Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2016 - XII ZB 8/16
Gericht
Tenor
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Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 30. November 2015 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
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Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.
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Wert: 5.000 €
Gründe
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I.
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Der Betroffene erteilte am 16. Juli 2009 der Beteiligten zu 1 (Tochter), der Beteiligten zu 2 (Ehefrau) und dem Beteiligten zu 3 (Sohn) eine umfassende notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
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Auf Anregung der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet und den Allgemeinarzt Dr. O. um ein ärztliches Zeugnis zur Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung gebeten, das dieser unter dem 20. Februar 2015 erstattet hat. Nach vorheriger Anhörung des Betroffenen und mit dessen Einverständnis hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Juni 2015 die Beteiligte zu 4 zur Kontrollbetreuerin bestellt.
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Die von den Beteiligten zu 2 und 3 namens des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
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a) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG unter anderem von der Durchführung der persönlichen Anhörung des Betroffenen (§ 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG) absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren allerdings immer dann erforderlich, wenn von ihr neue Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten sind, was in der Regel der Fall ist, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2015 - XII ZB 98/15 - FamRZ 2015, 1603 Rn. 6 mwN).
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b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen selbst anhören müssen.
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Bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung war der Betroffene mit der Bestellung eines Kontrollbetreuers einverstanden. So hat er in einem an das Amtsgericht gerichteten Schreiben vom 18. Januar 2015 ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass in Bezug auf die seinen Kindern erteilte Generalvollmacht eine Kontrollbetreuung eingerichtet wird. In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht hat der Betroffene diesen Wunsch wiederholt und angegeben, dass er die Bestellung eines Kontrollbetreuers für sinnvoll halte.
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Nach Eingang der Beschwerde hat sich die zu beurteilende Sachlage signifikant geändert. Da der Betroffene mit der Einlegung des Rechtsmittels zu erkennen gegeben hat, dass er an seinem zuvor geäußerten Einverständnis mit der Kontrollbetreuung nicht mehr festhält, waren von einer erneuten Anhörung durch das Landgericht zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten. Das Landgericht hätte durch eine persönliche Anhörung zum einen die Hintergründe des Sinneswandels bei dem Betroffenen aufklären und sich zum anderen selbst - gegebenenfalls nach Einholung einer ergänzenden sachverständigen Stellungnahme - einen Eindruck davon verschaffen müssen, ob der Betroffene tatsächlich nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2015 - XII ZB 381/15 - FamRZ 2016, 456 Rn. 19 mwN).
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2. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben, und die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
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Dieses wird nunmehr die erforderlichen Ermittlungen zum Vorliegen eines freien Willens nachzuholen und dabei den Betroffenen persönlich anzuhören haben.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
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Dose Schilling Günter
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Botur Krüger
Annotations
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.