Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2017 - XI ZR 470/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten über die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags.
- 2
- Die Parteien schlossen am 23. Dezember 2005 einen Darlehensvertrag über ein Darlehen in Höhe von 580.000 €. Der Sollzins war für zehn Jahre festgeschrieben und betrug 3,6% p.a. Der effektive Jahreszins belief sich auf 3,66% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten dienten Grundschulden. Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von insgesamt 577.500 €. Unter dem 25. April 2013, der Beklagten am selben Tag zugegangen , widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Anschließend erbrachte er bis zum 27. August 2014 weitere Leistungen an die Beklagte in Höhe von 52.500 €, aus denen die Beklagte Nutzungen in Höhe von 919,20 € zog.
- 3
- Der Kläger hat zunächst Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, dass "der Darlehensvertrag […] durch Widerrufserklärung […] beendet worden" sei. Nachdem ihn das Landgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, es hege Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags , ist der Kläger zur Leistungsklage übergegangen. Seiner Klage zuletzt auf Zahlung eines angeblichen Saldos zu seinen Gunsten aus dem Rückgewährschuldverhältnis in Höhe von 31.227,97 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. April 2013, auf Zahlung von 52.500 € und auf Zahlung weiterer 919,20 € hat das Landgericht in Höhe von 483,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2014 entsprochen. Die weitergehende Klage hat das Landgericht abgewiesen. Gegen die Entscheidung des Landgerichts haben der Kläger Berufung und die Beklagte Anschlussberufung eingelegt.
- 4
- Der Vorsitzende des zuständigen Senats des Berufungsgerichts hat mit Verfügung vom 9. Juni 2015, ausgefertigt am 10. Juni 2015, die Parteien um Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten. Der Kläger hat am 15. Juni 2015 und die Beklagte am 19. Juni 2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2015 das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 17. Juli 2015 gesetzt und Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 28. Juli 2015 bestimmt. Mit Verfügung vom 27. Juli 2015 hat der Vorsitzende den Termin zur Verkündung einer Entscheidung aus dienstlichen Gründen auf den 15. September 2015 verlegt. Zugleich hat er die Parteien gebeten, erneut ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu erklären. Der Kläger hat am 4. August 2015 und die Beklagte hat am 8. August 2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 10. August 2015, ausgefertigt auf den 11. August 2015, erneut das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 28. August 2015 gesetzt und den Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 22. September 2015 verlegt. Den Verkündungstermin hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 21. September 2015 aus dienstlichen Gründen nochmals auf den 6. Oktober 2015 verlegt.
- 5
- Mit der am 6. Oktober 2015 verkündeten Entscheidung hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat, soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat, zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage vollständig abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er zunächst auf der Basis von von der Beklagten mutmaßlich gezogenen Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begehrt hat, die Beklagte zur Zahlung von 31.006,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2013 sowie zur Zahlung weiterer 52.500 € und 919,20 € zu verurteilen. Zuletzt hat der Kläger im Revisionsverfahren eine Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen nur noch mit dem Ziel verfolgt, die Beklagte zur Zahlung von 31.921,43 € zu verurteilen.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (ZIP 2015, 2211) - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - ausgeführt:
- 8
- Die Beklagte schulde dem Kläger Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen nur auf die vom Kläger erbrachten Zins-, nicht auch auf die Tilgungsleistungen , die nicht im Zuge des Rückgewährschuldverhältnisses zu erstatten seien. Bei Immobiliardarlehensverträgen sei widerleglich lediglich zu vermuten, dass die Beklagte auf empfangene Zinsleistungen Nutzungen in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, nicht aber von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gezogen habe. Diese rechtliche Bewertung zugrunde gelegt sei nach Aufrechnung der wechselseitigen Ansprüche nicht die Beklagte dem Kläger, sondern der Kläger der Beklagten zur Zahlung verpflichtet. Deshalb sei die Klage in Gänze abzuweisen.
II.
- 9
- Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
- 10
- 1. Keinen Erfolg hat allerdings die Verfahrensrüge der Revision, mit der sie geltend macht, das Berufungsgericht habe entgegen § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO mehr als drei Monate nach Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren ein Urteil gefällt. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 17. Januar 2012 - XI ZR 457/10, WM 2012, 312 Rn. 34), kann das Gericht dann, wenn die Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO zunächst nicht eingehalten werden kann, erneut die Zustimmung beider Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren einholen und auf dieser Grundlage gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO erkennen. So ist das Berufungsgericht verfahren.
- 11
- 2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht indessen, wie die Revision zu Recht geltend macht, unterstellt, der Kläger habe nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) in Verbindung mit § 346 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB keinen Anspruch auf Rückgewähr der von ihm auf den Darlehensvertrag erbrachten Tilgungsleistungen und daher auch keinen Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Herausgabe der mittels dieser Tilgungsleistungen mutmaßlich gezogenen Nutzungen. Zu dem Umfang der sich aus dem Rückgewährschuldverhältnis ergebenden Pflichten, die die Rückgewähr empfangener Tilgungsleistungen mit einschließen, hat der Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2016 (XI ZR 366/15, WM 2016, 454 Rn. 12 ff., 18 ff.) umfänglich Stellung genommen und sich eingehend mit den für und wider diese Ansicht vorgetragenen Argumenten befasst. Gesichtspunkte, die dem Senat Anlass gäben, von seiner dort niedergelegten Auffassung abzugehen, zeigt die Revisi- on nicht auf (vgl. auch Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 50 und vom 25. April 2017 - XI ZR 573/15, WM 2017, 1004 Rn. 27).
- 12
- 3. Aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Forderung gegen die Beklagte in Höhe von 31.921,43 € aberkannt , die dem Kläger tatsächlich zusteht.
- 13
- Der Kläger hat an die Beklagte vor Zugang des Widerrufs Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 577.500 € erbracht. Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen - gerechnet mit zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - auf diese Zins- und Tilgungsleistungen beläuft sich auf 67.306,81 €. Der Kläger hat nach Zugang des Widerrufs weitere 52.500 € geleistet , die von der Beklagten zu erstatten sind (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB). Die Beklagte hat daraus nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in der Revisionsinstanz Nutzungen in Höhe von 919,20 € gezogen. Daraus ergibt sich ein Gesamtanspruch des Klägers in Höhe von 698.226,01 €. Abzüglich der vom Kläger gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB geschuldeten Leistung von 580.000 € (Darlehensvaluta) und 86.304,58 € (Nutzungsersatz in Höhe des Vertragszinses) beläuft sich die restliche Forderung des Klägers nach Aufrechnung noch auf 31.921,43 €.
III.
- 14
- Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit es über die vom Kläger nicht weiter verfolgte Zinsforderung hinaus auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage in Höhe von 483,16 € abgewiesen und die Berufung des Klägers in Höhe weiterer 31.438,27 € zurückgewiesen hat (§ 562 ZPO). In diesem Umfang ist die Beklagte zur Zahlung verpflichtet (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 02.09.2014 - 21 O 690/13 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 06.10.2015 - 6 U 148/14 -
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(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Die empfangenen Leistungen sind spätestens nach 14 Tagen zurückzugewähren.
(2) Der Unternehmer muss auch etwaige Zahlungen des Verbrauchers für die Lieferung zurückgewähren. Dies gilt nicht, soweit dem Verbraucher zusätzliche Kosten entstanden sind, weil er sich für eine andere Art der Lieferung als die vom Unternehmer angebotene günstigste Standardlieferung entschieden hat.
(3) Für die Rückzahlung muss der Unternehmer dasselbe Zahlungsmittel verwenden, das der Verbraucher bei der Zahlung verwendet hat. Satz 1 gilt nicht, wenn ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist und dem Verbraucher dadurch keine Kosten entstehen.
(4) Bei einem Verbrauchsgüterkauf kann der Unternehmer die Rückzahlung verweigern, bis er die Waren zurückerhalten hat oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren abgesandt hat. Dies gilt nicht, wenn der Unternehmer angeboten hat, die Waren abzuholen.
(5) Der Verbraucher trägt die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche von dieser Pflicht unterrichtet hat. Satz 1 gilt nicht, wenn der Unternehmer sich bereit erklärt hat, diese Kosten zu tragen.
(6) Der Verbraucher ist nicht verpflichtet, die Waren zurückzusenden, wenn der Unternehmer angeboten hat, die Waren abzuholen.
(7) Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, bei denen die Waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Wohnung des Verbrauchers gebracht worden sind, ist der Unternehmer verpflichtet, die Waren auf eigene Kosten abzuholen, wenn die Waren so beschaffen sind, dass sie nicht per Post zurückgesandt werden können.
(8) Für die Rechtsfolgen des Widerrufs von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Produkte gilt ferner § 327p entsprechend.
(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.
(1) Die empfangenen Leistungen sind spätestens nach 14 Tagen zurückzugewähren.
(2) Der Unternehmer muss auch etwaige Zahlungen des Verbrauchers für die Lieferung zurückgewähren. Dies gilt nicht, soweit dem Verbraucher zusätzliche Kosten entstanden sind, weil er sich für eine andere Art der Lieferung als die vom Unternehmer angebotene günstigste Standardlieferung entschieden hat.
(3) Für die Rückzahlung muss der Unternehmer dasselbe Zahlungsmittel verwenden, das der Verbraucher bei der Zahlung verwendet hat. Satz 1 gilt nicht, wenn ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist und dem Verbraucher dadurch keine Kosten entstehen.
(4) Bei einem Verbrauchsgüterkauf kann der Unternehmer die Rückzahlung verweigern, bis er die Waren zurückerhalten hat oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren abgesandt hat. Dies gilt nicht, wenn der Unternehmer angeboten hat, die Waren abzuholen.
(5) Der Verbraucher trägt die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche von dieser Pflicht unterrichtet hat. Satz 1 gilt nicht, wenn der Unternehmer sich bereit erklärt hat, diese Kosten zu tragen.
(6) Der Verbraucher ist nicht verpflichtet, die Waren zurückzusenden, wenn der Unternehmer angeboten hat, die Waren abzuholen.
(7) Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, bei denen die Waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Wohnung des Verbrauchers gebracht worden sind, ist der Unternehmer verpflichtet, die Waren auf eigene Kosten abzuholen, wenn die Waren so beschaffen sind, dass sie nicht per Post zurückgesandt werden können.
(8) Für die Rechtsfolgen des Widerrufs von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Produkte gilt ferner § 327p entsprechend.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.