Bundesgerichtshof Urteil, 23. Feb. 2017 - X ZR 99/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:230217UXZR99.14.0
bei uns veröffentlicht am23.02.2017
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 3/13, 13.05.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 99/14 Verkündet am:
23. Februar 2017
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Cryptosporidium
EPÜ Art 54; PatG § 3

a) Eine Verwendung ist neu, wenn die geschützte Lehre eine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit
aufzeigt, die durch objektive Merkmale von den im
Stand der Technik bekannten Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden
kann (Bestätigung von BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011
- X ZR 53/11, GRUR 2012, 373 - Glasfasern I).

b) Für die Annahme einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme ist dementsprechend
nur Raum, wenn der Fachmann den bekannten Gegenstand zweckgerichtet
zu dem geschützten Verwendungszweck eingesetzt hat.
BGH, Urteil vom 23. Februar 2017 - X ZR 99/14 - Bundespatentgericht
ECLI:DE:BGH:2017:230217UXZR99.14.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2017 durch die Richter Dr. Bacher, Gröning und Dr. Grabinski sowie die Richterinnen Schuster und Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 13. Mai 2014 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 5. Mai 1999 unter Inan1 spruchnahme der Priorität einer US-amerikanischen Patentanmeldung vom 13. Mai 1998 international angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 084 080 (Streitpatent), das zwei Ansprüche umfasst, die in der Verfahrenssprache lauten: 1. Use of a time-continuous broad band of ultraviolet light of a medium pressure UV mercury lamp in doses of from 10 mJ/cm² to 175 mJ/cm² and with a wavelength range of 200 to 300 nm for treating drinking water to eliminate the potential for Cryptosporidium oocysts infection.
2. The use according to claim 1, wherein said dose is from 20 mJ/cm² to 30 mJ/cm². Die aus dem Streitpatent in Anspruch genommenen Klägerinnen haben
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Nichtigkeitsklage erhoben und geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht patentfähig.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerinnen beantragen, verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft die Verhinderung von Infektionen durch im
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(Trink-)Wasser befindliche Cryptosporidium-Oozysten und ähnlichen Organismen. 1. Der Beschreibung zufolge war der Einsatz von ultraviolettem (im Fol5 genden: UV-)Licht als Mittel zur Tötung oder Inaktivierung von Oozysten insbesondere im Trinkwasser bekannt. Im Stand der Technik sei für die Inaktivierung von Cryptosporidium parvum eine UV-Dosis von mindestens 3.000 mJ/cm² genannt worden (Lorenzo-Lorenzo et al., J. Parasitol 1993, 67 ff., Anlage NK19/2). In dieser Untersuchung werde von einer Infektionsverhinderung bei Mäusen berichtet, die, vermutlich unter Einsatz von Niedrigdruck-Quecksilberlampen, über mindestens 150 Minuten UV-Bestrahlung ausgesetzt worden seien. Die angewandte UV-Dosis müsse tatsächlich über 5.000 mJ/cm² betragen haben, um eine bessere Reduktion der Infektiosität als 2 Log zu erzielen, wobei die Bildung von Thymindimeren als Ursache für die Eliminierung der Infektiosität angeführt worden sei.
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Aus der britischen Patentanmeldung 2 292 097 (NK14) sei eine Vorrichtung bekannt, bei deren Einsatz Cryptosporidium-Oozysten mithilfe von Membranfiltern aus dem Trinkwasser herausgefiltert und dann mittels NiedrigdruckQuecksilberlampen mit UV-Dosen von zweimal 350 bis 400 mJ/cm² bestrahlt und dadurch abgetötet würden. Des Weiteren war der Beschreibung zufolge der Einsatz gepulster UV7 Technik zum Sterilisieren von Oberflächen gegen Bakterien-, Pilz-, Sporen-, Viren-, Protozoen- und Oozystenbefall unter Einsatz von UV-Dosen von über 1.000 mJ/cm² bekannt, wobei der Sterilisierungseffekt dem Zelltod zugeschrieben worden sei. Einem ähnlichen Impulssystem sei, mutmaßlich unter Verwendung eines Mausinfektiositätsassays, eine hundertprozentige Inaktivierung von Cryptosporidium bis zu einem Niveau von 6 Log bei Energieeinsatz von ungefähr 200 mJ/cm² und größer zugeschrieben worden. Der Erfolg werde auf eine Überwindung der DNA-Reparaturmechanismen zurückgeführt, allerdings seien die eingesetzten UV-Dosen wesentlich größer als die bei Verwendung einer gleichförmigen ("steady state") Mitteldruck-Quecksilberlampe erforderlichen. 2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das Problem zugrun8 de, Infektionen durch im Wasser befindliche Cryptosporidium-Oozysten kostengünstig vorzubeugen. Dafür schlägt Patentanspruch 1 in der Gliederung des patentgerichtlichen Urteils vor: 1. Verwendung eines zeitlich kontinuierlichen ("time-continuous") Breitbands ultravioletten Lichts, das 2. von einer Mitteldruck-UV-Quecksilberlampe 3. in Dosen von 10 mJ/cm² bis 175 mJ/cm² 4. mit einem Wellenlängenbereich von 200 bis 300 nm emittiert wird, 5. zum Behandeln von Trinkwasser 6. zur Eliminierung des Potenzials für Cryptosporidium-OozystenInfektionen. 3. a) Merkmal 3 wird aus fachmännischer Sicht, nicht zuletzt mit Blick
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auf die vom Streitpatent angestrebte Kosteneffektivität, dahin verstanden, dass die jeweilige Energiemenge im Sinne einer Höchstmenge eingesetzt wird und eine wiederholte Verabreichung nach der Lehre des Streitpatents nicht vorgesehen ist.
b) Das Streitpatent verhält sich nicht zur Beschaffenheit der zur Be10 strahlung einzusetzenden Vorrichtungen, Apparaturen oder Systeme. Demzufolge ist der bekannte Einsatz von Filtern in Gerätschaften zur Verbesserung der Bestrahlungswirkung, im Rahmen der streitpatentgemäßen Lehre grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Ob das auch für (Titan-)Filter gilt, die selbst zusätzlich desinfizierend wirken, weil ihr Einsatz, wie in NK14 beschrieben, zur Folge hat, dass ein mit der entsprechend aktivierten Oberfläche in Berührung kommender Mikroorganismus infolge Oxidation abgetötet wird, bedarf keiner abschließenden Beurteilung.
c) Nach dem Verständnis des Patentgerichts ist mit der in Merkmal 6
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genannten Eliminierung des Infektionspotentials das Ziel verbunden, die Replikation der im Trinkwasser befindlichen Cryptosporidium-Oozysten zu unterbinden und deren Infektiosität auf ein Minimum zu reduzieren, ohne sie notwendigerweise allesamt zu töten. aa) Soweit es dem Streitpatent nach dem Vorbringen der Berufung expli12 zit darauf ankommen soll, Cryptosporidien nicht abzutöten, sondern - für die Unterbindung von Infektionen im Endwirt ausreichend - nur, ihre DNA so weit zu beschädigen, so dass sie sich nicht weiter replizieren können, mag damit die mit dem Einsatz der streitpatentgemäßen Lehre bezweckte Wirkung umschrieben sein. Der Geltungsbereich von Patentanspruch 1 wird dadurch nicht näher eingrenzend bestimmt. Die Verhinderung der Replikation als Modalität, Mikro- organismen im Trinkwasser unschädlich zu machen, war als solche neben dem "Abtöten" durch Beendigung jeglicher Stoffwechselaktivitäten bekannt (vgl. "Field-Testing UV Disinfection of Drinking Water" von Gadgil et al., NK12). Im Sinne von Merkmal 6 wird das Potenzial für Cryptosporidium nach dem fachmännischen Verständnis durch "Abtöten" der Parasiten genauso eliminiert, wie durch Verhinderung ihrer Replikation. Ob etwas anderes gelten könnte, wenn das Streitpatent die Verabreichung von UV-Dosen genau in dem Maße lehrte, das zur Verhinderung der Replikation hinreicht, ohne die bestrahlten Organismen abzutöten, kann dahinstehen, weil die Patentansprüche dies nicht vorsehen. bb) Die Angabe "to elimininate the potential for Cryptosporidium oocysts infec13 tion" wird aus fachmännischer Sicht nicht als quantitativ exakte Inaktivierungsquote in bestimmter Potenz verstanden. Entsprechend der plausiblen Einschätzung in der privatgutachterlichen Stellungnahme von Professor F. wird der Fachmann zwar erwarten, dass bei einer streitpatentgemäßen Bestrahlung eine höhere Inaktivierungsquote als 90 Prozent erreicht wird. Für ein fachlich einvernehmliches Verständnis einer ganz bestimmten höheren Erfolgsquote (Potenz) bestehen jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, zumal sich auch das Streitpatent hierzu ausschweigt. II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
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begründet: Es spreche bereits viel dafür, dass der Gegenstand von Patentan15 spruch 1 durch NK12 vorweggenommen werde. Über die darin jedenfalls unmittelbar und eindeutig offenbarten Merkmale 1, 2, 4 und 5 hinaus werde ein neunzigprozentiges Abtöten unter anderem von Cryptosporidium-Oozysten im Trinkwasser und damit eine Eliminierung im Sinne von Merkmal 6 beschrieben, für die UV-Dosen von mindestens 60 bis 80 mJ/cm² als erforderlich erachtet worden seien.
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Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. NK14 lehre im streitpatentgemäßen Sinne, für das Abtöten pathogener
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Mikroorganismen UV-Licht zu verwenden, vorteilhafterweise solches mit einer Wellenlänge von 245 bis 265 nm. In NK14 werde auch als für die Abtötung von Mikroorganismen wie Cryptosporidien übliche Dosis eine solche von 50 bis 100 mJ/cm² genannt; soweit die in NK14 vorgeschlagene Lehre eine Bestrahlung mit einer zwölffach höheren UV-Dosis vorsehe, hänge das mit der gleichzeitig angestrebten hohen Fließgeschwindigkeit des zu behandelnden Trinkwassers zusammen, was wiederholte UV-Bestrahlungsdosen von insgesamt 1.200 mJ/cm² erforderlich mache. Danach lägen die patentgemäßen Merkmale 3 bis 5 nahe. Die in Merkmal 6 beschriebene "Eliminierung" begründe eine erfinderi18 sche Tätigkeit nicht. Zum einen entspreche dem das in NK14 beschriebene Abtöten der Mikroorganismen; zum anderen gehöre zum allgemeinen fachmännischen Wissen, dass UV-Bestrahlung Thymindimere in der DNA der Mikroorganismen erzeuge, durch die diese ihre Replikationsfähigkeit verlören. Als Folge dieses Fachwissens und der durch NK14 vermittelten Kenntnisse bestehe für den Fachmann eine hinreichende Erfolgsaussicht, durch den Einsatz von UVDosen von 50 bis 100 mJ/cm² eine Cryptosporidium-Oozysten-Infektion eliminieren zu können. Diesen Weg zu befolgen liege auch nahe, weil der Fachmann im Interesse der Kosteneffizienz darauf bedacht sei, die Strahlenenergie von UV-Dosen möglichst gering zu halten. III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht
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stand. Der Senat vermag nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen (§ 286 ZPO) nicht zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. 56 EPÜ).
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1. Als Ausgangspunkt für die aufgabengemäße Suche nach einer kosteneffektiven Eliminierung des Infektionspotenzials von CryptosporidiumOozysten kam NK14 insoweit in Betracht, als danach bekannt gewesen sein soll, dass Dosen von 50 bis 100 mJ/cm2 diese Parasiten töteten ("It is known, that a dose of 50-100 mW Sec/cm2 kills Cryptosporidium and Giardia microorganisms"). Aus dieser Information ergibt sich indes nach den gesamten Umständen keine hinreichend konkrete Anregung dafür, die Lösung für das Problem der Eliminierung des Infektionspotenzials von Cryptosporidien auf dem vom Streitpatent vorgeschlagenen Wege, insbesondere mit der von ihm (lediglich) beanspruchten Dosierbreite der UV-Strahlung (Merkmal 3) zu suchen.
a) Auf die Dosen von 50 bis 100 mJ/cm2 wird in NK14 nur eher beiläufig
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und unvermittelt hingewiesen und ohne jegliche Bezugnahme auf bestimmte wissenschaftliche Veröffentlichungen oder sonstige Quellenangaben zu den Umständen und Bedingungen, unter denen diese Erkenntnis gewonnen worden sein soll. Der Fachmann hätte aber auch deshalb gezögert, diese Mitteilung zum
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Anlass zu nehmen, die Lösung in dem von Patentanspruch 1 beanspruchten Dosierungsbereich zu suchen, weil die Gabe von 50 bis 100 mJ/cm2 in auffälligem Kontrast zu den von NK14 eigens vorgeschlagenen zu verabreichenden UV-Strahlendosen steht. Beide Ausführungsbeispiele sehen Dosierungen vor, die mehr als zwölfmal so hoch sind, als die zum Abtöten der Organismen vermeintlich hinreichenden 50 bis 100 mJ/cm2. Diese beträchtliche Diskrepanz lässt sich schon deshalb nicht überzeu23 gend allein mit dem Anliegen von NK14 erklären, eine hohe Durchflussrate zu gewährleisten, weil nicht mitgeteilt wird, auf welche Bedingungen sich die Dosis von 50 bis 100 mJ/cm2 bezieht; es fehlt, wie ausgeführt, jede wissenschaftliche Verknüpfung dieser Information, die dem fachkundigen Leser ermöglichen würde , sich über den Stellenwert dieser Angabe ein verlässliches Bild zu machen.
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b) Der in der mündlichen Verhandlung erörterte Gesichtspunkt, eigentlicher Kostenfaktor seien die hochpreisigen eingesetzten Lampen, deren Energieverzehr neben den Anschaffungskosten nicht erheblich ins Gewicht falle und deshalb vernachlässigbar sei, geht aus dem Dokument selbst nicht hervor und ist als Motiv der dortigen Erfinder für die vorgeschlagenen hohen Dosen jedenfalls nicht hinreichend klar erkennbar. Der an einer kostengünstigen Lösung interessierte Fachmann entnimmt NK14 dementsprechend zwar, dass dort geringe Dosen von 50 bis 100 mJ/cm2 Erwähnung finden, die eigentlich vorgeschlagene Lehre jedoch in eine diametral entgegengesetzte Richtung weist. Eine plausible Erklärung für diesen Widerspruch und die in den Ausfüh25 rungsbeispielen von NK14 vorgesehenen hohen Dosierungen ist weniger in den vermeintlich nicht ins Gewicht fallenden Mehrkosten zu sehen, als vielmehr in denselben Sicherheitsbedürfnissen, die aus den aus anderen Dokumenten erkennbaren Zuschlägen auf die zur Abtötung von Mikroorganismen eigentlich als hinreichend bekannten UV-Dosen hervorgehen. Während der Untersuchung von Wolfe aus dem Jahre 1990 ("Ultraviolet disinfection of potable water", Environ. Sci. Technol. 1990, 768 ff., NK13) zufolge die UV-Dosen für eine 90-prozentige Inaktivierung von Bakterien und Viren bei 2 bis 6 mJ/cm² liegen (NK12: 2 bis 8 mJ/cm²), hat das US-Gesundheitsministerium (Department of Health, Education and Welfare) auf der Grundlage der Ergebnisse für Bakterien und Viren für UV- Desinfektionseinheiten eine Mindestdosierung von 16 mJ/cm² bei einer Wassertiefe von rund 7,5 cm empfohlen, wobei die handelsüblichen Bestrahlungssysteme auf eine maximale Dosis von 25 bis 30 mJ/cm² ausgelegt gewesen sein sollen (NK12 S. 769 re. Spalte). Im Merkblatt W 293 des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs von Oktober 1994 (NK5 S. 12 Spalte 2 Abs. 3) wird für Wasseraufbereitungsanlagen in Deutschland mit einer Mindestdosis von 40 mJ/cm² sogar mehr als das Doppelte des vom US-Ministerium empfohlenen Werts empfohlen, wobei sich dies nicht auf die Bekämpfung von Parasiten bezieht , auf deren höhere Widerstandsfähigkeit auch gegenüber UV-Strahlen mit dem Bemerken hingewiesen wird, für deren Entfernung müssten andere Verfahrensschritte ergriffen werden (NK5 S. 12 li. Spalte unten). Vor diesem Hintergrund mag der Fachmann die in NK14 verwendeten
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Dosen als möglicherweise sehr vorsichtig gewählt ansehen und deshalb daran gedacht haben, sie moderat herabzusetzen. Er hätte sich aber nicht in der Weise diametral davon entfernt, dass er die Lösung im Einsatz eines so geringen Bruchteils der von NK14 propagierten Dosierungen gesucht hätte, wie es der vom Streitpatent beanspruchten Spanne entspricht.
c) Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Fachmann die Mitteilung
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über die vermeintlich ausreichende Dosis von 50 bis 100 mJ/cm2 unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Erfolgserwartung (BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - X ZR 98/09, GRUR 2012, 803 Rn. 46 - Calcipotriol-Monohydrat; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. September 2009, Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 - Escitalopram) zum Anlass genommen hätte, die Lösung des sich stellenden technischen Problems in dem Dosierungskorridor von Merkmal 3 zu suchen. Auch unter diesem Gesichtspunkt haben sich keine die Patentfähigkeit
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durchgreifend infrage stellenden Erkenntnisse ergeben. Verfahren zum Nachweis von Parasiten wie Cryptosporidien sind von vornherein aufwändiger, als diejenigen zum Nachweis kultivierbarer Mikroorganismen, und zugleich unter Umständen fehleranfälliger (Gutachten Schoenen NK11 S. 7 ff.). Welche Dosen für die Eliminierung des Infektionspotenzials noch als vertretbar hätte vorgeschlagen werden können, hätte, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, durch breiter angelegte Mausinfektionstestreihen abgesichert werden müssen. Dass dem Fachmann dieser Aufwand hinreichend erfolgsversprechend erschien , ist in Anbetracht des vagen Anhaltspunktes für das Ausreichen einer Dosis von 50 bis 100 mJ/cm2 in NK14 nicht anzunehmen.
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2. Der übrige Stand der Technik bietet - auch in Verbindung mit NK14 - keine hinreichend konkreten Ansätze für die Auffindung der streitpatentgemäßen Lehre. NK12 enthält keine eigenen Erkenntnisse zu den bei Cryptosporidien an30 zuwendenden Dosen, sondern verweist dafür auf die Angaben in NK13. Dort wird für eine knapp 80-prozentige Inaktivierung von Giardia lamblia eine Dosis von bis zu 63 mJ/cm² und für eine 90-prozentige Inaktivierung von Giardia muris eine solche von rund 82 mJ/cm² angegeben. Für Cryptosporidien finden sich NK13 zufolge in der Literatur keine Informationen zur erforderlichen Dosierung ; es wird aber die Einschätzung geäußert, diese müsse in Anbetracht der hohen Chlorresistenz dieser Parasiten höher sein als die für Giardia (S. 769 re. Spalte und S. 771 Tab. 1). IV. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Grün31 den als richtig. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu (Art. 54 EPÜ). 1. In NK12 wird unmittelbar und eindeutig nur der Einsatz von UV32 Strahlen zur Deaktivierung von Bakterien und Viren offenbart, nicht aber von Cryptosporidium. Jedenfalls aber wird nur für den zuerst genannten Verwendungszweck neben der theoretisch erforderlichen auch eine in der Praxis eingesetzte Dosis offenbart. NK13 offenbart jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig eine Patentan33 spruch 1 entsprechende technische Lehre (oben III 2). 2. Näherer Erörterung bedarf danach lediglich die Frage, ob die Neuheit
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zu verneinen ist, weil die Behandlung von Wasser mit UV-Licht in der vom Streitpatent beanspruchten Wellenlänge und Dosierung vorbekannt gewesen ist und das Infektionspotenzial von Cryptosporidien dabei zwangsläufig eliminiert wurde. Auch diese Zusammenhänge vermögen den Bestand des Streitpatents indes aus Rechtsgründen nicht infrage zu stellen.
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a) Eine Verwendung, wie das Streitpatent sie beansprucht, setzt einen zweckgerichteten Einsatz voraus. Ein solcher kann (wohl) auch dann vorliegen, wenn dem Fachmann die Wirkungsmechanismen nicht bekannt sind (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 43 - Memantin). Um eine solche Fallgestaltung geht es vorliegend jedoch nicht. UV-Licht zur Bekämpfung von Mikroorganismen in Wasser einzusetzen, war zwar, wie ausgeführt , bekannt. Dabei handelte es sich naturgemäß aber stets um den zweckgerichteten Einsatz in Dosen, die zur Inaktivierung bestimmter Mikroben wie Bakterien oder Viren als ausreichend erachtet wurden. Die UV-Bekämpfung des Infektionspotenzials von Cryptosporidium-Oozysten in den vom Streitpatent beanspruchten Dosierungen wurde aber vor dem Prioritätstag nicht in Erwägung gezogen, weil sie nicht für erfolgversprechend erachtet wurde. Eine bestimmte Verwendung ist neu, wenn die geschützte Lehre eine
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zusätzliche Verwendungsmöglichkeit aufzeigt, die durch objektive Merkmale von den im Stand der Technik bekannten Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden kann (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - X ZR 53/11, GRUR 2012, 373 - Glasfasern I). Für die Annahme einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme ist dementsprechend insoweit nur Raum, wenn der Fachmann den Gegenstand zweckgerichtet zu dem geschützten Verwendungszweck eingesetzt hat. Daran fehlt es im Streitfall. Dass im Stand der Technik mit einer zur Inaktivierung von Bakterien und Viren eingesetzten Anlage ohne Wissen des Fachmanns auch Cryptosporidien inaktiviert wurden, begründet weder einen zweckgerichteten Einsatz noch eine bekannte Verwendungsmöglichkeit in diesem Sinne. Unerheblich ist für die Patentfähigkeit insoweit, dass der Erfolg,den die neu beanspruchte Verwendung verspricht, beim Einsatz zu den bekannten Zwecken eintreten konnte. Die objektive Eignung eines an sich bekannten Mittels für eine neue Verwendung ist für die Kategorie der Verwendungspatente typisch und steht dem Schutz der neuen Verwendung nicht entgegen (vgl. hierzu Benkard/Bacher, PatG, 11. Aufl., § 1 Rn. 38 f.).

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b) Aus der von den Klägerinnen angeführten Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ergibt sich für den Streitfall nichts Abweichendes. Danach ist Neuheit zwar zu verneinen, wenn sich bei Einsatz eines be38 kannten Mittels zu einem bekannten Zweck lediglich eine bislang unbekannte zusätzliche Wirkung herausstellt (EPA, Beschluss vom 22. Mai 2000, T-706/95 Abs. 2.5). Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich vorliegend aber nicht, weil das bekannte Mittel (UV-Strahlen in der Dosis gemäß Merkmal 3) gerade nicht für einen bekannten Zweck (Bekämpfung des Infektionspotenzials von Cryptosporidien) eingesetzt wurde, sondern nur zur Behandlung von Trinkwasser im Hinblick auf andere schädliche Organismen. Der zweckgerichtete Einsatz zur Deaktivierung von Cryptosporidien war für eine UV-Behandlung mit den in Patentanspruch 1 vorgesehenen Merkmalen im Stand der Technik, wie ausgeführt, gerade nicht bekannt.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Bacher Gröning Grabinski
Schuster Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.05.2014 - 3 Ni 3/13 (EP) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 3


(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung od

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2011 - X ZR 53/11

bei uns veröffentlicht am 20.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 53/11 Verkündet am: 20. Dezember 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08

bei uns veröffentlicht am 09.06.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 68/08 Verkündet am: 9. Juni 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ne

Bundesgerichtshof Urteil, 15. Mai 2012 - X ZR 98/09

bei uns veröffentlicht am 15.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 98/09 Verkündet am: 15. Mai 2012 Wermes, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei

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(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

(2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind:

1.
der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereichten Fassung;
2.
der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung, wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz begehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllt sind;
3.
der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung, wenn für die Anmeldung das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist.
Beruht der ältere Zeitrang einer Anmeldung auf der Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung, so ist Satz 1 nur insoweit anzuwenden, als die danach maßgebliche Fassung nicht über die Fassung der Voranmeldung hinausgeht. Patentanmeldungen nach Satz 1 Nr. 1, für die eine Anordnung nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 4 erlassen worden ist, gelten vom Ablauf des achtzehnten Monats nach ihrer Einreichung an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

(3) Gehören Stoffe oder Stoffgemische zum Stand der Technik, so wird ihre Patentfähigkeit durch die Absätze 1 und 2 nicht ausgeschlossen, sofern sie zur Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung zu einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört.

(4) Ebenso wenig wird die Patentfähigkeit der in Absatz 3 genannten Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren durch die Absätze 1 und 2 ausgeschlossen, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.

(5) Für die Anwendung der Absätze 1 und 2 bleibt eine Offenbarung der Erfindung außer Betracht, wenn sie nicht früher als sechs Monate vor Einreichung der Anmeldung erfolgt ist und unmittelbar oder mittelbar zurückgeht

1.
auf einen offensichtlichen Mißbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers oder
2.
auf die Tatsache, daß der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung auf amtlichen oder amtlich anerkannten Ausstellungen im Sinne des am 22. November 1928 in Paris unterzeichneten Abkommens über internationale Ausstellungen zur Schau gestellt hat.
Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung angibt, daß die Erfindung tatsächlich zur Schau gestellt worden ist und er innerhalb von vier Monaten nach der Einreichung hierüber eine Bescheinigung einreicht. Die in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Ausstellungen werden vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

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(3) Es mag zutreffen, dass man - wie der Privatgutachter der Beklagten Prof. B. ausführt (Gutachten B12 Rn. 9, 11) - weder im Jahr 1993 noch heute die Bildung kristalliner Formen und damit auch die Bildung von Hydraten vorhersehen konnte und kann. Auf die Vorhersehbarkeit bestimmter Er- gebnisse kommt es jedoch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht notwendigerweise an. Maßgeblich ist, ob der Fachmann aus dem Stand der Technik eine Anregung erhalten hat, dort beschriebene Maßnahmen aufzugreifen und sie auf einen bekannten Stoff anzuwenden. Dabei kann die Überlegung Bedeutung gewinnen, ob sich aus diesen Maßnahmen eine angemessenen Erfolgserwartung für die Lösung des sich stellenden technischen Problems ergab (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 - X ZR 50/09, juris, Rn. 27; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 - Escitalopram Rn. 38 ff.; schweiz. Bundesgericht SMI 1995, 358, 369 f. = GRUR Int. 1996, 1059, 1063 - Manzana II; EPA T60/89, ABl. EPA 1992, 268 = GRUR Int. 1992, 771, 775 - Fusionsproteine).
43
d) In Kenntnis des Grundpatents kann die Behandlung - wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat - gezielter erfolgen. Grund dafür ist, dass das Patent eine wissenschaftliche Bestätigung der im Stand der Technik üblichen Behandlung von Alzheimer-Patienten mit Memantin bietet. Der durch das Grundpatent vermittelte Erkenntnisgewinn liegt darin, dass das Patent den biologischen Wirkmechanismus von Memantin, nämlich die Blockade der NMDA-Rezeptorkanäle und damit die Verhinderung von Neuronenschädigungen durch exzessiven Calciumüberschuss aufzeigt und auf diese Weise - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt und aus wissenschaftlicher Sicht als Fortschritt gewürdigt hat - eine wissenschaftliche Grundlage für die bereits Jahre zuvor begonnene Verwendung von Memantin bei der Behandlung von Alzheimerpatienten liefert. Das Patent hat damit nicht nur ein besseres Verständnis des biologischen Wirkmechanismus des verabreichten Wirkstoffs ermöglicht. Es begründet wegen dieses Verständnisses aus ärztlicher Sicht auch eine besser verantwortbare Indikation der Memantingabe, weil das Präparat nicht lediglich mit Blick auf eine beobachtete Verbesserung einer unspezifischen Krankheitssymptomatik gegeben wird, sondern zur Erzielung einer bestimmten neuroprotektiven Wirkung bei Morbus Alzheimer.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 53/11 Verkündet am:
20. Dezember 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Glasfasern
EPÜ Art. 54; PatG § 3
Durch eine Veröffentlichung, in der hinsichtlich einer bestimmten Gruppe von
Produkten die Vermutung geäußert wird, dass diese Krebs verursachen können
, ist die Verwendung eines dieser Produkte für Zwecke, bei denen kein kanzerogenes
Potential vorhanden sein darf, nicht offenbart.
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Besteht hinsichtlich einer bestimmten Gruppe von Produkten die Vermutung,
dass diese Krebs verursachen können, so hat der Fachmann auch dann nicht
ohne weiteres Anlass, aufwendige Versuche zur Ermittlung von eventuellen
Unterschieden hinsichtlich des kanzerogenen Potentials der einzelnen Produkte
anzustellen, wenn in einer Veröffentlichung berichtet wird, dass ein Hersteller
solche Versuche für bestimmte Produkte bereits in Auftrag gegeben hat.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - X ZR 53/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 20. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und Hoffmann sowie die
Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 25. Januar 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 399 320 (Streitpatents), das am 12. Mai 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Anmeldung vom 25. Mai 1989 angemeldet worden ist und die Verwendung von Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, betrifft. Das Streitpatent ist im Einspruchsverfahren in geänderter Fassung aufrechterhalten worden und umfasst in dieser Fassung drei Patentansprüche, von denen die beiden ersten in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt lauten: "1. Verwendung der Glasfasern mit der folgenden in Mol-% angegebenen Glaszusammensetzung : SiO 55-70 vorzugsweise 58-65

2

B O 0-5 vorzugsweise 0-4 2 3 AI O 0-3 vorzugsweise 0-1 2 3 TiO 0-6 vorzugsweise 0-3

2

Eisenoxide 0-2 vorzugsweise 0-1 MgO 1-4 CaO 8-24 vorzugsweise 12-20 NaO 10-20 vorzugsweise 12-18

2

KO 0-5 vorzugsweise 0,2-3

2

Fluorid 0-2 vorzugsweise 0-1 und die einen Durchmesser von < 8 μm besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 μm aufweisen, als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, wobei die Anteile von TiO , BaO, ZnO,

2

SrO, ZrO < 1 Mol-% betragen.

2


2. Verwendung der Glasfasern nach Anspruch 1 und mit einem mittleren Durchmesser von < 2 μm, wobei folgende zusätzliche Bedingungen für die molaren Anteile von AI O , B O , CaO und Na O gelten: 2 3 2 3 2 AI O < 1 Mol-% 2 3 B O < 4 Mol-% 2 3 CaO > 11 Mol-% NaO > 4 Mol-%“

2


Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents
2
gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat mit ihrer am 20. November 2009 erhobenen Klage das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Ferner werde die Erfindung nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt nur noch im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent nur im Umfang des nicht verteidig3 ten Patentanspruchs 3 für nichtig erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents anstrebt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Berufung, für deren Beurteilung die Verfahrensvorschriften des Patentgesetzes in der seit 1. Oktober 2009 geltenden Fassung maßgeblich sind, ist unbegründet.
5
I. Das Streitpatent betrifft - abweichend von den Angaben auf der ersten Seite der Patentschrift ("Glasfasern mit erhöhter biologischer Verträglichkeit" ) - die Verwendung von Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen.
6
1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift war im Stand der Technik bekannt, dass Glasfasern zu Krebserkrankungen führen können. Ausschlaggebend für diese Wirkung ist unter anderem die Verweildauer der Fasern in der Lunge. Diese wiederum hängt von der Größe und der Beständigkeit der Fasern ab. Nach einer wissenschaftlichen Definition, die aufgrund von Erkenntnissen über die krebserzeugende Wirkung von Asbest erstellt worden ist, können solche Wirkungen bei Fasern auftreten, die einen geometrischen Durchmesser von weniger als drei Mikrometer, eine Länge von mehr als fünf Mikrometer und ein Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser von mehr als drei zu eins aufweisen. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1986 wurde ausgeführt , die tumorerzeugende Wirkung bestimmter Fasern könne durch intensive Vorbehandlung mit einer Säure reduziert werden.
7
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, Glasfasern zur Verfügung zu stellen, die kein kanzerogenes Potential zeigen.
8
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 die Verwendung von Glasfasern mit folgenden Merkmalen vor (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben ): 1. Die Glaszusammensetzung umfasst folgende Stoffe [1]:
a) 55 bis 70 (vorzugsweise 58 bis 65) Molprozent Siliziumdioxid (SiO2),
b) 8 bis 24 (vorzugsweise 12 bis 20) Molprozent Calciumoxid (CaO),
c) 10 bis 20 (vorzugsweise 12 bis 18) Molprozent Natriumoxid (Na2O),
d) 0 bis 5 (vorzugsweise 0 bis 4) Molprozent Bortrioxid (B2O3),
e) 0 bis 3 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Aluminiumoxid (AI2O3),
f) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Eisenoxide,
g) 1 bis 4 Molprozent Magnesiumoxid (MgO),
h) 0 bis 5 (vorzugsweise 0,2 bis 3) Molprozent Kaliumoxid (K2O),
i) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Fluorid, 2. Folgende Stoffe sind in der Glaszusammensetzung höchstens mit einem Anteil von weniger als 1 Molprozent enthalten [5]:
a) Titandioxid (TiO2),
b) Bariumoxid (BaO),
c) Zinkoxid (ZnO),
d) Strontiumoxid (SrO),
e) Zirkoniumdioxid (ZrO2).
3. Der Durchmesser beträgt
a) weniger als acht Mikrometer bei allen Glasfasern [2],
b) weniger als drei Mikrometer bei mehr als 10 % der Glasfasern [3].
4. Die Glasfasern werden verwendet als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen [4].
9
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
10
a) Das Streitpatent ist nicht auf Erzeugnisschutz für Glasfasern mit den Merkmalen 1 bis 3 gerichtet, sondern auf den Schutz der Verwendung solcher Glasfasern für den in Merkmal 4 definierten Zweck. Dennoch erfasst das Streitpatent nicht nur den unmittelbaren Einsatz der Fasern für diesen Zweck. Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst ein Patent, das kein Arbeitsverfahren (dazu BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 14/03, GRUR 2005, 845, 847 - Abgasreinigungsvorrichtung), sondern die Verwendung einer Sache zu einem bestimmten Zweck betrifft, bereits solche Handlungen, bei denen die Sache zu der betreffenden Verwendung sinnfällig hergerichtet wird (BGH, Beschluss vom 20. September 1983 - X ZB 4/83, BGHZ 88, 209, 216 f. = GRUR 1983, 729 - Hydropyridin). Die sinnfällige Herrichtung kann nicht nur durch eine besondere Gestaltung der Sache, sondern auch durch eine ihr beim Vertrieb beigegebene Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder in sonstiger Weise geschehen (BGH, Urteil vom 21. November 1989 - X ZR 29/88, GRUR 1990, 505, 506 f. - Geschlitzte Abdeckfolie).
11
b) Das Streitpatent schränkt den Einsatzzweck der Glasfasern nicht auf konkrete Anwendungsbereiche wie beispielsweise die Herstellung von Isoliermaterial ein. Es erfasst vielmehr die Verwendung der Glasfasern für alle Einsatzzwecke , bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll, und damit auch die sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die derartige Fasern enthalten, für solche Zwecke.
12
c) Als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, sind nach dem Inhalt der Streitpatentschrift Glasfasern anzusehen, bei denen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Materials über die menschliche Lunge und dem Entstehen einer Krebserkrankung besteht.
13
(1) Ein signifikanter Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die Glasfasern bei den in der Patentschrift beschriebenen Tierversuchen eine Erkrankungsrate von mehr als rund 10% innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren hervorrufen. Dies ergibt sich aus der Definition in der Beschreibung des Streitpatents. Dort wird ausgeführt, bei intratrachealer Instillation (Einträufeln in die Luftröhre) von Glasfasern gemäß Patentanspruch 2 in Rattenlungen trete nach einer Zeit von zwei Jahren eine Tumorrate von weniger als 10% auf. Solche Glasfasern könnten daher als nicht kanzerogen eingestuft werden (Abs. 18).
14
(2) Die weiteren, mit diesen Angaben zum Teil nicht ohne weiteres in Einklang zu bringenden Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
15
Für Glasfasern gemäß Patentanspruch 1 wird in der Streitpatentschrift eine Tumorrate von weniger als 5 % angegeben (Abs. 13). Hieraus kann nicht gefolgert werden, dass nur Fasern mit dieser Rate als nicht kanzerogen im Sinne des Streitpatents angesehen werden können. Dies hätte nämlich zur Folge, dass - sofern die in der Beschreibung genannten Tumorraten zutreffend sind - Verwendungen gemäß Patentanspruch 2 nicht als zum Gegenstand des Streitpatents gehörend angesehen werden könnten. Aus dem Umstand, dass für solche Verwendungen in Patentanspruch 2 ausdrücklich Schutz beansprucht wird, ist indes zu folgern, dass die dafür angegebene Tumorrate von weniger als 10 % ebenfalls als nicht kanzerogen zu qualifizieren ist.
16
Im Zusammenhang mit der Schilderung der Ausführungsbeispiele wird über Versuche an Ratten berichtet, denen unterschiedliche Mengen der untersuchten Faserproben intraperitoneal (in die Bauchhöhle) injiziert worden sind.
Bei der in Ausführungsbeispiel 2 eingesetzten Faserprobe C traten nach zwei Jahren Tumorraten von 29,2 % und 52,1 % auf (Tabelle in Abs. 37). Im Hinblick darauf werden Fasern dieses Typs in der Streitpatentschrift als stark kanzerogen eingestuft (Abs. 38). Bei den in Ausführungsbeispiel 1 eingesetzten Faserproben A und B, die sich untereinander nur hinsichtlich des Faserdurchmessers unterscheiden, trat hingegen eine Tumorrate von 0 % auf. Hieraus kann aus den bereits genannten Gründen nicht gefolgert werden, dass nur Verwendungen , die zu einer Tumorrate von 0 % führen, als nicht kanzerogen anzusehen sind. Gegen eine Auslegung in diesem engen Sinne spricht auch der von der Klägerin in anderem Zusammenhang angeführte Umstand, dass in der Regel jedes Material ein gewisses, wenn auch unter Umständen sehr geringes kanzerogenes Potential aufweist.
17
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der von der Beklagten verteidigten Patentansprüche 1 und 2 im Wesentlichen wie folgt begründet :
18
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 gehe nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. In diesen sei die Verwendung von Glasfasern mit einem Durchmesser, wie er in Merkmalsgruppe 3 [Merkmale 2 und 3 nach der Gliederung des Patentgerichts] definiert sei, als zur Erfindung gehörend offenbart. Dass sich diese Größenangaben in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung auf den mittleren Durchmesser der Fasern bezögen , führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei ferner die Merkmalsgruppe 2 [Merkmal 5] nicht nur für Fasern mit einem mittleren Durchmesser von weniger als einem Mikrometer, sondern auch für alle anderen von Patentanspruch 1 erfassten Fasern ursprungsoffenbart. Hinreichend offenbart sei auch, unter welchen Voraussetzungen eine Faser als Glasfaser anzusehen sei, die kein kanzerogenes Potential zeige. Die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen in der Beschreibung des Streitpatents führten ebenfalls nicht zu einer unzulässigen Erweiterung.
19
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei patentfähig. In keiner Entgegenhaltung werde die Verwendung einer Glasfaser offenbart, die die Merkmalsgruppe 2 [Merkmal 5] aufweise. Die Verwendung einer solchen Glasfaser für den in Patentanspruch 1 angegebenen Zweck sei durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt worden. In der Entgegenhaltung K3, die den nächstliegenden Stand der Technik beschreibe, seien die Merkmalsgruppen 1 bis 3 [Merkmale 1 bis 3 und 5] nur teilweise verwirklicht. Ferner sei Merkmal 4 [4] nicht offenbart. In K3 werde vielmehr die Vermutung geäußert, dass Fasern bis zu einem maximalen Durchmesser von drei Mikrometer eine kanzerogene Wirksamkeit aufwiesen. Der Fachmann, ein Diplomchemiker mit Erfahrung in der Mineralfaserherstellung, der in Zusammenarbeit mit erfahrenen Toxikologen , Pathologen oder klinischen Medizinern stehe, habe weder aus K3 noch aus K5 Hinweise darauf entnehmen können, dass Fasern mit geringen Anteilen an Titandioxid, Bariumoxid, Zinkoxid, Strontiumoxid und Zirkoniumdioxid schneller abbaubar seien und deshalb kein kanzerogenes Potential zeigten.
20
Die Erfindung sei auch so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Dem stehe nicht entgegen, dass die in der Patentschrift geschilderten Beispiele nicht mehr von Patentanspruch 1 umfasst würden. Der Fachmann sei aufgrund der Angaben in der Patentschrift in der Lage, das kanzerogene Potential der Fasern im Tierversuch zu ermitteln.
21
III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren, die gemäß § 117 Satz 1 PatG und § 519 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich auf der Grundlage der vom Patentgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen zu erfolgen hat, stand.
22
1. Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht.
23
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Festlegung in Merkmal 3 a, wonach der Durchmesser aller Glasfasern weniger als acht Mikrometer beträgt, bereits in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung (K9) als zur Erfindung gehörend offenbart.
24
Dem steht nicht entgegen, dass in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung eine Höchstgrenze von acht und vorzugsweise drei Mikrometern nur für den mittleren Durchmesser der Fasern vorgegeben ist. Der Inhalt der Patentanmeldung bestimmt sich nicht allein nach den darin formulierten Ansprüchen. Maßgeblich ist vielmehr die Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht des Fachmanns aus diesen Unterlagen zu entnehmen ist, dass der geänderte Lösungsvorschlag von dem ursprünglichen Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 28 - Hubgliedertor II).
25
In den ursprünglich eingereichten Unterlagen wird bei der Beschreibung der beiden Ausführungsbeispiele nicht nur der mittlere Durchmesser der untersuchten Fasern angegeben. Vielmehr werden anhand von grafischen Darstellungen (Figuren 1 bis 4) auch die Einzelwerte und deren prozentuale Häufigkeit mitgeteilt (K9 S. 7 Z. 8-11, S. 10 Z. 5-8 und S. 15 Z. 14 f.). Sowohl aus den Einzeldarstellungen in den Figuren 2 bis 4 als auch aus der Zusammenfassung in Figur 1 ist ersichtlich, dass der Faserdurchmesser bei 100% aller Fasern durchweg unter fünf, bei den Faserproben B und C sogar durchweg unter zwei Mikrometer liegt. Daraus ist zu entnehmen, dass auch Glasfasern mit solchen Durchmesserverteilungen zur Erfindung gehören. Dass in dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 großzügigere Anforderungen an den Durchmesser vorgesehen sind und nur auf den mittleren Durchmesser abgestellt wird, führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer anderen Beurteilung.
26
Ob der Gegenstand des Streitpatents auch die Verwendung von Glasfasern mit den Merkmalen 1 bis 3 in Kombination mit Glasfasern größeren Durchmessers umfasst, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Diese Frage ist unabhängig davon zu beantworten, ob der Höchstwert für erfindungsgemäße Fasern anhand des mittleren oder anhand des maximalen Durchmessers bestimmt wird. In den ursprünglich eingereichten Unterlagen wird Schutz für Glasfasern der dort beschriebenen Art unabhängig von einem bestimmten Verwendungszweck beansprucht. Dies umfasst auch die Verwendung von Glasfasern mit einem mittleren Durchmesser von weniger als acht Mikrometer in Kombination mit Glasfasern, die einen größeren mittleren Durchmesser aufweisen. Der Übergang von der Festlegung des mittleren Durchmessers zur Festlegung des größten Durchmessers hat auch insoweit nicht zu einer Erweiterung geführt.
27
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die Festlegung des maximalen anstelle des mittleren Durchmessers auch nicht dazu, dass das Merkmal 3 b, wonach mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von weniger als drei Mikrometer aufweisen müssen, auch bei Glasfasermischungen erfüllt ist, die nicht zum Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung gehören.
28
Hierbei ist unerheblich, dass sich bei einer isolierten Betrachtung von Patentanspruch 1 in der Fassung der ursprünglichen Anmeldung ein engerer Gegenstand ergeben könnte, weil bei der Berechnung des Prozentsatzes unter Umständen auch Glasfasern mit einem Durchmesser von mehr als acht Mikrometern zu berücksichtigen wären, so dass der Prozentsatz bezogen auf die Glasfasern, deren Durchmesser unter diesem Mittelwert liegt, größer ist. Aus der Beschreibung der Ausführungsbeispiele und den dort in Bezug genommenen Figuren 2 bis 4 der ursprünglich eingereichten Unterlagen ist ersichtlich, dass sich die dort enthaltenen Prozentangaben durchweg auf Faserproben beziehen , bei denen der größte Durchmesser unterhalb von acht Mikrometern liegt. Damit sind auch solche Glasfasermischungen als zur Erfindung gehörend offenbart, bei denen Fasern mit einem Durchmesser von mehr als acht Mikrometer bei der Berechnung des in Merkmal 3 b festgelegten Prozentsatzes nicht berücksichtigt werden. Dass in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung insoweit möglicherweise engere Grenzen definiert wurden, führt nicht dazu , dass auch der Gegenstand der Anmeldung entsprechend beschränkt worden ist.
29
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind auch Glasfasern, die das Merkmal 2 und einen mittleren Durchmesser von einem Mikrometer und mehr aufweisen, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
30
Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, weist die in Ausführungsbeispiel 1 beschriebene Faserprobe A die in Merkmal 2 vorgesehenen Höchstwerte für die dort genannten Stoffe und einen mittleren Faserdurchmesser von mehr als einem Mikrometer auf. Weder aus den in der Anmeldung formulierten Patentansprüchen noch aus dem sonstigen Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen kann entnommen werden, dass Glasfasern, die das Merkmal 2 aufweisen, nur dann zum Gegenstand der Anmeldung gehören sollen , wenn sie zugleich einen mittleren Faserdurchmesser von weniger als einem Mikrometer haben. Aus dem Umstand, dass Patentanspruch 3 in der Fassung der Anmeldung diese beiden Merkmale in Kombination vorsieht, kann nicht gefolgert werden, dass der Gegenstand der Anmeldung entsprechend beschränkt und damit kein Schutz für die als Ausführungsbeispiel beschriebene Faserprobe A beansprucht werden sollte. Entsprechendes gilt für die Ausführungen in der Beschreibung der Anmeldung, wonach die Zusammensetzung nach Patentanspruch 3 zu besonders günstigen Werten bei der Halbwertszeit und der Tumorrate nach zwei Jahren führt (K9 S. 6 Z. 11-14). Aus dem Zusammenhang dieser Ausführungen (K9 S. 5 Z. 16 ff.) wird deutlich, dass auch Zu- sammensetzungen, die zu höheren Halbwertszeiten und Tumorraten führen, als erfindungsgemäß beansprucht wurden. Hierzu gehört auch die Faserprobe A.
31
Dass das diese Faserprobe betreffende Ausführungsbeispiel 1 in der Fassung , die die Streitpatentschrift im Einspruchsverfahren erhalten hat, als nicht erfindungsgemäß bezeichnet wird (S. 3 Z. 27), führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Bezeichnung als nicht erfindungsgemäß ist zutreffend, weil bei den in Ausführungsbeispiel 1 beschriebenen Glasfasern der Anteil an Magnesiumoxid bei 4,7 Molprozent und damit oberhalb der in Merkmal 1 g definierten Höchstgrenze von 4 Molprozent liegt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Zusammensetzung darüber hinaus aus weiteren Gründen als nicht zur Erfindung gehörend gelten soll, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
32
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin geht der Gegenstand des Streitpatents nicht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus , weil die Angaben zu Halbwertszeit (42 Tage) und Tumorrate (weniger als 5 %), die in der Anmeldung zu Glasfasern nach dem dort formulierten Patentanspruch 3 gemacht wurden (K9 S. 6 Z. 11-14), in der Beschreibung des Streitpatents nach dem Einspruchsverfahren auf Glasfasern nach Patentanspruch 1 bezogen sind (Abs. 11).
33
Diese Änderung hat zwar zu einer inhaltlichen Abweichung geführt, weil Patentanspruch 3 in der Fassung der Anmeldung zusätzlich zu den Merkmalen von Patentanspruch 1 in der Fassung nach dem Einspruchsverfahren einen mittleren Durchmesser von weniger als einem Mikrometer vorsieht. Diese Abweichung hat jedoch keinen Einfluss auf den Gegenstand des Streitpatents.
34
Eine Passage in der Beschreibung oder eine Zeichnung, die nicht Inhalt der ursprünglichen Unterlagen gewesen ist, kann nur dann den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung begründen, wenn deren Berücksichtigung bei der Auslegung des Patentanspruchs des erteilten Patents zu einem veränderten Verständnis der darin verwendeten Begriffe oder des geschützten Gegenstands führt (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 50 - Hubgliedertor II).
35
Die hier in Rede stehenden Angaben zu Halbwertszeit und Tumorrate haben, wie bereits oben dargelegt wurde, keinen Niederschlag in den Patentansprüchen gefunden. Als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential im Sinne von Merkmal 4 sind vielmehr schon solche Fasern anzusehen, bei denen die im Tierversuch ermittelte Tumorrate weniger als 10 % beträgt. Ob dieser Wert durch die Verwendung von Glasfasern, die die Merkmale von Patentanspruch 1, nicht aber die zusätzlichen Merkmale von Patentanspruch 2 aufweisen , auf unter 5 % reduziert werden kann, ist für die Auslegung der Patentansprüche mithin unerheblich.
36
Vor diesem Hintergrund ist auch unerheblich, dass nach der jetzigen Fassung des Streitpatents für Glasfasern nach dem auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentanspruch 2 eine höhere Halbwertszeit (115 Tage) und eine höhere Tumorrate (weniger als 10%) angegeben werden (Abs. 18) als für Glasfasern nach dem Hauptanspruch. Diese Ausführungen bestätigen lediglich, dass die Einhaltung einer Tumorrate von unter 5 % für die Verwirklichung der Merkmale von Patentanspruch 1 nicht zwingend erforderlich ist.
37
2. Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
38
a) Der Umstand, dass in der Fassung, die die Streitpatentschrift im Einspruchsverfahren erhalten hat, kein Ausführungsbeispiel geschildert wird, bei dem alle Merkmale von Patentanspruch 1 verwirklicht sind, macht es dem Fachmann - als den das Patentgericht zutreffend und von der Berufung unbeanstandet einen Diplomchemiker mit Erfahrung in der Mineralfaserherstellung angesehen hat, der in Zusammenarbeit mit erfahrenen Toxikologen, Pathologen oder klinischen Medizinern steht - nicht unmöglich, an Glasfasern zu gelangen , die erfindungsgemäß verwendet werden können.
39
Bei einem Vergleich der in den Merkmalen 1 und 2 definierten Anforderungen an die Glaszusammensetzung und den bei Ausführungsbeispiel 1 aufgeführten Werten ergibt sich für den Fachmann, dass lediglich der Anteil von Magnesiumoxid mit 4,70 Molprozent (in der Streitpatentschrift mit 3,2 Gewichtsprozent angegeben) geringfügig außerhalb des in Merkmal 1 g definierten Bereichs von 1 bis 4 Molprozent liegt. Ausgehend von dieser Erkenntnis kann der Fachmann den Anteil an Magnesium geringfügig verringern und so Glasfasern erhalten, die alle Merkmale der Merkmalsgruppen 1 bis 3 aufweisen.
40
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es für eine deutliche und vollständige Offenbarung keiner zusätzlichen Angaben dazu, wie die in der Streitpatentschrift als maßgeblich definierte Tumorrate von weniger als 10 % zu erreichen ist.
41
Selbst wenn sich diese Rate bei der Verwirklichung der Merkmale 1 bis 3 nicht ohne weiteres einstellt, kann der Fachmann durch Nacharbeiten des Ausführungsbeispiels 1 zu geeigneten Glasfasern gelangen. Dass er hierzu möglicherweise ergänzend auf sein Fachwissen zurückgreifen muss, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916 Rn. 17- Klammernahtgerät).
42
Ebenfalls unerheblich ist die von der Berufung behandelte Frage, ob der Fachmann der Beschreibung des Streitpatents entnehmen kann, dass Glasfasern , die das Merkmal 2 nicht aufweisen, eine hohe Tumorrate aufweisen. Die Ausführbarkeit der im Streitpatent beanspruchten Erfindung hängt nicht davon ab, ob es auch noch andere Glaszusammensetzungen gibt, die zur Herstellung von Glasfasern für den hier in Rede stehenden Verwendungszweck geeignet sind. Zur Offenbarung der Erfindung reicht es aus, wenn die in Patentanspruch 1 beschriebenen Glasfasern diese Eignung aufweisen.
43
3. Zu Recht hat das Patentgericht den Gegenstand des Streitpatents als patentfähig angesehen.
44
a) Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, ist der Gegenstand des Streitpatents neu.
45
(1) In der Produktinformation "Bayer - Microglasfasern für den technischen Einsatz", die am Prioritätstag in zwei inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmenden Fassungen mit Stand vom Juli 1987 (K3) und vom Februar 1989 (K5) öffentlich zugänglich war, werden Glasfasern aus verschiedenen Glaszusammensetzungen und mit unterschiedlichen Durchmessern beschrieben. Für Glasfasern des Typs ATF 3101 wird dabei folgende Zusammensetzung angegeben (K3 und K5, jeweils vorletzte Seite): Bestandteil Anteil in Anteil in Gewichtprozent Molprozent SiO2 61,0 59,78-60,26 Al2O3 - - B2O3 3,3 2,79-2,81 TiO2 - - FeO+Fe2O3 <0,5 0-0,18 ZnO - - MgO 3,2 4,67-4,71 CaO 16,5 17,33-17,46 BaO - - Na2O 15,4 14,63-14,75 K2O <1,0 0-0,62 F2 - - Sonstige - -
46
Dies entspricht der Zusammensetzung der Glasfasern, die in Ausführungsbeispiel 1 des Streitpatents beschrieben werden.
47
Für Standardprodukte, zu denen auch der Typ ATF 3101 gehört, werden in K3 und K5 mehrere Spezifikationen angeboten, die sich unter anderem hinsichtlich des mittleren Durchmessers unterscheiden. Der mittlere Durchmesser der als lieferbar aufgeführten Spezifikationen liegt im Bereich zwischen 0,5 und 2,0 Mikrometer (K3 S. 2 f., K5 S. 2).
48
(2) Damit sind die Merkmalsgruppen 1 und 3 - mit Ausnahme des Merkmals 1 g - und auch die zusätzlichen Merkmale von Patentanspruch 2 offenbart. Lediglich der Anteil an Magnesiumoxid liegt - ebenso wie bei Ausführungsbeispiel 1 des Streitpatents - mit rund 4,7 Molprozent außerhalb des in Patentanspruch 1 definierten Bereichs.
49
(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch Merkmalsgruppe 2 offenbart.
50
Die in den Merkmalen 2 a, 2 b und 2 c aufgeführten Stoffe (Titandioxid, Bariumoxid und Zinkoxid) werden in der Liste der Bestandteile aufgeführt; in der Rubrik für den Anteil ist jeweils ein Strich eingetragen. Daraus ist zu folgern, dass diese Stoffe allenfalls in nicht messbaren Mengen in den Glasfasern enthalten sind.
51
Entgegen der Auffassung der Beklagten können die Angaben nicht dahin verstanden werden, dass hinsichtlich dieser Stoffe keine Messungen erfolgt sind. Dagegen spricht schon, dass für jeden dieser Stoffe bei zumindest einem anderen Glasfasertyp Mengenangaben aufgeführt werden, dort also Messungen durchgeführt worden sind. Hinweise darauf, dass solche Messungen beim Typ ATF 3101 unterblieben sind, lassen sich K3 und K5 nicht entnehmen.
52
Unabhängig davon ergibt sich aus den angegebenen Anteilen (ohne die nur als Obergrenze angegebenen Werte für Eisenoxide und Kaliumoxid) bereits eine Summe von 99,4 Gewichtprozent bzw. 99,2 Molprozent. Selbst wenn keine Messungen stattgefunden hätten, würde der Anteil aller anderen in Betracht kommenden Inhaltsstoffe mithin unter der in Merkmalsgruppe 2 definierten Grenze von einem Molprozent liegen. Angesichts dessen ist der Aufstellung in K3 und K5 auch zu entnehmen, dass Glasfasern des Typs ATF 3101 auch die in den Merkmalen 2 d und 2 e aufgeführten Stoffe (Strontiumoxid und Zirkoniumdioxid ) allenfalls in Anteilen von weniger als einem Molprozent enthalten.
53
(4) Nicht offenbart ist das Merkmal 4.
54
In K3 und K5 wird ausgeführt, Fasern mit einem maximalen Durchmesser von drei Mikrometer und einer Länge von 5 bis 200 Mikrometer gälten als lungengängig. Aufgrund ihrer ausgeprägten Faserfeinheit seien Microglasfasern in die Gruppe III.B der MAK-Liste eingestuft. Dies bedeute, dass eine kanzerogene Wirksamkeit vermutet werde. Um hier vollständige Klarheit zu bekommen, seien bereits 1986 zwei unabhängige Institute mit entsprechenden Untersuchungen beauftragt worden. Als voraussichtliches Abschlussdatum dieser Untersuchungen wird in K3 (S. 4) "nicht vor 1988" und in K5 (S. 3) "in 1989" angekündigt.
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Damit ist die Verwendung der Glasfasern für Einsatzzwecke, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll, in K3 und K5 nicht offenbart. Dass Glasfasern des Typs ATF 3101 nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift objektiv kein kanzerogenes Potential aufweisen und deshalb für diese Zwecke geeignet sind, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Zwar ist die Verwendung eines Stoffes für einen bestimmten Zweck auch dann offenbart, wenn nicht bekannt ist, welche naturwissenschaftlichen Zusammenhänge für die Erzielung der angestrebten Wirkung maßgeblich sind (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 43 f. - Memantin). In K3 und K5 fehlt es aber nicht nur an der Angabe, dass gerade die in Patentanspruch 1 definierten Merkmale dazu führen, dass die Glasfasern kein kanzerogenes Potential zeigen. Dem in K3 und K5 enthaltenen, auch auf Glasfasern vom Typ ATF 3101 bezogenen Hinweis, eine kanzerogene Wirksamkeit werde vermutet, ist vielmehr zu entnehmen, dass diese Fasern als nicht zur Verwendung als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential geeignet angesehen wurden. Das Streitpatent offenbart demgegenüber eine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit, die durch objektive Merkmale von den im Stand der Technik bekannten Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden kann. Das Streitpatent ermöglicht es, Glasfasern für Verwendungszwecke einzusetzen, bei denen aufgrund rechtlicher oder sonstiger Vorgaben die Gefahr einer durch die Fasern verursachten Krebserkrankung ausgeschlossen sein muss. Die Verwendung von Glasfasern in einem solchen Umfeld dient objektiv einem anderen Zweck als die Verwendung von Glasfasern, bei der die Möglichkeit einer Verursachung von Krebserkrankungen in Kauf genommen wird. Diese neue Verwendung ist in K3 und K5 nicht offenbart.
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b) Zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
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(1) Die geschützte Verwendung ist dem Fachmann durch die Ausführungen in K3 und K5 nicht nahegelegt.
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Aus diesen Entgegenhaltungen ergibt sich allerdings, dass es am Prioritätstag über das kanzerogene Potential der dort beschriebenen Glasfasern keine abschließenden Erkenntnisse, sondern lediglich Vermutungen gab und dass entsprechende Untersuchungen bereits in Auftrag gegeben waren. Der Fachmann , der diesen Hinweis zum Anlass genommen hätte, seinerseits entsprechende Untersuchungen aufzunehmen, wäre, wie die Ausführungen in der Streitpatentschrift belegen, zu dem Ergebnis gekommen, dass Glasfasern vom Typ ATF 3101 kein kanzerogenes Potential im Sinne des Streitpatents aufweisen. Damit wäre er zum Gegenstand des Streitpatents gelangt. Geringfügige Variationen in der Zusammensetzung, wie sie Patentanspruch 1 zulässt, und die geringfügige Verringerung der Obergrenze für Magnesiumoxid in Merkmal 1 g wären in diesem Zusammenhang auch nach den Ausführungen im Streitpatent ohne ausschlaggebende Bedeutung. Unerheblich wäre auch, ob der Fachmann auf diesem Weg die Erkenntnis gewonnen hätte, auf welchen naturwissenschaftlichen Zusammenhängen es beruht, dass gerade Glasfasern des Typs ATF 3101 kein kanzerogenes Potential haben, und ob dies tatsächlich auf der Einhaltung der in Merkmalsgruppe 2 definierten Obergrenzen für bestimmte Inhaltsstoffe beruht. Wie bereits dargelegt ist die Verwendung einer Sache für einen bestimmten Zweck auch dann offenbart, wenn nicht bekannt ist, aus welchem Grund die offenbarte Verwendung zu der angestrebten Wirkung führt.
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Der Fachmann hatte am Prioritätstag aber keinen Anlass, Versuche zur Ermittlung des kanzerogenen Potentials der in K3 und K5 aufgeführten Glasfasern durchzuführen. Die Ausführungen in K3 und K5, wonach solche Versuche bereits in Auftrag gegeben waren, belegen zwar, dass eine derartige Vorgehensweise möglich war. Weder daraus noch aus sonstigen Umständen ergaben sich für den Fachmann aber hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auf diesem - mit relativ hohem Aufwand verbundenen - Weg Glasfasern zu finden waren, die zu der in Merkmal 4 beschriebenen Verwendung geeignet sind. Nach den auch in K3 und K5 wiedergegebenen Erkenntnissen am Prioritätstag mag zwar einiges dafür gesprochen haben, dass die Verweildauer in der Lunge auch von der Abbaubarkeit und damit von der chemischen Zusammensetzung des Ausgangsmaterials abhängt. Daraus ergab sich aber keine hinreichende Aussicht darauf, dass die in K3 und K5 aufgeführten Glasfasern insoweit zu unterschiedlichen Versuchsergebnissen führen würden, die eine gezielte Auswahl von geeigneten Ausgangsmaterialien ermöglichten. Der Entschluss, diesen Weg zu beschreiten, war damit nicht in einer Weise vorgezeichnet, dass der Fachmann Anlass hatte, ihn zur Lösung des dem Streitpatent zu Grunde liegenden Problems zu beschreiten. Dass andere ihn - mit unbekanntem Ausgang - bereits beschritten hatten, führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
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(2) Aus den weiteren Entgegenhaltungen ergeben sich keine zusätzlichen Anhaltspunkte, die es dem Fachmann hätten nahelegen können, Versuche mit Glasfasern vom Typ ATF 3101 und mit anderen Glasfasern, die höhere Anteile der in Merkmal 2 aufgeführten Komponenten enthalten, durchzuführen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.01.2011 - 3 Ni 26/09 (EU) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.