Bundesgerichtshof Urteil, 12. Jan. 2017 - X ZR 20/15

bei uns veröffentlicht am12.01.2017
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 15/13, 04.12.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 20/15 Verkündet am:
12. Januar 2017
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2017:120117UXZR20.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2017 durch die Richter Dr. Bacher, Dr. Grabinski und Hoffmann, die Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Dezember 2014 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das europäische Patent 1 010 036 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält und sich die Patentansprüche 2, 3, 7, 8, 9 und 11 auf Patentanspruch 1 in dieser Fassung unmittelbar oder mittelbar rückbeziehen: "1. An encapsulated electrophoretic display having a viewed surface and a rear surface and comprising a polymer matrix having fluid-containing cavities, wherein the cavities are nonspherical in shape, characterised by the cavities having the aspect ratio of width to height greater than 1.2, and wherein the electrophoretic display comprises particles that are translated by application of an electric field." Die Klägerin trägt 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des am 27. August 1998 unter Inanspruch1 nahme von dreißig US-amerikanischen Prioritätsanmeldungen aus dem Zeitraum vom 28. August 1997 bis zum 5. März 1998 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 010 036 (Streitpatent). Von den insgesamt siebzehn Patentansprüchen des Streitpatents wer2 den mit der Nichtigkeitsklage der Klägerin der selbständige Patentanspruch 1 und die auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2, 3, 7 bis 9 und 11 angegriffen. Patentanspruch 1 hat in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "1. An encapsulated electrophoretic display having a viewed surface and a rear surface and comprising a polymer matrix having fluid-containing cavities, wherein the cavities are nonspherical in shape, characterised by the cavities having the aspect ratio of width to height greater than 1.2." Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei
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im angegriffenen Umfang nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinaus. Zudem fehle es im Hinblick auf die Erfindung nach Patentanspruch 9 an einer ausführbaren Offenbarung. Die Beklagte hat das Streitpatent im erteilten Umfang sowie im Umfang von vier Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent - soweit angegriffen - für nichtig erklärt. Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent weiterhin mit den erstinstanzlich gestellten Anträgen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

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Die zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.
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I. Das Streitpatent betrifft gekapselte elektrophoretische Anzeigen, wie sie etwa für E-Book-Reader verwendet werden. 1. Nach den Erläuterungen in der Streitpatentschrift verfügen diese ver6 glichen mit Flüssigkeitskristallen über die Eigenschaften einer guten Helligkeit, eines guten Kontrasts, weiter Betrachtungswinkel, einer Zustandsstabilität und eines niedrigen Leistungsverbrauchs. Dennoch hätten Probleme hinsichtlich der Langzeit-Bildqualität ihre weitverbreitete Verwendung verhindert (Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 2). Eine gekapselte elektrophoretische Anzeige bestehe üblicherweise aus
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Kapseln mit elektrophoretischen Teilchen, welche sich in einem Bindemittel zwischen zwei Elektroden befänden. Die Kapselmembranen könnten nützliche Oberflächenwechselwirkungen mit den elektrophoretischen Teilchen bilden oder als eine inerte physikalische Grenze zwischen dem Fluid und dem Bindemittel wirken (Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 5). Das elektrophoretische Fluid könne auch direkt in das Bindemittel dispergiert oder emulgiert werden, um eine "polymerdispergierte elektrophoretische Anzeige" zu bilden. Obwohl bei solchen Anzeigen keine Kapselmembran vorhanden sei, könnten die einzelnen elektrophoretischen Phasen als Kapseln bezeichnet werden (Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 6). Aus dem Stand der Technik seien gekapselte elektrophoretische Anzei8 gen mit einer betrachteten Oberfläche und einer rückwärtigen Oberfläche bekannt , die eine Polymermatrix mit Fluid enthaltenden Hohlräumen aufwiesen, wobei die Hohlräume nach der Offenbarung in der WO 97/50071 A1 (NK6) nicht kugelförmig seien (Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 22).
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2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das technische Problem zugrunde, die Bildqualität bei gekapselten elektrophoretischen Anzeigen dauerhaft zu verbessern. Das soll nach Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung durch folgendes Erzeugnis erreicht werden: 1.1 Gekapselte elektrophoretische Anzeige 1.2 mit einer betrachteten Oberfläche und einer rückwärtigen Oberfläche, 1.3 die eine Polymermatrix mit Hohlräumen aufweist, 1.4 wobei die Hohlräume 1.4a ein Fluid enthalten, 1.4b nicht kugelförmig sind und 1.4c ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe (aspect ratio) von mehr als 1,2 haben. 3. Mit dem Patentgericht ist als Fachmann ein Physiker oder Ingenieur
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mit Universitätsabschluss der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Anzeigetechnik und dabei insbesondere der Anzeigetechnik anzusehen, der bei Bedarf mit einem Chemiker zusammenarbeitet.
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4. Gegenstand von Patentanspruch 1 ist eine elektrophoretische Anzeige.
a) Nach den Erläuterungen in der Beschreibung werden bei einer elek12 trophoretischen Anzeige zumindest einige der Teilchen durch das Anlegen elektrischer Felder bewegt oder gedreht (Streitpatent und deutsche Übersetzung , Abs. 9), wobei die Beweglichkeit in manchen Fällen null sein oder in der Nähe von null liegen könne, sich die Teilchen also nicht bewegten (Streitpatent, Abs. 70 = deutsche Übersetzung, Abs. 89). Von dem erfindungsgemäßen Begriff einer elektrophoretischen Anzeige werden damit auch Anzeigen erfasst, bei denen die Teilchen so orientiert werden, dass Licht durch die Kapsel hindurchtreten kann, wie es auch in einem erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiel beschrieben ist (Streitpatent, Abs. 35 = deutsche Übersetzung, Abs. 54; vgl. auch Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 10).
b) Nach Merkmal 1.1. ist die elektrophoretische Anzeige gekapselt. Diese
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Vorgabe wird in den Merkmalen 1.3 und 1.4a und 1.4b dahin ergänzt, dass die (zwischen einer betrachteten und einer rückwärtigen Oberfläche angeordnete) Polymermatrix Hohlräume aufweisen soll, die ein Fluid enthalten und nicht kugelförmig sind. Die ein Fluid enthaltenden Hohlräume sollen nach der Beschreibung nicht kugelförmig sein, da dies vielfach zu optischen Verlusten führe, die infolge der Absorption oder der Streuung durch die Kapselmaterialien und des Bindemittels bei gekapselten Anzeigen aufträten (Streitpatent, Abs. 56 = deutsche Übersetzung, Abs. 75). Das bedeutet jedoch nicht, dass unter den erfindungsgemäßen Begriff der nicht-kugelförmigen Hohlräume allein Hohlräume mit der Form einer abgeflachten Kugel subsumiert werden können. Zwar ist es nach der Beschreibung im Hinblick auf die Kapselform "wünschenswert",wenn der Oberteil der Mikrokapsel eine flache Oberfläche aufweist. Die Kapsel könne eine etwas abgeflachte Kugel, eine stark abgeflachte Kugel, im Wesentlichen zylinderförmig oder ein mehrere Facetten aufweisendes Polyeder sein (Streitpatent , Abs. 56 = deutsche Übersetzung, Abs. 75). Keine dieser nicht-kugelförmigen Ausgestaltungsmöglichkeiten ist aber als zwingende Anforderung in die Lehre des Patentanspruchs 1 aufgenommen worden.
c) Merkmal 1.4c schreibt vor, dass die Hohlräume ein Längenverhältnis
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der Breite zur Höhe (aspect ratio) von mehr als 1,2 haben, und betrifft damit das Mindestlängenverhältnis der Hohlräume in zwei senkrecht aufeinander stehen- den Richtungen. Merkmal 1.4c ergänzt die Vorgaben des Merkmals 1.4b hinsichtlich der Form der Hohlräume. Weder der Patentanspruch noch die Beschreibung enthalten Angaben dazu, in welcher Richtung die Höhe und die Breite der Hohlräume zu messen sind. Soweit die Beklagte demgegenüber der Lehre aus Patentanspruch 1 ei15 ne Ausrichtung der Hohlräume dahingehend entnehmen will, dass deren Höhe zwischen der betrachteten und der rückwärtigen Oberfläche verlaufe und deren Breite parallel zur betrachteten Oberfläche ausgerichtet sei, kann ihr nicht beigetreten werden. In der Beschreibung wird zwar darauf hingewiesen, dass sich viele der optischen Verluste, die bei gekapselten elektrophoretischen Anzeigen infolge der Absorption oder der Streuung durch die Kapselmaterialien und des Bindemittels auftreten, aus den kugelförmigen Hohlräumen ergäben, weshalb es vorteilhaft sei, ein dicht gepacktes Feld nicht-kugelförmiger Hohlräume bereitzustellen (Streitpatent, Abs. 56 = deutsche Übersetzung, Abs. 75). Über eine besondere Ausrichtung der entsprechend erfindungsgemäß vorgesehenen, nicht-kugelförmigen und ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 aufweisenden Hohlräume verhält sich die Beschreibung jedoch nicht. Diesem Verständnis stehen auch nicht die Erläuterungen des Sachver16 ständigen der Beklagten, Professor A. , zu dem in Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache verwendeten Begriff der "aspect ratio" entgegen. Insoweit mag es sein, dass bei Ausübung des im Streitpatent beschriebenen und in Patentanspruch 12 unter Schutz gestellten Herstellungsverfahrens durch eine auf das Bindemittel angewendete mechanische Kraft die gekapselte Phase nicht nur zu nicht-kugelförmigen Hohlräumen gezogen wird, sondern dies auch zwangsläufig dazu führt, dass die Flüssigkeitströpfchen parallel zur Oberfläche ausgerichtet werden (HE 4, zur Frage 2). Als Erzeugnisanspruch ist Patentanspruch 1 aber nicht auf gekapselte elektrophoretische Anzeigen beschränkt, die nach dem in Patentanspruch 12 unter Schutz gestellten Verfahren hergestellt worden sind (zu weiteren Herstellungsverfahren vgl. Streitpatent Abs. 20 und 81 f. = deutsche Übersetzung, Abs. 20 und 100 f.), so dass der Fachmann entsprechende Folgerungen auch nicht aus dem in Patentanspruch 1 verwendeten Begriff der "aspect ratio" abgeleitet hätte.
d) Zutreffend hat das Patentgericht des Weiteren ausgeführt, dass nach
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Patentanspruch 1 nicht ausgeschlossen wird, dass die erfindungsgemäße elektrophoretische Anzeige neben nicht-kugelförmigen Hohlräumen mit einem Längenverhältnis von Breite zu Höhe von mehr als 1,2 auch kugelförmige oder nicht-nichtkugelförmige mit einem geringeren Längenverhältnis aufweist. Ob die Lehre aus Patentanspruch 1 darüber hinaus auch dahin zu verstehen ist, dass die Polymermatrix - entgegen den Ausführungen im Urteil des Patentgerichts - mehr als zwei entsprechend den Merkmalen 1.4a bis 1.4c ausgebildete Hohlräume aufweisen muss (vgl. insoweit auch Streitpatent, Abs. 56 = deutsche Übersetzung, Abs. 75), bedarf mangels Entscheidungsrelevanz keiner abschließenden Beurteilung. II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 we18 gen fehlender erfinderischer Tätigkeit als nicht patentfähig angesehen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die vorveröffentlichte US-amerikanische Patentschrift 5 650 872 (NK1) gestützt. Die NK1 offenbare neben Lichtventilen, bei denen Partikel durch ein
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elektrisches Feld nur ausgerichtet würden, auch elektrophoretische Anzeigen, bei denen sich die Partikel zwischen Elektroden bewegten, was mit "to move" beschrieben werde und immer auch eine Translationsbewegung der Teilchen enthalte. Die in der NK1 offenbarte elektrophoretische Anzeige sei auch gekapselt , da sie geschlossene Hohlräume aufweise, in denen sich ein Fluid befinde. Die gekapselte elektrophoretische Anzeige besitze eine betrachtete und eine rückwärtige Oberfläche. Sie weise eine Polymermatrix mit fluidenthaltenden Hohlräumen auf. Die Tröpfchen bestünden aus einer Suspension, die das Fluid darstelle, welches sich in einem Hohlraum befinde, nämlich dem Volumen, das das Tröpfchen einnehme. Die Hohlräume seien nicht kugelförmig. In den Figuren 5 bis 7 würden
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eindeutig Hohlräume darstellende Tröpfchen gezeigt, welche eine von der Kugelform abweichende Form aufwiesen. Es möge sein, dass beim Erstellen der Figuren 5 bis 7 nicht darauf geachtet worden sei, eine Kugelform zu zeichnen. Dies drücke jedoch ebenso wie die Tatsache, dass die Form der Hohlräume in der Beschreibung nicht erwähnt werde, aus, dass es auf die genaue Form der Hohlräume nicht ankomme und diese auch von der Kugelform abweichen könnten , ohne den Erfolg der in der NK1 offenbarten Erfindung, bei der es sich um einen Herstellungsprozess für anisometrische Partikel und diese verwendende Lichtventile und elektrophoretische Anzeigen handele, in Frage zu stellen. Der Fachmann ergreife deshalb keine Maßnahmen, die eine Kugelform der in der Polymermatrix enthaltenen Hohlräume sicherstellten, zumindest solange die Abweichung von der Kugelform nicht zu groß sei. Ohne solche Maßnahmen erhalte der Fachmann insbesondere im Bereich des Films stets auch Hohlräume , die nicht exakt kugelförmig seien. Da ein Längenverhältnis von Höhe zu Breite von 1,2 keine starke Abwei21 chung von der Kugelform sei, gehe der Fachmann davon aus, dass er Abweichungen in dieser Größenordnung tolerieren könne, soweit er solche nicht bereits in den Figuren 5 bis 7 der NK1 erkenne. Damit werde ihm der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nahegelegt. Auch der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan22 trags 1, der gegenüber der erteilten Fassung das zusätzliche Merkmal aufweise , dass die Partikel bei der Anwendung eines elektrischen Feldes verschoben werden, beruhe auf keiner erfinderischen Tätigkeit. Dieses Merkmal sei bereits in der NK1 bei elektrophoretischen Anzeigen gegeben. Der dort dargestellte Unterschied zwischen Lichtventilen und elektrophoretischen Anzeigen beinhalte gerade, dass bei letzteren auch eine Translationsbewegung stattfinde.
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Ferner sei der Gegenstand von Patentanspruch 1 auch in den Fassungen der weiteren drei Hilfsanträge nicht rechtsbeständig.
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III. Die Begründung des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung nicht stand. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hauptantrags wird durch die NK1 weder offenbart noch nahegelegt. 1. Die NK1 lehrt eine elektrooptische Vorrichtung bestehend aus einer
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aus gegenüberliegenden Zellwänden ausgebildeten Zelle mit einer zwischen den Zellwänden vorgesehenen Lichtmodulationseinheit. Die Lichtmodulationseinheit umfasst in einem Medium suspendierte Teilchen, die anisometrisch geformt sind und eine bestimmte mittlere Korngröße aufweisen (NK1, Sp. 2, Z. 55 ff.), wodurch einem bei Lichtventilen bestehenden Bedarf an einer Suspension ultrafeiner Teilchen abgeholfen werden soll (NK1, Sp. 2, Z. 7 ff.; Z. 33 ff.). Die elektrooptische Vorrichtung kann ein Lichtventil sein, bei dem Suspensionen ausrichtbarer Teilchen verwendet werden, aber auch eine andere Art von Lichtsteuerungsvorrichtung, bei der Teilchensuspensionen genutzt werden, wie elektrophoretische Displays, bei denen sich die Teilchen zwischen Elektroden in einer Zelle bewegen (NK1, Sp. 3, Z. 20 ff.; Sp. 2, Z. 55 ff.). Damit offenbart die NK1 eine elektrophoretische Anzeige im Sinne des
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Merkmals 1 nicht nur im Hinblick auf die genannten elektrophoretischen Displays , sondern auch hinsichtlich der dort aufgeführten Lichtventile, da es nach dem - wie erläutert - weiten Verständnis des Klagepatents für die Verwirklichung dieses Merkmals hinreichend ist, wenn die Teilchen bei der Anzeige so innerhalb der Kapsel orientiert werden, dass Licht durch die Kapsel treten kann. Das ist auch bei den Lichtventilen der NK1 der Fall.
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Die offenbarte elektrophoretische Anzeige verfügt zudem über eine betrachtete und eine rückwärtige Anzeigenoberfläche, wie sie beispielsweise das in Figur 5 der NK1 gezeigte Lichtventil aufweist, wobei eine der beiden Oberflächen als betrachtete und die andere als rückwärtige Oberfläche angesehen werden kann. Die in den Figuren 5, 6 und 7 der NK1 gezeigten elektrophoretischen An28 zeigen (Lichtventile 27) sind mit einem Film (24) ausgestattet, der aus einer Matrix vernetzter Polymere in Form eines transparenten Kunststoffs (25) besteht. In dem Kunststoff sind Hohlräume (droplets) verteilt, die flüssige Teilchen (21) enthaltende Lichtventilsuspension (26) und damit ein Fluid enthalten (NK1, Sp. 4, Z. 22 ff.; Z. 37 ff.; Z. 51 ff.). Dass die Hohlräume nicht durch mittels einer Membran von der Polymermatrix abgetrennte Kapseln gebildet werden, steht einer Offenbarung der Lehre aus Patentanspruch 1 nicht entgegen, da nach der Beschreibung des Streitpatents auch derartige polymerdispergierte elektrophoretische Anzeigen als erfindungsgemäße Kapseln anzusehen sind (vgl. Streitpatent , Abs. 6). Aus der NK1 geht jedoch nicht hervor, dass die Hohlräume ein Längen29 verhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 haben. In den Figuren 5 bis 7 sind die Hohlräume (droplets) zwar nicht exakt kugelförmig gezeichnet. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich um eine schematische Darstellung des Aufbaus der Lichtventile im Querschnitt handelt. Es findet sich kein Anhalt dafür, dass es für das jeweils dargestellte Ausführungsbeispiel darauf ankommt, dass die Hohlräume nicht-kugelförmig ausgestaltet sind. Selbst wenn dennoch mit dem Patentgericht angenommen wird, dass der Fachmann den Figuren 5 bis 7 entnimmt, dass es nicht erheblich ist, ob die Hohlräume kugelförmig oder nicht-kugelförmig ausgestaltet sind und damit auch letztere offenbart sind, fehlt es jedenfalls an einer Offenbarung eines Längenverhältnisses der Breite zur Höhe von 1,2. Der Hinweis des Patentgerichts, der Fachmann könne erkennen, dass er Abweichungen von der Kugelform in dieser geringen Größenordnung tolerieren könne, reicht insoweit nicht, weil es sich um eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen des Fachmanns handeln würde (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 27 - Olanzapin

).

Der Klägerin kann auch nicht darin beigetreten werden, dass der Fach30 mann bei Nacharbeitung der in NK1 beschriebenen Lehre bei den Hohlräumen (droplets) zwangsläufig zu dem in Merkmal 1.4c geforderten Längenverhältnis von Breite zu Höhe gekommen und dieses damit als intrinsische Eigenschaft offenbart wäre. Hinsichtlich der Herstellung des die vernetzte Polymermatrix (25) enthaltenden Films (24) wird in der NK1 auf die PCT-Anmeldung WO 93/09460 (NK10) verwiesen. Aus der NK10 geht hervor, dass Polymermatrix etwa durch Wärmebehandlung oder UV-Licht quervernetzt wird (NK10, Ausführungsbeispiele 1 und 13, S. 30 f.; 37 f.). Wie durch das Gutachten von Professor A. und den darin in Bezug genommenen Fachbeitrag von Davankov und Tsyurupa (Vadim Davankov, Maria P. Tsyurupa, Hypercrosslinked Polymeric Networks and Adsorbing Materials: Synthesis, Properties, Structure and Application, Elsevier 2010, S. 246; HE4) belegt wird, führt eine Vernetzung von Polymeren jedoch im Allgemeinen nicht zu einer Erhöhung der Dichte und daraus folgend einem Schrumpfen, das die Hohlräume beeinflussen könnte. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen in der Streit31 patentschrift, wonach eine polymerdispergierte elektrophoretische Anzeige ähnlich wie eine polymerdispergierte Flüssigkristallanzeige auch derart hergestellt werde könne, dass während des Trocknens und Härtens des Bindemittels die gekapselte Phase in nicht-kugelförmige Hohlräume gezogen werde (Streitpatent , Abs. 62 = deutsche Übersetzung, Abs. 81), da darin die näheren Verfahrensparameter offen gelassen werden, insbesondere ob als Bindemittel - wie es im folgenden Absatz der Streitpatentschrift erwähnt wird (Streitpatent, Abs. 63 =
deutsche Übersetzung, Abs. 82) - ein wässriges Verdampfungsbindemittel verwendet wurde, das zu einem Schrumpfen des Polymers und dadurch zu einer nichtkugelförmigen Verformung der gekapselten Phasen geführt hat. Im Übrigen sollen die gekapselten Phasen zwar in nicht-kugelförmige Hohlräume gezogen worden sein; dass diese darüber hinaus auch ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 gehabt haben, ist den genannten Ausführungen aber nicht zu entnehmen. Dem steht auch nicht entgegen, dass in einem Fachbeitrag von Drzaic
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(Paul S. Drzaic, Liquid Crystal Dispersions, World Scientific Publishing Co. Pte. Ltd, Singapur, 1995, S. 26 ff.; NK8) von einem Schrumpfen der Polymermatrix und einer daraus resultierenden Verformung eines signifikanten Teils der Mikrokapseln mit einem Längenverhältnis von Breite zu Höhe von mehr als 1,2 berichtet wird. Denn dabei wurde ein wässriges Verdampfungsbindemittel eingesetzt , nach dessen Trocknung die abgeflachte Form der Mikrokapseln entstand (NK8, 26). Die Verwendung eines solchen Verdampfungsbindemittels wird jedoch weder in der NK1 noch in der NK10 gelehrt, so dass die Ergebnisse der NK8 nicht als zwangsläufige Folge einer Nacharbeitung der dort offenbarten Lehre übertragen werden können. 2. Ausgehend von dem Offenbarungsgehalt der NK1 war es entgegen
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den Ausführungen des Patentgerichts für den Fachmann auch nicht naheliegend , Hohlräume mit einem Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 vorzusehen. Es mag sein, dass dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens Herstellungsverfahren wie der Einsatz eines Verdampfungsbindemittels zur Verfügung standen, mit denen er derart geformte fluidenthaltende Hohlräume in der Polymermatrix herstellen konnte. Es ist aber auf Grundlage der Feststellungen des Patentgerichts kein Anlass erkennbar, weshalb der Fachmann bei Ausführung der NK1 eine solche Form hätte anstreben sollen.
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IV. Soweit im Urteil des Patentgerichts über den Hauptantrag der Beklagten erkannt wurde, stellt sich dieses jedoch im Ergebnis als richtig dar. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist im Hinblick auf im Urteil des Patentgerichts nicht berücksichtigten Stand der Technik nicht patentfähig. 1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptan35 trags wurde dem Fachmann jedoch nicht durch die PCT-Anmeldung 98/19208 (NK11) offenbart oder nahegelegt.
a) Die NK11 ist zwar ein nach § 117 PatG i.V.m. § 531 Abs. 2 Satz 1
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Nr. 3 ZPO zulässiges Angriffsmittel, obwohl sie von der Klägerin erst mit der Berufungserwiderung vorgelegt worden und deshalb neu ist. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Nichtigkeitskläger grundsätzlich nicht gehalten , den Angriff gegen die Patentfähigkeit auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen, wenn das Patentgericht in seinem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis erkennen lässt, dass es dessen Argumentation in einem bestimmten Punkt für zutreffend erachtet (BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 = GRUR 2012, 1236 Rn. 38 - Fahrzeugwechselstromgenerator; Urteil vom 28. Mai 2013 - X ZR 21/12, GRUR 2013, 912 Rn. 71 - Walzstraße). Im Streitfall hat das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG nach vorläufiger Beurteilung die Lehre aus Patentanspruch 1 im Hinblick auf die NK1 und die NK6 für nicht neu und im Hinblick auf die NK3 sowie fachmännisches Wissen für nicht naheliegend erachtet. Danach beruht es nicht auf einer Nachlässigkeit, dass die Klägerin davon abgesehen hat, die NK11 als weitere Entgegenhaltung bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzulegen.
b) Die am 17. Oktober 1997 eingereichte und am 7. Mai 1998 veröffent37 lichte PCT-Anmeldung NK11 ist auch als Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu berücksichtigen. Der Zeitrang des Streitpatents wird jedenfalls hinsichtlich des Gegen- stands aus Patentanspruch 1 und der auf diesen rückbezogenen Unteransprüche erst durch den Tag seiner Anmeldung am 28. August 1998 bestimmt. Als Anmeldetag gilt nicht bereits der Tag der Anmeldung einer der zehn von dem Streitpatent beanspruchten und vor dem 17. Oktober 1997 eingereichten Prioritätsanmeldungen (Art. 89 EPÜ). Die Beklagte hat nach Bestreiten der Klägerin und einem richterlichem Hinweis nicht dargetan und es ist auch sonst nicht ersichtlich , dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in einer dieser Prioritätsanmeldungen als zur Erfindung gehörend offenbart worden ist (Art. 87 Abs. 1 EPÜ).
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in der NK11 jedoch nicht of38 fenbart. Die Entgegenhaltung lehrt zwar eine gekapselte elektrophoretische Anzeige mit einer betrachteten und einer rückseitigen Oberfläche, die eine Polymermatrix mit fluidenthaltenden Hohlräumen aufweist (NK11, S. 3, Z. 10 ff.; S. 4, Z. 4 ff., 16 ff.; Figuren 1a und 1b; Anspruch 1), die nicht kugelförmig sein können (NK11, S. 7, Z. 6 ff.). Es wird jedoch weder beschrieben noch gezeigt, dass die Hohlräume ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 haben sollen. Die Klägerin meint allerdings, dass dieses Längenverhältnis eine intrinsi39 sche Eigenschaft der in der NK11 offenbarten Mikrokapseln sei. Die in der NK11 vorgeschlagene Verwendung von PVA (Polyvenylalkohol) als Polymermatrix führe nach NK8 zwangsläufig beim Aushärten auf einer ebenen Fläche zur Schrumpfung des PVA-Films. Da darin die flexiblen Mikrokapseln enthalten seien, würden sie identisch zu Figur 2.6 der NK8 verformt und wiesen eine Verteilung der Längenverhältnisse der Breite zur Höhe wie in Figur 2.7 der NK8 und damit von mehr als 1,2 auf.
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Dem kann nicht beigetreten werden. Nach den Angaben der NK8 ist die Polymermatrix mit den fluidenthaltenden Hohlräumen (droplets) durch Emulgie- ren der Mikrokapseln in PVA als Verdampfungsbindemittel entstanden. Das unterscheidet sich von den in NK11 offenbarten Herstellungsverfahren. Danach werden zunächst Kapselungsverfahren, wie das Koazervations41 verfahren mit Gelatine oder Gummiarabikum (NK11, S. 7, Z. 19 ff. - sog. erster Ansatz), das Grenzflächen-Polymerisationsverfahren (NK11, S. 7, Z. 32 ff. - sog. zweiter Ansatz), die "In-situ"-Polymerisation (NK11, S. 8, Z. 10 ff. - sog. dritter Ansatz) und das Koazervationsverfahren mit Gelatine oder Gummiarabikum nach dem US-amerikanischen Patent 3 585 381 (NK11, S. 8, Z. 30 ff. - sog. fünfter Ansatz) aufgeführt. Im Hinblick auf die nach diesen Verfahren gefertigten fluidenthaltenden Mikrokapseln wird dann im Hinblick auf das in Figur 1B der NK11 gezeigte Ausführungsbeispiel ausgeführt, dass selbige in der Polymermatrix einer elektrophoretischen Anzeige immobilisiert werden könnten, wobei als mögliche Bindemittel PVA, Gelatine, Epoxy- oder andere Harze genannt werden (NK11, S. 7, Z. 19 ff.; S. 10, Z. 25 ff.). Auch wenn der Fachmann sich danach von den genannten Bindemittel gerade für PVA entschieden hätte, heben sich die genannten "Ansätze" von dem sich aus der NK8 ergebenden Herstellungsverfahren jedenfalls dadurch ab, dass die Mikrokapseln nicht in die Polymermatrix emulgiert, sondern als fertige Kapseln eingebracht werden. Dass die Ergebnisse der NK8 dennoch auf die vier "Ansätze" übertragen werden können, ist von der Klägerin nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Soweit in der NK11 darüber hinaus auf die Möglichkeit einer direkten
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Emulsion der elektrophoretischen Flüssigkeit ohne eine Verkapselung in die Polymermatrix hingewiesen wird (NK11, S. 11, Zeilen 11 ff.; sog. vierter Ansatz ), fehlt es nicht nur an einem Hinweis, dass diese Möglichkeit gegenüber den immobilisierten Mikrokapseln bevorzugt sei, sondern vor allem an einer Anregung, PVA aus der Gruppe der vier in der NK11 genannten Bindemittel zu wählen und überdies als Schrumpfungsbindemittel einzusetzen, um eine Vergleichbarkeit mit dem in NK8 offenbarten Herstellungsverfahren zu begründen. Dass bei einer direkten Emulsion der elektrophoretischen Flüssigkeit in die Polymermatrix die Vernetzung nicht ohne weiteres zu einer Ausbildung von Hohlräumen mit einem Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 führt, ist bereits im Zusammenhang mit der NK1 erläutert worden und gilt insoweit für die NK11 gleichermaßen.
d) Für den Fachmann lag die Ausbildung derartiger Hohlräume auch
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nicht nahe. Zwar hat die Klägerin in der Verhandlung darauf hingewiesen, dass dem Fachmann in der NK11 Gelatine als sowohl für die Bildung der Kapseln im Koazervationsverfahren als auch für die Bildung der Polymermatrix geeignetes Material offenbart werde und diesem aufgrund seines Fachwissens bekannt sei, dass es sich bei Gelatine um ein Schrumpfungsbindemittel handele. Daraus folgt jedoch noch keine Anregung, auf die Verkapselung zu verzichten und die Hohlräume unmittelbar in der Gelatinematrix zu bilden, zumal es sich bei Gelatine nur um eines von mehreren Materialien handelt, die dem Fachmann im Zusammenhang mit der Verkapselung nach dem Koazervationsverfahren und der Bildung der Polymermatrix genannt werden (vgl. NK11, S. 11, Z. 3 f.).
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2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wurde dem Fachmann auch nicht durch die am 12. März 1998 angemeldete und am 24. September 1998 veröffentlichte PCT-Anmeldung 98/41899 (NK12) offenbart.
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a) Obwohl die NK12, wie die NK11, erst mit der Berufungserwiderung vorgelegt worden ist, handelt es sich auch bei dieser Entgegenhaltung aus den genannten Gründen um ein nach § 117 PatG i.V.m. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zulässiges Angriffsmittel.
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b) Die NK12 ist überdies nach § 54 Abs. 3 EPÜ für die Neuheitsprüfung zu berücksichtigen, da das am 27. August 1998 angemeldete Streitpatent die Prioritäten aus den dreißig in Anspruch genommenen und vor dem 12. März 1998 eingereichten Prioritätsanmeldungen hinsichtlich des Gegenstands von Patentanspruch 1 - entsprechend den obigen Erläuterungen - nicht wirksam in Anspruch nehmen kann.
c) Der NK12 ist eine gekapselte elektrophoretische Anzeige nach Maß47 gabe der Merkmale 1.1 bis 1.4b zu entnehmen (vgl. NK12, S. 3, Z. 11 ff., 17 ff.; S. 22, Z. 27 ff.; S. 23, Z. 14 ff.; Figur 7E). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist Merkmal 1.4c in der - am Ende dieses Absatzes wiedergegebenen - Figur 7E der NK12 aber nicht gezeigt. Die Zeichnung soll die Ausführungen in der Beschreibung der NK12 illustrieren, wonach die Wände der Mikrokapseln (320) entweder chemisch entfestigt oder einem Druck ausgesetzt sein können, um sich präzise in lineare Begrenzungen einzufügen. Dass es insoweit bei den Mikrokapseln auf das Längenverhältnis der Breite zur Höhe ankommt und dieses über 1,2 ist, ergibt sich daraus nicht.


Merkmal 1.4c wird schließlich auch nicht als intrinsische Eigenschaft in
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der NK12 offenbart. Der Einsatz wässriger Verdampfungsbindemittel wird zwar als alternativer Träger zu photo-, thermisch oder chemisch härtbaren Trägern für die Dispersion der bereits fertigen Mikrokapseln genannt. Selbst wenn der Fachmann sich bei dieser Auswahl für das wässrige Verdampfungsmittel entscheiden sollte, ist damit aber noch nicht notwendigerweise für die Hohlräume ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe von 1,2 erreicht. Nach dem Offenbarungsgehalt der NK12 kommt es vielmehr darauf an, dass sich die chemisch entfestigten oder einem Druck ausgesetzten Wände der Mikrokapseln (320) - wie in Figur 7E gezeigt - präzise in lineare Grenzen einpassen, so dass das Öffnungsverhältnis (d.h. der prozentuale Anteil der betrachteten Oberfläche, der tatsächlich durch das Kontrastmitteln eingenommen wird) durch Verringerung der Lücken zwischen den Mikrokugeln erhöht (NK12, S. 23, Z. 14 ff.). Daraus resultiert das in Merkmal 1.4c geforderte Längenverhältnis der Hohlräume aber nicht notwendigerweise. 3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents wurde dem
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Fachmann jedoch durch die am 25. Juni 1997 angemeldete und am 31. Dezember 1997 veröffentlichte PCT-Anmeldung WO 97/50071 (NK6) zumindest nahegelegt.
a) Die NK6 ist als Stand der Technik auch für die Prüfung der erfinderi50 schen Tätigkeit nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ zu berücksichtigen, da das am 27. August 1998 angemeldete Streitpatent die Prioritäten aus den neunzehn in Anspruch genommenen und vor dem 31. Dezember 1997 angemeldeten Prioritätsanmeldungen hinsichtlich des Gegenstands von Patentanspruch 1 nicht wirksam in Anspruch nehmen kann.
b) Die NK6 lehrt eine Gyricon-Anzeige, die eine Polymermatrix (substrate
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32) mit fluidenthaltenden Hohlräumen (cavities 32) aufweist. In den Hohlräumen ist jeweils ein zylinderförmiges schwarz-weißes Element (31) angeordnet, das sich aufgrund des Dipols bei Anlegen eines elektrischen Feldes um seine Längsachse rotierend ausrichtet, so dass sich einem Betrachter entweder seine weiße oder seine schwarze Fläche zuwendet. Die Größe der nicht-kugelförmigen Hohlräume entspricht in etwa der Größe der drehbaren Zylinder, so dass diese daran gehindert werden, sich um ihre Mittelachse zu drehen (vgl. NK6, S. 7, Z. 11 ff.; S. 9, Z. 19 ff.), wie es beispielsweise in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 3 und 5A gezeigt wird.


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Damit offenbart die NK6 auch eine gekapselte elektrophoretische Anzeige nach den Merkmalen 1.1 bis 1.4b. Wie dargelegt, fallen auch Anzeigen, bei denen die Teilchen durch das Anlegen eines elektrischen Feldes gedreht und nicht translatorisch bewegt werden unter den erfindungsgemäßen Begriff einer elektrophoretischen Anzeige (vgl. Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 9). In der Streitpatentschrift wird sogar ausdrücklich erwähnt, dass in der NK6 "eine gekapselte elektrophoretische Anzeige" offenbart werde (Streitpatent und deutsche Übersetzung, Abs. 22). Ob darüber hinaus auch das Merkmal 1.4c in der NK6 offenbart ist, be53 darf keiner abschließenden Entscheidung, da es jedenfalls für den Fachmann naheliegend war. In der NK6 wird unter Bezugnahme auf ein in - der nachfolgend wiedergegebenen - Figur 9 der NK6 aus der Draufsicht gezeigtes Gyricon Display ausgeführt, dass bei einer alternativen Ausführungsform das Längenverhältnis der Breite zur Höhe der Zylinder größer als 1:1 sei (NK6, S. 11, Z. 29 ff.: "… an alternative embodiment in which the aspect ratio of the cylinders 91 is greater than 1:1."). Dass damit auch Hohlräume mit einem Längenverhältnis der Breite zur Höhe der Zylinder von größer 1,2 gemeint sind, deutet sich für den Fachmann durch die nachfolgende Angabe in der NK6 an, dass diese alternative Ausführungsform etwa in Situationen nützlich sein könne, in denen verschiedene Display-Auflösungen in der x- und y-Richtung erwünscht seien, wie zum Bei- spiel ein Display mit einer Auflösung 1.200 mal 300 Dots pro Inch (NK6, S. 11, Z. 32 ff.), was bei dicht gepackten Hohlräumen zu einem Längenverhältnis von annähernd 1:4 führen würde. Wird zudem berücksichtigt, dass in der NK6 nicht nur vorgeschlagen wird, die Hohlräume möglichst so auszugestalten, dass die Zylinder diese nahezu ausfüllen, sondern zur Verbesserung der Helligkeit und des Reflexionsgrades des Displays darüber hinaus empfohlen wird, die Hohlraumwände möglichst dünn zu gestalten, damit die Zylinder möglichst dicht zueinander angeordnet werden können (NK6, S. 9, Z. 19 ff.; S. 10, Z. 9 ff.; S. 13, Z. 24 ff.), ist ein Längenverhältnis der Breite zur Höhe der Hohlräume von größer 1,2 für den Fachmann wenn nicht bereits offenbart, dann doch zumindest aufgrund seiner Fachkenntnisse auffindbar und damit naheliegend. 4. Die Beklagte hat einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der von
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der Klägerin mit ihrer Nichtigkeitsklage neben Patentanspruch 1 angegriffenen und auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2, 3, 7, 8, 9 und 11 nicht geltend gemacht, so diese ebenfalls als dem Fachmann nahegelegt und damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen sind.
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V. Auf Grundlage des ersten Hilfsantrags 1 der Beklagten stellt sich das Urteil des Patentgerichts aber auch im Ergebnis nicht als richtig dar. 1. Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 weist im Vergleich
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mit der Fassung des Hauptantrags das weitere Merkmal auf, dass die elektrophoretische Anzeige Partikel umfasst, die bei der Anwendung eines elektrischen Feldes verschoben werden (The electrophoretic display comprises partic- les that are translated by application of an electric field.). Der Fachmann versteht dieses Merkmal im Kontext der Lehre aus Patentanspruch 1 und unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen des Streitpatents dahingehend , dass diese Partikel bei Anlegen eines elektrischen Feldes eine Translationsbewegung ausführen und eine Rotationsbewegung keine derartige erfindungsgemäße Translationsbewegung ist (vgl. Streitpatent, Abs. 9, 51, 53 und 54). 2. Patentanspruch 1 ist in dieser Fassung zulässig. Sein Gegenstand
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geht insbesondere nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung WO 99/10767 (N2) hinaus. In der ursprünglichen Anmeldung wird erläutert, dass bei elektrophoretischen Anzeigen zumindest einige Teilchen durch das Anlegen elektrischer Felder bewegt oder gedreht werden (N2, S. 3, Z. 10 f.), was "gekapselte" elektrophoretische Anzeigen entsprechend Patentanspruch 1 des Streitpatents miteinschließt (vgl. N2, S. 9, Z. 21 f.). Unter einer Bewegung der Teilchen versteht der Fachmann eine elektrophoretische Translationsbewegung und grenzt diese gegenüber einer Ausrichtung der Teilchen durch eine Rotationsbewegung ab, so wie ihm dies etwa auch im Hinblick auf die zeichnerischen Darstellungen in den Figuren 1 (Translationsbewegung) und 2 (Rotationsbewegung ) der ursprünglichen Anmeldung erläutert wird (N2, S. 10, Z. 3 ff.; Z. 9 ff.). 3. a) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wird dem Fachmann durch
58
die NK6 nicht nahegelegt. Wie ausgeführt, wird in der NK6 allein eine GyriconAnzeige mit fluidenthaltenden Hohlräumen in einer Polymermatrix beschrieben, in denen jeweils ein zylinderförmiges schwarz-weißes Element angeordnet ist, das sich bei Anlegen eines elektrischen Feldes um seine Längsachse rotierend ausrichte. Es fehlt damit an einer Offenbarung von Partikeln, die bei der Anwendung eines elektrischen Feldes im Sinne einer Translationsbewegung "verschoben" werden. Derartige Partikel vorzusehen, war für den Fachmann ausgehend von
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der NK6 aber auch nicht nahegelegt. Zwar wird in der NK6 ausgeführt, dass im Allgemeinen ein dünneres Display, wie etwa ein Monoschicht-Display mit nur einer Schicht von in Hohlräumen einer Polymermatrix angeordneten, aneinandergereihten schwarz-weißen Zylindern (vgl. NK6, Figuren 5A und 5B sowie die Erläuterungen zum Monoschicht-Aufbau in NK6, S. 9, Z. 12 ff.), einem dickeren Display, wie insbesondere einem Display mit zwei derartiger Schichten (vgl. NK6, Figur 6), vorzuziehen sei, weil ein dünneres Display mit niedrigerer Ansteuerspannung arbeiten könne, was eine verbesserte Auflösung aufgrund reduzierter Streufelder zwischen benachbarten schwarzen und weißen Pixeln zur Folge habe (NK6, S. 10, Z. 26 ff.). Es fehlt aber an einer Anregung, das Monoschicht -Display nicht mehr, wie insbesondere in Figur 5A und 5B gezeigt und in der Beschreibung der NK6 erläutert, mit einer dicht gepackten Schicht aus in Hohlräumen einer Polymermatrix angeordneten Drehzylindern auszustatten, sondern stattdessen eine Schicht mit in Hohlräumen einer Polymermatrix angeordneten , sich translatorisch bewegenden Teilchen vorzusehen. Dafür ist der Hinweis auf die Vorzüge eines möglichst dünnen Displays in der NK6 allein nicht hinreichend.
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan60 trags 1 wurde dem Fachmann auch nicht durch die NK11 und die NK12 offenbart bzw. durch die NK11 nahegelegt, weil es jedenfalls an einer Offenbarung des Merkmals 1.4c fehlt und dieses Merkmal, ausgehend von der NK11, für den Fachmann auch nicht naheliegend war, wie bereits oben ausgeführt wurde.
c) Zudem ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der Fachmann aus61 gehend von der NK6 durch die NK11 veranlasst wurde, statt der Drehzylinder sich translatorisch bewegende Teilchen vorzusehen, oder, ausgehend von der NK11, durch die NK6 dazu angeregt wurde, Hohlräume in der Polymermatrix mit einem Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 vorzusehen.
d) Die übrigen vorgelegten Entgegenhaltungen liegen weiter vom Ge62 genstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 weg als die NK6 oder die NK11 und konnten diesen dem Fachmann daher erst Recht nicht nahelegen.
63
4. a) Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 offenbart die Erfindung auch so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin ihre Klage zulässiger64 weise auf diesen Nichtigkeitsgrund stützen kann, nachdem sie ihn erstmals in der Berufungserwiderung geltend gemacht hat. Denn selbst wenn angenommen wird, dass es sich um eine wegen Sachdienlichkeit nach § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG zulässige Klageerweiterung handelt, fehlt es doch jedenfalls an den Voraussetzungen einer unzureichenden Offenbarung. Die Klägerin trägt insoweit vor, dass in der Beschreibung des Streitpa65 tents als sehr geeignete Kapselungstechnik die Polymerisation zwischen Harnstoff und Formaldehyd angegeben sei (vgl. Streitpatent, Abs. 105 = deutsche Übersetzung, Abs. 127). Dies werde aber durch die Erklärung von Herrn R. W. widerlegt, aus der sich ergebe (HE2, Abs. 10), dass damit nur kugelförmige Kapseln bereitgestellt werden könnten. Unabhängig davon, ob sich dieser Erklärungsinhalt überhaupt aus der genannten Erklärung entnehmen lässt, ist diese Argumentation schon deshalb nicht geeignet, eine unzureichende Offenbarung der Erfindung aus Patentanspruch 1 darzutun, weil die Polymerisation zwischen Harnstoff und Formaldehyd zwar in der Beschreibung als "sehr geeignete Kapselungstechnik" genannt wird, insoweit aber auch andere Herstellungsverfahren, wie etwa das Koazervationsverfahren oder die Grenzflächen -Polymerisation offenbart werden (Streitpatent, Abs. 126 f. = deutsche Übersetzung, Abs. 107 f.) und die Klägerin nicht dargetan hat und es auch sonst nicht ersichtlich ist, dass dem Fachmann im Streitpatent nicht hinreichend offenbart ist, wie er unter Einsatz eines dieser Kapselungsverfahren eine gekapselte elektrophoretische Anzeige nach Patentanspruch 1 herstellen kann.
66
b) Die Erfindung nach Patentanspruch 9 ist ebenfalls so deutlich und vollständig offenbart, dass sie ausgeführt werden kann. Zur Begründung wird auf den insoweit zutreffenden Hinweis des Patentgerichts nach § 83 Abs. 1 PatG verwiesen, dem die Klägerin nicht mehr entgegengetreten ist. 5. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 geht schließlich nicht über den
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Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. In der ursprünglichen Anmeldung WO 99/10767 (N2) wird zunächst aus68 geführt, dass es bei einer Ausführungsform bevorzugt sei, wenn die Kapseln der elektrophoretischen Anzeige eine nicht-kugelförmige Form aufwiesen, weil viele der optischen Verluste, die infolge der Absorption oder der Streuung durch die Kapselmaterialien und die Absorption oder die Streuung der Bindemittel bei gekapselten Anzeigen im Vergleich mit nicht-gekapselten Anzeigen aufträten, sich aus den kugelförmigen Hohlräumen ergäben (N2, S. 15, Abs. 2). Dem darauffolgenden Absatz ist zu entnehmen, dass eine Anzeige mit nichtkugelförmigen Kapseln ein Bindemittel mit ölhaltigen Hohlräumen aufweisen könne, die eine nicht-kugelförmige Form aufwiesen. Diese ölhaltigen Hohlräume könnten elastomerische Kapseln sein. In einer bevorzugten Ausführungsform sei das Längenverhältnis (d.h. das Verhältnis der Breite zur Höhe) dieser Hohlräume vorzugsweise größer als 1,2 (N2, Abs. 3). Entgegen der vorläufigen Ansicht des Patentgerichts in seinem Hinweis
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nach § 83 Abs. 1 PatG bezieht sich die letztgenannte, das Längenverhältnis betreffende Angabe nicht allein auf ölhaltige Hohlräume mit nicht-kugelförmiger Form, sondern allgemein auf Hohlräume mit nicht-kugelförmiger Form, da sie im Anschluss an die Vorgabe einer nicht-kugelförmigen Form deren räumliche Ausgestaltung näher spezifiziert und es für den Fachmann keinen Anhalt dafür gibt, dass das Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 allein bei ölhaltigen nicht-kugelförmigen Hohlräumen, nicht aber bei anderen nicht-kugelförmigen Hohlräumen vorteilhaft sein soll. Der Fachmann erkennt also, dass die auf die bevorzugten nicht-kugelförmige Hohlräume bezogenen Merkmale der Ölhaltigkeit und eines Längenverhältnisses der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 nicht in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang miteinander stehen , sondern auch jedes für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich Anspruch 155 der Ursprungs70 anmeldung mit dem eigenständigen Merkmal eines Längenverhältnis der Breite zur Höhe von mehr als 1,2 als abhängiger Anspruch auf Anspruch 154 bezieht, der gekapselte elektrophoretischen Anzeigen mit nicht-kugelförmigen und ölhaltigen Hohlräumen betrifft. Denn bei der Prüfung des Nichtigkeitsgrundes der unzulässigen Erweiterung ist der gesamte Inhalt der Ursprungsanmeldung in den Blick zu nehmen und nicht nur deren Ansprüche. Insoweit fällt aus Sicht des Fachmanns entscheidend ins Gewicht, dass die beiden in Rede stehenden Merkmale nicht in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang stehen. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt damit eine Verallgemeinerung vor, die der Ursprungsanmeldung unmittelbar und eindeutig als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnommen werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 Rn. 29 - Wundbehandlungsvorrichtung; Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 23 = GRUR 2014, 542 Rn. 24 - Kommunikationskanal).
71
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher Grabinski Hoffmann Schuster Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.12.2014 - 2 Ni 15/13 (EP) -

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 83


(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung

Patentgesetz - PatG | § 117


Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle de

Patentgesetz - PatG | § 116


(1) Der Prüfung des Bundesgerichtshofs unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. (2) Eine Klageänderung und in dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine Verteidigung mit e

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

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Diese Grundsätze gelten, wie das Patentgericht insoweit zutreffend angenommen hat, auch im Bereich der Stoffchemie und insbesondere auch bei der Beurteilung des Informationsgehalts einer Strukturformel. Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, besagt deshalb für die Offenbarung der konkreten Verbindung ebenso wenig wie der Umstand, dass die konkrete Ausführungsform einer Vorrichtung unter einen allgemein formulierten Vorrichtungsanspruch fällt, etwas über die Offenbarung dieser konkreten Ausführungsform aussagt (BGHZ 103, 150, 157 - Fluoran). Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Verbindung offenbart wird. Dazu bedarf es Angaben , die den Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzen, die eben diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d.h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGH aaO).

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

38
Der Nichtigkeitskläger ist grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen , insbesondere mit einer Vielzahl unterschiedlicher Argumentationslinien zu begründen, warum der Gegenstand der Erfindung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt sei. Hierdurch würde eine sinnvolle Konzentration des erstinstanzlichen Verfahrens auf diejenigen Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Nichtigkeitsklägers besonders geeignet sind, dem Klagebegehren zum Erfolg zu verhelfen, behindert. Vielmehr dient der Hinweis, den das Patentgericht nach § 83 Abs. 1 PatG gibt, auch dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Fokussierung der Argumentation entweder als nach der vorläufigen Sicht des Patentgerichts sachgerecht zu bestätigen oder aber als nicht angemessen oder jedenfalls nicht zulänglich aufzuzeigen.
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Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Nichtigkeitskläger grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen. Vielmehr dient der Hinweis, den das Patentgericht nach § 83 Abs. 1 PatG gibt, auch dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Fokussierung der Argumentation entweder als nach der vorläufigen Sicht des Patentgerichts sachgerecht zu bestätigen oder aber als nicht angemessen oder jedenfalls nicht zulänglich aufzuzeigen. Lässt das Patentgericht in seinem Hinweis erkennen, dass es die Argumentation des Klägers in einem bestimmten Punkt für zutreffend erachtet, hat der Kläger in der Regel keine Veranlassung, zu diesem Punkt weitere Angriffsmittel vorzutragen (BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 = GRUR 2012, 1236 Rn. 38 - Fahrzeugwechselstromgenerator).

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Der Prüfung des Bundesgerichtshofs unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge.

(2) Eine Klageänderung und in dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents sind nur zulässig, wenn

1.
der Gegner einwilligt oder der Bundesgerichtshof die Antragsänderung für sachdienlich hält und
2.
die geänderten Anträge auf Tatsachen gestützt werden können, die der Bundesgerichtshof seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 117 zugrunde zu legen hat.

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Das europäische Patent 1 088 569 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:

"1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 088 569 (Streitpatents), das aus einer am 8. Januar 2001 eingereichten Teilanmeldung hervorgegangen ist. Diese geht zurück auf eine als WO 97/18007 veröffentlichte internationale Patentanmeldung vom 14. November 1996 (Stammanmeldung), die beim Europäischen Patentamt als europäische Anmeldung 865 304 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und umfasst fünf Patentansprüche. Patentanspruch 1, auf den die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad."

2

Die Klägerin zu 1 hat das Streitpatent in vollem Umfang, die Klägerin zu 2 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig und beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zuletzt sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

3

Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie weiterhin die Abweisung der Klagen begehrt und hilfsweise das Streitpatent in beschränkten Anspruchsfassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

4

I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zur Wundbehandlung.

5

1. Nach der Schilderung der Streitpatentschrift waren im Stand der Technik, etwa aus der internationalen Anmeldung WO 96/05873, Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden bekannt, bei denen der Wundheilungsprozess durch Anlegen von Unterdruck gefördert werde. Eine solche Vorrichtung umfasse ein poröses, für Flüssigkeiten durchlässiges Polster, das in die Wunde eingeführt werden könne, einen Verband, mit dem die Wunde abgedeckt und luftdicht abgedichtet werde, eine Abflussleitung, die das Polster mit einer Saugpumpe verbinde, so dass Unterdruck an die Wunde angelegt und Flüssigkeiten aus dieser abgesaugt werden könne, und schließlich einen Behälter, in dem die abgesaugte Flüssigkeit gesammelt werde.

6

Wie eine solche, im Stand der Technik bekannte Vorrichtung aussieht, zeigt beispielsweise die Figur 10 der erwähnten internationalen Anmeldung,

Abbildung

bei der Bezugszeichen 210 die Wunde, Bezugszeichen 36 ein poröses, flüssigkeitsdurchlässiges Schaumstoffpolster (foam pad), Bezugszeichen 37 den Schlauch und Bezugszeichen 43 die luftdichte Wundabdeckung bezeichnet.

7

Das technische Problem, welches das Streitpatent lösen soll, besteht darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine solche Wundbehandlung mit Unterdruck bequemer macht und ihre Anwendung insbesondere auch bei mobilen, also nicht bettlägerigen Patienten erlaubt.

8

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger [1], umfassend

1. ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum (a porous pad of open, intercommunicating cellular flexible foam); [1.1]

2. eine Pumpe (6); [1.2]

3. eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe; [1.3]

4. einen Verbinder zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung [1.4], der

a) einen Ausguss (spout) (602) zum Verbinden des von der Pumpe ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, [1.6]

b) eine scheibenartige Schale (a disc-like cup) (601) umfasst, deren untere Fläche (lower face) mit dem porösen Polster in Kontakt steht; [1.7a und 1.7b]

5. eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. [1.5]

9

3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

10

a) Der Verbinder weist nach Merkmal 4a einen Ausguss (spout) auf, der dazu dient, das von der Pumpe entfernte Ende der Saugleitung mit der Wundstelle zu verbinden, während im Stand der Technik, wie etwa aus der oben wiedergegebenen Figur 10 ersichtlich, das Ende des Schlauchs in das Weichschaumstoffpolster eingeführt wurde. Nach der Beschreibung kann entweder der Ausguss das Ende des Schlauchs aufnehmen oder aber das Schlauchende in den Ausguss eingesetzt und zusätzlich in den Schaum gedrückt werden (Sp. 5, Z. 37 bis 39 und Z. 45 bis 47). Die Anordnung und Größe des Ausgusses überlässt das Streitpatent dem Fachmann, bei dem es sich hier, wie das Patentgericht unbeanstandet angenommen hat, um einen Diplom-Ingenieur der Medizintechnik handelt, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Arzt konsultiert.

11

b) Der Verbinder umfasst nach Merkmal 4b eine scheibenartige Schale (disc-like cup). Es handelt sich demnach um eine Vorrichtung, die einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an ihrem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Ein solches Verständnis des Merkmals wird auch dadurch nahegelegt, dass die Wundheilungsvorrichtung am Körper getragen können werden soll (vgl. Figuren 3A und 3B), weshalb es vorteilhaft ist, sie möglichst flach zu halten. Hierfür spricht weiter, dass die Figuren 6B und 6C Schalen zeigen, die praktisch flach sind und nur einen minimal aufgebogenen Rand aufweisen.

12

Für diese Auslegung spricht ergänzend, dass das Streitpatent in den Absätzen 6 und 7 die internationale Anmeldung WO 94/20041 (VP4 = D1) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet, deren Inhalt der Oberbegriff von Patentanspruch 1 wiedergebe. Der Umstand, dass Patentanspruch 1 das Merkmal 4b als einziges kennzeichnendes Merkmal ausweist, legt den Schluss nahe, dass die in D1 in den dortigen Figuren 2 bis 5 mit den Bezugszeichen 29a, 29b, 29c und 29d gekennzeichneten Vorrichtungen nicht als scheibenartig anzusehen sein sollen. Die Auffassung der Klägerin zu 1, Absätze 6 und 7 des Streitpatents seien bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Stammanmeldung nicht enthalten waren, trifft nicht zu. Bei der Ermittlung der mit einem Patentanspruch gegebenen Lehre sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind. Dabei darf der Patentanspruch weder nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist, noch nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, Urteil vom 17. Februar 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 f. - Polymerschaum).

13

Merkmal 4b besagt weiter, dass die Unterseite der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, was dahin zu verstehen ist, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht. Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Schale auf die poröse Abdeckung der Wunde gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (Sp. 5 Z. 43 bis 45). Berücksichtigt man einerseits, dass die Schale scheibenartig, also flach ausgebildet ist, und andererseits, dass das poröse Polster aus Weichschaumstoff besteht, also nachgiebig ist, ergibt sich hieraus für den Fachmann, dass die Schale zwar nicht notwendigerweise vollflächig, aber auch nicht nur punktuell oder mit ihrem Rand, also entlang einer Linie auf dem Polster aufsitzt, sondern im Wesentlichen flächig auf diesem aufliegt. Aus fachlicher Sicht besagt dies, dass der Innenraum der Schale jedenfalls im Wesentlichen mit dem aus Weichschaum bestehenden Polster ausgefüllt ist, so dass keine größeren Freiräume bestehen bleiben. Dieses Verständnis des Merkmals ergibt sich für den Fachmann auch daraus, dass eine solche Gestaltung zu dem gewünschten, für eine tragbare Vorrichtung vorteilhaften flachen Aufbau beiträgt.

14

Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

15

c) Nach Merkmal 5 umfasst die Vorrichtung eine chirurgische Abdeckung zur Herstellung einer luftdichten Abdichtung über Wundstelle, Polster und Verbinder. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Polster, sondern auch der Verbinder unter der chirurgischen Abdeckung liegen muss.

16

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

17

Das Streitpatent sei vollen Umfangs für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand in sämtlichen verteidigten Fassungen über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, sei der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. In der Stammanmeldung sei nicht offenbart, dass der Verbinder der beanspruchten Vorrichtung eine scheibenartige Schale umfasse, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe. Den Figuren 6A bis 6D der Stammanmeldung sei solches nicht zu entnehmen. Auch aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung ergebe sich nicht, dass die Schale so ausgestaltet sein müsse, dass ihre untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, ebenso bleibe offen, mit welchem Anteil bzw. in welchem Umfang die Unterseite der Schale mit dem Polster in Kontakt stehe.

18

Die Einfügung des Merkmals M1.7b könne nicht als bloße Einschränkung des Gegenstands des Anspruchs 1 verstanden werden, sondern führe zu einer anderen Lehre (Aliud). Während der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das eingefügte Merkmal genau dies voraus. Da sämtliche Hilfsanträge dieses Merkmal aufwiesen, seien sie unzulässig. Ob der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit vorliege, könne damit dahinstehen.

19

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht in vollem Umfang stand.

20

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

21

a) Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGHZ 194, 107 Rn. 45 - Polymerschaum).

22

b) Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde nur durch ein poröses Polster, eine Pumpe, eine Saugleitung, einen Verbinder mit scheibenartiger Schale und Ausguss zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung sowie eine chirurgische Abdeckung gekennzeichnet ist. In dieser allgemeinen Form ist die Vorrichtung in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - das ist hier die Stammanmeldung - nicht als erfindungsgemäß offenbart.

23

aa) Die Beschreibung der Stammanmeldung geht wie diejenige des Streitpatents von der internationalen Patentanmeldung WO 96/05873 aus. Die dort beschriebene Vorrichtung sei wirksam zur Behandlung einer Vielzahl von Wunden unterschiedlicher Art und Größe. Jedoch könne die Behandlung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, was nicht bei einem bettlägerigen, wohl aber bei einem nicht an das Bett gebundenen Patienten ein Problem darstelle. Als Aufgabe der Erfindung wird es bezeichnet, eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Anwendung komfortabler ist, insbesondere bei in gewissem Umfang mobilen Patienten, und weitere aus der Beschreibung ersichtliche Vorteile aufweist. Hierzu wird zunächst eine tragbare Vorrichtung zur Stimulierung der Wundheilung vorgeschlagen, die ein Gehäuse mit einer Saugpumpe und einem Behälter zur Aufnahme abgesaugter Wundflüssigkeit enthält und Mittel zur Verbindung mit Verbandmaterial in der Wundregion sowie einen Tragegurt oder Gürtel zum Abstützen des Gehäuses umfasst, wobei die zweckmäßige Ausgestaltung des Gehäuses, der Saugpumpe und ihres Antriebs sowie des Behälters näher beschrieben wird.

24

Sodann wird erörtert, dass es bei einer tragbaren Vorrichtung schwieriger sei als bei der im Stand der Technik beschriebenen statischen, den an der zu behandelnden Wundstelle herrschenden Druck zu bestimmen, da er teilweise von der hydrostatischen Höhe zwischen Pumpe und Wunde abhänge und diese sich in Abhängigkeit von den Bewegungen des Patienten verändere. Dieses Problem soll durch eine zusätzliche Leitung gelöst werden, die die Wundstelle mit vorzugsweise in dem Gehäuse untergebrachten Druckerfassungsmitteln verbindet. Diese könnten wiederum mit einem Mikroprozessor verbunden sein, der für die Einhaltung eines vorbestimmten Druckbereichs sorge. Eine solche Einrichtung lasse sich auch bei einer nicht-tragbaren Vorrichtung verwenden. Sie erlaube es auch, über die veränderten Druckverhältnisse einen vollständig mit Wundflüssigkeit gefüllten Behälter zu detektieren.

25

Diesen allgemeinen Ausführungen folgt die Beschreibung der in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsformen. Dabei wird unter Bezugnahme auf Figur 1 u.a. ein als Saugleitung dienender Schlauch 101 und ein zweiter Schlauch 106 beschrieben, der die Wundstelle zur Messung oder Überwachung des Drucks mit einem Druckentlastungsventil 8 und einem Messfühler 108 verbindet. Die Schläuche 101 und 106 könnten in einem mehrlumigen Schlauch (multi-lumen tube) kombiniert werden. Dies wird als bevorzugt und in den Figuren 5A bis 5F und in modifizierter Form in 6E dargestellt bezeichnet. Sodann kommt die Beschreibung auf die Figuren 6A bis 6D zu sprechen, die verschiedene Ansichten eines Verbinders zum Anschließen des mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zeigten. Nur an dieser Stelle wird der Verbinder dahin beschrieben, dass er eine scheibenförmige Schale umfasst, die einen Ausguss aufweist, der so bemessen ist, dass er das Ende des mehrlumigen Schlauchs aufnehmen kann (S. 8).

26

In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen der Beschreibung ist Anspruch 1 der Anmeldung auf eine tragbare Vorrichtung mit Gehäuse, Saugpumpe, Behälter und Tragegurt gerichtet, der nebengeordnete Anspruch 3 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit Druckerfassungsmitteln und der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 5 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit einer Saugleitung und einer zusätzlichen Leitung, die ein poröses Polster mit eine Überwachung des Drucks an der Wundstelle ermöglichenden Druckerfassungsmitteln verbindet.

27

Die in der Stammanmeldung offenbarten Ausführungsformen der Erfindung werden damit zum einen durch die eine Tragbarkeit erlaubenden Mittel (Anspruch 1), zum anderen durch Mittel gekennzeichnet, die eine Druckerfassung ermöglichen (Ansprüche 3 und 5). Nur im Kontext der Druckerfassung und der hierzu neben der Saugleitung erforderlichen zweiten Leitung findet der Verbinder Erwähnung. Die Saugleitung und die Druckerfassungsleitung können in einer unterteilten Schlauchleitung (multi-partitioned tube) zusammengefasst werden (Stammanmeldung S. 5 unten), und der Ausguss des Verbinders kann diesen mehrlumigen Schlauch aufnehmen.

28

bb) Dem ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass als zum Patentschutz angemeldete Erfindung auch eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde beschrieben wird, die weder Mittel aufweist, die ihre Tragbarkeit sicherstellen, noch Mittel, die es ermöglichen, den Druck an der Wundstelle zu erfassen, sondern lediglich aus einem porösen Polster, einer chirurgischen Abdeckung, einer Pumpe, einer Saugleitung und einem Polster und Saugleitung verbindenden Verbinder bestehen, der einen die Saugleitung aufnehmenden Ausguss und eine scheibenartige Schale umfasst.

29

Allerdings ist eine Fassung des Patentanspruchs, die gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Verallgemeinerung enthält, nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. In Bezug auf die Frage, ob die Priorität einer Voranmeldung zu Recht in Anspruch genommen wird, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dies unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sich die in der Voranmeldung anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 25 - Kommunikationskanal). Die gleichen Maßgaben gelten für die Frage danach, ob der erteilte Patentanspruch gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Erweiterung aufweist.

30

Nach dieser Maßgabe beruht Patentanspruch 1 auf einer unzulässigen Erweiterung. Der Fachmann vermag den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht ohne weiteres die allgemeine technische Lehre zu entnehmen, Polster und zur Pumpe führende Saugleitung einer Unterdruckvorrichtung durch eine Einrichtung zu verbinden, die einen Ausguss zur Aufnahme der Saugleitung und eine scheibenartige Schale zur Aufnahme des Polsters umfasst.

31

Der Verbinder ist in der Stammanmeldung vielmehr nur als Element einer Vorrichtung offenbart, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten. Er steht mithin in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung, die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird. Weder Beschreibung noch Ansprüche der Stammanmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass ihm mit der Ausgestaltung des Verbinders als mit einem Ausguss oder einer Tülle versehener flacher Schale eine Ausführungsform der Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks vorgestellt wird, für die unabhängig von den Ausführungsformen, die sich mit der tragbaren Ausgestaltung oder den Mitteln zur Druckerfassung beschäftigen, Patentschutz angestrebt wird und die mithin - für sich betrachtet - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart wird.

32

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stammanmeldung kurz vor der oben genannten Passage der Beschreibung des Ausführungsbeispiels auch eine Leitung erwähnt, die nur eine Bohrung aufweist (single bore tube, S. 7 unten). Der betreffenden Passage ist lediglich zu entnehmen, dass die ansonsten vorgesehene geteilte Leitung (partitioned tube) nicht bis zur Wundstelle reichen muss, sondern an ihrem Ende ein kurzes Stück einer einlumigen Leitung aufweisen kann. Dem entspricht es, dass - etwas später (S. 8 Mitte) - ausgeführt wird, dass, sofern dies gewünscht wird, das Ende der Leitung auch durch den Ausguss führen und bis in den Weichschaum reichen kann. Dies ändert nichts daran, dass an den genannten Stellen im Grundsatz weiterhin ein mehrlumiger Schlauch gemeint ist, und vermag den sich aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung ergebenden Zusammenhang der Offenbarung der Ausgestaltung des Verbinders mit einer Vorrichtung zum Ausüben und Überwachen eines Unterdrucks nicht in Frage zu stellen.

33

c) Danach hat das Patentgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer unzulässigen Erweiterung beruht und daher keinen Bestand haben kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass das Streitpatent aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist. Die Anforderungen an die Ursprungsoffenbarung sind in einem solchen Fall nicht geringer.

34

2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der Nachprüfung nicht stand, soweit das Patentgericht angenommen hat, der ehemalige Hilfsantrag 6 neu, den die Beklagte nunmehr als Hilfsantrag I stellt, beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung.

35

Nach Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 um ein weiteres Merkmal ergänzt, wonach die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (Merkmal 6).

36

Die beschränkte Verteidigung der Beklagten mit diesem Hilfsantrag ist - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - zulässig.

37

a) Das zusätzliche Merkmal 6 gewährleistet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht aus den dargelegten Gründen über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht. Die Verallgemeinerung, die nach den Ausführungen oben (unter III 1) eine unzulässige Erweiterung begründete, ist dadurch rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet.

38

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht zwar insoweit auf einer unzulässigen Erweiterung, als in Merkmal 4b über die scheibenartige Schale ausgesagt ist, dass sie mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung des Streitpatents nach Hilfsantrag I.

39

aa) Nach Merkmal 4b steht die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt. Wie oben ausgeführt, versteht der Fachmann dieses Merkmal dahin, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht.

40

Ein solcher flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Die Stammanmeldung zeigt in den Figuren 6B und 6C sehr flache Schalen. Ferner kann ihr, insbesondere durch den Verweis auf die internationale Anmeldung WO 96/05873, aus der die oben wiedergegebene Figur 10 stammt, entnommen werden, wie ein Polster, mit dem die Wunde abgedeckt wird, gestaltet sein kann. Aus der Stammanmeldung ist jedoch nicht ersichtlich, wie die scheibenartige Schale auf das Polster aufgesetzt wird. Es wird dort lediglich erläutert, die Schale werde auf die poröse Wundabdeckung gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (the cup (601) is pressed onto the porous dressing and secured by a surgical drape, Stammanmeldung S. 8). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein Polster aus Weichschaumstoff handelt, ergibt sich aus diesen Angaben für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in flächigem Kontakt steht. Denn ob bei Befolgen dieser Anweisung ein flächiger Kontakt entsteht, hängt aus fachlicher Sicht von mehreren Umständen ab, insbesondere von der Höhe der Schale, vom Verhältnis der Größen von Schale einerseits und Polster andererseits, von der Festigkeit oder Nachgiebigkeit des Polsters und vom Maß des Drucks, mit dem die Schale auf das Polster gepresst wird. Zu allen diesen Umständen enthält die Stammanmeldung keine näheren Angaben.

41

bb) Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verteidigung der Beklagten mit Hilfsantrag I unzulässig ist.

42

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 - Tintenstrahl-drucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 - Winkelmesseinrichtung). Sie ist - entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 - Fettabsaugevorrichtung) - zu bejahen.

43

(2) Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

44

Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 - Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Pro-ducts).

45

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 - Winkelmesseinrichtung).

46

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker).

47

(3) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

48

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann - ausnahmsweise - aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar  1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

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Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent - vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ - nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

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(4) Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

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Die Große Beschwerdekammer hat eingeräumt, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Patentinhaber führt (EPA, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products), weil er Gefahr läuft, nach einer Änderung seiner Anmeldung selbst dann in einer "unentrinnbaren Falle" zu sitzen und alles zu verlieren, wenn die Änderung den Schutzbereich des Patents einschränkt. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermöglicht es demgegenüber, auf eine vollständige Nichtigerklärung des Patents zu verzichten, ohne dass Abstriche an der Wahrung der berechtigten Interessen Dritter und der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Sie trägt damit zugleich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) Rechnung, der auch das Recht am Patent umfasst und den Patentinhaber vor hoheitlichen Eingriffen schützt, soweit diese nicht erforderlich sind. Das rechtfertigt es, diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente anzuwenden.

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(5) Soweit Patentanspruch 1 das Merkmal enthält, dass die untere Fläche der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, liegt darin eine bloße Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

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(a) Ob es sich bei der Einfügung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt oder um ein Aliud, bestimmt sich danach, ob damit lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der daraus weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 26 f. - Tintenstrahldrucker).

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(b) Danach ist Merkmal 4b - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - nicht als Aliud einzuordnen. Soweit dieses Merkmal vorsieht, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, wird damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinn, durch die dem Fachmann vermittelt wird, die scheibenartige Schale so flach auszugestalten, dass ein im Wesentlichen flächiger Kontakt zwischen ihrer unteren Fläche und dem porösen Polster hergestellt wird, wenn die Scheibe auf das Polster gedrückt und mittels der chirurgischen Abdeckung gesichert wird.

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(6) Der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung steht auch nicht entgegen, dass es nicht zulässig ist, den Patentanspruch durch ein nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal zu beschränken. Denn Merkmal 4b ist bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten. Dass es Bestandteil des im Übrigen unbedenklichen Hilfsantrags I ist, kann daher dessen Zulässigkeit nicht in Frage stellen.

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3. Die Beurteilung des Patentgerichts, wonach Patentanspruch 1 nicht zulässigerweise in der Fassung des Hilfsantrags I (früherer Hilfsantrag 6 neu) verteidigt werden kann, hält mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

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Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht (§ 119 Abs. 2, 3 PatG). Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 Satz 1 PatG). Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft. Bei dieser nunmehr erforderlichen Prüfung wird das Patentgericht das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal außer Betracht zu lassen haben.

Meier-Beck                           Hoffmann                       Deichfuß

                   Kober-Dehm                        Feddersen

23
dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen , also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands. aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wo24 nach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. - UV-unempfindliche Druckplatte). bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Ge25 genstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.