vorgehend
Bundespatentgericht, 1 Ni 24/07, 02.04.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 97/08 Verkündet am:
16. November 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. November 2010
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Gröning,
Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 2. April 2008 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Das deutsche Patent 196 54 370 wird für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung seiner Patentansprüche hinausgeht: 1. Heizsystem für Fahrzeuge mit offener Personenzelle, wie z.B. bei Cabriolets, welchem zum Heizen Warmluft über Kanäle zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet,
a) dass es getrennt von dem Fahrzeug-Heizungs- und -Lüftungssystem als Zusatzheizung ausgeführt ist,
b) dass es als gesonderte Heizung mit separatem Wärmetauscher (22, 42) und Gebläse (23, 43) vorgesehen ist,
c) dass im Bereich der Rückenlehne (3, 32) von Sitzen Luftdüsen (6, 33) zum Umströmen des Kopf-, Nacken - und Schulterbereichs der sitzenden Person mit Warmluft vorgesehen sind und
d) dass die hierdurch erzielte Warmluftströmung derart räumlich begrenzt ist, dass sie bis zu den beiden Schulteraußenseiten und zu den Oberarmen reicht. 2. Heizsystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass ein oder mehrere zum oberen Randbereich der Sitze führende Luftkanäle (20, 41) innerhalb oder im rückwärtigen Bereich der Rückenlehne (3, 32) angeordnet sind, um die Luftdüsen (6, 33) mit Warmluft zu versorgen. 3. Heizsystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass elektrische Heizdrähte wenigstens in einem Teil der Luftkanäle (20, 41) vorgesehen sind. 4. Heizsystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Luftdüsen (33) in die Rückenlehne (32) integriert sind. 5. Heizsystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Luftdüsen (6) an einem Düsenhalter (5) zwischen Rückenlehne (3) und Kopfstütze (4) angeordnet sind. 6. Heizsystem nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet , dass zwischen Luftdüsen und Luftkanälen vor und/oder zwischen Luftkanälen (20) und dem vorgeschalteten Heizsystem Bälge (21, 40) vorgesehen sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits werden zu 2/3 den Klägerinnen und ihrer Streithelferin und zu 1/3 dem Beklagten auferlegt. Die Kosten der Berufung fallen den Klägerinnen und der Streithelferin zur Last.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 24. Dezember 1996 angemeldeten deutschen Patents 196 54 370 (Streitpatents), dessen Patentan- spruch 1, auf den in der erteilten Fassung sieben Unteransprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, folgenden Wortlaut hat: "Heizsystem für Fahrzeuge, insbesondere solche mit offener oder offen zu fahrender Personenzelle, welchem zum Heizen Warmluft über Kanäle zugeführt wird, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass im Bereich der Rückenlehne (3, 32) von Sitzen Luftdüsen (6, 33) zum Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs der sitzenden Person mit Warmluft vorgesehen sind."
2
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche sei nicht patentfähig; er sei vor dem Anmeldetag schriftlich, namentlich durch die veröffentlichte europäische Patentanmeldung 543 289 (Anlage K 7), beschrieben, beruhe jedenfalls aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Streithelferin hat den Gegenstand des Streitpatents ebenfalls für nicht patentfähig erachtet.
3
Die Klägerinnen und die Streithelferin haben beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären.
4
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise hat er das Streitpatent mit mehreren Hilfsanträgen verteidigt, wobei Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags IV wie folgt lauten sollte: "Heizsystem für Fahrzeuge, insbesondere solche mit offener oder offen zu fahrender Personenzelle, welchem zum Heizen Warmluft über Kanäle zugeführt wird, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass es als gesonderte Heizung mit separatem Wärmetauscher (22, 42) und Gebläse (23, 43) vorgesehen ist und im Bereich der Rückenlehne (3, 32) von Sitzen Luftdüsen (6, 33) zum Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs der sitzenden Person mit Warmluft vorgesehen sind, wodurch eine räumlich begrenzte Warmluftströmung erzielt wird, welche bis zu den Schulteraußenseiten bzw. Oberarmen reicht."
5
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt.
6
Mit seiner dagegen gerichteten Berufung verteidigt der Beklagte das Streitpatent nur noch beschränkt im Umfang der aus dem Tenor ersichtlichen Patentansprüche und diesen Anspruchssatz hilfsweise in einer Fassung, in der in Patentanspruch 1 unter lit. c vor dem Substantiv "Umströmen" das Adjektiv "gezielten" eingefügt wird und weiter hilfsweise in Gestalt von Verwendungsansprüchen nach Maßgabe des als Anlage A5 zum Schriftsatz vom 29. Oktober 2010 zu den Akten gereichten Hilfsantrags I.
7
Im Übrigen beantragt der Beklagte, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
8
Die Klägerinnen und die Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
9
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. M. ein schriftliches Sachverständigengutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:



10
Soweit das Streitpatent nicht mehr verteidigt wird, verbleibt es ohne weitere Sachprüfung bei der Nichtigerklärung durch das Patentgericht (st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 170, 215 - Carvedilol II). Im Umfang der im Berufungsrechtszug verteidigten Fassung erweist sich der Gegenstand des Streitpatents dagegen als patentfähig, so dass das angefochtene Urteil insoweit auf die Berufung abzuändern und die Klage im Übrigen abzuweisen war.
11
I. 1. Das Streitpatent betrifft in der noch verteidigten Fassung ein Heizsystem für Fahrzeuge mit offener Personenzelle, beispielsweise Cabriolets, welchem zum Heizen Warmluft über Kanäle zugeführt wird. Derartige Heizungssysteme funktionieren, den Ausführungen in der Beschreibung zufolge, bei Fahrzeugen mit geschlossenem Cockpit durchaus befriedigend, da hier die Strömungsverhältnisse frei von äußeren Einflüssen sind. Dagegen entstünden bei offenen Fahrzeugen Luftverwirbelungen, die zu einem Unterdruck im Bereich der Personenzelle führten, wodurch im hinteren Fahrzeugbereich teilweise die Umkehr der Luftströmung bewirkt werde, die dann im Bereich der Sitze und dazwischen nach vorne verlaufe. Diese Rückströmung sei an sich zwar nicht unerwünscht, weil sie einen Teil des Cabrio-Fahrgefühls ausmache (sogenannte Cabrio-Brise); sie führe aber zu einem kühlen Luftzug im Kopf-NackenSchulterbereich , der nicht nur bei niedrigen Außentemperaturen zur Unterkühlung und Gesundheitsschäden führen könne. In der deutschen Offenlegungsschrift 39 25 809 werde, um dem entgegenzuwirken, ein Zusatzlüftungssystem für Cabriolets vorgeschlagen, bei dem durch Zuführung zusätzlicher Luftmengen in den Cockpit-Bereich dem beschriebenen Luftzug entgegengewirkt werden soll. Des Weiteren würden hinter den Rücklehnen der Vordersitze quer ver- laufende Windschutzschirme (Windschotts) eingesetzt. Eine gezielte Erwärmung des gefährdeten Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs finde nicht statt. Entsprechendes gelte für die in der deutschen Offenlegungsschrift 34 23 657 gezeigten Klimaanlage für einen Fahrzeugsitz.
12
2. Die Streitpatentschrift bezeichnet es vor diesem Hintergrund als Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Heizsystem zu schaffen, das eine Unterkühlung des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs während der Fahrt in offenen Fahrzeugen bei Vermeidung lästiger Zugluft wirkungsvoll verhindere, ohne die durchaus erwünschte Cabrio-Brise zu unterbinden. Dazu schlägt Patentanspruch 1 in der zuletzt verteidigten Fassung (im Folgenden nur: Patentanspruch 1; in Klammern die Gliederungspunkte der von den Klägerinnen verwendeten Merkmalsgliederung) ein Heizsystem vor, 1. für Fahrzeuge mit offener Personenzelle, wie z.B. bei Cabriolets (M 1, M 2) 2. welchem zum Heizen Wärme über Kanäle zugeführt wird (M 3), 3. das als gesonderte, vom Fahrzeug-Heizungs- und -Lüftungssystem getrennte Zusatzheizung mit separatem Wärmetauscher und Gebläse ausgeführt ist (M 4, M 5), 4. bei dem im Bereich der Rückenlehne von Sitzen Luftdüsen vorgesehen sind (M 6), 5. mit Eignung zum Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs der sitzenden Person mit Warmluft (M 7), 6. wobei die hierdurch erzielte Warmluftströmung räumlich begrenzt ist (M 8) und bis zu den beiden Schulteraußenseiten und zu den Oberarmen reicht (M 9).
13
3. Die vom Streitpatent verfolgte Problemlösung besteht darin, die Fahrzeuginsassen vor den negativen Begleiterscheinungen der "Cabrio-Brise" durch Einsatz eines zusätzlichen Heizsystems zu bewahren, bei dem der der kalten Zugluft ausgesetzte Kopf-, Hals- und Nackenbereich unabhängig vom stets vorhandenen allgemeinen Fahrzeugheiz- bzw. -klimatisierungssystem direkt mit Warmluft angestrahlt wird. Das streitpatentgemäß ausgebildete Heizsystem soll diesen spezifischen Zweck generell in Fahrzeugen mit offener Personenzelle erfüllen, also sowohl in Automobilen (viersitzige Cabriolets oder zweisitzige Roadster bzw. Spider), wie auch in Booten oder (Leicht-)Flugzeugen, die in der Beschreibung ebenfalls erwähnt sind.
14
Die nachstehend abgebildete Figur 3 des Streitpatents zeigt als Ausführungsform einen Sitz mit integrierter Kopfstütze in Draufsicht, bei dem die Luftdüsen (33) in einer Reihe angeordnet sind.


15
Als den zur Anmeldezeit mit der Verbesserung der Klimatisierung von Fahrzeugen mit offener Personenzelle befassten Fachmann, auf dessen Ver- ständnis bei der Auslegung des Patentanspruchs abzustellen ist, hat das Patentgericht einen Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung bei einem Fahrzeughersteller oder einem seiner Zulieferer, der sich mit Fragen der Klimatisierung der Fahrgastzelle befasst, angesehen. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gehen die Impulse für eine Fortentwicklung auf dem Gebiet des verbesserten Fahrkomforts im Bereich der Klimatisierung von den Automobilherstellern aus, während die Umsetzung durch spartenübergreifend zusammengesetzte Teams von Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen geschieht. Soweit die Streithelferin den Fachmann im Anschluss an den von ihr beauftragten Gutachter bei den Sitzeherstellern angesiedelt sieht, überzeugt dies in Anbetracht der im Stand der Technik vorzufindenden Lösungsvorschläge nicht, sondern erscheint von einer vom Streitpatent aus rückschauenden Sichtweise geprägt.
16
Eine Patentanspruch 1 nachgearbeitete Zusatzheizung verfügt über separate Wärmetauscher und Gebläse. Nach den Vorgaben der Beschreibung ist es demgegenüber für die Einordnung als Zusatzheizung unschädlich, wenn sich das System zum Erwärmen der Luft des vom Motor aufgeheizten Kühlwassers bedient, auch wenn dieses zugleich vom hauptsächlichen Heizsystem benutzt wird (vgl. Beschreibung Sp. 3 Z. 44 ff.). Es liegen dann zwei Heizsysteme vor, die beide erwärmtes Kühlwasser als Medium für den Wärmetausch aus einer Quelle beziehen.
17
Die Anordnung der Luftdüsen "im Bereich" der Rückenlehne von Sitzen (Merkmal 4, M 6 in der Gliederung der Klägerinnen) versteht sich aus fachmännischer Sicht dahin, dass diese Düsen in oder an der Rückenlehne selbst, aber auch in einer an die Sitzelemente angrenzenden Zone vorgesehen sein kön- nen, deren Ausdehnung zwangsläufig durch die den Düsen gemäß Merkmal 5 i. V. mit Merkmalsgruppe 6 (M 7 bis M 9) zugewiesene Funktion begrenzt ist.
18
Was i. S. des Streitpatents unter "Umströmen" zu verstehen ist, ergibt sich aus der Beschreibung. Dort wird an den im Stand der Technik vorzufindenden Lösungen bemängelt, dass sie dem Kopf-, Nacken- und Schulterbereich nicht gezielt Warmluft zuführen. Um eine solche gezielte Zufuhr von Warmluft aus Düsen, die im Bereich der Rückenlehnen angeordnet sind, geht es dem Streitpatent (Beschreibung Sp. 1 Z. 54 ff.). Warmluftströme sollen unmittelbar auf den Kopf-, Nacken- und Schulterbereich der Fahrzeuginsassen gerichtet werden, um, wenn sie aus nächster Nähe auf die angeströmten Körperteile auftreffen , dort umgelenkt zu werden und auf diese Weise die genannten Körperzonen zu umströmen.
19
Die Angabe in Merkmal 6, dass die erzielte Warmluftströmung räumlich auf den Bereich bis zu den beiden Schulteraußenseiten und zu den Oberarmen begrenzt ist, versteht sich aus fachmännischer Sicht als eine die Anweisungen in Merkmal 5 ergänzende Bereichsangabe. Dadurch wird verdeutlicht, dass es patentgemäß um den Schutz der Körperzonen geht, die bei offener Fahrweise exponiert den schädlichen Einflüssen kalter Zugluft ausgesetzt sind. Auf eine horizontal trennscharfe Demarkation kommt es dem Streitpatent ersichtlich nicht an, sondern es hält vielmehr lediglich eine Erwärmung der darunter liegenden Körperzonen durch die Zusatzheizung für das Wohlbefinden der Fahrzeuginsassen nicht für erforderlich (Sp. 1 Z. 67 ff.). Eine genaue Trennungslinie könnte auch schwerlich gezogen werden, weil aufeinander auftreffende Luftmengen unterschiedlicher Temperatur sich im Grenzbereich ohnehin stets mischen werden.
20
Die Ausgestaltung der vorzusehenden Luftdüsen, zu der sich das Streitpatent ausschweigt, ergibt sich aus dem angestrebten Erfolg. Sie müssen so beschaffen sein, dass sie Warmluftströme kanalisieren und so bündeln können, dass die angesprochenen Körperzonen, wie vorstehend beschrieben, angeströmt und umströmt werden können. Die fachmännische Befähigung, die Düsen so einzurichten, dass sie den vorgesehenen Zweck erfüllen können, setzt das Streitpatent ersichtlich voraus. Ausführbarkeitsprobleme, wie sie im Vorbringen der Nebenintervenientin anklingen, stellen sich dem Fachmann im Zusammenhang mit den Merkmalen 5 und 6 nicht.
21
II. Das Patentgericht hat diesen Gegenstand für nicht patentfähig gehalten und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Die europäische Patentschrift 543 289 nehme sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1, auch in der Fassung des Hilfsantrags IV vorweg. Dies gelte insbesondere auch für die Merkmale 1, 3, 5 und 6 (M 1/2, 4, 5 und 7 bis 9). Bei der überwiegenden Anzahl der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge sei es möglich, mit offener Fahrgastzelle zu fahren, etwa durch das Öffnen eines Seitenfensters oder eines Schiebedachs. Merkmal 1 werde vom Fachmann daher bei den in dieser Entgegenhaltung behandelten Fahrzeugen mitgelesen. Eine getrennte Ausführung des Heizsystems könne nach den Ausführungsbeispielen des Streitpatents auch eine Trennung von Teilbereichen eines Heizsystems betreffen und erfordere nicht zwingend einen vollständig unabhängigen Betrieb, zumal das Kühlwasser üblicherweise als Wärmequelle für das reguläre Heizungs- und Lüftungssystem angezapft werde. Solche Lösungen offenbare auch die europäische Patentanmeldung 543 289, indem für einen Fahrzeugsitz ausgebildete Heizsysteme getrennt über die jeweilige Temperatureinstelleinrichtung betrieben würden, indem die jeweiligen Gebläse und Luftmischklappen eingestellt würden, um eine gewünschte Temperatur für den jeweiligen Sitz zu erreichen; somit werde durch getrennte Umströmung gezielt die jeweils gewünschte Temperatur erreicht. Die bewirkte Warmluftströmung reiche vom Kopf bis zum Beinbereich und somit jedenfalls auch bis zu den Oberarmen.
22
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist patentfähig.
23
1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist weder von der europäischen Patentanmeldung 543 289 noch von der japanischen Patentanmeldung Hei 7-266841 (HSS 1), die allein näherer Erörterung bedürfen, neuheitsschädlich getroffen.
24
a) Die europäische Patentanmeldung 543 289 betrifft eine Klimaanlage für ein Fahrzeug (air conditioning apparatus for a vehicle).
25
aa) Klimatisieren soll dabei das Regeln der Temperatur der Luft im Fahrgastraum eines Fahrzeugs durch Kühlen und Heizen der Luft bedeuten (Sp. 1 Z. 12 bis 15 = Übersetzung der Patentschrift [T2] S. 1 Z. 18 bis 20). Es wird erläutert , dass im Stand der Technik u.a. ein Klimatisierungssystem mit Luftabgabeauslässen an Sitzen bekannt sei. Die Luft werde aus der Vielzahl von Luftabgabeauslässen zu dem Bereich rund um die Sitze zum Klimatisieren gerichtet, wonach die Luft durch den gesamten Bereich des Fahrgastraums ströme. Der Luftstrom im Fahrgastraum werde einem Wärmeaustausch mit Bereichen des Fahrgastraums, wie dessen Wänden, unterzogen. Als Folge dieses Wärmeaustauschs steige die Temperatur der Luft an, die wieder in das Klimatisierungssystem eingeführt oder nach außen abgegeben werde (Sp. 1 Z. 31 bis 52 = T2 S. 1 Z. 37 bis S. 2 Z. 18).
26
Die bekannten Klimatisierungssysteme werden als nachteilig bezeichnet, weil mehr Energie verbraucht werde, als für angenehme Klimaverhältnisse erforderlich sei (Sp. 1 Z. 53 bis Sp. 2 Z. 2 = T2 S. 2 Z. 20 bis 26).
27
Nach der Entgegenhaltung soll deshalb nur der Bereich rund um die auf dem jeweiligen Sitz sitzende Person einer Klimatisierung unterzogen werden, was zu einem erhöhten Wirkungsgrad führe, weil eine schnelle Regelung der Solltemperatur erreicht und das Kühlvolumen verringert werden könne, wodurch der Energiewirkungsgrad erhöht werde (Sp. 2 Z. 31-37 = T2 S. 2 Z. 35 bis S. 3 Z. 2). Dies soll durch eine Ausgestaltung des Klimatisierungssystems erreicht werden, wie sie etwa in Patentanspruch 1 der Schrift und in der nachfolgenden Figur 1 dargestellt ist.


28
Dabei ist ein erster Kanal mit einer ersten Öffnung (60) vorgesehen, die zum Fahrgastraum hin in der Nähe des Sitzbereichs geöffnet ist, und ein zwei- ter Kanal (66, 70) mit einer zweiten, der ersten gegenüberliegenden Öffnung (72), die in höherer Position zum Fahrgastraum geöffnet ist. Es sind Mittel zum Schaffen von Luftströmen zwischen den Öffnungen zum Klimatisieren eines Bereichs ausschließlich rund um den Sitz herum, bei denen der Luftstrom von einer Öffnung abgegeben und von der anderen aufgenommen wird, und Wärmeaustauschmittel vorgesehen.
29
bb) Die in der europäischen Patentanmeldung 543 289 offenbarte Lehre bezieht sich aus fachmännischer Sicht, wie im schriftlichen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen überzeugend dargelegt ist und sich in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, nicht auf Fahrzeuge mit offener Personenzelle, sondern auf Limousinen oder Kleinbusse, die in den zahlreichen den Innenraum abbildenden Figuren ausschließlich gezeigt werden. In den meisten dieser Figuren ist die Decke der Personenzelle deutlich (vgl. z.B. Figur 40, 108, 128), zumindest schematisch eingezeichnet und mit dem Bezugszeichen 106 versehen; wenn vereinzelten Figuren das Bezugszeichen fehlt, ist die Decke gleichwohl schematisch zu erkennen. Soweit Figuren in dieser Schrift auch ohne Fahrzeugdach abgebildet sind, beziehen sich die insoweit von den Klägerinnen angeführten Beispiele auf die Abbildung von Sitzen, bei denen das Einzeichnen einer Decke für das Verständnis des Illustrierten nicht erforderlich ist oder gar hinderlich wäre, wie bei den Figuren 118 und 120 (vgl. zu dieser auch Sp. 63 Z. 2 bis 17 = T2 S. 93 Z. 3 bis 18), die eine Sicht auf das Fahrzeuginnere von vorn und schräg von oben zeigen.
30
cc) Wie der gerichtliche Sachverständige des Weiteren überzeugend ausgeführt hat, befasst sich die europäische Patentanmeldung 543 289 aus fachmännischer Sicht im Wesentlichen und vorrangig mit der Klimatisierung durch Kühlung. Ihre Zielsetzung besteht in einer verbesserten Energiebilanz und dieses Problem tangiert grundsätzlich nur die Kühlfunktion, weil nur dafür zusätzliche Energie aufgebracht werden muss, während sich für die Beheizung des Fahrzeugs die Abwärme des Motors kostenneutral anbietet. Eine effektivere Energieausnutzung soll erfindungsgemäß dadurch herbeigeführt werden, dass nur der Bereich rund um die auf dem jeweiligen Sitz Platz nehmende Person einer Klimatisierung unterzogen wird. Dazu wird in vielfältigen Ausführungsformen eine Klimatisierung dieser Zonen vornehmlich durch über dem Kopf (Figur
1) und im Bereich der Schultern und der Kopfstützen angebrachte Luftauslässe vorgeschlagen (vgl. Figuren 6, 9 (A), 18).
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dd) Allerdings befasst die europäische Patentanmeldung 543 289 sich durchaus auch mit der Klimatisierung des Bereichs der Sitzumgebung durch Beheizung. Mit dieser Funktion bringt der Fachmann aber nicht die über dem Kopf oder im Schulterbereich angeordneten Auslässe in Verbindung, weil ihm aufgrund seines allgemeinen Fachwissens klar ist, dass eine Beheizung geschlossener Personenzellen in Fahrzeugen von oben nach unten grundsätzlich nicht sachgerecht ist. Aus dem in der mündlichen Verhandlung einvernehmlich herausgearbeiteten Umstand, dass das unter dem Sitz angebrachte Gebläse (74) nur in eine Richtung arbeitet und Luft stets von oben ansaugt, aber nicht so funktioniert, dass Luft durch die oberen Auslässe (72) angesaugt und durch die Ansaugeinlässe (60) abgegeben wird, lässt sich deshalb nicht ableiten, die Schrift lehre den Fachmann ein - vom Fahrzeugheizungs- und -lüftungssystem getrenntes - Heizsystem mit Luftdüsen zum Umströmen des Kopf-, Nackenund Schulterbereichs der sitzenden Person mit Warmluft. Der Fachmann muss vielmehr, wie der gerichtliche Sachverständige einleuchtend erläutert hat, bestrebt sein, bei der Nutzung der Heizfunktion der Klimaanlage die Wärme in erster Linie dem unteren Bereich der Fahrgastzelle zuzuleiten. So erläutert es die Entgegenhaltung auch etwa bei der Darstellung des Ausführungsbeispiels nach den Figuren 44 bis 46 (Sp. 24 Z. 21 bis 30 = T2 S. 40 Z. 6 bis 14). Aus fachmännischer Sicht ist daher bei der Heizfunktion die Nutzung von Ausführungsformen geboten, wie sie in den Figuren 87 und 88 gezeigt und in der Beschreibung (Sp. 40 Z. 17 ff. = T2 S. 66 Z. 20 ff.) erläutert werden. Dabei wird die vom Gebläse (74) angesaugte Luft durch zusätzlich vorgesehene Klappen in den Kanälen so geleitet, dass sie, wie für das Wohlbefinden der Fahrzeuginsassen erforderlich, im unteren Bereich, nämlich über die unteren Ansaugöffnungen (60) in das Fahrzeuginnere strömt.
32
ee) Soweit die europäische Patentanmeldung 543 289, wie die eingehende Erörterung der Figur 102 in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, auch Beheizungsvorrichtungen vorschlägt, bei denen zum einen mittels einer Heizeinrichtung (80) erwärmte Außenluft über einen Kanal (557) dem Fahrgastraum zugeleitet werden kann, zum anderen in dem den Lufteinlass (60) und den Luftauslass (72) verbindenden Kanal ein Peltierelement angeordnet ist, gilt auch insoweit, dass die Nutzung des Peltierelements, der Zielrichtung der Schrift entsprechend, zunächst für die Kühlung der Fahrgastzelle beschrieben ist. Hierdurch wird die schematisch dargestellte räumliche Anordnung von Einund Auslass bestimmt. Der Fachmann hat vernünftigerweise keinen Anlass, sie für ein Heizsystem zum Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs der Fahrzeuginsassen in Erwägung zu ziehen. Es kommt hinzu, dass es aus fachmännischer Sicht fern liegt, den Kanal mit dem Peltierelement als von vom Fahrzeugheiz- und -lüftungssystem getrenntes Heizsystem auszulegen. Denn wenn es einer Beheizung des Fahrgastraums bedarf, wird der Fachmann hierzu in erster Linie auf die Heizeinrichtung (80) zur Erwärmung der Außenluft zurückgreifen. Das Peltierelement erfüllt dann, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, nur die Funktion, ein Element zur ergänzenden Regelung der Temperatur der über den Einlass (60) zuströmenden bereits er- wärmten Innenluft zur Verfügung zu stellen. Allenfalls in diesem Zusammenhang mag aus fachmännischer Sicht (auch) die Nutzung eines im Kopfbereich angeordneten Luftauslasses in Betracht kommen.
33
ff) Soweit die Streithelferin unter Bezugnahme auf das von dem von ihr beauftragten Sachverständigen erstellte Parteigutachten und die von ihm geleiteten Versuchsreihen aufzeigen möchte, dass Luftauslässe wie die in der europäischen Patentanmeldung 543 289 mit dem Bezugszeichen 72 gezeigten auch zur Warmluftzufuhr in Cabriolets benutzt werden könnten, ist dies, wie ausgeführt , in der Schrift nicht dargestellt. Es ist aber auch nicht nach den dafür geltenden Grundsätzen unausgesprochen offenbart. Nur dasjenige ist ohne im Patentanspruch und in der Beschreibung erwähnt zu sein doch offenbart, was aus der Sicht des Fachmanns für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner expliziten Offenbarung bedarf, weil es "mitgelesen" wird (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 27/06, GRUR 2010, 509 - Hubgliedertor I). Von einem "Mitlesen" in Bezug auf die Möglichkeit des Einsatzes der in der europäischen Patentanmeldung 543 289 gezeigten Klimaanlagen in Fahrzeugen mit offener Personenzelle kann nicht die Rede sein. Es bedarf keiner fachlichen Vorbildung um zu wissen, dass der Effekt von Klimaanlagen empfindlich gestört wird, wenn die zu klimatisierende Raumeinheit nicht gegenüber einem nicht klimatisierten Raum abgeschlossen ist. Deshalb werden in Fahrzeugen etwa geöffnete Seitenfenster tunlichst geschlossen, wenn die Klimaanlage eingeschaltet wird. Umso mehr wird der Offenbarungsgehalt der europäischen Patentanmeldung 543 289 aus fachmännischer Sicht auf Fahrzeuge mit geschlossener Personenzelle bezogen.
34
Unbeschadet dessen ist das in der Entgegenhaltung dargestellte Klimatisierungssystem freilich auch bei Fahrzeugen einsetzbar, die sowohl mit geschlossener als auch mit offener Fahrgastzelle gefahren werden können, und könnte - zweckwidrig - auch bei geöffnetem Dach oder geöffneten Fenstern betrieben werden. Die Schrift offenbart dem Fachmann jedoch nicht die technische Lehre, die Klimaanlage so auszulegen, dass auch in diesem Fall mittels eines gesonderten, vom Fahrzeugheizungs- und -lüftungssystem getrennten Heizsystems über Luftdüsen im Bereich der Rückenlehne von Sitzen eine - räumlich begrenzte - Warmluftströmung erzeugt werden kann, die den Kopf-, Nacken- und Schulterbereich der sitzenden Person umläuft. Aus fachmännischer Sicht ist vielmehr zu erwarten, dass sich die in der Entgegenhaltung beschriebenen Klima- und Strömungsverhältnisse nicht einstellen, wenn die Klimaanlage bei offener Fahrgastzelle betrieben wird.
35
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist auch nicht von der japanischen Patentanmeldung Hei 7-266841 vorweggenommen. Die in dieser Schrift gezeigten Vorschläge zielen darauf ab, bei der Fahrt mit abgeklapptem Verdeck eine Fahrzeugklimatisierung zu erreichen, die gegenüber derjenigen bei geschlossenem Verdeck zumindest nicht signifikant abfällt. Zu diesem Zweck schlägt die Schrift eine Klimatisierungsanlage für Cabriolets vor, in deren zahlreichen Ausführungsformen erwärmte Luft durch Kanäle zu Luftaustrittsschlitzen geleitet wird, die an verschiedensten Stellen in der Personenzelle angeordnet sind, um sich nach Austritt mit dem Fahrtwind zu mischen. Dies sind insbesondere die Bereiche des Dachrahmens (Front-Header, vgl. Figur 10 Bezugszeichen 10; Figur 7 Bezugszeichen 54 L und 54 R), des Armaturenbretts (Figur 13 Bezugszeichen 97), der Oberseiten der Türverkleidungen (Figur 15), der Hutablage (Figur 26) und daneben auch die Sitze (insbesondere Figuren 19 bis 21). An den Rückseiten der Sitzlehnen sind Kanäle für Klimatisierungsluft (134) mit entsprechenden Belüftungsöffnungen (133) vorgesehen, aus denen, wie aus der nachfolgend abgebildeten Figur (20) ersichtlich, im Wesentlichen auf voller Breite der Rückenlehnen, hinter den Kopfstützen, Warmluft in Richtung nach oben austreten kann (vgl. auch die weiter unten bei III 2 b abgebildete Figur 19 mit Pfeil g).


36
Neuheitsschädlich ist diese Ausführungsform schon deshalb nicht, weil die aus den Sitzen austretende Warmluft nicht mittels einer Zusatzheizung (Merkmal 3) zugeführt wird.
37
Die japanische Schrift offenbart allerdings auch Heizelemente, die als zusätzliche Heizung bezeichnet werden können, und zwar insbesondere in der in den Figuren 25 und 26 gezeigten Ausführungsform, die ersichtlich für Fahrzeuge mit Heckmotor konzipiert ist. Im Bereich des Verdeckstauraums ist ein Lüfter vorgesehen, der sich bei abgeklapptem Verdeck einschaltet, um vom Motor erwärmte Luft durch Kanäle nach oben in die offene Personenzelle zu fördern.
38
Diese Ausführungsform mag eine zusätzliche Heizung mit Gebläse zeigen , die aber entgegen Merkmal 3 schon nicht mit einem eigenen Wärmetauscher ausgestattet ist. Außerdem erfüllt diese Ausführungsform nicht die Merkmale 4 bis 6. Entsprechend der generellen Zielsetzung der Schrift soll die aus dem Verdeckstauraum austretende Warmluft sich vielmehr diffus mit dem Fahrtwind mischen, so dass die Temperatur des von hinten in den Innenraum dringenden Fahrtwinds erhöht wird (Übersetzung Tz. 102).
39
c) Die weiteren in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen stellen die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 ebenfalls nicht in Frage.
40
2. Der gesamte Inhalt der Verhandlungen einschließlich der durchgeführten Beweisaufnahme gestattet nicht die Wertung, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
41
a) Zwar ist es im Stand der Technik seit langem bekannt, die Fahrzeugsitze selbst in die Klimatisierung einzubeziehen. Die europäische Patentanmeldung 543 289 wäre allerdings als Ausgangspunkt für den Fachmann gänzlich ungeeignet. Wie ausgeführt, sind die Bemühungen dieser Schrift hauptsächlich von dem Bestreben getragen, einen energieeffizienteren Weg zur Kühlung der Personenzelle in geschlossenen Fahrzeugen bereitzustellen, indem nur der Bereich um den Sitz mit der darauf befindlichen Person von Kühlluft umströmt wird. Der Fachmann, der vor dem Problem stand, wie die Gefahr der Unterkühlung des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs von Cabrio-Fahrern abgewendet werden kann, hatte keinen Grund, hierfür in dieser Schrift Lösungsansätze zu erwarten.
42
b) Soweit die Sitze in der japanischen Patentanmeldung Hei 7-266841 zur Klimatisierung benutzt werden, werden sie nur als ein Objekt unter vielen in der Personenzelle als Träger von Austrittschlitzen für Warmluft (oben III 1 b) vorgeschlagen. Es liefe auf eine rückschauende Betrachtung hinaus, darin den Weg zu einer Anordnung von Luftdüsen zum fokussierten Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs mit Warmluft gemäß den Merkmalen 5 und 6 von Patentanspruch 1 angelegt zu sehen. Die japanische Schrift propagiert die diffuse Erwärmung der in der offenen Personenzelle strömenden Kaltluftmengen (oben III 1 b). Soweit in dieses Konzept die Rückenlehnen eingebunden sind, sind dementsprechend und wie aus der nachfolgend abgebildeten Figur 19 der Schrift (mit Luftpfeil g) ersichtlich, Belüftungsöffnungen für einen Austritt der Warmluft vertikal nach oben vorgesehen.


43
Diese Warmluft soll sich mit dem Fahrtwind mischen; eine direkte Hinlenkung auf die genannten Körperzonen der Fahrzeuginsassen wie beim Streitpatent ist weder vorgesehen noch angelegt, mögen die vom Parteigutachter durchgeführten Versuche auch belegen können, dass ein Umströmen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs erreichbar ist.
44
Der zur Anmeldezeit tätige Fachmann wird dem von der Schrift angebotenen Gesamtkonzept allerdings von vornherein skeptisch gegenübergestanden haben, weil ihm eine Verwirklichung des gesetzten Ziels, die offene Personenzelle genauso oder zumindest annähernd so zu klimatisieren, wie die geschlossene , aus naheliegenden Gründen (vgl. oben III 1 a ff) wenig realistisch erscheinen musste. Es ist deshalb auch nachvollziehbar, dass, wie der Sachverständige unwidersprochen erklärt hat, der Eingang dieser Vorschläge in die Serienfertigung nicht bekannt geworden ist.
45
Unabhängig davon gab die japanische Schrift dem zur Anmeldezeit tätigen Fachmann weder Anlass noch Anregung, den diametral entgegengesetzten Weg einer Fokussierung der Warmluftströme auf die neuralgischen Körperregionen einzuschlagen und die Warmluftzufuhr über Luftdüsen (Merkmal 4) zum direkten Anstrahlen des Kopf-, Nacken- und Schulterbereichs mit Warmluft vorzusehen und dabei zudem einem von der Klimaanlage getrennten Zusatzheizsystem zuzuweisen, mögen solche Zusatzheizungen als solche auch seit langem im Stand der Technik bekannt sein, wie die Streithelferin unter Hinweis namentlich auf die deutsche Patentschrift 1 123 220 (HSS 8) dargetan hat. Anregungen zu einer patentgemäßen Lösung für Fahrzeuge mit offener Personenzelle leiten sich daraus nicht her.
46
c) Die von Patentanspruch 1 vorgeschlagene Lösung kann auch nicht als durch eine Zusammenschau der Lehren der europäischen Patentanmeldung 543 289 und der japanischen Patentanmeldung Hei 7-266841 nahegelegt bewertet werden. Die in beiden Schriften offenbarten Vorschläge weisen in diametral entgegengesetzte Richtungen, indem die Letztere eine Erwärmung der Luft in der offenen Fahrgastzelle gleichsam "nach dem Gießkannenprinzip" vorschlägt , während die Erstere aus Energiespargründen möglichst nur den Bereich um die einzelnen Sitze klimatisieren will. Hinzu kommt, dass, wie ausgeführt , die europäische Patentanmeldung 543 289 dem nach Anregungen für ein Wärmekonzept für Fahrzeuge mit offener Personenzelle suchenden Fachmann schon deshalb nicht vielversprechend erscheint, weil dort die Klimatisierung durch Kühlung schwerpunktmäßig im Vordergrund steht. Dass der Fachmann vor diesem Hintergrund eine Anregung erhielte, den mit einem Kanal für Klimatisierungsluft versehenen Sitz der japanischen Schrift aus dem von ihr verfolgten Gesamtkonzept herauszulösen und mit Luftaustritten etwa nach Art der Figuren 6, 9 und 18 der europäischen Patentanmeldung 543 289 zu versehen, ist nicht anzunehmen.
47
d) Das Streitpatent schlägt somit eine Lösung vor, die einen gänzlich anderen Weg geht, als der in der Praxis dominierende Einsatz von Windschotts oder der Vorschlag der deutschen Patentschrift 39 25 809 (K 3), und die auch weder in der europäischen Patentanmeldung 543 289 und der japanischen Patentanmeldung Hei 7-266841 noch in der Zusammenschau dieser Schriften angelegt ist und von dem die übrigen Entgegenhaltungen noch weiter ab liegen.
48
3. Die übrigen Patentansprüche werden von der Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 getragen.

49
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 101 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 92 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Berger
Hoffmann Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.04.2008 - 1 Ni 24/07 -

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(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 101 Kosten einer Nebenintervention


(1) Die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten sind dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat; soweit dies nicht der Fall ist, sind sie dem Nebeninte

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(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Dez. 2009 - X ZR 27/06

bei uns veröffentlicht am 22.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 27/06 Verkündet am: 22. Dezember 2009 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2008 - X ZR 89/07

bei uns veröffentlicht am 16.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 89/07 Verkündetam: 16. Dezember 2008 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 16. Nov. 2010 - X ZR 97/08.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Mai 2016 - X ZR 114/13

bei uns veröffentlicht am 10.05.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 114/13 Verkündet am: 10. Mai 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja _____

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 89/07 Verkündetam:
16. Dezember 2008
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Olanzapin
EPÜ Art. 54; PatG § 3
a) Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung
neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts
der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information
dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein
anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Fortführung
des Sen.Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407 - Fahrzeugleitsystem
).
b) Offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung
nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch
für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich
ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern "mitgelesen"
wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine
Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht
anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich
der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen
Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines
Fachwissens entnimmt (Fortführung von BGHZ 128, 270 - Elektrische
Steckverbindung).
c) Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind die unter diese
Formel fallenden Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart
(Fortführung von BGHZ 103, 150 - Fluoran).
BGH, Urt. v. 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck, Asendorf und
Gröning

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 4. Juni 2007 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten des Rechtsstreits und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Klägerinnen und die Streithelferinnen der Klägerin zu 1 zu tragen. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerinnen und die Streithelferinnen jeweils selbst. Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 24. April 1991 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 25. April 1990 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 454 436, das 22 Patentansprüche umfasst, von denen die Ansprüche 2, 6, 8, 20 und 21 wie folgt lauten: 2. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine or a pharmaceutically acceptable acid addition salt thereof.
6. The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of schizophrenia.
8. The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of acute mania.
20. A process for producing a compound according to claim 1, which comprises
(a) reacting N-methylpiperazine with a compound of the formula
in which Q is a radical capable of being split off, or
(b) ring-closing a compound of the formula

21. A compound of the formula

in which Q is -NH2, -OH or -SH, and when Q is -NH2 salts thereof.
2
Wegen des Wortlauts der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie den Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
6
Die Klägerinnen sowie die Streithelferinnen der Klägerin zu 1, die dem Verfahren im zweiten Rechtszug beigetreten sind, treten dem Rechtsmittel entgegen.
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr. Michael Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, in der mündlichen Verhandlung ein Gutachten erstattet.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage. Das Patentgericht hat das Streitpatent zu Unrecht für nichtig erklärt.
9
I. Das Streitpatent betrifft (in der vom Patentgericht und den Parteien verwendeten Nomenklatur) die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl )-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin mit dem Freinamen Olanzapin, ihre Verwendung als Arzneimittel insbesondere als Antipsychotikum zur Behandlung von Schizophrenie und akuter Manie und ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung.
10
Die Streitpatentschrift schildert, dass seit der Einführung von Antipsychotika zur Behandlung von Störungen des Zentralnervensystems therapiebedingte extrapyramidale Symptome (Störungen der extrapyramidalen motorischen Nebenbahnen des zentralen Nervensystems) beobachtet würden, zu denen Parkinsonismus , akute dystonische Reaktionen, Akathisie, tardive Dyskenisie und tardive Dystonie gehörten. Starke extrapyramidale Symptome träten etwa bei dem häufig angewandten Haloperidol auf.
11
Aus der großen Gruppe trizyklischer Verbindungen sei Clozapin mit dem Anspruch eingeführt worden, frei von solchen extrapyramidalen Wirkungen zu sein. Die Verbindung verursache jedoch bei einigen Patienten Agranulozytose, eine lebensbedrohliche Verringerung der Zahl weißer Blutkörperchen. Die Strukturformel von Clozapin ist die Folgende:
12
Die Streitpatentschrift erörtert sodann eine Gruppe von Thienobenzodiazepinen , die im britischen Patent 1 533 235 (Anl. K 2) beschrieben sei. Die Verbindung 7-Fluor-2-methyl-10-(4-methyl-a-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]- benzodiazepin (Flumezapin) aus dieser Gruppe sei bis zur klinischen Anwendung an Schizophreniepatienten entwickelt worden. Jedoch habe die klinische Phase wegen mögliche Toxizität anzeigender erhöhter Enzymgehalte beendet werden müssen. Hinsichtlich der Tendenz zu einem erhöhten Leberenzymgehalt ähnele Flumezapin dem Antipsychotikum Chlorpromazin, das seit längerem verwandt werde, dessen Sicherheit jedoch in Frage gestellt sei.
13
Flumezapin hat die Strukturformel:
14
Aus dieser Kritik am Stand der Technik und der vorgeschlagenen Lösung ergibt sich als das mit den Mitteln des Streitpatents zu lösende technische Problem, eine weitere Verbindung zur Verfügung zu stellen, die als Antipsychotikum wirksam ist, keine extrapyramidalen Symptome erzeugt und in möglichst wenigen Fällen andere gravierende Nebenwirkungen hat.
15
Dieses Problem soll durch die Verbindung Olanzapin mit der folgenden Strukturformel gelöst werden:
16
Olanzapin hat somit wie Clozapin und Flumezapin eine trizyklische Grundstruktur mit einem zentralen Diazepinring (B) und einem ("linken") Phenylring (A); der dritte ("rechte") Ring (C), der bei Clozapin wie der linke ein Phenylring ist, wird bei Olanzapin wie bei Flumezapin durch einen Thiophenring mit einem Methylrest (Thienylring) gebildet. Wie bei Clozapin und Flumezapin ist an den Diazepinring in Position 4 ein Piperazinring mit einem an das Stickstoffatom bindenden Methylrest (Piperazinylring) angebunden. Anders als Clozapin und Flumezapin ist der Phenylring (A) bei Olanzapin weder in Position 7 noch in Position 8 halogeniert.
17
Nach den Angaben der Streitpatentschrift hat Olanzapin überraschende und exzellente Ergebnisse bei Screeningtests zur Untersuchung der Aktivität im zentralen Nervensystem gezeigt. Die Verbindung habe sich als wirksamer Dopamin -Antagonist erwiesen und bei der klinischen Evaluierung bei - mit geringerem Nebenwirkungsrisiko verbundenen - niedrigen Dosierungen hohe antipsychotische Wirkung gezeigt.
18
II. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sei nicht neu, da durch den Aufsatz "4-Piperaninyl-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepines as Potential Neuroleptics" von Chakrabarti et al in Journal of Medicinal Chemistry (J. Med. Chem.) 1980, 878 (Anl. K 4, Chakrabarti 1980) vorweggenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Gegenstand der (Olanzapin und seine Säureadditionssalze betreffenden ) Patentansprüche 1 bis 3 ist weder durch die Entgegenhaltung Chakrabarti 1980 noch sonst im Stand der Technik offenbart.
19
1. Zur Begründung seiner Auffassung hat das Patentgericht ausgeführt :
20
Die chemische Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin sei in K 4 zwar nicht expressis verbis beschrieben. Der Offenbarungsgehalt einer vorveröffentlichten Druckschrift umfasse aber auch solche Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer , weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest , auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist. Diese Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 128, 270, 276 f. - Elektrische Steckverbindung ) seien auch im Bereich der Stoffchemie mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine chemische Verbindung dann offenbart sei, wenn dem Fachmann ein konkreter Hinweis auf die betreffende Verbindung vermittelt werde, er also diese Verbindung in Gedanken ohne weiteres mitlese und aufgrund dieses Hinweises ohne weiteres in die Lage versetzt werde, den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGHZ 103, 150 - Fluoran; Sen.Urt. v. 30.5.1978 - X ZR 16/76, GRUR 1978, 696 - α-Aminobenzylpenicillin).
21
Bei der Druckschrift K 4 handele es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung , die sich ausweislich ihres Titels mit 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepinen als potentiellen Neuroleptika befasse. Das Potential dieser Titelverbindungen zur Anwendung als neuroleptische Wirkstoffe werde exemplarisch anhand von Versuchen mit insgesamt 45 Verbindungen am Tier aufgezeigt und außerdem mit Verbindungen davon zum Teil erheblich abweichender Struktur sowie mit als therapeutisch wirksam anerkannten Standardverbindungen verglichen. Im Textteil setze sich die Druckschrift im Wesentlichen mit der Beziehung zwischen Struktur und Wirkung (structure-activity relationship , SAR) von 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen auseinander ; daneben werde auch deren chemische Synthese beschrieben.
22
Ausgehend von der bereits im Titel benannten Verbindungsgruppe werde der Leser zu der erheblich enger gefassten, besonders bevorzugten pharmakologischen Leitstruktur der Formel I mit ihren beiden variablen Resten R1 und R2, dem eigentlichen Ziel der Studie, hingeführt (S. 878 re. Sp. unten i. V. m. S. 879 re. Sp. "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active"). Tatsächlich stünden damit nicht 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine allgemein , sondern speziell die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3b] [1,5]benzodiazepine der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2 im Fokus der SAR-Studie. Der aufmerksame Leser könne deshalb auch nicht diejenigen Textstellen übersehen, in denen ausgehend von der vorangestellten Textstelle "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active" zum Rest R1 der Formel I festgestellt werde, dass die Substitution des Phenylrings in Position 7, d.h. der Ersatz des Wasserstoffatoms in 7-Position durch ein Halogenatom (Cl, F) die Aktivität verbessere. Zum variablen Rest R2 werde des Weiteren ausgeführt, dass ein kurzkettiger Alkylrest (Me, Et, i-Pr) als Substituent in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Diese Aussagen zur Relation zwischen Struktur und Wirkung (SAR) innerhalb der Gruppe der 4' (N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine der Formel I ba- sierten auf den Messwerten am Tier betreffend die Verbindungen der Tabelle 1, soweit sich diese auf die Formel I bezögen (Verbindungen 6 bis 30), in denen für R1 in 7-Position u.a. H, Cl, F und für R2 in 2-Position H, Me, Et, i-Pr stünden.
23
Die Offenbarung zu den Verbindungen der Formel I beschränke sich damit ersichtlich nicht auf die expressis verbis genannten Verbindungen 6 bis 30. Vielmehr stünden die aufgelisteten Verbindungen lediglich exemplarisch für sämtliche, unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungen der Reste R1 und R2 unter die allgemeine Formel I fallenden Verbindungen mit der Konsequenz , dass die stoffliche Lehre der K 4 sämtliche Verbindungen der Formel I einbeziehe, die sich aus der Kombination von in der Beschreibung oder in der Tabelle explizit genannten Substituenten R1 und R2 zwanglos ergäben, und zwar davon insbesondere diejenigen, die den exemplarisch tatsächlich hergestellten und auf ihre neuroleptische Aktivität hin untersuchten Verbindungen strukturell unmittelbar benachbart seien. Darüber hinaus werde anhand der Beschreibung aus dem stofflich und zahlenmäßig überschaubaren Kollektiv von Verbindungen der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2, das in der Tabelle 1 exemplarisch anhand der Verbindungen 6 bis 30 dargestellt sei, insbesondere jene sehr kleine Gruppe von Verbindungen näher identifiziert, deren Gruppenmitglieder in 7-Position Wasserstoff, Fluor oder Chlor und in 2Position Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl aufwiesen, und dadurch gegenüber anderen Verbindungen der Formel I sowie der Tabelle 1 deutlich hervorgehoben. Aus dieser sehr kleinen Gruppe von lediglich zwölf Verbindungen stelle 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin damit eine bereits aus der K 4 unmittelbar zu entnehmende Ausführungsform der pharmakologischen Leitstruktur der allgemeinen Formel I mit der Bedeutung R1 = Wasserstoff in 7-Position und R2 = Methyl in 2-Position dar. Beide Substituenten seien als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 als unmittelbar benachbart zu gleich drei expressis verbis beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-
H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) ohne Weiteres mitzulesen. Zwischen diesen drei unmittelbar benachbarten Verbindungen finde sich quasi eine durch die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin aufzufüllende Lücke oder, photographisch betrachtet, das "Negativ" dieser Verbindung , welches es lediglich zu kopieren gelte.
24
Damit hat das Patentgericht den Bereich des durch Chakrabarti 1980 Offenbarten verkannt.
25
2. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Sen.Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407, 411 - Fahrzeugleitsystem; Benkard /Melullis, EPÜ, Art. 54 Rdn. 54; PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 20 f.). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. In der Rechtsprechung des Senats und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts wird dies auch dahin ausgedrückt, dass maßgeblich ist, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist (BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Sen.Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Sen.Urt. v. 30.1.2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Tz. 17 - Betonstraßenfertiger; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE; s. dazu auch Benkard/Melullis, EPÜ aaO Rdn. 59; Rogge, GRUR 1996, 931, 934).
26
Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass der Senat insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten hat (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung). Die Erfassung desjenigen, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGHZ 128, 270, 276), zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern, nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, auf die Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Benkard/Melullis aaO Rdn. 75). Nichts anderes gilt für die in der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" weiterhin in den Offenbarungsgehalt einbezogenen Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen , dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGHZ 128, 270, 276 f.). Das Wort "naheliegen" mag in diesem Zusammenhang vordergründig auf den Äquivalenzbereich hinweisen. Der Begriff des Mitlesens macht jedoch deutlich, dass es nicht um die Einbeziehung von Austauschmitteln geht, sondern darum, die technische Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen (vgl. Rogge , GRUR 1996, 931, 935). Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen , die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (Benkard/Melullis, EPÜ, aaO Rdn. 68, 71, 77; PatG, aaO Rdn. 35 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).
27
Diese Grundsätze gelten, wie das Patentgericht insoweit zutreffend angenommen hat, auch im Bereich der Stoffchemie und insbesondere auch bei der Beurteilung des Informationsgehalts einer Strukturformel. Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, besagt deshalb für die Offenbarung der konkreten Verbindung ebenso wenig wie der Umstand, dass die konkrete Ausführungsform einer Vorrichtung unter einen allgemein formulierten Vorrichtungsanspruch fällt, etwas über die Offenbarung dieser konkreten Ausführungsform aussagt (BGHZ 103, 150, 157 - Fluoran). Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Verbindung offenbart wird. Dazu bedarf es Angaben , die den Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzen, die eben diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d.h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGH aaO).
28
Hierbei darf, wiederum nicht anders als bei Vorrichtungspatenten, die Fähigkeit des Fachmanns, mit Hilfe bekannter Verfahren und seines sonstigen Fachwissens eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelverbindungen herzustellen, die unter eine offenbarte Strukturformel fallen, nicht mit der Offenbarung dieser Einzelverbindungen gleichgesetzt werden (Sen.Urt. v. 30.9.1999 - X ZR 168/96, GRUR 2000, 296, 297 - Schmierfettzusammensetzung). Vielmehr stellen die Einzelverbindungen, jedenfalls regelmäßig, Nutzanwendungen der technischen Information dar, die dem Fachmann durch die Offenbarung der Strukturformel oder sonst einer allgemeineren Formel gegeben wird. Durch deren Mitteilung sind die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht offenbart; um sie dem Fachmann im Sinne der Neuheitsprüfung "in die Hand zu geben", bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung. Soweit der noch zum Patentgesetz 1968 ergangenen Entscheidung "Fluoran", in der der Senat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren an die Feststellung des Patentgerichts gebunden gesehen hat, dem Fachmann seien durch eine allgemeine Formel fast 2000 unter die betreffende Formel fallende Einzelverbindungen als herstellbar offenbart, etwas an- deres zu entnehmen sein sollte, wird daran für das geltende Recht nicht festgehalten. Als offenbart kann eine nicht ausdrücklich genannte Einzelverbindung vielmehr nur dann gelten, wenn der Fachmann sie im vorstehend ausgeführten Sinne "mitliest", etwa weil sie ihm als die übliche Verwirklichungsform der genannten allgemeinen Formel geläufig ist und sich ihm daher sofort als jedenfalls auch gemeint aufdrängt, wenn er die allgemeine Formel liest.
29
Der Senat sieht sich mit dieser allgemeinen Beurteilung des Offenbarungsgehalts chemischer Formeln im Wesentlichen in Einklang mit der - auch vom High Court für England und Wales (Floyd J.) in dem das Streitpatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren zugrunde gelegten ([2008] EWHC 2345 (Pat)) - Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts , nach der nur solche technische Lehren neuheitsschädlich sind, die einen Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d.h. individualisierter, Form offenbaren (Amtsbl. 1982, 296 - Diastereomere/BAYER; Amtsbl. 1984, 401 - Spiroverbindungen/CIBA GEIGY; Amtsbl. 1988, 381 - Xanthines/DRACO; Amtsbl. 1990, 195 - Enantiomere /HOECHST; Entscheidung vom 19.2.2003 - T 940/98 - Diastereomere des 3Cephem -4-carbonsäure-1-(isopropoxycarbonyloxy)ethylesters/HOECHST).
30
3. Für den Streitfall folgt hieraus:
31
Chakrabarti 1980 gibt mit der nachfolgend wiedergegebenen Formel I auf S. 878 unten eine Strukturformel für 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepine mit den Substituenten R1 und R2 an.
Es kann offenbleiben, ob diese Formel, obwohl die Schrift keine aus32 drücklichen Substituentenlisten enthält, aufgrund der in Tabelle 1 aufgeführten, von den Verfassern tatsächlich verwendeten Substituenten als sogenannte Markush-Formel gelesen werden kann, bei der R1 Wasserstoff, Fluor oder Chlor und R2 Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl sein kann. Denn die erfindungsgemäße Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3b ][1,5]benzodiazepin, bei der R1 Wasserstoff und R2 Methyl ist, ist damit noch nicht offenbart. Sie ist lediglich eine von zwölf Verbindungen, die der Fachmann , ein mit Pharmakologen und Medizinern zusammenarbeitender erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker, bei der gedanklichen Aufstellung der Substituentenlisten als unter die allgemeine Formel fallend erkennen kann. Sie ist aber weder in Tabelle 1 der Schrift als von den Verfassern hergestellte Einzelverbindung aufgeführt, noch im Text der Abhandlung an irgendeiner Stelle erwähnt.
33
Es lässt sich auch nicht sagen, dass der Fachmann die individuelle Verbindung gleichwohl "mitlese". Das würde voraussetzen, dass sich dem Fachmann beim Lesen der Strukturformel und der (gedachten) Substituentenlisten sogleich die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin als gemeint aufdrängt. Dafür gibt es weder im Vorbringen der Parteien einen Anhalt, noch haben hierfür die erst- und die zweitinstanzliche Beweisaufnahme etwas erbracht.
34
Die Erwägungen des Patentgerichts tragen diese Annahme ebenfalls nicht. Sie befassen sich, ausgehend von der Formel I und dem Hinweis "4'-(NMethylpiperazinyl ) compounds are most active" mit der Frage, inwieweit der Fachmann Veranlassung hat, sich außer den hergestellten und diskutierten Einzelverbindungen auch mit 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin zu befassen. Das Patentgericht sieht dies deshalb als veranlasst an, weil die Substituenten R1 = H in 7-Position und R2 = CH3 in 2- Position als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 unmittelbar benachbart zu gleich drei ausdrücklich beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) seien. Damit hat das Patentgericht jedoch den Bereich der Ermittlung der Offenbarung der Vorveröffentlichung verlassen und sich der Frage zugewandt, was den Fachmann dazu veranlassen (oder möglicherweise auch drängen) könnte, eine weitere "Ausführungsform" der in Formel I definierten Gruppe von 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in den Blick zu nehmen und damit, wie es das Patentgericht ausgedrückt hat, eine "Lücke" in der Tabelle 1 der Schrift zu füllen. Eine solche Untersuchung ist indessen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit vorbehalten.
35
Dass sich das Patentgericht bei seiner Untersuchung außerhalb des Offenbarungsgehalts der Veröffentlichung bewegt, wird auch daran deutlich, dass sich die Füllung der vermeintlichen Lücke in Tabelle 1 gar nicht bewerkstelligen ließe, ohne die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepin zunächst herzustellen und sodann mit ihr diejenigen Versuche auszuführen, die die Verfasser der Abhandlung mit den von ihnen synthetisierten Verbindungen durchgeführt haben. Denn über die in der Tabelle ausgewiesenen experimentellen Werte wie die CAR- und CAT-Werte für Olanzapin könnte der Fachmann nur spekulieren.
36
4. Ebenso wenig ist Olanzapin in der britischen Patentschrift 1 533 235 (Anl. K 2), der dieser Patentschrift zugrunde liegenden Anmeldung 51 240 (Anl. K 35) oder einer der weiteren, auf diese Prioritätsanmeldung zurückgehenden Patentanmeldungen und Patentschriften (der deutschen Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], dem deutschen Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und dem US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) offenbart. Die in diesen Vorveröffentlichungen enthaltenen allgemeinen Formeln sind jeweils noch weit breiter gefasst als in der Abhandlung Chakrabarti 1980; 2-Methyl-4-(4- methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ist weder hergestellt noch sonst erwähnt worden.
37
Nichts anderes gilt, soweit die britische Patentanmeldung als "preferred compounds falling within the scope of compounds defined in any of formulae (I) - (VII) above … those having one or more of the following charakterictics" erwähnt und unter den insgesamt 14 "Charakteristika" unter (J) die Strukturformeln II oder V, von denen die Formel II das Ringsystem von Olanzapin mit den Substituenten R1 und R2 des Benzolrings und den Substituenten R5 des Diazepinrings aufweist, (E) R1 und R2 mit Wasserstoff,
(I)
R5 als eine Gruppe der Formel N N – R6 wobei R6 Methyl, Carbothoxy oder Phenyl, insbesondere oMethoxyphenyl ist, (K) den Thiophenring als durch eine C1-4-Alkylgruppe wie Ethyl substituiert angibt. Kombiniert man diese "Charakteristika", ist zwar Olanzapin eine der unter diese Kombination fallenden Verbindungen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Verbindung als solche nicht offenbart ist und erst erhalten wird, wenn nicht nur die "Charakteristika" J, E, I und K kombiniert werden, sondern auch bei I und K jeweils Methyl ausgewählt wird. Entsprechend verhält es sich bei den Patentansprüchen 2 und 3 des deutschen Patents 25 52 403, die auf Thieno [1,5]benzodiazepine der allgemeinen Formel I' nach Anspruch 1 gerichtet sind, worin R1 und R2 unabhängig voneinander jeweils Wasserstoff, Halogen oder C1-4-Halogenalkyl bedeuten und Y (richtig: R5) eine Gruppe der Formel N N – R6 ist, wobei R6 Methyl bedeutet, und der Thiophenring durch eine C1-4-Alkylgruppe substituiert ist.
38
Auch die Erwähnung von 2-Ethyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin ("Ethyl-Olanzapin") als erste der für "besonders bevorzugte Verbindungen" genannten mehr als 70 Beispiele (GB 51 240 A, S. 8 Z. 20; DE 25 52 403 C2 S. 7 Z. 15-17) ändert daran nichts. Ein EthylSubstituent ist aus fachmännischer Sicht kein Methyl-Substituent; der Austausch einer Alkylgruppe gegen eine andere ist vielmehr eine Abwandlung der Verbindung, die gegebenenfalls naheliegen oder sich auch geradezu aufdrängen mag, aber nicht Inhalt der Offenbarung einer bestimmten Alkylverbindung ist. Dies gilt zumal im pharmazeutischen Kontext, in dem dem Fachmann, wie der Gutachter Prof. Dr. Dannhardt der Beklagten unwidersprochen dargelegt hat (Anl. B 51, S. 4) und das Gutachten bestätigt, das Prof. Dr. Dr. Mutschler für die Streithelferin zu 2 der Klägerin zu 1 erstattet hat (Anl. RA 3, S. 2 f.), eine Reihe von Verbindungen bekannt sind, die trotz identischer Struktur aufgrund ihrer unterschiedlichen Methyl- bzw. Ethylseitenketten deutlich unterschiedliche biologische Aktivität zeigen.
39
5. Schließlich ist Olanzapin auch nicht in der Abhandlung "A FreeWilson Study of 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Analogues" von Schauzu und Mager (Pharmazie 38 [1983], 562, Anl. K 6) offenbart.
40
Bei einer Free-Wilson-Analyse handelt es sich um ein mathematisches Verfahren zur Ermittlung des quantitativen Gewichts, das ein einzelner Substituent einer Verbindung an einer gegebenen biologischen Aktivität dieser Verbindung hat.
41
In Tabelle 1 der Abhandlung sind zwar für die analysierte Verbindung 11 als Substituenten R1 und R2 Wasserstoff und Methyl genannt. Die der Tabelle vorangestellte Strukturformel zeigt jedoch keine Piperazinyl-, sondern Piperidinylverbindungen. Es besteht somit ein Widerspruch zwischen Strukturformel und Titel der Arbeit. Der Fachmann wird zumindest aus diesem Grund die in der Arbeit von Schauzu und Mager zitierte Referenz für die zugrunde gelegten experimentellen Daten zu Rate ziehen. Dabei handelt es sich um die Arbeit "Effects of Conformationally Restricted 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Neuroleptics on Central Dopaminergic and Cholinergic Systems" von Chakrabarti et al. in J. Med. Chem. 1982, 1133 (Anl. B 41, Chakrabarti 1982). Dieser Abhandlung ist auf S. 1135 die - dem Titel der Arbeit von Schauzu entsprechende - Strukturformel für die untersuchten 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine zu entnehmen. Die Verbindungen 1 bis 12 sowie die Vergleichsverbindungen Clozapin und Haloperidol sind - in anderer Reihenfolge - identisch mit den von Schauzu analysierten; die experimentellen IC50-Werte bei Chakrabarti 1982 entsprechen, wie die Beklagte unwidersprochen dargetan hat, (bis auf zwei Rundungsfehler) umgerechnet den Werten in der Spalte "log I50 obtd." bei Schauzu. Aus fachmännischer Sicht ergibt sich somit, dass die fehlerhafte Strukturformel bei Schauzu in Übereinstimmung mit der Strukturformel bei Chakrabarti 1982 zu korrigieren ist.
42
Die Strukturformel in Tabelle 1 bei Chakrabarti 1982 zeigt aber auch, dass der linke Phenylring einen Halogensubstituenten in Gestalt eines 7-Fluorrestes trägt, der bei der ohnehin fehlerhaften Darstellung bei Schauzu am linken Rand der Textspalte "abgeschnitten" ist. Die als Nr. 11 bei Schauzu offenbarte Verbindung ist somit nicht Olanzapin, sondern Flumezapin.
43
III. Verhandlung und Beweisaufnahme haben auch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann am Prioritätstag durch die Schrift Chakrabarti 1980 oder auf andere Weise nahegelegt war.
44
1. Von Chakrabarti und seinen Mitautoren wird dargelegt, dass bis vor kurzem angenommen worden sei, das Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen stehe in engem Zusammenhang mit der therapeutischen Wirksamkeit von Neuroleptika. Inzwischen gehe man jedoch davon aus, dass die extrapyramidalen Symptome durch eine Blockade der Dopaminrezeptoren im Striatum hervorgerufen werde, während die antipsychotische Wirkung durch eine ähnliche Interaktion in der mesolimbischen Hirnregion bedingt sei. Daraus wird die Erwartung abgeleitet, dass eine Verbindung mit einer spezifischeren Wirkung auf die dopaminergen Rezeptoren im mesolimbischen System eine geringere Katalepsie bei Tieren bewirken und auch beim Menschen weniger extrapyramidale Symptome hervorrufen werde.
45
Es werden sodann die mit Clozapin gemachten Erfahrungen erörtert. In diesem Zusammenhang heißt es, jüngste Studien deuteten darauf hin, dass Clozapin - wie nach dem Vorstehenden wünschenswert - im mesolimbischen System aktiver als im striatalen sei. Clozapin unterscheide sich chemisch von anderen Neuroleptika der Dibenzozepinreihe durch eine Substitution mit einem Chloratom in Position 8 (Ring A), jedoch nicht in Position 2 (Ring C). Hingegen verhalte sich sein Ring-C-substituiertes 2-Chlor-Isomer wie ein klassisches Neuroleptikum. Ähnliche Veränderungen des Aktivitätsprofils seien auch für Oc- toclothepin und Doclothepin berichtet worden. Für die tiefgreifende Veränderung der Aktivität durch die Transposition der Halogensubstitution gebe es keine eindeutige Erklärung.
46
Die Autoren bilden vor diesem Hintergrund die Hypothese, dass die Ursache für die unterschiedliche Aktivität darin liegen könne, dass die Verschiebung der nuklearen Substitution zu einem elektronischen Ungleichgewicht zwischen den beiden Benzolringen des asymmetrischen trizyklischen Systems führe. Da ähnliche Effekte durch geeignete Heteroarengruppen an Stelle eines Benzolrings erzielt werden könnten, sei es interessant zu untersuchen, ob Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt werde, zu einer ähnlichen biologischen Reaktion wie nicht-klassische Neuroleptika (wie Clozapin) führten.
47
Diesem Ziel dient die Synthese einer Reihe von 4-substituierten 10HThieno [2,3-b][1,5]benzodiazepinen und deren Vergleich mit bekannten Antipsychotika , über die nachfolgend berichtet wird. Dazu wird einleitend weiter erläutert , dass bei den synthetisierten Verbindungen Modifikationen an den Substituenten des Phenylrings und des Thiophenrings sowie geeignete Veränderungen der basischen Seitenkette vorgenommen worden seien, um den Zusammenhang zwischen Struktur und Aktivität zu untersuchen. Die neuroleptische Aktivität sei anhand der Fähigkeit beurteilt worden, bei Mäusen eine Hypothermie zu produzieren und bei Ratten eine konditionierte Vermeidungsreaktion (conditioned avoidance response, CAR) zu blockieren und eine Katalepsie (CAT) hervorzurufen.
48
Die insgesamt 59 synthetisierten Verbindungen und die für diese ermittelten CAR- und CAT-Werte werden in Tabelle 1 wiedergegeben und in dem Kapitel "Structure-Activity Relationships" diskutiert. Es wird dabei als (aufgrund der ermittelten Daten) evident bezeichnet, dass ein basischer und in Position 4 mit dem Thienobenzodiazepinring verbundener Piperanzinring unerlässlich sei.
Am aktivsten seien 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen. Eine höhere Alkylsubstitution (Et, n-Pr) (Verbindungen 31 bis 33) bewirke eine Reduktion der Aktivität. Dagegen behielten die Verbindungen 34 bis 36 mit 4'-[N-(Hydroxyalkyl)]- gruppen (2-Hydroxyethyl, 3-Hydroxypropyl) eine gute Aktivität. Die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 verstärkte die Aktivität. Obwohl die 7,8-Difluorverbindung (Verbindung 29) eine gute Aktivität behalten habe, zeigten die 8-Fluor- und 6,8-Difluor-Positionsisomerverbindungen (27 und 30) eine verminderte Aktivität. Das 8-Methyl-Derivat (28) weise eine mittlere Aktivität auf, wohingegen die Substitution in Position 7 mit NO2, SCH3, SO2CH3 und SO2N(CH3)2 (23 bis 26) keinen Vorteil ergeben habe. Eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings scheine die Aktivität zu erhöhen. Verbindungen mit einer sperrigen t-Bu-Gruppe oder einer langen n-Hexankette in dieser Position oder mit 3-Methyl- oder 2,3Dialkylsubstituenten zeigten nur eine minimale Aktivität. Von den beiden Umsetzungsprodukten , die durch Oxidation der Ethylseitenkette von Verbindung 12 entstanden seien, habe Verbindung 15 mit einer 1'-Hydroxylethylkette eine mittelmäßige Aktivität behalten, während die andere Verbindung (16) mit einer elektronenziehenden Acetylgruppe inaktiv gewesen sei.
49
Die berichteten Tests korrelierten mit der Fähigkeit der Verbindung, Dopaminrezeptoren zu blockieren. Einige Verbindungen, z.B. 9, 12, 17, 29 und 34, hätten sich als aktiver als Clozapin erwiesen und eine ähnliche, wenn auch weniger deutliche Trennung der Aktivität im CAR- und CAT-Test gezeigt. Dieses Aktivitätsprofil erfordere, so resümieren die Autoren, eine weitere Entwicklung dieser Klasse von Verbindungen.
50
2. Die Autoren finden somit grundsätzlich die Hypothese bestätigt oder jedenfalls nicht widerlegt, sondern eine weitere Untersuchung rechtfertigend , dass Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt ist, zu einer ähnli- chen biologischen Reaktion wie Clozapin oder andere nicht-klassische Neuroleptika führen (können). Die Verbindungen 9 (= Flumezapin), 12, 17, 29 und 34 werden dafür ausdrücklich nur als Beispiele genannt. Da 4'-(N-Methylpiperazinyl )-Verbindungen als die aktivsten bezeichnet werden, mag dem Patentgericht in der Annahme gefolgt werden, dass der Fachmann, der der Frage nach einer Clozapin-Alternative weiter nachgehen will, Veranlassung hat, sich insbesondere diesen Verbindungen zuzuwenden. Gleichwohl liegt hierin ein erster nicht ganz selbstverständlicher Schritt, da er zum einen voraussetzt, dass der Fachmann überhaupt Chakrabarti 1980 zum Ausgangspunkt weiterer Bemühungen wählt, und zum anderen die Formel I auf S. 878 unten nur beispielhaft genannt wird ("such as I") und die linke Strukturformel in der Oberzeile der Tabelle 1 (zu der die synthetisierten Verbindungen 1-45 gehören) erheblich weiter ist und insgesamt 1.452 Verbindungen umfasst.
51
Diese erste Auswahlentscheidung kann auch nicht mit der Erwägung vernachlässigt werden, dass der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit stets der nächstkommende Stand der Technik zugrunde zu legen wäre und dieser hier in den von Chakrabarti beschriebenen 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen oder gar einer bestimmten Verbindung aus dieser Gruppe läge. Ein solcher Vorrang des "nächstkommenden Standes der Technik" besteht nicht. Erst aus rückschauender Sicht wird erkennbar, welche Vorveröffentlichung der Erfindung am nächsten kommt und wie der Entwickler hätte ansetzen können, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Die Wahl des Ausgangspunktes bedarf daher der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt.
52
Bei den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen handelt es sich immer noch um eine relativ große Gruppe von Verbindungen, von denen 24 synthetisiert worden sind (Verbindungen 6 bis 30), die jedoch, schon wenn nur die in Tabelle 1 aufgeführten Substituenten berücksichtigt werden, insgesamt (11 x 11 =) 121 Verbindungen umfasst (vgl. Gutachten Prof. Dr. Kleemann [Anl. RA 5, S. 2] und Gutachten Prof. Dr. Ritter [Anl. RA 8, S. 3 f.]). Um 2-Methyl-4-(4-methyl1 -piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin als einen Kandidaten für die Synthetisierung und weitere CAR- und CAT-Tests nahezulegen, bedürfte es daher zusätzlicher Hinweise, die dem Fachmann innerhalb der Gruppe der 4' (N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen eine Eingrenzung der Kandidaten nach Kriterien erlauben, die 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepin einschließen. Solche Hinweise zur Eingrenzung einer engeren Gruppe interessanter Verbindungen sind Chakrabarti 1980 auch zu entnehmen. Sie schließen jedoch Olanzapin nicht ein.
53
Die maßgeblichen Hinweise hat das Patentgericht bereits herausgearbeitet : Sie ergeben sich aus der Bewertung, dass die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 die Aktivität verstärkt habe, sowie aus dem vorsichtiger formulierten Hinweis, dass eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Der Fachmann wird damit zu den Verbindungen mit einem Halogenatom, namentlich einem Fluoratom, in Position 7 hingelenkt. Andere Substituenten in Position 7 werden als ungünstiger bezeichnet, lediglich von der Verbindung 29 mit dem Substituenten 7,8-F2 heißt es, dass er eine gute Aktivität behalten habe (CAR 3 [10], CAT 3 [25]; in eckigen Klammern ist die Dosierung in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben: der CAT-Wert wird somit erst bei dem 2,5 fachen der für den CAR-Wert 3 notwendigen Dosierung erreicht). Die Verbindungen mit nicht halogeniertem Benzolring (6 und 7) werden gar nicht erst erwähnt. Dass sie ähnlich der 7,8-Difluorverbindung wenigstens eine gute Aktivität zeigen, erschließt sich dem Fachmann nicht. Chakrabarti 1980 setzt dafür einen CAR-Wert von 3 voraus, wie sich außer an der Verbindung 29 auch daran zeigt, dass die als beispielhaft für mögliche interessante Verbindungen genannten sämtlich einen CAR-Wert von 3 oder 4 (sowie ein günstiges CARCAT -Verhältnis) aufweisen. Für die nicht-halogenierte (im Übrigen aber mit einem Ehthylrest am Thiophen der fluorsubstituierten Verbindung 12 entsprechende ) Verbindung 6 ist jedoch lediglich ein CAR-Wert von 2 [10] (bei CAT 1 [16]) angegeben, der CAR-Wert für die Verbindung 7 ist 0 [10]; sie ist daher auf den CAT-Wert nicht getestet worden.
54
Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der CAR-Wert ein relativ grobes Raster darstelle. Ein Wert von 2 bedeutet, wie Chakrabarti et al. in Fußnote d erläutern, eine Hemmung von 31 bis 50 % des erlernten Verhaltens zur Vermeidung eines unangenehmen Reizes, ein Wert von 3 entspricht einer Hemmung von 51 bis 75 %. Wenn daher, wie die Gutachter Dr. Ellenbroek (Anl. B 53, S. 8), Prof. Dr. Greksch (Anl. B 55, S. 3) und Prof. Dr. Hiemke (Anl. B 56, S. 2 f.) unwidersprochen ausgeführt haben, eine Hemmung von 70 bis 80 % für wichtig gehalten worden ist, lag ein CAR-Wert von 2 deutlich außerhalb desjenigen Bereichs, der dem nacharbeitenden Fachmann nach den gegebenen Informationen für weitergehende Forschungen interessant und erfolgversprechend erscheinen musste.
55
An diesem Befund ändert es auch nichts, dass Chakrabarti et al. die kurze Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings, die die Aktivität zu erhöhen "scheine", nicht ausdrücklich zu der Halogenierung des Aromaten in Beziehung setzen. Denn da von den 48 synthetisierten 4-Piperazinylthieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in Tabelle 1 überhaupt nur zehn keinen Substituenten am Aromaten haben und bei acht von diesen zehn wiederum der Substituent in Position 2 des Thiophenrings Ethyl ist, wird, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aufgrund der durchweg schlechten Aktivität dieser Verbindungen und mangels Vergleichswerten zu nicht alkylsubstituierten Verbindungen ersichtlich, dass die Vermutung von der günstigen Wirkung der kurzen Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings auf die Testergebnisse der halogenierten Verbindungen gestützt ist (vgl. auch Gutachten Prof. Dr. Dannhardt, Anl. B 51, S. 5).
56
So zutreffend daher der Hinweis der Klägerinnen und ihrer Streithelferinnen ist, dass die Untersuchung primär nicht auf die Auswirkung der Halogenierung des Benzolrings, sondern auf die Auswirkung eines elektronenreichen Rings wie des Thiophenrings auf das Aktivitätsprofil angelegt ist, so wenig kann außer Betracht bleiben, dass die Ergebnisse der Untersuchung die halogensubstituierten Verbindungen - in Übereinstimmung mit der Bedeutung, die im Prioritätszeitpunkt auch sonst elektronenziehenden Substituenten, wie sie Chlorpromazin , Haloperidol und auch Clozapin haben, häufig beigemessen worden ist (vgl. Kaiser/Setler in Burger's Medicinal Chemistry, 4. Aufl. [Anl. E 16], S. 912; gutachtliche Äußerung Dr. Ellenbroek [Anl. E 18], S. 5 mit Literaturzitaten; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. Hippius [Anl. B 52], S. 3; gutachtliche Äußerung Prof. Nichols [Anl. E 12] Tz. 26 ff.; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. Oßwald [Anl. K 25], S. 4) - als diejenigen ausweisen, die vornehmlich weitere Aufmerksamkeit verdienen.
57
Zwar mag der Fachmann einen solchen Fokus nicht für zwingend halten. Sieht man von ihm ab, gibt es aber auch keinen zureichenden Grund, sich auf 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen zu beschränken. Denn auch diese werden zwar als die aktivsten bezeichnet, Alternativen sind deswegen jedoch nicht von vornherein zu verwerfen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass die Verbindung 34, bei der R = (CH2)2OH und R1 wiederum Wasserstoff ist und die einen CAR-Wert von 4 [20] bei einem CAT-Wert von 2 [20] aufweist, ebenfalls zu den von den Autoren im Resümee als ein Beispiel für die weiterer Entwicklung bedürftige Stoffgruppe bezeichnet wird.
58
3. Auch unter Berücksichtigung der übrigen in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen ist der Gegenstand des Streitpatents nicht nahegelegt. Was Hinweise anbelangt, die den Fachmann dazu veranlassen könnten, insbesondere der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen weiter nachzugehen und diese Gruppe nach Kriterien einzugrenzen, die 2-Methyl-4-(4methyl -1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließen, gehen die britische Patentschrift 1 533 235 (K 2) und die weiteren, auf die dieser Patentschrift zugrunde liegende Prioritätsanmeldung zurückgehenden Schriften (die deutsche Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], das deutsche Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und das US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) über Chakrabarti 1980 nicht hinaus. Auch der gerichtliche Sachverständige hat hierfür keinen Anhaltspunkt gesehen. Der europäischen Patentanmeldung 354 781 (Anl. K 30), die keine Thieno-, sondern Thiazolobenzodiazepine betrifft, und der US-Patentschrift 4 216 148 (Anl. K 34), bei deren Verbindungen der Thienoring nicht substituiert ist, ist dazu ebenfalls nichts Weiterführendes zu entnehmen.
59
4. Die Patentansprüche 4 bis 19 werden von der Patentfähigkeit des Gegenstands der Patentansprüche 1 bis 3 getragen.
60
IV. Auch im Umfang der Patentansprüche 20 bis 22 liegen die Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung des Streitpatents nicht vor.
61
1. Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt: Die Herstellung von 2Methyl -4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin erschließe sich dem fachkundigen Leser unmittelbar aus dem in Anl. K 4 (Chakrabarti 1980) angegebenen Syntheseschema I in Verbindung mit Tabelle II sowie den Ausführungen in den Abschnitten "Chemistry" und "Experimental Section". Demnach sei auch eine Zwischenverbindung mit R1 = H in Position 7 des Phenylrings sowie mit R2 = CH3 in Position 2 des Thienylrings als 4-Ketobzw. in tautomerer Form als 4-Hydroxy-Zwischenverbindung in der Tabelle II mitzulesen. Dass anstelle der 4-Keto-Zwischenverbindungen ebenso deren 4Thio -Derivate herstellbar und als Zwischenverbindungen geeignet seien, lasse sich dem experimentellen Teil der K 4 direkt entnehmen. Entsprechendes gelte für ein über diese Zwischenverbindungen führendes Verfahren. In der Bedeutung Q = NH2 sei die 4-Amino-Zwischenverbindung gemäß Patentansprüchen 21 und 22 zwar aus der K 4 nicht expressis verbis zu entnehmen. Sie sei jedoch dem Fachmann als offensichtliche Vorstufe einer 4-Keto-Verbindung ohnehin geläufig. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Herstellbarkeit des 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepins mit den angegebenen Arbeitsweisen nicht ohne Weiteres gegeben sein sollte. Denn die nicht fluorierte Verbindung Nr. 60 aus Tabelle II weise in Position 2 des Thienylrings anstelle der Methylgruppe die strukturell nächstkommende homologe Ethylgruppe auf, so dass in Analogie dazu weder an der Verfügbarkeit der erforderlichen unsubstituierten bzw. anstelle von Ethyl durch Methyl substituierten Edukte noch an dem Gelingen der chemischen Synthese zu den entsprechenden Endprodukten gemäß dem in K 4 angegebenen Syntheseverfahren A auch nur der geringste Zweifel bestehe.
62
2. Diese Ausführungen tragen aus den zu II 3 ausgeführten Gründen nicht die Annahme, das erfindungsgemäße Verfahren sei durch Chakrabarti 1980 vorweggenommen. Sie rechtfertigen aber auch nicht die Annahme, das Verfahren habe für den Fachmann nahegelegen. Ihm mag zwar die theoretische Möglichkeit zur Verfügung gestanden haben, mit den Angaben bei Chakrabarti zum Herstellungsverfahren und zu den dabei erhältlichen Zwischenprodukten auch 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin herzustellen. Nahegelegt war das Verfahren aber erst dann, wenn für den Fachmann auch Veranlassung zu der Herstellung von 2-Methyl-4 (4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin bestand. Dies war, wie ausgeführt, im Prioritätszeitpunkt nicht der Fall.
63
Für die Zwischenprodukte des Verfahrens gilt Entsprechendes.
64
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 2 ZPO (vgl. Sen.Urt. v. 16.10.2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 Tz. 44 - Sammelhefter II).
Melullis Mühlens Meier-Beck
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.06.2007 - 3 Ni 21/04 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 27/06 Verkündet am:
22. Dezember 2009
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Hubgliedertor I
Eine unzulässige Erweiterung liegt vor, wenn der Gegenstand des Patents sich
für den Fachmann erst aufgrund eigener, von seinem Fachwissen getragener
Überlegungen ergab, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis
genommen hatte.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 27/06 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden Richter Scharen
und die Richter Asendorf, Gröning, Dr. Berger und Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Die von der Nebenintervenientin unterstützte Berufung der Beklagten gegen das am 28. September 2005 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen, mit Ausnahme der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten, welche die Nebenintervenientin zu tragen hat.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte war bis zum 7. November 2006 eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 39 04 918 (Streitpatents), das ein "Hubgliedertor" betrifft. Seitdem ist die H. KG B. , die dem Berufungsverfahren auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin beigetreten ist, als neue Inhaberin des Streitpatents eingetragen.

2
Das Streitpatent nimmt die österreichische Prioritätsanmeldung 391/88 vom 18. Februar 1988 in Anspruch. Aus ihm ist durch Teilung unter anderem das deutsche Patent 39 43 782 hervorgegangen, welches Gegenstand eines parallel vor dem Senat unter dem Aktenzeichen X ZR 28/06 geführten Nichtigkeitsberufungsverfahrens ist. Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 8 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut: "Hubgliedertor mit einer Mehrzahl tafelförmiger Torelemente, die mittels Gelenken, Scharnieren oder dergleichen um horizontal verlaufende Schwenkachsen miteinander verbunden sind, wobei das Tor mit Hilfe von Führungszapfen oder -rollen in seitlichen Führungsbahnen gleitet, die das Tor aus einer vertikalen Geschlossenstellung über einen Bogen in eine horizontale Offenstellung führen, an dem oberen (unteren) Rand (5) jedes Torelements (1) ein zahnartiger Vorsprung (7) vorgesehen ist und an dem unteren (oberen) Rand (6) zumindest eine dem Vorsprung des benachbarten Elements (1') angepasste Vertiefung (13) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet , dass der zahnartige Vorsprung (7) eine von der Vorderfläche (8) des Elements (1) ausgehende, bis zur Zahnspitze (9) ansteigende (abfallende) Vorderflanke (10) und eine von der Zahnspitze bis zu Hinterfläche (11) des Elements (19) abfallende (ansteigende ) Hinterflanke (12) aufweist, wobei beim Verschwenken der Elemente (1, 1') im Bogenbereich der Führungsbahn (4) bloß ein Öffnungsabstand (d) auftritt, der das Einklemmen eines Fingers ausschließt."
3
Die Klägerin hat das Streitpatent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen und darin geltend gemacht, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 über den Inhalt der beim Patentamt ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe. Sie hat zudem vorgebracht, dass das Streitpatent gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn u.a. die deutsche Offenlegungsschrift 37 26 699 A1 (Anlage
6) - als nach § 3 Abs. 2 PatG zu berücksichtigender Stand der Technik - sowie die US-Patentschriften 2 372 792 (Anlage 7) und 3 891 021 (Anlage 16) bildeten, nicht patentfähig sei, und beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass es folgende Fassung erhalten hat:
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a) In Patentanspruch 1 werden hinter die Worte "dadurch gekennzeichnet , dass der" die Worte "bezüglich der Tormittenebene im wesentlichen symmetrische" eingefügt.
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b) An diesen Patentanspruch 1 schließen sich mit unmittelbarem oder mittelbarem Rückbezug die Patentansprüche 2 bis 7 an.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
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Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.
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Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. F. , Fachhochschule R. , Leiter des Studiengangs Produktionstechnik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


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Die zulässige, von der Nebenintervenientin unterstützte Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent zu Recht teilweise für nichtig erklärt.
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I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Hubgliedertor. Bei diesen werden die Torelemente im Umlenkbereich vom horizontalen zum vertikalen Verlauf gegenseitig verschwenkt, so dass sich deren obere bzw. untere Ränder zunächst voneinander entfernen und dann wieder zusammenkommen. Hierbei besteht die Gefahr, dass Finger eines Benutzers eingeklemmt werden und es zu Verletzungen kommt.
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Nach den Angaben des Streitpatents waren zwar, etwa aus der österreichischen Patentschrift 382 423, Möglichkeiten bekannt, derartige Verletzungen zu vermeiden. Diese waren jedoch verhältnismäßig kostspielig in der Herstellung oder aus optischen Gründen unerwünscht. Der deutschen Offenlegungsschrift 21 06 063 und der österreichischen Patentschrift 369 129 konnte zwar entnommen werden, die einander zugewandten Ränder von Torelementen abzustufen , um im Bereich der Schließstelle eine bessere Wärmedämmung zu erreichen. Dabei war jedoch kein Fingerschutz vorgesehen.
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Aus der US-Patentschrift 3 941 180 war es nach den weiteren Erläuterungen des Streitpatents bekannt, bei einem Hubgliedertor die Vorderflanke eines zahnartigen Vorsprungs konvex gekrümmt bis zur Zahnspitze ansteigend auszubilden. Der Fuß des zahnartigen Vorsprungs endete allerdings auf einer horizontalen Schwelle, auf der sich bei fluchtenden Torelementen ein am Ende der gegenüberliegenden Vertiefung des benachbarten Torelements ausgebildeter Fuß abstützte. Hierbei war es möglich, dass bei sich schließendem Tor ein Finger des Benutzers zwischen die Schwelle und den Fuß geriet.
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Weitere Ausführungen von Hubgliedertoren, bei denen die Gefahr bestand , dass Finger eingeklemmt werden, waren aus den US-Patentschriften 2 871 932 und 3 967 671 bekannt.
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2. Durch das Streitpatent soll ein Hubgliedertor geschaffen werden, bei dem eine gute Abdichtung zwischen den Elementen gegeben ist und Fingerverletzungen im Umlenkbereich der Torelemente vermieden werden.
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3. Hierzu lehrt Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung ein Hubgliedertor, dessen Merkmale wie folgt unterteilt werden können: (1) Hubgliedertor mit einer Mehrzahl tafelförmiger Torelemente (1), die mittels Gelenken (2), Scharnieren oder dergleichen um horizontal verlaufende Schwenkachsen (a) miteinander verbunden sind; (2) das Tor gleitet mit Hilfe von Führungszapfen oder -rollen (3), in seitlichen Führungsbahnen (4), die das Tor aus einer vertikalen Geschlossenstellung über einen Bogen in eine horizontale Offenstellung führen; (3) an dem oberen (unteren) Rand (5) jedes Torelementes (1) ist ein zahnartiger Vorsprung (7) vorgesehen; (4) an dem unteren (oberen) Rand (6) jedes Torelementes (1) ist zumindest eine dem Vorsprung des benachbarten Torelementes (1) angepasste Vertiefung (13) vorgesehen; (5) der zahnartige Vorsprung (7) weist eine von der Vorderfläche (8) des Torelementes (1) ausgehende, bis zur Zahnspitze (9) ansteigende (abfallende) Vorderflanke (10) auf; (6) der zahnartige Vorsprung (7) weist eine von der Zahnspitze (9) bis zur Hinterfläche (11) des Torelementes (1) abfallende (ansteigende) Hinterflanke (12) auf; (7) beim Verschwenken der Torelemente (1, 1') im Bogenbereich der Führungsbahn (4) tritt bloß ein Öffnungsabstand (d) auf, der das Einklemmen eines Fingers ausschließt.
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4. Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Zeichnungen des Streitpatents zeigt in schematischer Seitenansicht ein Hubgliedertor, das eine Mehrzahl von tafelförmigen Torelementen (1) aufweist, die mittels Gelenken (2) um horizontal verlaufende Schwenkachsen miteinander verbunden sind. Das Tor gleitet dabei mit Hilfe von Führungszapfen oder -rollen (3), in seitlichen Führungsbahnen (4), die das Tor aus einer vertikalen Geschlossenstellung in eine horizontale Offenstellung führen (Merkmale 1 und 2).


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In den anschließend eingerückten Figuren 2 bis 5 der Zeichnungen des Streitpatents sind beispielhaft Torelemente (1) in unterschiedlichen Ausgestaltungen abgebildet, bei denen an dem oberen Rand (5) ein zahnartiger Vorsprung (7) und an dem unteren Rand (6) eine dem Vorsprung des benachbarten Torelementes (1) (nicht gezeigt in Figur 4) angepasste Vertiefung (13) vorgesehen sind (Merkmale 3 und 4).


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Wie durch die Figuren 2 bis 6 veranschaulicht, weist der zahnartige Vorsprung (7) eine von der Vorderfläche (8) des Torelementes (1) ausgehende, bis zur Zahnspitze (9) ansteigende Vorderflanke (10), und eine von der Zahnspitze (9) bis zur Hinterfläche (11) des Torelementes (1) abfallende Hinterflanke (12) auf (Merkmale 5 und 6). Aus Sicht des Fachmanns, bei dem es sich um einen Ingenieur des Maschinenbaus mit Fachhochschulabschluss und mehrjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Konstruktion von Hubgliedertoren handelt, grenzt sich die Lehre des Streitpatents mit den Vorgaben des Merkmals 5 von der im Stand der Technik aus der US-Patentschrift 3 941 180 bekannten Ausgestaltung ab, bei der die Gefahr von Fingerquetschungen bestand, weil der Fuß des zahnartigen Vorsprungs auf einer horizontalen Schwelle endete, auf die sich bei Schließen des Tores und nach Erreichen des Umlenkpunktes ein am Ende der gegenüberliegenden Vertiefung des benachbarten Torelements ausgebildeter Fuß zubewegte, um sich dort in der Geschlossen-Stellung abzustützen (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 5). Dieser Gefahr wird nach Merkmal 5 dadurch begegnet, dass die die ansteigende Vorderflanke - ohne Zwischenschaltung einer horizontalen Fläche, auf welcher ein Finger mit Einklemmgefahr abgelegt werden könnte - unmittelbar von der Vorderfläche des Torelementes ausgeht. In den Vorteilsangaben der Beschreibung heißt es hierzu erläuternd , dass die von der Vorderfläche des Torelementes ansteigende Vorderflanke zur Folge hat, dass im Öffnungsbereich eingreifende Finger leicht abrutschen und nicht im gefährlichen Bereich "hängenbleiben" (Streitpatentschrift, Abs. 9, 13 a.E.).
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So wie sich dem Fachmann im Hinblick auf die Vorderflanke des zahnartigen Vorsprungs erschließt, dass diese unmittelbar von der Vorderfläche des Torelementes ausgeht, ergibt sich für ihn im Hinblick auf die Hinterfläche, dass diese erfindungsgemäß von der Zahnspitze unmittelbar bis zur Hinterfläche des Torelementes abfallen soll. Zwar erkennt der Fachmann, dass die Gefahr eines "Hängenbleibens" von Fingern auf der Hinterseite des Tores nicht besteht, weil die die Torelemente miteinander verbindenden Gelenke, Scharniere oder dergleichen an der Hinterfläche angeordnet sind und deshalb bei Umlenkung des Tores auf dieser Seite kein Öffnungsbereich entstehen kann. Dessen ungeachtet enthält Merkmal 6 jedoch keinen Anhalt dafür, dass sich - im Unterschied zu den Vorgaben des Merkmals 5, die einen unmittelbaren Übergang von der Vorderfläche zur Vorderflanke vorschreiben - an die abfallende Hinterflanke des zahnartigen Vorsprungs nicht direkt die Hinterfläche des Torelementes anschließen muss, sondern etwa eine dazwischen angeordnete horizontale Fläche an der Stirnseite des Torelementes möglich ist. Vielmehr sieht der Wortlaut des Merkmals 6 ausdrücklich vor, dass die Hinterflanke des zahnartigen Vorsprungs bis zur Hinterfläche abfällt, so wie es nach Merkmal 5 erforderlich ist, dass die ansteigende Vorderflanke von der Vorderfläche des Torelements aus- geht. Der Fachmann wird zu diesem Verständnis auch deshalb gelangen, weil ansonsten, wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt hat, Merkmal 6 lediglich eine Selbstverständlichkeit beschreiben würde, weil die Hinterflanke des zahnartigen Vorsprungs zwangsläufig an der Hinterseite des Torelementes enden muss (Gutachten, S. 23, 35).
21
Die Verzahnung zwischen den Torelementen bewirkt zudem eine gute Abdichtung durch das Tor im geschlossenen Zustand und ist mit einem Zentriereffekt verbunden, der Toleranzen der Elemente und/oder der seitlichen Führungen ausgleichen kann (Streitpatentschrift, Abs. 9).
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Darüber hinaus soll eine gute gegenseitige Abstützung der Elemente gewährleistet sein, die sich insbesondere auswirken kann, wenn einzelne Elemente durch Einschneiden von Glaslichten geschwächt sind (Streitpatentschrift , Abs. 9). Aus Sicht des Fachmanns haben daher der zahnartige Vorsprung des einen Torelementes und die an diesen angepasste Vertiefung des anderen Torelementes auch geeignet zu sein, sich gegenseitig abzustützen (vgl. auch Gutachten, S. 22, 31).
23
Schließlich ist vorgesehen, dass beim Verschwenken der Torelemente (1, 1') im Bogenbereich der Führungsbahn (4) bloß ein Öffnungsabstand (d) auftritt, der das Einklemmen eines Fingers ausschließt (Merkmal 7). Dabei wird - wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten bestätigt hat (Gutachten , S. 10) - der Fachmann unter dem Öffnungsabstand (d) den Abstand verstehen, der bei einem gegenseitigen Verschwenken zweier benachbarter Torelemente zwischen der oberen Kante des zahnartigen Vorsprungs des einen Torelementes und der Vorderflanke des anderen Torelementes entsteht, solange die obere Kante des Vorsprungs von der Vorderflanke der Vertiefung abgedeckt wird. Wird die obere Kante des Vorsprungs nicht mehr von der Vorderflanke der Vertiefung abgedeckt, liegt der in Merkmal 7 genannte Öffnungsabstand in dem direkten Abstand zwischen der vorderen Unterkante der Vertiefung und der oberen Kante des Vorsprungs. Denn dieses sind die beiden Situationen , in denen die Gefahr besteht, dass Finger des Benutzers im Öffnungsbereich zweier benachbarter Torelemente eingeklemmt werden können. Entsprechend wird in der Beschreibung des Streitpatents im Hinblick auf die oben wiedergegebene beispielhafte Darstellung in Figur 3 ausgeführt, dass z.B. durch eine entsprechende Einstellung der Schwenkachse (a) ein derart kleiner Abstand (von etwa 4 mm) eingestellt werden könne, dass keine Finger zwischen die Ränder benachbarter Elemente gelangen und verletzt werden können (Streitpatentschrift, Abs. 13).
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II. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus (§§ 81, 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
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1. Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Gegenstand des Patents ist die durch die Patentansprüche bestimmte Lehre, wobei Beschreibung und Zeichnungen mit heranzuziehen sind. Der Inhalt der Patentanmeldung ist hingegen der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen , ohne dass den Patentansprüchen dabei eine gleich hervorgehobene Bedeutung zukommt. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen ließ, dass der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (Sen.Urt. v.

21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Unzulässige Erweiterung; v. 23.10.2007 - X ZR 104/06 Tz. 14).
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Der Gegenstand der Anmeldung kann daher im Erteilungsverfahren bei der Formulierung des Anspruchs anders gefasst werden. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstandes der Anmeldung führen (BGHZ 110, 123, 125 f. - Spleißkammer). Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen ließ (Sen.Urt. v. 5.7.2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II). Das ist jedoch bei Patentanspruch 1 des Streitpatents der Fall.
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2. Dem Fachmann wird in den Anmeldungsunterlagen an keiner Stelle offenbart, dass Gegenstand der Erfindung auch ein Hubgliedertor sein soll, bei dem der zahnartige Vorsprung, der an dem oberen (unteren) Rand eines jeden Torelementes vorgesehen ist, auch nicht "bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen symmetrisch" ausgestaltet sein kann.
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In der allgemeinen Beschreibung der Anmeldung wird dem Fachmann ausgehend von Angaben zum Stand der Technik mitgeteilt, dass es ein Ziel der Erfindung ist, ein Hubgliedertor zu schaffen, bei dem eine gute Abdichtung zwischen den Elementen gegeben ist und Fingerverletzungen im Umlenkbereich der Torelemente vermieden werden können (Streitpatentanmeldung, Sp. 1, Z. 41 ff.). Dieses Ziel soll sich nach den weiteren Erläuterungen der allgemeinen Beschreibung mit einem Hubgliedertor der im Stand der Technik bekannten Art (entspricht einem Hubgliedertor nach Maßgabe der Merkmale 1 und 2 des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung) erreichen lassen, "bei wel- chem erfindungsgemäß an dem oberen (unteren) Rand jedes Torelementes ein bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen symmetrischer zahnartiger Vorsprung vorgesehen ist" sowie weitere Merkmale (diese sind identisch mit den Merkmalen 5, 6 und 7 des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung) vorhanden sind (Streitpatentanmeldung, Sp. 1, Z. 46 ff.).
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Der Fachmann wird in der Anmeldung sodann dahin belehrt, dass es die erfindungsgemäße Ausgestaltung der oberen bzw. unteren Ränder der Torelemente ermöglicht, die Schwenkachse so zu legen, dass sich auch im Bogenbereich der Führungsbahnen bloß ein geringer Öffnungsabstand zwischen benachbarten Torelementen, beispielsweise 4 mm, ergibt, wodurch Finger nicht versehentlich in den Öffnungsbereich gelangen können. Neben weiteren sich unzweifelhaft nicht auf die "im Wesentlichen symmetrische" Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs beziehenden Vorteilsangaben wird dem Fachmann zudem erläutert, dass die symmetrische Ausbildung zu einer Produktionsvereinfachung besonders bei der Herstellung jedes Elementes aus zwei Blechschalen führt, da diese dann völlig gleich ausgebildet werden können (Streitpatentanmeldung , Sp. 1, Z. 60 ff.).
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Die in den Figuren 4 bis 6 (entsprechen den oben wiedergegebenen Figuren 4 bis 6 des Streitpatents) gezeigten und in der Beschreibung der Anmeldung erläuterten Ausführungsbeispiele weisen aus Sicht des Fachmanns einen streng symmetrischen zahnartigen Vorsprung auf. Dem steht auch, wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt und bei seiner Anhörung bestätigt hat, nicht entgegen, dass bei der Darstellung in Figur 4 die beiden das Torelement bildenden Blechschalen in den Überlappungsbereichen des zahnartigen Vorsprungs am oberen Rand bzw. der entsprechenden Vertie- fung am unteren Rand geringe Symmetrieabweichungen aufweisen. Denn dem Fachmann wird in der Beschreibung gerade im Hinblick auf das in Figur 4 gezeigte Ausführungsbeispiel erläutert, dass die Blechschalen (16, 17) zur Vereinfachung der Herstellung völlig identisch ausgebildet sein können (Streitpatentanmeldung , Sp. 3, Z. 24 ff.). Zudem ist diesem aufgrund seines Fachwissens geläufig, dass die Elementschalen hinreichend flexibel sind, um im montierten Zustand des Elements einen praktisch symmetrischen Formzustand anzunehmen.
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Bei der in den Figuren 2 und 3 gezeigten Ausgestaltung ist an der Vorderseite eine Ausnehmung (15) im Bereich der benachbarten Elemente (1, 1') vorgesehen, um - wie in der Beschreibung erläutert wird (Streitpatentanmeldung , Sp. 3, Z. 12 ff.) - das Erscheinungsbild des geschlossenen Tores zu verbessern. Die Ausnehmung wird einerseits durch die abgeschrägte vorderseitige Kante des oberen Elementes und andererseits durch die im unteren Bereich abgeflachte vorderseitige Flanke des zahnartigen Vorsprungs des unteren Elementes gebildet. Da nur die vorderseitige, nicht aber auch die rückseitige Flanke in ihrem unteren Bereich abgeflacht ist, ist der zahnartige Vorsprung nicht völlig symmetrisch ausgebildet. Der Fachmann wird in dieser Ausgestaltung jedoch ein Beispiel für einen im Wesentlichen symmetrischen zahnartigen Vorsprung erkennen.
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Kein einziges der in den ursprünglichen Unterlagen offenbarten Ausführungsbeispiele zeigt jedoch ein Hubgliedertor, dessen Torelemente nicht zumindest einen solchermaßen bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen oder gar streng symmetrisch ausgestalteten zahnartigen Vorsprung aufweisen.

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In Patentanspruch 1 der Anmeldung ist dann ebenfalls vorgesehen, dass an dem oberen (unteren) Rand jedes Torelements ein bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen symmetrischer zahnartiger Vorsprung ausgebildet sein soll. Die weiteren Patentansprüche 2 bis 7 der Anmeldung nehmen mittelbar oder unmittelbar Bezug auf Patentanspruch 1 und beinhalten damit als auf diesen bezogene Unteransprüche gleichermaßen das Merkmal, dass an dem oberen (unteren) Rand jedes Torelements ein bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen symmetrischer zahnartiger Vorsprung ausgebildet sein soll. In Patentanspruch 6 wird darüber hinaus gefordert, dass jedes Element (1, 1') aus zwei identisch ausgebildeten Blechschalen (16, 17) besteht, was eine bezüglich der Tormittenebene streng symmetrische Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs impliziert.
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3. a) Die Beklagte und die Nebenintervenientin meinen demgegenüber, der Fachmann werde erkennen, dass die im Wesentlichen bezüglich der Tormittenebene symmetrische Ausbildung des zahnartigen Vorsprungs allein dazu diene, Produktionsvereinfachungen zu ermöglichen, weil die Blechschalen dann völlig gleich ausgebildet werden können, während durch eine solche Ausbildung nichts zur Lösung der weiteren der Erfindung zugrundeliegenden Probleme - insbesondere dem Problem des Fingerklemmschutzes - beigetragen werde. Es sei daher nicht notwendig, dieses Teilmerkmal im Hauptanspruch zu belassen. Vielmehr betreffe selbiges einen selbständigen, unabhängigen Erfindungskomplex, der ohne weiteres vom Hauptanspruch abgetrennt werden könne.
35
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Beklagte und die Nebenintervenientin übersehen, dass nach den Angaben der Beschreibung erst die streng symmetrische Ausbildung des zahnartigen Vorsprungs zu einer Produktionsvereinfachung, insbesondere bei der Herstellung jedes Elementes aus zwei Blechschalen führt, weil diese dann "völlig gleich" ausgebildet werden können (Streitpatentanmeldung, Sp. 2, Z. 9 ff.; Patentanspruch 6), so wie dies in der Anmeldung im Hinblick auf das in Figur 4 gezeigte Ausführungsbeispiel erläutert wird (vgl. Streitpatentanmeldung, Sp. 3, Z. 24 ff.). Ist der zahnartige Vorsprung jedoch zur Tormittenebene nicht streng symmetrisch, sondern lediglich "im Wesentlichen" symmetrisch ausgebildet, so wie dies in den Figuren 2 und 3 gezeigt und in der Beschreibung der Anmeldung erläutert wird, bedarf es unterschiedlicher Arbeitsvorgänge, um die beiden Schalen für ein Torelement herzustellen. Für den Fachmann ergab sich daraus, dass nach dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung mit dem Merkmal des bezüglich der Tormittenebene im Wesentlichen symmetrischen zahnartigen Vorsprungs erfindungsgemäß nicht ausschließlich Produktionsvereinfachungen erreicht werden sollen und es sich infolgedessen dabei auch nicht um einen selbständigen, unabhängigen Erfindungskomplex handelt, der ohne weiteres vom Hauptanspruch abgetrennt werden kann.
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b) Die Beklagte und die Nebenintervenientin sind des Weiteren der Ansicht , dass der Fachmann bei einer Analyse der Anmeldung habe erkennen können, dass die Symmetrie kein notwendiges Merkmal sei, wenn Fingerverletzungen vermieden werden sollen. Zudem habe der Fachmann feststellen können, dass der maximale Verschwenkwinkel bis zu dem Öffnungsabstand, der das Einklemmen eines Fingers ausschließt, bei allen in den Ursprungsunterlagen angedeuteten Ausführungsformen der Erfindung besonders groß wird, wenn der Vorsprung gerade nicht symmetrisch ist. Zu einer solchen kritischen Analyse des Inhalts der Ursprungsunterlagen sei der Fachmann dadurch ver- anlasst worden, dass diese neben einer formelhaften Wiedergabe des ursprünglich vorgelegten Anspruchs keine Erläuterungen zum erfinderischen Beitrag der symmetrischen Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs enthielten.
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Auch mit diesem Vorbringen vermögen die Beklagte und die Nebenintervenientin nicht durchzudringen. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten bestätigt, dass der maximal zulässige Verschwenkwinkel (das heißt der Winkel, bei dem der Öffnungsabstand (d) zwischen der Vorderflanke der Vertiefung bzw. der vorderen Unterkante der Vertiefung des einen Torelementes und der oberen Kante des zahnartigen Vorsprungs des anderen Torelementes nur so groß ist, dass das Einklemmen eines Fingers ausgeschlossen ist [beispielsweise maximal 4 mm ist, vgl. Streitpatentanmeldung, Sp. 1, Z. 60 ff.]) bei einer nicht-symmetrischen Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs im Vergleich mit einem symmetrischen Vorsprung verkleinert oder vergrößert werden kann (Gutachten, S. 11 ff., 15, 18). Dies hat der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten dadurch veranschaulicht, dass er beispielhaft ein Torelement mit einem bezüglich der Tormittenebene symmetrischen zahnartigen Vorsprung, bei dem der Winkel der geraden Flanken auf beiden Seiten 60° beträgt, mit Torelementen verglichen hat, bei denen die vorderseitige Flanke des Vorsprungs um 5° bzw. 10° geneigt wurde, und Torelementen gegenüber gestellt hat, bei denen die hinterseitige Flanke des Vorsprungs um 5° bzw. 10° geneigt wurde. Wie sich aus der nachfolgend wiedergegebenen zeichnerischen Darstellung ergibt, verkürzt sich im Vergleich mit der symmetrischen Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs der Verschwenkwinkel bei den Beispielen, bei denen die Vorderflanke geneigt wurde, und vergrößert sich der Verschwenkwinkel bei den Beispielen, bei denen die Hinterflanke geneigt wurde (Gutachten, S. 11):
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Vor diesem Hintergrund erschloss es sich dem Fachmann, wie sich aus den weiteren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt, dass die symmetrische Gestaltung des zahnartigen Vorsprungs kein notwendiges Merkmal ist, um Fingerverletzungen zu vermeiden.
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Die Beklagte und die Nebenintervenientin übersehen jedoch, dass der Fachmann diese Erkenntnisse nicht dem Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Unterlagen entnehmen konnte, sondern sich selbige dem Fachmann nach Kenntnisnahme der Anmeldung erst aufgrund eigener von seinem Fachwissen getragener Überlegungen erschlossen haben. Denn in den Anmeldungsunterlagen findet sich weder ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass auch Torelemente mit einem bezüglich der Tormittenebene nicht im Wesentlichen symmetrischen zahnartigen Vorsprung zur Erfindung gehören sollen, noch handelte es sich dabei um eine Selbstverständlichkeit, die aus Sicht des Fachmanns ohne weiteres "mitgelesen" worden ist. Vielmehr hat auch der Sachverständige im Termin bestätigt, dass der Fachmann die Ausführungen in der Anmeldung zunächst als solche hinnahm und erst durch auf die Anmeldung aufbauende eigenständige Erwägungen zu dem Schluss gelangen konnte, dass die erfindungsgemäß angestrebten Ziele auch mit einer nicht im Wesentlichen symmetrischen Ausgestaltung des zahnartigen Vorsprungs erreicht werden können, zumal der Fachmann im Bereich der Produktionstechnik allgemein dazu neigt, symmetrische nicht-symmetrischen Formgestaltungen vorzuziehen.
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Hinzu kommt, dass es nach den weiteren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen aus Sicht des Fachmanns jedenfalls bei geraden Flanken durchaus sinnvoll war, den Verschwenkwinkel nicht zu groß werden zu lassen, weil dann ein ungünstiger größerer Abstand zwischen der Vorderflanke des Vorsprungs des einen Torelementes und der korrespondierenden Flanke der Vertiefung des anderen Torelementes entsteht (vgl. jeweils den Abstand (k) bei den oben wiedergegebenen, aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen stammenden beispielhaften Darstellungen der symmetrischen und der zur Hinterseite geneigten zahnartigen Vorsprünge). Daher stellte die symmetrische Gestaltung des zahnartigen Vorsprungs auch aus allgemein fachlicher Sicht einen guten Kompromiss dar, um einerseits den maximalen Kantenabstand nicht zu groß werden zu lassen und dabei gleichzeitig einen ausreichend großen maximalen Verschwenkwinkel zu ermöglichen (Gutachten, S. 15, 18).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. §§ 97, 101 ZPO.
Scharen RichteramBundesger ichtshof Gröning AsendorfistinRuhestandgetretenundkanndeshalbnicht unterschreiben. Scharen Berger Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 28.09.2005 - 2 Ni 51/03 -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten sind dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat; soweit dies nicht der Fall ist, sind sie dem Nebenintervenienten aufzuerlegen.

(2) Gilt der Nebenintervenient als Streitgenosse der Hauptpartei (§ 69), so sind die Vorschriften des § 100 maßgebend.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.