Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juni 2018 - X ZR 86/16

bei uns veröffentlicht am05.06.2018
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 16/15, 07.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
X ZR 86/16 Verkündet am:
5. Juni 2018
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2018:050618UXZR86.16.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Dr. Bacher sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 7. Juni 2016 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 20. Juli 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität US-amerikanischer Patentanmeldungen vom 23. Juli 1999 und vom 19. Juli 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 198 293 (Streitpatents), das in der erteilten Fassung 22 Patentansprüche umfasste. Auf eine Nichtigkeitsklage der Alleingesellschafterin der Klägerin (R. GmbH) und deren - auch die Geschäfte der Klägerin führenden - Geschäftsführer gegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 3, 7, 8, 11, 12 bis 15 und 19 bis 22 erklärte das Bundespatentgericht das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 13 und 14 und un- ter Abweisung der Klage im Übrigen rechtskräftig für nichtig (BPatG, Urteil vom 24. April 2012 - 3 Ni 45/10).
2
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache: "A thin-well microplate comprising: a skirt and frame portion (11), constructed of a first material, having a top planar surface (15) and a bottom (16), having a plurality of holes (13) arranged in a first array pattern extending through the top planar surface , and skirt walls (17a-d) of equal depth extending from the top planar surface to the bottom; a well and deck portion (12), constructed of a second material, joined with the top planar surface (15) of the skirt and frame portion to form a unitary plate; a plurality of sample wells (14) integral with the well and deck portion (12) arranged in the first array pattern such that the plurality of sample wells extend downwardly through the plurality of holes (13) in the top planar surface of the skirt and frame portion." Die Klägerin hat das Streitpatent mit ihrer Nichtigkeitsklage im Umfang
3
der Klageabweisung im Vorprozess angegriffen. Sie hat geltend gemacht, insoweit sei sein Gegenstand nicht patentfähig. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise in beschränkten Fassungen verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt , verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


5
I. Das Streitpatent betrifft als "thin-well microplates" bezeichnete Mikrotiterplatten.
6
1. In seiner Beschreibung wird erläutert, verschiedene biologische Forschungs- und klinische Diagnoseverfahren und -techniken setzten Anordnungen mit einer unterschiedlich hohen Anzahl von kleinen Näpfen, Mulden bzw. Kavitäten (im Folgenden einheitlich: Näpfe) zur Aufnahme zu untersuchender oder aufzubewahrender kleiner, oft wässriger Probevolumina ein ("mul- ti-well plates"). Eine solche Untersuchungsmethode betreffe Polymerase-Ketten- reaktionen ("polymerase chain reactions [PCR]", Beschreibung Abs. 4) in Verfahren , in denen die Proben zyklisch erhitzt und abgekühlt werden ("thermal cycles", "thermal cycling", Beschreibung Abs. 4, 7, 18, im Folgenden: thermozyklische Erhitzungsverfahren).
7
Verschiedene Untersuchungsmethoden stellten, wie in der Beschreibung weiter ausgeführt ist, unterschiedliche Anforderungen an die Materialeigenschaften und die Oberflächenbeschaffenheit der Näpfe und an die Ausgestaltung und Struktur dieser Mikrotiterplatten insgesamt, wobei die Abstimmung auf die Anforderungen in hoch automatisierten Untersuchungsverfahren wohl zu den drängendsten Problemen gehöre (Abs. 5).
8
Eine Untergruppe von Mikrotiterplatten bilden in der Diktion des Streitpatents als "thin-well microplates" bezeichnete Platten zum Einsatz in thermozyklischen Erhitzungsverfahren. Solche Mikrotiterplatten seien in Punkto Struktur und Materialbeschaffenheit besonders auf die Anforderungen in diesen Verfahren zugeschnitten, insbesondere hinsichtlich der guten Wärmeleitung zu den in die Näpfe gegebenen Proben. Diese hätten dünne Wände und seien darüber hinaus konisch geformt, um sie in komplementär geformte Heiz- oder Kühlblöcke einsetzen zu können.
9
Viele Laboratorien seien dazu übergegangen, namentlich die thermozyklischen Erhitzungsverfahren durch Einsatz roboterisierter Technik weiter zu rationalisieren. Die dabei an die allgemeine physikalische und materielle Beschaffenheit der Mikrotiterplatten gestellten Anforderungen seien tendenziell gegenläufig. Für die Handhabung durch Roboter in solchen hoch automatisierten Prozessen müssten Formstabilität und Verwindungsfreiheit sowie Beständigkeit in den geometrischen Ausdehnungen auch bei Temperaturen von bis zu 100°C gewährleistet sein; für einen akkuraten und zuverlässigen Einsatz bei flüssigen Proben müsse die Anordnung der Näpfe ebenmäßig sein; für eine optimale Wärmeleitung seien dünnwandige Näpfe gefragt. Die gegenläufigen Eigenschaften würden von den verfügbaren Mikrotiterplatten aber nicht gleichermaßen erfüllt; die verwendeten Polymere seien stofflich wohl zur Herstellung ausreichend steifer und stabiler, aber nicht unbedingt auch biologisch kompatibler Platten mit hinreichend dünnwandigen Näpfen geeignet. Die erhältlichen "thin-well microplates" genügten den entsprechenden Beschaffenheitsanforde- rungen jedenfalls nicht (Abs. 9).
10
2. Das Patentgericht hat daraus die Problemstellung abgeleitet, eine mit dünnwandigen Näpfen ausgestattete einheitliche Mikrotiterplatte bereitzustellen , die auch bei thermozyklischen Abläufen für eine Handhabung durch hochpräzise Roboter in hoch automatisierten Verfahren geeignet sei. Daran beanstandet die Berufung zu Recht, dass dies Lösungselemente ("einheitliche" Mikrotiterplatte) einbezieht.
11
Die Bestimmung des technischen Problems dient nach ständiger Rechtsprechung dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lo- kalisieren; das schließt unter anderem aus, bei der Bestimmung des technischen Problems Elemente zu berücksichtigen, die zur patentgemäßen Lösung gehören (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid; Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 - Quetiapin).
12
Um Lösungsansätze bereinigt betrifft das Streitpatent das Problem, Mikrotiterplatten bereitzustellen, die materialmäßig den Anforderungen in hoch automatisiert unter Einsatz von Robotern geführten thermozyklischen Erhitzungsverfahren mit den dafür typischen Temperaturbedingungen standhalten und die für die dort auftretenden Reaktionen, wie etwa in PCR-Untersuchungen (oben Rn. 6), förderlich sind (Beschreibung Abs. 18). Patentanspruch 1 schlägt dafür in merkmalsmäßiger Gliederung vor (in eckigen Klammern die Gliederungsziffern des Patentgerichts): Eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen Näpfen ("thin-well micropla- te"), die umfasst: 1. Ein Rahmen- (Rand-) und Gestellteil (frame and skirt portion 11) [2] 1.1 das aus einem ersten Material konstruiert ist, [2.1] 1.2 mit einer ebenen Oberseite (top planar surface 15), [2.2] 1.3 in die eine Vielzahl von Löchern (13) eingebracht ist, [2.4, 2.4.2] 1.3.1 die in einem ersten Muster angeordnet sind, [2.4.1] 1.4 mit einem Sockelbereich (16); [2.3] 1.5 und mit Seitenwänden, [2.5] 1.5.1 von gleichmäßiger Tiefe, [2.5.1] 1.5.2 die sich von der ebenen Oberseite (15) zur Unterkante (16) erstrecken; [2.5.2] 2. ein Napf- und Aufsatzteil (well and deck portion 12), [4] 2.1 das aus einem zweiten Material konstruiert [4.3] 2.2 und mit der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils verbunden ist, um eine einheitliche Platte zu bilden; [4.1, 4.2] 3. eine Mehrzahl von Proben-Näpfen (14), [3] 3.1 die in das Napf- und Aufsatzteil (12) integriert [5] 3.2 und in dem ersten Muster angeordnet sind, [3.1] 3.3 so dass sie sich nach unten durch die Löcher in der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils (11) erstrecken. [3.2].
13
3. Diese Lehre bedarf in zwei Punkten näherer Erläuterung.
14
a) In dem Terminus "thin-well microplate" bezieht sich das Attribut "thin" nur auf die Wände der Näpfe, auch wenn das in dieser vom Streitpatent gewählten Bezeichnung sprachlich nur verkürzt zum Ausdruck kommt. Denn es sind nur und gerade die Napfwände, die "dünnwandig" ("thin-walled") ausgebildet sein sollen, um dem Einsatzzweck zu entsprechen, während für die anderen Bestandteile der Mikrotiterplatten, für die die Faktoren der Stabilität, Verwindungsfreiheit und Formbeständigkeit im Vordergrund stehen, eher die Ausformung mit größeren Wandstärken angezeigt ist (Beschreibung Abs. 9). In Bezug auf die Wandstärke der Näpfe spricht die Beschreibung von einem Bereich von etwa 0,38 mm oder weniger. Im ersten Ausführungsbeispiel des Streitpatents ist insoweit von 0,15 bis 0,25 mm die Rede (Beschreibung Rn. 47). Entgegen der Berufung ergeben sich hieraus und aus dem Wortsinn von "thin" allerdings keine exakten Ober- und Untergrenzen für die Wandstärke der Näpfe. Ebenso wenig lassen sich aus der Verwendungseignung für thermozyklische Erhitzungsverfahren konkrete Anforderungen an weitere körperliche Eigenschaften der streitpatentgemäßen Mikrotiterplatte exakt ableiten.
15
b) Nach den Merkmalen 2 und 2.2 wird das Napf- und Aufsatzteil mit der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils verbunden, um eine "einheitliche" Platte zu bilden. Diese Einheitlichkeit ist aus fachmännischer Sicht das zentrale technische Lösungsmittel des Streitpatents um zu gewährleisten, dass "thin-well microplates" in den Untersuchungsverfahren, für die sie vorgesehen sind, also insbesondere in thermozyklischen Erhitzungsverfahren, auch dann erfolgreich eingesetzt werden können, wenn diese hoch automatisiert unter Einsatz von Robotern durchgeführt werden. Napf- und Aufsatzteil sowie Rahmen- und Gestellteil sollen eine stabil verbundene Einheit bilden, die, wie der Bundesgerichtshof in einem das Streitpatent betreffenden Verletzungsprozess erwogen hat, zwar nicht unlösbar sein, aber jede praktisch bedeutsame relative Bewegung der beiden Komponenten auch in Verfahren mit Robotereinsatz ausschließen muss (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 - X ZR 5/13, juris Rn. 17 ff.). Diese Einheit muss, wie das Patentgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Patentfähigkeit zutreffend ausgeführt hat, als Verbund in einen üblichen Thermocycler eingebracht werden können. Für die Herstellung entsprechender patentgemäßer Mikrotiterplatten schlägt das Streitpatent mehrere Verfahrensvarianten vor (Beschreibung Abs. 28 ff.).
16
II. Das Patentgericht hat die Klage für zulässig erachtet. Die Rechtskraft des Urteils im vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren stehe ihrer Erhebung ebenso wenig entgegen wie die für die Klage eines Strohmanns entwickelten Grundsätze.
17
In der Sache hat das Patentgericht offengelassen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch die auf S. 32 und 33 des Katalogs der Nalge Nunc International, Naperville "NUNCTMProducts", 1996 (D1) vorgestellten Systeme oder die US-amerikanische Patentschrift 5 514 343 (D2) vorweggenommen ist und angenommen, dieser Gegenstand sei dem Fachmann, einem mit der Entwicklung von Mikrotiterplatten betrauten Diplomingenieur der Fachrichtung Ver- fahrenstechnik, der bei Bedarf auf das Fachwissen eines Chemikers (Fachrichtung makromolekulare Chemie) und eines (Molekular-)Biologen zurückgreife, durch D2 und D1 jedenfalls nahegelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu I 2.7 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (UA S. 14 ff.) Bezug genommen.
18
III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren zwar stand, soweit es die Zulässigkeit der Klage betrifft, nicht aber hinsichtlich der Bewertung der Patentfähigkeit.
19
1. Das Patentgericht hat bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu beachtet, ob eine Nichtigkeitsklage von einem "Strohmann" für einen Dritten erhoben worden ist, der selbst durch die Rechtskraftwirkung eines vorangegangenen Nichtigkeitsurteils an der erneuten Klageerhebung gehindert ist.
20
a) Die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einer Person den Zugang zum Nichtigkeitsverfahren als Kläger aus in ihrer Person begründeten Umständen zu versagen, von vornherein enge Grenzen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 Rn. 8 - Ziehmaschinenzugeinheit II). Nur der Kläger, der zwar im eigenen Namen, aber ohne jedes eigene Interesse und Risiko im Auftrag und Interesse eines Dritten klagt, muss bei einer Klageerhebung alle Einwendungen, die gegen seinen Hintermann greifen, gegen sich gelten lassen (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 64/08, juris Rn. 10 mwN). Sobald ein bestehendes Schutzrecht einer derzeitigen oder auch nur zukünftig möglichen gewerblichen Betätigung im Wege stehen könnte, kann nicht nur ein Interesse des betroffenen Gewerbetreibenden daran, dieses Schutzrecht mit einer Nichtigkeitsklage anzugreifen, anzuerkennen sein, sondern auch ein berechtigtes Interesse an der Möglichkeit einer zweiten Nichtigkeitsklage unabhängig von dem Verhältnis des Klägers zu einem früheren Nichtigkeitskläger (BGH, Urteil vom 13. Januar 1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer).
21
b) Ob das klagende Unternehmen in diesem Sinne in der Zukunft eine gewerbliche Tätigkeit aufnehmen möchte, für welche der Bestand des Schutzrechts hinderlich sein könnte, erfordert eine Prognoseentscheidung. Diese hat das Patentgericht in Bezug auf die Klägerin im Streitfall rechtsfehlerfrei getroffen. Es hat dabei entgegen der Ansicht der Berufung insbesondere nicht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Die erforderliche Gewissheit, die das Gericht in solchen Fällen gewinnen muss (§ 286 ZPO), bezieht sich lediglich auf die Möglichkeit einer entsprechenden gewerblichen Betätigung. Das Gericht muss also (lediglich) davon überzeugt sein, dass das klagende Unternehmen möglicherweise eine entsprechende geschäftliche Tätigkeit in der Zukunft aufnehmen wird.
22
c) Im Streitfall hat das Patentgericht dies in Bezug auf das Unternehmen der Klägerin ohne Rechtsfehler bejaht. Deshalb kann dahinstehen, was zu gelten hätte, wenn mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könnte , dass allein die erste Nichtigkeitsklägerin (R. GmbH) für den Eintritt in dieses Tätigkeitsfeld infrage komme, keineswegs aber die jetzige Klägerin. Die von der Beklagten dafür angeführten Gesichtspunkte hat das Patentgericht zu Recht nicht als ausreichend bewertet. Dass die frühere Nichtigkeitsklägerin Alleingesellschafterin der Klägerin ist und die Geschäftsführer beider Unternehmen personenidentisch sind, mag Anlass genug sein, um (überhaupt) in die Prüfung einzutreten, ob ein Strohmannverhältnis besteht, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung, dass kein eigenes Interesse des vermeintlichen Strohmanns an der Nichtigerklärung des Schutzrechts bestehen kann. Auch der Umstand, dass die Klägerin für ihre gegenwärtige geschäftliche Tätigkeit lediglich anführt, bestimmte Kartuschen und Kolben sowie Aufnahmevorrichtungen und Verschlüsse betreffende Schutzrechte angemeldet zu haben und zu halten, reicht nicht aus, um die zukünftige Aufnahme einer vom Gegenstand des Streitpatents berührten Geschäftstätigkeit mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.
23
2. Mit Erfolg wendet die Berufung sich gegen die Bewertung des Patentgerichts , der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 Satz 1 EPÜ). Entgegen seiner Auffassung gaben D2 oder D1 aus fachmännischer Sicht keine hinreichend konkreten Anregungen, um die Problemlösung auf dem Wege des Streitpatents zu suchen.
24
a) Schon die Annahme, D2 suche "in gleicher Weise" wie das Streitpatent nach Lösungen, um den losen Sitz der Näpfe in einer Rahmenplatte mit Öffnungen für die Näpfe zu vermeiden, findet im Offenbarungsgehalt dieses Dokuments nicht den erforderlichen Rückhalt.
25
D2 betrifft ein Mikrotitrationssystem für diagnostische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten mit einem im Wesentlichen rechteckigen, rahmenartigen Träger ("substantially rectangular frame-like holder or tray" 10) aus einem geeigneten Kunststoffmaterial, wofür Acrylbutadienstyrol vorgeschlagen wird. Das System umfasst eine Vielzahl von Behältern oder Küvetten ("wells or cuvettes" 16), die vorzugsweise in geraden Reihen ("straight rows" 17) angeordnet und durch zerbrechbare stabförmige Verbindungsteile bzw. Stiele miteinander verbunden sind ("breakable connecting parts or stems" 18).
26
D2 will dabei das technische Problem lösen, wie verhindert werden kann, dass die Näpfe aus dem Träger fallen, wenn beide zusammen, etwa während eines Waschvorgangs, bewegt oder umgestülpt werden. Dass der Fachmann die dafür zu erwartenden Beanspruchungen als mit denjenigen vergleichbar angesehen hätte, denen Näpfe und Rahmen in robotergesteuerten Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind und deshalb in D2 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Verbesserungen gesehen hätte, um die es dem Streitpatent geht, ist nicht ohne weiteres plausibel. Das gilt gleichermaßen für die Arretierung der Näpfe wie für die Verwendung der Mikrotitrationssysteme von D2 im Ganzen insbesondere in thermozyklischen Erhitzungsverfahren.
27
b) Eine dem ein Napf- und Aufsatzteil des Streitpatents (Merkmal 2) funktional entsprechende Anordnung entsteht bei D2 von vornherein nur dann, wenn mehrere Näpfe oder Streifen von Näpfen über die erwähnten Verstrebungen oder Stiele miteinander verbunden sind (D2 Sp. 4 Z. 37 ff.). Für die Herstellung der vom Streitpatent geforderten Einheit zwischen Napf- und Aufsatzteil einerseits und Rahmen- und Gestellteil andererseits (Merkmale 2, 2.2) kommt in D2 nur das Einklipsen der einzelnen durch die erwähnten Verstrebungen zu einer Gesamtheit verbundenen Näpfe in die nach D2 vorgesehenen federnden Arretierungsvorrichtungen ("resilient aperture defining means", D2 Sp. 2 Z. 1 ff.) in Betracht. Zur Vermeidung von Materialermüdungen wird für diese Arretierungsvorrichtungen in einer bevorzugten Ausführungsform vorgeschlagen, die Ausnehmung für das Einrasten dieser Mittel so zu dimensionieren, dass Letztere dabei im Wesentlichen nicht unter Spannung stehen. Die dementsprechende Verbindung ist aus fachmännischer Sicht nicht von der Qualität und Stabilität, die jede praktisch bedeutsame relative Bewegung zwischen der dem Napf- und Gestellteil entsprechenden Einheit und dem Rahmen auch in Verfahren mit Robotereinsatz als ausgeschlossen erscheinen lassen, wie es die Merkmale 2 und 2.2 aber voraussetzen (oben Rn. 15).
28
Hinzu kommt, dass das in D2 als für den Rahmen geeignetes Material genannte Acrylbutadienstyrol nach den nicht angezweifelten Ausführungen in der Streitpatentschrift für die Durchführung einer PCR-Untersuchung ungeeignet ist (Beschreibung Abs. 12). Diesem Befund entspricht im Übrigen, dass nach D1 Seite 48 "Polystyrene" über längere Zeit ("continuous exposure") Temperaturen von bis zu 70°C soll standhalten können und dieser Wert auf maximal 90°C steigen kann, wenn das Material dieser Temperatur nur zeitweilig ("tempo- rary") ausgesetzt wird.
29
Richtig ist zwar, worauf die Klägerin hinweist, dass D1 Seite 32 Temperaturbeständigkeit für die NucleoLinkTMStrips oder die TopYieldTMStrips von bis zu 120°C versichert. Das gilt aber nur für die zu Streifen verbundenen Näpfe, die aus einem hitzebeständigen Polymer ("heat stable polymer") bzw. Polycarbonat bestehen. Die Rahmen sind den Produktbeschreibungen auf Seite 32 zufolge wie bei D2 aus Acrylbutadienstyrol ("Acrylonitrile-Butadiene-Styrene") und demgemäß nicht in dem erforderlichen Maße hitzebeständig, um als Rahmenund Gestellteil einheitlich mit dem Napf- und Aufsatzteil in einen Thermocycler eingebracht werden zu können. Dementsprechend zeigt die nachfolgend eingefügte Abbildung auf Seite 14 der Produktbeschreibung für NucleoLinkTMStrips (Anlage B2 zu WRST05), wie einer dieser Streifen nach Herausnahme aus dem Rahmen isoliert in einen Thermocycler eingeführt wird.
30
D1/D2 sehen nach allem zwar eine gewisse Fixierung der Näpfe im Halterrahmen vor; diese führt aus fachmännischer Sicht vor dem Hintergrund, dass die Näpfe händisch aus dem Rahmen herausnehm- und in das Aufheizgerät einsetzbar sein sollen, aber nicht zu einer streitpatentgemäßen Ausgestaltung hin. Das gilt umso mehr, als das gesamte Konzept des Streitpatents sich dadurch, dass Halterahmen und Streifen im Verbund in Thermocycler einbringbar ausgestaltet sein sollen, als Abkehr von D1/D2 darstellt. Dementsprechend war es, um zum Gegenstand von Patentanspruch 1 zu gelangen, ohne rückschauende Betrachtung auch nicht damit getan, ausgehend von D1/D2 lediglich hinreichend hitzebeständige Materialien für den Trägerrahmen aufzufinden, wie es im angefochtenen Urteil aber anklingt.
31
IV. Das Urteil des Patentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als zutreffend. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu. Aus dem oben Dargelegten folgt, dass D1 oder D2 keine "thin-well micropla- te" mit allen Merkmalen des Streitpatents offenbaren.
32
V. Mit Patentanspruch 1 haben auch die angegriffenen Unteransprüche 2, 3, 7, 8, 11, 12, 15 und 19 bis 22 Bestand.
33
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Bacher Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 07.06.2016 - 3 Ni 16/15 (EP) -

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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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9
2. In der Beschreibung des Streitpatents ist eine Aufgabe nicht formuliert. Die Beklagte sieht diese darin, ein (Langzeit-)Diabetes-Therapeutikum mit gegenüber dem Stand der Technik vorteilhaften pharmakologischen Eigenschaften , insbesondere mit einem durch schnelles Einsetzen der Wirkung, einem im Verhältnis zur Blutzuckersenkung niedrigen Plasmaspiegel und rascher Eliminierung des Wirkstoffs aus dem Blut ausgestatteten besonderen pharmakokinetischen Profil vorzuschlagen. Dieser Aufgabenbestimmung kann nicht beigetreten werden. Gegen sie wäre möglicherweise nichts einzuwenden, wenn zweifelsfrei feststünde, dass der Fachmann seine Bemühungen am Anmeldetag gezielt und ausschließlich an den genannten Parametern ausgerichtet hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Beschreibung zufolge hat sich erst bei den Bemühungen der Erfinder um eine Weiterentwicklung des Stands der Technik herausgestellt, dass Repaglinid die genannten vorteilhaften pharmakokinetischen Eigenschaften aufweist. Die Bestimmung des technischen Problems dient dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die dafür vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht. Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören oder die sich bei ihrer Erarbeitung herausgestellt haben, sind deshalb bei der Bestimmung des technischen Problems nicht zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1990 - X ZR 124/88, GRUR 1991, 811, 814 - Falzmaschine; Urteil vom 30. Juli 2009 - Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44 Rn. 14 - Dreinahtschlauchfolienbeutel ). Dem Streitpatent liegt hiernach das Problem zugrunde, ein (Langzeit-)Diabetes-Therapeutikum mit verbesserter Wirkung bereitzustellen.

Tenor

Die Berufung gegen das am 13. November 2012 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 907 364 (Streitpatents), das am 27. Mai 1997 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 31. Mai 1996 angemeldet wurde und ein Arzneimittel aus einem Dibenzothiazepinderivat mit verzögerter Freisetzung betrifft. Patentanspruch 1, auf den neunzehn weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"A sustained release formulation comprising a gelling agent and 11-[4-[2-(2-hydroxyethoxy)ethyl]-1-piperazinyl]dibenzo-[b,f][1,4]thiazepine or a pharmaceutically acceptable salt thereof, together with one or more pharmaceutically acceptable excipients."

2

Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Klägerin zu 1 hat ferner geltend gemacht, die Erfindung sei im Streitpatent nicht so offenbart, dass der Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in vier geänderten Fassungen verteidigt.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

5

I. Das Streitpatent betrifft eine Retard-Formulierung mit dem Wirkstoff Quetiapin.

6

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift war im Stand der Technik bekannt, dass der Wirkstoff 11-[4-[2-(2-Hydroxyethoxy)ethyl]-1-piperazinyl]dibenzo-[b,f][1,4]thiazepin (Freiname: Quetiapin) antidopaminerge Wirkung hat und zum Beispiel als Antipsychotikum oder zur Behandlung von Hyperaktivität eingesetzt werden kann.

7

In der Streitpatentschrift wird weiter ausgeführt, bei der Behandlung einer Reihe von Krankheiten sei es wünschenswert, die pharmazeutischen Wirkstoffe in Retard-Form bereitzustellen, um eine einheitliche und konstante Freisetzungsrate über einen längeren Zeitraum ohne häufige Verabreichung sicherzustellen. Im Stand der Technik seien zahlreiche Retard-Formulierungen mit Geliermitteln wie Hydroxypropylmethylcellulosen bekannt. Die Herstellung solcher Formulierungen von löslichen Medikamenten habe sich aber als schwierig dargestellt. Wasserlösliche Wirkstoffe neigten zu dem als dose dumping bekannten Phänomen, dass die Freisetzung zunächst verzögert werde, dann aber mit hoher Rate einsetze. Ferner bestehe die Tendenz zu Fluktuationen und Tagesschwankungen bei der Plasmakonzentration. Schließlich sei es schwierig, die Freisetzungsrate zu steuern. Deshalb bestehe ein Bedarf an Retard-Formulierungen von löslichen Medikamenten wie Quetiapin, mit denen diese Schwierigkeiten überwunden oder vermindert werden könnten.

8

2. Das Patentgericht hat hieraus abgeleitet, das Streitpatent betreffe das technische Problem, eine Formulierung des Wirkstoffs Quetiapin zur Verfügung zu stellen, die eine möglichst konstante Freisetzungsrate über einen möglichst langen Zeitraum hinweg ermöglicht.

9

3. Diese Definition ist zu eng. Das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem besteht vielmehr darin, eine Darreichungsform von Quetiapin zur Verfügung zu stellen, die zu einer verbesserten Wirkung führt.

10

a) Die vom Patentgericht zugrunde gelegte Definition bietet sich zwar durch den Wortlaut der Beschreibung an. Diesem kommt aber, wie das Patentgericht im Ansatz nicht verkannt hat und wovon auch die Parteien im Ansatz übereinstimmend ausgehen, nicht notwendigerweise ausschlaggebende Bedeutung zu.

11

Nach der Rechtsprechung des Senats ist als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zwingend auf die der Beschreibung des Streitpatents zu entnehmende "Aufgabe" abzustellen (BGH, Urteil vom 1. März 2011 - X ZR 72/08, GRUR 2011, 607 Rn. 19 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel III). Maßgeblich ist vielmehr, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - X ZR 200/99, GRUR 2003, 693, 695 - Hochdruckreiniger).

12

b) Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Berufung allerdings nicht, dass bei der Definition des technischen Problems kumulativ alle Vorteile zu berücksichtigen sind, die die Erfindung objektiv mit sich bringt.

13

Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Erfindung mehrere unterschiedliche technische Probleme betreffen. In solchen Konstellationen sind die einzelnen Problemstellungen bei der Prüfung der Patentfähigkeit gesondert zu betrachten. Die Patentfähigkeit ist gegebenenfalls schon dann zu verneinen, wenn die Bewältigung eines dieser Probleme zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehört hat und die beanspruchte Erfindung von diesem Ausgangspunkt aus durch den Stand der Technik nahegelegt war (BGH, Urteil vom 1. März 2011 - X ZR 72/08, GRUR 2011, 607 Rn. 19 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel III).

14

Vor diesem Hintergrund ist die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die vom Streitpatent beanspruchte Formulierung nicht nur eine konstante Freisetzungsrate über einen langen Zeitraum hinweg ermöglicht, sondern auch zusätzliche Anwendungsfelder und Indikationen für Quetiapin eröffnet, für die Entscheidung des Streitfalls nicht von Bedeutung. Sofern der Fachmann Anlass hatte, nach einer Formulierung mit konstanter Freisetzungsrate zu suchen und der Gegenstand des Streitpatents ausgehend von dieser Problemstellung durch den Stand der Technik nahegelegt war, ist die Patentfähigkeit auch dann zu verneinen, wenn die Erfindung daneben zur Lösung weiterer Probleme geeignet ist.

15

c) Die vom Patentgericht zugrunde gelegte Definition des technischen Problems ist aber deshalb zu eng, weil der Streitfall unter anderem die Frage aufwirft, ob der Fachmann Anlass hatte, für Quetiapin eine Formulierung in Betracht zu ziehen, die eine möglichst konstante Freisetzungsrate über einen möglichst langen Zeitraum hinweg ermöglicht.

16

Die Definition des technischen Problems, das einer Erfindung zugrunde liegt, dient nicht dazu, eine Vorentscheidung über die Frage der Patentfähigkeit zu treffen. Deshalb dürfen Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören, nicht berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 22. Mai 1990 - X ZR 124/88, GRUR 1991, 811, 814 - Falzmaschine; Urteil vom 30. Juli 2009 - Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44 Rn. 14 - Dreinahtschlauchfolienbeutel).

17

Aus demselben Grund ist es nicht zulässig, ohne weiteres zu unterstellen, dass dem Fachmann die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung nahegelegt war. In vielen Fällen mag sich zwar aus der Beschreibung des Patents oder aus sonstigen Umständen klar ergeben, welchen Problemen sich der Fachmann ausgehend vom Stand der Technik zugewendet hätte. Sofern sich dies nicht zweifelsfrei beurteilen lässt, wäre es jedoch verfehlt, schon bei der Definition der Aufgabe die Frage zu prüfen, welche Anregungen dem Fachmann durch den Stand der Technik gegeben wurden. Vielmehr ist das technische Problem so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich diese Frage ausschließlich in dem Zusammenhang stellt, in dem sie relevant ist, nämlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.

18

d) Im Streitfall besteht das technische Problem deshalb darin, eine Darreichungsform von Quetiapin zur Verfügung zu stellen, die zu einer verbesserten Wirkung führt. Die Frage, welche Maßnahmen dem Fachmann zur Erreichung dieses Ziels nahegelegt waren, ist demgegenüber ausschließlich für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von Bedeutung.

19

Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent eine Retard-Formulierung vor, die ein Geliermittel, Quetiapin oder ein pharmazeutisch unbedenkliches Salz davon und einen oder mehrere pharmazeutisch unbedenkliche Hilfsstoffe enthält.

20

II. Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, und hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

21

Aus der Veröffentlichung von Gefvert et al. (Time course for dopamine and serotonin receptor occupancy in the brain of schizophrenic patients following dosing with 150 mg Seroquel TM tld, European Neuropsychopharmacology, 1995, S. 347, P-4-65, NiK9 = TM8) habe der Fachmann, ein Team aus einem auf dem Gebiet der pharmazeutischen Technologie promovierten Pharmazeuten und einem Mediziner, entnehmen können, dass nach Verabreichung des Quetiapin sofort freisetzenden Arzneimittels Seroquel zwei von drei für die Wirksamkeit wichtige Werte innerhalb von 26 Stunden erheblich absanken. Hieraus habe sich ergeben, dass dieses Medikament mehr als einmal pro Tag verabreicht werden müsse, damit die angestrebte Wirkung erzielt werden könne. In NiK9 werde zwar eine Verabreichungshäufigkeit von ein- oder zweimal pro Tag als erstrebenswert bezeichnet. Das weitere Vorgehen der Autoren zeige aber, dass sie die bekannte, Quetiapin sofort freisetzende orale Darreichungsform für eine nur einmalige Verabreichung pro Tag nicht in Betracht gezogen hätten. Eine Anregung, zur Verwirklichung dieses Ziels eine Formulierung mit anderem Freisetzungsprofil in Betracht zu ziehen, habe sich aus der als TM17 vorgelegten Pressemitteilung ergeben, in der berichtet werde, dass die Beklagte die Entwicklung einer Formulierung in Auftrag gegeben habe, mit der Seroquel nur einmal pro Tag verabreicht werden müsse.

22

Für den Fachmann habe auch der Einsatz eines Geliermittels nahegelegen. Aus der US-Patentschrift 4 389 393 (NiK12) sei bekannt gewesen, dass sich Matrixsysteme auf der Grundlage von Geliermitteln wie Hydroxypropylmethylcellulosen für die Formulierung einer Vielzahl von Wirkstoffen eigneten.

23

Aus der europäischen Patentanmeldung 240 228 (NiK3) ergebe sich keine abweichende Beurteilung. Diese enthalte nur allgemeine Dosierungsangaben. Darüber hinausgehende Hinweise ergäben sich erst aus NiK9, die den Fachmann lehre, eine den Wirkstoff sofort freisetzende Darreichungsform mindestens zweimal täglich zu verabreichen. Die in NiK9 als vorteilhaft dargestellte Wirkstoffmenge sei nicht so groß, dass sie den Fachmann davon abgehalten habe, Retard-Formulierungen ins Auge zu fassen. Aus den Veröffentlichungen von Farde et. al (Positron emission tomographic analysis of central D1 and D2 dopamine receptor occupancy in patients treated with classical neuroleptics and clozapine, Arch. Gen Psychiatry 49 (1992), 538, NiK29), Wetzel et al. (Seroquel (ICl 204 636), a putative "atypical" antipsychotic, in schizophrenia with positive symptomatology: results of an open clinical trial and changes of neuroendocrinological and EEG parameters, Psychopharmacology 119 (1995), 231, NiK30) und Gelder et al. (Oxford Textbook of Psychiatry, Third Edition, 1996, Kap. 9 S. 246 ff. und Kap. 17, S. 532 ff., NiK32) ergebe sich keine abweichende Beurteilung.

24

Die mit den Hilfsanträgen verteidigten Fassungen des Streitpatents unterschieden sich von der erteilten Fassung lediglich durch zusätzliche Angaben zur Verabreichungsart (Tablettenform), zum Anteil des Geliermittels (5 bis 50 Gewichtsprozent) und zur Auswahl des Geliermittels. Alle diese Maßnahmen hielten sich im Rahmen des aus fachlicher Sicht Üblichen.

25

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

26

1. Die Berufung rügt, das Patentgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der zu dem als Fachmann anzusehenden Team gehörende pharmazeutische Technologe verfüge über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Formulierungen mit kontrollierter Wirkstofffreisetzung. Sie macht geltend, innerhalb des Teams sei der Mediziner die treibende Kraft, die die zu überwindenden Probleme vorgebe.

27

Diese Rüge vermag das angefochtene Urteil nicht in Frage zu stellen.

28

Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass innerhalb des aus einem Mediziner und einem Pharmazeuten bestehenden Teams der erstere die Federführung hat und dass der Pharmazeut nicht zwingend auf Retard-Formulierungen spezialisiert ist. Auch ein solches Team ist indes in der Lage, auf besonderes Fachwissen hinsichtlich solcher Formulierungen zuzugreifen, sofern es erkennt, dass eine kontrollierte Freisetzung des Wirkstoffs als Lösungsmittel in Betracht kommt.

29

2. Zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

30

a) Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Fachmann Anlass hatte, nach Verabreichungsformen zu suchen, mit denen Quetiapin nur einmal pro Tag verabreicht wird.

31

aa) Eine hinreichende Anregung dafür ergab sich, wie das Patentgericht zutreffend festgestellt hat, aus der Veröffentlichung von Gefvert et al. (NiK9).

32

In der Einleitung von NiK9 wird ausgeführt, das Quetiapin enthaltende Medikament Seroquel sei in Tests der Phasen II und III drei- oder viermal täglich verabreicht worden. Im Hinblick auf die große Bedeutung, die einer verlässlichen Einnahme bei Schizophrenie-Patienten zukomme, sei ein bequemeres (more convenient) Verabreichungsschema hilfreich. In den abschließenden Bemerkungen wird die Hoffnung geäußert, eine ein- bis zweimalige Verabreichung pro Tag könnte ausreichend sein.

33

Daraus ergab sich nicht nur die Anregung, die Zahl der täglichen Verabreichungen auf zwei zu verringern, sondern jedenfalls auch die Anregung, eine Verabreichungshäufigkeit von nur einmal pro Tag anzustreben.

34

bb) Die von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Ausführungen ihres Privatgutachters Prof. Dr. M.   geäußerte Einschätzung, eine Verabreichung einmal pro Tag habe keine nennenswerten Vorteile gegenüber einer Verabreichung zweimal pro Tag (HE12 S. 8), führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

35

Die genannte Einschätzung stellt nicht in Frage, dass sowohl für den Patienten als auch für eine gegebenenfalls mit der Betreuung oder Überwachung betraute Person ein geringerer Aufwand entsteht, wenn das Medikament nur einmal pro Tag eingenommen werden muss. Schon dies gab Anlass, eine solche Verabreichungsform auch dann als Alternative ins Auge zu fassen, wenn die damit verbundenen Vorteile von einem Teil der Fachwelt als eher geringfügig angesehen wurden.

36

Dass eine Verringerung der Verabreichungshäufigkeit von zweimal auf einmal pro Tag auch in Zusammenhang mit Quetiapin nicht generell als nutzlos angesehen wurde, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass in NiK9 die Hoffnung geäußert wurde, eine ein- oder zweimalige Verabreichung pro Tag könnte ausreichend sein. Eine zusätzliche Bestätigung dafür bildet die in TM17 wiedergegebene Pressemitteilung, wonach die Unternehmensgruppe der Beklagten schon vor dem Prioritätstag einem anderen Unternehmen den Auftrag erteilt hat, eine Verabreichungsform von Seroquel zu entwickeln, die eine Verabreichungshäufigkeit von einmal pro Tag ermöglicht.

37

b) Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Fachmann aufgrund der in NiK9 wiedergegebenen Daten davon ausgehen musste, dass die Belegung der D2-Rezeptoren vierundzwanzig Stunden nach dem Zeitpunkt der letzten Einnahme gegen null tendiert.

38

Zwar enthält NiK9 keine ausdrücklichen Angaben zur Rezeptorbelegung zu dem genannten Zeitpunkt. Aus den dort wiedergegebenen Werten ergibt sich aber, dass der Prozentsatz der belegten D2-Rezeptoren zwei Stunden nach der letzten Einnahme bei 44 % und sechsundzwanzig Stunden nach diesem Zeitpunkt bei null liegt. Die hieraus abgeleitete Schlussfolgerung des Patentgerichts, dass der Wert schon vierundzwanzig Stunden nach der letzten Einnahme nicht in einem signifikanten Bereich lag, ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird durch die Einwände der Berufung nicht in Frage gestellt.

39

Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Werte nicht linear absinken, zumal in NiK9 für das sechsstündige Intervall zwischen der ersten und der zweiten Messung ein Rückgang um vierzehn Prozentpunkte ausgewiesen ist, für den nachfolgenden Zeitraum von vier Stunden dagegen nur noch ein Rückgang um drei Prozentpunkte. Auch die Beklagte zieht aber nicht in Zweifel, dass der weitere Rückgang im Wesentlichen gleichmäßig erfolgt. Ihre auf der Prämisse eines linearen Rückgangs gezogene Schlussfolgerung, vierundzwanzig Stunden nach dem Zeitpunkt der letzten Einnahme seien noch 4 % der D2-Rezeptoren belegt, steht zu der Annahme des Patentgerichts, die Belegung tendiere zu diesem Zeitpunkt gegen null, nicht in Widerspruch. Zwar wird in NiK9 nicht dargelegt, welcher Prozentsatz an D2-Rezeptoren mindestens belegt sein muss, damit Quetiapin die angestrebte Wirkung entfalten kann. Angesichts des Umstandes, dass der Anteil der belegten Rezeptoren acht Stunden nach dem Zeitpunkt der letzten Einnahme - also innerhalb eines Zeitraums, in dem bei dreimaliger Verabreichung pro Tag eine erneute Einnahme zu erwarten ist - noch 30 % beträgt, gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Wert von 4 % aus fachlicher Sicht ebenfalls noch ausreichend erschien, zumal NiK9 für den Prozentsatz der belegten 5HT2-Rezeptoren einen deutlich anderen Verlauf wiedergibt, der erst acht Stunden nach dem Zeitpunkt der letzten Einnahme den gemessenen Höchststand von 85 % und sechsundzwanzig Stunden nach dem genannten Zeitpunkt noch einen Restbestand von 50 % aufweist.

40

c) Zu Recht hat das Patentgericht hieraus die Schlussfolgerung gezogen, dass sich aus NiK9 keine erfolgversprechenden Hinweise darauf ergaben, dass die dort angegebene Wirkstoffmenge von 450 mg für eine nur einmalige Verabreichung pro Tag mit sofortiger Freisetzung geeignet sein würde.

41

aa) Der von der Beklagten und ihrem Privatgutachter Prof. Dr. M.   aufgezeigte Umstand, dass die relativ schwache Bindung an den D2-Rezeptor und das relativ starke Abdriften von diesem nach dem Prioritätstag als mögliche Ursachen für die Wirkung von Quetiapin angesehen wurden (HE12 S. 11), führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Daraus ergibt sich insbesondere nicht, dass dem Fachmann diese Überlegungen schon am Prioritätstag bekannt waren.

42

Die von der Beklagten und ihrem Privatgutachter Prof. Dr. K.   angeführte Veröffentlichung aus dem Jahr 1996 (Kasper et al., D2-Receptor Imaging (SPEC) as a Tool for Measuring the Efficacy and Side-Effect Profile of Treatment With Neuroleptics, Biol Psychiatry 39 (1996), 564, Anlage 3 zu HE8) gab hierüber noch keinen Aufschluss. Dort wird zwar berichtet, es habe kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Belegung der D2-Rezeptoren und der Wirksamkeit festgestellt werden können und eine Belegung dieser Rezeptoren sei mit Nebenwirkungen im extrapyramidalmotorischen System (EPMS) verbunden. Für Seroquel wird aber berichtet, die zur Verfügung stehenden vorläufigen Daten deuteten auf einen vergleichbaren Belegungsgrad wie bei dem verwandten Wirkstoff Clozapin hin. Daraus ergibt sich nicht, dass auch extrem geringe Prozentsätze oder eine nur kurzzeitige Belegung ausreichen könnten. In der Veröffentlichung selbst wurde vielmehr die Vermutung geäußert, die beobachteten Zusammenhänge könnten auf der Wirkung auf die 5HT2-Rezeptoren beruhen, weil Risperidon und Olanzapin zu einer relativ hohen Belegung der D2-Rezeptoren führten, aber dennoch eher geringe Nebenwirkungen zeigten.

43

In der Veröffentlichung von Wetzel et al. (Seroquel (ICI 204 636), a putative “atypical” antipsychotic, in schizophrenia with positive symptomatology: results of an open clinical trial and changes of neuroendocrinological and EEG parameters, Psychopharmacology 119 (1995), 231-238, NiK30) wird ebenfalls die kombinierte und ausgeglichene Blockade der D2- und 5HT2-Rezeptoren als wahrscheinliche Ursache der beobachteten Wirkungen von Seroquel und Clozapin angeführt und der Antagonismus zu D2-Rezeptoren bei Seroquel als eher schwach eingeschätzt (NiK30 S. 232 links oben). Auch daraus ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine anteilsmäßig geringe oder nur kurzfristig wirkende Belegung dieser Rezeptoren ausreichen könnte.

44

Aus den Veröffentlichungen von Casey ('Seroquel' (Quetiapine): preclinical and clinical findings of a new atypical antipsychotic, Exp. Opin. Ivest. Drugs 1996, 939-957, NiK31), Hirsch et al. (ICI 204 636: A New Atypical Antipsychotic Drug, British Journal of Psychiatry 168 (1996), 45-56, NiK37) sowie Fleischhacker et al. (A Multicentre, Double-Blind, Randomised Comparison of Dose and Dose Regimen of 'Seroquel' in the Treatment of Patients with Schizophrenia, American College of Neuropsychopharmacology, 34th Annual Meeting (1995), 275, NiK45) ergeben sich insoweit keine weitergehenden Erkenntnisse.

45

bb) Die in NiK9 geäußerte Hoffnung, Seroquel könnte dennoch für eine ein- oder zweimalige Verabreichung pro Tag geeignet sein, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

46

Diese Äußerung lässt schon für sich gesehen gewisse Zweifel daran erkennen, ob sich am Ende nicht doch eine Verabreichungshäufigkeit von mindestens zweimal pro Tag als erforderlich erweisen werde. In NiK9 werden zudem keine Hinweise darauf gegeben, auf welche konkreten Ergebnisse der angestellten Untersuchung die Hoffnung bezüglich einer nur einmaligen Verabreichung pro Tag gestützt wird und ob sie sich auf die im Rahmen der Untersuchung verabreichte Dosis von 450 mg pro Tag oder auf eine höhere Dosis bezieht.

47

Das vom Privatgutachter Prof. Dr. M.   in diesem Zusammenhang angeführte Konzept von "drug holidays" (HE12 S. 13) findet in NiK9 keine Erwähnung und steht überdies in Widerspruch zu der dort einleitend wiedergegebenen Einschätzung, wonach zum damaligen Zeitpunkt eine Verabreichung von drei- oder viermal pro Tag als erforderlich angesehen wurde.

48

cc) Zu Recht hat das Patentgericht in diesem Zusammenhang ergänzend die Ergebnisse der in NiK9 erwähnten SAFARI-Studie herangezogen, über die in NiK45 und in einer Pressemeldung aus der Unternehmensgruppe der Beklagten vom 2. Oktober 1995 (World opinion leaders on psychiatric disease are updated on benefits of Zeneca's 'Seroquel' in treating schizophrenia, TM16) berichtet wird.

49

In NiK45 wird zwar, wie die Berufung zutreffend anführt, unter Bezugnahme auf NiK9 die dort geäußerte Hoffnung wiedergegeben, Seroquel könnte aktiv sein, wenn es ein- oder zweimal täglich verabreicht werde. Die SAFARI-Studie betraf ausweislich beider Veröffentlichungen aber allein die Frage, ob die Verabreichung von 450 mg Seroquel bei einer Aufteilung auf zwei Verabreichungen pro Tag die gleichen Wirkungen zeigt wie bei einer Aufteilung auf drei Verabreichungen pro Tag. Die aus der Studie abgeleitete positive Antwort bezieht sich mithin lediglich auf die Verabreichung von zweimal 225 mg pro Tag. Daraus hat das Patentgericht zutreffend abgeleitet, dass sich aus der Studie keine Hinweise auf die Möglichkeit ergeben, die genannte Dosis mit sofortiger Freisetzung in einer einzigen täglichen Verabreichung anzuwenden, und dass die Autoren der Studie die in NiK9 diesbezüglich geäußerten Hoffnungen nicht zum Anlass genommen haben, ihre Untersuchungen auf diese Art der Verabreichung zu erstrecken.

50

Ob für die Konzeption der Studie, wie die Berufung geltend macht, auch ethische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben, ist für die rechtliche Beurteilung unerheblich. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ergäbe sich auch daraus, dass eine Verabreichungshäufigkeit von nur einmal pro Tag aus Sicht des Fachmanns auf praktische Schwierigkeiten stieß und im Ergebnis keine allzu große Erfolgsaussicht bot.

51

d) Im Ergebnis zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass eine Erhöhung der Dosis aus Sicht des Fachmanns jedenfalls nicht als einziges erfolgversprechendes Mittel in Betracht kam, um die Verabreichungshäufigkeit auf einmal pro Tag absenken zu können.

52

aa) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergab sich allerdings aus der in TM17 wiedergegebenen Pressemitteilung allein für den Fachmann nicht hinreichend deutlich, dass sich der von Seiten der Beklagten erteilte Auftrag zur Entwicklung einer neuen Darreichungsform auf eine Retard-Formulierung bezog. Der Umstand, dass das beauftragte Unternehmen besondere Kompetenz bei der Entwicklung solcher Formulierungen hatte, mag einen gewissen Hinweis in diese Richtung geben. Der Mitteilung lässt sich bei isolierter Betrachtung aber nicht hinreichend sicher entnehmen, dass diese Kompetenz bei dem erteilten Auftrag zum Einsatz kommen sollte oder zumindest für die Auswahl des Auftragnehmers relevant war. Zu Schlussfolgerungen in diese Richtung bestand nur dann Anlass, wenn es auch aus fachlicher Sicht Gründe gab, eine Retard-Formulierung für Quetiapin in Betracht zu ziehen.

53

bb) Solche Gründe ergeben sich indes aus den im Prioritätszeitpunkt zugänglichen Kenntnissen über die Bedeutung der Rezeptorbelegung und des Plasmaspiegels.

54

Wie bereits oben dargelegt wurde, gab es im Prioritätszeitpunkt zwar Hinweise darauf, dass ein relativ geringer Prozentsatz für die Belegung der D2-Rezeptoren ausreichend und sogar eher vorteilhaft ist. Es gab aber keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Erwartung, dass eine kurzfristige Belegung dieser Rezeptoren ausreicht, um die angestrebten Wirkungen zu erzielen. Vor diesem Hintergrund mag sich als eine erfolgversprechende Möglichkeit zur Überwindung der aus NiK9 ersichtlichen Schwierigkeiten angeboten haben, die verabreichte Dosis zu erhöhen. Die vom Patentgericht erwähnte Gefahr, dass es dabei zu toxischen Plasmawirkstoffspitzen kommen könnte, schloss dies nicht ohne weiteres aus, zumal der in NiK9 dokumentierte Belegungsgrad der D2-Rezeptoren von Anfang an nicht allzu hoch war und es aus Anlage 3 zu HE8 Hinweise darauf gab, dass ein höherer Belegungsgrad nicht zwangsläufig zu schädlichen Wirkungen führen muss, wenn eine gleichzeitige Belegung der 5HT2-Rezeptoren gewährleistet bleibt.

55

Der Fachmann hatte im Prioritätszeitpunkt dennoch Anlass, eine Dosiserhöhung nicht als einzige Alternative in Betracht zu ziehen, weil die einmalige Verabreichung einer hohen Dosis zu erheblichen Schwankungen des Plasmaspiegels führt und dies jedenfalls aus damaliger Sicht nicht wünschenswert war.

56

(1) Nach den Feststellungen des Patentgerichts ist ein möglichst gleichmäßiger Plasmaspiegel aus Sicht des Fachmanns grundsätzlich als erstrebenswert anzusehen.

57

Dies deckt sich mit den Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents (Abs. 2) und wird auch von der Berufung nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen. Ihr Einwand, kurze Halbwertszeiten, wie sie für Quetiapin unter anderem aus NiK9 dokumentiert sind, und die damit verbundene schnelle Abnahme der Plasmakonzentration stünden einer Verabreichungshäufigkeit von einmal pro Tag nicht zwingend im Wege, bestätigt vielmehr, dass starke Schwankungen des Plasmaspiegels zumindest ein potentielles Problem darstellen.

58

(2) Exemplarisch wurde diese Einschätzung für Neuroleptika, die die D2-Rezeptoren belegen, auch in der Veröffentlichung von Tench et al. (Steady-state pharmacokinetics of controlled release and immediate release formulations of remoxipride in patients with chronic schizophrenia, Psychopharmacology 101 (1990), 132-136, TM23) zum Ausdruck gebracht.

59

In TM23 wird über Versuche mit einer Retard-Formulierung des Wirkstoffs Remoxiprid berichtet. In der Einleitung wird ausgeführt, extrapyramidale Symptome zeigten einen hohen Korrelationsgrad mit neuroleptischer Dosis und Plasmaspiegeln. Remoxiprid habe eine Halbwertszeit von vier bis sieben Stunden und müsse deshalb zwei- bis dreimal täglich verabreicht werden. Für eine einmalige Verabreichung pro Tag sei eine Formulierung mit kontrollierter Abgabe entwickelt worden, um mögliche Nebenwirkungen, die mit hohen Plasma-Spitzenkonzentrationen verbunden sein könnten, zu vermeiden (TM 23 S. 132 rSp).

60

Daraus ergibt sich, dass eine Retard-Formulierung schon dann in Betracht gezogen wurde, wenn bei einer Höherdosierung zwar nicht zwingend mit unerwünschten Nebenwirkungen zu rechnen war, zumindest aber eine gewisse Gefahr bestand.

61

Eine vergleichbare Ausgangssituation bestand am Prioritätstag auch in Bezug auf Quetiapin. Zwar deuteten die bereits oben behandelten Veröffentlichungen darauf hin, dass der Grad der Belegung der D2-Rezeptoren bei Quetiapin grundsätzlich eher niedrig ist und dass die gleichzeitige Belegung der 5HT2-Rezeptoren einen zusätzlichen Schutz gegen Nebenwirkungen im extrapyramidalmotorischen System gewährleistet. Dies bot aber keine hinreichende Gewissheit dafür, dass solche Nebenwirkungen auch dann ausbleiben, wenn die Verabreichungshäufigkeit auf einmal pro Tag gesenkt und hierzu die Tagesdosis signifikant erhöht wird.

62

(3) Aus dem Umstand, dass sich die allgemein bestehenden Vorbehalte gegenüber stark schwankenden Plasmaspiegeln bei einzelnen Wirkstoffen als unbegründet erwiesen haben, ließ sich im Prioritätszeitpunkt mangels einschlägiger Erkenntnisse nicht ableiten, dass dies auch bei Quetiapin der Fall sein werde. Aus der von der Berufung herangezogenen Passage aus dem Lehrbuch von Remington (The Science and Practice of Pharmacy, 19. Auflage 1995, S. 893, HE13), laut der Omeprazol trotz geringer Halbwertszeit einen therapeutischen Effekt hervorruft, der zweiundsiebzig Stunden anhält, ergaben sich deshalb keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob ein ähnlicher Effekt auch bei Quetiapin eintreten könnte, zumal die lange Wirkungsdauer von Omeprazol in HE13 für einen Wirkstoff mit geringer Halbwertszeit als unerwartet bezeichnet wird.

63

cc) Angesichts all dessen lagen im Prioritätszeitpunkt gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Erhöhung der Dosis nicht ausreichen würde, um eine Verringerung der Verabreichungshäufigkeit auf einmal pro Tag zu ermöglichen. Dies gab dem Fachmann Anlass, gängige Alternativen in den Blick zu nehmen. Dazu gehörte eine Retard-Formulierung, die zu einer verzögerten Freisetzung und damit zu geringeren Schwankungen des Plasmaspiegels führt.

64

dd) Die von der Berufung geltend gemachten Bedenken, dass die erforderliche Dosis bei Quetiapin zu hoch sein könnte, um eine solche Formulierung herstellen zu können, wiegen im Hinblick auf die in NiK9 und NiK45 als ausreichend bezeichnete Dosierung von 450 mg pro Tag jedenfalls nicht hinreichend schwer, um von einem Beschreiten des nahegelegten Wegs abzusehen.

65

e) Aus den von der Berufung angeführten Dosierungsangaben in der Patentanmeldung für Quetiapin (EP 0 240 228 A1, NiK3, S. 4 Z. 42-43) ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Angaben (1,0 mg bis 40 mg pro Tag und Kilogramm Körpergewicht) hinsichtlich der Obergrenze einen Druckfehler enthalten, weil die ebenfalls angegebenen Beispielswerte für ein Körpergewicht von 50 kg (50 mg bis 200 mg) pro Tag auf eine Obergrenze von 4,0 mg hindeuten. Jedenfalls ergab sich für den Fachmann aus nachfolgenden Veröffentlichungen wie NiK9 und NiK45 die begründete Erwartung, dass eine derart hohe Dosierung nicht erforderlich ist.

66

e) Die Ausführungen des Patentgerichts, dass der Einsatz eines Geliermittels sowie die nach den Hilfsanträgen zusätzlich vorgesehenen Maßnahmen durch den Stand der Technik nahegelegt waren, greift die Berufung nicht an. Rechtsfehler oder konkrete Umstände, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Patentgericht getroffenen Feststellungen begründen könnten, sind insoweit nicht ersichtlich.

67

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 ZPO.

Meier-Beck                       Gröning                              Bacher

                    Deichfuß                       Kober-Dehm

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 5 / 1 3 Verkündet am:
29. Juli 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Juli 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter
Dr. Bacher, Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin ist Inhaberin des am 20. Juli 2000 angemeldeten, mit Wirkung für
1
die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 198 293 (Klagepatents ). Es betrifft eine Mikrotiterplatte und umfasst 22 Ansprüche. Anspruch 14 ist auf den nebengeordneten Anspruch 13, alle weiteren Ansprüche sind unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen.
2
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in der Verfahrenssprache: "A thin-well microplate comprising: a skirt and frame portion (11), constructed of a first material, having a top planar surface (15) and a bottom (16), having a plurality of holes (13) arranged in a first array pattern extending through the top planar surface, and skirt walls (17a-d) of equal depth extending from the top planar surface to the bottom; a well and deck portion (12), constructed of a second material, joined with the top planar surface (15) of the skirt and frame portion to form a unitary plate; a plurality of sample wells (14) integral with the well and deck portion (12) arranged in the first array pattern such that the plurality of sample wells extended downwardly through the plurality of holes (13) in the top planar surface of the skirt and frame portion." Die Beklagte stellt her und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Mikro3 titerplatten unter der Bezeichnung " ". Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung des Klagepatents und nimmt die Be4 klagte auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Entfernung aus den Vertriebswegen und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch. Sie hat ihre Klage anfänglich auf Patentansprüche 1 und 13 gestützt. Noch während des ersten Rechtszugs hat sie die Klage zurückgenommen, soweit sie auf Patentanspruch 13 gestützt war. Die Beklagte hat Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent erhoben. Soweit die
5
Beklagte das Klagepatent im Umfang von Patentanspruch 1 und der auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 2, 3, 7, 8, 11, 12, 15 und 19 bis 22 angegriffen hat, hat das Patentgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg ge6 blieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klagabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:


7
Die zulässige Revision ist unbegründet.
8
I. Das Klagepatent betrifft eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen Näpfen (a thin-well microplate). Für biologische, chemische oder medizinische Forschungen, bei denen eine
9
Vielzahl von meist wässrigen Proben verwendet wird, kommen Platten zum Einsatz, die eine Vielzahl von Näpfen (wells) aufweisen, die die Proben aufnehmen. Dienen die Näpfe, die verschieden geformt sein können, der Aufnahme kleiner Volumina, spricht man von Mikrotiterplatten (microplates, Abs. 2). Eine der Forschungstechniken , für die Mikrotiterplatten zum Einsatz kommen, ist die Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction = PCR). Dabei handelt es sich um eine Methode zur Vervielfältigung von DNA, bei der die Proben mehrfach bis auf nahezu 100°C erhitzt und abgekühlt werden müssen. Dieses mehrfache Erhitzen und Abkühlen wird in der Klagepatentschrift als thermozyklisch bzw. thermozyklische Prozedur (thermal cyc- ling procedure) bezeichnet (Abs. 4 und 18). Die Verwendung dünnwandiger Näpfe gewährleistet eine gute thermische Leitung. Eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen Näpfen wird in der Klagepatentschrift als thin-well microplate bezeichnet (Abs. 7, Abs. 12). Die Klagepatentschrift erläutert, dass im Hinblick auf die Automatisierung solcher Methoden durch den Einsatz von Robotern das Bedürfnis besteht, geeignete Mikrotiterplatten bereitzustellen (Abs. 5). Soll sich eine Mikrotiterplatte für den Einsatz von Robotern und zugleich für die PCR eignen, muss sie danach einerseits die Eigenschaften aufweisen, die den Einsatz eines Roboters erleichtern, insbesondere hinreichend fest und stabil sein, andererseits müssen die Näpfe so gestaltet sein, dass sie eine gute thermische Leitung, aber auch Stabilität hinsichtlich ihrer Form und Größe bieten (Abs. 8 f.). Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind - so die Klagepatentschrift - tendenziell widersprüchlich und werden von den bekannten Mikrotiterplatten mit dünnwandigen Näpfen nicht sämtlich erfüllt (Abs. 9). Die Klagepatentschrift beschreibt verschiedene, bereits bekannte Versuche, Mikrotiterplatten bereitzustellen, die gute thermische Eigenschaften der Näpfe aufweisen und zugleich für den Einsatz von Robotern geeignet sind. Eine im Stand der Technik bekannte Möglichkeit bestehe darin, einen Einsatz (tray) aus einem ersten Material zu verwenden , der eine Vielzahl von Öffnungen aufweise, in die gesondert gefertigte Anordnungen von dünnwandigen Näpfen aus einem zweiten Material lose eingesetzt werden (Abs. 16). Als nachteilig sieht die Klagepatentschrift hierbei zum einen an, dass die Teile zusammengefügt werden müssen, was angesichts der Automatisierung der Arbeitsschritte und des hohen Durchsatzes unerwünscht sei. Zum anderen kritisiert sie, dass eine nur lose Verbindung der Komponenten den Einsatz hochpräziser Roboter und automatischer Dispenser erschwere (Abs. 16). Das technische Problem besteht darin, eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen
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Näpfen bereitzustellen, die auch bei thermozyklischen Abläufen für eine Handhabung durch hochpräzise Roboter in automatisierten Abläufen geeignet ist. Erfindungsgemäß soll das durch eine Mikrotiterplatte mit den Merkmalen des
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Patentanspruchs 1 erreicht werden, die sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Gliederung des Berufungsgerichts in eckigen Klammern): Eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen Näpfen, umfassend [1] 1. einen Rand- und Rahmenteil (11) aus einem ersten Material [2, 2a] 1.1 mit einer ebenen Oberseite (15), [2b] 1.2 wobei die ebene Oberseite eine Vielzahl von Löchern (13) aufweist, [2d] die 1.2.1 in einem ersten Muster angeordnet sind und [2e] 1.2.2 sich durch die ebene Oberseite erstrecken; [2f] 1.3 mit einem Boden (16); [2c] 1.4 mit Wänden des Rands, [2g teilweise] die 1.4.1 eine gleiche Tiefe aufweisen [2g teilweise] und 1.4.2 sich von der ebenen Oberseite zum Boden erstrecken; [2h] 2. einen Mulden- und Abdeckteil (12) aus einem zweiten Material, [3, 3a] 2.1 der mit der ebenen Oberseite (15) des Rand- und Rahmenteils verbunden ist, um eine einheitliche Platte zu bilden; [3b, 3c] 3. eine Vielzahl von Proben-Näpfen (14); [4] 3.1 die Näpfe sind einstückig mit dem Mulden- und Abdeckteil (12) verbunden; [4a] 3.2 die Näpfe sind in dem ersten Muster angeordnet, [4b teilweise] 3.3 so dass sie sich nach unten durch die Vielzahl der Löcher in der ebenen Oberseite des Rand- und Rahmenteils erstrecken. [4b teilweise]. II. Die Auslegung des Patentanspruchs durch das Berufungsgericht hält
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der rechtlichen Nachprüfung stand. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Durchschnittsfachmann ver13 stehe den Terminus "verbunden" (joined) in Merkmal 2.1 im geläufigen Sinne der Verbindungstechnik, also dahin, dass er die form-, stoff- oder kraftschlüssige Zusammensetzung von Gebilden umfasse. Aus der patentgemäßen Aufgabe, eine für den Einsatz in automatisierten thermozyklischen Prozessen geeignete Muldenplatte bereitzustellen, folge, dass deren Bestandteile zwar aus zwei unterschiedlichen Materialien bestünden, aber gleichwohl als einheitliche Platte (unitary plate) gestaltet seien. Das Klagepatent grenze sich damit von im Stand der Technik bekannten Ausführungsformen ab, bei denen die Probenmulden lediglich lose eingelegt würden. Die Patentschrift befasse sich an keiner Stelle explizit mit der Frage, von welcher Art die in Patentanspruch 1 geforderte Verbindung zwischen Mulden- und Abdeckteil und der ebenen Oberfläche des Rand- und Rahmenteils sein müsse. Aus der Fassung von Unteranspruch 5, der davon spreche, dass Rand- und Rahmenteil und Muldenund Abdeckteil dauerhaft zu einer einheitlichen Platte verbunden seien (permanently joined to form the unitary plate), und Unteranspruch 6, wonach die Platte einstückig gebildet sei (is integrally formed), ergebe sich nicht, dass Patentanspruch 1 einschränkend dahin ausgelegt werden müsse, er erfasse nur eine dauerhafte Verbindung oder einstückige Beschaffenheit. Die von der Beklagten angeführten Passagen der Beschreibung, die sich mit der Schaffung einer permanenten oder einstückigen Verbindung befassten, ließen einen solchen Schluss gleichfalls nicht zu. Merkmal 2 enthalte zudem keine Aussage über den genauen Ort, an dem die Verbindungsmittel einzusetzen seien. Dem Anspruch könne auch unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Figuren nicht entnommen werden, dass es sich um eine dauerhafte Verbindung des Mulden- und Abdeckteils mit der ebenen Oberfläche des Rand- und Rahmenteils handeln müsse. Damit sei der gesamte, mit Löchern durchbrochene ebene Deckenbereich gemeint. Zwar habe das Bundespatentgericht ausgeführt, mit einer einheitlichen (unitary) Mikrotiterplatte sei eine Platte bezeichnet, bei der Randund Rahmenteil und Mulden- und Abdeckteil dauerhaft verbunden seien, worunter ein nachträgliches Zusammenfügen beispielsweise durch Ultraschall oder thermisches Verschweißen zu verstehen sei. Diesem Verständnis von Patentanspruch 1 durch das Bundespatentgericht könne jedoch nicht beigetreten werden. Der vom Bundespatentgericht hierfür herangezogene Absatz 21 der Patentschrift diene der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels. Entnehme man dieser Passage eine Festlegung des Schutzumfangs auf eine permanente Verbindung, stellte dies eine unzulässige Einschränkung des Patentanspruchs 1 nach Maßgabe der Beschreibung dar, der eine solche Begrenzung nicht enthalte. Gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung von Patentanspruch 1 sprächen auch systematische Gründe, denn danach wären Patentansprüche 5 und 6 überflüssig. Schließlich erkenne der Fachmann , dass es im Hinblick auf eine Verwendung der Mikrotiterplatte im Rahmen automatisierter Verfahren unter Einschluss thermischer Durchlaufverfahren genüge, wenn die genannten Teile lösbar miteinander verbunden seien, solange diese Verbindung hinreichend stabil sei. 2. Die Revision meint demgegenüber, das Berufungsgericht habe die Be14 schreibung des Klagepatents und die Bedeutung der abhängigen Patentansprüche bei der Auslegung von Merkmal 2 nicht hinreichend berücksichtigt. Schon das natürliche Verständnis des Begriffs "einheitliche Platte" lege nahe, dass die diese Platte bildenden Elemente untrennbar miteinander verbunden seien. Dieses Verständnis werde durch die Beschreibung bestätigt, da die dort genannten Beispiele allesamt eine dauerhafte Verbindung der Bestandteile aufwiesen, bei der die beiden Kompo- nenten entweder von vornherein einstückig ausgebildet oder aber zur Herstellung einer einheitlichen Platte untrennbar miteinander verbunden seien. Zudem würden bei der Darstellung des Standes der Technik Platten, bei denen die Probemulden nur lose in den Rahmen eingesetzt werden, als nachteilig beschrieben. Wollte man der Auslegung des Berufungsgerichts folgen, die mit derjenigen des Patentgerichts nicht in Einklang stehe, und eine lösbare Verbindung ebenfalls als patentgemäß ansehen, wäre der Gegenstand des Klagepatents durch die aus dem Katalog "Nunc™ Products" (Anlage B4) ersichtliche, im Stand der Technik bereits bekannte Mikrotiterplatte neuheitsschädlich vorweggenommen. Das Berufungsgericht habe ferner nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Verbindung gerade über die obere plane Oberfläche des Rand- und Rahmenteils erfolgen müsse, es sich also um eine flächige Verbindung handeln müsse. Eine stabile flächige Verbindung erfordere aber, dass diese untrennbar sei. Die Beschränkung auf eine flächige und untrennbare Verbindung von Rand- und Rahmenteil und Mulden- und Abdeckteil sei danach bereits integraler Bestandteil von Patentanspruch 1; in den Patentansprüchen 5 und 6 werde sie lediglich aufgegriffen.
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3. Damit kann die Revision nicht durchdringen. Das Berufungsgericht hat zutreffend zugrunde gelegt, dass Patentanspruch 1
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keine ausdrückliche Angabe dazu enthält, auf welche Weise Rand- und Rahmenteil und Mulden- und Abdeckteil zu einer einheitlichen Platte verbunden werden ("joined … to form a unitary plate").Dies legt es für den angesprochenen Fachmann, einen mit der Entwicklung von Mikrotiterplatten betrauten Diplomingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik, der bei Bedarf auf das Fachwissen eines Chemikers oder Biologen zurückgreifen kann, nahe, dass auch eine formschlüssige Verbindung genügen kann. Aus der zur Auslegung heranzuziehenden Beschreibung und aus den Figuren ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein engeres Verständnis. Der technische Sinn der von Merkmal 2 geforderten Verbindung der genann17 ten Teile zu einer einheitlichen Platte liegt aus fachlicher Sicht darin, eine sichere Handhabung auch dann zu gewährleisten, wenn eine solche Platte in automatischen Prozessen mit hochpräzisen Robotern verwendet werden soll. So kritisiert die Be- schreibung bei der Darstellung des Standes der Technik Platten, bei denen in Streifen angeordnete Probennäpfe nur lose in einen Träger eingesetzt werden, weil die lose Verbindung einem Einsatz von hochpräzisen Robotern und automatisch arbeitenden Dispensern entgegenstehe (Abs. 16). Dies legt für den Fachmann ein Verständnis der geforderten Verbindung nahe, wonach es genügt, wenn die Probennäpfe nicht lose, sondern hinreichend fest, wenn auch lösbar in den Rand- und Rahmenteil eingesetzt sind, also in einer Weise, dass jede praktisch bedeutsame relative Bewegung der beiden Komponenten zueinander ausgeschlossen ist. Für diese Auslegung spricht auch der Zusammenhang von Patentanspruch 1
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als Hauptanspruch mit den Unteransprüchen 5 und 6. Dabei ist zugrunde zu legen, dass der Hauptanspruch regelmäßig so gefasst ist, dass er die beanspruchte Erfindung in ihrer allgemeinsten Form erfasst, während die Unteransprüche besondere Ausführungsformen dieser allgemeinen Lehre beschreiben, die weitere Merkmale aufweisen. Dieses Verhältnis von Hauptanspruch und Unteranspruch ist bei der Bestimmung des Schutzbereichs zu berücksichtigen. Es ist grundsätzlich unzulässig, den Hauptanspruch im Wege der Auslegung um Merkmale zu ergänzen, die nur in einem Unteranspruch enthalten sind, und ihn dadurch einzuschränken (BGH, Urteil vom 7. Januar 1955 - I ZR 67/52, GRUR 1955, 244, 245 - Repassiernadel II). Danach kann aus Unteranspruch 5, der fordert, dass Rand- und Rahmenteil und Mulden - und Abdeckteil dauerhaft zu einer einheitlichen Platte verbunden sind ("perma- nently joined to form the unitary plate") nicht der Schluss gezogen werden, auch Pa- tentanspruch 1 fordere eine dauerhafte, also nicht zerstörungsfrei lösbare Verbindung. Entsprechendes gilt für Unteranspruch 6, wonach die ebene Oberfläche des Rand- und Rahmenteils und der Mulden- und Abdeckteil integral bzw. einstückig ausgebildet ("integrally formed") sind. Im Unterschied hierzu enthält Patentanspruch 1 keine weiteren Angaben dazu, wie die Komponenten der Mikrotiterplatte miteinander verbunden sind. Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass der
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Mulden- und Abdeckteil nach Merkmal 2.1 mit der ebenen Oberseite des Rand- und Rahmenteils verbunden sein muss. Patentanspruch 1 lässt sich, anders als die Revision meint, nicht entnehmen, dass mit den Worten "top planar surface" allein die nach oben weisende, plane Oberfläche des Rand- und Rahmenteils bezeichnet ist. Nach dem Zusammenhang der Patentschrift ist damit vielmehr die ebene Oberseite des Rand- und Rahmenteils insgesamt, d.h. in ihrer gesamten Stärke gemeint. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass sich die Löcher, in denen die Probennäpfe angeordnet sind, durch die ebene Oberseite des Rand- und Rahmenteils erstrecken (extending through the top planar surface). Patentanspruch 1 besagt mithin nur, dass die ebene Oberseite des Rand- und Rahmenteils und der Mulden- und Abdeckteil miteinander verbunden sein müssen. Ihm lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass dies durch eine nicht zerstörungsfrei lösbare Verbindung der nach unten weisenden Oberfläche des Mulden- und Abdeckteils und der nach oben weisenden Oberfläche des Rand- und Rahmenteils geschehen müsse. Auch der Umstand, dass die Ausführungsbeispiele, die im Klagepatent be20 schrieben werden, jeweils eine dauerhafte Verbindung von Rand- und Rahmenteil und Mulden- und Abdeckteil vorsehen, rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Senats eine sachliche Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs 1 festgelegten Gegenstand nicht (BGH, Urteil vom 7. September 2004 - X ZR 255/01, BGHZ 160, 204, 209 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Dies hat das Bundespatentgericht nicht hinreichend berücksichtigt. Dessen abweichende Auslegung von Patentanspruch 1 im Nichtigkeitsverfahren ist für den Senat nicht bindend, weil die Nichtigkeitsklage, soweit der Gegenstand des Klagepatents im Umfang von Patentanspruch 1 und auf ihn rückbezogener Ansprüche angegriffen wurde, abgewiesen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1998 - X ZR 57/96, GRUR 1998, 895, 896 - Regenbecken). Der Hinweis der Revision auf den Katalog "Nunc™ Products" ist unerheblich,
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weil es sich dabei um Stand der Technik handelt, der in der Patentschrift nicht mitgeteilt ist und daher nicht zur Ermittlung der Bedeutung der im Patentanspruch gebrauchten Begriffe herangezogen werden darf (Benkard/Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 Rn. 61). III. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht die Benutzung des Kla22 gepatents durch die angegriffene Ausführungsform, bei der der Mulden- und Abdeck- teil mittels zehn Rastnasen, die in entsprechende Ausnehmungen des Rand- und Rahmenteils einrasten, und mittels zweier Zapfen im mittleren Bereich des Muldenund Abdeckteils, die in die ebene Oberseite des Rand- und Rahmenteils eingreifen, mit diesem fest, aber zerstörungsfrei lösbar verbunden wird, rechtsfehlerfrei bejaht. Den Feststellungen des Berufungsgerichts, das insoweit ergänzend auf die Feststellungen des Landgerichts verweist, lässt sich entnehmen, dass die Verbindung der Komponenten bei der angegriffenen Ausführungsform gewährleistet, dass eine praktisch erhebliche relative Bewegung zueinander nicht stattfindet.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Bacher Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 24.01.2011 - 327 O 306/10 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 20.12.2012 - 3 U 20/11 -
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II. In der Sache bleibt die Anschlussberufung ohne Erfolg. Die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einem Kläger den Zutritt zum Nichtigkeitsverfahren aus in seiner Person liegenden Gründen zu versagen, von vornherein enge Grenzen. Zulässig ist eine solche Klage jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Klägers aus einem von ihm mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patent besteht. Diese Möglichkeit hat das Patentgericht bejaht. Es hat nicht auszuschließen vermocht , dass der Kläger im Hinblick auf seine leitende Funktion bei S. oder bei anderen auf dem Gebiet der Metallziehmaschinen tätigen Unternehmen Ansprüchen, die im Zusammenhang mit künftigen gewerblichen Betätigungen stehen, ausgesetzt sein könnte. Dies würde selbst dann gelten, wenn die Beklagte - wozu sie nach Angaben ihres Vertreters in der mündlichen Ver- handlung vor dem Patentgericht unter Umständen bereit sein soll - auf eine Inanspruchnahme des Klägers förmlich verzichten sollte. Ein solcher Verzicht könnte nämlich zumindest dessen Inanspruchnahme durch einen etwaigen künftigen Erwerber des Streitpatents nicht ohne weiteres verhindern.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.