer Autoimmunerkrankung der Haut und der inneren Organe (systemischer Lupus erythematodes ). 2008 manifestierte sich eine Urtikariavaskulitis mit begleitender Zungenschwellung, welche ab September 2009 mit Rituximab therapiert wurde. Den Antrag der Klägerin (23.10.2009), die Kosten einer ambulanten Immunglobulin-Therapie mit 2 g Immunglobulin (beispielsweise Intratect) pro Kilogramm Körpergewicht (hier bei 80 kg Körpergewicht 160 g) über zwei Tage alle vier Wochen zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für einen sogenannten Off-Label-Use im Sinne des Einsatzes eines Arzneimittels außerhalb seiner Zulassung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seien nicht erfüllt. Systematische größere zulassungsrelevante Studien fehlten (Bescheid vom 15.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2010). Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (28.4.2010) und am selben Tag beim SG erfolgreich vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die Beklagte zur Übernahme der Kosten einer IVIG-Therapie zu verpflichten (Beschluss des SG vom 20.5.2010 - S 4 KR 1566/10 ER). Das SG hat den Bescheid vom 15.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2010 aufgehoben und die Beklagte "verurteilt, die Kosten für eine intravenöse Immunglobulintherapie zu übernehmen" (Urteil vom 3.2.2012). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Klage habe sich für die Vergangenheit durch die Gewährung der Sachleistung aufgrund der einstweiligen Anordnung des SG erledigt. Ein auf die Erstattung der Sachleistung in Geld gerichteter Anspruch scheide wegen der Vorwegnahme der Hauptsache aus. Die Klägerin habe auch für die Zukunft einen Anspruch auf Kostenübernahme für diese Behandlung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf ambulante vertragsärztliche Versorgung seien zwar nicht erfüllt. Intratect besitze keine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung der Erkrankung der Klägerin. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV seien ebenfalls nicht erfüllt. Es bestehe aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht, mit Intratect einen Behandlungserfolg zu erzielen. Es lägen keine randomisiert-kontrollierten klinischen Studien bezüglich der Wirksamkeit der IVIG-Therapie bei SLE mit Urtikaria-Vaskulitis vor. Mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf die streitige Behandlung mit Immunglobulinen unter dem Gesichtspunkt einer ambulanten Pharmakotherapie. Ein aus § 2 Abs 1a SGB V oder aus verfassungskonformer Auslegung des Leistungsrechts sich ergebender Leistungsanspruch bestehe ebenfalls nicht. Die Klägerin leide nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Der Anspruch auf die intravenöse Immunglobulintherapie ergebe sich für die Zeit ab Rechtskraft des Urteils des SG aber aus §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 SGB V iVm § 137c Abs 3 SGB V als Anspruch auf teilstationäre Krankenhausbehandlung. Zwar sei die Behandlungsmethode auch im stationären Bereich als "neu" anzusehen, das fehlende Urteil des GBA stehe dem Anspruch jedoch nicht entgegen. Die neue Behandlungsmethode der intravenösen Immunglobulintherapie biete das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative; ihre Anwendung erfolge nach den Regeln der ärztlichen Kunst (Urteil vom 17.11.2015).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 86b Abs 2 SGG sowie der §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 und 137c Abs 3 SGB V und macht eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes geltend.

4

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 und des Sozialgerichts Mannheim vom 3. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise

        

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist unbegründet (dazu 2.). Die Klägerin hatte und hat keinen Anspruch auf IVIG.

8

1. Die erhobene Klage ist zulässig. Statthafte Klageart für das Begehren der Klägerin ist für vergangene Zeiträume die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Ihr Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache. Vielmehr will sie den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der aufgrund einstweiliger Verfügung vorläufig erbrachten Sachleistungen feststellen lassen (vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 9; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - RdNr 9, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Entgegen der Auffassung des LSG hat sich die Klage nicht "erledigt". Denn die Klägerin erhielt aufgrund des SG-Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutz von der Beklagten vorläufig Sachleistungen. Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs 2 iVm § 50 Abs 1 S 2 SGB X und/oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO in Betracht(vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 86b RdNr 22, 49 mwN). Hieran ändert die "Vorwegnahme der Hauptsache" durch die im SG-Beschluss ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung der Sachleistung nichts. Eine "echte" Vorwegnahme der Hauptsache, die keiner Korrektur für die Vergangenheit mehr zugänglich ist und allenfalls Schadensersatzansprüche auslösen kann, enthält der SG-Beschluss nicht. Auch bei einer Verpflichtung zu einer Sachleistung ist die Maßnahme in der Regel für die Vergangenheit korrigierbar (Keller, aaO, RdNr 31). Dies ergibt sich schon aus § 50 Abs 1 S 2 SGB X, der bei Sachleistungen, die nicht herausgegeben werden können(Lang/Waschull in Lehr- und Praxiskommentar SGB X, 4. Aufl 2016, § 50 RdNr 27), eine Erstattung in Geld vorsieht. Dies begründet auch das Feststellungsinteresse der Klägerin. Ob eine Erstattung oder ein Schadensersatzanspruch im Einzelfall geltend gemacht wird, besteht und durchsetzbar ist, bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung.

9

Da die IVIG-Behandlung der Klägerin noch andauert, ist für die Zukunft eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG)richtige Klageart.

10

2. Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten einer ambulanten IVIG-Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Intratect im Rahmen ambulanter Behandlung der Urtikariavaskulitis bei SLE. Das Fertigarzneimittel Intratect besitzt weder die erforderliche Zulassung zur Behandlung der bei der Klägerin bestehenden Krankheit (dazu a) noch besteht Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu b). Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB V oder aus einem bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts sich ergebenden Leistungsanspruch(dazu c). Ein Seltenheitsfall liegt nicht vor (dazu d). Die Klägerin kann die IVIG-Therapie auch nicht als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode beanspruchen (dazu e). Ein Anspruch auf IVIG als teilstationäre Leistung scheidet schon wegen des Vorrangs ambulanter Leistungen aus; der Umstand, dass die Klägerin durch eine Hochschulambulanz behandelt wurde, erweitert ihren Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV nicht (dazu f).

11

a) Die Klägerin kann mangels indikationsbezogener Zulassung von der Beklagten die Behandlung der Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE mit dem Arzneimittel Intratect zu Lasten der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V nicht beanspruchen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche(§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 9 - restless legs/Cabaseril; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 21 - ADHS/Methylphenidat; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin). Das begehrte Fertigarzneimittel ist zulassungspflichtig. Weder in Deutschland noch EU-weit liegt die erforderliche Arzneimittelzulassung für eine intravenöse Immunglobulin-Therapie zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet vor, das die Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE mit umfasst. Das steht nach den unangegriffenen und deshalb den Senat bindenden Feststellungen des LSG fest (§ 163 SGG).

12

b) Die Klägerin kann eine Versorgung mit Intratect auch im Rahmen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des GBA und im Falle von klinischen Studien regelt(dazu aa), noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen (dazu bb).

13

aa) Bei der streitigen Immunglobulin-Therapie zur Behandlung einer Urtikariavaskulitis im Rahmen einer SLE handelt es sich um keinen durch § 35c Abs 1 SGB V und untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use. Nach § 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Nach § 91 Abs 6 SGB V sind die Beschlüsse des GBA mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137b SGB V für die Träger iS des § 91 Abs 1 S 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz 2009, Nr 49a , zuletzt geändert am 18.8.2016, BAnz AT 9.11.2016 B2, mWv 10.11.2016) enthalten Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" und führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage VI zum Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinie A) bzw als nicht verordnungsfähig (Anlage VI Teil B) auf. Die AM-RL nennt hierbei intravenös zu applizierende Immunglobuline bei Urtikariavaskulitis nicht. Es fehlt damit an der erforderlichen expliziten Regelung der Verordnungsfähigkeit für die von der Zulassung nicht abgedeckte Indikation. Auf die Frage einer verzögerten Bearbeitung kommt es insoweit nicht an (vgl § 35c Abs 1 SGB V gegenüber § 135 Abs 1 S 4 SGB V). Eine Verzögerung in der Bearbeitung könnte nur zur Anwendung der allgemeinen Regeln des Off-Label-Use führen (vgl dazu unten, bb), nicht aber zu einer Zulassungsfiktion (BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 15 - BTX/A; vgl ähnlich bereits BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 44).

14

Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 SGB V sind nicht erfüllt. Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs 1 Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, damit verbundene Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 SGB V teilnimmt, und der GBA der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Die Klägerin beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen einer klinischen Studie.

15

bb) Entsprechend der Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL bleiben die allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist. Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - Neuropsychologische Therapie).

16

An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Daran fehlt es. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kam es zu einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung der Klägerin bislang nicht. Es existieren ausschließlich Fallberichte, Fallserien, kleinere epidemiologische Untersuchungen und Übersichtsarbeiten.

17

c) Die Klägerin hat keinen bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts sich ergebenden Leistungsanspruch auf Versorgung mit IVIG (dazu aa). Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB V(in Kraft seit 1.1.2012; Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983; dazu bb).

18

aa) Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bei der Klägerin vor.

19

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (vgl BVerfGE 140, 229, RdNr 18).

20

bb) Der Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl § 2 Abs 1a SGB V). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

21

Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht. § 2 Abs 1a SGB V enthält nach der Gesetzesbegründung eine Klarstellung zum Geltungsumfang des sog Nikolaus-Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) für das Leistungsrecht der GKV (BT-Drucks 17/6906 S 53). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris RdNr 23; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R - Juris RdNr 32). Nichts anderes gilt für wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen (BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32). Die Erkrankung der Klägerin wird nicht mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod führen. Nach den Feststellungen des LSG kann die Erkrankung der Klägerin zwar "potentiell lebensgefährlich" sein aufgrund von auftretenden Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden. Mit Hilfe der Medikamente eines von der Klägerin immer mitgeführten und in der Vergangenheit zwei Mal eingesetzten Notfallsets klingen die Beschwerden aber ab. Eine intensiv-medizinische Behandlung ist nicht erforderlich.

22

d) Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen Seltenheitsfall berufen. Hierzu darf das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (vgl auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 - Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Die Urtikariavaskulitis mit SLE ist zwar eine Krankheit, die nach den Feststellungen des LSG weltweit nur sehr selten auftritt - die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen des SLE beträgt nach den Feststellungen des LSG bis 25 pro 100 000 Einwohner, die Urtikariavaskulitis kann in 10 bis 15 % der Patienten mit SLE auftreten. Es ist aber ausgeschlossen, für die genannten Seltenheitsfälle allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen (vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 20). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann(vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass SLE systematisch erforscht ist. Bei der Urtikariavaskulitis erschweren die Seltenheit und unzureichende Definitionen und Klassifizierungen der Urtikariavaskulitis zwar deren systematische Erforschung, sie machen sie aber nicht unmöglich.

23

e) Die Klägerin kann die IVIG-Therapie auch nicht als neue Behandlungsmethode beanspruchen. Denn die Therapie ist im Rechtssinne keine neue Behandlungsmethode, sondern betrifft lediglich den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Eine Krankenbehandlung, bei der dem Versicherten ein Fertigarzneimittel bestimmungsgemäß in einem besonderen Verfahren verabreicht wird, darf auf Kosten der GKV grundsätzlich nur erfolgen, wenn das Medikament über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt und wenn der GBA - soweit erforderlich - in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode nach § 135 Abs 1 SGB V ausgesprochen hat(BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 10 ff). Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl zB BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 15 mwN). Eine Methode ist "neu", wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (vgl zum Merkmal "neu" BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Zudem gelten als "neue” Methoden oder Methodenteile solche Leistungen, die zwar als ärztliche Leistungen im EBM-Ä aufgeführt sind, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (vgl BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 20 mwN). Erschöpft sich dagegen eine Behandlungsmethode in der Anwendung eines für die betreffende Indikation arzneimittelrechtlich zugelassenen neuartigen Fertigarzneimittels, bedarf sie keiner Empfehlung des GBA, weil sie kraft der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Leistungsbestandteil der GKV gilt (vgl BSGE 86, 54, 60 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14). Therapieinnovationen, die durch die Ausgestaltung des EBM-Ä bereits erfasst sind, bedürfen nicht erst einer Empfehlung des GBA, sondern sind ohne weiteres Teil des Leistungskatalogs, soweit sie den Qualitätsanforderungen der GKV genügen. Dies gilt auch für Innovationen, die sich bei gleicher Applikationsform auf die Gabe neu zugelassener Fertigarzneimittel im Indikationsbereich beschränken (vgl zum Ganzen Hauck, NZS 2007, 461, 463).

24

So liegt es hier. Die intravenöse Applikation von Arzneimitteln durch Injektionen in den menschlichen Körper ist als wissenschaftliches Konzept schon lange bekannt und als solche im EBM-Ä abgebildet (vgl generell BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 21). Gleiches gilt für die Kombination einer Infusion mit einer vorangegangenen Blutabnahme, einer ärztlichen Beratung und der an die Infusion anschließenden Überwachung. Das Immunglobulin verfügt aber weder über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die betroffene Indikation, noch besteht - wie dargelegt - Anspruch auf seine Gabe außerhalb der Indikation, für die die arzneimittelrechtliche Zulassung besteht.

25

f) Ein Anspruch der Klägerin auf IVIG besteht schließlich auch nicht im Rahmen einer teilstationären Krankenhausbehandlung nach §§ 27 Abs 1, 39 Abs 1 SGB V iVm § 137c Abs 3 SGB V. Teilstationäre Behandlung unterscheidet sich nach der gesetzlichen Gesamtkonzeption von vollstationärer Behandlung im Krankenhaus im Wesentlichen dadurch, dass sie nicht auf eine Aufnahme rund um die Uhr ausgerichtet ist, sondern nur jeweils zumindest einen Teil eines Tages umfasst (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 12, auch für BSGE vorgesehen). Der Zugang zu teilstationärer Krankenhausversorgung erfolgt unter den üblichen Voraussetzungen der Krankenhauspflege (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 13, auch für BSGE vorgesehen). Teilstationäre Krankenhausversorgung dient aber weder dazu, arzneimittelrechtliche Grenzen - außerhalb der hier nicht betroffenen Sonderregelungen für Arzneimittelstudien - zu überspielen (dazu aa), noch bei ambulant möglicher Behandlung deren Zugangshürden durch ein Ausweichen auf diese Form der Krankenhausbehandlung zu umgehen (dazu bb).

26

aa) Die vom erkennenden Senat entwickelte Rechtsprechung zu den Grundlagen und Grenzen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung gilt nicht nur für den Bereich der vertragsärztlichen, sondern in gleicher Weise für den Bereich der stationären Versorgung. Wie oben dargelegt können Versicherte Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V)dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche(§ 21 Abs 1 AMG) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Der Schutz Versicherter durch das materielle Arzneimittelzulassungsrecht macht nicht vor dem Krankenhaus Halt. Die Patienten in stationärer Behandlung sind nicht weniger schutzbedürftig als jene in vertragsärztlicher Versorgung. Für die Arzneimittelversorgung gelten im Krankenhaus grundsätzlich keine von der vertragsärztlichen Versorgung abweichenden Maßstäbe (vgl zum Ganzen Hauck, MedR 2010, 226, 229 unter II. 1. c). Dementsprechend erlaubt auch teilstationäre Krankenhausbehandlung keine weitergehenden Ausnahmen für den Anspruch Versicherter auf betroffene Arzneimittelversorgung. Aus der Regelung des § 137c Abs 3 SGB V ergibt sich - ungeachtet deren Reichweite und ihres Anwendungsbereichs - vorliegend nichts Abweichendes. Denn - wie dargelegt - geht es im Kern um den Anspruch auf die zulassungsüberschreitende Arzneimittelversorgung, nicht um eine Arzneimittelapplikationsform im Sinne einer Behandlungsmethode.

27

bb) Auch bei teilstationärer Behandlung muss im Übrigen jede Aufnahme eines Versicherten nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sein, weil das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 19 ff, auch für BSGE vorgesehen). Nach § 39 Abs 1 S 2 SGB V besteht Anspruch auf vollstationäre Behandlung nur, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form der Krankenbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) dar. Der Nachrang gegenüber der ambulanten Versorgung - einschließlich der vor- und nachstationären Behandlung - gilt als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 39 Abs 1 S 2 SGB V für die teilstationäre Behandlung als im Vergleich zu vollstationärer Krankenhausbehandlung wesensgleiche Teilleistung(BSG Urteil vom 19.4.2016 - B 1 KR 21/15 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 54 RdNr 14, auch für BSGE vorgesehen). Daher ist auch die teilstationäre Behandlung nachrangig gegenüber allen Formen der ambulanten Versorgung (BSG aaO). Dementsprechend regelt § 2 Abs 4 S 1 der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Krankenhausbehandlung(Krankenhauseinweisungs-Richtlinie/KE-RL, in der Neufassung vom 22.1.2015, BAnz AT 29.4.2015 B2 vom 29.4.2015), dass teilstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus zulässig ist, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch die zuständige Ärztin oder den zuständigen Arzt des Krankenhauses erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

28

Eine teilstationäre Behandlung war nicht in diesem Sinn erforderlich. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht (vgl BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 18 ff; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2, RdNr 16; BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4, RdNr 14). Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt (BSGE 59, 116, 117 = SozR 2200 § 184 Nr 27; BSG SozR 2200 § 184 Nr 28; BSGE 83, 254, 259 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 109 Nr 9). Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (vgl BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 18; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2, RdNr 16; BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4, RdNr 14). Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre oder teilstationäre Behandlung.

29

Ob einem Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich dabei allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 15; BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23). Die Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung ist nicht schon wegen des Fehlens einer positiven Empfehlung des GBA zu verneinen oder deshalb zu bejahen, weil der GBA kein Negativvotum nach § 137c SGB V ausgesprochen hat, die Behandlung das Potential einer Behandlungsalternative bietet und der GBA die Methode für die vertragsärztliche Behandlung nicht empfohlen hat(vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19; vgl zu Ausnahmefällen auch Hauck, NZS 2007, 461, 464, bei Fn 43 und 44 mwN). In jedem Fall bedarf es neben der generellen auch der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall (vgl BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 19 mwN; BSG Beschluss vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 28 und 37 f mwN).

30

Hieran fehlt es. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG kann IVIG ambulant erfolgen. Es handelt sich um eine Infusionsbehandlung mit den oben genannten Begleitmaßnahmen, die ein Vertragsarzt durchführen kann. Dementsprechend hat auch die Immunologische Ambulanz des Universitäts-Klinikums H. für die Klägerin eine ambulante Immunglobulin-Therapie beantragt und nach entsprechender einstweiliger Verpflichtung der Beklagten als solche in der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums durchgeführt und abgerechnet, wie der vom LSG in Bezug genommene Akteninhalt ergibt. Das LSG hat nicht etwa festgestellt, dass die Behandlung die besonderen Mittel eines Krankenhauses erfordere. Davon ist auch in keiner ärztlichen Stellungnahme die Rede. Der Rechtsauffassung des LSG, es könne die Therapie (dennoch) als teilstationäre Behandlung qualifizieren, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Die Behandlung der Klägerin erfolgte in einer Hochschulambulanz (§ 117 SGB V). § 117 SGB V eröffnet den Hochschulambulanzen den Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung, um die universitäre Forschung und Lehre zu unterstützen(vgl BSGE 82, 216, 221 = SozR 3-5520 § 31 Nr 9 S 37 f; zu § 117 Abs 2 SGB V: BSG SozR 4-2500 § 117 Nr 1 RdNr 35). Die von Ärzten in Hochschulambulanzen in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang erbrachten ambulanten Leistungen sind Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 26 - BTX/A). Sie sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Krankenhausbehandlung (vgl rechtsähnlich zu Leistungen ermächtigter Krankenhausärzte nach § 116 SGB V BSG SozR 4-2500 § 129a Nr 1 RdNr 20). Die Rüge der Beklagten, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt, geht insoweit ins Leere.

31

Die Behandlung der Klägerin durch Ärzte der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums kann auch nach allgemeinen Grundsätzen (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A)keinen anderen Versorgungsanspruch begründen als den, der ihr zugestanden hätte, wenn sie sich in die Behandlung eines Vertragsarztes begeben hätte.

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. März 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf eine Therapie mit Avastin (Bevacizumab).

2

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert gewesene, während des Berufungsverfahrens verstorbene Ehemann der Klägerin (im Folgenden: Versicherter) erkrankte an einem 2009 festgestellten aggressiven Hirntumor (Glioblastoma multiforme Grad IV). Er wurde nach dem Stupp-Schema behandelt (2009: Tumorresektion mit Radiochemotherapie und nachfolgender, wegen Leukopenie abgebrochener Chemotherapie). Nach wiederholten Tumorrezidiven mit Folgebehandlungen (ua Re-Resektion, Radiochemotherapie, isolierte Chemotherapie) in den Jahren 2010 bis 2013 beantragte der Versicherte auf Vorschlag des Universitätsklinikums E. (im Folgenden: Uni-Klinikum) die Übernahme der Kosten einer dort mit Avastin durchzuführenden Therapie (Schreiben vom 3.4.2013). Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 19.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 25.6.2013): Avastin verfüge für die Therapie eines rezidivierenden Glioblastoms über keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Beklagte das vom Versicherten angenommene Anerkenntnis abgegeben, die Kosten für ein Therapieintervall mit Avastin vorbehaltlich eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren vorläufig für ein Quartal zu übernehmen. Der Versicherte erhielt vom 24.6. bis 2.9.2013 im Uni-Klinikum sechs Mal Infusionen mit Avastin (insgesamt 20 222,52 Euro Kosten) durch die Hochschulambulanz. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Versicherten von diesen Kosten freizustellen (Gerichtsbescheid vom 11.3.2014). Die Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen: Der Versicherte habe Anspruch auf Versorgung mit Avastin nach § 2 Abs 1a SGB V gehabt. Es habe nach den beiden überzeugenden Sachverständigengutachten bei dem austherapierten Versicherten eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbar positive Entwicklung dahin bestanden, mit Avastin die Symptomatik zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die Gabe von Avastin habe beim Versicherten ein verlängertes progressionsfreies Überleben und eine verbesserte Lebensqualität bewirkt. Unerheblich sei, dass EMA (European Medicines Agency; früher European Agency for the Evaluation of Medicinal Products ) im November 2009 eine Erweiterung der Avastin-Zulassung auf die Rezidivbehandlung von Glioblastomen abgelehnt habe. Denn EMA habe dort keine Nutzen-Risiko-Prüfung durchgeführt (Urteil vom 14.7.2015).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 2, § 13 Abs 3 und § 27 SGB V. Der Anspruch des Versicherten scheitere daran, dass EMA eine vom Hersteller beantragte Erweiterung der Zulassung für den Indikationsbereich rezidivierendes Glioblastom abgelehnt habe.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist unbegründet (dazu 2.). Der Versicherte hatte keinen Anspruch auf Behandlung mit Avastin.

8

1. Die erhobene Klage ist statthaft und zulässig.

9

a) Statthafte Klageart für das Begehren der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten ist die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Ihr Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache, der Versagung des Anspruchs des Versicherten auf Versorgung mit Avastin. Vielmehr will sie den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" feststellen lassen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen handelt es sich - ausgehend vom SG-Tenor - nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage und auch nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Die Verpflichtungsklage ist unzulässig, weil es nicht um den Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts (vgl § 54 Abs 1 S 1 SGG), sondern um den Anspruch auf eine Leistung geht (§ 54 Abs 4 SGG). Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) wäre nicht zulässig. Die Beklagte leistete bereits vorläufig Avastin und kann deshalb nicht erneut zur Leistung, auch nicht im Sinne einer Kostenfreistellung verurteilt werden. Weder war der Versicherte noch ist die Klägerin einer Kostenbelastung durch eine etwaige Selbstbeschaffung bei einem Dritten ausgesetzt, von der die Beklagte die Klägerin jetzt noch freistellen könnte. Denn der Versicherte erhielt aufgrund des im einstweiligen Rechtsschutz von der Beklagten abgegebenen und vom Versicherten angenommenen Anerkenntnisses bereits vorläufig Avastin für ein Therapieintervall als Naturalleistung. Die Beklagte zahlte dem Uni-Klinikum hierfür 20 222,52 Euro. Sie kündigte an, deren Erstattung geltend zu machen, wenn ihre fehlende Leistungspflicht rechtskräftig festgestellt werde. Die Klägerin bedarf zur Abwehr der Feststellung (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG), dass die Beklagte die Leistungen zu Recht erbrachte. Das für eine Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist zu bejahen. Hat die Klage Erfolg, steht fest, dass die Beklagte Avastin zu Recht leistete. Eine Erstattung "zu Unrecht" erbrachter Leistungen nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO/ggf § 50 SGB X scheidet dann aus(vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 12; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - RdNr 8, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR).

10

b) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Klägerin durch die gegenüber dem Versicherten ergangene ablehnende Entscheidung weiterhin beschwert. Die die Behandlung mit Avastin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ablehnende Entscheidung hat sich durch den Tod des Versicherten nicht erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Erwächst die Ablehnung in Bestandskraft, steht ohne weitere Prüfung fest, dass der Versicherte die Versorgung mit Avastin zu Unrecht erhalten hat. Hat der Versicherte zu Unrecht Avastin auf Kosten der Beklagten erhalten, ist die Klägerin einem Schadensersatzanspruch oder einem Erstattungsanspruch der Beklagten ausgesetzt. Die Beklagte geht gegen die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin vor (§ 57 Abs 2 S 1 SGB I). Es bedarf keiner Vertiefung, dass die Klägerin ohne Sonderrechtsnachfolge als durch Erbeinsetzung (§ 2087 Abs 1 BGB) bestimmte Alleinerbin des Verstorbenen für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB)haftet. Die Klägerin ist dann nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO/ggf § 50 SGB X einem Anspruch auf Rückzahlung von 20 222,52 Euro ausgesetzt. § 945 ZPO bestimmt: "Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken." Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass das SG im dortigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 8 KR 215/13 ER) nicht selbst eine einstweilige Verfügung erlassen hat. Dies folgt für § 86b Abs 2 S 4 SGG, der lediglich die entsprechende Anwendung des § 945 ZPO anordnet, schon daraus, dass nach § 101 Abs 2 SGG das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs(ausführlich zur Rechtsnatur des Anerkenntnisses vgl BSGE 119, 293 = SozR 4-1500 § 101 Nr 2) insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache - hier das Begehren im einstweiligen Rechtsschutz - erledigt. Dabei bildet das angenommene Anerkenntnis selbst eine ausreichende Vollstreckungsgrundlage (§ 199 Abs 1 Nr 3 SGG). Der Verurteilung eines Beteiligten im Wege des Anerkenntnisurteils (§ 202 S 1 SGG iVm § 307 S 1 ZPO), der den gegen ihn geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil anerkennt, bedarf es im Falle des angenommenen Anerkenntnisses nicht mehr. Hier hat der Versicherte das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis über die Übernahme der Kosten für ein Therapieintervall mit Avastin (Schriftsatz vom 27.5.2013) angenommen (Schriftsatz vom 31.5.2013). Die Beklagte hat dort auch für den Versicherten unmissverständlich deutlich gemacht, dass das Anerkenntnis nur zur Erledigung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dienen und die Leistung von der Beklagten "vorbehaltlich eines Obsiegens im Hauptverfahren - vorläufig für ein Quartal übernommen" werden soll. Unerheblich ist dann auch, dass das Uni-Klinikum im Kontext der Erfüllung dieses Anerkenntnisses ggf Avastin nicht durch Privat-, sondern durch Kassenrezept verordnet hat. Denn das Uni-Klinikum wollte damit für die Beklagte erkennbar nicht ihrerseits die Haftung für eine eventuell rechtswidrige Versorgung des Versicherten übernehmen.

11

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten der Behandlung des Versicherten mit Avastin zu übernehmen. Die Versorgung Versicherter mit dem Arzneimittel Avastin zur (kurativen oder palliativen) Therapie von Glioblastomen nach Rezidiv ist nicht vom GKV-Leistungskatalog umfasst, weder nach allgemeinen Grundsätzen (dazu a) noch nach denen des Off-Label-Use (dazu b) noch nach § 2 Abs 1a SGB V(dazu c). Auch der Umstand, dass der Versicherte durch eine Hochschulambulanz behandelt wurde, erweitert seinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV nicht (dazu d).

12

a) Der Versicherte konnte mangels indikationsbezogener Zulassung von der Beklagten die Behandlung seines Glioblastoms mit Avastin zu Lasten der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V nicht verlangen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt(stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 9 - restless legs/Cabaseril; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 21 - ADHS/Methylphenidat; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin). Sie kann sich aus nationalem Recht (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) oder aus dem Recht der Europäischen Union ergeben, nicht aber aus ausländischem Recht.

13

Die hier bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland (insbesondere in den USA, vgl U.S. Food and Drug Administration News Release for immediate Release, May 8, 2009: FDA "recently approved Avastin to treat patients with glioblastoma multiforme when this form of brain cancer continues to progress following standard therapy"; abrufbar unter http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm152295.htm; s ferner FDA Briefing Document Oncology Drug Advisory Committee Meeting, March 31, 2009, BLA STN 125085/169 Avastin ; abrufbar über Suchmaschine google mit Stichworten "Avastin FDA Glioblastom", Stand 23.11.2016) entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Recht der Europä-ischen Union sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils Leitsatz und RdNr 11 ff - Immucothel; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 16 - Tomudex; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 14 - Idebenone; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 30/06 R - Juris RdNr 11 = USK 2007-36 - Cannabinol). Das Recht der Europäischen Union verbietet ausdrücklich ein Inverkehrbringen von Avastin in Deutschland ohne erfolgreich abgeschlossenes zentralisiertes Zulassungsverfahren nach Maßgabe der VO (EG) 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl L 136 vom 30.4.2004 S 1, zuletzt geändert durch VO Nr 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Änderung der VO Nr 726/2004 hinsichtlich der Pharmakovigilanz, ABl L 316 vom 14.11.2012 S 38). Nach Art 3 Abs 1 VO (EG) Nr 726/2004 besteht eine Pflicht zur Beantragung einer Zulassung im Rahmen eines zentralisierten Verfahrens, in dem für die Erteilung der Zulassung zwingend die EMA zuständig ist. Diese Pflicht betrifft die unter den Anhang dieser Verordnung fallenden technologisch hochwertigen Arzneimittel, insbesondere die Arzneimittel, die mit Hilfe eines der drei in Nr 1 des Anhangs aufgezählten biotechnologischen Verfahren "hergestellt" werden (EuGH Urteil vom 11.4.2013 - C-535/11 - Juris RdNr 37 = PharmR 2013, 367). Art 3 Abs 1 iVm Nr 1 Anhang VO (EG) Nr 726/2004 bestimmt: "Arzneimittel, die mit Hilfe eines der folgenden biotechnologischen Verfahren hergestellt werden: (…) Verfahren auf der Basis von (…) monoklonalen Antikörpern" dürfen innerhalb der Gemeinschaft nur nach Erteilung einer Genehmigung gemäß VO (EG) 726/2004 in den Verkehr gebracht werden. Der in Avastin enthaltene Wirkstoff Bevacizumab unterfällt als ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der mittels DNA-Technologie aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) gewonnen wird (vgl Anhang I Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124), ausschließlich dem Zuständigkeitsbereich der VO (EG) 726/2004 (zur Zulassung von Avastin nach Art 3 EG 726/2004 vgl auch EuGH Urteil vom 11.4.2013 - C-535/11 - Juris RdNr 21 = PharmR 2013, 367; zur Befugnis des Revisionsgerichts generelle Tatsachen festzustellen vgl auch BSGE 84, 90, 94 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16 f; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 31; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 - jeweils zur Frage, ob eine medizinische Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht; s ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7; Zeihe, SGG, Stand August 2016, § 163 Anm 2d cc).

14

Avastin verfügt nicht über eine solche von Art 3 Abs 1 VO (EG) 726/2004 geforderte Genehmigung - auch nicht nach den Feststellungen des LSG - für die hier maßgebliche Indikation. Das Fertigarzneimittel Avastin ist gemeinschaftsrechtlich nach Maßgabe der VO (EG) Nr 726/2004 für die Behandlung von Glioblastomen nicht zugelassen (vgl dazu nur EMA/487896/2016 und EMEA/H/C/000582: Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsberichts für Avastin, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl= pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid =WC0b01ac058001d124, und Anhang I Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124, sowie "Authorisationdetails", abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124, und die Übersicht über "Avastin Procedural steps taken and scientific information after the authorisation", abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/human/medicines/000582/human_med_000663.jsp&mid=WC0b01ac058001d124; s ferner zu den Einzelheiten der nicht erteilten Genehmigung für die Indikation des rezidivierenden Glioblastoms unten 2. c).

15

b) Der Versicherte konnte eine Versorgung mit Avastin auch im Rahmen eines Off-Label-Use zur Behandlung seines Glioblastoms auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses und im Falle von klinischen Studien regelt, noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen. Für einen Anspruch aus § 35c SGB V liegt nichts vor. Entsprechend dem Rechtsgedanken der heute geltenden Anmerkung zu Abschnitt K Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) vom 18.12.2008/22.1.2009 (BAnz 2009, Nr 49a , zuletzt vor Beginn der Behandlung des Versicherten geändert am 20.6.2013, BAnz AT 18.7.2013 B1 und BAnz AT 1.8.2013 B4, jeweils in Kraft getreten am 20.6.2013) bleiben die allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 16 - BTX/A).

16

Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - Neuropsychologische Therapie).

17

An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten im dargelegten Sinne ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kam es bis zum Abschluss des von der Beklagten vorläufig finanzierten Therapieintervalls (24.6. bis zum 2.9.2013) nicht zu einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung des Versicherten.

18

c) Die Klägerin kann aus den Grundsätzen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung nichts für sich herleiten, hier aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V, die zum 1.1.2012 in Kraft trat (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Sie begründet keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach VO (EG) Nr 726/2004 abzulehnen war. Dazu genügt es, dass der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel - wie hier bei Avastin für die Indikation des rezidivierenden Glioblastoms - ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellte, ohne dass der Antragsteller das Verfahren weiterverfolgt. Das gilt, obwohl der Versicherte nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)an einer regelmäßig tödlichen Erkrankung litt, einem Glioblastom IV. Grades mit einer sehr niedrigen 5-Jahres-Überlebensrate im unteren einstelligen Prozentbereich. Hierfür stand im Juni 2013 nach vorangegangener zweimaliger Operation und Radiochemotherapie sowie isolierter Chemotherapie keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung mit der Möglichkeit einer spürbar positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zur Verfügung. Die Auslegung folgt aus Entwicklungsgeschichte (dazu aa), Regelungssystem von Arzneimittelzulassungsrecht und SGB V (dazu bb) sowie dem Regelungszweck (dazu cc), ohne dass der Wortlaut des § 2 Abs 1a SGB V(dazu dd) entgegensteht.

19

aa) Schon nach der Entwicklungsgeschichte der Gesetzesregelung darf sie den Schutzzweck des Arzneimittelzulassungsrechts nicht konterkarieren. Die Regelung führt in der Sache die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort, anknüpfend an jene des BVerfG (vgl hierzu BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose; einschränkend jetzt BVerfGE 140, 229 RdNr 18 = NJW 2016, 1505 RdNr 18). Der erkennende Senat hat bereits bei der Konkretisierung des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 nicht außer Acht gelassen, dass die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten (BVerfGE 115, 25 RdNr 65 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 34) nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten bestimmen. Diese Schutzpflichten sollen die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Der erkennende Senat hat darauf hingewiesen, dass ebenso wenig die Rechtsprechung des BVerfG dazu führen darf, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet werden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebeln, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet hat (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 25 - Tomudex).

20

Speziell mit Blick auf das Arzneimittelrecht hat der erkennende Senat hervorgehoben, dass das allgemein geltende, dem Gesundheitsschutz dienende innerstaatliche arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis durch eine vermeintlich "großzügige", im Interesse des einzelnen Versicherten erfolgende richterrechtliche Zuerkennung von Ansprüchen auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel nicht faktisch systematisch unterlaufen und umgangen werden darf. Ein solches Vorgehen wäre nämlich sowohl mit einem inakzeptablen unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden für den betroffenen Versicherten behaftet als auch mit einer nicht gerechtfertigten Ausweitung der Leistungspflicht zu Lasten der übrigen Versicherten verbunden. Solche Auswirkungen dürfen einer Versichertengemeinschaft nicht aufgebürdet werden, die die Behandlung - typischerweise unter Anwendung des Instruments der Versicherungspflicht, also zwangsweise - finanziert (vgl schon BSGE 89, 184, 190 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 34; BSGE 95, 132 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3, RdNr 25 - Wobe-Mugos E). Eine Ausweitung der Ansprüche der Versicherten der GKV auf Arzneimittel, die deutschen arzneimittelrechtlichen Zulassungsstandards nicht genügen, muss auf eng umgrenzte Sachverhalte mit notstandsähnlichem Charakter begrenzt bleiben (vgl BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 27 - Visudyne; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35 - Tomudex).

21

Um den gesetzlich geregelten Schutzmechanismus von Leben und Gesundheit der Versicherten nicht auszuhebeln, hat der erkennende Senat bei der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts für Arzneimittel deshalb gefordert, dass die zuständige Behörde für das betroffene Mittel arzneimittelrechtlich weder die Zulassung förmlich abgelehnt noch gemäß § 30 AMG zurückgenommen, widerrufen oder ruhend gestellt hatte. Zudem durfte etwa der Import weder dem Gesetz widersprechen noch einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllen (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 36 - Tomudex). Für die dem zentralen europäischen Zulassungssystem unterfallenden Arzneimittel konnte in der Sache nichts anderes gelten. Einer förmlichen Ablehnung eines Zulassungsantrags steht es gleich, wenn der Antragsteller seinen Antrag wegen des ablehnenden Berichts des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel - hier vom LSG als ablehnende Entscheidung der EMA bezeichnet - nicht weiterverfolgt (vgl auch Art 11 VO Nr 726/2004). Diesen Weg ist der Hersteller von Avastin gegangen. Er zog damit die Konsequenzen aus der drohenden Antragsablehnung wegen Nichterfüllung der Zulassungsvoraussetzungen.

22

Der Gesetzgeber des GKV-VStG baute bei Einfügung des Abs 1a in § 2 SGB V auf dieser Rechtsprechung des erkennenden Senats auf. Er verwies in seiner Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich darauf, dass die Rechtsprechung des BSG zur Leistungspflicht der GKV für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel durch die Einfügung eines Abs 1a unberührt bleiben solle und nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungskonform sei (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 53). Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung iS von § 12 Abs 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist(BVerfG Beschluss vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels mit ein (§ 1 AMG - entsprechend auch die Erwägungsgründe Nr 14, 17, 19 der VO Nr 726/2004). Vor Art 2 Abs 1 GG ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn das BSG die Leistungspflicht der GKV für einen zulassungsübergreifenden Einsatz von Arzneimitteln an engere Voraussetzungen etwa in Bezug auf die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg knüpft (vgl BVerfGK 14, 46, 48 f = SozR 4-2500 § 31 Nr 17 RdNr 10 f).

23

bb) Die Gesamtrechtssystematik unterstreicht, dass die grundrechtsorientierte Auslegung die externen institutionellen Sicherungen der Arzneimittelzulassungsverfahren nach innerstaatlichem Recht und nach Gemeinschaftsrecht nicht aushebeln soll. Sie dienen - wie oben dargelegt - dazu, Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel zu gewährleisten. Im Falle zulassungspflichtiger Arzneimittel wird die Arzneimittelsicherheit dadurch gewährleistet, dass das Inverkehrbringen von näher qualifizierten Arzneimitteln unter einem strikten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt steht. Dies gilt sowohl für das innerstaatliche Recht nach § 21 Abs 1 AMG als auch für das Gemeinschaftsrecht nach Art 3 Abs 1 VO (EG) 726/2004 und nach Art 6 Abs 1 RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl L 311 vom 28.11.2001, S 67, RL zuletzt geändert durch RL 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz, ABl L 299 vom 27.10.2012, S 1). Nicht nur die Hersteller, sondern alle Rechtssubjekte einschließlich der GKV-Versicherten haben die mangelnde Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels zu beachten. Der aufgezeigte Systemzweck gilt, obwohl die VO (EG) 726/2004 die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der Festsetzung der Preise für Arzneimittel sowie in Bezug auf die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungssysteme aufgrund von gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen unberührt lässt und die Mitgliedstaaten insbesondere aus den Angaben in der Genehmigung für das Inverkehrbringen diejenigen therapeutischen Indikationen und Packungsgrößen auswählen können, die von ihren Sozialversicherungsträgern abgedeckt werden (vgl Art 1 S 3 VO > 726/2004).

24

Das europäische Recht untersagt die Genehmigung für das Inverkehrbringen im zentralisierten Verfahren, wenn sich nach Prüfung der gemäß Art 6 VO (EG) Nr 726/2004 vorgelegten Angaben und Unterlagen ergibt, dass der Antragsteller die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Arzneimittels nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen hat (Art 12 Abs 1 VO Nr 726/2004). Ließe man dies wie auch die Zulassungsregelungen deutschen Rechts unbeachtet, könnten KKn gestützt auf die Prinzipien der grundrechtsorientierten Auslegung auch außerhalb klinischer Studien den Schutz von Leben und Gesundheit durch die genannten zwingenden Sicherungen des Arzneimittelrechts faktisch überspielen.

25

cc) Der Vorrang des Arzneimittelzulassungsrechts entspricht auch dem Zweck des SGB V als System der kollektiven Versorgung seiner Versicherten ua mit qualitativ hochwertigen, sicheren und wirksamen Arzneimitteln. Das allgemein geltende, dem Gesundheitsschutz dienende - hier allein maßgebliche - arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis des Gemeinschaftsrechts darf - wie dargelegt - durch eine vermeintlich "großzügige", im Interesse des einzelnen Versicherten erfolgende richterrechtliche Zuerkennung von Ansprüchen auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel nicht faktisch systematisch unterlaufen und umgangen werden.

26

dd) Der Wortlaut der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V lässt die gebotene einschränkende Auslegung zu. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Abs 1 S 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

27

d) Die Begrenzung des Anspruchs des Versicherten auf die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln wird abgesehen von den dargestellten und hier verneinten Ausnahmen nicht dadurch aufgehoben oder geändert, dass eine Hochschulambulanz nach § 117 SGB V behandelt oder zur Behandlung in Betracht kommt(vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - RdNr 31). Hiernach vermag die Behandlung des Versicherten durch Ärzte der Hochschulambulanz des Uni-Klinikums keinen anderen Versorgungsanspruch zu begründen als den, der ihm zugestanden hätte, wenn er sich in die Behandlung eines Vertragsarztes begeben hätte. Auch diese Ärzte durften dem Versicherten nur für die jeweilige Indikation zugelassene Fertigarzneimittel verordnen, es sei denn, dass eine gesetzliche oder richterrechtliche Ausnahme eingreift. Das ist indes - wie oben dargestellt - hier nicht der Fall.

28

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.