vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 16/10, 13.04.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 99/11 Verkündet am:
28. August 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Fahrzeugwechselstromgenerator
a) Die Vorlage eines Privatgutachtens in zweiter Instanz stellt nicht notwendigerweise
neues Vorbringen dar. Der auf das Gutachten gestützte Parteivortrag ist nicht neu,
wenn durch die Ausführungen des Gutachters Vorbringen aus der ersten Instanz
zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.
b) Berufungsvorbringen im Patentnichtigkeitsverfahren, das auf eine bereits in erster
Instanz vorgelegte Druckschrift gestützt wird, ist neu, wenn zu der konkreten technischen
Information und den Anregungen zu der erfindungsgemäßen Lehre, die der
Fachmann nach dem Berufungsvortrag der Schrift entnehmen soll, vor dem Patentgericht
nicht vorgetragen worden ist.
c) Der Nichtigkeitskläger ist grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit
des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen, insbesondere
mit einer Vielzahl unterschiedlicher Argumentationslinien zu begründen, warum
der Gegenstand der Erfindung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder
nahegelegt sei.
BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 28. August 2012 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die
Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. April 2011 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Die Klage wird abgewiesen, soweit das europäische Patent 1 223 660 im Umfang des Patentanspruchs 2 und der Patentansprüche 3 bis 6, soweit auf Patentanspruch 2 rückbezogen, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt worden ist. Die Kosten des ersten Rechtzuges werden gegeneinander aufgehoben , die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 1 223 660 (Streitpatents ), das - unter Inanspruchnahme der Priorität einer japanischen Patentanmeldung vom 26. Dezember 2000 - am 18. September 2001 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst 10 Patentansprüche, von denen Patentansprüche 1 bis 6 Fahrzeugwechselstromgeneratoren und Patentansprüche 7 bis 10 Ver- fahren zur Herstellung eines Stators für einen Fahrzeugwechselstromgenerator betreffen. Patentanspruch 2 hat in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "An automotive alternator comprising: a rotor (7) fixed to a shaft (6) rotatably supported by a case (3); a cooling fan (5) disposed on at least one axial end portion of said rotor (7); a stator (8A) provided with: a cylindrical stator core (15) in which slots (14) extending axially are formed at a ratio of two per phase per pole so as to line up circumferentially , said stator core (15) being supported by said case (3) so as to envelop said rotor (7); and a stator winding (16A) composed of first and second three-phase alternating -current windings (160A, 160B) installed in said stator core (15); and a rectifier (12) for rectifying an alternating-current output from said stator winding (16A), wherein said slots (14) are arranged in order of an a-phase slot (14a), a d-phase slot (14d), a b-phase slot (14b), an e-phase slot (14e), a cphase slot (14c), and an f-phase slot (14f) repeatedly in a circumferential direction; said stator winding (16A) is provided with a-phase, b-phase, c-phase, d-phase, e-phase and f-phase winding phase portions (40a, 40b, 40c, 40d, 40e, 40f) in each of which a conductor wire (32) coated with electrical insulation is installed in a wave shape in a slot group constituted by slots (14) of like phase so as to extend outwards in an axial direction relative to said stator core (15) from any given slot (14), extend circumferentially, and enter a subsequent slot (14) of like phase; said first three-phase alternating-current winding (160A) is constructed by forming said a-phase winding phase portion (40a), said bphase winding phase portion (40b), and said c-phase winding phase portion (40c) into an alternating current connection; said second three-phase alternating-current winding (160B) is constructed by forming said d-phase winding phase portion (40d), said ephase winding phase portion (40e), and said f-phase winding phase portion (40f) into an alternating-current connection; said a-phase, b-phase, c-phase, d-phase, e-phase, and f-phase winding phase portions (40a, 40b, 40c, 40d, 40e, 40f) are installed said stator core (15) so as to line up in six layers radially; and a first of said winding phase portions (40a, 40b, 40c) constituting said first-three-phase alternating-current winding (160A) constitutes one of three radially-inner layers and a second of said winding phase portions (40a, 40b, 40c) constituting said first three-phase alternatingcurrent winding (160A) constitutes one of three radially-outer layers."
2
Die Patentansprüche 3 bis 6 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 2 rückbezogen.
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 3, 5 und 6, soweit diese nicht unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 4 rückbezogen sind, sowie der Patentansprüche 7 und 8 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig sei.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt.
5
Dagegen wendet sich die Beklagte, soweit das Patentgericht das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 2 und der auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 6 für nichtig erklärt hat. Sie erstrebt insoweit weiterhin die Klageabweisung und verteidigt den Gegenstand dieser Ansprüche außerdem mit 7 Hilfsanträgen.

Entscheidungsgründe:

6
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
7
I. Das Streitpatent betrifft, soweit es im Berufungsverfahren noch in Streit steht, einen Wechselstromgenerator für Fahrzeuge.
8
1. In der Streitpatentschrift wird erläutert, dass ein Fahrzeugwechselstromgenerator im Allgemeinen einen Stator umfasse, welcher aus einer Wicklung um einen zylindrischen Kern bestehe. In dem Statorkern erstreckten sich axiale Nuten in in Umfangsrichtung gleichmäßigen Winkelabständen. Der Generator umfasse außerdem einen Rotor mit einer Feldwicklung an der inneren Umfangsseite des Stators. Die Nuten seien im Statorkern in einem Verhältnis von eins pro Phase pro Pol proportional zur Anzahl der Phasen der Statorwicklung und der Anzahl der Magnetpole im Rotor angeordnet (Rn. 3).
9
Wenn die Nuten in einem Verhältnis von eins pro Phase pro Pol in der genannten Art und Weise angeordnet seien, überlappe - so wird in der Beschreibung kritisch angemerkt - ein zwischen den Nuten angeordneter Zahn des Statorkerns ein angrenzendes Paar von Magnetpolen in radialer Richtung für einen relativ langen Zeitraum, was zu einer erhöhten magnetischen Flussleckrate führe. Dies habe wiederum Schwankungen der erzeugten Spannung und Störungen der Wellenform der Leistungsabgabe zur Folge, wodurch bei der Umwandlung von Wechsel- in Gleichstrom Störgeräusche entstünden (vgl. Rn.

4).

10
In der japanischen Offenlegungsschrift Hei 4-26345 (entspricht sachlich der US-Patentschrift 5 122 705, Anlage K 6) werde vorgeschlagen, die magnetische Flussleckrate durch die Anordnung der Nuten in einem Verhältnis von zwei pro Phase pro Pol zu reduzieren, um auf diese Weise die Überlappungsdauer zu verkürzen (Rn. 5). Ein in dieser Schrift beschriebener Rotor mit zwölf Magnetpolen sei von 72 Nuten in einem Statorkern mit jeweils einem elektri- schen Winkelabstand von 30° umgeben, die zwei Dreiphasenwechselstromwicklungen aufnähmen. Entsprechend der radialen Position der Wicklungsköpfe variiere auch die Wärmeverteilung, wenn der von einem Kühlgebläse erzeugte Luftstrom von einer inneren zu einer äußeren Umfangsseite des Statorkerns ströme. Die Wärme könne daher von den Wicklungsköpfen nicht effektiv abgeleitet werden, was stark ansteigende Statortemperaturen und einen Leistungsabfall zur Folge habe (Rn. 13).
11
Diesem Problem sei im Stand der Technik durch die Verwendung kurzer U-förmiger Drahtsegmente für die Statorwicklung begegnet worden. Diese könnten so angeordnet werden, dass sie in Umfangsrichtung und radial voneinander getrennt seien, so dass ein Kurzschluss zwischen den Wicklungsköpfen mit geringerer Wahrscheinlichkeit auftrete und die Wärmeabgabe erhöht werde. Nachteilig sei jedoch der hohe Aufwand durch das Einsetzen einer Vielzahl solcher Drahtsegmente (Rn. 14).
12
Hieraus und aus den Angaben der Beschreibung zur Aufgabe (Rn. 15) ergibt sich, dass der Erfindung das Problem zugrunde liegt, mit möglichst geringem Aufwand einen leistungsfähigen Fahrzeugwechselstromgenerator bereitzustellen.
13
2. Der Fahrzeugwechselstromgenerator nach Patentanspruch 2 lässt sich wie folgt in Merkmale gliedern (in eckigen Klammern und Fettdruck die Gliederungspunkte des Patentgerichts): 1 einen auf einer Welle (6) in einem Gehäuse (3) drehbar gelagerten Rotor (7) [2.1]; 2 ein Kühlgebläse (5), das zumindest an einem axialen Endabschnitt des Rotors (7) angeordnet ist [2.2]; 3 einen Stator (8A) [2.3] mit 3.1 einem in dem Gehäuse (3) gelagerten und den Rotor (7) umgebenden zylindrischen Statorkern (15) [aus 2.3.1], 3.2 einer im Statorkern (15) untergebrachten Statorwicklung (16A) [aus 2.3.2]; 4 einen Gleichrichter (12) zum Gleichrichten des von der Statorwicklung (16A) erzeugten Wechselstroms [2.4]; 5 im Statorkern sind sich axial erstreckende in Umfangsrichtung aufeinanderfolgende Nuten (14) ausgebildet [aus 2.3.1], 5.1 in einem Verhältnis von zwei pro Phase pro Pol [aus 2.3.1], 5.2 die in Umfangsrichtung sich wiederholend als den Phasen A, D, B, E, C und F zugeordnete Nuten (14a, 14d, 14b, 14e, 14c, 14f) angeordnet sind [2.5]; 6 die Statorwicklung (16A) 6.1 weist A-, B-, C-, D-, E- und F-Phasen-Wicklungsabschnitte (Stränge 40a, 40b, 40c, 40d, 40e, 40f) auf [2.6], 6.1.1 in denen jeweils ein mit einer elektrischer Isolierung beschichteter Wicklungsdraht (32) in Wellenform eine der gleichen Phase zugeordnete Gruppe von Nuten (14) durchläuft, sich von jeder Nut (14) in zum Statorkern (15) axialer Richtung nach außen erstreckt, in Umfangsrichtung verläuft und in eine darauf folgende, der gleichen Phase zugeordnete Nut (14) eintritt [2.7] und 6.1.2 die so im Statorkern (15) angeordnet sind, dass sie in radialer Richtung in sechs Lagen aufeinanderfolgen ("so as to line up in six layers radially") [2.10]; 6.2 besteht aus einer ersten und einer zweiten Dreiphasenwechselstromwicklung (160A, 160B) [aus 2.3.2], von denen 6.2.1 die erste Dreiphasenwechselstromwicklung (160A) aus den Strängen (40a, 40b, 40c) der Phasen A, B und C besteht [2.8], von denen 6.2.1.1 einer eine von drei radial inneren Lagen und 6.2.1.2 ein anderer eine der drei radial äußeren Lagen bildet [2.11], und 6.2.2 die zweite Dreiphasenwechselstromwicklung (160B) aus den Strängen (40d, 40e, 40f) der Phasen D, E und F besteht [2.9].
14
3. Wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, entnimmt der Fachmann, bei dem es sich um einen Ingenieur der Elektrotechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Fahrzeuggeneratoren handelt, Patentanspruch 1 eine "entmischte", den Merkmalen 6.1.2, 6.2.1.1 und 6.2.1.2 des Patentanspruchs 2 hingegen eine vermischte Einbaureihenfolge, bei der zumindest ein Strang der ersten Dreiphasenwechselstromwicklung erst zusammen mit der zweiten Dreiphasenwechselstromwicklung eingelegt wird. Aufgrund dieser Einbaureihenfolge bildet zumindest ein Strang der ersten Dreiphasenwechselstromwicklung eine von drei radial inneren Lagen und zumindest ein anderer Strang der ersten Dreiphasenwechselstromwicklung eine der drei radial äußeren Lagen.
15
Dabei schließt Patentanspruch 2 nicht aus, dass die A-, B-, C-, D-, Eund F-Phasen-Wicklungsabschnitte jeweils durch einen unterteilten Wicklungsabschnitt (Halbstrang) gebildet werden, so wie dies auch in der Beschreibung erwähnt (Rn. 21) und in Figur 11 der Streitpatentschrift beispielhaft gezeigt wird. Allerdings sehen die Merkmale 6.2.1 und 6.2.2 vor, dass die erste Dreiphasenwechselstromwicklung aus den Strängen der Phasen A, B und C und die zweite Dreiphasenwechselstromwicklung aus den Strängen der Phasen D, E und F besteht, die dann nach den Merkmalen 6.2.1.1 und 6.2.1.2 in einer bestimmten (vermischten) Anordnung die radial inneren und die radial äußeren Lagen bilden sollen. Dem entnimmt der Fachmann für den Fall, dass die PhasenWicklungsabschnitte jeweils durch einen unterteilten Wicklungsabschnitt gebildet werden, dass die Halbstränge hintereinander eingelegt bzw. angeordnet werden und zusammen den Strang der jeweiligen Phase bilden, so wie dies auch bei dem in Zeichnung 11 des Streitpatents gezeigten Ausführungsbeispiel der Fall ist. Denn nur dann kann bei vorausgesetzten drei radial inneren bzw. äußeren Lagen jeweils mindestens eine (vollständig) aus einem (gegebenenfalls aus zwei geteilten Wicklungsabschnitten bestehenden) Strang ein- und derselben Phase gebildet werden.
16
II. Das Patentgericht hat angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
17
Zur Begründung hat es ausgeführt, die US-Patentschrift 5 122 705 (K 6) beschreibe einen Fahrzeugwechselstromgenerator mit den Merkmalen 1 bis 6.1.1 sowie 6.2 und 6.2.1. Die Statorwicklung (Merkmalsgruppe 6) bestehe aus einer ersten Dreiphasenwechselstrom-Wellenwicklung aus den Strängen X, Y und Z (Merkmal 6.2.1) und einer zweiten Wellenwicklung aus den Strängen U, V und W (Merkmal 6.2.2), wobei die die Stränge aufnehmenden Nuten 21 des Statorkerns in einer Reihe von einer A-Phasennut 1 (für Wicklung X), einer DPhasennut 2 (U), einer B-Phasennut 3 (Z), einer E-Phasennut 4 (W), einer CPhasennut 5 (Y) und einer F-Phasennut 6 (V) in Umfangsrichtung wiederholt angeordnet seien. Die Einlegereihenfolge der einzelnen Stränge sei nicht erwähnt. Die Figur 20b zeige in Zusammenhang mit dem vierten Ausführungsbeispiel eine Konfiguration, in der eine entmischte Einlegereihenfolge bzw. Schichtabfolge W, V, U, Z, Y, X erkennbar sei.
18
Die US-Patentschrift 5 994 802 (K 8) zeige einen Fahrzeugwechselstromgenerator mit zwei oder drei Mehrphasenwechselstromwicklungen. Die Zuordnung der Figuren zu den Ausführungsbeispielen sei lückenhaft und nicht konsequent. Aus Sicht des Fachmanns lasse sich aber entnehmen, dass sich die zweite Ausführungsform mit Figuren 15 und 20 auf unverkürzte ("full pitch") Wicklungen mit einer Länge von π = 180° beziehe. Die Figuren 15 und 20, die nachfolgend wiedergegeben werden, zeigten schematisiert, aber mit einer realistischen Darstellung der Nutformen die Anordnungen der Stränge in den Nuten, aus der der Fachmann eindeutig die Einlegereihenfolge entnehme. Die Stränge nach Figur 15 seien entmischt eingelegt worden, erst die Stränge x1, y1 und z1, dann die Stränge x2, y2 und z2. In der Ausführungsform nach Figur 20 seien die Stränge hingegen vermischt in der Reihenfolge x1, x2a, x2b, y, y2a, y2b, usw. eingelegt, also in einer abwechselnden Lagenabfolge entsprechend Merkmalen 6.1.2, 6.2.1.1 und 6.2.1.2. Es - das Patentgericht - folge weder der Auffassung der Klägerin, es handele sich dabei um zwei Wicklungssysteme, noch der Auffassung der Beklagten , es sei nur ein einziges Wicklungssystem dargestellt. Der Fachmann sehe in Figur 20 vielmehr drei Wicklungssysteme, wenn es um die Unterbringung der Stränge in den Nuten gehe.
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Ausgehend von der Anordnung nach Figur 11 der K 6 sei die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, eine Einlegereihenfolge festzulegen , weil eine solche für dieses Ausführungsbeispiel nicht offenbart sei, aber zwangsläufig eine Reihenfolge bestimmt werden müsse. Dabei gebe es rein denkgesetzlich nur die Möglichkeit einer entmischten Abfolge entsprechend Patentanspruch 1 des Streitpatents und einer vermischten Abfolge entsprechend Patentanspruch 2, wie sie auch in den Figuren 15 und 20 der K 8 als Alternativen für das zweite Ausführungsbeispiel mit unverkürzter Wicklung dargestellt seien. Die von der Patentinhaberin genannten Gegenbeispiele bezögen sich auf die konkrete räumliche Anordnung von Strängen und nicht auf die Einlegereihenfolge von zwei Wicklungssystemen und eine daraus folgende rein gedankliche Lagenfolge. In der zu treffenden Auswahlentscheidung liege nichts, was über fachmännisches Handeln hinausginge. Der Einwand der Beklagten, die Entgegenhaltungen befassten sich nur mit der Gestaltung der Wicklungen in Umfangsrichtung, sei aufgrund der Zwangsläufigkeit dieser Entscheidung nicht relevant.
20
Die von der Beklagten geltend gemachten Vorteile bei der Kühlung und der Gefahr von Windungsschlüssen seien von sehr vielen Faktoren, wie der konkreten Gestaltung des Wickelkopfs, insbesondere der axialen Versetzung von Wickelkopfteilen, dem Wärmekontakt der einzelnen Wicklungsteile untereinander , der Kühlluftführung und einer eventuell unsymmetrischen Verlustverteilung abhängig. Selbst wenn für eine konkrete Gestaltung des Wickelkopfes solche Abhängigkeiten bestehen sollten, würden sie dem Fachmann im Rahmen der stets erforderlichen wärme- und isolationstechnischen Wicklungsauslegung und -prüfung offenbar und könnten bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden. Auch das spräche eher gegen als für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit.
21
Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 sei daher (nicht anders als derjenige von Patentanspruch 1) nahegelegt.
22
III. Die Ausführungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Berufung nicht stand.
23
1. Zwar kann mit dem Patentgericht davon ausgegangen werden, dass die K 6 dem Fachmann einen Fahrzeugwechselstromgenerator mit den Merkmalen 1 bis 6.1.1 sowie 6.2 und 6.2.1 offenbart. Zudem ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass der Fachmann, der die in Figur 11 der K 6 gezeigte Wicklung realisieren möchte, die Stränge der beiden Wicklungssysteme in einer bestimmten Reihenfolge einlegen muss. Entgegen der Ansicht des Patentgerichts reicht aber allein die abstrakte Überlegung, dass es zur Realisierung der Wicklung schon rein denkgesetzlich nur die Möglichkeit einer "entmischten" Ab- folge entsprechend Patentanspruch 1 und einer vermischten Abfolge entsprechend Merkmalen 6.1.2, 6.2.1.1 und 6.2.1.2 gegeben habe, nicht aus, um ein Naheliegen der vermischten Abfolge zu begründen. Die Vorstellung von einer alternativen (entmischten oder vermischten) Einbaufolge mag zwar in Kenntnis der Lehren aus Patentanspruch 1 und 2 des Streitpatents offensichtlich erscheinen. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist eine solche Betrachtungsweise aber nicht erheblich. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents Anlass gehabt hat, die Stränge der beiden Dreiphasenwicklungen in der in Patentanspruch 2 vorgegebenen Reihenfolge anzuordnen. Insoweit hat das Patentgericht jedoch keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Seinem Urteil sind insbesondere weder Anregungen noch Hinweise zu entnehmen, die den Fachmann seinerzeit hätten veranlassen können, die beiden Wicklungen nicht nacheinander in den Statorkern einzulegen, sondern eine ineinander geschachtelte ("vermischte") Anordnung der beiden Dreiphasenwicklungen in Erwägung zu ziehen. Gegen einen Anlass hierfür spricht im Übrigen auch, dass das einzige Ausführungsbeispiel, bei dem dem Fachmann jedenfalls nach Ansicht des Patentgerichts und der Klägerin die radiale Anordnung der Wicklungsstränge von zwei Dreiphasenwechselstromwicklungen und damit mittelbar die Einlegereihenfolge gezeigt wird (vgl. K 6, Figur 20 b), eine "entmischte" Reihenfolge erkennen lässt, bei der die beiden Dreiphasenwicklungen nacheinander eingebracht worden sind und sich demgemäß radial nicht überlappen.
24
2. Der K 8 lässt sich ebenfalls keine Anregung entnehmen, eine Statorwicklung nach der K 6 mit einer erfindungsgemäß vermischten Schichtung der Wicklungsköpfe zu versehen. Denn sie wird auch in dieser Schrift nicht offenbart.
25
a) Das Patentgericht hat in seinen Ausführungen zum Offenbarungsgehalt der K 8 nicht begründet, warum es weder der Darlegung der Klägerin folgt, in dieser Schrift seien zwei Dreiphasenwechselstromwicklungen im Sinne des Merkmals 6.2 offenbart, noch der Auffassung der Beklagten, es handele sich um eine einzige Wicklung, sondern vielmehr meint, aus fachmännischer Sicht seien der Darstellung in Figur 20 drei, ineinander verschachtelt in die Nuten eingelegte Wicklungssysteme zu entnehmen. Insbesondere hat es hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die nach § 117 PatG i.V.m § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Entscheidung des Senats zugrunde zu legen wären. In der Berufungsinstanz ist daher der Vortrag zu berücksichtigen, den die Parteien hierzu in erster Instanz gehalten haben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278; Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Urteil vom 22. Mai 2012 - II ZR 35/10, juris Rn. 29) gelangt mit dem zulässigen Rechtsmittel der gesamte aus den Akten ersichtliche Streitstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz.
26
Soweit die Beklagte mit der Berufungsbegründung eine weitere Stellungnahme ihres Gutachters Prof. K. vorgelegt hat, dient diese der näheren Erläuterung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und ist daher gleichfalls zu berücksichtigen. Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wird ein sehr allgemein gehaltener Vortrag erstmals in zweiter Instanz substantiiert, ist er neu; nicht neu ist demgegenüber Vortrag, mit dem ein - wie hier - bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251; Urteil vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333; Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, 1532 zur Konkretisierung u.a. durch Vorlage eines Parteigutachtens). Es kann daher dahinstehen, ob der auf das Gutachten gestützte zweitinstanzliche Vortrag auch als neues Verteidigungsvorbringen nach § 117 PatG i.V.m § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen wäre, weil das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG die Entgegenhaltung K 8 nur im Zusammenhang der Auslegung des Streitpatents herangezogen hat.
27
b) In der Beschreibung der K 8 wird hinsichtlich der in Figur 15 gezeigten Statorwicklung erläutert, dass diese aus zwei Dreiphasenwicklungen, nämlich einer ersten Dreiphasenwicklung 22c (umfassend die Wicklungsstränge x1, y1 und z1) und einer zweiten Dreiphasenwicklung 22d (umfassend die Wicklungsstränge x2, y2 und z2), besteht (vgl. K 8, Sp. 6 Z. 6 ff.). Eine Anregung zur vermischten Schichtung der Stränge nach den Merkmalen 6.2.1.1 und 6.2.1.2 des Streitpatents entnimmt der Fachmann diesem Ausführungsbeispiel nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man der Ansicht der Beklagten folgt, wonach Figur 15 aus fachlicher Sicht lediglich eine Aussage zur Anordnung der Stränge in der Aufeinanderfolge der Nuten in Umfangsrichtung, nicht aber über die Reihenfolge ihrer Einbringung und damit über die Radiallage der Wicklungsköpfe zu entnehmen ist, oder der Auffassung des Patentgerichts und der Klägerin, wonach der Fachmann in der Figur 15 einen Hinweis auf die radiale Anordnung der Wicklungsköpfe gesehen hat. Denn selbst wenn der letztgenannten Auffassung gefolgt wird, ergibt sich daraus - insoweit unstreitig - jedenfalls lediglich ein Hinweis auf eine "entmischte" Schichtung (x1, y1, z1, x2, y2, z2), die die Anforderungen des Patentanspruchs 2 nicht erfüllt.
28
Hinsichtlich der in Figur 20 gezeigten Wicklung wird in der Beschreibung der K 8 ausgeführt, dass eine einzige Gleichrichterbrückenschaltung mit der Statorwicklung verbunden sein könne, welche sechs Spulen aufweise. In diesem Fall könne eine der Dreiphasenwicklungen die im Stern geschalteten Spulen aufweisen, während die andere die im Dreieck geschalteten Spulen aufweise. Jede Phasenspule einer der Dreiphasenwicklungen könne in zwei Spulen aufgeteilt sein und bezüglich der Phasenspulen der anderen Dreiphasenwick- lung um einen elektrischen Winkel von π/6 rad versetzt und wie in Figur 20 dargestellt geschaltet sein. In Figur 21, die nachfolgend wiedergegeben wird,
29
sei jede Phasenspule der zweiten Dreiphasenwicklung 22d in zwei Spulen (x2a, x2b), (y2a, y2b) oder (z2a, z2b) aufgeteilt (K 8, Sp. 2 Z. 22 ff.).
30
Die in Figur 21 gezeigten drei Wicklungsstränge (x1, x2a, x2b), (y1, y2a, y2b) und (z1, z2a, z2b) werden indessen, wie sich aus der zeichnerischen Darstellung ergibt, zu jeweils einer Phase (x, y, z) zusammengeschaltet und die äußeren Anschlüsse des gezeigten Sterns mit einem einzigen Gleichrichter verbunden. Dabei muss die von Strang 1 abgegebene Spannung phasen- und amplitudengleich zu der Spannung sein, die mit Hilfe der seriell verbundenen Stränge 2a und 2b erzeugt wird, weil es andernfalls zu unerwünschten Kreisströmen innerhalb der drei Stränge käme. Wie sich wiederum aus Figur 20 ergibt, wird dies dadurch sichergestellt, dass die 2a-Stränge jeweils um einen elektrischen Winkel von +30° und die 2b-Stränge jeweils um einen elektrischen Winkel von -30° gegenüber dem 1-Strang versetzt angeordnet werden. Es handelt sich damit bei diesem Ausführungsbeispiel um ein einziges Dreiphasenwicklungssystem , bei dem, wenn eine Einlegereihenfolge offenbart sein sollte, die zu einer Phase gehörenden Stränge nacheinander angeordnet werden, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf die Stellungnahme ihres Gutachter Professor K. (Anlage E 7, S. 10 f.) zur Überzeugung des Senats zutreffend vorge- tragen und die Klägerin im Verhandlungstermin nicht mehr erheblich in Frage gestellt hat. Handelt es sich aber um ein einziges Dreiphasenwicklungssystem, bedarf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die in Figur 20 gezeigte Wicklung die Anordnung der Stränge in radialer Richtung wiedergibt, keiner abschließenden Beurteilung. Denn selbst wenn dies zugunsten der Klägerin angenommen wird, ergibt sich daraus dennoch für den Fachmann kein Hinweis auf eine erfindungsgemäße vermischte Schichtung der Wicklungsköpfe, weil diese jedenfalls zwei in gemischter Strangfolge eingelegte Dreiphasenwicklungen voraussetzt.
31
Der Klägerin kann aber auch nicht darin gefolgt werden, dass die Figur 20 in Zusammenhang mit dem weiteren Inhalt der K 8 den Fachmann veranlasst , bei zwei Dreiphasenwicklungen an eine vermischte Schichtung der Wicklungsköpfe zu denken. Soweit die Klägerin insoweit darauf hinweist, dass in der Entgegenhaltung angegeben werde, dass die einzelnen Dreiphasenwicklungen 22c und 22d entsprechend den Figuren 18A bis 18D verschaltet sein könnten, was drei Ausgänge ergäbe (K 8, Sp. 6, Z. 17 ff.), vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sich die Figuren 18A bis 18D nicht auf das in Figur 20 gezeigte Ausführungsbeispiel beziehen. Im Übrigen sind in der K 8 für zwei Dreiphasenwicklungen der zweiten Ausführungsform zwei Gleichrichtereinheiten 91 und 92 vorgesehen, was ebenfalls nicht mit der Lehre aus Patentanspruch 2 des Streitpatents übereinstimmt (Merkmal 4). Auch ansonsten wird von der Klägerin nicht aufgezeigt und ist nicht ersichtlich, dass es in der K 8 einen Hinweis gibt, dass aus fachlicher Sicht die in Figur 20 gezeigte Wicklung auch als Statorwicklung aus zwei Dreiphasenwicklungen verstanden werden kann. Erst recht ergibt sich kein konkreter Hinweis darauf, in welcher Reihenfolge die einzelnen Stränge von etwa bei dem zweiten Ausführungsbeispiel verwendeten zwei Dreiphasenwicklungen in den Statorkern einzubringen wären.
32
IV. Das Urteil des Patentgerichts erweist sich auch nicht im Hinblick auf die weiteren von der Klägerin angeführten Entgegenhaltungen als zutreffend.
33
1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 wird dem Fachmann nicht durch die K 6 in Verbindung mit der britischen Patentanmeldung 2 053 580 (Anlage K 9, inhaltsgleich mit der deutschen Offenlegungsschrift 29 21 114 [im Folgenden : K 9a], auf deren Priorität sie beruht) nahegelegt.
34
a) Der Vortrag der Klägerin zum Inhalt der K 9/K 9a und den Anregungen , die sich daraus für den Fachmann ergeben sollen, ist der Sachprüfung durch den Senat zugrunde zu legen.
35
(1) Allerdings handelt es sich hierbei um ein neues Angriffsmittel im Sinne der §§ 117 PatG, 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
36
Die Entgegenhaltung ist zwar bereits in erster Instanz vorgelegt worden. Ob ein in der Berufungsinstanz geltend gemachtes Angriffsmittel neu ist oder nicht, bestimmt sich nach den oben zu III 2 a dargelegten Grundsätzen jedoch nicht danach, ob ein bestimmtes Dokument, im Patentnichtigkeitsverfahren insbesondere eine bestimmte, zum Stand der Technik zählende Druckschrift, bereits in erster Instanz erwähnt oder zu den Akten gereicht worden ist, sondern danach, ob der (technische) Sachvortrag, für den sich die Partei auf das Dokument stützen will, in hinreichend konkreter Form bereits in der ersten Instanz gehalten worden ist oder nicht. Hier hat die Klägerin aus der K 9 im Verfahren vor dem Patentgericht nur hergeleitet, dass dem Fachmann bekannt gewesen sei, dass Wellen- und Schleifenwicklungsverfahren alternativ eingesetzt werden könnten, so dass keine erfinderische Tätigkeit dafür erforderlich gewesen sei, die aus der K 8 bekannten radialen Abfolgen der einzelnen Wicklungslagen im Stator bei einem Fahrzeugwechselstromgenerator anzuwenden, dessen Spulenwicklungsabschnitte statt im Schleifen- im Wellenwicklungsverfahren herge- stellt seien. Hingegen hat sie nicht vorgebracht, der Entgegenhaltung K 9 sei nach dem gesamten Inhalt der Druckschrift, insbesondere den Ausführungen auf Seite 2, Zeilen 113 bis 125, die Anregung zu entnehmen, sich den Gedanken einer "Vermischung" bei der Anordnung von Phasensträngen im Statorkern nicht nur bei der Trennung der Halbstränge der einzelnen Phasen einer Dreiphasenwicklung , sondern auch bei Einsatz von zwei Dreiphasenwicklungen "wicklungsübergreifend" zu Nutze zu machen. Infolgedessen ist diese Frage erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von den Parteien diskutiert worden.
37
(2) Im Streitfall sind die Voraussetzungen der §§ 117 PatG, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO für eine Zulassung dieses Vorbringens im Berufungsverfahren erfüllt. Da das Patentgericht das Vorbringen der Klägerin, der Gegenstand des Patentanspruchs 2 sei durch die Entgegenhaltungen K 6 und K 8 nahegelegt, für begründet erachtet hat, beruht es nicht auf Nachlässigkeit, dass die Klägerin sich nicht bereits im ersten Rechtszug auf die K 9 berufen hat.
38
Der Nichtigkeitskläger ist grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen , insbesondere mit einer Vielzahl unterschiedlicher Argumentationslinien zu begründen, warum der Gegenstand der Erfindung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt sei. Hierdurch würde eine sinnvolle Konzentration des erstinstanzlichen Verfahrens auf diejenigen Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Nichtigkeitsklägers besonders geeignet sind, dem Klagebegehren zum Erfolg zu verhelfen, behindert. Vielmehr dient der Hinweis, den das Patentgericht nach § 83 Abs. 1 PatG gibt, auch dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Fokussierung der Argumentation entweder als nach der vorläufigen Sicht des Patentgerichts sachgerecht zu bestätigen oder aber als nicht angemessen oder jedenfalls nicht zulänglich aufzuzeigen.
39
Im Streitfall hat sich das Patentgericht darauf beschränkt, zu Patentanspruch 2 auszuführen, es folge vorläufig den Ausführungen der Klägerin, wonach die Entgegenhaltung K 7 insoweit neuheitsschädlich sei. Die Klägerin hatte hiernach keine Veranlassung, weitere Angriffsmittel vorzutragen, um das Naheliegen des Gegenstands von Patentanspruch 2 zu begründen.
40
(3) Ob die Klägerin das Angriffsmittel auch im Sinne der §§ 117 PatG, 530, 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof rechtzeitig vorgebracht hat oder ob sie gehalten war, das auf die K 9 gestützte neue Angriffsmittel innerhalb der ihr gesetzten Berufungserwiderungsfrist geltend zu machen, kann offenbleiben. Denn aus diesem Grund könnte das Angriffsmittel nur dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde (§ 296 Abs. 1 ZPO), was aus den nachfolgenden Gründen nicht der Fall ist.
41
b) Aus der K 9 ergab sich für den Fachmann keine Anregung, die in der K 6 offenbarte Wicklung mit einer erfindungsgemäßen Schichtung der Wicklungsköpfe auszustatten.
42
(1) Die K 9 betrifft ein automatisches Wickelverfahren für einen elektrischen Generator, insbesondere Drehstromgenerator, als Lichtmaschine für Kraftfahrzeuge, bei dem je Phase mindestens zwei Teilwickelspulen vorgesehen sind, die jeweils in bestimmter Weise in die Nuten des Statorkerns eingewickelt werden. Entsprechend zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 4 der K 9 eine Dreiphasenwicklung, bei der jede Phase in zwei Teilwickelspulen zerlegt wurde, wobei die Teilwickelspulen in folgender Reihenfolge eingelegt wurden und entsprechend im Wicklungskopf in radialer Richtung "übereinanderliegen" : I1, III2, II1, I2, II1 und II2 (vgl. K 9a, S. 14 ff., S. 16 Abs. 2).


43
(2) Die Klägerin meint, dass der Fachmann durch die in der K 9 offenbarte vermischte Anordnung der Teilwickelspulen einer Dreiphasenwicklung dazu angeregt worden sei, auch bei der aus der K 6 bekannten Statorwicklung mit zwei Dreiphasenwicklungen die Phasenstränge im erfindungsgemäßen Sinne vermischt anzuordnen. Darin kann ihr jedoch nicht gefolgt werden.
44
Mit dem in K 9 offenbarten Wicklungsverfahren soll der bisher mit automatischen Wickelmaschinen erreichbare Nutfüllfaktor verbessert werden, so dass sich Drehstromgeneratoren mit einer höheren Stromleistung, einem geringeren Geräuschpegel oder niedriger Erwärmung herstellen lassen (K 9a, S. 10, Abs. 2, unter "Vorteile der Erfindung"). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass bei herkömmlichen Dreiphasenwicklungen, bei denen die Phasenstränge nicht geteilt sind, in den Wicklungsköpfen Kreuzungsstellen, wie etwa in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 mit "x" gekennzeichnet, entstehen und daher die Nut im Statorkern nicht optimal gefüllt werden kann.


45
Demgegenüber wird in der K 9 ein Wickelverfahren vorgeschlagen, bei dem je Phase mindestens zwei Teilwickelspulen vorgesehen sind und jede Teilwickelspule bei gegenseitiger Überlappung der einzelnen Wicklungen jede Nut des Statorkerns "vom Nutgrund an optimal voll gewickelt" ist, so wie dies beispielhaft in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 gezeigt ist (vgl. K 9a, Patentanspruch 1, S. 12, Abs. 2, S. 17 Abs. 2).


46
Die Zerlegung jeder Phase in zwei Teilwickelspulen und die daraus resultierende Möglichkeit, die Halbstränge in vermischter Reihenfolge (wie etwa in dem in den Figuren 2 und 4 gezeigten Ausführungsbeispiel in der Reihenfolge I1, III2, II1, I2, II1 und II2) anzuordnen, erfolgt damit zu dem Zweck, die mit der Wicklung von Vollsträngen einhergehenden Kreuzungsstellen zu vermeiden und eine optimale Nutzung der Nutkapazität zu ermöglichen.
47
Wird dieser Gedanke auf die aus der K 6 bekannte Statorwicklung mit zwei Dreiphasenwicklungen übertragen, bedingt dies zunächst zwingend, dass jede Phase in zwei Halbstränge zerlegt wird. Denn nur bei Aufteilung der einzelnen Phase in zwei Teilstränge können die in der K 9 als nachteilhaft angese- henen Kreuzungsstellen von Vollsträngen in den Wicklungsköpfen vermieden und entsprechend ein optimaler Nutfüllfaktor sowie die daran anknüpfenden weiteren Vorteile einer höheren Stromleistung, eines geringeren Geräuschpegels und oder einer niedrigeren Erwärmung erreicht werden (vgl. K 9a, S. 10, Abs. 2). Die Überlegung der Klägerin, der Fachmann würde ausgehend von der gemischten Schichtung der Teilwickelspulen in Figur 4 der K 9 zu einer gemischten Schichtung der Spulen der in K 6 offenbarten beiden Dreiphasenwicklungen angeregt, kann daher von vornherein keinen Erfolg haben, weil damit stets die in der Entgegenhaltung als unvorteilhaft erkannten Kreuzungsstellen einhergehen.
48
Aber auch wenn angenommen wird, der Fachmann würde von der K 9 dazu veranlasst, die insgesamt sechs Phasen der in K 6 offenbarten beiden Dreiphasenwicklungen jeweils in zwei Teilstränge zu zerlegen, was durch die K 6 nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird, so müsste dies nach der der K 9 zugrunde liegenden Zielsetzung doch wiederum in einer Weise geschehen, welche das Entstehen von Kreuzungsstellen, wie sie in Figur 2 gezeigt werden, vermeidet. Die Teilstränge der einzelnen Phasen dürften also nicht (wie ein Vollstrang) hintereinander angeordnet und nur diese zwar zerlegten, aber weiterhin unmittelbar hintereinander angeordneten Teilstränge sich mit entsprechenden Teilstrangpaaren der zweiten Dreiphasenwicklung abwechseln. Vielmehr müssten darüber hinaus wie in der K 9 die Teilstränge verschiedener Phasen aufeinanderfolgen, und zwar in einer eine optimale volle Wicklung jeder Ständernut vom Nutgrund gewährleistenden Weise (vgl. K 9a, Patentanspruch 1), etwa entsprechend der in den Figuren 2 und 4 der K 9 für eine einzige Dreiphasenwicklung realisierten Wicklung.
49
Eine solche vermischte Anordnung der Teilstränge zweier Dreiphasenwicklungen würde jedoch nicht mehr den Anforderungen der Merkmale 6.2.1.1 und 6.2.1.2 entsprechen, welche - wie oben dargelegt - zwar die Zerlegung der einzelnen Phasen in Teilstränge nicht ausschließen, eine aus in Teilstränge zerlegten Phasen bestehende Wicklung aber nur dann erfassen, wenn die Teilstränge einer Phase hintereinander angeordnet werden und zusammen eine der drei inneren oder äußeren Lagen bilden. Hingegen führt eine über die Vermischung der sich gegebenenfalls aus Teilsträngen zusammensetzenden Phasen hinausgehende Vermischung der einzelnen Teilstränge verschiedener Phasen, wie sie durch die K 9 im Hinblick auf eine Optimierung des Nutfüllfaktors suggeriert wird, nicht zu einem Gegenstand nach Patentanspruch 2.
50
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 ist schließlich nicht durch die - nur bei der Neuheitsprüfung nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ zu berücksichtigende - europäische Patentanmeldung 1 211 781 (in das Verfahren eingeführt in Gestalt der daraus hervorgegangenen Patentschrift, K 7) neuheitsschädlich getroffen.
51
In der K 7 werden zwei Dreiphasenwicklungen beschrieben, bei denen es sich jeweils um geteilte Wicklungen handelt. Die Klägerin stützt sich maßgeblich darauf, dass nach den Ausführungen in der K 7 je eine Wicklungslage 30 in eine erste bis sechste Nutgruppe des Stators eingelegt, wobei von jeder Gruppe jeweils jede sechste Nut belegt werde (erste Gruppe in den Nuten 1, 7, 13 … 67, zweite Gruppe in den Nuten 2, 8, 14 … 68 usw., Abs. 38 a.E. und Abs. 41). Zudem würden die Wicklungslagen der ersten, dritten und fünften Nutgruppe einerseits und der zweiten, vierten und sechsten Nutgruppe andererseits jeweils zur Bildung einer Dreiphasenwicklung miteinander verbunden (Abs. 44). Nach Ansicht der Klägerin soll sich daraus ergeben, dass zur Bildung jeder der Dreiphasenwicklungen jeweils einphasige Wicklungslagen miteinander verbunden werden, zwischen denen sich immer eine einphasige Lage der jeweils anderen Dreiphasenwicklung befinde.
52
Dem steht jedoch entgegen, dass die Reihenfolge der Aufzählung in Absatz 41 der K 7 der Nummerierung der Nuten und Nutgruppen entspricht und damit nicht auf eine entsprechende Reihenfolge des Einbringens hinweist (vgl. Gutachten K. , B 12, S. 7), von der auch sonst in der K 7 keine Rede ist. Im Übrigen hat der Gutachter der Klägerin unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass demgegenüber den Figuren 2, 8 und 14 der K 7 eine "entmischte" Einlegereihenfolge zu entnehmen ist (aaO, S. 7f.). Nach den Anforderungen , die die Rechtsprechung des Senats an eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung stellt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin), sind hiernach die Merkmale 6.2.1.1 und 6.2.1.2 nicht offenbart.
53
V. Der Senat kann hiernach abschließend in der Sache entscheiden (§ 119 Abs. 5 PatG). Da sich der Gegenstand von Patentanspruch 2 als patentfähig erweist, ist die Klage im Umfang des Berufungsantrags abzuweisen.

54
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Schuster

Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.04.2011 - 4 Ni 16/10 (EU) -

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Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 257/03 Verkündet am:
12. März 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1
Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen
des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die
Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung
des Zivilprozeßreformgesetzes.
ZPO (2002) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen
übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den
Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1
Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht
nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle
des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative
Beweiskraft zu.
BGH, Urt. v. 12. März 2004 - V ZR 257/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag vom 8. Juli 1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluß vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wur-
de. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschoßwohnung gegenüber liegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so daß die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung , so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und insbesondere gerügt, daß das Landgericht die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel , der gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt (vgl. Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht entgegen. Der Umstand, daß der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (MünchKomm -ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 546 Rdn. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an
der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts , die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann , NJW 2003, 169, 171).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich /Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rdn. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558; Senat, Urt. v. 9. Juli 1999, V ZR 12/98, NJW 1999, 3481, 3482). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor,
wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können , oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; Urt. v. 23. Januar 1997, I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insbesondere bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich , aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlaß bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. in Frage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Daß die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen läßt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr läßt dieser Umstand auch den
Schluß zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen. (2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 13, § 529 Rdn. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1902). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlaß gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, daß der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/6036, S. 123; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 36; MünchKomm -ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 529 Rdn. 24; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen , darauf, daß beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befaßt, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu
einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, aaO, § 398 Rdn. 5; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 13). Es verbleibt mithin dabei, daß das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muß, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996, VI ZR 262/95, NJW 1997, 466; Urt. v. 10. März 1998, VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 m.w.N.).

b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, daß das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, in Frage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung , wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muß er deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28. Mai 2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, daß sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr.
L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Be- bauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin in Frage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben , daß das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, daß die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721, 722; ablehnend MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weitergehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muß der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, daß das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak /Ball, aaO, § 520 Rdn. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, daß ein Revisionskläger, der gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muß (vgl. dazu BGHZ 14, 205, 209 f; BAG, ZIP 1983, 605, 606; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 551 Rdn. 21; Musielak/Ball, aaO, § 551 Rdn. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a.A. Musielak/Ball, aaO, § 520 Rdn. 32; Ball, WuM 2002, 296, 299; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169, 171 f). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozeßstoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 3, 7). Diese Rüge muß so konkret sein, daß keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110, 111; a.A. Grunsky, NJW 2002, 800, 801; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseiti-
gen (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozeßstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702, 1703; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf. bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insbesondere nicht aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge läßt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebensowenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Partei-
vortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses , BT-Drucks. 14/4722, S. 100). Damit kann und muß das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anläßlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, daß das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, daß das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2000, VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2026) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muß - gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann, wenn er gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 53, § 529
Rdn. 14, 38; ders., NJW 2002, 1897, 1902; ders., NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 15; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601, 605; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 529 Rdn. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich /Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1954, IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, daß nicht erwähnte Angriffsund Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müßte. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs - und Verteidigungsmittel begnügt (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 7; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 7, § 559 Rdn. 17; ders., in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461, 462 f; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200; Gaier, NJW 2004, 110, 111; Rixecker, NJW 2004, 705, 708; a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 Satz 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 Satz 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozeßstoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze , sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH,
Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.), ergibt sich der Prozeßstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992, XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148, 2149; Urt. v. 7. Dezember 1995, III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, aaO). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball, in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20). Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, daß das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, daß von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25. Mai 1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 m.w.N.; Urt. v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418, 420; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52, 53) vertretenen Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89 m.w.N.). Gleichwohl bedarf es
hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, daß die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.

III.


Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weitergehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschoßwohnung im Vertrauen auf
die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 m.w.N.).
Wenzel Krüger Klein Gaier RiBGH Dr. Stresemann ist infolge Urlaubsabwesenheit gehindert, zu unterschreiben. Wenzel
16
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelangt jedoch mit dem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz. Das Berufungsgericht darf also auch schriftsätzlich angekündigtes, entscheidungserhebliches Parteivorbringen berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat (BGHZ 158, 295, 309; 158, 269, 278, 280 ff.). Die Klägerin hatte – wie oben (unter 2 b) bereits ausgeführt – zu den tatsächlichen Umständen, aus denen sie die Sittenwidrigkeit des Vertrags wegen eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB), dessen Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) oder jedenfalls die Berechtigung eines Wandelungsverlangens (§§ 462, 459 ff. BGB in der bis zum 31. Januar 2001 geltenden Fassung) herleitet, schon in erster Instanz vorgetragen. Der entsprechende Vortrag in der Berufungsbegründung war daher nicht neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO. Kommt es aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung für die Entscheidung auf Tatsachen an, die – wie hier – in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt sind, bestehen erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen , die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten (vgl. BGHZ 158, 295, 310).
29
1. In der wiedereröffneten Berufungsverhandlung wird sich das Berufungsgericht erneut mit dem Antrag der Klägerin auf Abstandnahme vom Urkundenprozess befassen müssen. Sollte der Beklagte darin nicht einwilligen, wird es die Sachdienlichkeit der Abstandnahme zu prüfen haben. Bei dieser Prüfung wird es zu berücksichtigen haben, dass die Sachdienlichkeit nicht mit der Begründung verneint werden kann, dass die Überführung eines Urkundenprozesses in ein ordentliches Verfahren in der Berufungsinstanz regelmäßig dazu führt, dass der gesamte Streitstoff und damit auch Teile, die ansonsten der Prüfung im Nachverfahren vorbehalten bleiben würden, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht werden können (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 110/09, BGHZ 189, 182 Rn. 42 f.). Das Berufungsgericht wird dabei weiter zu berücksichtigen haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278; Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16) mit dem zulässigen Rechtsmittel (ohnehin) der gesamte aus den Akten ersichtliche Streitstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz gelangt. Das Berufungsgericht darf daher auch schriftsätzlich angekündigtes, entscheidungserhebliches Parteivorbringen berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat (BGH, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 309; Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 199/03 Verkündet am:
8. Juni 2004
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 823 Aa, I; ZPO (2002) §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3

a) Auch nach der Reform der Zivilprozeßordnung dürfen beim Vortrag zu medizinischen
Fragen im Arzthaftungsprozeß an den Vortrag zu Einwendungen gegen ein
Sachverständigengutachten ebenso wie an den klagebegründenden Sachvortrag
nur maßvolle Anforderungen gestellt werden.

b) Der Patient und sein Prozeßbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen
Prozeßführung medizinisches Fachwissen anzueignen.

c) Läßt das Berufungsgericht fehlerhaft Vorbringen nicht zu, weil es zu Unrecht dieses
für neu hält oder Nachlässigkeit bejaht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), so kann es
sich nicht auf die Bindung an die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen berufen,
wenn die Berücksichtigung des Vorbringens zu Zweifeln im Sinne von § 529 Abs.
1 Nr. 1 ZPO hätte führen müssen.
BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - OLG Köln
LG Aachen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Juni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juni 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Trägerin des Krankenhauses B. Schadensersatzansprüche geltend. Im Dezember 1998 stürzte die Klägerin und zog sich einen Speichenbruch mit Abriß des Griffelfortsatzes der Elle zu. Der erlittene Trümmerbruch mit einer hauptsächlich streckseitig gelegenen Trümmerzone wurde im Krankenhaus der Beklagten operativ eingerichtet. Anschließend wurde die Reponierung mit zwei durch die Haut eingebrachten Kirschner-Drähten und einer Gipsschiene stabilisiert. Nach Entfernung der Drähte Anfang Februar 1999 klagte die Klägerin über Beschwerden im Bereich des rechten Handgelenks und über ein
Taubheitsgefühl der Streckseite des rechten Daumens. Bei einer Untersuchung in der unfallchirurgischen Klinik R. wurde eine in Fehlstellung verheilte Radiusfraktur sowie eine Defektläsion des Daumenastes des Nervus radialis superficialis diagnostiziert. Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, die Ärzte des Krankenhauses B. hätten den Bruch fehlerhaft behandelt. Die unzureichende Stabilisierung habe zu einer Verheilung in Fehlstellung geführt. Auf ihre starken postoperativen Schmerzen sei nicht in angemessener Weise durch die Verordnung von Schmerzmitteln reagiert worden. Dies sei zur Prophylaxe eines Morbus Sudeck erforderlich gewesen. Bei Entfernung der Kirschner-Drähte sei es behandlungsfehlerhaft zu einer Durchtrennung des sensiblen Astes des Nervus radialis superficialis gekommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil in VersR 2004, 517 veröffentlicht ist, ist der Klage auf der Grundlage der in erster Instanz festgestellten Tatsachen der Erfolg zu versagen. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb eine neue Feststellung gebieten würden, lägen nicht vor (§ 529 Abs. 1 ZPO).
Soweit die Klägerin weiterhin Behandlungsfehler bei der Durchführung der Spickdrahtosteosynthese rüge, bestehe keine Veranlassung zu einer weiteren Sachaufklärung. Der Sachverständige habe ausdrücklich hervorgehoben, die Einbringung der Drähte sei fehlerfrei erfolgt in Anwendung eines Verfahrens , welches dem Lehrbuchstandard entspreche und auch lehrbuchhaft durchgeführt worden sei. Die abweichende Auffassung der Klägerin, daß die Spickdrähte nicht korrekt angebracht worden seien, so daß eine ausreichende Stabilität nicht habe erzielt werden können, begründe keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen. Keine im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erheblichen Zweifel bestünden auch, soweit die Klägerin es als behandlungsfehlerhaft ansehe, daß die Enden der Drähte unter der Haut versenkt worden seien. Auch hierzu habe der Sachverständige festgestellt, die Einbringung der beiden Bohrdrähte sei regelgerecht erfolgt. Es stehe auch nicht fest, daß die Nervverletzung vermeidbar fehlerhaft von den behandelnden Ärzten verursacht worden sei. Der Sachverständige habe dargelegt, trotz größtmöglicher Sorgfalt habe es zu einer Durchtrennung bzw. Quetschung von kleinen Hautnerven kommen können. Mit ihrem erstmals in zweiter Instanz erfolgten Vorbringen, die Spickdrahtosteosynthese sei nicht die Methode der Wahl gewesen, könne die Klägerin ebensowenig durchdringen wie mit der gleichfalls neuen Behauptung, der Morbus Sudeck sei nicht adäquat bzw. überhaupt nicht behandelt worden. Auch bei der dargelegten Behandlungsalternative mit einem Fixateur externe handele es sich um eine Tatsachenbehauptung und nicht - wie die Klägerin meine - um die Darlegung eines von Amts wegen zu berücksichtigenden medizinischen Erfahrungssatzes. Beide Tatsachenbehauptungen fielen unter die Bestimmungen der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO. Sie stellten neue Angriffsmittel im Sinne von § 531 ZPO dar und seien nicht zuzulassen, weil die Voraussetzun-
gen der hier nur in Betracht kommenden Bestimmungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO nicht dargetan seien. Dem Landgericht sei kein Verfahrensfehler im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unterlaufen. Es sei auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vorbringens zu einer weiteren Sachaufklärung nicht gehalten gewesen. Die schriftliche Begutachtung sei eindeutig gewesen; die von der Klägerin erstinstanzlich für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen habe der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung beantwortet. Sei das Vorbringen somit als neuer Sachvortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, scheide eine weitere Sachaufklärung nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aus. Der neue Sachvortrag könne aus Rechtsgründen auch nicht geeignet sein, Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen des Sachverständigen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu begründen; anderenfalls würden die Präklusionsregeln und das Reformziel, den Rechtsstreit möglichst im ersten Rechtszug umfassend aufzuklären, unterlaufen. Die Klägerin habe nicht dargetan, daß sie den neuen Vortrag ohne Nachlässigkeit nicht bereits im ersten Rechtszug hätte in den Rechtsstreit einführen können (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Sie sei gehalten gewesen, jede in Betracht kommende Möglichkeit zu nutzen, Einwendungen gegen die in erster Instanz vorgelegte Begutachtung ausfindig zu machen. Sie habe auch nicht vorgetragen , daß sie bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter sich nicht in gleicher Weise hätten informieren können wie der Prozeßbevollmächtigte in der zweiten Instanz. Fehl gehe auch der Vorwurf, der entstandene Morbus Sudeck sei nicht adäquat behandelt worden. Eine unzureichende Sudeck-Prophylaxe sei nicht erwiesen.

II.

Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. a) Nicht zu beanstanden ist das Berufungsurteil allerdings, soweit es keine Notwendigkeit für eine weitere Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich eines Behandlungsfehlers bei der Durchführung der Spickdrahtosteosynthese und bei der Prophylaxe für einen Morbus Sudeck sieht und diesbezüglich Behandlungsfehler auf der Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen verneint. Die Revision macht hierzu nur geltend, das Berufungsgericht sei dem Einwand der Klägerin nicht nachgegangen, die Schädigung des Nervs bei Entfernung der Kirschner-Drähte wäre vermieden worden, wenn deren Enden nicht zuvor unter die Haut versenkt worden wären. Indessen hält die Auffassung des Berufungsgerichts , aus dem Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die eine neue Tatsachenfeststellung erforderten, in diesem Punkt revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03 - und BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03 - WM 2004, 845, 846, jeweils vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs.
14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - NJW 2003, 3480, 3481; Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/6036 S. 124). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen , die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind. In diesem Fall kann unter anderem die - hier von der Revisionsklägerin gerügte - Unvollständigkeit des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - aaO; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 18; Zöller /Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 9). bb) Gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Notwendigkeit einer neuen Tatsachenfeststellung insoweit verneint, sind keine durchgreifenden Revisionsrügen vorgebracht. Das Berufungsgericht hat im Hinblick darauf, daß der Sachverständige ausführlich dazu Stellung genommen hat, ob bei Durchführung der hier angewandten Spickdrahtosteosynthese Behandlungsfehler vorlagen, und er dies verneint hat, ausgeführt, daß es keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen hat, die hinsichtlich dieses Komplexes eine erneute Feststellung geböten. Hiergegen ist von Seiten des Revisionsgerichts nichts zu erinnern.
b) Das Berufungsurteil hält auch dem Angriff der Revision stand, soweit das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu einer unterlassenen Behandlung des Morbus Sudeck als neues Vorbringen nicht zugelassen hat.
Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin wurde zutreffend als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO angesehen. Entgegen der Auffassung der Revision schließt nämlich der erstinstanzliche Sachvortrag der Klägerin nicht die Frage ein, ob ein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Behandlung des entstandenen Morbus Sudeck vorliegt. Der von ihr in Bezug genommene und aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ersichtliche erstinstanzliche Vortrag der Klägerin befaßte sich nämlich allein mit dessen Prophylaxe und nicht mit einer angeblich unterlassenen Behandlung. Die Behauptungen , den Ausbruch einer Krankheit nicht verhindert und eine ausgebrochene Krankheit nicht behandelt zu haben, betreffen indes zwei unterschiedliche zeitliche Abschnitte des Behandlungsverlaufs. Mit dem zweitinstanzlich erhobenen Vorwurf wird die Behauptung fehlerhafter Prophylaxe demgemäß nicht lediglich konkretisiert, sondern der Angriff der Klägerin geändert. Das Berufungsgericht hat dieses neue Vorbringen auch zu Recht nicht zugelassen, weil nicht dargetan ist, daß die Klägerin es nicht bereits im ersten Rechtzug hätte in den Rechtsstreit einführen können. Anders als bei einer vorzugswürdigen Behandlungsalternative (vgl. dazu unter 2.) geht es hier nämlich zunächst nicht um eine medizinische Frage, sondern darum, auch diesen Abschnitt des gesamten Behandlungsverlaufs zur Überprüfung durch das Gericht zu stellen. Dazu waren keine medizinischen Fachkenntnisse erforderlich. Die Klägerin wußte vielmehr aus eigenem Erleben, ob eine Behandlung des Morbus Sudeck erfolgt war, und konnte die von ihr jetzt behauptete Unterlassung der Behandlung deshalb zum Gegenstand der gerichtlichen und sachverständigen Überprüfung machen, ohne auf vertiefte medizinische Kenntnisse angewiesen zu sein. Indem sie dies im ersten Rechtszug nicht getan hat, hat sie gegen die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen.
2. Das Berufungsurteil hält jedoch den Angriffen der Revision nicht stand, soweit das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu einer Behandlungsalternative als neues Vorbringen nicht zugelassen hat (§ 531 Abs. 2 ZPO) und deshalb nicht zu Zweifeln im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gelangt ist.
a) Das Vorbringen der Klägerin zu einer Behandlungsalternative ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits nicht als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. aa) Die Revision macht geltend, der Vortrag fehlerhafter Behandlung, insbesondere auch durch Erzielung einer unzureichenden Stabilität und Drehstabilität , schließe den Vorwurf mit ein, im Hinblick auf die ausgedehnte Trümmerzone sei seitens der Ärzte mit der Spickdrahtosteosynthe se eine Behandlungsmethode gewählt worden, die wesentlich weniger geeignet gewesen sei als eine Behandlung mittels eines Fixateur externe. Der gerichtliche Sachverständige hätte sich deshalb bereits in erster Instanz mit der Frage einer besser geeigneten Methode und damit einer Behandlungsalternative befassen müssen. Dem ist unter den Umständen des Streitfalls zuzustimmen. bb) Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ist nach dem bisherigen Recht auszulegen (Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, ZPOReform , 2002, § 531 Rdn. 8). Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt also davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 1991 - VIII ZR 129/90 - NJW-RR 1991, 1214, 1215 und vom 26. Juni 2003 - VII ZR 281/02 - NJW-RR 2003, 1321, 1322; Baum-
bach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 531 Rdn. 12; Drossart, Bauprozessrecht 2004, 4, 6). Zwar enthielt der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin nicht ausdrücklich den Vortrag einer besseren Behandlungsalternative durch einen Fixateur externe. Bei der Beurteilung, ob ein neuer Vortrag vorliegt, ist aber zu berücksichtigen , daß an die Substantiierungspflicht der Partei im Arzthaftungsprozeß nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann. Die Partei darf sich auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes auf Grund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752; vom 10. November 1981 - VI ZR 92/80 - VersR 1982, 168, 169 und vom 15. Juli 2003 - VI ZR 203/02 - VersR 2003, 1541, 1542; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht , 4. Aufl., E Rdn. 2). Der Vortrag, es habe eine bessere Behandlungsmethode , also eine echte und indizierte Behandlungsalternative gegeben, stellt im Streitfall unter Berücksichtigung dieser Darlegungserleichterungen im Arzthaftungsprozeß lediglich eine weitere Verdeutlichung des schlüssigen Vorbringens einer fehlerhaften Behandlung des Bruchs dar, der nicht ausreichend stabilisiert worden sei.
b) Im übrigen hätte das Berufungsgericht das Vorbringen zur Behandlungsalternative selbst dann berücksichtigen müssen, wenn es - entgegen den obigen Darlegungen - neu gewesen wäre. Bei der Beurteilung, ob der Klägerin Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vorzuwerfen ist, hat das Berufungsgericht zu hohe Anforderungen an die Informations- und Substantiierungspflicht der Partei im Arzthaftungsprozeß gestellt.
Das Berufungsgericht hat das von ihm als neu angesehene Vorbringen nicht zugelassen, weil die Klägerin nicht dargetan habe, daß sie den neuen Vortrag ohne Nachlässigkeit nicht bereits im ersten Rechtszug hätte in den Rechtsstreit einführen können. Das rügt die Revision mit Erfolg. Die in der Revisionsinstanz zulässige Prüfung, ob § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO richtig angewendet worden ist (vgl. Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 531 Rdn. 26; MünchKomm/ZPO/Aktualisierungsband-Rimmelspacher, § 531 Rdn. 35 und § 530 Rdn. 34; Musielak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 22 ff.; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 531 Rdn. 37), führt zu dem Ergebnis, daß die unterlassene Geltendmachung im ersten Rechtszug nicht auf einer Nachlässigkeit der Klägerin beruhte. Jede Partei ist zwar grundsätzlich gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist. Sorgfaltsmaßstab ist dabei die einfache Fahrlässigkeit (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2003, 139, 140 und OLGR Saarbrücken, 2003, 249, 250; KG, MDR 2003, 471, 472; MünchKomm/ZPO/Aktualisierungsband-Rimmelspacher, § 531 Rdn. 28; Musielak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 19; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1904; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428; BT-Drs. 14/4722 S. 101 f.). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überspannt das Berufungsgericht indes die Anforderungen an die Informations- und Substantiierungspflicht einer klagenden Partei im Arzthaftungsprozeß. Der oben dargelegte Grundsatz, daß in einem Arzthaftungsprozeß an die Substantiierungspflicht des Klägers nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, gilt nämlich auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten. Die Partei ist nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz ihre Einwendun-
gen gegen das Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständigen Rat zu stützen oder - wie das Berufungsgericht meint - selbst oder durch Dritte in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen , um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu formulieren. Sie ist durchaus berechtigt, ihre Einwendungen zunächst ohne solche Hilfe vorzubringen (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752 und vom 10. November 1981 - VI ZR 92/80 - VersR 1982, 168; BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02 - VersR 2004, 83, 84). Das Gesetz zur Reform der Zivilprozeßordnung hat an diesen Grundsätzen nichts geändert, weil der dafür maßgebende Gesichtspunkt, die Waffengleichheit zwischen Arzt und Patienten zu gewährleisten, weiter gilt. Die Klägerin hat in erster Instanz das gerichtliche Gutachten nicht hingenommen , sondern mit substantiierten Ausführungen in Frage gestellt. Bei dieser Sachlage kann es nicht als Nachlässigkeit angesehen werden, wenn sie in zweiter Instanz ihren Angriff konkretisiert hat, nachdem ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter durch eigene medizinische Recherchen zusätzliche Informationen über die Behandlung eines Trümmerbruchs erlangte. Daß sich die Klägerin bereits erstinstanzlich durch zwei Fachärzte hat beraten lassen und hierbei möglicherweise nicht vollständig informiert wurde, geht nicht zu ihren Lasten. Der Patient und sein Prozeßbevollmächtigter sind nämlich nicht verpflichtet , sich zur ordnungsgemäßen Prozeßführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Im konkreten Fall hätte überdies auch für das erstinstanzliche Gericht Veranlassung bestanden, den Sachverständigen nach einer Behandlungsalternative zu befragen, nachdem dieser ausgeführt hatte, nach Angaben in der Fachliteratur komme es erfahrungsgemäß bei dem angewandten Spickdrahtosteosyntheseverfahren bei einem Bruch wie dem vorliegenden in etwa 20 % der Fälle zu einem Korrekturverlust. Unter diesen Umständen war mit dem
Sachverständigen zu erörtern, wie die Praxis dieses beträchtliche Risiko zu vermeiden oder zu verringern suchte.
c) Bei der mithin gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin zur Behandlungsalternative mußten sich für das Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben, die eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Hier hat die Klägerin nämlich nach den von ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten durchgeführten Recherchen in der Berufungsbegründung ausführlich und substantiiert vorgetragen und durch Nachweise aus der medizinischen Fachliteratur belegt, daß ihrer Ansicht nach eine vorzugswürdige Behandlungsmethode hätte angewendet werden müssen.

III.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zum Bestehen einer Behandlungsalternative auf
die Beurteilung des Rechtsstreits ausgewirkt hätte. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur Nachholung der gebotenen Feststellungen zurückzuverweisen.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 279/05
vom
21. Dezember 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Wird ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weiteren
Tatsachenvortrag, etwa unter Vorlage eines Privatgutachtens, zusätzlich konkretisiert
, verdeutlicht oder erläutert, stellt dies kein neues Vorbringen im Sinne der

b) Auch im Bauprozess ist eine Partei nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen
gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens
oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen.
BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Dezember 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Dr. Haß, Hausmann,
Dr. Wiebel und Prof. Dr. Kniffka

beschlossen:
Der Beschwerde des Beklagten wird stattgegeben. Das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. November 2005 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 100.000 €

Gründe:


I.

1
Die Klägerinnen verlangen Schadensersatz wegen Mängeln einer vom Beklagten geplanten Dachsanierung.
2
Sie beauftragten den Beklagten im Jahr 2001 damit, einen Vorschlag für die Dachsanierung eines Industriegebäudes mit fünf sog. Sheddächern und einer weiteren geneigten Dachfläche zu erarbeiten. Auf der Grundlage des vom Beklagten erstellten Leistungsverzeichnisses wurde die Fa. M. mit der Sanierung beauftragt. Noch während der Ausführung der Arbeiten bildeten sich an den Dachbahnen Falten und Risse. Auf sämtlichen Dachflächen rutschten die Bitumenbahnen ab. Nachdem die Klägerinnen die Fa. M. erfolglos zur Beseitigung der Mängel aufgefordert hatten, beantragten sie gegen diese ein selbständiges Beweisverfahren. Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis , dass die vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien angesichts der vorhandenen Dachneigung nicht geeignet seien. Nach Erstellung des Gutachtens erweiterten die Klägerinnen das selbständige Beweisverfahren auf den Beklagten. Mit der Klage machen sie einen Teilbetrag der geschätzten Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 100.000 € geltend.
3
Das Landgericht hat den Beklagten nach mündlicher Anhörung des im selbständigen Beweisverfahren beauftragten Sachverständigen im beantragten Umfang zum Schadensersatz verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege ein vom Beklagten zu vertretender Planungsfehler in Form eines Ausschreibungsfehlers vor, weil die Dachsanierung mit den vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien handwerklich nicht fachgerecht zu erbringen gewesen sei.
4
Mit der Berufung hat der Beklagte, gestützt auf ein nach Urteilserlass eingeholtes Privatgutachten, weitere Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erhoben. Das Berufungsgericht hat diese als verspätet angesehen und die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

5
Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte sei gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO mit Einwendungen ausgeschlossen, die auf dem Ergebnis des Privatgutachtens beruhten. Der Beklagte habe Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten bereits in erster Instanz vorbringen müssen. Er sei im selbständigen Beweisverfahren und im Rahmen der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen vor dem Landgericht zum Sachverständigengutachten gehört worden, ohne Einwendungen vorzubringen. Er habe keine Gründe vorgebracht, weshalb die Überprüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch einen Privatgutachter während des Laufs des erstinstanzlichen Verfahrens nicht möglich gewesen sei.

III.

6
Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft angenommen, der Beklagte sei mit Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten in der Berufungsinstanz gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen , die auf dem nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingeholten Privatgutachten beruhen. Damit hat es zugleich in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
7
1. Die vom Beklagten in der Berufungsinstanz unter Hinweis auf das nachträglich eingeholte Privatgutachten erhobenen Einwendungen sind nicht als neues Angriffsmittel im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu bewerten. Um neues Vorbringen handelt es sich, wenn dieses sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, nicht jedoch, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333, vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251 und vom 26. Juni 2003 - VII ZR 281/02, BauR 2003, 1559 = ZfBR 2003, 686 = NZBau 2003, 560 m.w.N.).
8
Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten keine in diesem Sinne neuen Einwendungen erhoben, sondern sein erstinstanzliches Vorbringen lediglich ergänzt und erläutert. Er hat in erster Instanz beanstandet, dass die gelieferte Klappbahn nicht den Vorgaben der Ausschreibung entspreche und die aufgetretenen Mängel auf Verarbeitungsfehler der mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Firma M. zurückzuführen seien. In der Berufungsinstanz hat er unter Bezugnahme auf die Ausführungen des von ihm beauftragten Privatgutachters die Art der Verarbeitungsfehler im Einzelnen dargelegt sowie die Umstände bezeichnet, die die Annahme nahe legen, dass für die Sanierung fehlerhaftes und nicht dem Leistungsverzeichnis entsprechendes Material verwendet worden ist.
9
2. Im Übrigen durfte das Berufungsgericht die vorgebrachten Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten schon deshalb nicht als verspätet zurückweisen, weil dem Beklagten keine Nachlässigkeit zur Last fällt (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
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Eine Partei ist nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 335; vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 253 und vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02, NJW 2003, 1400). Dieser Grundsatz findet außer bei medizinischen Fachfragen auch bei Fallgestaltungen Anwendung, in denen ein Erfolg versprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 aaO.). Der Beklagte war danach nicht gehalten, gehalten, zur Erhebung fachlich fundierter Einwendungen bereits in erster Instanz einen privaten Sachverständigen zu beauftragen. Die Ermittlung der Umstände , die für den Mangel ursächlich gewesen sind, erfordert besonderes Fachwissen, das sich eine Partei in der Regel nur durch Hinzuziehung eines Sachverständigen verschaffen kann. Eine Partei ist auch dann nicht gehindert, sich zur Ergänzung ihres Sachvortrags eines anerkannten Sachverständigen zu bedienen, wenn sie selbst über Fachkenntnisse verfügt.
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3. Der in der unzulässigen Zurückweisung des Vorbringens liegende Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat sich mit den auf das Privatgutachten gestützten Einwendungen des Beklagten nicht auseinandergesetzt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es anders entschieden hätte, wenn es die vom Beklagten in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen berücksichtigt hätte. Dressler Haß Hausmann Wiebel Kniffka
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 27.04.2005 - 9 O 457/04 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.11.2005 - 3 U 113/05 -

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.

(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.

(3) Verspätete Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und auf die der Beklagte verzichten kann, sind nur zuzulassen, wenn der Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 3 ist der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

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2. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Sen.Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407, 411 - Fahrzeugleitsystem; Benkard /Melullis, EPÜ, Art. 54 Rdn. 54; PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 20 f.). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. In der Rechtsprechung des Senats und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts wird dies auch dahin ausgedrückt, dass maßgeblich ist, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist (BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Sen.Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Sen.Urt. v. 30.1.2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Tz. 17 - Betonstraßenfertiger; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE; s. dazu auch Benkard/Melullis, EPÜ aaO Rdn. 59; Rogge, GRUR 1996, 931, 934).

(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.