Bundesgerichtshof Urteil, 08. Juni 2010 - X ZR 71/08

bei uns veröffentlicht am08.06.2010
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 33/06, 03.04.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 71/08 Verkündet am:
8. Juni 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning,
Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Berufungen der Parteien wird das am 3. April 2008 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das deutsche Patent 198 34 925 wird im Umfang der Ansprüche 13 bis 22 für nichtig erklärt.
Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die weitergehenden Berufungen der Parteien zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin ein Drittel und die Beklagte zwei Drittel.
Von Rechts wegen

Tatbestand:



1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 4. August 1998 angemeldeten deutschen Patents 198 34 925 (Streitpatents). Es hat nach seinem Titel ein Verfahren zur Herstellung einer biologischen Substanz aus Kernen oder Nüssen sowie eine derartige Substanz und deren Verwendung zum Gegenstand und umfasst in seiner erteilten Fassung 22 Patentansprüche.
2
Die Patentansprüche 1 und 13 lauten: "1. Verfahren zur Herstellung einer Substanz, wobei eine rührbare, erste Substanz aus der Zerkleinerung von Kernen oder Nüssen unter Zugabe einer ersten Flüssigkeit im Gewichtsverhältnis 100:50 bis 1000 hergestellt wird, dieser rührbaren, ersten Substanz Öl oder flüssiggemachtes Fett im Gewichtsverhältnis 100:20 bis 300 hinzugegeben wird und somit eine zweite Substanz gewonnen wird, welche in dem Maße gesäuert wird, dass dadurch eine festere Konsistenz erhalten wird. 13. Substanz, welche durch ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche herstellbar ist."
3
Wegen der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
4
Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen wird und deren Einspruch gegen die Patenterteilung vom Deutschen Patent- und Markenamt mit Beschluss vom 8. Oktober 2003 zurückgewiesen worden ist, hat mit ihrer Nichtigkeitsklage die Nichtigkeitsgründe fehlender Offenbarung und Ausführbarkeit der Erfindung und die mangelnde Pa- tentfähigkeit des Streitpatents wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit geltend gemacht. Sie hat sich hierzu insbesondere auf die Veröffentlichungen von Diamond, Goldmann Ratgeber "Fit fürs Leben, Fit for Life", Band 2, 3. Aufl. 1989, S. 534 bis 537, 594, 595, 560 bis 565 (Anlage E2) und Hofmann /Lydtin, Bayerisches Kochbuch, 51. Aufl., 1984, S. 314-317, 671 (Anlage E21), auf Kalenderblätter aus dem Kalender für die Vollwertküche, LichtwaldVerlag , 1991 (Anlage E3) sowie auf die veröffentlichte Druckschrift SU 1741726 A1 (Anlage E12 - Übersetzung E19) gestützt. Wegen der weiteren erstinstanzlich in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
5
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise mit sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt, nämlich soweit es über die hilfsweise verteidigte eingeschränkte Fassung gemäß Hilfsantrag 1 hinausgeht, die insgesamt 15 Patentansprüche enthält.
6
Patentansprüche 1 und 13 haben danach folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen): "1. Verfahren zur Herstellung einer Substanz, wobei eine rührbare, erste Substanz aus der Zerkleinerung von Kernen oder Nüssen unter Zugabe einer ersten Flüssigkeit im Gewichtsverhältnis 100:50 bis 1000 hergestellt wird, dieser rührbaren, ersten Substanz Öl oder flüssiggemachtes Fett im Gewichtsverhältnis 100:20 bis 120 hinzugegeben wird und somit eine zweite Substanz gewonnen wird, welche in dem Maße gesäuert wird, dass dadurch eine festere, nämlich pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse erhalten wird. 13. Substanz, welche durch ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche herstellbar ist, mit folgenden Zutaten: - zerkleinerte Kerne oder Nüsse, - eine erste Flüssigkeit, - Öl oder Fett, - ein Säuerungsmittel, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Kerne oder Nüsse zu der ersten Flüssigkeit 100:50 bis 1000 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Kerne oder Nüsse und der ersten Flüssigkeit zu Öl oder Fett 100:20 bis 120 beträgt und die Substanz eine pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweist."
7
Hiergegen richten sich die Berufungen beider Parteien.
8
Die Klägerin erstrebt die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents, wobei sie sich ergänzend insbesondere auf die deutsche Offenlegungsschrift 39 13 125 (E32) bezieht, und beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
9
Die Beklagte begehrt in erster Linie eine Herstellung des Streitpatents in der erteilten Fassung und stellt ergänzende Anträge. Hilfsweise beantragt sie mit Hilfsantrag 1, das Streitpatent in der vom Patentgericht aufrechterhaltenen Fassung zu bestätigen, und verteidigt es weiter hilfsweise in der Fassung mehrerer Hilfsanträge. In Bezug auf den das Erzeugnis schützenden Patentanspruch 13 entfällt in der Fassung des Hilfsantrags 1A gegenüber Hilfsantrag 1 der letzte Halbsatz, wonach "die Substanz eine pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweist". Nach Hilfsantrag 1B wird dieser letzte Halbsatz ersetzt durch: "und die Substanz eine mittlere Viskosität von 100Pa·s bis 3000Pa·s, bei Messung mit einem Rotationsviskosimeter mit einer T-Spindel mit einem Durchmesser von 8mm bei konstanter Umdrehungsgeschwindigkeit von 0,1 Umdrehungen pro Sekunde aufweist".
10
Hilfsantrag 2 enthält gegenüber Hilfsantrag 1 in Patentanspruch 13 folgende Änderung der Angaben zu den Gewichtsverhältnissen: "wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Kerne oder Nüsse zu der ersten Flüssigkeit 100:(50) 80 bis (1000) 300 beträgt".
11
Nach Hilfsantrag 3, mit dem die Patentansprüche wegen entfallender Unteransprüche neu nummeriert werden, soll die vom Streitpatent erfasste Substanz nunmehr durch Patentanspruch 5 in folgender Fassung geschützt werden (Änderungen gegenüber Patentanspruch 13 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 kursiv): "Essbare Substanz, welche durch ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche herstellbar ist, in Form einer verfestigten Suspensi- on aus folgenden Zutaten: - zerkleinerte Sonnenblumenkerne oder Nüsse, wobei im Wesentlichen keine Körnchen mehr vorhanden sind, - eine wässrige erste Flüssigkeit, - Salz, - Öl oder Fett, - ein Säuerungsmittel, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne zu der wässrigen ersten Flüssigkeit 100:50 bis (1000) 500 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne und der wässrigen ersten Flüssigkeit zu Öl oder Fett 100:20 bis 120 beträgt und wobei die Substanz pasteurisiert ist und eine pastöse Konsistenz, ähn- lich der von Quark oder Frischkäse aufweist und die Festigkeit der Sub- stanz derart eingestellt ist, dass sie zur Verwendung als Wurst-, Quarkoder Frischkäseersatzstoff geeignet ist."
12
Hilfsantrag 4 enthält gegenüber Hilfsantrag 3 folgende Änderungen des Patentanspruchs 5 (Änderungen unterstrichen): "Essbare Substanz, welche durch ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche herstellbar ist, in Form einer verfestigten Suspension aus folgenden Zutaten: - zerkleinerte Sonnenblumenkerne, wobei im Wesentlichen keine Körnchen mehr vorhanden sind, - eine wässrige erste Flüssigkeit, - Salz, - pflanzliches Öl oder Fett, - Citrussaft, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne zu der wässrigen ersten Flüssigkeit 100:50 bis 500 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne und der wässrigen ersten Flüssigkeit zu Öl oder Fett 100:20 bis 120 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis von Citrussaft zu den zerkleinerten Sonnenblumenkernen , der wässrigen ersten Flüssigkeit und dem Öl 2 bis 20:100 beträgt und wobei die Substanz pasteurisiert ist und eine pastöse Konsistenz , ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweist und die Festigkeit der Substanz derart eingestellt ist, dass sie zur Verwendung als Wurst-, Quark- oder Frischkäseersatzstoff geeignet ist."
13
Nach Hilfsantrag 5 soll Patentanspruch 5 gegenüber Hilfsantrag 4 zusätzlich durch folgende Merkmale beschränkt werden (Änderungen unterstrichen): "Essbare Substanz, welche durch ein Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche herstellbar ist, in Form einer verfestigten Suspension aus folgenden Zutaten: - zerkleinerte Sonnenblumenkerne, wobei im Wesentlichen keine Körnchen mehr vorhanden sind, - eine wässrige erste Flüssigkeit, - Salz, - Sonnenblumenöl, - Citrussaft, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne zu der wässrigen ersten Flüssigkeit 100:50 bis 500 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis der zerkleinerten Sonnenblumenkerne und der wässrigen ersten Flüssigkeit zu Sonnenblumenöl 100:20 bis 120 beträgt, wobei das Gewichtsverhältnis von Citrussaft zu den zerkleinerten Sonnenblumenkernen , der wässrigen ersten Flüssigkeit und dem Sonnenblumenöl 2 bis 20:100 beträgt und wobei die Substanz einen pH-Wert von etwa 4,5 aufweist und pasteurisiert ist und eine pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweist und die Festigkeit der Substanz derart eingestellt ist, dass sie zur Verwendung als Wurst-, Quark- oder Frischkäseersatzstoff geeignet ist und eine mittlere Viskosität von 100Pa·s bis 3000Pa·s, bei Messung mit einem Rotationsviskosimeter mit einer T-Spindel mit einem Durchmesser von 8mm bei konstanter Umdrehungsgeschwindigkeit von 0,1 Umdrehungen pro Sekunde aufweist."
14
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. B. S. , Technische Universität B. , Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie, Fachgebietsleiter Lebensmittelrheologie, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat Gutachten von Prof. Dr. habil. Dr. h.c. R. C. , Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie , Universität H. , die Klägerin hat Gutachten von Dr. Dr. T. F. , Labor für mikrobielle, toxikologische und molekularbiologische Diagnostik, H. , vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


15
Die beiderseitigen Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
16
I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Substanz, die insbesondere zur Weiterverarbeitung als Nahrungsmittel und daneben als Körperpflege - oder Reinigungsmittel geeignet sein soll. Es betrifft ferner die Substanz selbst, die durch das Verfahren gewonnen werden kann, sowie die Verwendung dieser Substanz als Nahrungs-, Körperpflege- oder Reinigungsmittel. Die Substanz soll vor allem als Grund- und Ersatzstoff für Nahrungsmittel dienen, bei deren Herstellung bisher Milch- und Milcheiweißprodukte Verwendung fanden (Streitpatentschrift Sp. 3, Z. 39-46, 55-64).
17
Zu dem der Erfindung zugrunde liegenden Problem führt die Streitpatentschrift eingangs aus, dass insbesondere in der Nahrungsmittelherstellung eine Vielzahl unterschiedlicher biologischer und chemischer Stoffe eingesetzt werde. Der Verbraucher könne sich - trotz einer Bezeichnungspflicht für Inhaltsstoffe - nur sehr beschränkt orientieren; dies gelte insbesondere auch für verwendete Konservierungsstoffe und genmanipulierte Stoffe (Streitpatentschrift Sp. 1 Z. 28 ff.). Für zahlreiche Verbraucher, die medikamentfreie und hormonfreie Nahrungsmittel bevorzugten , und darüber hinaus für Allergiker und Vegetarier sei es notwendig, Fremdeiweißprodukte, die durch die Verwendung von Kuhmilch, Kuhmilchprodukten und Hühnereiern in die Nahrungsmittel gelangten, durch eine Substanz zu ersetzen , die aus einer kleinen Anzahl von ursprünglichen und natürlichen Zutaten mit möglichst wenigen industriellen Verarbeitungsschritten gefertigt werde.
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2. Vor diesem Hintergrund will das Streitpatent insbesondere für die Herstellung von Nahrungsmitteln eine daneben auch für Pflege- sowie Reinigungsmittel verwendbare Grundsubstanz bereitstellen, die aus ursprünglichen, natürlichen und nicht mit Genmanipulation in Kontakt gekommenen Stoffen besteht. Sie soll ferner als vegane Substanz eingestuft werden können und ein Nahrungsmittel mit sehr geringer Belastung des menschlichen Organismus liefern.
19
Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung schlägt dazu ein Verfahren zur Herstellung einer Substanz vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen: 1. Es wird eine rührbare, erste Substanz aus der Zerkleinerung von Kernen oder Nüssen hergestellt 1.1 unter Zugabe einer ersten Flüssigkeit, 1.2 wobei das Gewichtsverhältnis von Kernen oder Nüssen zu der ersten Flüssigkeit 100:50 bis 100:1000 beträgt. 2. Dieser rührbaren ersten Substanz wird Öl oder flüssig gemachtes Fett hinzugegeben und somit eine zweite Substanz gewonnen, 2.1 wobei die Zugabe im Gewichtsverhältnis 100:20 bis 100:300 erfolgt. 3. Die zweite Substanz wird gesäuert, 3.1 und zwar in dem Maße, dass dadurch eine festere Konsistenz erhalten wird.
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3. Damit lehrt Patentanspruch 1 ein Herstellungsverfahren in drei Herstellungsschritten. Die das dreistufige Verfahren erläuternde Beschreibung des Streitpatents stellt als seinen Vorzug die einfachen mechanischen Verarbeitungsschritte heraus, die eine hohe Steuer- und Kontrollierbarkeit im Hinblick auf das Endprodukt zulassen sollen (Streitpatentschrift Sp. 2 Z. 22-24). Erfindungsgemäß soll in einem ersten Verfahrensschritt eine erste rührbare - insbesondere breiige Substanz (siehe auch Unteranspruch 11) - aus der feinen Zerkleinerung oder Nassvermahlung von Kernen oder Nüssen unter Zugabe einer Flüssigkeit gewonnen werden (Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 7-11, 28-32). Diese so hergestellte erste Substanz wird sodann unter Zugabe von Öl oder flüssig gemachtem Fett dadurch zu einer im Wesentlichen flüssigen bzw. in den meisten Fällen dickflüssigen zweiten Substanz verarbeitet , dass die erste Substanz mit dem Öl oder flüssig gemachten Fett verkuttert (vermengt) wird (Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 11-13 u. 33-36). Im darauf folgenden dritten Verfahrensschritt wird der zweiten Substanz eine saure Flüssigkeit hinzugefügt , über deren Menge die Konsistenz der schließlich erzeugten Substanz bestimmbar ist (Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 14-17, siehe auch Unteranspruch 3), also eingestellt werden kann. Die Streitpatentschrift schlägt in diesem Zusammenhang Gewichtsverhältnisse von saurer Flüssigkeit zur flüssigen zweiten Substanz in einer Bandbreite von 2:100 bis 20:100 vor (Streitpatentschrift Sp. 3 Z. 6-9; siehe auch Unteranspruch 10). Ferner wird dort der in Merkmal 3.1 des Patentanspruchs 1 verwendete Begriff der "Konsistenz" als Viskosität einer flüssigen bis breiigen Masse oder Festigkeit einer zähen bis festen körperlichen Masse beschrieben (Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 17-20).
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Nach Merkmal 3.1 führt erst die Mischung der zweiten Substanz mit dem Säuerungsmittel im dritten Verfahrensschritt zu einem erfindungsgemäßen Zustand des Verfahrensprodukts (Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 65-67). Bei der Einmischung der sauren Flüssigkeit findet eine Reaktion statt, welche die Viskosität der zweiten Substanz verändert und zu einer festeren Substanz führt (Streitpatentschrift Sp. 3, Z. 11-13). Die Streitpatentschrift streicht die entscheidende Bedeutung dieses Verfahrensschritts für die hierdurch einzustellende Konsistenz des Endprodukts, die in Unteranspruch 3 wiederholt wird und die als der wesentliche erfinderische Gedanke zu werten ist, mit dem Hinweis heraus, dass "diese Reaktion erstaunlicherweise schon bei tropfenweiser Zugabe saurer Flüssigkeit ein(tritt)" (Sp. 3, Z. 14 f.). Das Stadium der noch gießbaren zweiten Substanz kann der Patentbeschreibung zufolge wie etwa bei der dort als einziges Beispiel erläuterten speziellen und bevorzugten Ausführungsform (Sp. 3, Z. 23 ff.) mit zunehmender Zugabe der sauren Flüssigkeit in einen pastösen, noch nicht festen Zustand des Endprodukts übergehen mit einer Konsistenz ähnlich der von Quark oder Frischkäse (Streitpatentschrift Sp. 3, Z. 18-21 u. 35-37).
22
Eine Beschränkung auf eine derartig konkretisierte Festigkeit des Endprodukts ergibt sich allerdings aus Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht, da er zum Zustand des schließlich hergestellten Erzeugnisses mit Merkmal 3.1 lediglich die Aussage enthält, dass mit der Säuerung eine gegenüber dem im zweiten Verfahrensschritt gewonnenen Zwischenprodukt "festere" Konsistenz erreicht werden kann. Die Beschaffenheit dieser in Bezug genommenen zweiten Substanz charakterisiert die Streitpatentschrift als "flüssig" (Sp. 3, Z. 8, siehe auch Unteranspruch 10), als "im Wesentlichen flüssig" (Sp. 2, Z. 13) und als "in den meisten Fällen dickflüssig" (Sp. 2, Z. 35), zu denen auch der Fall des Ausführungsbeispiels zählt (Sp. 3, Z. 33). Nach dieser Breite des möglichen Verflüssigungsgrades der zweiten Substanz ergibt sich für den Zustand des Endprodukts entsprechend dem vorgenannten weiten Verständnis der Streitpatentschrift vom Begriff der Konsistenz und auch angesichts der genannten Breite möglicher Mengenverhältnisse von zweiter Substanz und Säuerungsmittel ebenfalls nur eine Bandbreite von Eigen- schaften, die von zähflüssig bis fest reicht. Patentanspruch 1 lässt sich mithin entgegen der Ansicht des Patentgerichts, das im Zusammenhang mit der Auslegung des Patentanspruchs 13 die Auffassung vertreten hat, bei dem Endprodukt handele es sich um eine Substanz mit einer gegenüber einer rührbaren Mischung festeren Konsistenz, auch keine einschränkende Aussage über eine Rührbarkeit des Endprodukts entnehmen. Denn zum einen wird im Streitpatent mit dieser Eigenschaft der Zustand der im ersten Verfahrensschritt erzeugten Substanz gekennzeichnet; zum anderen bedeutet der Komparativ "fester" nach der in der Streitpatentschrift erläuterten weiten Verwendung des Begriffs "Konsistenz" bezogen auf eine (zäh-)flüssige Substanz zunächst lediglich einen höheren Grad an Viskosität und nicht unbedingt schon einen Wechsel in die Kategorie der Festigkeit einer zähen bis festen körperlichen Masse, wie sie mit der vom Patentgericht offenbar angenommenen Eigenschaft mangelnder Rührbarkeit beschrieben ist.
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4. Mit Patentanspruch 13 des Streitpatents ist der Beklagten ein Sach (Erzeugnis-)Anspruch über ein Produkt erteilt worden, das allein durch sein Herstellungsverfahren nach den Verfahrensansprüchen 1 bis 12 beschrieben wird. Diese Formulierung des Patentanspruchs 13 als sog. Product-by-Process-Anspruch dient, wie das Patentgericht zutreffend erkannt hat und von den Parteien nicht in Abrede gestellt worden ist, allein der Kennzeichnung des patentgemäßen Erzeugnisses und bringt keine Beschränkung auf Erzeugnisse zum Ausdruck, die tatsächlich mittels des Verfahrens hergestellt worden sind (vgl. Senat, BGHZ 122, 144, 155 - Tetraploide Kamille; Benkard/Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 Rdn. 46). Auch unter Berücksichtigung der Beschreibung des Streitpatents liegen hier besondere Hinweise für eine Beschränkung des Schutzbereichs für das Erzeugnis auf den zu seiner Kennzeichnung herangezogenen Verfahrensweg nicht vor.
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Zu den Sachmerkmalen eines Product-by-Process-Anspruchs gehören die körperlichen oder funktionellen Eigenschaften des Erzeugnisses, die sich aus der Anwendung des Verfahrens bei seiner Herstellung ergeben. Die Merkmale sind durch Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Patentbeschreibung zu ermitteln (vgl. Sen.Urt. v. 19.06.2001 - X ZR 159/98, GRUR 2001, 1129, 1133 - zipfelfreies Stahlband; Meier-Beck, FS König, 2003, S. 323, 331). Als Grundlage der objektiven Patentauslegung ist dabei maßgebend, wie die Angaben zum Herstellungsweg aus fachlicher Sicht zu verstehen sind und welche Schlussfolgerungen der angesprochene Fachmann hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit der auf diesem Wege herstellbaren Sache zieht.
25
Als maßgeblichen Fachmann, der sich zum Zeitpunkt der Patentanmeldung mit der Entwicklung neuer Lebensmittel befasst hat, sieht der Senat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen die Parteien nicht entgegengetreten sind, neben einem Lebensmitteltechnologen oder Oekotrophologen mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss auch jeden Mitarbeiter in Produktentwicklungsabteilungen von Lebensmittelbetrieben oder auch einen Koch an.
26
Aus der Sicht eines solchen Fachmanns haben sich aus den Angaben, die der Patentanspruch 1 zum Herstellungsweg enthält, die vorgenannten hierzu dem Streitpatent unmittelbar zu entnehmenden körperlichen Eigenschaften des herzustellenden Erzeugnisses ergeben, so dass dahingestellt bleiben kann, ob grundsätzliche rechtliche Bedenken bestehen, mittels Product-by-Process-Anspruchs über ein Zwischenerzeugnis des Verfahrens nur eine relative Festlegung des Endprodukts vorzunehmen. Danach handelt es sich bei dem Gegenstand nach Patentanspruch 13 in der erteilten Fassung um eine Substanz (Emulsion), die • aus einer Mischung zerkleinerter Kerne oder Nüsse mit einer Flüssigkeit im Gewichtsverhältnis von 100:50 bis 100:1000 besteht und • Öl oder Fett enthält, welches dieser Mischung im Gewichtsverhältnis von 100:20 bis 100:300 zugefügt ist, und als weitere Zutat • ein Säuerungsmittel aufweist, • wobei die Substanz eine zähflüssige bis feste Konsistenz hat.
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Die Beklagte hat demgegenüber mit ihrer Berufung geltend gemacht, dass bei dem erteilten Product-by-Process-Anspruch auch andere Eigenschaften als diese Konsistenz oder Festigkeit maßgeblich seien. So trete bei der Herstellung der Substanz nach Patentanspruch 1 eine solche Verfestigung ein, dass das Erzeugnis eine pastöse, quark- oder frischkäseähnliche Substanz aufweise. Die Beklagte hat hierfür auf das Ausführungsbeispiel des Streitpatents Bezug genommen, dessen experimentelle Nacharbeitung beschrieben und vorgetragen, dass sich dabei neben der Eigenschaft einer pastösen Konsistenz des Erzeugnisses eine Reihe weiterer Eigenschaften ergäben.
28
Diese Argumentation der Beklagten geht jedoch fehl, da sie bei der Beschreibung des Erzeugnisses, das nach dem patentgemäßen Herstellungsverfahren mit dem beim Ausführungsbeispiel auf der jeweiligen Verfahrensstufe bevorzugt zu wählenden Mengenverhältnis zu gewinnen ist, den breiten Umfang der von Patentanspruch 1 erfassten weiteren Herstellungsmöglichkeiten außer Acht lässt. Wie bereits vorstehend dargelegt geht das Streitpatent insbesondere hinsichtlich der Konsistenz des Endprodukts von einer Bandbreite eines über die Menge des Säuerungsmittels einstellbaren Viskositäts- bzw. Festigkeitsgrades aus. Die Beklagte hat insoweit auch selbst dargelegt, dass die erhebliche Reduzierung des Höchstgrenzwertes der Ölmenge durch Hilfsantrag 1 bzw. die Reduzierung der Grenzwerte der Gewichtsanteile an Wasser durch Hilfsantrag 2 im Zusammenhang mit der Realisierbarkeit eines pastösen Zustands bzw. im Zusammenhang einer Optimierung des Funktionierens der Erfindung steht. Zudem zeigen die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten Versuchsreihe eine entsprechende Bandbreite der nach dem streit- patentgemäßen Verfahren zu erzielenden Endprodukte in Abhängigkeit von dem Wasseranteil an der ersten Substanz, von dem Ölanteil an der zweiten Substanz und von der Konzentration des zugegebenen Zitronensafts (vgl. Anlage P15).
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II. Das Patentgericht hat das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt, soweit es über die im Tatbestand mitgeteilte hilfsweise verteidigte Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:
30
Die Lehre des Streitpatents sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Im Patentanspruch 1 werde angegeben, wie ein Fachmann vorzugehen habe, um eine Substanz mit einer zerkleinerte Nüsse oder Kerne und eine Flüssigkeit in einem festgelegten Verhältnis umfassenden rührbaren Mischung, Öl oder einem flüssiggemachten Fett in einem festgelegten Verhältnis zur Mischung und einem Säuerungsmittel herzustellen. Dieses im Patentanspruch 1 angegebene Herstellungsverfahren werde in der Streitpatentschrift ausführlich beschrieben und durch ein Ausführungsbeispiel näher erläutert. Sowohl nach Patentanspruch 1 als auch gemäß Beschreibung und Ausführungsbeispiel werde durch die Zugabe des Säuerungsmittels (bevorzugt Zitronensaft) als letzte Verfahrensstufe zu der durch die Vermischung der rührbaren Mischung (ersten Substanz) mit dem Öl oder Fett gebildeten zweiten Substanz eine festere Konsistenz der Substanz erhalten. Dies könne der Fachmann unschwer feststellen, obwohl keine Viskositätsdaten oder ähnliches für den Zustand vor und nach der Säurezugabe vorlägen. Jedenfalls könne der Fachmann durch Nacharbeiten des Ausführungsbeispiels feststellen, dass die Bildung einer festeren Konsistenz nicht zwangsläufig von der Abkühlung des verflüssigten Fetts abhänge, da hier Sonnenblumenöl verwendet werde, und ob eine Verflüssigung durch die Zugabe von 7,8 Gewichts-% Zitronensaft eintrete, wie die Klägerin behaupte.
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Der Gegenstand des Patentanspruchs 13 (in der erteilten Fassung) sei gegenüber der aus der Entgegenhaltung E2 bekannten Almonaise nicht neu. Es liege ein sogenannter Product-by-Process-Anspruch vor, für dessen Gegenstand sich aus den Angaben zum Herstellungsweg gemäß Patentanspruch 1 für den Fachmann lediglich folgende körperlichen und funktionellen Eigenschaften der Substanz ergäben: Mischung zerkleinerter Nüsse oder Kerne mit einer Flüssigkeit im Gewichtsverhältnis 100:50 bis 1000 und einem Öl oder flüssiggemachten Fett im Gewichtsverhältnis von 100:20 bis 300 sowie Gehalt an Säure mit einer gegenüber einer rührbaren Mischung festeren Konsistenz. Die aus der Entgegenhaltung E2 bekannte Almonaise stelle eine solche Substanz dar, denn sie enthalte zerkleinerte Kerne (Mandeln) im Gemisch mit einer Flüssigkeit (Wasser) im Verhältnis 1:1 (jeweils eine halbe Tasse), Öl im Verhältnis von 2 bis 3 zur Mischung (2 bis 3 Tassen ), sowie 2 bis 3 Esslöffel Zitronensaft. Mit diesen Bestandteilen bilde sich nach der Vermischung eine dickere Masse, die eine Beschaffenheit zwischen einer Mayonnaise und einer geschlagenen Käsecreme aufweise, also eine Substanz mit einer gegenüber einer rührbaren Mischung festeren Konsistenz.
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Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 (in der erteilten Fassung) sei zwar neu, beruhe aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Nächstliegender Stand der Technik sei die in E2 beschriebene Almonaise und deren Herstellungsverfahren. Die Almonaise stelle eine Substanz dar, deren Inhaltsstoffe auch in ihrer mengenmäßigen Zusammensetzung sowie ihrer Konsistenz unter die Merkmale des Anspruchs 1 fielen. Beim Verfahren zur Herstellung von Almonaise, einer Mandelcreme als Mayonnaiseersatz, würden geschälte Mandeln und Wasser im Mixer bei hoher Geschwindigkeit püriert, bis sich eine Creme gebildet habe, dann u.a. Zitronensaft zugefügt und schließlich Öl eingerührt. Hier erfolge also die Säuerung, bevor in die Mischung das Öl eingerührt werde und sich eine dickere Masse gebildet habe. Mit dem einzigen Unterschied des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1, nämlich der Zugabe des Säuerungsmittels erst nach der Vermischung mit Öl, um eine festere Konsistenz zu erhalten, werde aber keine neue Substanz erhalten, und sei keine von der Lehre nach E2 abweichende Wirkung verbunden, so dass die Reihenfolge der Zugabe des Säuerungsmittels keinen Beitrag zur technischen Lehre des Patents leiste und diese damit im Belieben des Fachmanns stehe.
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Demgegenüber sei die von der Beklagten hilfsweise gemäß Hilfsantrag 1 verteidigte Fassung der Patentansprüche bestandsfähig. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 1 seien neu. Der Gegenstand des Patentanspruchs 13 des Hilfsantrags 1 sei gegenüber der am nächsten kommenden Druckschrift E2 neu, da die in E2 beschriebene Almonaise einen höheren Anteil an Öl als die Substanz nach Patentanspruch 1 aufweise. Außerdem liege die Substanz gemäß Patentanspruch 13 in einer pastösen Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse vor, wogegen bei E2 die endgültige Beschaffenheit zwischen einer Mayonnaise und einer geschlagenen Käsecreme liegen solle. Der Fachmann könne die Substanz nach Patentanspruch 13 des Streitpatents und die Almoniase der E2 damit auch in der Beschaffenheit unterscheiden. Auch die weiteren Entgegenhaltungen könnten die Neuheit der Substanz gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags nicht in Frage stellen. Auch das Verfahren zur Herstellung einer Substanz nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu. In keiner der Druckschriften werde beschrieben, so zu säuern , dass dadurch eine festere, nämlich pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse erhalten werde.
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Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 13 beruhten auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von der Almonaise der E2 als nächstliegendem Stand der Technik stelle sich für den Fachmann die objektive Aufgabe, dass die Eignung von solchen Substanzen als Brotaufstrich verbessert bzw. eine Substanz hergestellt werden solle, die eine pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweise. Durch die Bereitstellung der Substanz nach Patentanspruch 13 werde diese Aufgabe ausgehend von der Almonaise der E2 dadurch gelöst, dass das Gewichtsverhältnis der ersten Substanz, nämlich der zerkleinerten Mischung von Nüssen oder Kernen mit Flüssigkeit, zum Öl oder flüssiggemachten Fett auf ein Gewichtsverhältnis 100:20 bis 120 verringert werde und die Substanz eine pastöse Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse aufweise, wogegen bei der Almonaise die endgültige Beschaffenheit zwischen einer Mayonnaise und einer geschlagenen Käsecreme liegen solle. Weder von E2 noch dem weiteren Stand der Technik erhalte der Fachmann eine Anregung, eine Substanz einer pastösen Konsistenz aus den im Patentanspruch 13 genannten Zutaten mit dem dort festgelegten Mischungsverhältnis bereitzustellen. Das im Patentanspruch 13 genannte, gegenüber der erteilten Fassung eingeschränkte Gewichtsverhältnis der ersten Substanz zu Öl oder flüssiggemachtem Fett sei auch nicht beliebig oder willkürlich gegenüber dem breiteren Bereich der erteilten Fassung des Streitpatents ausgewählt, sondern vom Ausführungsbeispiel im Streitpatent gedeckt, bei dem gerade eine Substanz gebildet werde, die die im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 genannte pastöse Konsistenz aufweise. Die erfinderische Tätigkeit des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 werde bereits durch die Substanz nach Patentanspruch 13 getragen, die durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 herstellbar ist. Hier sei darüber hinaus nicht auszuschließen, dass mit der Reihenfolge der Zugabe eine besondere Wirkung verbunden sei, nämlich das Erhalten einer festeren, pastösen Konsistenz, ähnlich der von Quark oder Frischkäse, durch eine gesteuerte Säuerung als letzter Verfahrensstufe eines Emulsionssystems bzw. der zweiten Substanz.
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Diese Beurteilung hält den Angriffen der beiderseitigen Berufungen nicht in vollem Umfang stand.
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III. 1. Der von der Klägerin weiterhin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund einer unzulässigen Erweiterung gemäß § 22 i.V. mit § 21 Abs.1 Nr. 4 PatG besteht nicht. Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten und hauptsächlich verteidigten Fassung geht nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat und von der Klägerin mit ihrer Berufung substantiiert nicht angegriffen worden ist, sind die der Patenterteilung zugrunde liegenden Patentansprüche 1 bis 22 aus den Erstunterlagen mit den dort formulierten Patentansprüchen 1 bis 16 in Verbindung mit der Patentbeschreibung ableitbar. Die gegenüber der ursprünglichen Anmeldung im Laufe des Erteilungsverfahrens auf Anregung des Patentamtes in Patentanspruch 1 eingefügten Mengenverhältnisse sind aus den ursprünglichen Unteransprüchen 7 und 8 entnommen worden.
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2. Zu Recht hat das Patentgericht nicht feststellen können, dass die mit dem Streitpatent geschützte Lehre nicht so deutlich und hinreichend offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 22 i.V. mit § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
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Die Klägerin trägt zur Begründung einer mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung vor, dass die Offenbarung des Streitpatents dem Fachmann keine ausreichende Lehre vermittelt habe, weil Patentanspruch 1 weder über die in der ersten Substanz zu verwendende Flüssigkeit noch über die Art des einzusetzenden Fetts und auch nicht darüber Angaben mache, in welchem Umfang zu säuern sei, damit eine festere Konsistenz erreicht werde.
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Der Argumentation der Klägerin ist nicht zu folgen. Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Hierfür ist nicht erforderlich , dass der Patentanspruch alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen An- gaben enthält. Vielmehr genügt es, wenn dem Fachmann mit dem Patentanspruch ein generelles Lösungsschema an die Hand gegeben wird (Sen.Urt. v. 4.11.2008 - X ZR 154/05 Tz. 20) und er insoweit notwendige Einzelangaben der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen kann (Sen.Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II; Urt. v. 24.9.2003 - X ZR 7/00, BGHZ 156, 179, 185 - Blasenfreie Gummibahn I). Das Gegenteil einer in diesem Sinne hinreichenden Offenbarung, für das im Nichtigkeitsprozess der Kläger die materielle Beweislast trägt (Sen.Urt. v. 11.5.2010 - X ZR 51/06, zur Veröffentlichung vorgesehen - Polymerisierbare Zementmischung ), hat sich im Streitfall nicht ergeben.
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So erhält der Fachmann aus der Darstellung des Ausführungsbeispiels in der Streitpatentschrift den Hinweis, dass er Wasser als erste Flüssigkeit einsetzen kann, die bei der Zerkleinerung der Kerne oder Nüsse im ersten Verfahrensschritt zu verwenden ist (Sp. 3, Z. 29). Weitere Flüssigkeiten werden in Unteranspruch 7 des Streitpatents aufgezeigt. Weiter erfährt der Fachmann aus der Beschreibung des Streitpatents (Sp. 2, Z. 37-43) zur Vorgehensweise im zweiten Verfahrensschritt , dass er als einzubringendes Öl vorzugsweise pflanzliches Öl wie beispielsweise Sonnenblumenöl, Olivenöl oder Distelöl einsetzen, aber alternativ auch ein beliebiges anderes verzehrbares Öl oder Fett verwenden kann. Zum Umfang einer Säuerung der zweiten Substanz entnimmt der Fachmann dem Unteranspruch 10 und der Beschreibung des Streitpatents (Sp. 3, Z. 6-9), dass das Mengenverhältnis bei der Mischung der sauren Flüssigkeit zur flüssigen zweiten Substanz 2:100 bis 20:100 betragen kann. Für die bevorzugte Ausführungsform ergibt sich für den Fachmann aus dem diesbezüglichen Ausführungsbeispiel, dass ein Gewichtsverhältnis von 40 g Zitronensaft zu 473 g Masse der zweiten Substanz besteht, was einem Gewichtsanteil des Zitronensafts von rd. 7,8% am schließlich hergestellten Erzeugnis entspricht.
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Auch der gerichtliche Sachverständige ist bereits in seinem schriftlichen Gutachten davon ausgegangen, dass schon ein engagierter Koch die patentgemäßen Ingredienzien mit ihrer determinierten Funktionalität durch Zermahlen, Rühren und Vermischen vereinigen und ein Erzeugnis nach dem patentgemäßen Verfahren auf Küchenniveau herstellen könne, und er hat auf Befragen in der mündlichen Verhandlung eine Ausführbarkeit des erfindungsgemäßen Verfahrens nicht mehr in Zweifel gezogen. Die von dem gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten aus technologischer Sicht für erforderlich gehaltenen Informationen , mit denen im Detail die mit dem patentgemäßen Verfahren angestrebte Herstellung einer stabilen Emulsion gesichert werde, sind in der Streitpatentschrift jedenfalls insoweit enthalten, als sie für die Realisierung der Erfindung wesentlich und nicht ohnehin als vom Fachwissen des Durchschnittsfachmanns umfasst anzusehen sind, bei dem allerdings auch eine Bereitschaft zum Ausprobieren vorausgesetzt werden darf. So wird die vom gerichtlichen Sachverständigen diesbezüglich angesprochene Dosierung der Komponenten in den Patentansprüchen 1 und 10 sowie in der Patentbeschreibung klar definiert. Zu der von ihm weiter angeführten Zerkleinerungstechnik und zu dem Wirkprinzip der genutzten Rühr- bzw. Mischvorrichtung ist dem Ausführungsbeispiel zu entnehmen (Sp. 3, Z. 25 f.), dass die (Sonnenblumen -)Kerne durch sog. "Verkuttern" zerkleinert werden sollen, und ergibt sich aus der allgemeinen Patentbeschreibung (Sp. 2, Z. 33 f.), dass auch im nachfolgenden zweiten Verfahrensschritt eine Vermengung der breiigen ersten Substanz mit dem einzubringenden Öl oder Fett durch ein Verkuttern erfolgt. Zum Verkuttern geeignete Dispergiergeräte mit rotierenden Schneidmessern sind dem Fachmann geläufig und von ihm ohne Schwierigkeit auszuwählen. Zum Grad einer Partikulierung der Kerne gibt die Streitpatentschrift sowohl in der allgemeinen Beschreibung als auch für die bevorzugte Ausführungsform an, dass sie so fein zerkleinert oder nassgemahlen werden, bis keine Körnchen mehr vorhanden sind und eine homogene Masse entsteht (Sp. 2, Z. 28-32; Sp. 3, Z. 25-29). Durch das Ausführungsbeispiel wird zudem die von dem gerichtlichen Sachverständigen unter dem Aspekt der Prozessdynamik für bedeutsam gehaltene Temperaturführung in der Streitpatentschrift mit dem Hinweis offenbart (Sp. 3, Z. 27 f.), dass bei dem Zerkleinerungsprozess die Temperatur bevorzugt bei etwa 20°C liegt. Angaben zu Verweilzeiten , die der gerichtliche Sachverständige in diesem Zusammenhang ebenfalls angesprochen hat, enthält die Streitpatentschrift hingegen nicht. Die fehlende Normierung des Zeitaufwands stellt den Fachmann allerdings vor keine Schwierigkeit , zur Ausführung der Erfindung die Verarbeitungszeit selbst zu bestimmen und zu optimieren. Er weiß, dass der für die einzelnen Herstellungsschritte erforderliche Zeitbedarf von der Menge der zu verarbeitenden Stoffe und von der Art und Leistung des als Kutter und Mixer eingesetzten Gerätes abhängt, und er kennt die Angaben der Streitpatentschrift zum Zustand der in den einzelnen Verarbeitungsschritten entstehenden Substanzen. Von deren Realisierung kann er sich auch ohne Zeitvorgaben oder eigene rheologische Untersuchungen durch einfache sensorische Prüfung überzeugen. Von daher hat der Fachmann, ohne selbst erfinderisch tätig zu werden, einfach auszuprobieren, wie lange er das Gerät laufen lassen muss, um den patentgemäßen Zustand zu erreichen.
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Die Ausführbarkeit der Erfindung wird überdies bestätigt durch die erfolgreichen experimentellen Nacharbeitungen der Erfindung, wie sie sowohl durch den von der Klägerin beauftragten Privatgutachter Dr. Dr. F. , der in einem der beiden von ihm durchgeführten Versuche mit jeweils für den ersten und den zweiten Verfahrensschritt von Patentanspruch 1 erfassten Grenzwerten ein patentgemäßes Endprodukt erzielte (Anlage E 30, S. 2), als auch durch die Beklagte (Anlagen P5 u. P15) und durch den von ihr beauftragten Privatgutachter Prof. Dr. C. (Anlagen P8, S.9 u. P21, S. 11 f. u. S. 13 f.) durchgeführt worden sind. Die von der Beklagten vorgetragenen Ergebnisse sind jedenfalls in Bezug auf das Ausführungsbeispiel der Streitpatentschrift auch von der Klägerin nicht bestritten worden.
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Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis der Klägerin auf zwei fehlgeschlagene Versuche einer Nacharbeitung des patentgemäßen Verfahrens, die der Parteisachverständige Dr. Dr. F. vorgenommen hat, kann eine mangelnde Ausführbarkeit nicht begründen. Zum einen lässt in beiden Fällen der dokumentierte Versuchsaufbau hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Gründe des Fehlschlagens nicht zu. So lässt sich bei dem fehlgeschlagenen Versuch, bei dem im ersten Verfahrensschritt die verwendeten Sonnenblumenkerne mit einer Wassermenge in ein Mengenverhältnis von 100:50 gesetzt worden sind, wie sie dem unteren Grenzwert des Bereichs der von Patentanspruch 1 erfassten Mengenverhältnisse entspricht, und bei dem der Zerkleinerungsvorgang mit dem eingesetzten Rührstab abgebrochen werden musste, jedenfalls nicht ausschließen, dass trotz des erhöhten Feststoffanteils die Zerkleinerung mit einem anderen (ggf. leistungsstärkeren ) Gerät erfolgreich hätte durchgeführt werden können, wie die Beklagte unter Hinweis auf eigene Versuche substantiiert dargelegt hat. Hierfür spricht etwa auch der weitere Versuch einer experimentellen Nacharbeitung, den der Parteisachverständige Dr. Dr. F. im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme im Verletzungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf dokumentiert hat (Anlage E33, S. 3 zu III mit Versuchsaufbau Nr. 4). Denn bei diesem Versuch mit einem Gewichtsverhältnis von Sonnenblumenkernen zu Wasser, das ebenfalls im unteren Grenzbereich der von Patentanspruch 1 erfassten Mengenverhältnisse lag, hat der Zerkleinerungsvorgang keine Probleme bereitet. Als Grund dafür, dass die vom Parteisachverständigen Dr. Dr. F. hier verwendete Rezeptur gleichwohl nicht zu einer patentgemäßen Verfestigung des Erzeugnisses führte, kommt in Betracht, dass mit dem Gewichtsverhältnis von zweiter Substanz zu saurer Flüssigkeit, das dem Experiment zugrunde lag, die in der Patentschrift vorgeschlagene Untergrenze von 100:2 noch unterschritten worden ist.
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Zum anderen ist es nach der Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich, dass alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestal- tungen ausgeführt werden können. Vielmehr genügt es regelmäßig den an eine Ausführbarkeit der Erfindung zu stellenden Anforderungen, wenn hierzu zumindest ein gangbarer Weg offenbart ist (Senat BGHZ 147, 306, 317 - Taxol; Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II; BGHZ 156, 179, 184 - Blasenfreie Gummibahn I), wie dies jedenfalls bei der Rezeptur nach der bevorzugten Ausführungsform des Streitpatents unstreitig der Fall ist. Ein dem Sachverhalt der Entscheidung "Thermoplastische Zusammensetzung" (BGH, Urt. v. 25.2.2010 - Xa ZR 100/05 Tz. 23, GRUR 2010, 414) ähnlicher Fall ist hier nicht zu beurteilen.
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3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung ist neu (§ 3 PatG).
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Die Entgegenhaltung E2 offenbart mit dem in diesem Ernährungsratgeber beschriebenen Rezept für die als Mayonnaiseersatz verwendbare Mandelcreme "Almonaise" zwar ein Verfahren zur Herstellung einer rührbaren ersten Substanz durch Zerkleinerung von Kernen unter Zugabe einer Flüssigkeit in einem Volumenverhältnis von 1:1, indem eine halbe Tasse geschälter Mandeln und eine halbe Tasse Wasser in einen Mixer gegeben und zu einer "dicken Creme" püriert werden sollen. Dies entspricht dem Verfahren nach Merkmalsgruppe 1 des Streitpatents, wenngleich dort das Mengenverhältnis der Zutaten jeweils in Bezug auf die Gewichtsanteile bestimmt wird. Nach weiterer Zugabe von ein bis zwei Esslöffeln Wasser, Geschmackszutaten und von zwei bis drei Esslöffeln Zitronensaft soll dieser ersten Mischung Distelöl in einer Menge von zwei bis drei Tassen langsam zugegeben werden, womit das Rezept aus E2 ebenfalls die Gewinnung einer zweiten Substanz durch Zugabe von Öl zu der rührbaren ersten Substanz in einem von Patentanspruch 1 erfassten Mengenverhältnis beschreibt (Merkmalsgruppe 2). Im Unterschied zum Streitpatent erfolgt die mit der Zugabe von Zitronensaft verbundene Säuerung des Produkts aber bereits vor Einbringung des Öls in die Mandelcreme und damit nicht erst (entsprechend dem Merkmal 3) im Anschluss an die Gewinnung der zweiten Substanz.
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Die deutsche Offenlegungsschrift 39 13 125 (E32) betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Nahrungsmittels, das im Gegensatz zu dem mit pflanzlichen Stoffen zu gewinnenden streitpatentgemäßen Erzeugnis aus einem entwässerten Milchprodukt bzw. Milcheiweiß enthaltenden Produkt als Ausgangsstoff hergestellt werden soll.
48
Die übrigen Entgegenhaltungen liegen noch weiter ab von dem Patentanspruch 1 des Streitpatents und bedürfen insoweit keiner Erörterung.
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4. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat der Senat eine Wertung , dass das von Patentanspruch 1 des Streitpatents geschützte Herstellungsverfahren dem Fachmann zum Anmeldezeitpunkt durch den Stand der Technik nahegelegt war (§ 4 PatG), nicht treffen können. Keine der in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen hat dem Durchschnittsfachmann ein konkretes Vorbild für die erfindungsgemäße Rezeptur geboten oder einen Hinweis darauf gegeben, eine Emulsion, die unter Verwendung der Ingredienzien gemäß Patentanspruch 1 in einem mehrstufigen Herstellungsverfahren erzeugt wurde, abschließend dosiert zu säuern, um sie zu festigen und damit zugleich die Konsistenz des Endprodukts einzustellen.
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a) Bei der aus der Entgegenhaltung E2 bekannten Rezeptur zur Herstellung von "Almonaise" wird anstelle von Eigelb als einem Grundstoff tierischer Herkunft, auf dem Mayonnaise basiert, eine Creme aus Mandeln und damit wie beim Streitpatent eine pflanzliche Grundsubstanz verwendet. Nach dem in der E2 beschriebenen Herstellungsverfahren soll der Zitronensaft gemeinsam mit den angegebenen Geschmackszutaten vor Einbringung des Öls in die Creme gegeben werden. Der Ratgeber beschreibt weder eine strukturgebende Eigenschaft dieses Säuerungsmittels bei der Herstellung der ersten Substanz noch einen Effekt der Säuerung auf die Konsistenz und auch keine Verfestigung des Erzeugnisses während des Herstellungsprozesses. Vielmehr entsteht aus der nach dem ersten Verfahrensschritt "dicken Creme" ein Erzeugnis, dessen endgültige Beschaffenheit das Rezept als "zwischen der einer Mayonnaise und einer geschlagenen Käsecreme" (E2, S. 536) bzw. "zwischen einer Mayonnaise und einer Käsesoße" (E2, S. 535) liegend beschreibt und dessen Verwendbarkeit als "vielseitige Soße" (E2, S. 535) betont wird. Daher kann der Senat der Beurteilung des Patentgerichts nicht beitreten, dass mit der streitpatentgemäßen Zugabe des Säuerungsmittels erst nach der Vermischung mit Öl, die nach Merkmal 3.1 ausdrücklich erfolgt, um eine festere Konsistenz des Endprodukts zu erhalten, keine von der Lehre nach der Druckschrift E2 abweichende Wirkung verbunden sei, so dass die Reihenfolge der Zugabe des Säuerungsmittels im Belieben des Fachmanns stehe. Gleiches gilt für die hierzu vom Patentgericht angestellte weitere Überlegung, dass mit dem Herstellungsverfahren nach Patentanspruch 1 keine neue Substanz erhalten werde. Denn die Patentfähigkeit eines auf ein Herstellungsverfahren gerichteten Patentanspruchs hängt nicht von der Neuheit und Erfindungshöhe des herzustellenden und insoweit gegebenenfalls auch durch einen Product-by-Process-Anspruch gesondert schutzfähigen Erzeugnisses ab. Vielmehr kann bei Herstellungsverfahren, die zu bekannten oder naheliegenden Erzeugnissen führen, eine erfinderische Leistung auch dann in Betracht kommen, wenn eine vorteilhafte Eigenart der Arbeitsmethode als solche gegenüber bekannten Herstellungsverfahren erfinderisch ist (vgl. Bacher/Melullis in Benkard, PatG 10. Aufl., § 1 Rdn. 30 a.E. u. 31 a.E.).
51
Der Senat hat nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass der Ratgeber E2 dem Fachmann Anregung geboten hat, die Rezeptur der Almonaise in Richtung der Erfindung abzuändern. Das Rezept, welches das herzustellende Erzeugnis als "unglaublichen Mayonnaiseersatz" mit vielfältigen Verwendungsmöglichkei- ten lobt, bietet schon keinen Anhaltspunkt, warum das Verfahren überhaupt geändert werden sollte, um eine Einstellung von dessen Konsistenz über die Säuerung mit Zitronensaft zu regeln. Stattdessen würde das Rezept den Fachmann, falls er Veranlassung gehabt hätte, über eine Regulierung der Viskosität bzw. der Festigkeit derartiger Erzeugnisse nachzudenken, von der patentgemäßen Erfindung eher wegführen. Denn die E2 offenbart, dass die Konsistenz der Mandelcrememischung über die Ölzugabe einstellbar ist. Dabei nimmt die Viskosität der Mandelcreme mit zunehmendem Anteil des zugegebenen Öls ab, dessen Menge, wie auch der gerichtliche Sachverständige überzeugend bestätigt hat, final die Textur und Konsistenz der Substanz bestimmt. Das Rezept beschreibt diese Wirkung dahingehend, dass nach der Entstehung einer dicken Mandelcreme im ersten Arbeitsschritt sich bei der Zugabe der Ölmenge das Messer des Mixers immer leichter bewegen wird (E2, S. 536).
52
Ohnehin wird allerdings der Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige ebenfalls bestätigt hat, die Reihenfolge des Rezepts nach der E2 einhalten, um eine optimale Wirkung zu erreichen, zumal die Beschreibung des Herstellungsverfahrens für den Mayonnaiseersatz bereits einleitend auf die Bedeutung hinweist, welche die Beachtung der Arbeitsmethode für das Gelingen des Rezepts habe. So gehöre zu den zu befolgenden "Grundregeln", dass "das Öl in einem dünnen, feinen Strahl sehr langsam zugegeben werden (muss)" (E2, S. 535). Damit bezieht sich der Ratgeber auf die weiter beschriebene Abfolge der Verfahrensschritte mit der Anweisung (E2, S. 536), in die u.a. unter Hinzugabe von Zitronensaft erzeugte Mandelcrememischung das Öl nur langsam einzuträufeln. Weiter spricht der Ratgeber mit dem Hinweis, dass eine Almonaise auch mal nicht gelinge und manchmal schon eine zu hohe Luftfeuchtigkeit die Emulsionsbildung verhindere, deren Sensibilität an. Der Fachmann weiß um diese Sensibilität einer Emulsionsbildung bei der Herstellung von Mayonnaise und ähnlichen Öl-in-Wasser-Emulsionen, bei der die Gefahr eines Umkippens bzw. Brechens der empfindlichen Emulsion besteht. Für einen fachkundigen Leser des Almonaise-Rezepts hat es angesichts der Empfindlichkeit der Emulsionsbildung mithin fern gelegen, die Reihenfolge der Zutaten bzw. der einzelnen Verfahrensschritte abzuändern.
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b) An der Beurteilung, dass deshalb die Lehre des Patentanspruchs 1 nicht als dem Fachmann vom Stand der Technik nahegelegt bewertet werden kann, ändert sich nichts, wenn man den Offenbarungsgehalt der sonstigen entgegengehaltenen Schriften mitberücksichtigt.
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aa) Die deutsche Offenlegungsschrift 39 13 125 (E32) betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Nahrungsmittels, das vorwiegend aus Milcheiweiß, Öl und Wasser besteht (E32, Sp. 1, Z. 3-7). Die Offenlegungsschrift beschreibt als Aufgabe der Erfindung, ein in einfacher Weise herstellbares, reines Naturprodukt von cremiger bis fester Konsistenz zu schaffen, das wenig Fett, aber viel Eiweiß enthält und wegen seiner Geschmacksneutralität als Brotaufstrich, aber auch als Grundstoff für die Herstellung von Spezialitäten verwendbar ist (E32, Sp. 2, Z. 20-27). Die Lösung soll darin bestehen, "dass man Quark, Jogurt und anderes Milcheiweiß in flockiger Form enthaltende Stoffe entwässert, zu dem erhaltenen entwässerten Produkt ein Speiseöl zufügt und dann rührt, bis ein Produkt von geschmeidiger, cremiger Konsistenz mit ähnlicher Festigkeit wie Butter oder Margarine erhalten ist" (E32, Sp. 2, Z. 28-33). Zur Erzielung einer derartigen Konsistenz ist nach dieser Lehre des von Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahrens keine Zugabe eines Säuerungsmittels erforderlich. Lediglich optional sieht die deutsche Offenlegungsschrift zur Einstellung der Konsistenz der Creme den Zusatz von Zitronensäure vor, wobei statt dieses Säuerungsmittels alternativ auch Milch verwendet werden kann, um die bezweckte Wirkung zu erzielen. Insbesondere für den Fall, dass Jogurt als Grundstoff für die Nahrungsmittelherstellung verwendet wird und dabei in bestimmten Fällen Schwierigkeiten mit einer Erreichung der gewünschten Konsistenz auftreten , schlägt die Lehre nach E32 vor, nach der Entwässerung Milch und/oder Zit- ronensäure zuzufügen. Die Patentbeschreibung führt hierzu aus, man könne mit der Zugabe dieser wie ein Katalysator wirkender Stoffe sofort die cremige bis feste Konsistenz erzielen (E32, Sp. 3, Z. 11-19). Abweichend von der Erfindung des Streitpatents soll nach der Lehre nach E32 das Säuerungsmittel ausdrücklich schon nach dem ersten Verfahrensschritt der Entwässerung zu dem hierdurch erhaltenen Zwischenprodukt hinzugegeben werden und nicht erst, nachdem im weiteren Verfahrensschritt das entwässerte Produkt mit dem zugefügten Speiseöl verrührt worden ist. Die vorgeschlagene Modifikation des in der Grundrezeptur zweistufigen Herstellungsverfahrens wird in der Offenbarungsschrift durch die Unteransprüche 3, 8 und 9 beansprucht. Auch der Wortlaut der Unteransprüche 8 und 9 belegt, dass die Zufügung von Milch und/oder Zitronensäure sogleich nach der Entwässerung und noch vor einer Zugabe von Öl und der das Herstellungsverfahren abschließenden Verrührung erfolgen soll. So heißt es in Patentanspruch 8, dass "man dem entwässertes Milcheiweiß enthaltenden Stoff geringe Mengen Milch und/oder Zitronensäure zufügt, ihn rührt und mit dem Öl in innige Berührung bringt, wonach bzw. wobei man das erhaltene Gemisch einem Rührvorgang unterwirft". Patentanspruch 9 sieht vor, dass "man dem mit Milch und/oder Zitronensäure versetzten Milcheiweiß in flockiger Form enthaltenen Stoff unter Rühren das Öl zufügt (…)". Einen Hinweis auf einen Wirkungszusammenhang zwischen der Säuerung einer eiweißhaltigen Emulsion und deren Verfestigung, wie er dem streitpatentgemäßen Säuerungsvorgang zugrunde liegt, enthält die Entgegenhaltung E32 danach ebenso wenig wie sich ihr eine Anregung entnehmen lässt, mit einem abschließenden Säuerungsvorgang eine Verfestigung des herzustellenden Produkts zu bewirken und dessen Konsistenz einzustellen. Auch als eigener Ausgangspunkt für erfinderische Überlegungen kommt die E32 nicht in Betracht, da sie dem Fachmann keinen Anhaltspunkt für einen Ersatz von Milcheiweiß durch Eiweiß pflanzlicher Herkunft bietet.
55
Von einem Fachmann, der danach strebte, eine Grundsubstanz aus natürlichen pflanzlichen Stoffen insbesondere für die Nahrungsmittelherstellung bereit zu stellen, hat ohnehin nicht erwartet werden können, dass er für seine Entwicklungstätigkeit die Entgegenhaltung E32 zu Rate ziehen und eine Verfahrensmaßnahme zur Konsistenzänderung von milcheiweißhaltigen Produkten ohne weiteres auf pflanzliches Eiweiß enthaltende Produkte übertragen würde. Die von der Offenbarungsschrift beschriebene Erzeugung milcheiweißbasierter Nahrungsmittel liegt nicht auf dem Gebiet der streitpatentgemäßen Erfindung, bei der nur pflanzliche Rohstoffe verwendet und mit der Milcheiweißprodukte gerade ersetzt werden sollen (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 51-57; Sp. 3, Z. 39-43; Sp. 4, Z. 15-17). Zwar hat der gerichtliche Sachverständige zunächst ausgeführt, dass ein guter Produktentwickler , der überlegt, eine Produktquelle durch eine andere zu ersetzen, grundsätzlich auch Informationen über die Verfahren zur Herstellung von Produkten einholt, die es zu ersetzen gilt. Der Sachverständige hat in Bezug auf die E32 jedoch dargelegt, dass der Fachmann sich mit dieser Druckschrift nicht näher befasst hätte, da für ihn erhebliche Zweifel bestünden, ob das beanspruchte Verfahren insbesondere mit dem beschriebenen Säuerungsvorgang funktionieren würde, und die diesbezüglichen Angaben nicht glaubwürdig seien. Zudem ist dem Fachmann nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen weiter bekannt gewesen, dass bei Milchproteinen und pflanzlichen Proteinen in unterschiedlichem Maße die strukturbildende Eigenschaft ausgeprägt ist, mittels einer Säure denaturiert werden zu können und hierdurch zu einer Netzwerkbildung zur Verfügung zu stehen. Der Sachverständige hat insoweit auch die Aussage aus der ihm vorgehaltenen Veröffentlichung im Lebensmittel-Lexikon von Ternes u.a., 4. Aufl. 2005, S. 466 (Anlage P16) bestätigt, wonach pflanzliches Eiweiß aufgrund seiner Struktur nur begrenzt in der Lebensmittelproduktion verwendbar ist.
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bb) Die mit der veröffentlichten Druckschrift E21 entgegengehaltenen Kochbuchratschläge sind nicht geeignet, den Fachmann anzuregen, ausgehend von der E2 die Konsistenz der mit einem Ausgangsstoff pflanzlicher Herkunft erzeugten Emulsion abschließend einzustellen. Das Kochbuch erwähnt, dass bei Herstellung von Eischnee in einem kalten Raum die Zugabe einiger Tropfen Zitronensaft in kalt gestelltes Eiklar die Schnittfähigkeit des Eischnees erhöht, der sofort zu verwenden ist (E21, S. 317 zu Ziff. 6). Weiterhin lehrt die Entgegenhaltung E21 lediglich, dass bei steif geschlagenem Eischnee diesem das Unterschlagen einiger Tropfen Zitronensaft eine besondere Standfestigkeit verleiht (S. 671 Abs. 1 a). Damit wird zwar jeweils die Stabilität des Eischnees angesprochen, der länger steif bleiben soll. Diese Hinweise zur Wirkung von Zitronensaft betreffen jedoch ein instabiles Zwischenprodukt , das aus Eiweiß tierischer Herkunft besteht und unter den genannten speziellen Herstellungsbedingungen nur zur sofortigen Weiterverarbeitung zu erzeugen ist. Sie liegen, wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, wegen der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit dieses Schaums im Vergleich zu einer Emulsion nicht auf dem Gebiet der streitpatentgemäßen Erfindung.
57
cc) Bei der aus der Druckschrift SU 1741726 A1 (Anlage E12 - Übersetzung E19) bekannten Herstellung einer als Halva bezeichneten Paste aus Sonnenblumenkernen und Nüssen wird zwar gemahlene Sonnenblumenkernmasse mit Sonnenblumenöl vermengt und nach einem Verrühren Zitronensaft zugegeben. Der Zusatz einer Flüssigkeit im ersten Verfahrensschritt ist nach der Erfindungsbeschreibung aber nicht vorgesehen, weshalb sich auch kein Emulsionssystem ausbilden kann, wie es das Streitpatent lehrt. Eine Verfestigung der Paste durch Säuerung wird nicht beschrieben. Vielmehr zielt die Erfindung darauf ab, die Qualität bekannter aus Sonnenblumen- und Karamellmasse sowie Nusskernen bestehender Halva durch Zugabe u.a. von Sonnenblumenöl und Zitronensaft als zusätzlichen Zutaten zu verbessern. Dabei soll durch das im Zitronensaft enthaltene Vitamin C der biologische Wert und die Haltbarkeit des Halva erhöht werden.
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dd) Bei dem in der Entgegenhaltung E3 (Kalenderblatt) angegebenen Rezept für eine Sonnenblumencreme erfolgt keine Zugabe von Wasser, so dass diese Creme ohne eine erste Flüssigkeit entsteht. Bei dieser Rezeptur, wonach mit je einem Teelöffel Akazienhonig und Zitronensaft und etwas Zitronenmelisse die aus fein pürierten Sonnenblumenkernen und weicher Butter herzustellende Creme leicht süß-säuerlich abgeschmeckt werden soll, wird Zitronensaft als Geschmackszutat beschrieben, ihm jedoch keine Verfestigungswirkung beigemessen.
59
ee) Die weiteren Entgegenhaltungen kommen der Lehre nach Patentanspruch 1 des Streitpatents jedenfalls nicht näher und haben in der mündlichen Verhandlung keine Rolle mehr gespielt.
60
Danach hat der Stand der Technik dem Fachmann weder Anlass noch Anregung gegeben, zu dem vorgeschlagenen neuen Verfahren zu gelangen. Dessen Naheliegen kann auch nicht damit begründet werden, dass es nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zum Allgemeinwissen des Fachmanns gehört hat, dass durch Säuerung die in einer Substanz gelösten Proteine denaturiert werden und durch die hierdurch ermöglichte Netzwerkbildung eine Strukturveränderung der Substanz stattfindet. Denn dieses Allgemeinwissen legt noch nicht die von der Lehre des Patentanspruchs 1 vorgeschlagene dreistufige Abfolge des Herstellungsverfahrens nahe, bei der erst durch finale Säuerung der Emulsion deren Konsistenz fester und damit zugleich die Konsistenz des Endprodukts eingestellt wird. In dieser zur nachträglichen Einstellbarkeit der Festigkeit des Produkts führenden streitpatentgemäßen Verfahrenskomponente hat auch der gerichtliche Sachverständige einen innovativen Ansatz erkannt.
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5. Mit Patentanspruch 1 haben auch die auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 des Streitpatents in der erteilten Fassung Bestand.
62
6. Der Gegenstand des Patentanspruchs 13 ist in der erteilten Fassung, wie sie nach der vorstehenden Erläuterung unter I 4 zu verstehen ist, hingegen nicht neu. Dieser - wie ausgeführt - weit formulierte Erzeugnisanspruch erfasst auch eine im Stand der Technik bekannte Ausführungsform, was seiner Patentfähigkeit insgesamt entgegensteht (vgl. BGHZ 156, 179, 188 - Blasenfreie Gummibahn I; Benkard /Melullis, PatG 10. Aufl., § 3 PatG Rdn. 12, 41 f.; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz , 6. Aufl., § 3 Rdn. 157). Wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, sind in der Entgegenhaltung E2 mit der dort offenbarten Mandelcreme die Sachmerkmale in der Breite des Patentanspruchs 13 vollständig beschrieben. Die Beklagte greift mit ihrer Berufung insoweit auch lediglich die Auslegung des Product -by-Process-Anspruchs durch das Patentgericht an und meint, dass die patentgemäß herstellbare Substanz tatsächlich u.a. die körperliche Eigenschaft einer pastösen Konsistenz besitze und mit diesem Sachmerkmal von der aus E2 bekannten Almonaise abzugrenzen sei. Der dieser Argumentation zugrunde liegenden Auslegung des Patentanspruchs 13 durch die Beklagte kann jedoch aus den bereits oben dargelegten Gründen nicht beigetreten werden.
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Patentanspruch 13 des Streitpatents kann daher in der erteilten Fassung keinen Bestand haben.
64
7. Dass auch die weiteren unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 13 rückbezogenen Patentansprüche 14 bis 22 keinen patentfähigen Gegenstand beschreiben , hat das Patentgericht zutreffend ausgeführt. Die Berufung wendet sich hiergegen auch nicht.
65
IV. Die hilfsweise verteidigten Fassungen des Patentanspruchs 13 führen zu keiner abweichenden Beurteilung.
66
1. Patentanspruch 13 ist in der mit Hilfsanspruch 1 hilfsweise verteidigten und vom Patentgericht gewährten Fassung ebenfalls nicht bestandsfähig.
67
a) Das danach beanspruchte Erzeugnis ist gegenüber dem Stand der Technik allerdings neu, da es in keiner Entgegenhaltung vollständig beschrieben und auch durch die behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht vorweggenommen ist.
68
aa) Von diesem Erzeugnis unterscheidet sich die in der Veröffentlichung E2 beschriebene Almonaise durch einen höheren Anteil an Öl im Verhältnis zu der aus Kernen und Flüssigkeit bestehenden Mischung. Bei der Almonaise, bei deren Herstellung eine Tasse der Mischung aus zerkleinerten (Mandel-)Kernen und Wasser mit zwei bis drei Tassen Öl verrührt wird, besteht ein Mengenverhältnis, das sich angesichts der einer solchen Volumenangabe innewohnenden Ungenauigkeit nur ungefähr mit 100:200 bis 100:300 angeben lässt. Gleichwohl liegt dieses Mengenverhältnis nicht mehr im Bereich des Patentanspruchs 13, bei dessen Gegenstand das Mengenverhältnis in Bezug auf die Gewichtsanteile an der Mischung aus zerkleinerten Kernen oder Nüssen zu Öl oder Fett lediglich 100:20 bis 100:120 beträgt.
69
bb) Die Klägerin führt weiterhin die aus den Entgegenhaltungen E3 und E12 bekannten Substanzen als neuheitsschädlich an. Die dort offenbarten und bereits oben beschriebenen Rezepturen sehen indessen für die beiden u.a. aus Sonnenblumenkernen hergestellten Produkte außer Zitronensaft in einer geringen Menge, die jenseits der Bandbreite der von Patentanspruch 13 erfassten Gewichtsverhältnisse zwischen Kernen oder Nüssen und (erster) Flüssigkeit liegt, keine weitere Flüssigkeit vor. Gleiches gilt für das Rezept einer Sonnenblumenkernpaste, das die Veröffentlichung des Pala-Verlages "Brotaufstriche selbst gemacht" (E29) offenbart, welche die Klägerin dem Patentanspruch 13 mit ihrer Berufung entgegengehalten hat: Zur Herstellung dieser Paste werden lediglich zerstoßene Sonnenblumenkerne mit Butter und je einem Teelöffel Honig und Zitronensaft verrührt.

70
cc) Neu ist der Gegenstand des Patentanspruchs 13 auch gegenüber dem von der Klägerin als offenkundige Vorbenutzung geltend gemachten pflanzlichen Brotaufstrich "Champignon". Von den Zutaten, die vom Etikett dieses von der Klägerin selbst hergestellten Produkts (E28) ausgewiesen werden, machen nach ihrem eigenen Vortrag Sojabohnen und Wasser einen Gewichtsanteil von insgesamt 87% aus, während der Gewichtsanteil an (Sonnenblumen-)Öl lediglich 6% betragen soll. Mit einem solchen Ölanteil wird die Untergrenze, die Patentanspruch 13 mit einem Gewichtsverhältnis von erster Substanz (aus Kernen oder Nüssen und Flüssigkeit) zu Öl oder Fett von 100:20 vorsieht, deutlich unterschritten.
71
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 13 des Streitpatents in der durch Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung beruht indes nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
72
Aus der Veröffentlichung E2 hat der Fachmann, dem sich das Problem stellte , eine verbesserte Grundsubstanz aus pflanzlichen Stoffen zur Nahrungsmittelherstellung zu entwickeln, eine Anregung in Richtung der Erfindung entnehmen können. Hierzu gehörte, den Ölanteil der Almonaise zu verringern und damit zugleich die soßenartige Konsistenz hin zu einer pastösen, ähnlich der von Quark oder Frischkäse, zu verfestigen. Der Begriff "pastös" ist dabei in Übereinstimmung mit dem Patentgericht, das ihn unter Bezugnahme auf verschiedene LexikaEinträge von dem Begriff einer "Paste" abgeleitet hat, dadurch zu charakterisieren, dass die Substanz streichfest ist. Über die Rezeptur nach der Entgegenhaltung E2 ist auch eine streichfähige Mandelcreme erzielbar, wie deren dort angegebene Verwendungsmöglichkeit zeigt, wonach sie auch zur "Verzauberung" eines Sandwichs und damit auch als Brotaufstrich eingesetzt werden kann. Hinsichtlich dieser Verwendungsmöglichkeit ergibt sich aus der Beschreibung des Rezepts auch ein Anlass zu dessen Änderung hinsichtlich des vorgeschlagenen Ölanteils. Wie oben (unter III 4 a) bereits dargelegt offenbart die E2 dem Fachmann zudem mit der Dar- stellung unterschiedlicher Festigkeitsgrade der Creme während des Herstellungsprozesses , dass die Konsistenz der Mandelcrememischung über die Ölzugabe einstellbar ist und bei ihrer Verringerung die Creme fester bleibt. Hierzu steht auch nicht der Hinweis im Rezept im Widerspruch, dass sich eine "dickere Masse" bildet, wenn nach einer gewissen Sättigung der Mandelcreme mit einer Art Blasenbildung des überschüssigen Öls noch weiteres Öl vorsichtig eingerührt wird und dadurch mehr Öl in die Mischung gelangt. Aus dem Zusammenhang der Rezeptbeschreibung ist dort der Begriff "dicker" nicht als Angabe größerer Viskosität bzw. Festigkeit zu verstehen, sondern er drückt aus, dass mit der weiteren Ölzugabe mehr Emulsionsmasse gewonnen wird. Die Änderung einer von einem Rezept vorgegebenen Menge einer Zutat stellt im Übrigen eine Vorgehensweise dar, die ein Fachmann ohne weiteres vornehmen kann, um zu einer Abwandlung des Erzeugnisses zu kommen. Zur Ermittlung des richtigen Mengenverhältnisses sind zwar Versuche erforderlich. Ein solches Ausprobieren ist jedoch durch die Unterschiedlichkeit der Verwendungszwecke der Creme vorgegeben und geht nach Art und Umfang nicht über den Rahmen dessen hinaus, was bei der Entwicklung neuer Rezepturen üblich ist und von jedem Fachmann erwartet werden kann. Solchen Versuchen hat auch nicht der eingangs in der Entgegenhaltung gegebene Hinweis auf die Grundregel entgegengestanden, dass bei dem Rezept die Maßangaben genau zu beachten sind. Denn gerade bei der zuzugebenden Ölmenge ist mit der Angabe von zwei bis drei Tassen keine exakte Maßangabe, sondern bereits eine größere Variationsbreite vorgegeben. Mithin war es für den Fachmann naheliegend, zur Erlangung einer noch festeren Konsistenz der dann als Brotaufstrich verwendbaren Creme den rezepturgemäßen Anteil an Öl noch weiter zu reduzieren.
73
c) Ein eigenständiger patentfähiger Gehalt der Verwendungsansprüche 14 und 15 in der erteilten Fassung, die mit Hilfsantrag 1 nunmehr auf den hilfsweise verteidigten Patentanspruch 13 rückbezogenen sind, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zu III 7 entsprechend.
74
d) Aus dem Vorstehenden ergibt sich ohne weiteres, dass auch der Gegenstand aus Patentanspruch 13 in der Fassung des Hilfsantrags 1A, in der die konkretisierende Angabe zur Konsistenz des Erzeugnisses entfällt und es diesbezüglich bei der Verweisung auf den Verfahrensanspruch bleibt, nicht patentfähig ist.
75
e) Die demgegenüber in die Fassung des Hilfsantrags 1B aufgenommene Viskositätsangabe ist, wie die Beklagte zu der identischen Formulierung in Hilfsantrag 5 selbst eingeräumt hat, in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbart. Ob damit dieser hilfsweisen Verteidigung schon der Gesichtspunkt nachträglicher Erweiterung entgegensteht oder es sich, wie von der Beklagten vorgetragen, um einen Parameter handelt, welcher der beanspruchten Substanz quark- oder frischkäseähnlicher Konsistenz eigen ist und deshalb ausnahmsweise nachträglich in die Anspruchsfassung aufgenommen werden könnte (vgl. Sen.Beschl. v. 15.5.1997 - X ZB 8/95 - Polyäthylenfilamente; Bacher/Melullis in Benkard, PatG 10. Aufl., § 1 Rdn. 87 a.E.) kann dahinstehen. Denn wenn es sich dem Vorbringen der Beklagten zufolge lediglich um eine andere Beschreibung des Zustands der Substanz gegenüber jener in der Fassung von Hilfsantrag 1 handelt, gelten auch insoweit die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 13.
76
2. Durch Hilfsantrag 2 wird der Bereich der Grenzwerte des Flüssigkeitsanteils an der ersten Substanz eingeschränkt, um den Angaben der Beklagten zufolge zu erreichen, dass die Erfindung optimal funktioniert. Von dem Fachmann, der veranlasst war, ein streichfähiges Produkt zu entwickeln, konnte - wie bereits dargelegt - erwartet werden, optimale Gewichtsverhältnisse in einer Rezeptur durch Aus- probieren herauszufinden. Eine Reduzierung des Flüssigkeitsanteils an dem Erzeugnis kann daher nicht zu erfinderischer Tätigkeit führen.
77
3. Die Einschränkungen, die in die Fassung des nunmehr mit der Ziffer 5 nummerierten Erzeugnisanspruchs nach Hilfsantrag 3 neben diversen Klarstellungen aufgenommen worden sind, ergeben ebenfalls ein Produkt, das für den Fachmann naheliegend war. Die Verwendung von Wasser als Flüssigkeit und die Zugabe von Salz war ihm aus der E2 bekannt. Aus Sonnenblumenkernen eine erste Grundsubstanz pflanzlicher Natur herzustellen, war angesichts der Vielzahl bekannter Bio-Produkte, die auf dieser Zutat basieren (vgl. etwa die Entgegenhaltungen E3, E12 u. E29), geradezu angezeigt, da es sich nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei Sonnenblumenkernen um einen besonders preiswerten Ausgangsstoff handelt. Der nunmehr angegebene Zerkleinerungsgrad dieser Kerne stellt für den Fachmann eine Selbstverständlichkeit dar, da die Zerkleinerung eine Aufschließung der Sonnenblumenkernproteine gewährleistet. Für die Herabsetzung der Obergrenze des Wasseranteils gilt das bereits oben Ausgeführte. Bei der vorgeschlagenen Pasteurisierung handelt es sich um einen bei der Herstellung von Lebensmitteln gängigen Vorgang insbesondere zur Sicherung von deren Haltbarkeit. Für die funktionelle Definition der Festigkeit des Erzeugnisses, das zur Verwendung als Wurst-, Quark- oder Frischkäseersatzstoff geeignet sein soll, gelten zur Frage der erfinderischen Tätigkeit die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Die Erzielung einer für die Verwendung als Wurst-, Quark- oder Frischkäseersatzstoff geeigneten Festigkeit der Substanz erforderte lediglich ein Experimentieren, wie es Fachleute der hier maßgeblichen Art üblicherweise vorzunehmen gewohnt sind.
78
4. Hilfsantrag 4 konkretisiert die Zutaten dahingehend, dass als Öl Pflanzenöl und als Säuerungsmittel Zitrussaft verwendet werden sollen. Beide Zutaten sind nach dem Almonaise-Rezept aus K2 bekannt, das Distelöl und den Saft der Zitrus- frucht Zitrone vorsieht. Das zu dem Säuerungsmittel genannte Gewichtsverhältnis begründet keine erfinderische Qualität. Auch hier gilt, dass von dem Fachmann erwartet werden konnte, optimale Gewichtsverhältnisse in einer Rezeptur durch Ausprobieren herauszufinden.
79
5. Hilfsantrag 5 stellt als weitere Konkretisierung der Zutaten auf eine Verwendung von Sonnenblumenöl ab und gibt als zusätzliches Merkmal einen pH-Wert des Erzeugnisses von etwa 4,5 an. Weder die Auswahl unter verschiedenen pflanzlichen Ölen bei der Entwicklung einer neuen Rezeptur noch die Erzielung des vorgeschlagenen pH-Wertes bei einem Nahrungsmittel, dessen längerfristige Haltbarkeit üblicherweise und hier auch patentgemäß bereits durch eine Pasteurisierung gesichert werden soll, verlangt eine sein Fachwissen und Können übersteigende erfinderische Tätigkeit des Fachmanns. Eine solche ist von der Beklagten auch nicht geltend gemacht worden. Wegen der die Viskosität betreffenden weiteren Präzisierung wird auf die Ausführungen zum Hilfsantrag 1B verwiesen.
80
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs.2 Satz 2 PatG i.V. mit §§ 91, 92, 97 ZPO.
Scharen Gröning Berger
Grabinski Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 03.04.2008 - 3 Ni 33/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 21


(1) Das Patent wird widerrufen (§ 61), wenn sich ergibt, daß 1. der Gegenstand des Patents nach den §§ 1 bis 5 nicht patentfähig ist,2. das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann,3. der w

Patentgesetz - PatG | § 4


Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese

Patentgesetz - PatG | § 3


(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung od

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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Nov. 2013 - X ZR 96/10

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 96/10 verkündet am: 26. November 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgeric

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 8 1 / 1 3 Verkündet am: 13. Januar 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 159/98 Verkündet am:
19. Juni 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
"zipfelfreies Stahlband"
Wird das geschützte Erzeugnis im Patentanspruch durch das Verfahren seiner
Herstellung gekennzeichnet, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln
, ob und inwieweit sich aus dem angegebenen Herstellungsweg durch
diesen bedingte Merkmale des daraus erhaltenen Erzeugnisses ergeben, die
das Erzeugnis als anspruchsgemäß qualifizieren.
BGH, Urt. v. 19. Juni 2001 - X ZR 159/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter
Dr. Melullis, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 3. März 1998 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert : Das deutsche Patent 38 03 064 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche folgende Fassung erhalten: 1. Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten: 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, vorzugsweise 0,03-0,048 % Kohlenstoff , 0,01 bis 0,40 % Silizium, 0,10 bis 0,80 % Mangan, 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 0,005 bis 0,02 % Schwefel, max. 0,009 % Stickstoff, 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 0,01 bis 0,04 % Titan, max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer, Vanadium, Nickel, Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Titangehalt auf mindestens dem Vierfachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird, bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird, indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt und das

3

Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt, anschließend kaltgewalzt und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund unterhalb A ge-

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glüht wird, wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (Epsilon) erfolgt:
ca. 0,01 % Titan: Epsilon 20 bis 60 %, vorzugsweise 30 bis 50 %,
ca. 0,02 % Titan: Epsilon 10 bis 15 % oder Epsilon 40 bis 85 %, vorzugsweise 50 bis 80 %,

ca. 0,03 % Titan: Epsilon 5 bis 25 %, vorzugsweise 10 bis 20 %, oder Epsilon 50 bis 85 %, vorzugsweise 60 bis 80 %,
ca. 0,04 % Titan: Epsilon 15 bis 25 %, vorzugsweise 20 %, oder Epsilon 55 bis 80 %, vorzugsweise 60 bis 70 %.
2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem nach dem rekristallisierenden Glühen mit einem Umformgrad von ca. 1 % dressiert wird.
3. Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl in der gegebenen Zusammensetzung und hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 oder 2 mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 %.
4. Verwendung eines gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 hergestellten Bleches oder Bandes für das zipfelarme Tiefziehen, vorzugsweise von rotationssymmetrischen Teilen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu ¾ der Klägerin und zu ¼ der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. Januar 1988 angemeldeten deutschen Patents 38 03 064 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl sowie ein zum Tiefziehen geeignetes kaltgewalztes Blech oder Band aus Stahl und dessen Verwendung betrifft.
In einem Einspruchsverfahren, an dem auch die Klägerin beteiligt gewesen ist, hat das Bundespatentgericht das Streitpatent beschränkt aufrechterhalten (Beschl. v. 26.07.1994, 13 W (pat) 103/92). Wegen des Wortlauts der Ansprüche in der aufrechterhaltenen Fassung wird auf die geänderte Patentschrift (C-2-Schrift) Bezug genommen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, da er nicht neu sei und nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht hat sie das Streitpatent nur noch beschränkt verteidigt. Danach sollten die Patentansprüche wie folgt lauten:
1. Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten:
0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, vorzugsweise 0,03-0,048 % Kohlenstoff , 0,01 bis 0,40 % Silizium, 0,10 bis 0,80 % Mangan, 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 0,005 bis 0,02 % Schwefel, max. 0,009 % Stickstoff, 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 0,01 bis 0,04 % Titan, max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer, Vanadium, Nickel, Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5fachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird,
bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird, indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt und zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt und das

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Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt, anschließend kaltgewalzt und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund unterhalb A ge-

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glüht wird, wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (e) erfolgt: ca. 0,01 % Titan: e 20 bis 60 %, vorzugsweise 30 bis 50 %, ca. 0,02 % Titan: e 10 bis 15 % oder e 40 bis 85 %, vorzugswei- se 50 bis 80 %,
ca. 0,03 % Titan: e 5 bis 25 %, vorzugsweise 10 bis 20 %, oder e 50 bis 85 %, vorzugsweise 60 bis 80 %, ca. 0,04 % Titan: e 15 bis 25 %, vorzugsweise 20 %, oder e 55 bis 80 %, vorzugsweise 60 bis 70 %.
2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem nach dem rekristallisierenden Glühen mit einem Umformgrad von ca. 1 % dressiert wird.
3. Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl in der gegebenen Zusammensetzung und hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 oder 2 mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 %.
4. Verwendung eines gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 hergestellten Bleches oder Bandes für das zipfelarme Tiefziehen, vorzugsweise von rotationssymmetrischen Teilen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent unter Klageabweisung im übrigen dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche die verteidigte Fassung erhalten haben; sein Urteil ist in BPatGE 40, 104 veröffentlicht.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen. Für den Fall, daß das Streitpatent mit den ihm durch das angefochtene Urteil gegebenen Ansprüchen keinen Bestand haben sollte, verteidigt sie das Streitpatent hilfsweise mit diesem Anspruchssatz mit der Maßgabe, daß die Einstellung des Titangehalts in Anspruch 1 mit mindestens dem Vierfachen (statt 3,5fachen) des Stickstoffgehalts angegeben wird.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. rer. nat. G. G. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten des Prof. Dr.-Ing. habil. L. M. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Mit den in erster Instanz verteidigten Ansprüchen ist das Streitpatent nicht patentfähig. Der Senat hat jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, daß das Streitpatent auch mit den hilfsweise verteidigten Ansprüchen nicht patentfähig und daher insgesamt für nichtig zu erklären ist (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4, 21 Abs. 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 PatG).
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Stahlbleches oder -bandes mit guter Umformbarkeit sowie ein zum Tiefziehen geeignetes kaltgewalztes Stahlblech oder -band und dessen Verwendung.
Hinsichtlich der allgemeinen Grundlagen der in Streit stehenden Erfindung ist nach den Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen und dem unstreitigen Vorbringen der Parteien zunächst von Folgendem auszugehen:
Mit der plastischen Verformung von Kristallen ist je nach Art der Verformung eine charakteristische Ä nderung der Kristallorientierung verbunden. Durch die Ä nderung der Orientierungen beim Walzen wird eine ursprünglich regellose Orientierungsverteilung in eine nicht-regellose, für Material und Umformvorgang typische Verteilung überführt, so daß einige Orientierungen besonders häufig, andere Orientierungen dagegen seltener vorkommen. Die Häufigkeitsverteilung von Orientierungen wird auch als Textur bezeichnet; sie ändert sich durch Rekristallisation in charakteristischer Weise.
Die Ausbildung einer nichtregellosen Textur hat Konsequenzen für die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs, insbesondere bei der Blechumformung. Unterwürfe man einen einzelnen Kristalliten aus einem vielkristallinen Werkstoff in unterschiedlichen Richtungen einer Zugbelastung, so wären die entsprechenden Spannungs-Dehnungs-Diagramme verschieden; in manchen Richtungen erscheint der Kristallit weicher, in anderen härter. Liegt deshalb in einem Vielkristall eine ausgeprägte Textur vor, so verformt sich das Material nicht in allen Richtungen einheitlich (Anisotropie). Ausgeprägte Texturen bringen Schwierigkeiten für die Blechumformung mit sich.

Die Auswirkungen der Textur auf die Blechumformung lassen sich durch die Bestimmung des r-Wertes und des Dr-Wertes abschätzen. Bei der Blechumformung ist ein möglichst leichter Materialfluß parallel zur Blechoberfläche und ein möglichst erschwerter Materialfluß senkrecht zur Blechoberfläche , also in Blechdicke, wünschenswert. Auskunft darüber gibt der r-Wert, für den nach einer Zugverformung parallel zur Blechrichtung die Dehnung in den dazu senkrechten Richtungen, also parallel zur Blechdicke und parallel zur Blechoberfläche (senkrecht zur Blechdicke), gemessen wird. Ein großer r-Wert ist für die Blechumformung von Vorteil, weil ein erschwertes Fließen in Blechdicke eine schnelle Dickenabnahme beim Umformen verhindert, was der Gefahr einer Rißeinleitung entgegenwirkt. Zur Bestimmung des r-Wertes wird üblicherweise aus dem Blech eine Probe so herausgeschnitten, daß die Zugrichtung senkrecht zur Walzrichtung liegt. Da eine einzelne Richtung in der Blechebene keinen Aufschluß darüber geben kann, wie der r-Wert unter einem anderen Winkel zur Walzrichtung aussehen würde, wird zur Bestimmung der Schwankung des r-Wertes in der Blechebene (planaren Anisotropie) der Dr- Wert bestimmt, indem man Zugproben parallel und senkrecht zur Walzrichtung und unter einem Winkel von 45° dazu ausschneidet, die jeweiligen r-Werte bestimmt und nach der Formel Dr = (r - 2r + r )/2 berechnet. 0 45 90
Eine planare Anisotropie, derzufolge bei der Blechumformung das Material nicht in allen Richtungen des Bleches gleich gut fließt, schlägt sich in einer Unebenheit der Ränder nieder und führt bei rotationssymmetrischen Ausgangsblechen zur Bildung von Zipfeln. Diese Zipfel sind zum einen nachteilig, weil sie in einem nachfolgenden Arbeitsgang entfernt werden müssen, wodurch
auch Material verlorengeht, zum anderen, weil sie zu einer uneinheitlichen Blechdicke des hergestellten Bauteils führen.
Wie die Streitpatentschrift erläutert, wird daher zum Tiefziehen von rotationssymmetrischen Stahlteilen möglichst texturfreies kaltgewalztes Band oder Blech eingesetzt, damit ein quasi-isotropes Umformen möglich und das gezogene Teil möglichst zipfelfrei ist.
In der Zeitschrift "Blech, Rohre, Profile" 9/1977, S. 341 ff. (Anl. P 3) wird von Singer die Ursache für die Zipfelbildung beschrieben und ein Maß für die relative Zipfelhöhe Z sowie die ebene Anisotropie Dr definiert, für die jeweils Ergebnisse mit dem Wert Null (zipfelfreies Material) ideal wären. Für die in der Vorveröffentlichung erwähnten Stähle lasse sich jedoch, so die Streitpatentschrift weiter, zipfelfreies Material nur durch (mit einer zweimaligen Gefügeumwandlung verbundenes) Normalglühen des kaltgewalzten Bandes in einer Durchlaufglühe bei etwa 1000 ° C erreichen, wobei im Endzustand eine Korngröße ASTM 8 (Korngrößenklasse der American Society for Testing of Materials ) bei einer relativen Zipfelhöhe von 0,3 bis 0,4 % und Dr ca. ± 0,1 erzielt werde. Für nicht normalisierend geglühtes Band sei nur ein zipfelarmer Zustand durch Kompromisse bei der Verfahrensführung erreichbar, wobei die Walzendtemperaturen bei ca. 750 ° C und die Kaltwalzgrade entweder unter 25 % oder über 80 % liegen sollten; auch solle mit für die Zipfeligkeit als ungünstig bezeichneten Rekristallisationstemperaturen von über 600 ° C gearbeitet werden.
Hieraus und aus den Angaben der Patentschrift zur Aufgabe der Erfindung ergibt sich das technische Problem, ein Stahlblech und ein Verfahren zu
seiner Herstellung vorzuschlagen, das zumindest weitgehend zipfelfrei und auch im übrigen tiefziehgeeignet ist und kostengünstig unter Verzicht auf Normalglühen produziert werden kann.
Die in den verteidigten Ansprüchen 1 und 3 angegebenen erfindungsgemäßen Lösungen lassen sich wie folgt gliedern:
Anspruch 1: Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalzten Bleches oder Bandes mit guter Umformbarkeit
1. aus Stahl mit folgender Zusammensetzung in Gewichtsprozenten :
1.1 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, 1.2 0,01 bis 0,40 % Silizium, 1.3 0,10 bis 0,80 % Mangan, 1.4 0,005 bis 0,08 % Phosphor, 1.5 0,005 bis 0,02 % Schwefel, 1.6 max. 0,009 % Stickstoff, 1.7 0,015 bis 0,08 % Aluminium, 1.8 0,01 bis 0,04 % Titan, 1.9 max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer , Vanadium, Nickel, 1.10 Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
1.11 wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5-fachen des Stickstoffgehalts eingestellt wird,

2. bei dem eine Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau eingestellt wird,
2.1 indem die Bramme auf oberhalb 1120 ° C erwärmt,
2.2 zu Warmband bei einer Walzendtemperatur oberhalb des Ar -Punktes ausgewalzt,

3


2.3 das Band bei 520 ± 100 ° C gehaspelt,
2.4 anschließend kaltgewalzt,
2.4.1 wobei die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit nachstehenden Umformgraden (e) erfolgt: ca. 0,01 % Titan: e 20 - 60 % ca. 0,02 % Titan: e 10 - 15 oder 40 - 85 %, ca. 0,03 % Titan: e 5 - 25 oder 50 - 85 %, ca. 0,04 % Titan: e 15 - 25 oder 55 - 80 %,
2.5 und nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund geglüht wird,
2.5.1 unterhalb der Temperatur A (721 ° C).

1


Anspruch 3: Zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band aus Stahl
A. mit der Zusammensetzung
A.1 0,02 bis 0,06 % Kohlenstoff, A.2 0,01 bis 0,40 % Silizium, A.3 0,10 bis 0,80 % Mangan, A.4 0,005 bis 0,08 % Phosphor, A.5 0,005 bis 0,02 % Schwefel, A.6 max. 0,009 % Stickstoff, A.7 0,015 bis 0,08 % Aluminium, A.8 0,01 bis 0,04 % Titan, A.9 max. 0,15 % von einem oder mehreren der Elemente Kupfer , Vanadium, Nickel, A.10 Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen,
A.11 wobei der Titangehalt auf mindestens dem 3,5-fachen des Stickstoffgehalts eingestellt ist,
B. mit einer Ferritkorngröße feiner als ASTM 7 für einen Titangehalt von ca. 0,01 % und feiner als ASTM 9 für Titangehalte von 0,015 bis 0,04 % und
C. hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1.
Die Erfindung wird von der Streitpatentschrift dahin erläutert, daß bei Anwendung der erfindungsgemäßen Brammen-, Glüh-, Walz- und Haspeltemperaturen (Merkmale 2.1 bis 2.3) für den genannten Stahl (Merkmal 1) ein rekristallisierendes Glühen eines Bundes im Haubenofen (Merkmal 2.5) ausrei-
che, um dem Stahlband hervorragende Tiefzieheigenschaften, insbesondere eine extreme Zipfelarmut, zu geben. Die üblicherweise beim Stand der Technik für den Stahl St 4 Nz oder RSt 14 durch Normalisieren erreichten Werte der Korngröße von bestenfalls ASTM 8 könnten durch rekristallisierendes Glühen unterschritten werden, wobei zusätzlich durch die vom Titangehalt abhängige Wahl entsprechender Kaltwalzgrade (Merkmal 2.4.1) eine niedrige Streckgrenze (R , definiert als der Spannungswert, bei dem nach Entlastung eine Deh- p0.2 nung von 0,2 % verbleibt) beibehalten werden könne. Das ist im Sinne von - für eine leichte und hohe Verformbarkeit vorteilhaften - relativ niedrigen Werten zu verstehen, denn nach Darstellung der Streitpatentschrift hat sich überraschend gezeigt, daß den "zipfelfreien" Umformgraden jeweils ein bestimmtes Zugfestigkeits - und Streckgrenzenniveau zugeordnet werden konnte und die größte Zipfeligkeit bei der niedrigsten Streckgrenze/Zugfestigkeit festzustellen war (Merkmal 2). Ursachen für die günstigen Eigenschaften des erzeugten Blechs sieht die Streitpatentschrift ferner in der frühzeitigen Bildung von Titannitrid (Merkmale 1.8 und 1.11), die verhindere, daß während des rekristallisierenden Glühens ein nachfolgend noch näher erläutertes "pancake-Gefüge" durch Aluminiumnitrid -Ausscheidungen entstehen könne, sowie in durch die Wahl niedriger Haspeltemperaturen überraschend erzielten Warmbandqualitäten, die nach dem Kaltwalzen ein zipfelfreies Material gewährleisteten und eine zusätzliche Kornverfeinerung ermöglichten.
II. Anspruch 1 des Streitpatents in der von der Beklagten verteidigten Fassung des angefochtenen Urteils ist neu.
1. Als von der Streitpatentschrift angesprochenen Fachmann hat das Bundespatentgericht zutreffend einen mit der Herstellung und Entwicklung von
tiefziehfähigem Kaltband befaßten Diplomingenieur mit Hochschulausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung angesehen. Der gerichtliche Sachverständige hat dies dahin ergänzt, daß es sich in der Regel nicht um einen Physiker oder Metallkundler, sondern einen diplomierten (oder auch promovierten) Ingenieur mit eisenhüttenkundlicher Hochschulausbildung handele.
2. Der auf dem Symposium "Warmband für Kaltwalzer" gehaltene Vortrag "Kaltband mit globularem Gefüge" von Bleck/Hübner (Anl. 5 = D 1) nimmt die Lehre des Streitpatents trotz weitgehender Übereinstimmung nicht vollständig vorweg. Es wird dort beschrieben, daß aufgrund der Vorteile der Stranggußtechnik weltweit vermehrt eingesetzte Aluminium-beruhigte Stähle bei der normalen Warmband-Temperaturführung am haubengeglühten Kaltband ein gestrecktes, verhältnismäßig grobes Korn bildeten (sog. pancake-Gefüge). Dieses Gefüge und die damit verbundene Textur seien, obwohl an sich für hohe Umformansprüche sehr vorteilhaft, wegen der Ausbildung einer aufgerauhten Oberfläche ("Orangenhaut") dann unerwünscht, wenn wie z.B. bei Batteriehülsen eine dekorative Oberfläche gefordert sei. Die Autoren schildern die Entwicklung neuer, Al-beruhigter Stähle, die auf der Erkenntnis beruhe, daß sich ein pancake-Gefüge nur bilde, wenn bei der Rekristallisation des kaltgewalzten Stahls feine Aluminiumnitride ausgeschieden würden, die zu einer Gefügeanisotropie und zu einer Texturbeeinflussung führten. Daraus ergebe sich die Aufgabe, die zur Alterungsbeständigkeit notwendige Stickstoffabbindung einem anderen Legierungspartner als Aluminium zu überlassen. Die NAffinität der untersuchten Nitridbildner Bor, Aluminium, Titan nehme in dieser Reihenfolge zu (B/N = 0,77; Al/N = 1,93; Ti/N = 3,42). Sowohl mit stöch. stöch. stöch. einer Ti- als auch mit einer B-Legierung könne die pancake-Bildung im Kaltband unterdrückt werden. Neben für eine Umformung günstigen mechanischen
Eigenschaften des Warmbandes sei der Vorteil der neu entwickelten Stähle in ihrem feinen globularen Gefüge zu sehen. Die Korngröße des Kaltbandes sei dabei stark vom Kaltwalzgrad abhängig; eine Korngröße ³ 9 werde ab einem Kaltwalzgrad von ca. 50 % erzielt. Das feine Gefüge führe allerdings insbesondere beim Ti-legierten Stahl zu einem höheren Streckgrenzenniveau.
Die Zusammensetzung des untersuchten Stahls St 14 (Ti) entspricht derjenigen in Merkmal 1 des Streitpatents. Zwar ist sie in der Druckschrift selbst nicht angegeben; der Fachmann konnte sie jedoch z.B. in der vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute herausgegebenen Stahl-Eisen-Liste 1981, in der die in der Bundesrepublik Deutschland hergestellten Stahlsorten mit ihrem Kurznamen und ihrer chemischen Zusammensetzung angegeben sind (Anl. 12 S. 30), nachsehen und liest sie insofern mit, wenn der untersuchte Stahl mit dem Kürzel St 14 bezeichnet wird.
Die Einhaltung des Merkmals 1.11 folgt aus dem Zusammenhang der Vorveröffentlichung. Zwar ist zu Vergleichszwecken ein unterstöchiometrisch legierter Ti-Stahl untersucht worden, von dem auf S. 7 gesagt wird, daß es bei ihm nach einer Teilrekristallisation zu einer Verzögerung bei der Rekristallisation infolge AlN-Ausscheidung komme. Eine solche Rekristallisationsverzögerung wird der Fachmann jedoch wegen der dadurch nötigen längeren Glühzeit ohne weiteres als nachteilig ansehen. Wenn der Vortrag mit dem Satz schließt, es bleibe festzuhalten, daß im Vergleich zum klassischen Kaltband mit keiner Rekristallisationsverzögerung bei den neu entwickelten Stählen zu rechnen sei, ergibt sich, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, hieraus für den Fachmann, daß die unterstöchiometrische Legierung des Ti-Stahls nur zur Verdeutlichung der Zu-
sammenhänge erfolgt ist, tatsächlich jedoch vermieden werden soll. Auch den Hinweis der Schrift auf die höhere Streckgrenze des titanlegierten Stahls wird der Fachmann nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht dahin verstehen , daß sich deswegen ein unterstöchiometrisches Titan-StickstoffVerhältnis empfehle.
Zwischen einer stöchiometrischen Einwaage und dem im Streitpatent angegebenen Verhältnis von Ti/N ³ 3,5 kann, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, gleichfalls kein sachlicher Unterschied gesehen werden, da der Fachmann zur Sicherstellung einer vollständigen Abbindung stets geringfügig überdosieren wird.
Eine Stoßofentemperatur von 1250 ° C (und damit eine Erwärmung der Bramme auf oberhalb 1120 ° C, Merkmal 2.1) wird auf S. 3 als üblich bezeichnet. Aufgrund dieser von dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigten Üblichkeit würde der Fachmann einen Hinweis erwarten, wenn diese Temperatur bei der Herstellung der geschilderten Stähle trotz ihrer ausdrücklichen Erwähnung nicht angewandt werden soll. Der Fachmann wird eine solche Temperatur daher als nach der Druckschrift auch für das geschilderte Verfahren sinnvoll und angebracht ansehen.
Die Walzendtemperatur (Merkmal 2.2) ist nicht explizit angegeben. Die Klägerin hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, daß es den Normalfall darstellt , das Warmwalzen bei einer Temperatur oberhalb Ar , bei der austeniti-

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sches (g) in ferritisches (a) Gefüge übergeht, zu beenden. Daher bedurfte dies für den Fachmann als selbstverständlich keiner besonderen Erwähnung; auch das hat der Sachverständige bestätigt.

Nach dem Haspeln wird das Band kaltgewalzt (Merkmal 2.4) und entsprechend Merkmal 2.5 nach dem Kaltwalzen rekristallisierend im Bund geglüht (S. 1).
Daß die Kaltwalzung in Abhängigkeit vom Titangehalt mit den in Merkmal 2.4.1 angegebenen Umformgraden erfolgen solle, sagt die Schrift in dieser Form zwar nicht. Sie erwähnt und stellt in Bild 6 jedoch Kaltwalzgrade von ³ 50, insbesondere einen Kaltwalzgrad von 60 % dar, den Merkmal 2.4.1 des Streitpatents für sämtliche angegebenen Titangehalte zuläßt.
Nicht vorgegeben sind hingegen eine Haspeltemperatur von 520 ± 100 ° C (Merkmal 2.3), die Ausführung des rekristallisierenden Glühens bei einer Temperatur unterhalb A (721 ° C) (Merkmal 2.5.1) und die Einstellung

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von Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut bei einem hohen Streckgrenzenniveau.
3. Die von der Klägerin gleichfalls als neuheitsschädlich angesehene japanische Offenlegungsschrift Sho 59-67321 (Anl. 11/11 a = D 6) nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht vorweg.
Versuchsbrammen der Stähle mit der in Tabelle 1 angegebenen, Merkmal 1 entsprechenden Zusammensetzung wurden allerdings zu Vergleichszwecken teils auf 1200 ° C, teils auf eine niedrigere Temperatur von 1060 ° C erwärmt. Obwohl die Schrift die höhere, Merkmal 2.1 entsprechende Erwärmung verwirft, ist sie gleichwohl beschrieben und damit dem Fachmann offenbart. Die Brammen wurden bei einer Fertigtemperatur von 850 - 900 ° C warm-
gewalzt (Merkmal 2.2), bei unterschiedlichen, bevorzugt zwischen 300 und 540 ° C liegenden Temperaturen gehaspelt (Merkmal 2.3), anschließend mit einem Kaltwalzgrad von 75 % bei ca. 0,03 % Titan kaltgewalzt (Merkmale 2.4 und 2.4.1) und geglüht.
Die Glühung erfolgte jedoch nicht im Bund, sondern im Durchlauf bei einer Temperatur von 820 ° C (entgegen Merkmalen 2.5 und 2.5.1).
4. Die übrigen von den Parteien diskutierten Schriften liegen weiter ab vom Gegenstand des Streitpatents und sind ebensowenig neuheitsschädlich. Das hat der Sachverständige bestätigt, und auch die Klägerin macht nichts Gegenteiliges mehr geltend. Sie bedürfen daher an dieser Stelle keiner Erörterung.
III. Die technische Lehre des verteidigten Anspruchs 1 war dem Fachmann jedoch durch den Stand der Technik nahegelegt. Es bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit, um von der Entgegenhaltung D 1 zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents zu gelangen.
Der Fachmann mußte hierzu nur bei der Nacharbeitung des in der Druckschrift beschriebenen titanlegierten Stahls eine Haspeltemperatur im Bereich von 520 ± 100 ° C (Merkmal 2.3) wählen und das rekristallisierende Glühen bei einer Temperatur unterhalb des Punktes A (721 ° C) ausführen (Merk-

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mal 2.5.1). Beides bot sich ihm nach seinem allgemeinen Fachwissen und seiner praktischen Erfahrung an.
1. Zur Haspeltemperatur heißt es in der Entgegenhaltung, die Aluminiumnitridbildung setze erst im Coil ein bzw. werde bei Haspeltemperaturen < 600 ° C sogar vollständig unterdrückt (S. 3 unten). Wie die Beklagte zu Recht vorbringt und der Sachverständige bestätigt hat, ist dem allerdings nicht die Anweisung an den Fachmann zu entnehmen, das Band bei einer unter 600 ° C liegenden Temperatur zu haspeln. Denn der Satz steht im Zusammenhang mit der Erörterung der Ausscheidungstemperatur der untersuchten Nitridbildner B, Al und Ti: bei der üblichen Stoßofentemperatur von 1250 ° C gingen alle Bornitride in Lösung, während die Titannitride noch weitestgehend ausgeschieden seien; in der Warmbandstraße finde dann die BN-Bildung bereits im Austenit in einem weiten Temperaturbereich statt, während die AlN-Ausscheidung auf ein engeres Temperaturintervall zwischen 650 und 850 ° C beschränkt sei und bevorzugt erst im Ferrit erfolge. Es werden insoweit nur, wie der Sachverständige ausgeführt hat, die metallkundlichen Grundlagen der beschriebenen Stahlherstellung referiert. Bei einer stöchiometrischen Titanlegierung besteht wegen der TiN-Ausscheidung tatsächlich keine Notwendigkeit, eine Aluminiumnitridbildung im Coil zu unterdrücken.
Andererseits entnimmt der Fachmann der Druckschrift in diesem Zusammenhang entgegen dem Vorbringen der Beklagten auch nicht den Hinweis, das Warmband bei einer höheren Temperatur zu haspeln, um ein weicheres Warmband zu produzieren, auf das bei der anschließenden Kaltverformung ein geringerer Druck aufgebracht werden muß und das ein Kaltband mit niedrigerer Streckgrenze ergibt. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen können hohe Haspeltemperaturen zwar für einen gewünschten weichen Stahl gewählt werden, der Fachmann wird bei einem kaltzuwalzenden
Band jedoch das Gefüge als die entscheidende Größe ansehen und deswegen eine hohe Haspeltemperatur als bloße Möglichkeit betrachten.
Die Haspeltemperatur wird vom Fachmann, wie der Sachverständige weiter dargelegt hat, typischerweise experimentell bzw. anhand von Erfahrungswerten bestimmt. Gegen eine hohe Temperatur kann dabei die sich hieraus ergebende Kornvergrößerung sprechen. Der im Streitpatent angegebene Bereich liegt nach den Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen dessen , was der Fachmann üblicherweise in Betracht ziehen und erproben wird. Eine Bestätigung findet dies etwa in der Abhandlung "Strain hardening of highstrength steels" (Anl. 7 = D 3), in der die Haspeltemperatur mit 580 ° C angegeben wird, ebenso wie in der japanischen Offenlegungsschrift Sho 59-67321 (Anl. 11/11 a = D 6), die Haspeltemperaturen von 300 bis 540 ° C erwähnt, die sie einer "hohen Haspeltemperatur" von 650 ° C oder darüber gegenüberstellt (S. 2 - 5 der Übersetzung).
2. Das rekristallisierende Glühen bei einer Temperatur unterhalb des Punktes A , bei dem das ferritische Gefüge in das austenitische übergeht, aus-

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zuführen, lag für den Fachmann gleichfalls nahe. Denn er wählte, wie der Sachverständige erläutert hat, die Glühtemperatur so, daß er einerseits eine vollständige Rekristallisation erreichte, andererseits negative Effekte wie ein unerwünschtes Kornwachstum möglichst vermied. Wegen der Texturschädlichkeit der Gefügeumwandlung glühte er daher im allgemeinen unterhalb des Übergangs zum Austenit. Die Druckschrift D 1 gab dem Fachmann keinen Hinweis , daß bei der Herstellung des beschriebenen titanlegierten Stahls etwas anderes sinnvoll sein könne.
3. Damit legte die Schrift dem Fachmann in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen und seiner praktischen Erfahrung die Gesamtkombination der Merkmale des verteidigten Anspruchs 1 nahe. Daß Zipfelfreiheit oder Zipfelarmut bei hohem Streckgrenzenniveau (Merkmal 2) nicht erwähnt sind, ist dabei unerheblich. Denn sie sollen sich nach dem Streitpatent durch die Einhaltung der in den Merkmalen 2.1 bis 2.5.1 ergebenden Parameter bei der Herstellung eines Stahlbandes mit der Zusammensetzung nach Merkmal 1 ergeben und sind daher ebenso notwendige Folge des nahegelegten Herstellungsverfahrens.
IV. Dagegen hat der Senat nicht die Überzeugung gewonnen, daß es keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um vom Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrages der Beklagten zu gelangen.
1. Von der mit dem Hauptantrag verteidigten Anspruchsfassung unterscheidet sich diese dadurch, daß nach Merkmal 1.11' der Titangehalt auf mindestens das Vierfache des Stickstoffgehalts eingestellt wird. Gegen eine solche Anspruchsfassung, die eine Beschränkung gegenüber der Mindestangabe in der primär verteidigten Anspruchsfassung darstellt und den ursprungsoffenbarten Ausführungsbeispielen des Streitpatents entspricht, die den Titangehalt gleichfalls mit mindestens dem Vierfachen des Stickstoffgehalts angeben, bestehen keine Bedenken.
Mit dieser Anspruchsfassung ist ein Verfahren bezeichnet, bei dem der Titangehalt ausgeprägt überstöchiometrisch eingestellt wird, so daß sich durch die Bildung von Titankarbid die Streckgrenze erhöht und der Stahl härter wird.

2. Der Vortrag Bleck/Hübner (D 1) konnte dem Fachmann das so umschriebene Herstellungsverfahren nicht nahelegen.
Zwar hat der Sachverständige das Vorbringen der Klägerin bestätigt, daß der Fachmann, dem es um eine zuverlässige Bindung des Stickstoffs zu tun ist, in der Praxis etwas überstöchiometrisch einwiegen möge. Auch wenn unter diesem Gesichtspunkt mit der Klägerin eine Überdosierung um 10 bis 15 % in Betracht gezogen wird, ergibt sich hieraus jedoch lediglich ein Titangehalt, der das 3,76- bis 3,93fache des Stickstoffgehalts beträgt. Der beanspruchte Gehalt liegt darüber.
Der Fachmann entnimmt der Druckschrift D 1 zwar, wie ausgeführt, daß eine unterstöchiometrische Einstellung des Titangehalts wegen der hierdurch verursachten Verzögerung der Rekristallisation nicht sinnvoll ist. Andererseits fehlt jedoch jede Anregung, Titan gezielt und ausgeprägt überstöchiometrisch in einem Maße einzuwiegen, welches deutlich über das hinausgeht, was zur sicheren Vermeidung eines unterstöchiometrischen Verhältnisses angemessen ist. Nach dem Inhalt der Druckschrift erscheint dies dem Fachmann vielmehr, wie der Sachverständige bestätigt hat, nachteilig, da er die Titanlegierung zwar benötigt, um die gewollte Unterdrückung der pancake-Bildung zu erreichen, dies jedoch nach der Entgegenhaltung D 1 nur um den Preis erreicht wird, daß die Streckgrenzen des beschriebenen Stahl St 14 (Ti), wie auf S. 6 angegeben, insgesamt auf einem an sich unerwünscht höheren Niveau liegen. Aufgrund des feineren Korns seien, so heißt es dort, höhere Dressiergrade zur Beseitigung der Streckgrenzendehnung und zum Erreichen des Streckgrenzenminimums notwendig; für das in Bild 9 gezeigte Beispiel bedeute das konkret, daß
beim Einsatz von St 14 (Ti) anstelle von St 14 der Dressiergrad von 0,5 auf 1,5 % habe angehoben werden müssen und daß im ausdressierten Zustand mit einem um 40 Newton/mm2 höheren Streckgrenzenniveau gerechnet werden müsse. Das entspricht der vom Sachverständigen bestätigten Lehrmeinung zum Prioritätszeitpunkt, für tiefziehgeeignete Bleche eine niedrige Streckgrenze anzustreben, und muß den Fachmann von einer ausgeprägten überstöchiometrischen Titaneinwaage abhalten, von der eine noch höhere Streckgrenze zu erwarten ist.
Aufgrund dessen wird der Fachmann eine solche überstöchiometrische Einwaage auch nicht deshalb erwägen, weil sonst im Stand der Technik höhere Titangehalte erwähnt werden, wie etwa in der Abhandlung "Verbesserung der Eigenschaften von Warmbreitband aus weichem unlegiertem Stahl" in Stahl und Eisen 106 (1986) S. 122 ff. (Anl. 10 = D 5), wo gesagt wird, bei Ti-haltigem Stahl werde das Ti/N-Verhältnis im Bereich zwischen 2 und 4 angestrebt. Denn das ändert nichts daran, daß aus diesem - ohnehin sehr ungenauen - Bereich dem Fachmann bei der Herstellung des titanlegierten Stahls, zum dem ihn die Druckschrift D 1 anregt, nur ein stöchiometrisches Titan-Stickstoff-Verhältnis brauchbar erscheinen wird und er deshalb ein Verhältnis 2:1 ebenso verwerfen wird wie ein Verhältnis gleich oder größer 4:1.
3. Auch im übrigen kann nicht festgestellt werden, daß das Verfahren nach Anspruch 1 in der hilfsweise verteidigten Fassung durch den Stand der Technik nahegelegt worden ist.

a) In einem weiteren Vortrag von Bleck/Hübner mit dem Titel "Kaltband mit besonderen Tiefzieheigenschaften" (Anl. 5 c) wird geschildert, daß es bei
der üblichen Herstellweise von Tiefziehblechen zur Ausbildung einer planaren Anisotropie komme, die beim Tiefziehen zur Zipfelbildung führen könne. Durch geeignete Maßnahmen sei es möglich, die planare Anisotropie zu minimieren und sogar vollständig zu unterdrücken. Dazu gehöre zunächst der Kaltwalzgrad. Kaltwalzgrade über 70 % könnten die planare Anisotropie verringern, seien aber nicht in allen Fällen technisch machbar. Auch bei Kaltwalzgraden von etwa 30 bis 40 % sei der r-Wert nahezu richtungsunabhängig, nachteilig seien jedoch ein geringes r-Wert-Niveau und das sich beim rekristallisierenden Glühen einstellende grobe Gefüge. Sondermaßnahmen wie geänderte Temperaturführung beim Warmbandwalzen, Warmbandglühen oder ein Legieren mit stickstoffaffinen Elementen könnten die Differenzen in der r-Wert-Charakteristik deutlich verkleinern. In diesem Zusammenhang wird ein Bor-legierter Stahl als günstige Alternative zu einem vakuumentkohlten Sonderstahl mit überstöchiometrisch zulegiertem Titan (IF-Stahl) zur Herstellung von gut umformbarem Kaltband mit geringer planarer Anisotropie empfohlen.
Die Aussagen über einen Bor-legierten Stahl lassen sich jedoch, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, nicht ohne weiteres auf einen Titan -legierten Stahl übertragen. Gegen eine solche Übertragung spricht auch, daß der Vortrag selbst zwar auch einen Titan-legierten Stahl erwähnt, jedoch nur als vakuumentkohlten Sondertiefziehstahl und gerade nicht als Alternative zu einem Bor-legierten Stahl im Zusammenhang mit der Vermeidung planarer Anisotropie und daraus sich ergebender Zipfelbildung. Im übrigen fehlen auch hier Hinweise auf eine überstöchiometrische Boreinwaage; vielmehr wird eingangs des Textes (S. 2) darauf hingewiesen, daß die chemische Zusammensetzung des Stahls so zu wählen sei, daß die festigkeitssteigernden Elemente möglichst minimiert würden.


b) Der Schlußbericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften "Recristallisation des tôles d'aciers extra-doux durcies" (D 9) gelangt zu dem Ergebnis, daß die endgültigen Eigenschaften der untersuchten Stähle von den Bedingungen des Warmwalzens, insbesondere von der Temperatur am Ende des Walzens und der Abkühlgeschwindigkeit vor der Haspelung, abhängig seien , während die Haspeltemperatur demgegenüber wenig Einfluß habe (Schlußfolgerung 9.2, S. 9 = S. 13 Übersetzung). Zwar ist, worauf die Klägerin verweist, dem Rapport auch zu entnehmen, daß der untersuchte Stahl Ti-2 mit einem Ti/N-Verhältnis von 49:1 nach einem Haspeln bei einer Temperatur von 500 ° C einen Dr-Wert von 0,02 aufwies (Tab. XIII - (1), also nahezu Isotropie zeigte. Der Stahl Ti-2 entspricht jedoch weder hinsichtlich des (geringeren) Aluminium- noch hinsichtlich des (höheren) Titangehalts den Vorgaben des Streitpatents (Merkmale 1.7 und 1.8). Zudem zeigt Tab. XIV dem Fachmann, daß mit dem Stahl Ti-1, dessen Titangehalt mit 0,12 % noch deutlich höher liegt (Tab. I), mit Haspeln bei hoher Temperatur und Haubenglühen bei 800 ° C mit einem Dr-Wert von Null eine Anisotropie vollständig vermieden wird. Die Empfehlung des Rapports geht dahin, eine Ti- oder Nb-Zugabe von 0,5 bis 0,7 % mit der sorgfältigen Auswahl der Bedingungen für das Warmwalzen und das Kaltwalzen mit einem Verformungsgrad um 70 % und einem geeigneten Durchlaufglühzyklus zu kombinieren, um Bleche mit hoher Festigkeit bei einem günstigen Anisotropiekoeffizienten zu erhalten (9.4). Eine in Richtung auf die Lehre des Streitpatents weisende Anregung ist nicht erkennbar, und auch die Klägerin ist auf die Entgegenhaltung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zurückgekommen.

c) In der japanischen Offenlegungsschrift (D 6) werden zwei Stahlzusammensetzungen mit deutlich überstöchiometrischem Titananteil (16:1 bzw. 11:1) untersucht. Da die Schrift die erfindungsgemäße Stoßofentemperatur ausdrücklich verwirft, entnimmt ihr der Fachmann jedoch, wie die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, keine zum dem Verfahren nach dem Streitpatent führende Anregung.
V. Auch für Anspruch 3 des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags der Beklagten lassen sich die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung nicht feststellen.
1. Anspruch 3 ist ein auf ein zum Tiefziehen geeignetes Blech oder Band gerichteter Sachanspruch. Sein Gegenstand ist durch drei Merkmale gekennzeichnet : zum ersten durch die "gegebene Zusammensetzung", d.h. die Stahlanalyse nach Merkmal A, zum zweiten durch die Ferritkorngröße nach Merkmal B und zum dritten durch das Verfahren nach Anspruch 1 oder 2 (Merkmal C). Während die beiden ersten Merkmale physikalische Eigenschaften der Sache selbst bezeichnen, umschreibt Merkmal C diese mittelbar durch das Verfahren zu ihrer Herstellung.
Aus der Eigenschaft eines Sachanspruchs folgt, daß es für den Rechtsbestand des Anspruchs 3 nicht auf die Patentfähigkeit des Verfahrens, sondern nur auf die Patentfähigkeit des beanspruchten Stahlblechs oder Stahlbands ankommt (Sen., BGHZ 122, 144, 154/155 - tetraploide Kamille). Damit wird das Verfahren jedoch nicht bedeutungslos. Vielmehr gehören zu den Sachmerkmalen der hierdurch bezeichnete beanspruchte Gegenstand und s eine erfindungsgemäßen körperlichen oder funktionalen Eigenschaften, die sich aus der Anwendung
des Verfahrens bei seiner Herstellung ergeben. Welche das sind, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln. Maßgebend ist dabei - wie stets - wie der angesprochene Fachmann die Angaben zum Herstellungsweg versteht und welche Schlußfolgerungen er hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit der auf diesem Wege herstellbaren Sache zieht.
Im Streitfall wird das beanspruchte Stahlblech oder -band nicht allein durch die Stahlanalyse und die Korngröße definiert. In diesem Fall wäre die Angabe des Herstellungsverfahrens überflüssig, die jedoch gerade dazu bestimmt ist, das Verfahrenserzeugnis selbst weiter zu kennzeichnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Bezugnahme auf das Verfahren nach Anspruch 1 aber auch nicht lediglich dahin verstanden werden, daß das Blech oder Band beim Tiefziehen Zipfelfreiheit oder zumindest Zipfelarmut und ein hohes Streckgrenzenniveau aufweist. Schon nach der Problemstellung (vgl. S. 2 Z. 44 - 46 und S. 2 Z. 67 - S. 3 Z. 3) geht es dem Streitpatent um ein kostengünstig herstellbares tiefziehgeeignetes Stahlblech oder -band. Nach der Streitpatentschrift beeinflussen die verschiedenen Maßnahmen zur Verfahrensführung , die in ihrer Kombination in Anspruch 1 unter Schutz gestellt sind, wechselseitig die (physikalische) Beschaffenheit des Blechs oder Bands. Die Zipfelfreiheit oder zumindest -armut ist zum einen vom Kaltwalzgrad abhängig, der wiederum in Abhängigkeit vom Titangehalt zu wählen ist. Zum anderen spielen die Temperaturen der verschiedenen Umformschritte eine Rolle, namentlich die Haspeltemperatur und die Glühtemperatur. Aus dem Zusammenwirken dieser jeweils erfindungsgemäß eingestellten Parameter ergibt sich (jeweils ) ein bestimmtes Gefüge des kaltgewalzten Stahlblechs, das bei einem erhöhten, aber immer noch relativ niedrigen Streckgrenzenniveau als zumindest zipfelarm qualifiziert werden kann. Da dieses Gefüge mit räumlich-
körperlichen Merkmalen nicht zuverlässig charakterisiert werden kann, charakterisiert Anspruch 3 des Streitpatents es mittelbar durch die Angabe des Herstellungsweges. Zipfelarmut bei hohem Streckgrenzenniveau reicht hingegen auch gemeinsam mit der Stahlanalyse und der Ferritkorngröße zur Kennzeichnung des erfindungsgemäßen Erzeugnisses nicht aus. Denn annähernde Zipfelfreiheit bei einer Korngröße ASTM 8 war nach der Streitpatentschrift auch im Stand der Technik - wenn auch mit den damit verbundenen Nachteilen - etwa durch Normalglühen erreichbar (S. 2 Z. 18-20). Ein "hohes" Streckgrenzenniveau im Sinne des Streitpatents läßt sich sinnvoll überhaupt nur relativ in bezug auf einen bestimmten Kaltwalzgrad einer bestimmten Legierung verstehen. Denn wie die Streitpatentschrift auf S. 2 Z. 58-60 bemerkt und Figur 11 der Streitpatentschrift zeigt, liegt das erfindungsgemäß zugelassene Streckgrenzenniveau in einem breiten Bereich zwischen 175 und 450 Newton/mm2 und ist insbesondere bei geringerem Titananteil nur insofern hoch, als die geringere Zipfeligkeit bei höheren Streckgrenzen festzustellen war (S. 3 Z. 57-59). Selbst das gilt im übrigen nicht ausnahmslos, wie Fig. 11 zeigt, wo z.B. bei Legierung A bei e > 60 % die Streckgrenze außerhalb des erfindungsgemäßen Bereichs höher liegt als bei e £ 60 % innerhalb des erfindungsgemäßen Bereichs. Anspruch 3 des Streitpatents kennzeichnet den erfindungsgemäßen Stahl hiernach - auch - dadurch, daß er unter Beachtung der Verfahrensmerkmale 2 bis 2.5.1 hergestellt worden ist.
2. Daraus ergibt sich, daß der druckschriftliche Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 3 ebensowenig vorwegnimmt oder nahelegt wie das Verfahren nach Anspruch 1. Denn um das wie vorstehend gekennzeichnete Stahlblech oder -band in die Hand zu bekommen (Sen., BGHZ 103, 150,
156/157 - Fluoran), mußte der Fachmann den Herstellungsweg nach Anspruch 1 kennen und anwenden.
3. Das erfindungsgemäße Band wird aber auch durch die von der Klägerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung nicht vorweggenommen. Dabei kann mit dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen werden, daß die Klägerin nach einem Anspruch 1 entsprechenden Verfahren (in der Alternative 0,018 % Titan, einem Ti/N-Verhältnis von 4:1 und einem Kaltwalzgrad von 61,4 - 63,5 %) Stahlband hergestellt hat, das zipfelarm war und eine Ferritkorngröße feiner als ASTM 9 aufgewiesen hat. Ein Band nach Anspruch 3 ist damit der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden (§ 3 Abs. 1 PatG).
Ob das entsprechend der Auffassung des Bundespatentgerichts schon deshalb gilt, weil nicht feststeht, daß entsprechende Coils vor dem Anmeldetag des Streitpatents an Kunden ausgeliefert worden sind, bedarf keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob der weiteren Annahme des Bundespatentgerichts gefolgt werden könnte, es wäre zwar für Fachleute ohne weiteres möglich gewesen, den gelieferten Stahl innerhalb etwa einer Woche ohne unzumutbaren Aufwand zu analysieren, dies habe jedoch zu fern gelegen und sei deshalb als rein theoretische Möglichkeit außer Betracht zu lassen, da es sich nur um ca. 0,03 % der Jahresproduktion der Klägerin gehandelt habe, die als handelsübliche Stahlqualitäten ST 12 bis 14 ausgeliefert worden seien und deren Analyse allenfalls infolge eines reinen Zufalls erfolgt wäre. Das gleiche gilt für die Erwägung der Beklagten, der Fachmann habe jedenfalls keinen Anlaß gehabt, das Kaltband auf Zipfelfreiheit zu untersuchen, da hierfür bei der gelieferten Qualität in der maßgeblichen DIN 1623 keine Werte festgelegt gewesen seien. Denn eine mit zumutbarem Aufwand durchgeführte Analyse des
gelieferten Bandes hätte dem Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 3 des Streitpatents nicht zugänglich gemacht.
Durch die Analyse hätte er nämlich nur die Zusammensetzung nach Anspruch 1, die bestehende Zipfelfreiheit oder -armut sowie die Streckgrenze feststellen können. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß er dem kaltgewalzten Erzeugnis die Einzelheiten der Verfahrensführung nach der Merkmalsgruppe 2 des Anspruchs 1 und die sich erst daraus ergebenden Eigenschaften hätte entnehmen können. Ohne Kenntnis des Verfahrens hätte er auch ein dem Verfahren entsprechendes Produkt nicht herstellen können, und eine neuheitsschädliche Vorwegnahme des Produkts ist schon aus diesem Grunde zu verneinen (Sen., BGHZ 103, 150 - Fluoran; Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz , 9. Aufl., § 3 PatG Rdn. 51, 52; Busse, Patentgesetz, 5. Aufl., § 3 Rdn. 116, 117; Rogge, GRUR 1996, 931, 933 mit Fn. 13). Das Bundespatentgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings als zwischen den Parteien unstreitig behandelt, daß die Klägerin ihren Kunden auf Anfrage über die Verfahrensschritte , soweit sie nicht ohnehin zum Wissen des Fachmanns gehörten oder sich aus der Beschaffenheit des Stahls ergaben, Auskunft gegeben hätte. Daß die Klägerin hierzu bereit gewesen wäre, bestreitet die Beklagte jedenfalls in der Berufungsinstanz. Auf diese Bereitschaft kommt es jedoch nicht an. Eine Benutzungshandlung ist offenkundig, wenn sie die nicht zu entfernte Möglichkeit eröffnet, daß beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige, ausreichende Kenntnis von der Erfindung erhalten (Sen.Beschl. v. 05.03.1996 - X ZB 13/92, GRUR 1996, 747, 752 - Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem ). Maßgeblich ist deshalb nicht, ob die Klägerin bereit gewesen wäre, die fehlenden Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern ob sie diese Möglichkeit tatsächlich eröffnet hat. Insofern gilt für die Offenba-
rung der Verfahrensführung nichts anderes als für die Offenbarung der Stahlzusammensetzung. Daß sie tatsächlich einen Kunden entsprechend unterrichtet oder auch nur allgemein ihre Bereitschaft dazu erklärt hat, wird von der Klägerin jedoch nicht behauptet, und dafür bestehen auch keine Anhaltspunkte.
VI. Die mit der Nichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen Patentansprüche 2 und 4 haben weitere Ausgestaltungen der Lehre der Patentansprüche 1 und 3 in ihrer hilfsweise verteidigten Fassung zum Gegenstand, sind auf diese rückbezogen und werden daher durch deren Patentfähigkeit ebenfalls getragen.
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 110 Abs. 3 Satz 2 PatG in der nach Art. 29 2. PatGÄ ndG weiter anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rogge Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck

(1) Das Patent wird widerrufen (§ 61), wenn sich ergibt, daß

1.
der Gegenstand des Patents nach den §§ 1 bis 5 nicht patentfähig ist,
2.
das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann,
3.
der wesentliche Inhalt des Patents den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen oder einem von diesem angewendeten Verfahren ohne dessen Einwilligung entnommen worden ist (widerrechtliche Entnahme),
4.
der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist; das gleiche gilt, wenn das Patent auf einer Teilanmeldung oder einer nach § 7 Abs. 2 eingereichten neuen Anmeldung beruht und der Gegenstand des Patents über den Inhalt der früheren Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der früheren Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist.

(2) Betreffen die Widerrufsgründe nur einen Teil des Patents, so wird es mit einer entsprechenden Beschränkung aufrechterhalten. Die Beschränkung kann in Form einer Änderung der Patentansprüche, der Beschreibung oder der Zeichnungen vorgenommen werden.

(3) Mit dem Widerruf gelten die Wirkungen des Patents und der Anmeldung als von Anfang an nicht eingetreten. Bei beschränkter Aufrechterhaltung ist diese Bestimmung entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 154/05 Verkündet am:
4. November 2008
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis
und die Richter Scharen, Keukenschrijver, Asendorf und Gröning

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. Juni 2005 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert: Das europäische Patent 291 194 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung seiner Patentansprüche hinausgeht: 1. Analytisches Testgerät, umfassend einen trockenen porösen Träger (10), unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für einen Analyten, welches unmarkierte Reagenz auf dem porösen Träger in einer Nachweiszone (14) permanent immobilisiert und daher in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, und in trockenem Zustand in einer Zone (12) stromaufwärts von der Nachweiszone ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für dieselbe Nachweissubstanz, welches markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb des porösen Trägers in feuchtem Zustand frei beweglich ist, so dass die Flüssigkeitsprobe , die dem Gerät zugeführt ist, das markierte Reagenz aufnehmen und danach in die Nachweiszone eindringen kann, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , d a s s der poröse Träger und das markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb eines hohlen Gehäuses (30) enthalten sind, das aus feuchtigkeitsundurchlässigem, festem Material aufgebaut ist, der poröse Träger direkt oder indirekt mit dem Äußeren des Gehäuses derart in Verbindung steht, dass flüssige Testprobe auf den porösen Träger aufgebracht werden kann, das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, der Markierungsstoff ein Direktmarkierungsstoff in Form eines Farbsols, Goldsols oder gefärbter Latexteilchen ist, das markierte Reagenz in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers enthalten ist und das unmarkierte Reagenz in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone immobilisiert ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, dass eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann, und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst. 2. Testgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass gefärbte Latexteilchen eines maximalen Durchmessers von nicht größer als etwa 0,5 μm den Direktmarkierungsstoff darstellen. 3. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse aus opakem oder durchscheinendem Material besteht und mit mindestens einer Öffnung (32) versehen ist, durch die das Analysenergebnis beobachtet werden kann.
4. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse aus Kunststoffmaterial geformt ist. 5. Testgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst, der bzw. die mit einer Schicht von durchsichtigem feuchtigkeitsundurchlässigen Material verstärkt ist, wobei die durchsichtige Schicht in der Nähe der Öffnung(en) mit der Innenseite des Gehäuses in Kontakt steht, um den Eintritt von Feuchtigkeit oder Probe zu verhindern. 6. Testgerät nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Verstärkungsmaterial ein durchsichtiges Kunststoffmaterial ist. 7. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das poröse Trägermaterial Nitrocellulose ist. 8. Testgerät nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Nitrocellulose eine Porengröße von mindestens 1 μm hat. 9. Testgerät nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Porengröße mehr als 5 μm beträgt. 10. Testgerät nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Porengröße 8 bis 12 μm beträgt. 11. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass es in dem porösen Träger stromabwärts von der Nachweiszone (209) eine Kontrollzone (210) aufweist, um anzuzeigen, dass die Flüssigkeitsprobe über die Nachweiszone hinausgedrungen ist, wobei die Kontrollzone ebenfalls außerhalb des Gehäuses beobachtbar ist. 12. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger ein Streifen mit einer Absorptionsmittelfalle (18) an seinem distalen Ende ist, wobei die Falle eine ausreichende Absorptionskapazität hat, damit jegliches ungebundenes markiertes Reagenz aus der Nachweiszone ausgewaschen werden kann. 13. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das markierte Reagenz als Oberflächenschicht auf den porösen Träger aufgebracht ist. 14. Testgerät nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger in dem Bereich, auf den das markierte Reagenz aufgebracht wird, mit einem Glasurmaterial vorbehandelt ist. 15. Testgerät nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass das Glasurmaterial ein Zucker ist. 16. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das immobilisierte Reagenz in der Nachweiszone über die gesamte Dicke des Trägers in der Nachweiszone imprägniert ist. 17. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Nachweissubstanz hCG ist.
18. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass die Nachweissubstanz LH ist. 19. Testgerät nach irgendeinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das frei bewegliche Reagenz statt als spezifisches Bindungsmittel für eine Nachweissubstanz in Gegenwart einer Nachweissubstanz an einer Konkurrenzreaktion teilnehmen kann. 20. Analysenverfahren, bei dem ein Testgerät nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 19 mit einer wässrigen Flüssigkeitsprobe , die vermutlich die Nachweissubstanz enthält, derartig in Kontakt gebracht wird, dass die Probe durch Kapillarwirkung durch den porösen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt und das markierte Reagenz mit ihr aus der ersten Zone in die Nachweiszone wandert, wobei das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe durch Beobachten des Ausmaßes (sofern gegeben) bestimmt wird, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 26. April 1988 unter Inanspruchnahme der Priorität britischer Patentanmeldungen vom 27. April und 30. Oktober 1987 (Nrn. 8 709 873 und 8 725 457) angemeldeten und mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 291 194 (Streitpatents). Es betrifft ein analytisches Testgerät sowie ein Analysenverfahren und umfasst in der im europäischen Einspruchsbeschwerdeverfahren aufrechterhaltenen Fassung 22 Patentansprüche. Ansprüche 1 und 22 lauten in der Verfahrenssprache: "1. An analytical test device comprising a dry porous carrier (10), unlabelled specific binding reagent for an analyte which unlabelled reagent is permanently immobilised in a detection zone (14) on the porous carrier and is therefore not mobile in the moist state, and in the dry state in a zone (12) upstream from the detection zone a labelled specific binding reagent for the same analyte which labelled specific binding reagent is freely mobile within the porous carrier when in the moist state, such that liquid sample applied to the device can pick up labelled reagent and thereafter permeate into the detection zone, c h a r a c t e r i s e d i n t h a t the porous carrier and the labelled specific binding reagent are contained within a hollow casing (30) constructed of moisture-impervious solid material, the porous carrier communicates directly or indirectly with the exterior of the casing such that liquid test sample can be applied to the porous carrier, the casing incorporates means (32) enabling the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detection zone to be observed, the label is a particulate direct label, the labelled reagent is contained in a first zone (12) of the dry porous carrier, and the unlabelled reagent is immobilised in a detection zone spatially distinct from the first zone, the two zones being arranged such that liquid sample applied to the porous carrier can permeate via the first zone into the detection zone.
22. An analytical method in which a test device according to any one of claims 1 to 21 is contacted with an aqueous liquid sample suspected of containing the analyte, such that the sample permeates by capillary action through the porous carrier via the first zone into the detecting zone and the labelled reagent migrates therewith from the first zone to the detecting zone, the presence of analyte in the sample being determined by observing the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detecting zone."
2
Die Klägerin, die von der Beklagten aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird, hat während des laufenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens Nichtigkeitsklage erhoben, die das Bundespatentgericht durch Urteil vom 7. März 2002 als unzulässig abgewiesen hat. Auf die Berufung der Klägerin hat der Senat diese Entscheidung nach Abschluss des Einspruchsverfahrens durch sein am 13. Januar 2004 verkündetes Urteil (X ZR 124/02, Schulte-Kartei PatG 110-122 Nr. 64) aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Dort hat die Klägerin geltend gemacht, das Streitpatent sei nicht patentfähig. Sein Gegen- stand sei nicht neu, wobei die Priorität der britischen Patentanmeldungen nicht wirksam in Anspruch genommen werden könne, es beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart , dass ein Fachmann sie ausführen könne. Außerdem gehe der Gegenstand des Patents über den Inhalt der europäischen Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Zur Begründung hat sich die Klägerin u.a. auf folgende Veröffentlichungen gestützt: europäische Patentanmeldung 149 158 (NK 10), Veröffentl. der internat. Patentanmeldung WO 86/03839 (NK 11), europäische Patentanmeldung 183 442 (NK 12), europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13), europäische Patentanmeldung 284 232 (NK 14), europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15), europäische Patentanmeldung 286 371 (NK 16), europäische Patentanmeldung 032 270 (NK 19), US-Patentschrift 4 552 839 (NK 23), US-Patentschrift 3 888 629 (NK 28), US-Patentschrift 4 235 601 (NK 29), US-Patentschrift 4 361 537 (NK 30), europäische Patentanmeldung 186 799 (NK 32), Veröffentl. der internat. Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38), deutsche Auslegeschrift 1 245 619 (NK 39).
3
Durch das angefochtene Urteil hat das Bundespatentgericht das Streitpatent antragsgemäß mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des ersten Berufungsverfahrens auferlegt.
4
Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent in erster Linie in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung, in der in Anspruch 1 u.a. Merkmale der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Ansprüche 2, 3 und 6 aufgenommen worden sind; ferner mit Hilfsanträgen, wegen deren Fassung auf den Schriftsatz vom 31. Oktober 2008 und die Sitzungsniederschrift vom 4. November 2008 Bezug genommen wird. Im Übrigen beantragt die Beklagte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Berufung. Sie sieht Gegenstand und Schutzbereich des Streitpatents in der verteidigten Fassung als unzulässig erweitert an und hält seine Lehre auch in dieser Fassung nicht für patentfähig.
5
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. F. B. , , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


6
I. Soweit das Streitpatent über die Fassung der mit dem Hauptantrag zulässigerweise (dazu unten III 2) vorgenommenen Beschränkung hinausgeht, ist es ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. BGHZ 170, 215 - Carvedilol II). Die Änderungen sind formal nicht zu beanstanden; namentlich kann das Patent mit Patentansprüchen in deutscher Sprache verteidigt werden (st. Rspr., vgl. BGHZ 147, 306 - Taxol), auch wenn es häufig zweckmäßig sein wird, dies in der Verfahrenssprache zu tun, um Zweifel an der vollständigen inhaltlichen Übereinstimmung der Sprachfassungen zu vermeiden (Sen.Urt. v. 23.9.2008 - X ZR 135/04 - Multiplexsystem, zur Veröffentlichung vorgesehen).
7
Im Umfang der beschränkten Verteidigung des Streitpatents hat die Berufung Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.
8
II. Die Nichtigkeitsklage ist auch nach Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents zulässig, weil die Klägerin daraus wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird und sie deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis an der Nichtigerklärung des Streitpatents im angegriffenen Umfang hat (st. Rspr., vgl. etwa Sen.Urt. v. 24.4.2007 - X ZR 201/02, GRUR 2008, 90 - Verpackungsmaschine).
9
III. 1. Das Streitpatent betrifft Assays, insbesondere Immunoassays und analytische Testgeräte dafür. Bei Immunoassays handelt es sich um bioanalytische Verfahren, welche sich die spezifische Bindungsfähigkeit von Liganden und Liganden-Bindungspartnern (auch: spezifische Bindungspaare, "sbp"), insbesondere die von Antikörpern und Antigenen bzw. Haptenen zunutze machen, um das Vorhandensein von Analyten in flüssigen Proben feststellen zu können. Zum Nachweis der oft nicht direkt sichtbaren Bindungsreaktionen wurden Verfahren zur indirekten Beobachtung eingesetzt, die die Markierung eines der Glieder des spezifischen Bindungspaars mit einem Radioisotop, einem Chromophor , einem Fluorophor oder die eine enzymatische Markierung vorsahen. Radiomarkierungen, Chromophore bzw. Fluorophore können mittels Strahlungsdetektoren , Spektrophotometern oder mit dem bloßen Auge nachgewiesen werden; bei Enzymmarkierungen wird ein nachweisbares Signal durch die Aktivierung einer Verbindung wie etwa eines Farbstoffs im Rahmen eines Reaktionssystems erzeugt.
10
Ursprünglich in Vorrichtungen wie Reagenzgläsern mittels Zentrifugierung und Ausfällung durchgeführt (sogenannte Flüssigphasenassays), ist, der Beschreibung des Streitpatents zufolge, bei spezifischen Bindungsassays wie Immunoassays auch die Verwendung von mit Reagenzien imprägnierten Teststreifen vorgeschlagen worden (sogenannte Festphasenassays). Dabei bewegt sich die auf einen Teil des Teststreifens aufgetragene Probe mit Hilfe eines eluierenden Lösungsmittels, wie Wasser, durch das Material des Teststreifens in oder durch eine dort vorgesehene Nachweiszone, in der ein für die in der Probe vermutete Nachweissubstanz spezifisches Bindungsreagenz immobilisiert ist, um die Nachweissubstanz gegebenenfalls zu binden. Das Maß dieser Bindung kann mit markierten Reagenzien bestimmt werden, die ebenfalls im Teststreifen enthalten sind oder anschließend darauf aufgebracht werden. Der Streitpatentschrift zufolge erfordern alle kommerziell erhältlichen Geräte die Durchführung einer Reihe von aufeinander folgenden Arbeitsschritten, bevor das Testergebnis ablesbar ist, was notwendigerweise Zeit erfordere und Fehlerquellen einführe.
11
Als Aufgabe der Erfindung bezeichnet die Streitpatentschrift die Anpassung und Verbesserung der bekannten Techniken zur Bereitstellung diagnostischer Testgeräte insbesondere für den privaten Gebrauch, die auch von einer ungeübten Person schnell und bequem zu handhaben sind, vom Benutzer möglichst wenige Arbeitsschritte erfordern und bei denen das Analyseergebnis innerhalb von Minuten nach dem Probenauftrag - beispielsweise Urin im Fall eines Schwangerschafts- oder Ovulationstests - vorliegt.
12
Dazu schlägt das Streitpatent in der verteidigten Fassung im Patentanspruch 1 ein analytisches Testgerät vor, umfassend 1. ein hohles, aus einem feuchtigkeitsundurchlässigen Material aufgebautes Gehäuse, das 2. einen trockenen porösen Träger (10) enthält, der 2.1 einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst, 2.2 mit dem Äußeren des Gerätes 2.2.1 direkt oder 2.2.2 indirekt derart in Verbindung steht, dass flüssige Testprobe darauf aufgebracht werden kann, und der 3. ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für eine Nachweissubstanz enthält, das 3.1 sich in trockenem Zustand in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers, 3.2 stromaufwärts von einer Nachweiszone befindet und das 3.3 in feuchtem Zustand innerhalb des porösen Trägers frei beweglich ist, wobei 4. der Markierstoff ein Direktmarkierstoff in Form eines Farbsols, Goldsols oder gefärbten Latexteilchens ist, ferner 5. unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für denselben Analyten, 5.1 das auf dem porösen Träger, 5.2 in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone (14) permanent immobilisiert 5.3 und (daher) in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, wobei 6. die beiden Zonen derartig angeordnet sind, dass eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann, 7. die Flüssigkeitsprobe, die dem Gerät zugeführt ist, 7.1 das markierte Reagenz aufnehmen 7.2 und danach in die Nachweiszone eindringen kann und 8. das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, sowie, in Anspruch 20, ein Analysenverfahren, bei dem 1. ein Testgerät nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 19 mit einer wässrigen Flüssigkeitsprobe in Kontakt gebracht wird, 2. die Probe durch Kapillarwirkung durch den porösen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt und 3. das markierte Reagenz mit ihr aus der ersten Zone in die Nachweiszone wandert und 4. das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe durch Beobachten des Ausmaßes bestimmt wird, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist.
13
2. Die Beschränkung von Patentanspruch 1 ist zulässig; durch sie wird insbesondere der Schutzbereich des Streitpatents nicht erweitert.
14
a) Eine Schutzbereichserweiterung erfolgt zunächst nicht dadurch, dass das dem Begriff "direct label" (Direktmarkierungsstoff) beigefügte Wort "particulate" (teilchenförmig) entfällt. Als solche Markierungsstoffe kamen zunächst jegliche Einheiten ("entities") in Betracht, deren Vorhandensein ohne Weiteres nachgewiesen werden kann, insbesondere Direktmarkierungsstoffe. Diese werden als Einheiten definiert, die in natürlichem Zustand entweder mit bloßem Auge oder mit Hilfe eines optischen Filters und/oder einer angelegten ("applied" ) Stimulation, z.B. UV-Licht zum Hervorrufen einer Fluoreszenz, leicht sichtbar sind. Als besonders geeignete Beispiele werden winzige farbige Teilchen ("particles"), z.B. Farbsole, Metallsole (wie Goldsole) und gefärbte Latexteilchen angesprochen (vgl. die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung , Anl. NK 1, S. 4 Z. 42 ff.). Insoweit mag zweifelhaft sein, ob der ausdrücklichen Aufnahme eines Hinweises auf den Teilchencharakter der Markierungsstoffe überhaupt sachliche Bedeutung zukommen konnte. Dass diese Eigenschaftsangabe in dem verteidigten Patentanspruch entfallen ist, kann schon deshalb nicht zu einer Erweiterung führen, weil sich der teilchenförmige Charakter der Direktmarkierungsstoffe zwingend aus der abschließenden Aufzählung derjenigen Markierungsstoffe ergibt, für die Schutz beansprucht wird und die allesamt teilchenförmig sind. Die Formulierung "… in Form eines Farbsols …" im verteidigten Patentanspruch 1 ist entgegen der Ansicht der Klägerin ebenfalls von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt. Sie bringt nämlich nur zum Ausdruck, dass die drei genannten Direktmarkierungsstoffe allein noch vom Streitpatent erfasst werden sollen.
15
b) Ebenfalls keine Erweiterung des Schutzbereichs von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung liegt in der Umschreibung, wonach der trockene poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material "umfasst" (Merkmale 2 und 2.1). Soweit die Klägerin meint, dadurch würden Ausgestaltungen eingeschlossen, bei denen sich das markierte Bindungsreagenz in einem gesonderten Träger vor dem eigentlichen Trägerstreifen für den chromatografischen Fluss befinden könne, unterscheidet sie nicht hinreichend zwischen der Frage der Platzierung des Bindungsreagenzes, die allein den Schutzbereich betrifft, und der Frage der Ausgestaltung des porösen Trägers, die die Auslegung des erteilten Patents berührt (nachstehend III 2 d). Das mar- kierte Bindungsreagenz ist in trockenem Zustand auch in der verteidigten Fassung von Anspruch 1 des Streitpatents in einer ersten Zone des porösen Trägers enthalten (Merkmale 3, 3.1). Diese merkmalsmäßige Zuordnung des Bindungsreagenzes zum Träger wird durch Verwendung des Verbs "umfasst" im Zusammenhang mit der Bestimmung des porösen Trägers nicht außer Kraft gesetzt. Der Schutzbereich des Patents wird deshalb nicht erweitert.
16
c) Eine unzulässige Schutzbereichserweiterung liegt des Weiteren nicht darin, dass gefärbte Latexteilchen ohne Begrenzung ihres Durchmessers in den Hauptanspruch aufgenommen worden sind. Diese Teilchen sind als solche ohne Beschränkung auf einen bestimmten Höchstdurchmesser in den Anmeldungsunterlagen als Direktmarkierungsstoff offenbart (NK 1 S. 4 Z. 44 f.). Dass die Teilchen in Patentanspruch 2 nur in Verbindung mit einer Größenangabe genannt sind, nötigt nicht zu der Aufnahme dieser Größenangabe in den verteidigten Patentanspruch 1 (vgl. Busse/Keukenschrijver, 6. Aufl., § 83 PatG Rdn. 37; vgl. zur Aufnahme einzelner Merkmale eines Ausführungsbeispiels BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer).
17
d) Mit der Beschränkung, dass der trockene poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material "umfasst" (Merkmale 2, 2.1), geht die von Anspruch 1 in der verteidigten Fassung beschriebene Ausgestaltung des porösen Trägers nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung oder das erteilte Patent hinaus. Danach sollte das Trägermaterial vorzugsweise in Form eines Streifens oder einer Folie bestehen. Das Gerät konnte gemäß der Erfindung daher auch, falls gewünscht, zwei oder mehrere diskrete Körper von porösem Festphasenmaterial, z.B. getrennte Streifen oder Folien für die Aufnahme von Reagenzien, vereinigen, und zwar, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht ausschließlich parallel nebeneinander angeord- net (NK 1 S. 5 Z. 20 ff.). Demnach blieb es dem Fachmann überlassen, den porösen Träger den jeweiligen Erfordernissen entsprechend unterschiedlich auszugestalten. Diesen Rahmen überschreitet das Streitpatent in der verteidigten Fassung nicht; insbesondere wird durch die Aufnahme der Merkmale des früheren Anspruchs 6 in den Hauptanspruch entgegen der Ansicht der Klägerin keine von der Ursprungsoffenbarung nicht erfasste "Zwischenebene" geschaffen.
18
IV. Soweit das Streitpatent noch verteidigt wird, liegt keiner der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der Art. 138 EPÜ, Art. II § 6 IntPatÜG vor.
19
1. Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann.
20
a) Das Erfordernis der ausführbaren Offenbarung bedeutet nicht, dass die Lehre alle im Einzelnen zur Erreichung des erfindungsgemäßen Ziels erforderlichen Schritte detailliert beschreiben müsste. Es reicht aus, wenn dem Fachmann ein generelles Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Unschädlich ist, wenn er bei der Nacharbeitung auf Unvollkommenheiten stößt, die er als solche erkennt und mit Hilfe seines Wissens im Sinne der Erfindung überwinden kann, ohne selbst erfinderisch tätig werden zu müssen (vgl. Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 34 Rdn. 273 ff.; Schulte, PatG, 7. Aufl., § 34 Rdn. 364; Benkard/Schäfers, EPÜ, Art. 83 Rdn. 43). Die Erforderlichkeit von Versuchen ist unschädlich, solange sie das übliche Maß nicht übersteigen (Keukenschrijver, aaO Rdn. 293 m.w.N. in Fn. 639). Das gilt namentlich dann, wenn die Lehre, wie hier, den Einsatz biochemischer Reagenzien und die Herbeiführung entsprechender Reaktionen betrifft.
21
b) Danach ist im Streitfall unschädlich, dass der Fachmann einzelne Parameter wie Fließgeschwindigkeit, Konzentration und Bindungsstärke (Affinität) sowohl des zu immobilisierenden als auch des markierten Antikörpers erst, wie der gerichtliche Sachverständige meint, nach Experimenten einstellen konnte, zumal Anmeldungsunterlagen und Streitpatentschrift zu Fließgeschwindigkeit und Teilchen- bzw. Porengröße Angaben enthalten (Anlage NK 1, S. 11 Rdn. 15 ff.; geänderte Streitpatentschrift Abs. 75 ff.). Der danach noch erforderliche Versuchsaufwand übersteigt das dem Fachmann zumutbare Maß nicht.
22
c) Der Nichtigkeitsgrund unzureichender Offenbarung besteht auch nicht in Bezug auf die Resolubilisierung der teilchenförmigen, an die Markierungsantikörper gekoppelten Direktmarkierungsstoffe.
23
Wie der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, ist die Lehre insoweit jedenfalls bei Einbeziehung der in den Unteransprüchen 13 bis 15 enthaltenen Anweisungen ausführbar. Damit wird dem Fachmann (dazu unten 3 b aa), was ausreicht, ein gangbarer Weg zur Ausführung der Erfindung mit allen von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung beanspruchten Direktmarkierungsstoffen offenbart (ähnlich BGHZ 147, 306 - Taxol für die allgemeine Beanspruchung eines Verfahrensschritts in Form einer allgemein bezeichneten Reaktion bei nacharbeitbarer Offenbarung eines ausführbaren Wegs zur Durchführung dieser Reaktion in der Patentschrift). Die zur Ausführung der Erfindung benötigten Angaben müssen nicht abschließend dem Hauptanspruch zu entnehmen sein. Es genügt, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt erschließen (vgl. Sen.Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223 - Kupplungsvorrichtung

II).


24
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung ist nicht wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären.
25
a) Der Gegenstand des Anspruchs ist neu. Das gilt ungeachtet der Frage , ob das Streitpatent die Priorität einer der beiden britischen Patentanmeldungen 8 725 457 bzw. 8 709 873 (NK 5, 6) wirksam in Anspruch nehmen kann, auch dann, wenn für die Neuheit auf den Anmeldetag des Streitpatents selbst abgestellt wird und die Entgegenhaltungen NK 13, NK 14 und NK 16 bei der Neuheitsprüfung berücksichtigt werden.
26
aa) Die am 23. Dezember 1987 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13) betrifft ein Verfahren zum Nachweis eines Liganden in einer Probe. Es verwendet mit kolloidalem Gold zwar einen Direktmarkierungsstoff. Dieser wird jedoch nicht (in trockenem Zustand) auf einen porösen Träger aufgebracht, sondern ist Bestandteil eines Reagenzes, das mit einer Probe flüssig vorvermischt wird und einen Liganden-Bindungspartner oder einen Liganden enthält, der direkt oder indirekt mit dem kolloidalen Gold markiert ist. Bei diesem Verfahren fehlt es an der Merkmalsgruppe 3 des Streitpatents; außerdem ist kein hohles Gehäuse beschrieben (Merkmale 1 und 8 des Streitpatents ). Ob die Schrift, wie die Klägerin meint, sämtliche Merkmale des Streitpatents vorwegnimmt, wenn die in der Beschreibung erwähnten USPatentschriften 3 888 629, 4 325 601 und 4 361 537 (NK 28 bis 30) einbezogen werden, kann dahinstehen. Die Neuheit einer Erfindung ist grundsätzlich im Wege des Einzelvergleichs zu prüfen. Eine in einer Vorveröffentlichung in Bezug genommene weitere Schrift kann nur berücksichtigt werden, wenn hinreichend deutlich gemacht wird, welche daraus ersichtlichen Informationen in Bezug genommen und zur Grundlage der Vorveröffentlichung gemacht werden und diese dem Leser zum jeweils maßgeblichen Datum zugänglich sind (vgl.
Keukenschrijver, aaO, § 3 PatG Rdn. 111). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die genannten amerikanischen Patentschriften nicht erfüllt.
27
bb) Die am 7. März 1988 eingereichte europäische Patentanmeldung 284 232 (Anl. NK 14) offenbart kein Gehäuse mit Mitteln zum eventuellen Feststellen des Ausmaßes, bis zu dem das Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist (Merkmale 1 und 8 des Streitpatents), und zwar auch nicht, soweit in der Beschreibung von im Stand der Technik vorzufindenden festen Trägern (solid supports) die Rede ist (S. 2 Ziff. 6-13). Damit sind Elemente gemeint, die funktionell dem porösen Träger des Streitpatents entsprechen und nicht seinem hohlen Gehäuse. Das ist, wovon auch die Klägerin ausgeht (Berufungserwiderung S. 34) offensichtlich für den in der Entgegenhaltung erwähnten Tauchstreifens ("dip-stick"), gilt aber auch für die daneben genannten Röhren. Damit sind Kapillarrohre mit einem geringen Durchmesser gemeint, wie sie etwa in der europäischen Patentanmeldung 149 168 (Anl. NK 10) beschrieben sind und bei denen die Kapillarwirkung gerade durch den geringen Durchmesser gefördert wird.
28
cc) Die europäische Patentanmeldung 286 371 (NK 16) beschreibt eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Durchführung von Assayverfahren, die ein Gehäuse und einen trockenen porösen Träger mit einer (immunosorbierenden) Zone umfassen, in welcher ein Mitglied eines spezifischen Bindungspaares immobilisiert sein kann, um den komplementären Bindungspartner zu fangen. Letzterer und seiner Markierung dienende Komponenten - in der Diktion dieser Schrift: Mitglied(er) eines signalerzeugenden Systems - sind vorzugsweise aber in flüssiger Form, gewöhnlich in einem wässrigen Medium, in mindestens einem zerbrechbaren Behälter in dem Gehäuse eingeschlossen, also nicht nach Maßgabe der Merkmalsgruppe 3 des Streitpatents auf dem porösen Träger enthal- ten. Die Schrift erwähnt lediglich, dass Mitglieder des spezifischen Bindungspaares und, falls gewünscht, Mitglieder des signalerzeugenden Systems an das als poröser Träger dienende saugfähige Material gebunden sein können, und zwar nicht-diffundierend oder diffundierend, je nachdem, ob der jeweils durchgeführte Assay die Bewegung eines derartigen Mitglieds entlang des Streifens erfordere oder nicht. Mit diesen Hinweisen offenbart die Patentanmeldung nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ein in trockenem Zustand in einer ersten Zone des porösen Trägers enthaltenes direktmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für eine Nachweissubstanz (Merkmale 3, 3.1). Das gilt um so mehr, als das signalerzeugende System der Beschreibung zufolge meistens ein chromophores Substrat und Enzym umfasst, wobei chromophore Substrate enzymatisch in Farbstoffe, die Licht im ultravioletten oder sichtbaren Bereich absorbieren , in Phosphore oder in Fluoreszenzfarbstoffe überführt werden und daneben für die Markierung noch Radioisotope erwähnt werden. Der in der Anmeldung enthaltene Hinweis auf die US-Patentschrift 4 555 839 (NK 23) und die dort beschriebenen Assaymethoden (Sp. 27 Z. 27 ff.) mag zwar die Möglichkeit der Verwendung von Direktmarkierungsstoffen in flüssigen Medien offenbaren , dies aber nicht auf die in der Merkmalsgruppe 3 beschriebenen Weise.
29
dd) Die europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15) datiert mit dem 13. Juli 1988 von einem Tage, der nach der Anmeldung des Streitpatents liegt. Soweit in dieser Schrift für die Priorität auf die amerikanische Patentanmeldung 72 459 mit Datum vom 13. Juli 1987 Bezug genommen wird, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anmeldung der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung des Streitpatents zugänglich gemacht worden ist. Vielmehr hat die amerikanische Anmeldung die bei der Neuheitsprüfung vorauszusetzende Publizität erst durch die Veröffentlichung auf sie hin erteilten US-Patents erlangt, was jedenfalls nicht vor dem Tag der Anmeldung des Streitpatents geschehen ist.
30
Abgesehen davon wird in dieser Entgegenhaltung kein Gehäuse offenbart , sondern vielmehr in einer Ausführungsform chromatografisches Substratmaterial auf einem inerten Trägerstreifen und eine Deckplatte, die, bis auf einen Endbereich, über die Länge des chromatografischen Materials vorgesehen ist (Anl. NK 12 S. 12 Z. 53). Damit sind die Merkmale 1 und 8 des Streitpatents nicht erfüllt.
31
b) Das Ergebnis von Verhandlung und Beweisaufnahme lässt nicht die Wertung zu, dass sich der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat.
32
aa) Der zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents mit der Weiterentwicklung von Immunoassays befasste Fachmann verfügte über einen Hochschulabschluss in den Fächern Biochemie oder Biotechnologie bzw. in einem verwandten natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Fach und war in einem Großunternehmen beschäftigt. Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf diesem Gebiet lag seinerzeit in den Händen solcher Unternehmen, die für die Entwicklung ihrer Produkte gegebenenfalls interdisziplinäre Teams zusammenstellten.
33
bb) Die aufgabengemäße Verbesserung von Testgeräten für Immunoassays erforderte, die gegenständliche Ausgestaltung der Geräte dem Bedürfnis eines unkomplizierten Einsatzes in Laienhand anzupassen. Ineinandergreifend mit dieser konstruktiven Aufgabe musste das mithilfe des Geräts durchzuführende Testverfahren hin zu der angestrebten Ein-Schritt-Analyse weiterentwickelt werden. Die vom Streitpatent in der verteidigten Fassung aufgefundene Lösung dieser komplexen Entwicklungsaufgabe ergab sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
34
(1) Entgegen der Ansicht des Bundespatentgerichts gab die europäische Patentanmeldung 149 168 (NK 10) dem Fachmann keine richtungsweisenden Anregungen für die konstruktive Wahl des Gehäuses zur Aufnahme des porösen Trägers, auch wenn diese Anmeldung, wie das Streitpatent, eine vereinfachte Anwendung bei Immunoassays anstrebt. Vorgeschlagen wird dort, Kapillarröhrchen mit entsprechend geringem Durchmesser (vgl. NK 10 S. 11 Z. 27 ff.) mit festen Matrizen zu packen, auf denen die für die Durchführung von Assays erforderlichen Reagenzien aufgebracht sind, um anschließend das untere Ende des Röhrchens - das die Funktion des porösen Trägers des Streitpatents übernimmt - in eine Probenlösung zu tauchen oder die Kapillaritätswirkung bei einer Blutentnahme durch Andrücken des Röhrchens an den Bereich der Einstichstelle hervorzurufen. Diese Lösung lag vom Streitpatent recht weit ab.
35
(2) Im Ergebnis nichts anderes gilt für die europäische Patentanmeldung 183 442 (NK 12). Sie beschreibt eine Chromatografie-Vorrichtung und ein Verfahren zu deren Anwendung, insbesondere für die quantitative Bestimmung der Menge eines Analyten. Die Vorrichtung umfasst allerdings ein Gehäuse, welches einen saugfähigen Streifen aufnimmt, der an einem Ende mit der in einem flüssigen Medium gelösten Probe, die mutmaßlich den Analyten enthält, in Verbindung gebracht werden kann. Das Nachweisverfahren nutzt das Bindungsverhalten von Liganden und Rezeptoren - in der Terminologie der Schrift: Mitglieder eines spezifischen Bindungspaars "sbp" - aus. Ein sbp-Mitglied - und zwar der homologe oder reziproke Bindungspartner des jeweiligen Analyten - ist unbeweglich, nicht-diffundierbar, in einem als "immunosorbierende Zone" bezeichneten Bereich des verwendeten Teststreifens aufgebracht. Zum Nachweis des Analyten ist ein sogenanntes signalerzeugendes System vorgesehen, das eine oder mehrere Komponenten aufweisen kann, von denen mindestens eine an ein sbp-Mitglied konjugiert ist. Das signalerzeugende System ermöglicht, das Gebiet in der immunosorbierenden Zone, an das der Analyt gebunden ist, von dem Gebiet zu unterscheiden, in welchem er nicht enthalten ist, so dass die Entfernung von einem vorher bestimmten Punkt auf dem Immunochromatogramm ein Maß für die Menge an Analyt in der Probe ist. Offenbart ist somit eine Lehre, welche die Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1, 2, 7 und 8 aufweist und darüber hinaus lediglich die Merkmale 3.3, 5.1 und 5.3, wohingegen die Merkmale 4 und 6 fehlen. Bezüglich des Testverfahrens selbst bleibt die Entgegenhaltung NK 12 im Wesentlichen den im Stand der Technik dominierenden enzymatischen Markierungen verhaftet und kann deshalb den damit einhergehenden höheren Detektionsaufwand nicht reduzieren. Zur Durchführung des Assays wird das untere Ende des Teststreifens mit der Probe in Kontakt gebracht , die zuvor in einem geeigneten Lösungsmittel gelöst worden ist, welches ein oder mehrere Mitglieder des signalerzeugenden Systems enthalten kann. Infolge der Kapillarwirkung durchwandert die Probenlösung den saugfähigen Träger einschließlich der immunosorbierenden Zone. Wenn das nachweisbare Signal, gegebenenfalls nach Entwicklung des auf Enzymbasis funktionierenden Assays, erzeugt worden ist, kann die Entfernung von einem Ende des Chromatogramms als quantitatives Maß der Menge an Analyten in der Probe unter Verwendung der am Gehäuse vorgesehenen Anzeigemittel in Form einer graduierten Skala (NK 12 S. 9 Z. 9 ff.) gemessen werden. Mit Blick auf die im Vergleich zum Streitpatent unterschiedliche Bedeutung der Anzeigemittel in dieser Entgegenhaltung fehlt dem in ihr beschriebenen Gehäuse auch eine hinreichende Vorbildfunktion für die Lehre des Streitpatents.
36
(3) Zu einem aufgabengemäß verbesserten Testgerät führten den Fachmann entgegen der Ansicht des Bundespatentgerichts auch nicht die europäische Patentanmeldung 186 799 (NK 32) und die internationale Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38).
37
In der ersteren Anmeldung werden ein analytisches Mittel und Verfahren zum Nachweis oder zur Bestimmung einer Komponente eines bioaffinen Bindungspaars offenbart. Das dabei verwendete flächenförmige diagnostische Mittel besteht aus einem oder mehreren hintereinander angeordneten Streifen, die untereinander über ihre Kanten in für wässrige Lösungen saugfähigem Kontakt stehen und aus entsprechendem Material, wie beispielsweise Cellulose o. Ä. bestehen. Die Streifen enthalten die für das jeweilige diagnostische Mittel notwendigen Reagenzkomponenten. Einer der bioaffinen Bindungspartner wird in der sogenannten Festphasenzone an das Trägermaterial in dem Funktionsbereich gebunden, der zum Nachweis des Analyten vorgesehen ist. Zumindest ein markierter Reaktand befindet sich in einer vorgelagerten Zone und wird, wenn eine Lösungsmittelprobe aufgetragen wird, vom ankommenden Lösungsmittel verflüssigt in die Festphasenzone transportiert, wo er durch ein bioaffines Bindungssystem gebunden wird. Die Erfindung weist die Merkmalsgruppen 2, 3, 5, 6 und 7 auf. Sie offenbart dagegen kein Gehäuse (Merkmal 1) und dementsprechend auch nicht das Merkmal 8 und bedient sich auch nicht eines Direktmarkierstoffs (Merkmal 4), sondern bevorzugt eine Enzymmarkierung, die chromogene, Fluoreszenz oder Chemilumineszenz erzeugende Substratsysteme erfordert und erwähnt des Weiteren eine Chemilumineszenzmarkierung, die allerdings erst nach Zugabe eines Reagenzes gemessen wird.
38
Einen Direktmarkierungsstoff offenbart ebenfalls nicht die internationale Patentanmeldung WO 86/04683 (NK 38).
39
(4) Um zum Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung zu gelangen, bedurfte es mehr, als zusätzlich zu den aus den Entgegenhaltungen NK 32 und NK 38 ersichtlichen Vorschlägen die im Stand der Technik bekannten partikelförmigen Direktmarkierungsstoffe in Betracht zu ziehen.
40
Die europäische Patentanmeldung 32 270 (NK 19) schlägt die Verwendung von kolloidalen Farbstoffpartikeln in wässrigen Lösungen vor. Der Vorzug dieser Markierungen besteht den Anmeldungsunterlagen zufolge darin, dass die Enzym/Substrat-Inkubation weggelassen werden kann. Der Bindungsschritt zwischen der Nachweissubstanz und dem partikelmarkierten Nachweisreagenz erfolgt in einer Lösung, bevor die Probe auf den porösen Träger aufgetragen wird. Genauso verhält es sich bei der US-Patentschrift 4 552 839 (NK 23), in der teilchenförmige Direktmarkierungsstoffe zwar beschrieben sind, die aber ebenfalls gelöst auf den porösen Träger aufgebracht werden. Die Verwendung von Direktmarkierungsstoffen in gelöstem Zustand führte nicht zu der vom Streitpatent aufgefundenen einfachen Ein-Schritt-Analyse, bei welcher der Anwender lediglich die Flüssigkeitsprobe in Kontakt mit dem Testgerät bringen muss, um kurze Zeit später ein Testergebnis ablesen zu können. Um den Test so zu vereinfachen, musste der Fachmann die vergleichsweise umständliche Vermischung der Probe mit dem Bindungsreagenz vor der Aufbringung auf den Teststreifen durch eine einfache und sicher anwendbare Alternative ersetzen. Dazu musste er erkennen, dass die direktmarkierten Bindungsreagenzien auch in trockenem Zustand im Träger untergebracht werden können, um sie von der infolge der Kapillarwirkung aufsteigenden Probe wieder auflösen und mitsamt der Probenflüssigkeit zum auf dem porösen Träger immobilisierten komplementären Bindungspartner schwemmen zu lassen.
41
(5) Zu dieser Lösung führte den Fachmann auch nicht der in der internationalen Patentanmeldung WO 86/03839 (NK 11) beispielhaft beschriebene qualitative Schwangerschaftstest (Beispiel X). Bei diesem wird eine Nitrocellulosemembran als Träger eingesetzt, die mit einer Abdeckung versehen wird, welche eine etwa 2 mm2 große Öffnung aufweist. Ein Tupfer, der mit lyophilisiertem Gold markierte Anti-hCG-Antikörper enthält, wird in Probeurin, welcher möglicherweise hCG enthält, angefeuchtet und dann für etwa 30 Sekunden mit der Membranabdeckung in Kontakt gebracht, damit der Urin aus dem Tupfer in die Membran diffundieren kann. Konzentrationen von hCG von über 50 mIU/ml, die im Allgemeinen eine Schwangerschaft anzeigen, können durch die Anwesenheit eines roten Flecks diagnostiziert werden; schwächere Konzentrationen erzeugen keinen solchen Fleck.
42
Die bloße Verwendung eines lyophilisierten Direktmarkierungsstoffs in diesem Beispiel gibt keinen zur Lehre des verteidigten Streitpatents führenden Hinweis. Die Benutzung eines mit markierten Antikörpern imprägnierten Tupfers , der mit Urin zu benetzen und dann auf die Membran aufzubringen ist, führt ebenso wenig zu einem aufgabengemäß problemlos und fehlerunanfällig von Laienhand ausführbaren Ein-Schritt-Analysensystem, wie dieses Beispiel dem Fachmann keine Anregung dafür gibt, das trockene markierte Bindungsreagenz in einer ersten Zone eines porösen Trägers zu platzieren, um es von der durch Kapillarität aufsteigenden Probenflüssigkeit zu einem einer weiteren Zone stromabwärts des Trägers fixierten Bindungspartners transportieren zu lassen. Vielmehr findet die Detektion punktuell an der Stelle statt, an der der Tupfer mit der mit polyklonalen Antikörpern gesättigten Membran in Berührung gebracht wird. Insgesamt bietet dieses Testverfahren keine Anregungen für die vom Streitpatent aufgabengemäß angestrebte Verbesserung der marktüblichen Testgeräte für den privaten Gebrauch, wie dies im Ergebnis auch schon die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in ihrer Entscheidung vom 27. Januar 2000 - T 0681/98 befunden hat.
43
cc) Die europäischen Patentanmeldungen 284 232 (NK 14) und 286 371 (NK 16) sind bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen (Art. 56 Satz 2 i. V. mit Art. 54 Abs. 3 EPÜ). Die europäische Patentanmeldung 299 428 (NK 15) ist ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Wie bereits ausgeführt, liegt das für sie maßgebliche Anmeldedatum zeitlich nach dem des Streitpatents (oben IV 2 a dd).
44
Die europäische Patentanmeldung 250 137 (NK 13) ist zwar dem Stand der Technik zuzurechnen, gab dem Fachmann aber keine Anregungen zur Auffindung zu der vom Streitpatent in seiner verteidigten Fassung unter Schutz gestellten Lehre.
45
3. Die nachgeordneten Ansprüche und der nebengeordnete Verfahrensanspruch haben mit dem verteidigten Hauptanspruch Bestand.
46
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 121 Abs. 2 PatG.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 07.06.2005 - 3 Ni 11/01 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 112/99 Verkündet am:
1. Oktober 2002
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
Kupplungsvorrichtung II
EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. b; IntPatÜG Art. II § 1 Nr. 2
Die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung der geschützten Erfindung
benötigt, müssen nicht im Patentanspruch enthalten sein; es genügt,
wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben.
BGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 - X ZR 112/99 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 20. April 1999 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 111 092 (Streitpatents ), das auf einer Anmeldung vom 8. Oktober 1983 beruht, mit der Prioritäten schweizerischer Patentanmeldungen vom 18. Oktober 1982 und 18. August 1983 geltend gemacht worden sind. Das Streitpatent betrifft eine Kupplungsvorrichtung. Es hat im Einspruchsverfahren aufgrund der Entscheidung der Be-

schwerdekammer 3.2.1. des Europäischen Patentamts vom 11. Februar 1992 eine neue Fassung erhalten. Danach umfaßt das Streitpatent 16 Ansprüche; Anspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
"Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung mit zwei koaxialen Kupplungsorganen (1, 3) und einer dazwischengefügten , in Umfangsrichtung starren Mitnehmerscheibe (6), wobei das eine Kupplungsorgan (1) an der Bearbeitungseinrichtung befestigt ist, und mit wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen (7, 8) versehen ist, wobei die Mantelfläche der Mitnehmerzapfen (7, 8) zumindest teilweise konisch ausgebildet ist, wobei das andere Kupplungsorgan (3) das Werkstück trägt, und beim Werkstückwechsel zusammen mit diesem von dem einen Kupplungsorgan (1) lösbar ist, und wobei Mittel (2, 5) vorgesehen sind, die die beiden Kupplungsorgane (1, 3) in axialer Richtung lösbar gegeneinander verspannen, wobei ferner die Mitnehmerscheibe (6) aus Federstahl besteht und im Abstand von der Kupplungsfläche (16) des anderen Kupplungsorgans (3) drehfest mit diesem verbunden und mit Öffnungen (19, 20) versehen ist, die korrespondierend zu den Mitnehmerzapfen (7, 8) angeordnet sind und deren Kanten (21) die konischen Mantelflächen (10, 13) der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise derart übergreifen, daß die Federstahlscheibe (6) in gespanntem Zustand der Kupplungsvorrichtung im Bereich der Öffnungen (19, 20) axial elastisch deformiert ist, und wobei eines (3) der beiden Kupplungsorgane (1, 3) mit drei über die Kupplungsfläche (16) vorstehenden Abstands-

zapfen (22) versehen ist, deren Stirnflächen (23) beim Kupplungseingriff gegen die Kupplungsfläche (9) des anderen Kupplungsorgans (1) aufliegen."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat mit ihrer Nichtigkeitsklage die Nichtigerklärung des Streitpatents für die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang beantragt. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig , weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung und dem Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das europäische Patent 0 111 092 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
In zweiter Instanz zieht die Klägerin auch in Zweifel, daß die erfindungsgemäße Lehre in der Patentschrift so offenbart werde, daß ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Akademischer Direktor Dr.-Ing. O. W. hat als gerichtlicher Sachver- ständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Das zulässige Rechtsmittel der Klägerin hat keinen Erfolg.
Soweit in der Erstreckung der Klage auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit eine Klageerweiterung liegt, ist diese als sachdienlich zuzulassen.
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung wie z.B. einer Drehbank, einer Fräsmaschine oder einer Schleifmaschine. Die Streitpatentschrift weist einleitend (Sp. 1 Z. 21 f.) darauf hin, daß im Präzisionswerkzeugbau außerordentlich hohe Anforderungen an die Genauigkeit gestellt würden, mit der ein Werkstück bearbeitet werden könne. Es müsse insbesondere gewährleistet sein, daß ein zu bearbeitendes Werkstück in genau definierter Lage in eine Bearbeitungseinrichtung eingespannt werden könne. An die Zentrizität würden dabei hohe Anforderungen gestellt. Außerdem sei es häufig notwendig, das zu bearbeitende Werkstück nacheinander in mehreren Bearbeitungseinrichtungen einzuspannen, um daran verschiedene Bearbeitungsvorgänge durchzuführen. Dies erfordere eine absolut zentrische und - je nach Arbeitsvorgang - auch winkelgenaue Einspannung in der jeweiligen

Bearbeitungseinrichtung. Diese Anforderungen stellen sich nach der Streitpa- tentschrift beispielsweise bei der Herstellung von Elektrodenkörpern für Erodiermaschinen ; die Anforderungen an die Maßgenauigkeit liegen dabei in einer Größenordnung von wenigen Tausendstel Millimetern.
Ein Einspannen des Werkstücks in eine Bearbeitungseinrichtung in genau definierter Lage mit nur geringen Toleranzen in bezug auf Exzentrizität läßt sich nach der Streitpatentschrift mit Hilfe von bekannten Konussitzen erzielen. Diese gewährleisteten zwar eine zwangsläufige Zentrierung mit sehr hoher Genauigkeit, seien andererseits jedoch anfällig gegen Verschmutzungen. Ein verunreinigter Konussitz sei entweder in seiner Genauigkeit beeinträchtigt oder lasse sich infolge übermäßiger Selbsthemmung nicht oder fast nicht mehr lösen. Bei einem Konussitz werde auch nicht die Forderung nach einer winkelgerechten Einspannung des Werkzeugs erfüllt. Die weiter gebräuchlichen Spannfutter haben nach der Streitpatentschrift den Nachteil, daß sie für Verschmutzungen anfällig sind und damit eine winkelgerechte Einspannung des Werkstücks nicht gewährleistet ist. Außerdem sei es bei hohen Anforderungen an die Zentrizität der Einspannung notwendig, Konussitz oder Spannfutter mit sehr hoher Präzision zu fertigen, was insbesondere dann hohen Aufwand und hohe Kosten mit sich bringe, wenn viele solcher Einspannvorrichtungen notwendig seien. Neben dieser Kritik am Stand der Technik sieht es die Streitpatentschrift als erstrebenswert an, bei einer Vielzahl von benötigten Einspannvorrichtungen die Werkstücke möglichst schnell und einfach in die Bearbeitungseinrichtungen einspannen zu können. Als Nachteil der aus der deutschen Patentschrift 1 257 496 bekannten Kupplungsvorrichtung bezeichnet die Streitpatentschrift , daß auch sie die Zentrizität und Repetiergenauigkeit der Verbindung nicht gewährleiste und sich nicht leicht lösen lasse.

Hieraus ist die dem Streitpatent zugrundeliegende Problemstellung abzuleiten , eine Kupplungsvorrichtung zur drehfesten auswechselbaren Verbin- dung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungsvorrichtung zu schaffen, die nicht nur eine hochpräzise zentrische Einspannung, sondern zugleich auch eine genau definierte Winkellage des Werkstücks bezogen auf die Bearbeitungsvorrichtung gewährleistet, insbesondere auch dann, wenn die Verbindung oft gelöst und an gleicher oder anderer Stelle wieder hergestellt wird. Die Verbindung soll sich zudem schnell und einfach lösen lassen. Schließlich soll die Kupplungsvorrichtung möglichst unempfindlich gegen Verschmutzungen sein.
Die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung besteht nach dem Inhalt des Patentanspruchs 1 aus einer Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung
1. mit zwei axialen Kupplungsorganen, wobei
1.1 das eine Kupplungsorgan
1.1.1 an der Bearbeitungseinrichtung befestigt und
1.1.2 mit wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen versehen ist,
1.1.2.1 wobei die Mantelfläche der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise konisch ausgebildet ist;

1.2 das andere Kupplungsorgan
1.2.1 das Werkstück trägt,
1.2.2 beim Werkstückwechsel zusammen mit diesem von dem einen Kupplungsorgan lösbar ist und
1.3 eines der beiden Kupplungsorgane mit drei Abstandszapfen versehen ist,
1.3.1 die über die Kupplungsfläche vorstehen und
1.3.2 deren Stirnflächen beim Kupplungseingriff gegen die Kupplungsfläche des anderen Kupplungsorgans aufliegen ;
2. mit Mitteln, die die beiden Kupplungsorgane in axialer Richtung gegeneinander verspannen;
3. mit einer Mitnehmerscheibe, die
3.1 zwischen die Kupplungsorgane gefügt und
3.2 in Umfangsrichtung starr ist,
3.3 aus Federstahl besteht,

3.4 drehfest mit dem anderen Kupplungsorgan verbunden ist,
3.5 im Abstand von der Kupplungsfläche des anderen Kupplungsorgans mit diesem verbunden ist und
3.6 mit Öffnungen versehen ist,
3.6.1 die korrespondierend zu den Mitnehmerzapfen angeordnet sind und
3.6.2 deren Kanten die konischen Mantelflächen der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise derart übergreifen, daß die Federstahlscheibe in gespanntem Zustand der Kupplungsvorrichtung im Bereich der Öffnungen axial elastisch deformiert ist.
2. Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist danach eine Kupplungsvorrichtung, die aus zwei Kupplungsorganen besteht, die axial (z.B. durch eine Schraube) verbunden werden können. Eines der beiden Kupplungsorgane ist an der Bearbeitungseinrichtung befestigt. Dieses weist wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehende Mitnehmerzapfen auf, deren Mantelfläche zumindest teilweise konisch ausgebildet ist. Das andere Kupplungsorgan trägt das Werkstück und ist mit diesem von dem an der Bearbeitungseinrichtung befestigten Kupplungsorgan zu lösen. Zwischen die Kupplungsorgane ist eine Federstahlscheibe gefügt, die drehfest mit dem Kupplungsorgan verbunden ist, das das Werkstück trägt. Diese Federstahlscheibe

weist Öffnungen auf, die mit den Mitnehmerzapfen korrespondieren. Über die Mitnehmerzapfen und die korrespondierenden Öffnungen erfolgt beim zunächst kraftfreien Positionieren die exakte Ausrichtung und Fixierung der beiden Kupplungsorgane zueinander in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung, d.h. in der Ebene der Mitnehmerscheibe. Die Kanten der korrespondierenden Öffnungen übergreifen die konischen Mantelflächen der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise. An einem der beiden Kupplungsorgane befinden sich drei Abstandszapfen , die über die Kupplungsfläche vorstehen. Werden die zunächst in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung fixierten Kupplungsorgane verspannt, kommen die drei die Mitnehmerscheibe durchgreifenden Abstandszapfen an der Oberfläche des anderen Kupplungsorgans zur Anlage, bis sie fest anliegen. Dadurch wird die Ausrichtung der beiden Kupplungsorgane auch in der z-Achse erreicht.
Die Ausrichtung der Kupplungsorgane über Mitnehmerscheibe und Abstandshalter hat zum einen den Vorteil, daß auf mit den Abstandshaltern korrespondierende Vertiefungen oder die Verwendung von nut- und federartigen Mitnehmern verzichtet werden kann, in denen sich Schmutz sammeln kann mit der Folge, daß eine genaue Auflage und damit eine präzise Ausrichtung der Kupplungsorgane zueinander nicht mehr gewährleistet ist. Zum anderen kann bei ihr auf eine vollkommen präzise Abstimmung der Mitnehmerzapfen und aller mit ihnen korrespondierenden Öffnungen in der Mitnehmerscheibe verzichtet werden. Die Öffnungen für die Mitnehmerzapfen müssen nur auf eine exakte Mitnahme ausgerichtet sein; in radialer Richtung können sie, sofern sie nur in ihrem Zusammenwirken die exakte Ausrichtung der Kupplungsorgane in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung gewährleisten, wie in dem Ausführungsbeispiel gezeigt nach Art eines Langlochs gestaltet sein, dessen Maße

nur größenordnungsmäßig auf den korrespondierenden Zapfen abgestimmt sein müssen, weil die Federstahlscheibe und ihre Materialeigenschaften beim Eindringen der Zapfen in die korrespondierenden Öffnungen dazu führen, daß diese an den Rändern axial elastisch verformt und die Öffnungen aufgespreizt werden.
Die Positionierung der beiden Kupplungsorgane erfolgt demnach in getrennten Schritten: Die Zentrierung der beiden Kupplungsorgane und die Winkellage des Kupplungsorgans, das das Werkstück trägt, im Verhältnis zu dem anderen Kupplungsorgan wird durch das Eingreifen der Mitnehmerzapfen in die korrespondierenden Öffnungen erreicht, wobei die Kanten der Öffnungen in lose aufgesetzter Position die konische Mantelfläche der Zapfen nur zum Teil übergreifen. Die genaue Ausrichtung der beiden Kupplungsorgane in der z-Achse wird durch das Aufliegen der verspannten Abstandszapfen auf der Kupplungsfläche des mit der Bearbeitungseinrichtung verbundenen Kupplungsorgans bewirkt. Damit wird die Ausrichtung der Kupplungsorgane in der Drehachse gewährleistet und eine reibschlüssige Übertragung von Kräften und Drehmomenten von dem einen auf das andere Kupplungsorgan ermöglicht. Beim Verspannen werden zugleich die in lose aufgesetztem Zustand die Mantelfläche der Zapfen nur teilweise übergreifenden Ränder der korrespondierenden Öffnungen aufgespreizt. Dadurch werden eventuell vorhandene Schmutzpartikel und Abrieb beiseite geschoben und verteilen sich in dem Zwischenraum zwischen der Mitnehmerscheibe und der Oberfläche der Kupplungsorgane , so daß diese Verunreinigungen die Genauigkeit des zentrischen und winkelgenauen Ausrichtens nicht beeinträchtigen.

3. In der bevorzugten Ausführung beschreibt die Streitpatentschrift eine Ausgestaltung der erfindungsgemäßen Lehre, bei der zwei Mitnehmerzapfen und zwei korrespondierende Öffnungen vorhanden sind; der gerichtliche Sachverständige hat dies als die einzig sinnvolle Ausführungsform bezeichnet, bei der sich die mit der Lehre des Streitpatents angestrebten Vorteile auf einfache Weise verwirklichen lassen. Einer der beiden Zapfen ist bei dieser Ausgestaltung zentrisch angeordnet und weist eine kegelstumpfförmige Kontur auf, der andere ist exzentrisch zur Drehachse angeordnet und kann auch radiusparallel verlaufende Seitenflächen besitzen. Die mit dem zentrisch angeordneten Zapfen korrespondierende Öffnung ist zentral und kreisrund, die andere Öffnung ist ein Langloch mit radiusparallelen Seitenkanten. Bei dieser Gestaltung übernimmt der zentrisch angeordnete Zapfen in Zusammenwirken mit der korrespondierenden Öffnung die Zentrierung der Kupplungsorgane, während der exzentrisch angeordnete Zapfen und das diesem korrespondierende Langloch für die exakte Winkellage der Kupplungsorgane zueinander verantwortlich ist (Streitpatentschrift Sp. 4 Z. 35-42). Damit beschreibt die Streitpatentschrift ein Ausführungsbeispiel, wie es mit Patentanspruch 2 beansprucht wird. Der gerichtliche Sachverständige hat dazu überzeugend ausgeführt, es seien jedoch auch Ausgestaltungen mit mehr als zwei Mitnehmerzapfen technisch möglich. Auch eine andere Gestaltung der Öffnungen, etwa zwei runde Öffnungen, komme in Betracht. Es seien dann allerdings engere Toleranzen einzuhalten.
Der Fachmann, der sich mit der Streitpatentschrift befaßt, wird danach, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, die Ausgestaltung, wie sie Gegenstand von Patentanspruch 2 und wie sie allein in der Beschreibung dargestellt ist, für die optimale, allerdings nicht für die allein mögliche Lösung halten. Als einen solchen Fachmann durchschnittlichen Wissens und Könnens

sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen einen als Maschinenbautechniker ausgebildeten Konstrukteur von Spannwerkzeugen und Spannmitteln für Werkzeugmaschinen an, der sich durch mehrjährige Berufserfahrung einschlägige Kenntnisse auf diesem Spezialgebiet erworben hat.
4. Zu Unrecht macht die Klägerin hinsichtlich des Patentanspruchs 1 mangelnde Ausführbarkeit geltend. Jedenfalls das auch unter Patentanspruch 1 fallende Ausführungsbeispiel, in dem weitere Elemente in Patentanspruch 2 genannt sind, ist ausführbar. Damit ist aber auch Ausführbarkeit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 gegeben. Hierfür ist es nach der Rechtsprechung des Senats nämlich nicht erforderlich, daß alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs 1 fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können (vgl. Sen. BGHZ 147, 306, 317 - Taxol). Insbesondere müssen die Angaben , die der Fachmann zur Ausführung benötigt, nicht in Patentanspruch 1 enthalten sein, es genügt, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben (vgl. Sen.Beschl. v. 16.06.1998 - X ZB 3/97, GRUR 1998, 899, 900 - Alpinski). Dies ist hier der Fall.
II. 1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt , daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht und deshalb patentfähig ist. Der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1, Art. 52 Abs. 1, Art. 56 EPÜ liegt deshalb nicht vor. Zwar enthält die Gesamtkombination, wie sie das Streitpatent lehrt, zahlreiche Komponenten, die bereis im Formenschatz der Technik vorhanden waren. Ein solches Vorhandensein von Einzelmerkmalen begründet für sich jedoch noch nicht das Naheliegen ihrer Kombination

(Sen.Urt. v. 12.05.1998 - X ZR 115/96, GRUR 1999, 145, 148 - Stoßwellen- Lithotripter).

a) Die Kupplungsvorrichtung nach der deutschen Patentschrift 1 257 496, die in der Streitpatentschrift erwähnt wird, besteht ähnlich wie die Vorrichtung nach dem Streitpatent aus zwei koaxialen Kupplungsorganen und einer dazwischengefügten, in Umfangsrichtung starren Mitnehmerscheibe, wobei das eine Kupplungsorgan mit zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen versehen und die Mantelfläche dieser Mitnehmerzapfen konisch ausgebildet ist. Die dort vorgeschlagene Kupplung dient jedoch einem anderen Zweck, sie soll nämlich bekannte Kupplungen so ausgestalten, daß sie nur in einer einzigen relativen Winkelstellung der Kupplungshälften einrückbar sind und die Drehbewegung spielfrei übertragen. Dagegen kommt es weder auf die Zentrizität der Verbindung noch auf die rasche und einfache Lösbarkeit und Repetiergenauigkeit an. Die Kupplung nach der deutschen Patentschrift 1 257 496 eignet sich zum Kuppeln eines in einem Gestell auf einem Kraftfahrzeug schwenkbar gelagerten Geräts, z.B. eines Fernrohrs, mit der Welle eines am Gestell abnehmbaren befestigten Synchrogebers. Die Kupplung besteht aus einem ersten Kupplungsorgan, aus einem an diesem beweglich geführten Mitnehmer, aus dazwischen angeordneten Teilen zum spielfreien Übertragen der Drehbewegung zwischen den Kupplungsorganen und dem Mitnehmer und schließlich aus dem zweiten Kupplungsorgan, das zur Schwenkachse , beispielsweise des Fernrohrs, gleichachsig angeordnet ist und von dem schwenkbaren Fernrohr spielfrei mitgenommen wird.
Im Unterschied zur Kupplungsvorrichtung nach dem Streitpatent werden die beiden Kupplungsorgane nach der Entgegenhaltung bei der Montage nicht

axial gegeneinander verspannt und damit auch nicht zentriert. Das erwähnte spielfreie Übertragen der Drehbewegung soll nach Anspruch 1 der deutschen Patentschrift 1 257 496 dadurch erreicht werden, daß die Druckfeder aus zwei parallelen biegsamen Drähten besteht; mittels dieser Federelemente wird die an dem ersten Kupplungsorgan angebrachte Mitnehmerscheibe gegen das zweite Kupplungsorgan gedrückt und damit werden die konischen Zapfen in die Öffnungen der Mitnehmerscheibe eingeführt, so daß die beiden Kupplungsorgane in der x-y-Ebene gekoppelt sind; eine gleichartige Fixierung in z-Richtung ist dem nicht zu entnehmen.
Damit gibt die deutsche Patentschrift 1 257 496 keine Anregung für eine optimale Zentrierung der Kupplungsorgane. Es geht bei ihr nicht um ein präzises Ausrichten, sondern um eine federnde Verbindung; eine Festlegung in der z-Achse erfolgt nicht. Erst recht lassen sich ihr keine Anregungen entnehmen, wie Mitnehmerzapfen und korrespondierende Öffnungen auszugestalten sind, um eine hochpräzise zentrische Einspannung und eine genau definierte Winkellage des Werkstücks in bezug auf die Bearbeitungseinrichtung zu erreichen. Schließlich ergibt sich keinerlei Hinweis, im Sinne des Merkmals 3.6.2 die Kanten der Öffnungen, in die die Mitnehmerzapfen eingreifen, so auszugestalten , daß sie ohne zusätzliche Hilfsmittel fest mit der korrespondierenden Scheibe zusammenwirken können, ohne auf die dort vorgesehenen Öffnungen präzise ausgerichtet zu sein. Anregungen, bei der Ausrichtung die Verformbarkeit der Federstahlscheibe auszunutzen und so die Notwendigkeit einer präzisen Abstimmung der Mitnehmerzapfen und der mit ihnen korrespondierenden Öffnungen zu vermeiden, lassen sich der Schrift nicht entnehmen.


b) Die US-Patentschrift 3.386.315 offenbart einen Indexmechanismus für eine Werkzeugdrehhalterung auf einer Drehbank. Der Indexmechanismus dient dazu, die Drehhalterung entsprechend dem gewünschten Arbeitsvorgang präzise zu positionieren. Auf einem Werkzeugschlitten ist ein scheibenförmiger Indextisch fest verschraubt. Durch eine Bohrung im Zentrum des Indextisches ist eine Spindel geführt, die am unteren Ende mit der Unterseite des Indextisches verschraubt ist. Die Spindel ist von einem Werkzeugsupport umgeben, der um die Spindel drehbar ist. Indextisch und Werkzeugsupport sind voneinander beabstandet. Auf dem äußeren Peripherieabschnitt des Indextisches sind auf der dem Werkzeugschlitten abgewandten Oberfläche vier radiale Rippen in Winkelintervallen von ca. 90 ° vorgesehen. Jede der Rippengruppen umfaßt eine radiale Nut, die in der oberen Fläche des Indextisches ausgebildet ist und einen Wulst, der beiderseits der Nut vorgesehen ist. Der Indextisch besitzt weiterhin vier kleine Ausnehmungen von kreisförmiger Gestalt, die gegenüber den inneren Enden der Nuten auf einem Kreisbogen angeordnet sind, dessen Zentrum in der Achse der Spindel liegt. An der Unterfläche des Werkzeugsupports ist ein kreisförmiges elastisches Blech befestigt, das an der dem Indextisch zugewandten Seite vier radiale Wülste aufweist, die in Winkelintervallen von ca. 90 ° angeordnet sind. Die Anordnung ist so getroffen, daß die Wülste in die gegenüber am Indextisch liegenden Nuten eingreifen können.
Die Ausrichtung des Werkzeugssupports in x-y-Ebene verläuft dabei in drei Schritten. Der Werkzeugsupport ist auf einer Seite mit einer Vertikalbohrung versehen, in welcher ein Positionierstift eingefangen ist. Dieser Positionierstift wird durch eine Spiralfeder so lange abwärts gedrückt, bis das untere Ende des Stiftes aus der vertikalen Bohrung durch die federnde Scheibe bis zum Kontakt mit der Oberfläche des Indextisches ragt. Wenn sich der Positio-

nierstift über einer der kreisförmigen Ausnehmungen auf der Oberfläche des Indextisches befindet, kann er in die Ausnehmung greifen und wirkt vorübergehend als Haltestift (US-Patentschrift Sp. 3 Z. 44-55 = deutsche Übers. S. 4 2. Abs.). Sodann kommt ein Sicherheitsstift zum Einsatz. Dieser befindet sich z.B. in Fig. 1 der Entgegenhaltung an der unteren Fläche des Werkzeugssupports und erstreckt sich durch die elastische Scheibe. Wird der Werkzeugsupport nach unten gedrückt, so fällt der Sicherheitsstift in eine der kreisförmigen Ausnehmungen auf der Oberfläche des Indextisches und bewirkt dort eine immer noch vorläufige, aber festere Ausrichtung. Wird der Werkzeugsupport sodann weiter abwärts gedrückt, beginnen die Wülste auf der elastischen Scheibe die benachbarten Nuten auf dem Indextisch zu ergreifen. Wenn die Wülste auf der elastischen Positionierscheibe und die zugeordneten Wülste auf dem Indextisch übereinanderliegen, liegt der Sicherheitsstift gegen die Oberfläche des Indextisches an. Dadurch wird eine weitere Abwärtsbewegung des Werkzeugsupports verhindert. Erst mit dem festen Eingriff der Wülste in die Nuten ist sodann eine endgültige Festlegung auf der x-y-Ebene erfolgt. Die z-Ausrichtung, die beim Streitpatent durch Auflage der drei von einem Kupplungsteil vorstehenden Abstandszapfen auf dem anderen Kupplungsorgan geschieht , erfolgt bei dem Indextisch durch Auflage einer vom Werkzeugsupport abstehenden Ringschulter.
Die Ausrichtung in x-y-Richtung, die bei der US-Patentschrift in den geschilderten drei Schritten verläuft, faßt das Streitpatent in einem einzigen zusammen , indem die exakte Positionierung in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung allein über Mitnehmerzapfen und korrespondierende Öffnungen erfolgt. Danach bestehen zwar Ähnlichkeiten zwischen der Lehre des Streitpatents und derjenigen der US-Patentschrift, was den Ablauf der Ausrichtung in

der x-y-Ebene betrifft. Beim Streitpatent kommen jedoch völlig andere Mittel zum Einsatz, für die der Fachmann in der US-Patentschrift kein Vorbild und auch keine Anregung fand.
Das Ineinandergreifen mehrerer Arbeitsschritte wie bei dem US-Patent verlangt ein hohes Maß an Präzision, bei dem nicht nur die einzelnen Schritte, sondern auch die bei deren Zusammenwirken eingesetzten Teile mit großer Genauigkeit aufeinander abgestimmt sein müssen. Der gerichtliche Sachverständige hat zur Überzeugung des Senats ausgeführt, daß die in der letzten Stufe der Ausrichtung in der x-y-Ebene verwendete Nut-Feder-Kombination eine exakte relative Lage von Nut und Feder erfordert, die bei der Entgegenhaltung u.a. über den Sicherungsstift gewährleistet wird, der damit ebenfalls in seiner Endstellung präzise ausgerichtet sein muß. In gleicher Weise kann der weitere, im ersten Schritt einer vorläufigen Positionierung dienende Stift seine Funktion nur erfüllen, wenn er fest in der Vertiefung ruht, die ihn aufnehmen soll, wenn er durch die im Ausführungsbeispiel gezeigte Feder herabgedrückt wird. Da er nicht eine Öffnung durchgreift, sondern in einer Vertiefung ruht, setzt die durch ihn bewirkte Sicherung ebenfalls ein gewisses Maß an Präzision voraus. Um von dieser Lösung mehrfach gestufter und aufeinander abgestimmter Maßnahmen zu derjenigen des Streitpatents zu gelangen, bedurfte es daher auch aus diesem Grunde nicht nur eines Wechsels der einzelnen Komponenten und ihrer Gestaltung; notwendig war vielmehr ein Übergang auf ein anderes Lösungskonzept, das in der Entgegenhaltung nicht angelegt ist. Die bei ihr schon in der x-y-Ebene erforderlichen mehreren Arbeitsschritte mußten auf einen einzigen reduziert und dabei erkannt werden, daß und mit welchen Mitteln dies ohne Verlust der Genauigkeit bei der Ausrichtung zu erzielen ist. Dafür konnte der Fachmann der Schrift nichts entnehmen.


c) Der übrige Stand der Technik liegt weiter ab, was auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, und vermochte dem Fachmann ebenfalls keine Anregung zu geben, die ihn, ohne daß es eines erfinderischen Schrittes bedurft hätte, zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents geführt hätte.
Deshalb hat Patentanspruch 1 des Streitpatents Bestand und mit ihm die Patentansprüche 2 bis 16, die die zweckmäßige Ausgestaltung des Gegenstands von Patentanspruch 1 betreffen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 7/00 Verkündet am:
24. September 2003
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
blasenfreie Gummibahn I
PatG (1981) §§ 81 ff.
Im Patentnichtigkeitsverfahren bedarf es der Feststellung des Gegenstands
eines angegriffenen Patentanspruchs nur in dem Umfang, wie dies zur
Prüfung der Bestandsfähigkeit des Patents gegenüber dem geltend gemachten
Nichtigkeitsgrund erforderlich ist. Für diese Feststellung gelten die
gleichen Grundsätze wie bei der Feststellung des Sinngehalts und bei der
Auslegung des Patents im Verletzungsstreit. Dabei darf im Nichtigkeitsverfahren
nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen
Patentansprüche zugrunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit
eher bejaht werden könnte.
EPÜ Art. 138 Abs. 1; IntPatÜG Art. II § 6 Abs. 1; PatG (1981) § 21 Abs. 1
Eine "unangemessene Anspruchsbreite" füllt für sich gesehen einen der
gesetzlichen Nichtigkeitsgründe grundsätzlich nicht aus.
EPÜ Art. 56, PatG (1981) § 4
Eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste, letztlich nach
Belieben getroffene Auswahl eines engeren Bereichs aus einem größeren
ist für sich grundsätzlich nicht geeignet, eine erfinderische Leistung zu begründen.
BGH, Urt. v. 24. September 2003 - X ZR 7/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Prof.
Dr. Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver und Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin, die im übrigen zurückgewiesen wird, wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 12. Oktober 1999 abgeändert: Das europäische Patent 0 433 563 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß sein Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf die sich die Patentansprüche 2 und 3 zurückbeziehen: "1. Verfahren zur Herstellung einer Gummibahn mit folgenden Verfahrensschritten : - der noch ungehärteten Gummimasse wird vor der Vulkanisation eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beigemischt , die eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm in einer Menge von 1 – 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, aufweist, - das so erhaltene Gemisch wird kalandriert - und anschließend ausvulkanisiert, - so daß die so hergestellte Gummibahn blasenfrei ist." Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin drei Viertel und die Beklagte ein Viertel.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13. September 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 22. Dezember 1989 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 433 563 (Streitpatents), das ein "Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn" betrifft und drei Patentansprüche umfaßt, die in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt lauten:
"1. Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn , in dem man der noch ungehärteten Gummimasse, vor der Vulkanisation, eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beimischt, wobei man eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm wählt bei einer Dosierung von 1 – 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht , und wobei man anschließend das Gemisch ausvulkanisiert.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man zusätzlich , unmittelbar vor der Vulkanisation, auf die Oberfläche der Gesamtmischung vulkanisiertes, zerkleinertes Material mit einer Korngröße von 20 – 80% der gewünschten Enddicke der Gummibahn gleichmäßig aufstreut in einer Menge zwischen 5 und 50 g/m2, und daß man anschließend mittels einer glatten Walze bei einem
Druck von 3 – 15 bar das aufgestreute Material bis zum Oberflächen -Niveau der Gummimasse eindrückt.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß man als letzten Schritt vor der Vulkanisation die Oberfläche des Vulkanisates mit einer Prägestruktur versieht.“
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Sie hat geltend gemacht, daß dessen Gegenstand nicht patentfähig sei, weil er durch den Stand der Technik, wie ihn insbesondere die US-Patentschrift 2.535.034 (Armstrong), die deutsche Patentschrift 36 23 795 (Rehau) und die Unterlagen der nach dem Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 8 vom 20. Oktober 1949 (AHK 8) übergeleiteten, unter dem Aktenzeichen M 3872 XII/39a geführten deutschen Altpatentanmeldung vom 22. Juli 1941 (Michelin; Beschreibung vom 26.5.1952; Hinweis auf die Auslegung vom 30.10.1952) bildeten, vorweggenommen , jedenfalls aber für den Fachmann nahegelegt gewesen sei; sie hat sich zudem auf weitere Literaturstellen gestützt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten ; das Bundespatentgericht hat sie abgewiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. Sie macht weiter sinngemäß geltend, daß die Erfindung nicht so deutlich offenbart sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit folgendem, hinsichtlich kleiner Versehen korrigiertem Patentanspruch 1, auf den sich die Patentansprüche 2 und 3 zurückbeziehen sollen:
"1. Verfahren zur Herstellung einer Gummibahn mit folgenden Verfahrensschritten : - der noch ungehärteten Gummimasse wird vor der Vulkanisation eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung bei-
gemischt, die eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm in einer Menge von 1 – 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, aufweist, - das so erhaltene Gemisch wird kalandriert - und anschließend ausvulkanisiert, - so daß die so hergestellte Gummibahn blasenfrei ist."
Die Klägerin sieht auch die hilfsweise verteidigte Fassung der Patentansprüche als nicht schutzfähig an.
Prof. Dr.-Ing. D. M. , hat im Auftrag des Senats ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


I. Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang seines Patentanspruchs 1 und der Unteransprüche in Rückbeziehung auf diesen, während sie ohne Erfolg bleibt, soweit die Beklagte das Streitpatent mit den Patentansprüchen nach Hilfsantrag verteidigt. Insoweit kann – was zu Lasten der Klägerin geht – der Senat nicht feststellen, daß der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. a; Art. 52 ff. EPÜ). Die in Rückbeziehung auf den nicht bestandsfähigen Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht verteidigten Patentansprüche 2 und 3 des Streitpatents werden in der Rückbeziehung auf den hilfsweise verteidigten Patentanspruch 1 von diesem mitgetragen. Durchgreifende Bedenken gegen die Ausführbarkeit der unter Schutz gestellten Gegenstände bestehen nicht (Art. II § 6 Nr. 2 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ); dies gilt sinngemäß auch für die hilfsweise verteidigten Patentansprüche.
II. 1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien , kalandrierten Gummibahn. Ein auf eine solche Gummibahn gerichteter Sachanspruch ist im Streitpatent nicht enthalten. Danach ist die Gummibahn als solche zwar vom Schutz des Streitpatents als unmittelbares Verfahrenserzeugnis erfaßt (§ 9 Nr. 3 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ), sie ist dagegen nicht Gegenstand des Patents (vgl. Senat BGHZ 95, 295, 298 – borhaltige Stähle).
2. Das Streitpatent bezeichnet es als üblich, zur Herstellung von Elastomer -Bahnenwerkstoffen und von bahnenförmigen Dichtungsmaterialien im Kalandrierverfahren einen Rohling entsprechender Dicke herzustellen und diesen sodann einem kontinuierlichen Vulkanisationsprozeß zu unterziehen. Dabei entstehe jedoch kein blasenfreier Rohling, weil sich im Kalandrierverfahren vorgebildete Blasen in der Rohlingsbahn im Fertigerzeugnis nachteilig bemerkbar
machten; insbesondere träten Ausschuß und Fehlerstellen auf, die bei Flachdichtungen die Funktionsfähigkeit gefährdeten.
3. Durch das Streitpatent soll demgegenüber ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden, mit dem ohne sonstige Qualitätsverluste blasenfreie kalandrierte Gummibahnen hergestellt werden können (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 24 – 27).
4. a) Hierzu lehrt das Streitpatent ein Verfahren mit folgenden Merkmalen:
(1) Der noch ungehärteten Gummimasse wird beigemischt (1.1) eine Fraktion vulkanisierten Materials (1.2) in räumlich gleichmäßiger Verteilung (1.3) in einer Dosierung von 1 – 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht.
(2) Das beigemischte vulkanisierte Material (2.1) ist zerkleinert, (2.1.1)weist eine Partikelgröße von 0,7 mm ± 0,1 mm auf und (2.2) hat eine unregelmäßige Grundstruktur.
(3) Anschließend wird das Gemisch ausvulkanisiert.

b) Die Beschreibung des Streitpatents gibt erläuternd an, systematische Versuche hätten überraschenderweise ergeben, daß bei Einhaltung der in Patentanspruch 1 angegebenen Grenzen ein Optimum an Blasenfreiheit in der Elastomerbahn erreicht werde. Zerkleinertes Material mit unregelmäßiger Raumstruktur sei mühelos zu erreichen, wenn man vulkanisierte Teile wie Produktionsrückstände in einer Prallmühle vermahle.

c) Die Angabe, daß die Beimischung vor der Vulkanisierung erfolgt, enthält dabei keinen sachlichen Überschuß gegenüber der weiteren Angabe im Patentanspruch, daß das Gemisch anschließend ausvulkanisiert wird.

d) Das Kalandrieren stellt nach der Formulierung des Patentanspruchs 1 keinen eigenen Verfahrensschritt dar, es ist vielmehr lediglich als Eigenschaft oder Zustand ("kalandriert") des angestrebten Produkts formuliert. In welcher Form diesem die Eigenschaft des Kalandriertseins vermittelt wird, ergibt sich aus der Formulierung des Patentanspruchs nicht. Die Eigenschaft, in bestimmter Weise hergestellt zu sein, muß einem Verfahrenserzeugnis auch nicht notwendig anzusehen sein. Aus der Sicht des Fachmanns erscheint sie daher nur als ein Hinweis, mit dem nicht ein Herstellungsschritt, sondern ein Zustand des Verfahrenserzeugnisses kurz und prägnant umschrieben wird.
Dies zeigt zugleich, daß bei einem Patentanspruch, der wie hier auf ein Herstellungsverfahren gerichtet ist, Angaben, die sich auf Eigenschaften des mit dem Verfahren herzustellenden Erzeugnisses beziehen, aber selbst nicht als Verfahrensschritt formuliert sind, jedenfalls nicht notwendig und nicht ohne weiteres Einschränkungen des Gegenstands des Patentanspruchs dahin bedeuten, daß eine aus der Eigenschaft abzuleitende weitere, im Patentanspruch aber nicht als Verfahrensschritt genannte Maßnahme ihrerseits zum Gegenstand des Patentanspruchs gehört.
III. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Erfindung im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann, als den der Senat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen einen Hochschulingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschukverarbeitung ansieht, sie ausführen kann.
1. Die Klägerin hat ihre Auffassung im wesentlichen damit begründet, daß Patentanspruch 1 nach seiner Formulierung jede beliebige Gummimasse und
damit auch solche erfasse, bei denen Blasenbildung nicht auftrete. Das steht der Ausführbarkeit indessen schon deshalb nicht entgegen, weil auch bei derartigen Ausgangsmaterialien die Verfahrensschritte, die Gegenstand des Patentanspruchs sind, ausgeführt werden können; nur hierauf kann es aber nach der Formulierung des Patentanspruchs ankommen, nicht dagegen auf eine Sinnhaftigkeit der Anweisung bei allen denkbaren Ausführungsformen. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, entstände bei der Anwendung des Verfahrens auf Gummimassen, bei denen Blasenbildung nicht auftritt, im übrigen ebenfalls eine blasenfreie Gummibahn.
2. Die Klägerin macht weiter geltend, nur einer der in der Beschreibung angegebenen Versuche führe mit den dort angegebenen Parametern zu einer blasenfreien Bahn. Hierauf kommt es indessen schon deshalb nicht an, weil es für die Bejahung der Ausführbarkeit ausreicht, wenn lediglich ein gangbarer Weg zum Ausführen der Erfindung offenbart ist (vgl. Senat BGHZ 147, 306, 316 ff. – Taxol).
3. Aus dem gleichen Grund geht auch das Argument der Klägerin fehl, es wären Angaben über die Druckverhältnisse und die Temperatur bei der Vulkanisation erforderlich gewesen, da Blasenbildung nur dann auftrete, wenn der Vulkanisationsprozeß bei geringem Druck ausgeübt werde. Darüber hinaus hat der gerichtliche Sachverständige insoweit bei seiner Anhörung zur Überzeugung des Senats ausgeführt, daß das Auffinden dieser Parameter von einem Anwender des patentgemäßen Verfahrens auch ohne nähere Hinweise in der Streitpatentschrift erwartet werden konnte.
4. Die schließlich von der Klägerin jedenfalls implizit vertretene Auffassung , Patentanspruch 1 müsse eine vollständige Lehre zum technischen Handeln aufweisen, ist, wie der Senat erst kürzlich ausgeführt hat, rechtlich nicht zutreffend. Die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung der Erfindung benötigt, müssen nicht sämtlich im Patentanspruch enthalten sein; es genügt vielmehr, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben (Sen.Urt. v. 1.10.2002 – X ZR
112/99, GRUR 2003, 235 – Kupplungsvorrichtung II). Bei den in den Patentanspruch aufgenommenen Maßnahmen ist bei der Prüfung der ausführbaren Offenbarung deshalb nicht danach zu fragen, ob diese bei isolierter Betrachtung für sich als "hinreichend" gewertet werden können.
5. Daran, daß der Fachmann die in Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen im Verfahrensgang vornehmen kann, bestehen auch nach dem in der mündlichen Verhandlung überzeugend näher erläuterten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen keine Zweifel.
6. Die von der Klägerin weiter angesprochene Anspruchsbreite bildet keinen Grund, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Auch wenn die Patentansprüche über einen der Erfindung angemessenen Umfang hinausgehen sollten, füllt das für sich gesehen keinen der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe aus (vgl. Busse, PatG 5. Aufl. 1999 § 34 PatG Rdn. 88). Sofern sich aus der Rechtsprechung insbesondere des House of Lords (GRUR Int. 1998, 412, 419 Biogen/Medeva; sogenannte "Biogen insuffiency"; vgl. auch Gerechtshof Den Haag BIE 1999, 394, 397) etwas anderes ergeben sollte, könnte der Senat für eine solche Auffassung keine Stütze in dem abschließenden Katalog der Nichtigkeitsgründe erkennen. In diesem Zusammenhang kommt es zudem darauf, wieweit die Ausführungsbeispiele zu blasenfreien Gummibahnen führen, schon deshalb nicht an, weil die Gummibahnen nicht Gegenstand des Patentanspruchs sind. Schließlich erscheint der Angriff aber auch sachlich nicht als berechtigt, weil nach den von der Klägerin nicht widerlegten Ausführungsbeispielen jedenfalls eines zu einer blasenfreien und mehrere zu deutlich blasenärmeren Bahnen führen.
IV. Der wie unter II. erläutert verstandene Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist gegenüber dem Stand der Technik nicht schutzfähig.
1. a) Der Prüfung der Schutzfähigkeit ist die in den Patentansprüchen unter Schutz gestellten Lehre zu unterziehen. Dabei bedarf es der Feststellung des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche nur in dem Umfang, wie dies zur Prüfung der Bestandsfähigkeit des Patents gegenüber den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen erforderlich ist. Für diese Feststellung gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Feststellung des Sinngehalts und bei der Auslegung des Patents im Verletzungsstreit (vgl. Sen.Urt. v. 7.11.2000, berichtigt am 9.1.2001 – X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 – Brieflocher).

b) Grundlage für die Bestimmung der danach geschützten Lehre ist das Verständnis der Patentansprüche durch den maßgeblichen Fachmann. Erscheinen – auch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen – Formulierungen in den Patentansprüchen als mehrdeutig, ist gleichwohl zu ermitteln, welche Vorstellungen der Fachmann mit ihnen verbindet. Dabei darf im Nichtigkeitsverfahren nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen Patentansprüche zugrunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden könnte.
2. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist allerdings neu; keine der Entgegenhaltungen offenbart ein Verfahren mit sämtlichen dort vorgesehenen Maßnahmen.

a) Die auf das Jahr 1941 zurückgehende Patentanmeldung M 3872 XII/39a (Michelin) betrifft ein Verfahren zur Aufarbeitung von Altkautschuk, der aus abgenutzten Erzeugnissen wie Reifen in großen Mengen anfällt. Nach dem dort gemachten Vorschlag werden einer vulkanisationsfertig vorliegenden Kautschukmischung polyedrisch gekörnte (vulkanisierte) Altkautschukteile einverleibt. Die Angabe, "die Mengenanteile der Körner und des Frischgemisches sind beliebig", stellt es dabei in das Belieben der Fachwelt, in welchen Mengen die Beimischung erfolgt, und erfaßt somit auch die Mengenangabe des Streitpatents. Dabei kann dahinstehen, ob dies in einer für die Prüfung auf Schutzfähigkeit gegenüber dem
Stand der Technik relevanten Weise geschieht, etwa als Offenbarung einer Bereichsangabe in der Form <100% und >0% (vgl. Sen.Urt. v. 7.12.1999 – X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 593 f. – Inkrustierungsinhibitoren), wogegen Bedenken geltend gemacht werden könnten, weil die Angabe, die Werte könnten beliebig gewählt werden, sich einer konkreten Bereichsangabe gerade enthält. Angaben zur Teilchengröße in der Entgegenhaltung fehlen ganz und sind, wie der gerichtliche Sachverständige auf Befragen in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dieser auch nicht zu entnehmen. Damit mag zwar der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents unter die allgemeinere Lehre der Entgegenhaltung fallen; ein Neuheitshindernis stellt dies schon deshalb nicht dar, weil das Streitpatent eine zusätzliche Maßnahme vorsieht, die die Entgegenhaltung nicht offenbart.

b) Die auf eine Anmeldung aus dem Jahr 1946 zurückgehende USPatentschrift 2.535.034 (Armstrong) betrifft die Herstellung von Kautschukfolien und –platten ("sheets"). Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die dabei auftretende Blasenbildung zu verhindern, ohne auf das Material während des Aushärtens hohe Drücke aufbringen zu müssen. Die Entgegenhaltung schlägt hierfür die Zugabe verschiedener Zusatzstoffe zum unvernetzten (d.h. noch nicht vulkanisierten) Kautschuk sowie bestimmte Temperatur- und Druckführungen vor. Das Material kann kalandriert werden und wird einer Aushärtung unterzogen. Ein Hinweis auf die Beimischung vulkanisierten Materials findet sich nicht; das haben auch das sachkundig besetzte Bundespatentgericht und der gerichtliche Sachverständige so gesehen. Damit sind die Merkmalsgruppen (1) und (2) nicht vorweggenommen.

c) Die deutsche Patentschrift 36 23 795 (Rehau) betrifft die Verwendung einer Fraktion gehärteter Partikel aus elastomerem Material als Beimischung zu Elastomeren vor deren Aushärtung. Dadurch sollen "definiert unruhige" Oberflächen von Elastomerprodukten erzeugt werden. Hierunter fällt, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend angegeben hat, eine etwa auftretende Blasenbildung nicht. Die einzusetzenden Materialien umfassen
auch die Gummimasse und die Fraktion vulkanisierten Materials nach Patentanspruch 1 des Streitpatents. Das beizumischende Material weist dabei in teilweiser Übereinstimmung mit dem Streitpatent eine Partikelgröße von 0,1 mm bis 1 mm auf. Das Ausgangsmaterial wird im Lauf des Herstellungsverfahrens einer Härtung unterzogen (Beschreibung Sp. 3 Z. 55 f.); von diesem Begriff ist, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, auch das Ausvulkanisieren erfaßt. Damit nimmt diese Entgegenhaltung jedenfalls die Merkmale (1), (1.1), (2), (2.1.1) und (3) vorweg. Die Anteile betragen jedoch abweichend vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents 5 bis 60, bevorzugt 20 bis 40, Teile von 100 Teilen und liegen daher außerhalb des in Merkmal (1.3) des Patentanspruchs 1 des Streitpatents genannten Bereichs; daß die Angabe hier anders als im Streitpatent nicht auf das Gewicht, sondern auf das Volumen abstellt, spielt wegen des nahezu gleichen spezifischen Gewichts der Materialien nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen im Ergebnis keine Rolle. Dies schließt es aus, Patentanspruch 1 des Streitpatents als durch die Entgegenhaltung neuheitsschädlich getroffen anzusehen.

d) Der sonst noch genannte Stand der Technik liegt weiter ab und kann die Neuheit der in Patentanspruch 1 des Streitpatents unter Schutz gestellten Lehre nicht in Frage stellen.
3. Bei Anlegung der oben genannten Maßstäbe erfaßt Patentanspruch 1 selbst dann, wenn man alle in ihm enthaltenen Angaben als Lösungsmerkmale verstehen wollte, Ausführungsformen, die durch den Stand der Technik jedenfalls nahegelegt sind. Damit beruht er nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 54, 56 EPÜ).

a) Der Formulierung in Patentanspruch 1 des Streitpatents läßt sich eine exakte Eingrenzung des Begriffs "kalandriert" nicht entnehmen. Die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen hat ergeben, daß dieser Begriff auch so verstanden werden kann, daß er nicht nur das Kalandrieren als einzigen Arbeitsschritt zur Ausbildung der Bahnform, sondern als weitere Alternative auch ein Extrudieren mit
anschließendem Glattwalzen umfaßt. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen wird das (reine) Kalandrierverfahren vor allem bei der Herstellung breiterer Gummibahnen eingesetzt, während das Extrudierverfahren mit anschließendem Glattwalzen (das der gerichtliche Sachverständige zunächst ebenfalls, nach näherer Diskussion mit den Parteien und dem Gericht aber im weiteren Verlauf seiner Anhörung nicht mehr, dem Kalandrieren zugeordnet hat) bevorzugt bei der Erzeugung schmalerer Gummistreifen in Betracht kommt. Daß die Ausführungsbeispiele des Streitpatents durchwegs ein Kalandrieren im engeren Sinn, d.h. nicht das Extrudieren mit nachfolgendem Walzen, betreffen, führt schon wegen ihres Beispielcharakters in den Augen des Fachmanns nicht zu einer Festlegung auf ein engeres Verständnis. Dieses aus der Sicht des Fachmanns unsichere Verständnis des "Kalandriertseins" (s. oben II.4.d) legte es selbst unter Berücksichtigung des weiteren Umstands, daß die Gefahr der Blasenbildung gerade bei einem Kalandrieren im engeren Sinn bestand, für ihn jedenfalls nicht nahe, darin unter Außerachtlassen der für eine Verfahrensmaßnahme ungewöhnlichen sprachlichen Einkleidung einen konkreten Verfahrensschritt , insbesondere mehr als das Vorhandensein einer breit ausgewalzten, dünnen Kautschukbahn zu sehen, wie sie auch mittels eines Extrudier- und Walzverfahrens erzeugt werden kann.

b) Patentanspruch 1 bezieht somit jedenfalls auch die nach den unwidersprochen gebliebenen und für den Senat überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen am Prioritätstag des Streitpatents bereits bekannte Kombination von Extrusion mit nachfolgendem Glattwalzen ein. Auch wenn dabei die Beifügung von Körnchen zur Herstellung der Blasenfreiheit schon deshalb nicht erforderlich ist, weil bei einem solchen Verfahren nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen eine Blasenbildung nicht auftritt, kam diese Maßnahme aus der Sicht des Fachmanns aber etwa zur Herstellung von unruhigen Oberflächen, wie dies die deutsche Patentschrift 36 23 795 beschreibt, in Betracht. Daß die im Streitpatent unter Schutz gestellten Parameter von den in dieser deutschen Patentschrift genannten abweichen, läßt vor dem Hintergrund,
daß es nach dem unter II. erläuterten Verständnis des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung auf den Zweck der Beimischung nicht ankommt, die Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht zu. Eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste, letztlich nach Belieben getroffene Auswahl eines engeren Bereichs aus einem größeren ist für sich nämlich grundsätzlich nicht geeignet, eine erfinderische Leistung zu begründen.

c) Dabei kommt es notwendigerweise schon auf Grund der Beliebigkeit der Maßnahme nicht darauf an, ob der Fachmann Anlaß hatte, diese vorzunehmen. Der insbesondere in der Praxis des Europäischen Patentamts entwickelte sogenannte "could-would-test" (vgl. u.a. Schulte, PatG, 6. Aufl. 2001, § 4 Rdn. 62; Benkard, EPÜ, 2002, Art. 56 Rdn. 60; Kroher in Singer/Stauder, EPÜ, 2. Auflage 2000, Art. 56 Rdn. 58 ff.; White, C.I.P.A. Guide to the Patents Acts. 5th ed., 2001, Rdn. 3.33, jeweils m.w.N.) mag vielfach für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wertvolle Fingerzeige geben. Er kann aber in solchen Fällen nicht weiterführen, in denen – wie hier – dem Fachmann eine beliebige Auswahl an Möglichkeiten zur Verfügung stand; Kriterien für eine Vorzugswürdigkeit einer bestimmten Alternative aber fehlen.

d) Bei der gleichmäßigen Verteilung und der unregelmäßigen Grundstruktur des beizufügenden Materials handelt es sich ersichtlich um Trivialitäten, die sich mehr oder weniger zwangsläufig oder nach Belieben ergeben. Die schließlich noch im Patentanspruch 1 des erteilten Patents aufgeführte Maßnahme des anschließenden Ausvulkanisierens ist eine Selbstverständlichkeit.
V. Der Senat kann demgegenüber nicht feststellen, daß das in Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner hilfsweise verteidigten Fassung unter Schutz gestellte Verfahren gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig ist. Insoweit sprechen vielmehr gewichtige Argumente für das Vorliegen einer erfinderischen Leistung. Gegen seine urspüngliche Offenbarung bestehen keine Bedenken; auch
ist er durch das erteilte Patent gedeckt, die Patentinhaberin konnte sich daher auf ihn zurückziehen.
1. Diese Fassung unterscheidet sich von der des erteilten Patents dadurch , daß sie deren weitere Angaben zu Merkmalen der anspruchsgemäßen Problemlösung macht. Sie enthält den weiteren Verfahrensschritt des Kalandrierens des Gemischs vor dem Ausvulkanisieren sowie eine Festlegung dahin, daß das Verfahrenserzeugnis, die Gummibahn, infolge der Durchführung des Verfahrens blasenfrei ist. Mit der Formulierung "so daß" im Zusammenhang mit der Beschreibung des durch das patentgemäße Verfahren zu erhaltenden Erzeugnisses wird zum Ausdruck gebracht, daß das Erzeugnis maßgeblich zumindest auch auf diesen Maßnahmen beruhen muß, d.h., daß die weiteren Maßnahmen jedenfalls im Sinn nicht hinwegzudenkender Bedingungen für die Blasenfreiheit (mit)ursächlich sein müssen. Bestärkt wird dies dadurch, daß auch das Kalandrieren als Verfahrensschritt ausdrücklich in das geschützte Verfahren einbezogen wird. Da diese Maßnahme – in ihrem engeren Verständnis – nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei seiner Anhörung im besonderen Maß die Gefahr von Gaseinschlüssen mit sich bringt, unterstreicht ihre Einbeziehung die kausale Verknüpfung auch dieser vorgeschlagenen Maßnahme mit den Eigenschaften des herzustellenden Erzeugnisses.
2. Der Gegenstand des hilfsweise verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu, wie sich schon aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ergibt.
3. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sieht der Senat als nächstkommenden Stand der Technik die deutsche Patentschrift 36 23 795 an, die sich zwar ein anderes Ziel gesetzt hat als das Streitpatent, aber die meisten merkmalsmäßigen Übereinstimmungen mit diesem aufweist. Für die Dosierungsangabe in Merkmal (1.3) läßt sich ein Naheliegen nicht feststellen. Insbesondere war aus der Sicht des Fachmanns ein Grund dafür, den in der Entgegenhaltung
genannten Mengenbereich zu unterschreiten, nicht zu erkennen. Die danach bevorzugten Werte lagen am anderen Ende des offenbarten Bereichs. Für eine Eignung der Zugabe zur Vermeidung einer Blasenbildung ist der Entgegenhaltung für den hier interessierenden Wertebereich nichts zu entnehmen; sie ist dort überhaupt nicht angesprochen. Auch dem Stand der Technik im übrigen sind zielführende Hinweise nicht zu entnehmen. Für den Fachmann ergab sich damit keinerlei Hinweis auf die für die Verhinderung einer Blasenbildung geeigneten Maßnahmen. Da die Zugabe der vulkanisierten Teile nach der deutschen Patentschrift 36 23 795 einem ganz anderen Zweck dient, hatte der Fachmann keinen Anlaß, sich darüber Gedanken zu machen, ob er mit der – gegenüber dem unteren Grenzwert allerdings relativ geringen – Modifikation der Dosierung gegenüber dieser Entgegenhaltung eine Beeinflussung der Blasenbildung erreichen konnte. Damit fehlte es zugleich an einer Anregung, die dort offenbarten Werte mit der Zielrichtung der Blasenfreiheit zu ändern.
Die US-Patentschrift 2.535.034 geht zur Vermeidung der Blasenbildung einen ganz anderen Weg und sieht schon eine Beimischung vulkanisierten Materials nicht vor.
Der allgemeinen Angabe in der Michelin-Anmeldung, man könne – zur Wiederverwendung von Altkautschuk – Beimischungen in beliebiger Menge vornehmen, konnte der Fachmann, wenn er vor das Problem der Vermeidung der Blasenbildung gestellt war, ebenfalls keine Anregung entnehmen, die Dosierung der Beimischung gegenüber dem Rehau-Patent zu diesem Zweck auf bestimmte Werte zu konzentrieren. Die Entgegenhaltung enthält hierzu keinen Hinweis.
Gesichtspunkte, die bei dem hilfsweise verteidigten Patentanspruch 1 gleichwohl eine Verneinung der erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen könnten, sind nicht hervorgetreten.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 91 ZPO.
Melullis Jestaedt Scharen
Keukenschrijver Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 51/06 Verkündet am:
11. Mai 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Polymerisierbare Zementmischung
EPÜ Art. 83, 138 Abs. 1 lit. b; IntPatÜbkG Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2; PatG § 99 Abs. 1;

a) Die Einbeziehung eines weiteren Nichtigkeitsgrundes (hier: unzureichende Offenbarung
) in der Berufungsinstanz, nachdem die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht
nur auf einen oder mehrere andere der in Art. 138 Abs. 1 EPÜ, Art. II
§ 6 Abs. 1 IntPatÜbkG aufgeführten Nichtigkeitsgründe gestützt war, stellt eine
Klageänderung (objektive Klagehäufung) im Sinne der Vorschrift des § 533 Nr. 1
ZPO dar, welche nach § 99 Abs. 1 PatG auch im Patentnichtigkeitsverfahren anwendbar
ist.

b) Der Nichtigkeitskläger trägt die Beweislast dafür, dass es dem Fachmann auch
nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der
Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens
ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen.
BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die
Richter Gröning, Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann

für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. Februar 2006 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 219 058 (Streitpatents), das am 8. Oktober 1986 angemeldet wurde und am 8. Oktober 2006 durch Zeitablauf erloschen ist. Das Streitpatent betrifft "polymerisierbare Zementmischungen" und umfasst in der erteilten Fassung 37 Patentansprüche.
2
Die Beklagte hat die Klägerin aus dem Streitpatent wegen Patentverletzung in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit ist derzeit in der Berufungsinstanz bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main anhängig.
3
Die Klägerin hat das Streitpatent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen und im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zur Begründung hat sie insbesondere auf die britische Patentanmeldung 2 094 326 (Anlage D1 und Übersetzung), die deutsche Offenlegungsschrift 28 28 381 (Anlage D4), die europäische Patentschrift 0 115 410 B1 respektive die europäische Patentanmeldung 0 115 410 A2 (Anlagen D5, D5a und Übersetzung) und die europäische Patentanmeldung 0 155 812 (Anlage D7 und Übersetzung) verwiesen. Zudem hat die Klägerin die unangemessene Breite des Patentanspruchs 1 gerügt.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent durch Urteil vom 15. Februar 2006 dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten haben: "1. Polymerisierbare Zementmischungen, enthaltend
a) polymerisierbare, ungesättigte Monomere und/oder Oligomere und/oder Prepolymere, die Säuregruppen und/oder deren reaktive Säurederivatgruppen enthalten,
b) feinteilige, reaktive Füllstoffe, die mit diesen Säuren oder Säurederivaten reagieren können, nämlich Pulver von Phosphatzement (ZnO/MgO) Silikatzementen oder Ionomerzementen sowie
c) Härtungsmittel, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponenten a) und b) derart ausgewählt sind, dass die Säuregruppen oder Säurederivatgruppen gemäß a) mit den feinteiligen, reaktiven Füllstoffen gemäß b) ionisch zu einer Zementreaktion zu führen vermögen.
2. Mischungen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die polymerisierbaren Verbindungen mindestens zwei polymerisierbare Gruppen und mindestens zwei Säuregruppen bzw. deren reaktive Derivatgruppen enthalten.
3. Mischungen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die polymerisierbaren Verbindungen drei oder mehr po-
lymerisierbare Gruppen und drei oder mehr Säuregruppen bzw. deren reaktive Derivatgruppen enthalten.
4. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch ge- kennzeichnet, dass die polymerisierbaren ungesättigten Ver- bindungen Acryl-, Methacryl-, Vinyl-, Styryl- oder eine Mischung dieser Gruppen enthalten.
5. Mischung nach Anspruch 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die polymerisierbaren ungesättigten Verbindungen Acryl- oder Methacrylgruppen enthalten.
6. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch ge- kennzeichnet, dass die Säuregruppen Carbonsäurereste oder deren Salze, Phosphorsäurereste der Formeln

oder deren Salze, wobei R Alkyl, Aryl oder Vinyl bedeutet, Schwefelsäurereste der Formeln - SO2H SO3H, -O-SO3H oder deren Salze oder Borsäurereste der Formeln

deren Salze, wobei R Alkyl, Aryl, Vinyl bedeutet, sind.
7. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch ge- kennzeichnet, dass die reaktiven Säurederivatgruppen in Form von Säurehalogeniden oder -anhydriden vorliegen.
8. Mischungen nach Anspruch 1 bis 7, dadurch gekennzeich- net, dass das ungesättigte Monomer ein Halophosphorsäure- ester des Bis-GMA ist.
9. Mischungen nach Anspruch 1 bis 7, dadurch gekennzeich- net, dass die Oligomeren oder Prepolymeren solche Verbin- dungen sind, die die polymerisierbaren ungesättigten Gruppen und die Säurereste, deren Salze oder deren reaktive Derivate an ein oligomeres oder prepolymeres Grundgerüst gebunden enthalten.
10. Mischungen nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass die oligomeren oder prepolymeren Grundgerüste Homooder Copolymerisate von ethylenisch ungesättigten Monomeren sind.
11. Mischungen nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass sie poly(meth-)acrylierte Oligomaleinsäure, poly(meth-) acrylierte Polymaleinsäure, poly(meth-)acrylierte Poly(meth-) acrylsäure, poly(meth-)acrylierte Polycarbon-polyphosphonsäure , poly(meth-)acrylierte Polychlorophosphorsäure, poly (meth-)acryliertes Polysulfonat oder poly(meth-)acrylierte Polyborsäure enthalten.
12. Mischungen nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass die oligomeren oder polymeren Grundgerüste Polyester, Polyamide, Polyether, Polysulfone, Polyphosphazene oder Polysaccaride sind.
13. Mischungen nach Anspruch 9 bis 12, dadurch gekennzeichnet , dass die Oligomeren ein Molekulargewicht von mindestens 500 aufweisen.
14. Mischungen nach Anspruch 9 bis 12, dadurch gekennzeichnet , dass die Prepolymeren ein Molekulargewicht von mindestens 1.500 aufweisen.
15. Mischungen nach Anspruch 9 bis 12, dadurch gekennzeichnet , dass die Prepolymeren ein Molekulargewicht von maximal 100.000 aufweisen.
16. Mischungen nach Anspruch 9 bis 12, dadurch gekennzeichnet , dass die Prepolymeren ein Molekulargewicht von maximal 20.000 aufweisen.
17. Mischungen nach Anspruch 1 bis 16, dadurch gekennzeichnet , dass die Monomeren, Oligomeren oder Prepolyme- ren außer den Säure- und polymerisierbaren Gruppen Aldehyd -, Epoxid-, Isocyanat oder Halotriazingruppen enthalten.
18. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 17, dadurch gekennzeichnet, dass sie zusätzlich andere polymerisierbare
ungesättigte Monomere und/oder Oligomere und/oder Prepolymere enthalten, die keine Säuregruppen oder deren reaktive , leicht hydrolysierbare Säurederivatgruppen aufweisen.
19. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass sie zusätzlich andere Verbindungen enthalten, die Säuregruppen oder deren reaktive, leicht hydrolysierbare Säurederivatgruppen aufweisen, aber keine Gruppen enthalten, die ungesättigt und polymerisierbar sind.
20. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 19, dadurch gekennzeichnet, dass die polymerisierbaren, säuregruppen- oder säurederivatgruppenhaltigen Verbindungen in einem Anteil von mindestens 5 % der polymerisierbaren Verbindungen vorliegen.
21. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 19, dadurch gekennzeichnet, dass die polymerisierbaren säuregruppen- oder säurederivatgruppenhaltigen Verbindungen in einem Anteil von 20 % bis 60 % der polymerisierbaren Verbindungen vorliegen.
22. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 21, dadurch gekennzeichnet, dass zusätzliche, im Sinne von Zementab- binderreaktionen nicht reaktive, anorganische oder organische Füllstoffe zugemischt sind.
23. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 22, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil der reaktiven Füllstoffe am Gesamtfüllstoffgehalt mindestens 5 % beträgt.
24. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 22, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil der reaktiven Füllstoffe am Gesamtfüllstoffgehalt mindestens 30 % beträgt.
25. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 24, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil des Gesamtfüllstoffs zwi- schen 10 % und 95 % der Mischung beträgt.
26. Mischungen nach Anspruch 1 bis 25, dadurch gekennzeichnet , dass das Härtungsmittel ein Polymerisationskataly- sator oder -system ist.
27. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 26, dadurch gekennzeichnet, dass das Polymerisationskatalysatorsystem lichtaktivierbar ist und aus einem Gemisch aus einem αDiketon und einem tertiären Amin und/oder einem tertiären Phosphin besteht.
28. Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 26, dadurch gekennzeichnet, dass das Polymerisationskatalysatorensys- tem aus 2 getrennten Komponenten besteht, wobei die eine Komponente ein organisches Peroxid und die andere Komponente ein tertiäres Amin, eine Schwefelverbindung, in der Schwefel in der Oxidationsstufe + 2 oder + 4 vorliegt, oder ein
Gemisch der beiden ist, oder chelatbildende zweiwertige Metallionen enthält.
29. Mischungen nach Anspruch 28, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponente eines 2-Komponenten Gemisches, die die Schwefelverbindung enthält, keine polymerisierbare säure - oder säuregruppenenthaltende Verbindungen, jedoch mindestens ein polymerisierbares Monomer mit Hydroxylgruppen enthält.
30. Verwendung von Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 29 als härtbare Mischungen zum Ausfüllen, Versiegeln und Kleben von oxidischen, mineralischen, glasartigen, keramischen , metallischen und biologischen Substraten.
31. Verwendung von Mischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 29 als haftvermittelnde Schicht zwischen oxidischem, mineralischem , glasartigem, keramischem, metallischem oder biologischem Substrat und radikalisch polymerisierbaren Kunststoffmaterialien.
32. Verwendung von Mischungen nach Anspruch 1 bis 29 zum Herstellen von ausgehärteten Formkörpern.
33. Verwendung von Mischungen nach Anspruch 1 bis 29 zur Herstellung von Produkten oder Zubereitungen für dentale und medizinische Zwecke."
5
Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
6
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie vertritt die Ansicht, dass Anspruch 1 des Streitpatents auch in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts mangels Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei. Auch den Ansprüchen 2 bis 33 komme keine eigenständige Patentfähigkeit zu.
7
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bundespatentgerichts abzuändern, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und festzustellen, dass das Streitpatent von Anfang an unwirksam war.
8
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
9
Im Auftrag des Senats hat Univ.-Prof. Dr. rer.nat. et med.dent.habil. H . D.. , … -Universität M. , Fachbereich Medizin, Institut für Angewandte Struktur- und Mikroanalytik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
10
Die Klägerin hat nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens durch den gerichtlichen Sachverständigen zusätzlich geltend gemacht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagte sieht darin eine Klageänderung, der sie nicht zustimmt, und für den Fall, dass diese als sachdienlich angesehen wird, auch inhaltlich entgegen tritt.

Entscheidungsgründe:


11
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
12
I. Der von der Klägerin mit der Berufung verfolgte Feststellungsantrag ist nach Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents im Hinblick auf den zwischen den Parteien vor dem Oberlandsgericht Frankfurt anhängigen auf das Streitpatent gestützten Verletzungsrechtsstreit unter dem Gesichtspunkt des Feststellungsinteresses zulässig.
13
II. 1. Das Streitpatent betrifft polymerisierbare Zementmischungen, insbesondere zur Verwendung in der Zahnheilkunde und Medizin.
14
In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, dass in der Zahnmedizin eine Reihe von Zementen für verschiedene Verwendungszwecke, wie beispielsweise der Befestigung von Kronen und Inlays sowie von orthodontischen Vorrichtungen , als Wurzelkanalfüllungsmaterial, als Unterfüllungsmaterial bei der Einbringung von dentalem Restaurationsmaterial zum Schutze der Zahnpulpe oder auch in Ausnahmefällen bei Läsionen im gingivalen Bereich als Füllungsmaterial selbst Anwendung finden. Zemente für dentale und medizinische Zwecke bestehen in der Regel aus einer Mischung von feinstteiligen Metalloxiden, Metallhydroxiden , Silikatzementschmelzen oder ionenfreisetzenden Gläsern, die mit einer Anrührflüssigkeit, die im Wesentlichen Phosphorsäure oder Polycarbonsäuren oder auch Salicylsäuren enthält, zur Reaktion gebracht wird. Die Aushärtung läuft mithin über eine Ionenreaktion wie Neutralisations-, Salzbildungs -, Chelatbildungs- oder Kristallisationsreaktion ab und zwar in Wasser.
15
Je nach Verwendungszweck haben sich Zemente mehr oder minder gut bewährt. Sie sind zumeist gewebeverträglich und zeigen eine gute Haftung an der Zahnsubstanz (vgl. im Einzelnen, Streitpatentschrift, S. 2, Z. 17 ff.). Zemente haben aber auch Nachteile, nämlich vor allem Auswaschbarkeit und geringe mechanische Belastbarkeit, die dazu geführt haben, dass sie als Füllungsmaterial weitgehend durch die dauerhafteren, höher belastbaren, kantenfesteren, unlöslichen und kosmetisch vorteilhafteren, polymerisierbaren Kunststofffüllungsmaterialien , den sogenannten "Composites", ersetzt worden sind.
16
Composites bestehen nach den weiteren Darlegungen in der Streitpatentschrift im Wesentlichen aus einem polymerisierbaren Bindemittel, welches durch organische oder anorganische Füllstoffe verstärkt ist. Als polymerisierbare Bindemittel eignen sich Verbindungen mit olefinischen ungesättigten Gruppen , für dentale oder medizinische Zwecke besonders die Ester der (Meth)acrylsäure von einwertigen oder mehrwertigen Alkoholen, gegebenenfalls im Gemisch mit anderen Vinylmonomeren.
17
Als anorganische Füllstoffe dienen feinteilige Mehle aus Quarz, mikrofeiner Kieselsäure, Aluminiumoxid, Bariumgläsern und andere mineralische Teilchen , die an sich keine chemischen Bindungen mit den sie umgebenden polymerisierbaren Bindemitteln eingehen und darum meist mit einem polymerisierbaren Silan als Kopplungsmittel versehen sind, um einen guten Verbund mit den polymerisierbaren Bindemitteln zu geben. Wesentlich für Composites ist, dass ihre Aushärtung durch eine Polymerisation der olefinisch ungesättigten Gruppen des Bindemittels abläuft, und zwar als radikalische Reaktion, die keiner Gegenwart von Wasser bedarf.
18
In der Streitpatentschrift wird darauf hingewiesen, dass heutzutage zwar hauptsächlich Composites als dentales Restaurationsmaterial verwendet werden , auch deren Anwendung jedoch Grenzen gesetzt sind. Wegen Gewebeirritation oder aus Gründen der Toxizität ist die Anwendung von Composites für tiefer gehende Zahnkavitäten, bei Restauration am Gingivalsaum und am Dentin eingeschränkt. Zudem haften sie nicht an der Zahnsubstanz. In solchen Fällen werden meist Zemente auf der Basis von Polycarbonsäuren und Metalloxiden (Carboxylatzemente) oder ionenfreisetzenden Gläsern (Ionomerzemente) angewandt, die insoweit über günstigere Eigenschaften verfügen.
19
Nach den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift ist versucht worden, die mechanische Festigkeit und vor allem das Löslichkeits- und Entmischungsverhalten sowie die Kompatibilität von Zementen mit Composites zu verbessern, ohne dass dies jedoch zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat (vgl. im Einzelnen, Streitpatentschrift, S. 3, Z. 4 ff.).
20
Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das Problem ("die Aufgabe" ) zugrunde, neue, insbesondere im Dentalbereich zu verwendende Mischungen zu finden, die einerseits über die wesentlichen Vorteilsmerkmale von Zementen auf Polycarbonsäure- oder Salicylat-Basis, nämlich eine gute Haftung an Zahn- und Knochensubstanz und gute Gewebeverträglichkeit, verfügen , andererseits aber auch die Vorteilsmerkmale von Composites, nämlich eine geringe Löslichkeit und größere mechanische Festigkeit, aufweisen, und keine ausgeprägten Entmischungserscheinungen zeigen.
21
Das soll nach Patentanspruch 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts durch folgende Merkmalskombination erreicht werden: Polymerisierbare Zementmischungen enthaltend
a) Monomere und/oder Oligomere und/oder Prepolymere, diese sind a 1) polymerisierbar, a 2) ungesättigt, a 3) sie enthalten Säuregruppen und/oder deren reaktive Säurederivatgruppen;
b) Füllstoffe, diese sind b 1) feinteilig, b 2) reaktiv b 3) und können mit den Säuren oder Säurederivaten reagieren ; b 4) die Füllstoffe sind Pulver von Phosphatzement (ZnO/MgO), Silikatzementen oder Ionomerzementen;
c) Härtungsmittel;
d) die Komponenten a und b sind derart ausgewählt, dass die Säuregruppen oder Säurederivatgruppen der Stoffe gemäß a mit den feinteiligen reaktiven Füllstoffen gemäß b ionisch zu einer Zementreaktion führen vermögen.
22
Die nach Patentanspruch 1 geschützten sogenannten polymerisierbaren Zementmischungen enthalten somit einerseits Monomere und/oder Oligomere und/oder Prepolymere, die polymerisierbar und ungesättigt sind und Säuregruppen und/oder deren reaktive Säurederivatgruppen enthalten (Merkmals- gruppe a und andererseits Füllstoffe (nämlich Pulver von Phosphatzement ZnO/MgO), Silikatzementen oder Ionomerzementen), die feinteilig und reaktiv sind sowie mit den Säuren oder Säurederivaten der Monomere und/oder Oligomere und/oder Prepolymere reagieren können (Merkmalsgruppe b). Hinzu kommen nicht weiter spezifizierte Härtungsmittel (Merkmal c). Die Komponenten a und b sind derart auszuwählen, dass die Säuregruppen oder Säurederivatgruppen der Stoffe gemäß a mit den feinteiligen reaktiven Füllstoffen gemäß b ionisch zu einer Zementreaktion zu führen vermögen (Merkmal d).
23
Für den Fachmann, bei dem es sich um einen auf dem Gebiet der Entwicklung von Füllungsmaterialien tätigen Diplom-Chemiker mit Fachhochschuloder Hochschulabschluss oder approbierten Zahnarzt handelt, ergibt sich daraus , dass die unter Schutz gestellten sogenannten polymerisierbaren Zementmischungen geeignet sein sollen, eine zweifache Reaktion zu bewirken. Zum einen soll die polymerisierbare und ungesättigte Komponente a (durch einen Katalysator wie beispielsweise Erhitzen, Lichtbestrahlung oder Zugabe eines Aktivators, Streitpatentschrift, S. 10, Z. 27 ff.; vgl. auch Sachverständigengutachten , S. 31) zu einer radikalischen Polymerisationsreaktion induziert werden. Zum anderen soll durch die Auswahl der Komponenten a und b der Mischung (und nach Zugabe von Wasser) eine ionische Zementreaktion zwischen den Säuregruppen oder Säurederivatgruppen der Stoffe gemäß Merkmal a und den feinteiligen reaktiven Füllstoffen gemäß Merkmal b ermöglicht werden, die zur Bildung von vernetzten Zementstrukturen führt. Dabei ist allerdings der Umfang, in dem es infolge der Zementreaktion bei dem Endprodukt tatsächlich zur Bildung solcher Strukturen kommt, nicht weiter konkretisiert. Das fügt sich mit dem Umstand, dass Gegenstand des Patentanspruchs 1 eine Mischung ist und nicht das Endprodukt, das nach der Polymerisations- und Zementreaktion aus der Mischung entsteht. Die erfindungsgemäße Lehre fordert allein, die Komponen- ten a und b der Mischung derart auszuwählen, dass die Säuregruppen oder Säurederivatgruppen der Komponente a mit den feinteiligen reaktiven Füllstoffen der Komponente b ionisch zu einer Zementreaktion führen können, um das zu erhalten, was im Streitpatent als polymerisierbare Zementmischung bezeichnet ist. In der Streitpatentschrift heißt es in diesem Zusammenhang erläuternd , dass sich überraschenderweise gezeigt habe, dass man durch eine Kombination von einigen für die Haftung an der Zahnsubstanz entwickelten polymerisierbaren Harzmischungen mit solchen reaktiven Füllstoffen, die üblicherweise in Zementen als für die Abbindung wichtige Komponente enthalten sind, zu härtbaren Mischungen kommt, die sowohl radikalisch als auch über Ionenreaktionen aushärten. Dadurch könne eine große Palette von neuen Compositezementen erhalten werden, die verbesserte Eigenschaften und neue Möglichkeiten der Anwendung böten (Streitpatentschrift, S. 3, Z. 40 ff.).
24
Als Füllstoffe im Sinne des Merkmals b kommen demnach nur solche in Betracht, die feinteilig und reaktiv sind und dabei insbesondere mit den Säuren und/oder Säurederivaten des Merkmals a reagieren können. Nicht dazu zählen inerte Füllstoffe, wie etwa die noch im Stand der Technik bei Composites als Füllstoff verwendeten feinteiligen Mehle von Quarz, mikrofeine Kieselsäure, Aluminiumoxid, Bariumgläsern und anderen mineralischen Teilchen, die keine chemische Bindung mit den sie umgebenden polymerisierbaren Bindemitteln eingehen können und deshalb meist mit einem polymerisierbaren Silan als Kopplungsmittel versehen wurden (vgl. Streitpatentschrift, S. 2, Z. 45 ff.). Zudem muss es sich bei den Füllstoffen um Pulver von Phosphatzement (ZnO/MgO), Silikatzementen oder Ionomerzementen handeln.
25
Härtungsmittel im Sinne des Merkmals c sind solche, welche die radikalische Polymerisationsreaktion oder die Ionenreaktion auslösen bzw. beschleu- nigen können, wie beispielsweise Erhitzen, Lichtbestrahlung oder Zugabe eines Aktivators bzw. Wasser, Weinsäure oder Mellithsäure (Streitpatentschrift, S. 10, Z. 27 ff., 51 f.).
26
III. 1. Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der unzureichenden Offenbarung (Art. 83, 138 Abs. 1 lit. b EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜbkG) durch die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz ist zulässig (§ 99 PatG i.V. mit § 533 Nr. 1 ZPO).
27
Die Einbeziehung eines weiteren Nichtigkeitsgrundes in der Berufungsinstanz , nachdem die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht nur auf einen oder mehrere andere der in Art. 138 Abs. 1 EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜbkG aufgeführten Nichtigkeitsgründe gestützt war, stellt eine Klageänderung (objektive Klagehäufung) im Sinne der Vorschrift des § 533 Nr. 1 ZPO dar, welche nach § 99 Abs. 1 PatG auch im Patentnichtigkeitsverfahren anwendbar ist (Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., 2006, § 22 PatG Rdn. 71; Busse/Keukenschrijver , PatG, 6. Aufl., 2003, § 83 PatG Rdn. 9, jeweils zu § 263 ZPO). Entsprechend ist in der erstmaligen Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der unzureichenden Offenbarung (Art. 83, 138 Abs. 1 lit. b EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜbkG) durch die Klägerin im Berufungsverfahren im Anschluss an das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen eine Klageänderung zu sehen , nachdem die Klägerin ihren Antrag auf Nichtigerklärung bis dahin allein mit der fehlenden Patentfähigkeit des Streitpatentes (Art. 54, 56, 138 Abs. 1 a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG) begründet hat. Soweit die Klägerin erstinstanzlich die unangemessene Breite des Anspruchs 1 des Streitpatents in der von der Beklagten verteidigten Fassung gerügt hat, füllt dies - wie bereits das Bundespatentgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (BGHZ 156, 179, 185 - blasenfreie Gummibahn I) zutreffend ausgeführt hat - keinen der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe aus und damit insbesondere auch ohne Weiteres nicht den Nichtigkeitsgrund der unzureichenden Offenbarung.
28
Die Klageänderung ist sachdienlich und somit zulässig (§ 533 Nr. 1 ZPO). Die Einbeziehung des Nichtigkeitsgrundes der unzureichenden Offenbarung in das hiesige Nichtigkeitsberufungsverfahren ist sachdienlich, weil die damit verbundenen Fragen im laufenden Verfahren mitbehandelt werden konnten und eine neue Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Streitpatents vermieden wird. Zu einer zeitlichen Verzögerung des laufenden Verfahrens ist es nicht gekommen, weil die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen im Verhandlungstermin, die bereits im Hinblick auf den von Anfang an erhobenen Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit angeordnet worden war, dazu genutzt werden konnte, offene Fragen auch im Hinblick auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Offenbarung zu klären.
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2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts ist so deutlich und hinreichend offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Art. 83, 138 Abs. 1 b EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜbkG ).
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a) Die Klägerin trägt vor, dass die Offenbarung des Streitpatents dem Fachmann keine ausreichende Lehre vermittelt habe, wie die polymerisierbaren , ungesättigten Säuren bzw. Säurederivate nach Merkmalsgruppe a und die feinteiligen, reaktiven Füllstoffe nach Merkmalsgruppe b auszuwählen seien, so dass sie polymerisierbare Zementmischungen ergäben, die über eine ionische Reaktion zu einem Zement führten. Um dies herauszufinden, habe der Fachmann umfangreiche und damit unzumutbare eigene Untersuchungen anstellen und selbst erfinderisch tätig werden müssen. Selbst wenn jedoch unterstellt werde, dass die Beispiele des Streitpatents Zementmischungen offenbarten, die ionisch zu einer Zementreaktion geführt hätten, so habe sich hieraus keine ausreichende Offenbarung für den gesamten beanspruchten Bereich ergeben. Die Beispiele hätten keine Verallgemeinerung dahingehend erlaubt, dass der Fachmann auf Grundlage der Beispiele wisse, wie er die Säuren bzw. Säurederivate nach Merkmalsgruppe a auszuwählen habe, damit sie mit entsprechenden reaktiven Füllstoffen der Merkmalsgruppe b zu einer ionischen Zementreaktion führen könnten.
31
Der Argumentation der Klägerin kann nicht beigetreten werden. Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (Sen.Urt. v. 14.10.1979 - X ZR 3/76, GRUR 1980, 166, 168 - Doppelachsaggregat ). Es ist also nicht erforderlich, dass bereits der Patentanspruch alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthält. Vielmehr genügt es, wenn der Fachmann die insoweit notwendigen Einzelangaben der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen kann (Sen.Beschl. v. 16.6.1998 - X ZB 3/92, GRUR 1998, 899, 900 - Alpinski; Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II). Nach mittels Einspruchs nicht mehr anfechtbarer Erteilung des Patents ist von einer in diesem Sinne ausreichenden Offenbarung so lange auszugehen, bis das Gegenteil nachgewiesen ist. Im Nichtigkeitsprozess führt das zur Beweislast des Klägers dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens und ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (Busse/Keukenschrijver, aaO, § 83 PatG Rdn. 32, § 34 PatG Rdn. 301; Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., 2008, § 34 PatG Rdn. 374).
32
Im Streitfall hat sich das Gegenteil nicht ergeben. Es ist zwar zutreffend, dass Patentanspruch 1 des Streitpatents - wie auch der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten wiederholt hervorhebt (Sachverständigengutachten , S. 10, Abs. 2; S. 12, Abs. 3; S. 40, Abs. 2; S. 117, Abs. 5; S. 124, Abs. 3), keine näheren Angaben zur Auswahlregel in Merkmal d entnommen werden kann, wonach die Komponenten a, also die polymerisierbaren, ungesättigten und Säuregruppen und/oder deren reaktive Säurederivate enthaltenden Monomere , Oligomere und/oder Prepolymere, und b also die feinteiligen und reaktiven Pulver von Phosphatzementen, Silikatzementen oder Ionomerzementen so auszuwählen sind, dass die Säuregruppen oder Säurederivategruppen der Stoffe gemäß a) mit den feinteiligen Füllstoffen gemäß b ionisch zu einer Zementreaktion führen können. Die Streitpatentschrift enthält jedoch mehrere Ausführungsbeispiele , in denen dem Fachmann konkrete Mischungen vorgeschlagen werden (vgl. Streitpatentschrift, S. 13 ff.). Dass diese Ausführungsbeispiele insgesamt nicht ausführbar sind, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.
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Dafür, dass die Komponenten a und b derart ausgewählt worden sind, das die Säuregruppen bzw. Säurederivatgruppen der Komponente a mit den feinteiligen reaktiven Füllstoffen der Komponente b zu einer Zementreaktion zu führen vermögen, spricht etwa bei dem Beispiel 9 des Streitpatents das Quellverhalten des Probekörpers in Wasser, welches darauf hindeutet, dass sich zumindest in Teilbereichen des Probekörpers Zementstrukturen gebildet haben. Nach den Angaben in der Streitpatentschrift wurde im Hinblick die Polymerisationsschrumpfung des Probekörpers in Wasser nach 10 Minuten mit 0,0 % ge- messen. Nach 30 Minuten hat der Probekörper eine Expansion von 0,24 % gezeigt und nach 16 Stunden eine solche um 0,80 % (Streitpatentschrift, S. 16, Z. 46 ff.). Zwar hat der gerichtliche Sachverständige im Termin ausgeführt, dass im Expansionsverhalten kein wissenschaftlicher Nachweis für die Bildung zementartiger Vernetzungen in dem Probekörper liegt; er hat aber auch dargelegt, dass eine mögliche Erklärung für die Ausdehnung in der Bildung zementartiger Vernetzungen im Probekörper unter Wassereinfluss liegen kann.
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Der gerichtliche Sachverständige hat zudem zwar kritisiert, dass die Eigenschaft "Zement" nicht durch spektroskopische (z.B. IR, XRD, etc.) Methoden nachgewiesen worden sei, zugleich aber überzeugend dargelegt, dass Angaben zur Härte von Probekörper nach in vitro Nasslagerung und zu deren in vitro Kantenfestigkeit indirekte Hinweise auf deren Vorhandensein sein können (Sachverständigengutachten, S. 118, Abs. 4). So wird in der Streitpatentschrift hinsichtlich des Beispiels 4 ausgeführt, dass der durch Mischen von zwei härtbaren Pasten auf Basis von Polymethacrylcarbonsäure und Phosphatzementpulver entstandene gehärtete Compositezement zunächst eine Barcolhärte von 51 gehabt hat. Im Stresstest (Wassertauchbäder im Wechsel von 0° C und 60° C nach 4.000 Zyklen) wies das Material keine Ermüdungserscheinungen auf, stieg die Barcolhärte auf 59 und war das Material äußerst kantenfest. Zudem haftete es sehr gut an Dentin und Schmelz von Rinderzähnen (Streitpatentschrift , S. 14, Z. 25 ff., 44 ff.). Zum Beispiel 3 heißt es in der Beschreibung, dass 30 Minuten nach dem Vermischen von zwei Pasten auf Basis von halophosphoryliertem Bis-GMA und Ionomerzementpulver eine Barcolhärte von 57 gemessen wurde, die Druckfestigkeit nach 24 h/37° C bei 2.100 kg/cm² lag und eine Löslichkeit nach 24-stündiger Lagerung im Wasser von 37° C nicht festgestellt wurde (Streitpatentschrift, S. 14, Z. 13 ff., Z. 21 ff.).
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Schließlich liegt in der Feststellung des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, dass bei den genannten Beispielen des Streitpatents stets jedenfalls eine ionische Reaktion (Säure-Base-Reaktion) erfolgt ist, ein weiteres Indiz dafür, dass es dabei auch zur Bildung von Zementstrukturen gekommen ist.
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b) Auch dem weiteren Argument der Klägerin, die Beispiele des Streitpatents reichten nicht aus, um die Auswahlregel nach Merkmal d im gesamten Bereich als offenbart anzusehen, weil diese den Fachmann nicht allgemein lehrten, wie er die Säuren oder Säurederivate der Merkmalsgruppe a auszuwählen habe, damit sie mit entsprechenden reaktiven Füllstoffen der Merkmalsgruppe
b) zu einer ionischen Zementreaktion führen können, kann nicht gefolgt werden. Denn nach der Rechsprechung des Senats ist es nicht erforderlich, dass alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können. Vielmehr genügt es regelmäßig den Anforderungen des Art. 83 EPÜ, wenn - wie für den hiesigen Fall vorstehend ausgeführt - zumindest ein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart worden ist (BGHZ 147, 306 (317) - Taxol; Sen.Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 - Kupplungsvorrichtung II). Ein dem Sachverhalt der Entscheidung "Thermoplastische Zusammensetzung" (BGH, Urt. v. 25.2.2010 - Xa ZR 100/05 Tz. 23, GRUR 2010, 414) vergleichbarer oder ähnlicher Fall ist hier nicht zu beurteilen.
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IV. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts ist patentfähig (Art. 138 Abs. 1 a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG).
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1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der genannten Fassung ist neu (Art. 54 EPÜ).
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a) Die britische Patentanmeldung 2 094 326 (Anlage D1 und Übersetzung ) offenbart einen dentalen Ausbesserungskit oder eine Zusammensetzung zum Auskleiden oder temporären Füllen von Zahnkavitäten, umfassend Calciumhydroxid und ein polymerisierbares, organisches Bindemittel, wobei das Bindemittel ein Bisphenol-A-Glydicylmethacrylat-Präpolymer und gegebenenfalls weitere Komponenten (ein Acrylmonomer, das insbesondere ein difunktionelles Methacrylat sein kann; bis zu 0,5 Gew.-% Methacrylsäure; ein Füllstoff, der insbesondere Glas, Quarz oder amorphes Siliziumdioxid umfasst, etc.) umfasst. Aus Sicht des Fachmanns lehrt die Entgegenhaltung somit einen sog. Kavitätenliner , der zur Abdeckung der Pulpa bei tiefen Kavitäten dient, um das Wachstum von sekundärem Dentin zu stimulieren und die Wirkungen von Säuren und anderen Chemikalien zu neutralisieren (Anlage D1, S. 1, Z. 11 ff.). Den Grundkomponenten der bis dahin bekannten Calciumhydroxid-Kavitätenlinern werden Composite-Füllungsmaterialien hinzugesetzt, die ebenfalls bereits bekannt gewesen sind (Sachverständigengutachten, S. 50, Abs. 1).
40
Dem Fachmann werden damit Harzkomponenten und Härtungsmittel im Sinne von Patentanspruch 1 des Streitpatents aufgezeigt. Es fehlt aber an einer Offenbarung reaktiver Füllstoffe, die mit Säuren oder Säurederivaten reagieren können und Pulver von Phophatzementen (ZnO/MgO), Silikatzementen oder Ionomerzementen sind. Entsprechend geht aus der Entgegenhaltung auch nicht die Auswahlregel des Merkmals d hervor. Anspruch 8 und der Beschreibung der britischen Patentanmeldung können zwar als mögliche Füllstoffe, welche die Zusammensetzung der Erfindung aufweisen können, allgemein Glas, Quarz oder amorphe Kieselsäure entnommen werden (vgl. Anlage D1, S. 2, Z. 20 ff; S. 4, Z. 27 ff.; Übersetzung, S. 5, Abs. 3; S. 13, letzter Abs.). Damit ist jedoch nicht offenbart, dass es sich bei dem Füllstoff um ein Pulver von Ionomer- oder Silikatzementen handelt, die mit Säure- oder Säurederivatgruppen reagieren können. In der Entgegenhaltung wird zunächst nicht ausdrücklich erwähnt, dass es sich bei der Alternative "Glas" als Füllstoff um ein Pulver für Ionomerzemente oder bei der Alternative "amorphe Kieselsäure" als Füllstoff um ein Pulver für Silikatzemente handeln soll. Darüber hinaus ist es aus Sicht des Fachmanns in Zusammenhang mit einem Kavitätenliner, der ohne Wasserbedarf in einer katalytisch induzierten Polymerisationsreaktion aushärtet (Sachverständigengutachten , S. 57 f.), auch ohne ausdrückliche Erwähnung nicht wie selbstverständlich, unter den Begriffen "Glas" bzw. "amorphe Kieselsäure" ein reaktives Pulver von Ionomer- oder Silikatzementen zu verstehen. Erst recht enthält die britische Entgegenhaltung keinen Hinweis auf die eine ionische Zementreaktion betreffende Auswahlregel des Merkmals d des Streitpatents.
41
Entgegen der Ansicht der Klägerin ändert daran auch der Umstand nichts, dass in der britischen Patentanmeldung auf das US-Patent 3 971 754 (Anlage D14, Übersetzung) Bezug genommen wird. Im Rahmen dieser Bezugnahme erstreckt sich der Offenbarungsgehalt der britischen Entgegenhaltung zwar auch auf den Inhalt des US-Patentes (vgl. etwa BGHZ 76, 97, 104 - Terephtalsäure ). Der Verweis in der britischen Entgegenhaltung erfolgt jedoch im Hinblick auf "Glaszusammensetzungen des US-Patentes 3 971 754", die "Röntgenabsorptionsverbindungen , wie beispielsweise Strontiumoxid und -carbonat" umfassen, "so dass die Grenzen des Füllstoffs auf diagnostischen Röntgenaufnahmen abgegrenzt sind" (Anlage D1, S. 2, Z. 2, Z. 28 ff., 39 ff.; Übersetzung, S. 5, Abs. 3 und 5 f.). Dies entspricht der dem genannten US-Patent zugrunde liegenden Aufgabenstellung, wonach ein für Röntgenstrahlen undurchlässiges Zahnfüllmaterial mit bestimmten Eigenschaften (vgl. dazu im Einzelnen: Anlage D14, Sp. 1, Z. 61 ff.; Übersetzung, S. 3, Abs. 2 ff.) zur Verfügung gestellt werden soll, um einen ausreichenden Röntgenkontrast zu erhalten, so dass die Lage und der Grenzbereich des implantierten Materials im Hinblick auf postoperative Untersuchungen klar umrissen sind, damit beispielsweise das Wiederaufleben von Karies, die Gewebeneubildung und andere Gewebestörungen ohne einen operativen Eingriff festgestellt werden können (vgl. Anlage D14, Sp. 1, Z. 9 ff., 61 ff.; Übersetzung, S. 1, Abs. 2, S. 3 Abs. 2 ff.). Hingegen findet sich in der US-Patentschrift kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei den dort genannten Glasfüllmaterialien, um Pulver für Silikat- oder Glasionomerzemente handelt , die - wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten hervorhebt (vgl. Sachverständigengutachten, S. 57, Abs. 2, S. 93, Abs. 4 und 5) - eine sehr spezifische Zusammensetzung aufweisen müssen, damit es zu einer vernetzenden Zementreaktion kommen kann.
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b) Die deutsche Offenlegungsschrift 28 28 381 (Anlage D4) beschreibt eine härtbare Masse bestehend aus (A) einer ethylenisch ungesättigten Carbonsäure entsprechend der folgenden allgemeinen Formel worin R1 ein Wasserstoffatom oder eine Methylgruppe und R2 eine Alkylengruppe mit 2 bis 4 Kohlenstoffatomen bedeuten und worin im Benzolring A zwei Carboxylgruppen an andere Kohlenstoffatome als die zu dem Kohlenstoffatom, wor- an die Estergrupe gebunden ist, benachbarten Kohlenstoffatome gebunden sind oder einem Säureanhydrid hiervon, (B) mindestens einem anderen ethylenisch ungesättigten Monomeren als dem Monomeren (A) und (C) mindestens einem Katalysator aus der Gruppe von Initiatoren vom freien Radikaltyp und/oder Photosensibilisatoren (Anlage D4, Patentanspruch 1), die als Dentalklebstoff verwendet werden kann (aaO, Patentanspruch 11), indem sie zwischen die miteinander zu verbindenden Gegenstände aufgetragen, polymerisiert und gehärtet wird (aaO, S. 5, Abs. 1; Beispiele, S. 16 ff.). Die härtbare Masse soll über eine starke Haftfähigkeit am Zahnschmelz und am Dentin sowie an anderen Substraten wie Metall verfügen sowie eine hohe Wasserbeständigkeit und Dauerhaftigkeit aufweisen (aaO, S. 5, letzter Abs. bis S. 6, 3. Abs.). Nach den weiteren Ausführungen in der Beschreibung der Entgegenhaltung kann die härtbare Masse verschiedene Zusätze enthalten. Namentlich erwähnt werden anorganische pulverförmige Füllstoffe wie Kaolin, Talk, Ton, Calciumcarbonat, Kieselsäure, Aluminumoxid, Kieselsäure-Aluminiumoxid, Calciumphosphat und Glas, Pigmente wie Titanoxid, Klebrigmachungsmittel wie Wachse und Ethylen/Vinylacetat-Copolymere, Härtungspromotoren, Polymerisationsregler und Polymerisationshemmstoffe wie Hydrochinon (aaO, S. 12, Abs. 1).
43
Mit der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure offenbart die Entgegenhaltung einen Monomeren, der polymerisierbar und ungesättigt ist sowie zwei Säuregruppen (Carbonsäurereste: -COOH) enthält (Merkmalsgruppe a). Im Hinblick auf den Katalysator aus der Gruppe von Initiatoren vom freien Radikal- typ und/oder Photosensibilisatoren ist zudem ein Härtungsmittel enthalten (Merkmal c).
44
Die Klägerin meint, dass darüber hinaus der Begriff Glas in der Auflistung möglicher Zusätze vom Fachmann dahin verstanden werde, dass Gläser zum Einsatz kämen, die üblicherweise für Dentalmaterialien und insbesondere für Dentalklebstoffe und Dentalzemente verwendet würden. Eine dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt als üblich bekannte und für Dentalmaterialien als ohne weiteres geeignet erscheinende Glasgruppe seien die Pulver für Silikatzemente und Glasionomerzemente. Der Fachmann habe also dem Begriff Glas, wie er in der Entgegenhaltung gegeben sei, auch die Bedeutung als Pulver für Silikatzemente und Glasinomerzemente beigemessen bzw. diese ohne weiteres mitgelesen, zumal Pulver für Silikatzemente und Glasionomerzemente weit verbreitete Anwendung in Dentalmaterialien gefunden hätten.
45
Der Argumentation der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Sie verkennt den patentrechtlichen Neuheitsbegriff. Danach kann zwar auch dasjenige offenbart sein, was in der Entgegenhaltung nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die technische Information, die der Fachmann der Entgegenhaltung entnimmt, keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern "mitgelesen" wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information , die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGHZ 179, 168, 174 - Olanzapin). Danach kann der Offenlegungsschrift aus Sicht des Fachmanns weder die Merkmalsgruppe b noch die Auswahlregel des Merkmals d des Patentanspruchs 1 entnommen werden.
46
Gegenstand der Entgegenhaltung ist ein Dentalklebstoff, der durch eine radikalische, von einem Katalysator induzierte Reaktion polymerisiert und aushärtet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass neben oder nach der radikalischen Polymerisation noch eine ionische Zementreaktion herbeigeführt werden soll. Das gilt sowohl für den allgemeinen Teil der Beschreibung der deutschen Offenlegungsschrift als auch für die zehn Ausführungsbeispiele. Hinzu kommt, dass im Hinblick auf die Aushärtung der Masse an keiner Stelle die Zugabe von Wasser erwähnt wird, wie sie für eine ionische Zementreaktion zwingend erforderlich wäre (Sachverständigengutachten, S. 63, Abs. 2, S. 64, Abs. 1). Auch dies spricht dagegen, dass dem Fachmann in der Offenlegungsschrift die Durchführung einer ionischen Zementreaktion offenbart wird und er vor diesem Hintergrund unter dem Begriff des Glases als Füllstoff gerade auch Pulver von Silikat- oder Glasionomerzementen verstehen wird. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, dass eine nachfolgende ionische Reaktion in der Mundhöhle (durch Speichelfluss) erfolgen könne, hat auch dies keine Grundlage in der Entgegenhaltung und stellt sich als rückschauende und deshalb unbeachtliche Betrachtungsweise dar.
47
Auch wenn es zutreffend ist, dass es mit zum Fachwissen gehört hat, dass das Pulver von Silikatzementen ein Aluminiumfluorsilikatglas ist und Glasionomerzemente durch die Reaktion von Pulvern (säurelösliches Glas mit hohem Fluorgehalt) und Flüssigkeiten (wässrige Lösung von Acrylsäurecopolymeren ) gebildet werden (vgl. Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry, 5. Aufl., 1987, Band A 8, S. 276 und S. 256, Anlagen D13 und D13a) und zudem diskutiert wurde, dass Silikat- und Glasionomerzemente Fluoridionen frei- setzen und zum Schutz gegen Karies beitragen können (vgl. Tveit/Gjerdet, Fluoride release from a fluoride-containing amalgam, a glass ionomer cement and a silicate cement in artificial salvia, Journal of Oral Rehabilitation, 1981, Volume 8, Seiten 237-241, Anlage D16, und Swartz/Philips/Clark, Long-term F Release from Glass Ionomer Cements, Journal of Dental Research 63(2), Seiten 158-160, Februar 1984, Anlage D17), folgt daraus nicht, dass der Fachmann bei Kenntnisnahme der Aufzählung von Füllstoffen in der Beschreibung der Offenlegungsschrift mit der Erwähnung von Glas ohne weiteres auch Pulver für Silikat- oder Glasionomerzemente "mitgelesen" hat. Vielmehr wird in Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry gerade zwischen Glasionomerzementen, die aus einem Pulver (säurelöslichem Glas mit hohem Fluorgehalt) und einer Flüssigkeit (wässrige Lösung aus Acrylsäurepolymeren) bestehen, und sog. "Composite-Cements" unterschieden, die sich aus zwei Pasten mit Diacrylatoligomeren , Diacrylatmonomeren, Füllstoffen und Polymersiationsstartersystemen zusammensetzen (aaO, S. 256). Bei den letztgenannten "Composite-Cements" handelt es sich also gerade nicht um Zemente, die ionisch mit Wasser reagieren , sondern um polymerisierbare Composites (Sachverständigengutachten, S. 107). Und auch die Aufsätze von Tveit/Gjerdet und Swartz/Philips/Clark befassen sich speziell mit der Fluoridabgabe von Silikat- und Glasionomerzementen und den damit möglicherweise verbundenen karieshindernden Wirkungen ("anticariogenic properties"), ohne dass jedoch ein Bezug zu CompositeMaterialien bzw. Füllstoffen für selbige aufgezeigt wird. Für den Fachmann gibt es daher - wie auch der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung noch einmal hervorgehoben hat - keinen Grund, unter dem in der deutschen Offenlegungsschrift verwendeten Begriff des Glases als Füllstoff auch Pulver von Silikat- oder Glasionomerzementen zu verstehen.
48
c) Die europäische Patentschrift 0 115 410 respektive die europäische Patentanmeldung 0 115 410 A2 (Anlagen D5, D5a, Übersetzung) betreffen ebenfalls Klebstoffmassen, die gut auf harten Geweben des menschlichen Körpers wie Zähnen und Knochen, metallischen Materialien, organischen Polymeren und Keramiken haften und die weiterhin eine wasserbeständige Klebefestigkeit besitzen (Anlage D5, S. 2, Z. 3 ff.). Patentanspruch 1 der europäischen Patentschrift offenbart eine solche Klebstoffmasse die aus (a) 1 Gewichtsanteil einer Verbindung der allgemeinen Formel worin jeweils R5 und R5’ ein Wasserstoffatom oder ein Methylrest sind, Rc einen bivalenten, organischen Rest mit 2 bis 54 Kohlenstoffatomen bedeutet, Rd ein bivalenter organischer Rest mit 4 bis 57 Kohlenstoffatomen ist, Rd’ ein bivalenter organischer Rest mit 3 bis 57 Kohlenstoffatomen ist und X2 O, S oder NRb bedeutet, wobei Rb H oder C1-4-Alkyl ist, und (b) 0 bis 199 Gewichtsteilen eines Vinylmonomeren besteht, der mit der vorstehend erwähnten Verbindung copolymerisierbar ist.
49
Die Verbindungen sind polymerisierbare, ungesättigte und säuregruppenhaltige Monomere im Sinne der Merkmalsgruppe a des Streitpatents. In Anspruch 5 ist darüber hinaus vorgesehen, dass die Masse ein Härtungsmittel enthält (aaO, S. 20, Z. 63 ff.), so dass auch Merkmal c offenbart ist.
50
In der Beschreibung der Entgegenhaltung wird weiterhin erwähnt, dass die Klebemittelzusammensetzung einen herkömmlichen bekannten Füllstoff eines anorganischen oder organischen Polymers oder eines anorganischen oder organischen Verbundtyps enthalten könne. Durch Zugabe des Füllstoffs könne die Klebemittelzusammensetzung als Dentalzement zum Verkleben und Füllen, dentales Verbundharz und Knochenzement verwendet werden. Als Beispiele für den verwendeten anorganischen Füllstoff werden natürliche Mineralien erwähnt und dabei neben vielen anderen auch Glas, z.B. Sodaglas, Bariumglas, Strontiumglas und Borsilikatglas, Glas-Keramik enthaltend Lanthan usw. (aaO, S. 12, Z. 59 ff., S. 13, Z. 2 ff.). Die Klägerin meint, dass dem Fachmann hierdurch gelehrt werde, solche Füllmaterialien einzusetzen, welche die Ausbildung eines Zahnzements ermöglichen. Aus der Erwähnung von Glas als einem Füllstoff folge für den Fachmann, dass auch Pulver für Silikatzemente und Glasionomerzemente gemeint seien.
51
Dem ist nicht beizutreten. Auch die europäische Patentschrift 0 115 410 bzw. die europäische Patentanmeldung 0 115 410 betreffen einen Dentalklebstoff , der durch eine radikalische, von einem Katalysator induzierte Reaktion polymerisiert und gehärtet wird (Anlage K5, S. 12, Z. 20 ff.; Anlage D5a, S. 20, Z. 20 ff.; Übersetzung, S. 22, Abs. 2). In der Entgegenhaltung werden auch Füllstoffe erwähnt, die "manchmal" ("sometimes") in dem Dentalkleber enthalten sein können und dann die verschiedensten Füllstoffe einschließlich Glas genannt. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, veranlasst dies den Fachmann aber noch nicht dazu, Ionen abgebende Glaspulver der Glasionomerzemente mitzulesen. Dass neben oder nach der Polymerisierungsreaktion auch noch eine ionische Zementreaktion erfolgen soll und deshalb aus Sicht des Fachmanns mit der Erwähnung von Glas als ein Füllstoff auch Glasionomerzemente gemeint sind, folgt auch nicht aus dem Umstand, dass in der Beschreibung der Entgegenhaltung erwähnt wird, dass das Klebemittel durch Zugabe des Füllstoffs als "Dentalzement" zum Verkleben und Füllen , als dentales Verbundharz und Knochenzement verwendet werden kann. Denn aus Sicht des fachkundigen Lesers wird der Begriff des Dentalzements zum Füllen hier im Sinne einer kariespräventiven Behandlung für das Füllen von Fissuren und kleineren Läsionen verwendet und nicht für das Füllen von Kavitäten, so dass ohne weiteres kein Anlass besteht, darin die Andeutung einer ionischen Zementreaktion zu sehen. Im Übrigen fehlt es in diesem Zusammenhang an jeglichem Hinweis auf eine wässrige Umgebung, die für die Durchführung einer ionischen Reaktion bzw. der Ausbildung einer vernetzten Struktur selbständig abbindenden Zements erforderlich wäre (Sachverständigengutachten , S. 78 Abs. 1 bis S. 79 Abs. 1). Schließlich findet sich in den Entgegenhaltungen auch kein Anhaltspunkt, der auf die Auswahlregel nach Merkmal d des Patentanspruchs 1 des Streitpatents hindeutet.
52
d) Die europäische Patentanmeldung 0 155 812 (Anlage D7, Übersetzung ) hat gleichfalls einen Dentalklebstoff zum Gegenstand. In Anspruch 1 wird eine Dentalzusammensetzung offenbart, die ein Vinylmonomer umfasst, das mindestens eine Säuregruppe im Molekül und einen Initiator enthält, der das Monomer durch sichtbares Licht photopolymerisieren kann, wobei der Initiator weitgehend aus einem Photosensibilisierer, der ein α-Diketon, ein Chinon oder ein Derivat eines α-Diketons oder eines Chinons ist, zusammen mit einem Beschleuniger , der mindestens eine Mercaptogruppe im Molekül enthält. Offenbart werden damit die Merkmalsgruppe a und das Merkmal c des Streitpatents.
53
Die Klägerin führt aus, dass die Dentalzusammensetzung nach Anspruch 8 der Entgegenhaltung auch ein Füllmaterial beinhalten kann. In der Beschreibung werden eine Vielzahl von möglichen Füllstoffen genannt, darunter auch anorganische Füllstoffe, die pulverförmig vorliegen können und Kieselsäure, Aluminiumoxid, verschiedene Gläser, Keramiken, Tonmineralien, synthetisches Zeolith, Glimmer, Calciumfluorid, Calciumphosphat, Bariumsulfat, Zirkoniumdioxid oder Titanoxid umfassen können (Anlage D7, S. 15 Abs. 1; Übersetzung, S. 17, Abs. 4). Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Begriff "verschiedene Gläser" in der Aufzählung vom Fachmann dahin verstanden wird, dass darunter auch Pulver für Silikatzemente und Glasionomerzemente fallen können, weil diese üblicherweise im Dentalbereich eingesetzt werden.
54
Die Argumentation der Klägerin greift nicht durch. Die europäische Patentanmeldung 0 155 812 befasst sich mit der Optimierung eines Klebstoffs, der ohne Wasserbedarf polymerisiert. Für den Fachmann besteht aufgrund der bloßen Erwähnung von Gläsern als mögliche Füllstoffe kein Grund zu der Annahme , dass es sich dabei zumindest auch um Pulver von Silikatzementen oder Ionomerzementen handeln soll, mit denen eine vernetzende Zementreaktion in wässriger Umgebung herbeigeführt werden kann, zumal die Gegenwart von Wasser auch in dieser Veröffentlichung in Zusammenhang mit den Füllstoffen nicht erwähnt wird (vgl. Sachverständigengutachten, S. 86, Abs. 5, S. 87, Abs. 1).

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2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts ergibt sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ).
56
Die Klägerin meint, dass selbst für den Fall, dass sich die Verwendung von Gläsern in Form von Pulvern für Silikatzemente und Glasionomerzemente zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents für den Fachmann nicht unmittelbar aus der Lektüre der unter III 1 behandelten Entgegenhaltungen ergeben hätte, der Einsatz dieser Glaspulver nahegelegen habe, weil dem Fachmann die hiermit erzielbaren Eigenschaften von Dentalmassen etwa aus den Veröffentlichungen von Tveit/Gjerdet (aaO, Anlage D16), und von Swartz/Philips/Clark, (aaO, Anlage D17), bekannt gewesen seien und er diese ohne weiteres auch zum Einsatz in den Zusammensetzungen der genannten Entgegenhaltungen unter Berücksichtigung der Auswahlregel des Merkmals d hätte bringen können , um eine Masse mit guten Härtungseigenschaften unter Zementbildung und Freisetzung von Fluoriden (Kariesprophylaxe) zu erhalten.
57
Der Ansicht der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Den unter IV 1 behandelten Entgegenhaltungen konnte der Fachmann Composite-Materialien entnehmen, die durch im Einzelnen modifizierte, aber wiederkehrende chemisch ähnliche Stoffgruppen gekennzeichnet sind. Bei diesen Stoffgruppen handelt es sich um ungesättigte polymerisierbare Monomere, Oligomere und/oder Prepolymere, um Katalysatoren, Initiatoren, Stabilisatoren und Reaktionshemmstoffe zur Steuerung des Aushärtevorgangs und optional um organische oder anorganische Füllstoffe. Diese Gemische härten ohne Wasserbedarf radikalisch aus, wobei es für die Reaktion der Induzierung durch einen Katalysator bedarf (Sachverständigengutachten, S. 111 f.).

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Derartige Composite-Materialien verfügen über positive, aber auch negative Produkteigenschaften. Während sie einerseits insbesondere dauerhaft, hoch belastbar und kantenfest sind, sind sie andererseits vor allem im Hinblick auf Gewebeirritationen, Toxizität und Haftung an der Zahnsubstanz nur eingeschränkt verwendbar (Sachverständigengutachten, S. 23, Abs. 2, Streitpatentschrift , S. 2, Z. 36 ff., 52 ff.). Im Hinblick auf diese negativen Eigenschaften kann zum Prioritätszeitpunkt zwar ein Bedürfnis zur Fortentwicklung der Composite -Materialien als dentaler Füllstoff festgestellt werden. Ein Fachmann, der sich die Aufgabe stellte, hier Abhilfe zu schaffen, wird auch an die Vorteile von Dentalzementen gedacht haben, die zumindest teilweise komplementär zu den negativen Eigenschaften der Composite-Materialien sind. So war dem Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnisse bekannt, dass gerade Glasionomerzemente , welche die klassischen Zahnzemente seit Mitte der 80er Jahre fast vollständig vom Dentalmarkt verdrängt hatten, über gute Eigenschaften hinsichtlich Bioverträglichkeit, Beständigkeit im Mund und Haftung an der Zahnsubstanz verfügen (Sachverständigengutachten, S. 24 f.). Von daher spricht viel dafür, dass der Fachmann, der Composite-Materialien als dentalen Füllstoff verbessern wollte, allgemein auch an die Möglichkeit einer Kombination von Composite -Materialien mit Glasionomerzementen gedacht hat.
59
Einer solchen wünschenswerten Kombination stand aber die Schwierigkeit entgegen, dass beide Stoffgruppen zum Prioritätszeitpunkt als nicht mischbar galten, weil es sich einerseits bei den Composite-Materialien um hydrophobe Polymere und andererseits um wässrige Zementmischungen handelt (Sachverständigengutachten , S. 126, Abs. 1). Der Fachmann durfte sich von dieser Vorstellung nicht abhalten lassen. Statt dessen musste er sich daran machen, das Konzept einer Mischung zu entwickeln, die eine zweifache Reaktion er- laubt, die - wenn man auch insoweit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen folgt - etwa so abläuft, dass zunächst die radikalische Polymerisation ohne Wasserbedarf stattfindet und danach das Zementpulver in wässriger Umgebung zur Reaktion gebracht wird, so dass es möglich wird, einen Füllstoff bereit zu stellen, der die vorteilhaften Eigenschaften von Composite-Materialien mit denen von Zementen, insbesondere Glasiononomerzementen verbindet. Hinzu kamen besondere Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung dieses Konzeptes. Bei der Anwendung musste sicher gestellt werden, dass trotz der Polymerisation an den Polymerketten noch hinreichend Säuregruppen mit Ionen abgebenden Füllstoffen in leicht zugänglicher Weise vorliegen, damit auch die Reaktion mit den reaktiven Zementpulvern in wässriger Umgebung erfolgen und die erwünschte Zementstruktur in der bereits gehärteten Kunststoffmatrix entstehen kann (Sachverständigengutachten, S. 126). Um dies zu erreichen bedurfte es einer sorgfältigen Abstimmung der beteiligten Komponenten , was entsprechende Untersuchungen erforderlich machte (Sachverständigengutachten , S. 122).
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Die Entwicklung eines solchen Konzepts und das Auffinden eines ausführbaren Wegs zur Verwirklichung dieses Konzepts waren zudem dadurch erschwert , dass es weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in der Praxis Anregungen gab, Mischungen bereitzustellen, die zweiteilig (radikalisch und ionisch) reagieren. Vielmehr wurde in den wissenschaftlichen Abhandlungen, wie beispielsweise in dem jährlich im britischen "Journal of Dentistry" unter der Überschrift "Dental Materials: Literature Review" veröffentlichten Übersichtsartikel , streng zwischen polymerisierbaren Composite-Füllungsmaterialien auf der einen und ionisch reagierenden Zementen auf der anderen Seite unterschieden , indem diese in getrennten Abschnitten behandelt wurden (Sachverständigengutachten , S. 24, 18; vgl. auch Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Che- mistry, aaO, S. 256, r. Sp., Abs. 2, Anlage D 13, D 13a). Sich von dieser Kategorisierung zu lösen und ein Konzept für die Mischung beider Stoffgruppen zu entwickeln, um ein Füllmaterial zu erhalten, das die positiven Eigenschaften beider Produkte in sich vereint, kann angesichts all dieser Umstände als erfinderisch gelten.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V. mit §§ 92, 97 ZPO.
Scharen Gröning Berger
Hoffmann Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 15.02.2006 - 3 Ni 25/02 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 112/99 Verkündet am:
1. Oktober 2002
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
Kupplungsvorrichtung II
EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. b; IntPatÜG Art. II § 1 Nr. 2
Die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung der geschützten Erfindung
benötigt, müssen nicht im Patentanspruch enthalten sein; es genügt,
wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben.
BGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 - X ZR 112/99 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 20. April 1999 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 111 092 (Streitpatents ), das auf einer Anmeldung vom 8. Oktober 1983 beruht, mit der Prioritäten schweizerischer Patentanmeldungen vom 18. Oktober 1982 und 18. August 1983 geltend gemacht worden sind. Das Streitpatent betrifft eine Kupplungsvorrichtung. Es hat im Einspruchsverfahren aufgrund der Entscheidung der Be-

schwerdekammer 3.2.1. des Europäischen Patentamts vom 11. Februar 1992 eine neue Fassung erhalten. Danach umfaßt das Streitpatent 16 Ansprüche; Anspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
"Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung mit zwei koaxialen Kupplungsorganen (1, 3) und einer dazwischengefügten , in Umfangsrichtung starren Mitnehmerscheibe (6), wobei das eine Kupplungsorgan (1) an der Bearbeitungseinrichtung befestigt ist, und mit wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen (7, 8) versehen ist, wobei die Mantelfläche der Mitnehmerzapfen (7, 8) zumindest teilweise konisch ausgebildet ist, wobei das andere Kupplungsorgan (3) das Werkstück trägt, und beim Werkstückwechsel zusammen mit diesem von dem einen Kupplungsorgan (1) lösbar ist, und wobei Mittel (2, 5) vorgesehen sind, die die beiden Kupplungsorgane (1, 3) in axialer Richtung lösbar gegeneinander verspannen, wobei ferner die Mitnehmerscheibe (6) aus Federstahl besteht und im Abstand von der Kupplungsfläche (16) des anderen Kupplungsorgans (3) drehfest mit diesem verbunden und mit Öffnungen (19, 20) versehen ist, die korrespondierend zu den Mitnehmerzapfen (7, 8) angeordnet sind und deren Kanten (21) die konischen Mantelflächen (10, 13) der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise derart übergreifen, daß die Federstahlscheibe (6) in gespanntem Zustand der Kupplungsvorrichtung im Bereich der Öffnungen (19, 20) axial elastisch deformiert ist, und wobei eines (3) der beiden Kupplungsorgane (1, 3) mit drei über die Kupplungsfläche (16) vorstehenden Abstands-

zapfen (22) versehen ist, deren Stirnflächen (23) beim Kupplungseingriff gegen die Kupplungsfläche (9) des anderen Kupplungsorgans (1) aufliegen."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat mit ihrer Nichtigkeitsklage die Nichtigerklärung des Streitpatents für die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang beantragt. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig , weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung und dem Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das europäische Patent 0 111 092 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
In zweiter Instanz zieht die Klägerin auch in Zweifel, daß die erfindungsgemäße Lehre in der Patentschrift so offenbart werde, daß ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Akademischer Direktor Dr.-Ing. O. W. hat als gerichtlicher Sachver- ständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Das zulässige Rechtsmittel der Klägerin hat keinen Erfolg.
Soweit in der Erstreckung der Klage auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit eine Klageerweiterung liegt, ist diese als sachdienlich zuzulassen.
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung wie z.B. einer Drehbank, einer Fräsmaschine oder einer Schleifmaschine. Die Streitpatentschrift weist einleitend (Sp. 1 Z. 21 f.) darauf hin, daß im Präzisionswerkzeugbau außerordentlich hohe Anforderungen an die Genauigkeit gestellt würden, mit der ein Werkstück bearbeitet werden könne. Es müsse insbesondere gewährleistet sein, daß ein zu bearbeitendes Werkstück in genau definierter Lage in eine Bearbeitungseinrichtung eingespannt werden könne. An die Zentrizität würden dabei hohe Anforderungen gestellt. Außerdem sei es häufig notwendig, das zu bearbeitende Werkstück nacheinander in mehreren Bearbeitungseinrichtungen einzuspannen, um daran verschiedene Bearbeitungsvorgänge durchzuführen. Dies erfordere eine absolut zentrische und - je nach Arbeitsvorgang - auch winkelgenaue Einspannung in der jeweiligen

Bearbeitungseinrichtung. Diese Anforderungen stellen sich nach der Streitpa- tentschrift beispielsweise bei der Herstellung von Elektrodenkörpern für Erodiermaschinen ; die Anforderungen an die Maßgenauigkeit liegen dabei in einer Größenordnung von wenigen Tausendstel Millimetern.
Ein Einspannen des Werkstücks in eine Bearbeitungseinrichtung in genau definierter Lage mit nur geringen Toleranzen in bezug auf Exzentrizität läßt sich nach der Streitpatentschrift mit Hilfe von bekannten Konussitzen erzielen. Diese gewährleisteten zwar eine zwangsläufige Zentrierung mit sehr hoher Genauigkeit, seien andererseits jedoch anfällig gegen Verschmutzungen. Ein verunreinigter Konussitz sei entweder in seiner Genauigkeit beeinträchtigt oder lasse sich infolge übermäßiger Selbsthemmung nicht oder fast nicht mehr lösen. Bei einem Konussitz werde auch nicht die Forderung nach einer winkelgerechten Einspannung des Werkzeugs erfüllt. Die weiter gebräuchlichen Spannfutter haben nach der Streitpatentschrift den Nachteil, daß sie für Verschmutzungen anfällig sind und damit eine winkelgerechte Einspannung des Werkstücks nicht gewährleistet ist. Außerdem sei es bei hohen Anforderungen an die Zentrizität der Einspannung notwendig, Konussitz oder Spannfutter mit sehr hoher Präzision zu fertigen, was insbesondere dann hohen Aufwand und hohe Kosten mit sich bringe, wenn viele solcher Einspannvorrichtungen notwendig seien. Neben dieser Kritik am Stand der Technik sieht es die Streitpatentschrift als erstrebenswert an, bei einer Vielzahl von benötigten Einspannvorrichtungen die Werkstücke möglichst schnell und einfach in die Bearbeitungseinrichtungen einspannen zu können. Als Nachteil der aus der deutschen Patentschrift 1 257 496 bekannten Kupplungsvorrichtung bezeichnet die Streitpatentschrift , daß auch sie die Zentrizität und Repetiergenauigkeit der Verbindung nicht gewährleiste und sich nicht leicht lösen lasse.

Hieraus ist die dem Streitpatent zugrundeliegende Problemstellung abzuleiten , eine Kupplungsvorrichtung zur drehfesten auswechselbaren Verbin- dung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungsvorrichtung zu schaffen, die nicht nur eine hochpräzise zentrische Einspannung, sondern zugleich auch eine genau definierte Winkellage des Werkstücks bezogen auf die Bearbeitungsvorrichtung gewährleistet, insbesondere auch dann, wenn die Verbindung oft gelöst und an gleicher oder anderer Stelle wieder hergestellt wird. Die Verbindung soll sich zudem schnell und einfach lösen lassen. Schließlich soll die Kupplungsvorrichtung möglichst unempfindlich gegen Verschmutzungen sein.
Die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung besteht nach dem Inhalt des Patentanspruchs 1 aus einer Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstücks mit einer Bearbeitungseinrichtung
1. mit zwei axialen Kupplungsorganen, wobei
1.1 das eine Kupplungsorgan
1.1.1 an der Bearbeitungseinrichtung befestigt und
1.1.2 mit wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen versehen ist,
1.1.2.1 wobei die Mantelfläche der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise konisch ausgebildet ist;

1.2 das andere Kupplungsorgan
1.2.1 das Werkstück trägt,
1.2.2 beim Werkstückwechsel zusammen mit diesem von dem einen Kupplungsorgan lösbar ist und
1.3 eines der beiden Kupplungsorgane mit drei Abstandszapfen versehen ist,
1.3.1 die über die Kupplungsfläche vorstehen und
1.3.2 deren Stirnflächen beim Kupplungseingriff gegen die Kupplungsfläche des anderen Kupplungsorgans aufliegen ;
2. mit Mitteln, die die beiden Kupplungsorgane in axialer Richtung gegeneinander verspannen;
3. mit einer Mitnehmerscheibe, die
3.1 zwischen die Kupplungsorgane gefügt und
3.2 in Umfangsrichtung starr ist,
3.3 aus Federstahl besteht,

3.4 drehfest mit dem anderen Kupplungsorgan verbunden ist,
3.5 im Abstand von der Kupplungsfläche des anderen Kupplungsorgans mit diesem verbunden ist und
3.6 mit Öffnungen versehen ist,
3.6.1 die korrespondierend zu den Mitnehmerzapfen angeordnet sind und
3.6.2 deren Kanten die konischen Mantelflächen der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise derart übergreifen, daß die Federstahlscheibe in gespanntem Zustand der Kupplungsvorrichtung im Bereich der Öffnungen axial elastisch deformiert ist.
2. Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist danach eine Kupplungsvorrichtung, die aus zwei Kupplungsorganen besteht, die axial (z.B. durch eine Schraube) verbunden werden können. Eines der beiden Kupplungsorgane ist an der Bearbeitungseinrichtung befestigt. Dieses weist wenigstens zwei von der Kupplungsfläche abstehende Mitnehmerzapfen auf, deren Mantelfläche zumindest teilweise konisch ausgebildet ist. Das andere Kupplungsorgan trägt das Werkstück und ist mit diesem von dem an der Bearbeitungseinrichtung befestigten Kupplungsorgan zu lösen. Zwischen die Kupplungsorgane ist eine Federstahlscheibe gefügt, die drehfest mit dem Kupplungsorgan verbunden ist, das das Werkstück trägt. Diese Federstahlscheibe

weist Öffnungen auf, die mit den Mitnehmerzapfen korrespondieren. Über die Mitnehmerzapfen und die korrespondierenden Öffnungen erfolgt beim zunächst kraftfreien Positionieren die exakte Ausrichtung und Fixierung der beiden Kupplungsorgane zueinander in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung, d.h. in der Ebene der Mitnehmerscheibe. Die Kanten der korrespondierenden Öffnungen übergreifen die konischen Mantelflächen der Mitnehmerzapfen zumindest teilweise. An einem der beiden Kupplungsorgane befinden sich drei Abstandszapfen , die über die Kupplungsfläche vorstehen. Werden die zunächst in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung fixierten Kupplungsorgane verspannt, kommen die drei die Mitnehmerscheibe durchgreifenden Abstandszapfen an der Oberfläche des anderen Kupplungsorgans zur Anlage, bis sie fest anliegen. Dadurch wird die Ausrichtung der beiden Kupplungsorgane auch in der z-Achse erreicht.
Die Ausrichtung der Kupplungsorgane über Mitnehmerscheibe und Abstandshalter hat zum einen den Vorteil, daß auf mit den Abstandshaltern korrespondierende Vertiefungen oder die Verwendung von nut- und federartigen Mitnehmern verzichtet werden kann, in denen sich Schmutz sammeln kann mit der Folge, daß eine genaue Auflage und damit eine präzise Ausrichtung der Kupplungsorgane zueinander nicht mehr gewährleistet ist. Zum anderen kann bei ihr auf eine vollkommen präzise Abstimmung der Mitnehmerzapfen und aller mit ihnen korrespondierenden Öffnungen in der Mitnehmerscheibe verzichtet werden. Die Öffnungen für die Mitnehmerzapfen müssen nur auf eine exakte Mitnahme ausgerichtet sein; in radialer Richtung können sie, sofern sie nur in ihrem Zusammenwirken die exakte Ausrichtung der Kupplungsorgane in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung gewährleisten, wie in dem Ausführungsbeispiel gezeigt nach Art eines Langlochs gestaltet sein, dessen Maße

nur größenordnungsmäßig auf den korrespondierenden Zapfen abgestimmt sein müssen, weil die Federstahlscheibe und ihre Materialeigenschaften beim Eindringen der Zapfen in die korrespondierenden Öffnungen dazu führen, daß diese an den Rändern axial elastisch verformt und die Öffnungen aufgespreizt werden.
Die Positionierung der beiden Kupplungsorgane erfolgt demnach in getrennten Schritten: Die Zentrierung der beiden Kupplungsorgane und die Winkellage des Kupplungsorgans, das das Werkstück trägt, im Verhältnis zu dem anderen Kupplungsorgan wird durch das Eingreifen der Mitnehmerzapfen in die korrespondierenden Öffnungen erreicht, wobei die Kanten der Öffnungen in lose aufgesetzter Position die konische Mantelfläche der Zapfen nur zum Teil übergreifen. Die genaue Ausrichtung der beiden Kupplungsorgane in der z-Achse wird durch das Aufliegen der verspannten Abstandszapfen auf der Kupplungsfläche des mit der Bearbeitungseinrichtung verbundenen Kupplungsorgans bewirkt. Damit wird die Ausrichtung der Kupplungsorgane in der Drehachse gewährleistet und eine reibschlüssige Übertragung von Kräften und Drehmomenten von dem einen auf das andere Kupplungsorgan ermöglicht. Beim Verspannen werden zugleich die in lose aufgesetztem Zustand die Mantelfläche der Zapfen nur teilweise übergreifenden Ränder der korrespondierenden Öffnungen aufgespreizt. Dadurch werden eventuell vorhandene Schmutzpartikel und Abrieb beiseite geschoben und verteilen sich in dem Zwischenraum zwischen der Mitnehmerscheibe und der Oberfläche der Kupplungsorgane , so daß diese Verunreinigungen die Genauigkeit des zentrischen und winkelgenauen Ausrichtens nicht beeinträchtigen.

3. In der bevorzugten Ausführung beschreibt die Streitpatentschrift eine Ausgestaltung der erfindungsgemäßen Lehre, bei der zwei Mitnehmerzapfen und zwei korrespondierende Öffnungen vorhanden sind; der gerichtliche Sachverständige hat dies als die einzig sinnvolle Ausführungsform bezeichnet, bei der sich die mit der Lehre des Streitpatents angestrebten Vorteile auf einfache Weise verwirklichen lassen. Einer der beiden Zapfen ist bei dieser Ausgestaltung zentrisch angeordnet und weist eine kegelstumpfförmige Kontur auf, der andere ist exzentrisch zur Drehachse angeordnet und kann auch radiusparallel verlaufende Seitenflächen besitzen. Die mit dem zentrisch angeordneten Zapfen korrespondierende Öffnung ist zentral und kreisrund, die andere Öffnung ist ein Langloch mit radiusparallelen Seitenkanten. Bei dieser Gestaltung übernimmt der zentrisch angeordnete Zapfen in Zusammenwirken mit der korrespondierenden Öffnung die Zentrierung der Kupplungsorgane, während der exzentrisch angeordnete Zapfen und das diesem korrespondierende Langloch für die exakte Winkellage der Kupplungsorgane zueinander verantwortlich ist (Streitpatentschrift Sp. 4 Z. 35-42). Damit beschreibt die Streitpatentschrift ein Ausführungsbeispiel, wie es mit Patentanspruch 2 beansprucht wird. Der gerichtliche Sachverständige hat dazu überzeugend ausgeführt, es seien jedoch auch Ausgestaltungen mit mehr als zwei Mitnehmerzapfen technisch möglich. Auch eine andere Gestaltung der Öffnungen, etwa zwei runde Öffnungen, komme in Betracht. Es seien dann allerdings engere Toleranzen einzuhalten.
Der Fachmann, der sich mit der Streitpatentschrift befaßt, wird danach, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, die Ausgestaltung, wie sie Gegenstand von Patentanspruch 2 und wie sie allein in der Beschreibung dargestellt ist, für die optimale, allerdings nicht für die allein mögliche Lösung halten. Als einen solchen Fachmann durchschnittlichen Wissens und Könnens

sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen einen als Maschinenbautechniker ausgebildeten Konstrukteur von Spannwerkzeugen und Spannmitteln für Werkzeugmaschinen an, der sich durch mehrjährige Berufserfahrung einschlägige Kenntnisse auf diesem Spezialgebiet erworben hat.
4. Zu Unrecht macht die Klägerin hinsichtlich des Patentanspruchs 1 mangelnde Ausführbarkeit geltend. Jedenfalls das auch unter Patentanspruch 1 fallende Ausführungsbeispiel, in dem weitere Elemente in Patentanspruch 2 genannt sind, ist ausführbar. Damit ist aber auch Ausführbarkeit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 gegeben. Hierfür ist es nach der Rechtsprechung des Senats nämlich nicht erforderlich, daß alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs 1 fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können (vgl. Sen. BGHZ 147, 306, 317 - Taxol). Insbesondere müssen die Angaben , die der Fachmann zur Ausführung benötigt, nicht in Patentanspruch 1 enthalten sein, es genügt, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben (vgl. Sen.Beschl. v. 16.06.1998 - X ZB 3/97, GRUR 1998, 899, 900 - Alpinski). Dies ist hier der Fall.
II. 1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt , daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht und deshalb patentfähig ist. Der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1, Art. 52 Abs. 1, Art. 56 EPÜ liegt deshalb nicht vor. Zwar enthält die Gesamtkombination, wie sie das Streitpatent lehrt, zahlreiche Komponenten, die bereis im Formenschatz der Technik vorhanden waren. Ein solches Vorhandensein von Einzelmerkmalen begründet für sich jedoch noch nicht das Naheliegen ihrer Kombination

(Sen.Urt. v. 12.05.1998 - X ZR 115/96, GRUR 1999, 145, 148 - Stoßwellen- Lithotripter).

a) Die Kupplungsvorrichtung nach der deutschen Patentschrift 1 257 496, die in der Streitpatentschrift erwähnt wird, besteht ähnlich wie die Vorrichtung nach dem Streitpatent aus zwei koaxialen Kupplungsorganen und einer dazwischengefügten, in Umfangsrichtung starren Mitnehmerscheibe, wobei das eine Kupplungsorgan mit zwei von der Kupplungsfläche abstehenden Mitnehmerzapfen versehen und die Mantelfläche dieser Mitnehmerzapfen konisch ausgebildet ist. Die dort vorgeschlagene Kupplung dient jedoch einem anderen Zweck, sie soll nämlich bekannte Kupplungen so ausgestalten, daß sie nur in einer einzigen relativen Winkelstellung der Kupplungshälften einrückbar sind und die Drehbewegung spielfrei übertragen. Dagegen kommt es weder auf die Zentrizität der Verbindung noch auf die rasche und einfache Lösbarkeit und Repetiergenauigkeit an. Die Kupplung nach der deutschen Patentschrift 1 257 496 eignet sich zum Kuppeln eines in einem Gestell auf einem Kraftfahrzeug schwenkbar gelagerten Geräts, z.B. eines Fernrohrs, mit der Welle eines am Gestell abnehmbaren befestigten Synchrogebers. Die Kupplung besteht aus einem ersten Kupplungsorgan, aus einem an diesem beweglich geführten Mitnehmer, aus dazwischen angeordneten Teilen zum spielfreien Übertragen der Drehbewegung zwischen den Kupplungsorganen und dem Mitnehmer und schließlich aus dem zweiten Kupplungsorgan, das zur Schwenkachse , beispielsweise des Fernrohrs, gleichachsig angeordnet ist und von dem schwenkbaren Fernrohr spielfrei mitgenommen wird.
Im Unterschied zur Kupplungsvorrichtung nach dem Streitpatent werden die beiden Kupplungsorgane nach der Entgegenhaltung bei der Montage nicht

axial gegeneinander verspannt und damit auch nicht zentriert. Das erwähnte spielfreie Übertragen der Drehbewegung soll nach Anspruch 1 der deutschen Patentschrift 1 257 496 dadurch erreicht werden, daß die Druckfeder aus zwei parallelen biegsamen Drähten besteht; mittels dieser Federelemente wird die an dem ersten Kupplungsorgan angebrachte Mitnehmerscheibe gegen das zweite Kupplungsorgan gedrückt und damit werden die konischen Zapfen in die Öffnungen der Mitnehmerscheibe eingeführt, so daß die beiden Kupplungsorgane in der x-y-Ebene gekoppelt sind; eine gleichartige Fixierung in z-Richtung ist dem nicht zu entnehmen.
Damit gibt die deutsche Patentschrift 1 257 496 keine Anregung für eine optimale Zentrierung der Kupplungsorgane. Es geht bei ihr nicht um ein präzises Ausrichten, sondern um eine federnde Verbindung; eine Festlegung in der z-Achse erfolgt nicht. Erst recht lassen sich ihr keine Anregungen entnehmen, wie Mitnehmerzapfen und korrespondierende Öffnungen auszugestalten sind, um eine hochpräzise zentrische Einspannung und eine genau definierte Winkellage des Werkstücks in bezug auf die Bearbeitungseinrichtung zu erreichen. Schließlich ergibt sich keinerlei Hinweis, im Sinne des Merkmals 3.6.2 die Kanten der Öffnungen, in die die Mitnehmerzapfen eingreifen, so auszugestalten , daß sie ohne zusätzliche Hilfsmittel fest mit der korrespondierenden Scheibe zusammenwirken können, ohne auf die dort vorgesehenen Öffnungen präzise ausgerichtet zu sein. Anregungen, bei der Ausrichtung die Verformbarkeit der Federstahlscheibe auszunutzen und so die Notwendigkeit einer präzisen Abstimmung der Mitnehmerzapfen und der mit ihnen korrespondierenden Öffnungen zu vermeiden, lassen sich der Schrift nicht entnehmen.


b) Die US-Patentschrift 3.386.315 offenbart einen Indexmechanismus für eine Werkzeugdrehhalterung auf einer Drehbank. Der Indexmechanismus dient dazu, die Drehhalterung entsprechend dem gewünschten Arbeitsvorgang präzise zu positionieren. Auf einem Werkzeugschlitten ist ein scheibenförmiger Indextisch fest verschraubt. Durch eine Bohrung im Zentrum des Indextisches ist eine Spindel geführt, die am unteren Ende mit der Unterseite des Indextisches verschraubt ist. Die Spindel ist von einem Werkzeugsupport umgeben, der um die Spindel drehbar ist. Indextisch und Werkzeugsupport sind voneinander beabstandet. Auf dem äußeren Peripherieabschnitt des Indextisches sind auf der dem Werkzeugschlitten abgewandten Oberfläche vier radiale Rippen in Winkelintervallen von ca. 90 ° vorgesehen. Jede der Rippengruppen umfaßt eine radiale Nut, die in der oberen Fläche des Indextisches ausgebildet ist und einen Wulst, der beiderseits der Nut vorgesehen ist. Der Indextisch besitzt weiterhin vier kleine Ausnehmungen von kreisförmiger Gestalt, die gegenüber den inneren Enden der Nuten auf einem Kreisbogen angeordnet sind, dessen Zentrum in der Achse der Spindel liegt. An der Unterfläche des Werkzeugsupports ist ein kreisförmiges elastisches Blech befestigt, das an der dem Indextisch zugewandten Seite vier radiale Wülste aufweist, die in Winkelintervallen von ca. 90 ° angeordnet sind. Die Anordnung ist so getroffen, daß die Wülste in die gegenüber am Indextisch liegenden Nuten eingreifen können.
Die Ausrichtung des Werkzeugssupports in x-y-Ebene verläuft dabei in drei Schritten. Der Werkzeugsupport ist auf einer Seite mit einer Vertikalbohrung versehen, in welcher ein Positionierstift eingefangen ist. Dieser Positionierstift wird durch eine Spiralfeder so lange abwärts gedrückt, bis das untere Ende des Stiftes aus der vertikalen Bohrung durch die federnde Scheibe bis zum Kontakt mit der Oberfläche des Indextisches ragt. Wenn sich der Positio-

nierstift über einer der kreisförmigen Ausnehmungen auf der Oberfläche des Indextisches befindet, kann er in die Ausnehmung greifen und wirkt vorübergehend als Haltestift (US-Patentschrift Sp. 3 Z. 44-55 = deutsche Übers. S. 4 2. Abs.). Sodann kommt ein Sicherheitsstift zum Einsatz. Dieser befindet sich z.B. in Fig. 1 der Entgegenhaltung an der unteren Fläche des Werkzeugssupports und erstreckt sich durch die elastische Scheibe. Wird der Werkzeugsupport nach unten gedrückt, so fällt der Sicherheitsstift in eine der kreisförmigen Ausnehmungen auf der Oberfläche des Indextisches und bewirkt dort eine immer noch vorläufige, aber festere Ausrichtung. Wird der Werkzeugsupport sodann weiter abwärts gedrückt, beginnen die Wülste auf der elastischen Scheibe die benachbarten Nuten auf dem Indextisch zu ergreifen. Wenn die Wülste auf der elastischen Positionierscheibe und die zugeordneten Wülste auf dem Indextisch übereinanderliegen, liegt der Sicherheitsstift gegen die Oberfläche des Indextisches an. Dadurch wird eine weitere Abwärtsbewegung des Werkzeugsupports verhindert. Erst mit dem festen Eingriff der Wülste in die Nuten ist sodann eine endgültige Festlegung auf der x-y-Ebene erfolgt. Die z-Ausrichtung, die beim Streitpatent durch Auflage der drei von einem Kupplungsteil vorstehenden Abstandszapfen auf dem anderen Kupplungsorgan geschieht , erfolgt bei dem Indextisch durch Auflage einer vom Werkzeugsupport abstehenden Ringschulter.
Die Ausrichtung in x-y-Richtung, die bei der US-Patentschrift in den geschilderten drei Schritten verläuft, faßt das Streitpatent in einem einzigen zusammen , indem die exakte Positionierung in der x-y-Ebene und in Umfangsrichtung allein über Mitnehmerzapfen und korrespondierende Öffnungen erfolgt. Danach bestehen zwar Ähnlichkeiten zwischen der Lehre des Streitpatents und derjenigen der US-Patentschrift, was den Ablauf der Ausrichtung in

der x-y-Ebene betrifft. Beim Streitpatent kommen jedoch völlig andere Mittel zum Einsatz, für die der Fachmann in der US-Patentschrift kein Vorbild und auch keine Anregung fand.
Das Ineinandergreifen mehrerer Arbeitsschritte wie bei dem US-Patent verlangt ein hohes Maß an Präzision, bei dem nicht nur die einzelnen Schritte, sondern auch die bei deren Zusammenwirken eingesetzten Teile mit großer Genauigkeit aufeinander abgestimmt sein müssen. Der gerichtliche Sachverständige hat zur Überzeugung des Senats ausgeführt, daß die in der letzten Stufe der Ausrichtung in der x-y-Ebene verwendete Nut-Feder-Kombination eine exakte relative Lage von Nut und Feder erfordert, die bei der Entgegenhaltung u.a. über den Sicherungsstift gewährleistet wird, der damit ebenfalls in seiner Endstellung präzise ausgerichtet sein muß. In gleicher Weise kann der weitere, im ersten Schritt einer vorläufigen Positionierung dienende Stift seine Funktion nur erfüllen, wenn er fest in der Vertiefung ruht, die ihn aufnehmen soll, wenn er durch die im Ausführungsbeispiel gezeigte Feder herabgedrückt wird. Da er nicht eine Öffnung durchgreift, sondern in einer Vertiefung ruht, setzt die durch ihn bewirkte Sicherung ebenfalls ein gewisses Maß an Präzision voraus. Um von dieser Lösung mehrfach gestufter und aufeinander abgestimmter Maßnahmen zu derjenigen des Streitpatents zu gelangen, bedurfte es daher auch aus diesem Grunde nicht nur eines Wechsels der einzelnen Komponenten und ihrer Gestaltung; notwendig war vielmehr ein Übergang auf ein anderes Lösungskonzept, das in der Entgegenhaltung nicht angelegt ist. Die bei ihr schon in der x-y-Ebene erforderlichen mehreren Arbeitsschritte mußten auf einen einzigen reduziert und dabei erkannt werden, daß und mit welchen Mitteln dies ohne Verlust der Genauigkeit bei der Ausrichtung zu erzielen ist. Dafür konnte der Fachmann der Schrift nichts entnehmen.


c) Der übrige Stand der Technik liegt weiter ab, was auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, und vermochte dem Fachmann ebenfalls keine Anregung zu geben, die ihn, ohne daß es eines erfinderischen Schrittes bedurft hätte, zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents geführt hätte.
Deshalb hat Patentanspruch 1 des Streitpatents Bestand und mit ihm die Patentansprüche 2 bis 16, die die zweckmäßige Ausgestaltung des Gegenstands von Patentanspruch 1 betreffen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf

(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

(2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind:

1.
der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereichten Fassung;
2.
der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung, wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz begehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllt sind;
3.
der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung, wenn für die Anmeldung das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist.
Beruht der ältere Zeitrang einer Anmeldung auf der Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung, so ist Satz 1 nur insoweit anzuwenden, als die danach maßgebliche Fassung nicht über die Fassung der Voranmeldung hinausgeht. Patentanmeldungen nach Satz 1 Nr. 1, für die eine Anordnung nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 4 erlassen worden ist, gelten vom Ablauf des achtzehnten Monats nach ihrer Einreichung an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

(3) Gehören Stoffe oder Stoffgemische zum Stand der Technik, so wird ihre Patentfähigkeit durch die Absätze 1 und 2 nicht ausgeschlossen, sofern sie zur Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung zu einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört.

(4) Ebenso wenig wird die Patentfähigkeit der in Absatz 3 genannten Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren durch die Absätze 1 und 2 ausgeschlossen, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.

(5) Für die Anwendung der Absätze 1 und 2 bleibt eine Offenbarung der Erfindung außer Betracht, wenn sie nicht früher als sechs Monate vor Einreichung der Anmeldung erfolgt ist und unmittelbar oder mittelbar zurückgeht

1.
auf einen offensichtlichen Mißbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers oder
2.
auf die Tatsache, daß der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung auf amtlichen oder amtlich anerkannten Ausstellungen im Sinne des am 22. November 1928 in Paris unterzeichneten Abkommens über internationale Ausstellungen zur Schau gestellt hat.
Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung angibt, daß die Erfindung tatsächlich zur Schau gestellt worden ist und er innerhalb von vier Monaten nach der Einreichung hierüber eine Bescheinigung einreicht. Die in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Ausstellungen werden vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)